Ob Linux für den Desktop bereit ist? Ein klares Jein!
Ich denke, ich fange mal am Anfang an: Bei der Installation. Eine ISO-Datei brennen kann mittlerweile fast jeder, der zuhause einen PC sein Eigen nennt. Während der Installation hat man bei fast allen modernen Linux-Distros nebenbei die Möglichkeit, schon mit dem System zu arbeiten, nebenbei im Internet zu surfen etc... Unter Windows ist das nicht möglich.
Bei stinknormalen Arbeiten, die jeder 08/15-Benutzer macht (Briefe schreiben, Surfen, Mailen, Chatten, Musik hören...), ist Linux problemlos zu empfehlen. Praktischerweise liefern Ubuntu & Co. gleich ein halbes Dutzend brauchbare Anwendungssoftware mit, etwa OpenOffice (im Gegensatz zum schmalbrünstigen Wordpad von Windows, was seit 95(?) nicht verändert wurde) & Co...
Bei der Menüführung (speziell Gnome) bin ich auf die fast durchgehend positive Resonanz von Computernutzern überrascht. Viele behaupten, sich mit diesem "Startmenü" besser auszukennen als unter Windows...
Auch bei der Sicherheit (hier speziell Ubuntu) höre ich lustigerweise positive Resonanz von Leuten, die vorher Vista verwendet haben. Zitat meines Vaters: "Wenn Ubuntu mein Passwort wissen will, weiß ich genau warum. Unter Vista kommt der Dialog urplötzlich (Anm.: z. B. wenn man mit dem IE eine Flash-Seite aufruft und man den Player noch nicht installiert hat), bis zu 3 mal und ich habe keine Ahnung, was das Ding genau von mir will!".
Soo, jetzt mal zu den Unterschieden zwischen Windows und Linux:
Mir fällt auf, dass v.a. Poweruser von Windows Probleme beim Umstieg mit Linux haben. Das liegt - obwohl sie sich vorher über die wichtigsten Sachen informiert haben - großteils daran, dass sie versuchen, Linux wie Windows zu bedienen, was konzeptionell irgendwann zwangsläufig in die Hose geht. Anbei einige interessante Sätze, die ich im Internet dazu gefunden habe:Besonders der letzte Satz ist bei Windows-Powerusern tückisch. Ein Beispiel: In Linux ist die Konsole ein wichtiger Bestandteil des Systems. Viele, die das erste Mal eine Konsole unter Linux sehen, denken gleich an die grottenschlechte Windows-Eingabeaufforderung oder gar an MS-DOS. Das ist ein Fehler! Die Konsole ist (auch was Komfort angeht, von Funktionalität ganz zu schweigen!) unter Linux extrem mächtig. Mehr noch, es bietet auf lange Sicht Vorteile und Funktionen, die in einer grafischen Oberfläche nur schwer umzusetzen ist, aber dazu später noch. Der große Nachteil der Konsole (und damit der Riesenvorteil von Windows) ist, dass man die Befehle nicht gleich sieht und man auch nicht weiß, wie eine Funktion genau gehandhabt wird. Bei Windows probiert man einfach ein wenig aus, irgendwann findet man schon das, was man finden wollte. Unter Linux hingegen kommt man, will man ebenfalls ein Poweruser werden, um das Lesen von Anleitungen nicht herum.Zitat
Und leider ist Linux noch nicht soweit, dass es komplett nur mit GUI bedienbar wäre. Es gibt immer jemanden, der die Nutzung von Kommandozeilentools steinzeitmäßig findet und nix damit zu tun haben will. Er will, dass der PC einfach per Mausklick das tut, was er will. Er will nicht beim Absturz von Compiz ALT+F2 drücken und dann im Fenster "metacity --replace" eingeben müssen, er will irgendwo einen Button dafür finden.
Auf kurze Sicht bringt Linux einem wirklich überhaupt nicht weiter. Für manche Systeminnereien (kein Compiz, oder permanentes Einbinden von Windows-Partitionen (bezogen auf Debian und deren Abkömmlinge)) muss man etwa zwingend Textdateien editieren. Und damit man genau weiß, wo man was editieren muss, muss man Anleitungen lesen. Man muss einigermaßen verstehen, was dahinter abläuft. Und genau das will ein User, der mit seinem System nur arbeiten und es dafür selbst an der Oberfläche nichtmal kennenlernen will, nicht. Er will gefälligst irgendwo einen Button finden, der das für ihn regelt.
Kleine Anekdote am Rande: Leider wird dieses Entgegenkommen des Benutzers, unter Windows für fast jede Aufgabe einen Button zu haben, mit anderen Nachteilen erkauft. Ich habe als PC-Notdienstleister schon PCs mit einem Virenscanner säubern müssen, und ich habe nicht schlecht gestaunt, als ca. jeder 10. PC mehr als 300(!) Schadsoftware beinhaltete... Einfach, weil die Benutzer gar nicht wissen, was im System los ist. Etwas forscher ausgedrückt: Mancher Vollhorst glaubt, nur weil er in Word Serienbriefe schreiben kann, er sei der Computerexperte. Und nebenbei sagt er "Windows wird halt mit der Zeit langsamer, war schon immer so" und merkt nicht, dass der Rechner durch Besuch von Pornoseiten oder dem Installieren der lustigen Software, die im Mailanhang eines Freundes drin war, längst kompromittiert wurde...
Auf lange Sicht jedoch ergeben sich Möglichkeiten, von denen man unter Windows nur träumen darf. Während unter Windows die Software meist nach "Eine RiesenGUI mit dutzenden Funktionen" aussehen (die irgendwie alles ein wenig können, aber nix perfekt), werkeln unter Linux zig einzelne Programme (die NUR einen Verwendungszweck können, den aber richtig), die man mittels Pipes & Co. durchreichern kann. Natürlich muss man dieses Prinzip erstmal verstanden haben. Hat man das, besitzt man eine enorme Flexibilität...
Nun zur Kategorie Software: Hier muss man den meisten Benutzern klarmachen, das Windowssoftware nicht (automatisch, geschweige denn perfekt) unter Linux läuft. Ein typisches Herunterladen einer .exe-Datei gibt es unter Linux kaum. Gut, Ausnahmen sind .deb-Dateien für Debian-basierte Systeme, aber das müsste man einem Linux-Umsteiger erstmal klar machen... Software installiert man unter fast allen modernen Linux-Distris über sog. Repositorys: Es gibt ein spezielles Programm im Menü, etwa "Software installieren", "Software hinzufügen/entfernen" etc... Über diesen Punkt installiert man unter Linux üblicherweise Software. Ein Großteil der Nutzer ist mit teils über 10.000 Programmen von Spielen über Gadgets bis hin zur Entwicklung schon zufrieden... Großer Vorteil: Dieses "Paketmanagement" sorgt automatisch für Updates, ohne dass man für jedes einzelne Programm einen Dienst (unter Linux: Daemon) laufen lassen muss.
Gelegentlich kommt es aber vor, dass der Benutzer gerade dieses eine, seit Jahren unter Windows genutzte und auch für Linux verfügbare Programm in dieser riesigen Liste nicht findet. Wenn dann der Entwickler dann auch keine .debs (für Debian-Distros) und auch kein selbstausführendes Skript mit Namen wie "install-sh" bereitstellt, stellt das für einen unbedarften Anwender vor große Probleme. Für Linux-Kenner ist klar, dass für den Großteil dieser Software das Trio "./configure; make; make install" in der Konsole aushilft. Das ist in der Linux-Welt Gang und Gäbe. Aber das müssten halt auch die Benutzer wissen, die ihre Software bis jetzt immer nur durch Doppelklicks auf .exe-Dateien installiert hatten...
Ein Manko bleibt auch bei der Hardwareunterstützung. Einerseits liefert der Betriebssystemkernel bereits unzählige Treiber selbst mit und kann (ohne auch nur irgendwas von Hand konfigurieren zu müssen) sie sofort verwenden, während man unter Windows nur nach dem Einlegen der Treiber-CD die Hardware benutzen kann. WENN allerdings eine Hardware bockt, dann aber heftig... Vor ein, zwei Jahren machte WLAN noch große Probleme, vor 6-7 Jahren musste man bei manchen Distros gar noch Mainboards & Co. wissen. Um ein Vorurteil gleich aus dem Weg zu räumen: Linux selbst ist nicht schuld an mangelnden Treibern, sondern schlicht manche Hersteller. Die sind (wohl weil sie Linux unterschätzen) entweder einfach zu faul, um geeignete Treiber für Linux zu schreiben, oder sie dürfen die Spezifikationen der Hardware aus rechtlichen Gründen nicht preisgeben (es ist ja nicht so, dass es einen Mangel an freiwilligen Helfern gibt, die gerne kostenfrei Treiber für Linux schreiben... Nur geht das mit den Spezifikationen in der Hand einfach besser...). Zu den Herstellern mit schlechtem Linux-Support zählen etwa AVM, Canon, Lexmark und ATI (wobei ATI dieses Jahr kräftig Gas für Linuxunterstützung gegeben hat, aber momentan sind die Treiber m.E. noch nicht ganz ausgereift, aber das nur nebenbei...)
Um mal wieder bei der Installation zu kommen: Interessant ist auch der Punkt "Partitionierung". Wer Windows draufknallt, überlegt nicht lange: Einfach auf die komplette Platte drüberbügeln, fertig. Linux-Umsteiger hingegen wollen ihre Windows-Partition behalten. Mir ist (außer mit Ubuntu) keine Möglichkeit bekannt, wie man dem Benutzer dieses Thema rund um primäre und sekundäre Partitionen ersparen kann. Manche Linux-Distris wollen zwar brauchbare Vorschläge von vornherein liefern und Windows trotzdem behalten, was aber nicht immer gut gelingt (Ubuntu etwa will regelmäßig soviel Platz von der Windows-Partition abzwacken, dass für Windows selbst nur noch 2-3 GB übrigblieben; OpenSUSE hingegen kriegt es bei einem Dualboot-Windows mit XP und Vista einfach nicht gebacken, den Bootloader so zu schreiben, dass er nachher ohne Frickelei auch Windows wieder booten kann bei Bedarf)...
Der große Vorteil von Linux ist auch der große Nachteil: Man muss sich mit dem System auseinandersetzen. Man darf nicht den Fehler machen und alles nach Windows-Sicht sehen. Prinzipiell ist alles (auch die grafische Oberfläche) austauschbar, die Konsole ist trotz ihrer Schlichtheit ein mächtiges Werkzeug. Man kann sich sein System bis zum hintersten Winkel selbst verstellen. Durch die Tatsache, dass man bestimmte (möglicherweise essentiell vom System wichtige) Einstellungen nur dann vornehmen kann, wenn man sich Anleitungen durchliest, hat auch der Anwender längerfristig was davon: Er lernt zu verstehen, wie die Dinge intern ablaufen. Er wird zwangsläufig über Warnungen o.Ä. stolpern, wenn er eine Konfiguration vornehmen möchte, die Angreifern, Crackern und Bots Tür und Tor öffnen würde.
Ich habe mal den kompletten Server- und Unternehmensbereich (der in diesem Thread ja sowieso nicht gefragt wurde) ausgeklammert. Bei einem Server muss man sowieso immer "frickeln", egal bei welchem Betriebssystem. Wenn man im Betrieb nur arbeitet, kann ein Unternehmer-Administrator die PCs so einrichten, dass der Benutzer (egal ob XP-Poweruser oder Sekräterin, die noch nie vor einem PC saß) sich sofort zurechtfindet, egal ob auf den Kisten Linux, Windows oder sonstwas läuft. Der Administrator im Unternehmen hat dementsprechend die Fähigkeiten dazu. Zuhause sieht das ganz anders aus: Dort ist der unbedarfte Heimnutzer Administrator...
Mein Fazit: Linux hat zwar (v.a. durch Hypes in allen möglichen IT-Zeitschriften) beachtliche Größe erreicht, wird jedoch weiterhin ein Betriebssystem für Geeks, Nerds, PC-Profis und Administratoren bleiben. Bei manchen Einstellungen kommt man um die Konsole nicht vorbei, was gerade Windows-Benutzer, die seit Jahr(zehnt)en Programme nur als Fenster mit Buttons und Menüleiste kennen, auf gewissen Widerstand stößt. Und an Windows kommt man einfach nicht vorbei. Microsoft müsste schon die nächste Windows-Generation "Seven" ähnlich versauen wie Vista (und dabei besser noch den XP-Support ganz abstellen), um Linux im Desktopbereich so starke Marktmacht zu verschaffen, dass es zumindest dem eines Apple MacOS X nahekommt. Und trotz der Pleite mit Vista traue ich Microsoft nicht zu, dass sie so hirnverbrannt reagieren würden... (Mittlerweile hat Microsoft auch einige Verträge mit Linux-Distributoren geschlossen, etwa bei Novell)
Warum schreibe ich eigentlich immer so viel? Es wird Zeit, das ich mir mal ein Blog errichte^^