Kapitel IV: Das Verschwinden der Prinzessin

Blanc und Zidane standen nun in einem breiten Gang mit kunstvoll in Marmor gehauenen Säulen, die viele Meter hoch in die Decke ragten. An der Decke hingen mehrere Kronleuchter aus reinem Gold, zusätzlich verziert mit glänzenden Edelsteinen.
"Jetzt kommt es darauf an, dass wir so schnell wie möglich wieder hier verschwunden sind, sobald wir die Prinzessin haben.", sagte Blanc.
Zidane nickte. "Komm, halten wir uns nicht lang mit Gerede auf."
Sie schlichen leise durch den Korridor und gelangten in eine kleine Halle; am andere Ende der Halle ihnen gegenüber lag eine verschlossene Tür aus festem Eichenholz, in ein paar Meter Entfernung rechts lag eine weitere hölzerne Tür. Links führte eine steinerne Wendeltreppe mit kunstvoll gefertigtem Geländer weiter ins Schloss hinauf. An der Decke hingen weitere wunderschöne Kronleuchter mit strahlenden Kerzen. Ehe sie entscheiden konnten, in welche Richtung sie weitergehen würden, wurde die Holztür links in der Halle aufgeschoben und zwei Ritter Alexandrias traten heraus. Sie trugen silberne Kettenhemden und darüber zwei glänzende Harnische. Auf ihren Köpfen trugen sie graue Helme, die den größten Teil ihrer Gesichter verbargen. An ihren Gürtel hingen breite und scharfe Schwerter.
Blanc und Zidnane wichen sofort zurück in den Gang, aus dem sie gekommen waren. Die Ritter gingen los und als sie vorbeikamen, stürzten die beiden Räuber hervor und hielten die Ritter fest. Die Wachen versuchten, nach Hilfe zu rufen, doch Blanc zückte einen kleinen verschlossenen Krug, er öffnete ihn und flöste den beiden Rittern einen gelben Trunk ein. Sofort sanken die beiden Männer schlafend zu Boden.
"Pack einen von ihnen und komm.", befahl Blanc.
Sie schleppten die beiden Ritter zur Tür, aus der diese gekommen waren. Blanc stieß die Tür auf und sie betraten eine kleine Kammer mit mehreren hölzernen Schränken, in denen Harnische, Dolche und Schwerter gelagert wurden. Auch ein Tisch stand im Raum, auf ihm standen mehrere leere Bierkrüge. Eine herunter gebrannte Kerze stand bei den Krügen.
"Hier fröhnen die Ritter wohl heimlich ihrem Gesaufe.", meinte Blanc lachend.
"Was tun wir jetzt mit denen?", fragte Zidane.
"Wir nehmen ihre Rüstungen, so wird es leichter, die Prinzessin zu finden. Kleider machen Leute.", sagte Blanc.
Sie legten den Rittern ihre Rüstungen ab, sie ließen ihnen nur ihre Hosen. Dann legten sie sich die Sachen selbst an. Blanc zog sich den Helm tief ins Gesicht, so dass er kaum zu erkennen war.
"Zidane, du musst auch einen Helm tragen, sonst fällst du auf!", mahnte Blanc.
"Aber diese Helme stinken wie die Gossen in Lindblum.", schimpfte Zidane und ließ den Helm auf den Steinboden fallen.
"Das müssen wir nun mal aushalten.", erwiderte Blanc.
Widerwillig hob Zidane den Helm wieder auf und setzte ihn sich auf den Kopf. Sie ließen die Ritter schlafend am Boden liegen und verließen die Kammer. Sie gingen durch die Halle bis zur steinernen Wändeltreppe. Die Stufen waren mit wunderschön gewebtem roten Teppich ausgelegt. Sie gingen hinauf, aber ohne Hast, um nicht aufzufallen. Die Treppe führte sie auf eine steinerne Brücke mit glänzenden Fliesen, die über dem Grund der Halle, aus der sie gekommen waren, verlief. In eine Richtung führte die Brücke zu einer großen hölzernen Tür mit vielen kunstvoll geschnitzten Verzierungen, die Klingen waren aus purem Gold.
Plötzlich flog eben diese Tür auf und eine Gestalt, verhüllt in ein weißes Gewand mit Kapuze, rannte hinaus. Als die Gestalt Zidane und Blanc bemerkte, blieb sie stehen und ging dann langsam weiter.
"Moment mal.", sagte Zidane. "Was tut Ihr hier und wer seid Ihr?"
"Wärt Ihr wohl so freundlich, mich vorbeizulassen?", fragte die Gestalt mit leiser und schöner Stimme.
Zidane konnte schwach ein schönes Frauengesicht unter der Kapuze sehen. "Hab ich Euch nicht schon irgendwo einmal gesehen?", fragte er dann.
"Ich erinnere mich nicht, Euch schon einmal gesehen zu haben.", erwiderte das Mädchen.
"Ich muss Euch schon einmal gesehen haben.", meinte Zidane. "Eine so schöne Maid könnte ich doch unmöglich übersehen."
"Bitte, verzeiht, ich muss weiter.", sagte das Mädchen.
"Ihr seid das!", rief Zidane auf einmal und wollte das Mädchen festhalten, doch sie stürmte wie der Wind an ihnen vorbei die Treppe hinab.
"Was ist los?", fragte Blanc.
"Blanc, das war Prinzessin Garnet Till Alexandros, wir müssen ihr hinterher!", rief Zidane.
"Bist du sicher?!", fragte Blanc.
"Ja, komm!", rief Zidane und rannte die Treppe hinunter, Blanc folgte ihm sofort.

Kaum waren Zidane und Blanc verschwunden, da wurde die große Holztür am Ende der Brücke erneut geöffnet und zwei zwergenhafte Gestalten traten heraus. Der eine war in ein Gewand mit roten und weißen Streifen gekleidet. Sein Gesicht war ganz weiß und die Augen waren rot untermalt. An den spitzen Ohren hingen goldene Ringe. Der Name des Männchens war Son, erster Hofnarr und Diener Königin Branes III. Der andere war in ein Gewand mit blauen und weißen Streifen gekleidet, auch sein Gesicht war weiß, nur die Augen waren bei ihm blau untermalt. Auch seine Ohren waren spitz und mit Ringen behängt.
Der Name dieses zweiten Männchens war Zon, zweiter Hofnarr und Diener Königin Branes III.
"Welch eine Katastrophe, zag ich!", rief Zon wütend aus.
"In der Tat, eine furchtbare Katastrophe, sag ich.", sagte Son.
"Wenn die Königin das erfährt, wird sie uns vierteilen lassen, zag ich.", meinte Zon mürrisch.
"Vielleicht erbarmt sie sich, wenn wir's ihr gleich sagen, wenn wir's verheimlichen und die Königin es später herausfindet, dann wird sie uns als Verräter ansehen, sag ich!", meinte Son.
"So sei es, auf zur Königin, zag ich!", rief Zon.
"Auch zur Königin, sag ich.", rief auch Son.
Die beiden Hofnarren eilten über die Brücke auf die andere Seite, in einen Korridor, an dessen Ende sie auf zwei Soldatinnen der Königin traf, sie trugen Stahlhelme und Kettenhemden, in Händen hielten sie scharfe Schwerter und breite Schilde.
"Die Hoheit Königin Brane III. will nicht gestört werden.", sagte die eine Soldatin.
"Es ist von größter Wichtigkeit, sag ich!", rief Son.
"Macht platz, wir sind die königlichen Diener, zag ich!", befahl Zon.
Sie eilten an den Soldatinnen vorbei und traten schließlich auf den großen Balkon des Schlosses. Ganz vorn vor der Balustrade des Balkons waren ein Thron und mehrere Stühle aufgebaut. Zon und Son sahen Königin Brane III. auf dem Thron sitzen. Unten vorm Schloss jubelten die Massen dem Theaterstück der Tantalus zu. Auch die Königin verfolgte das Stück.
Kaum hatten die Hofnarren den Balkon betreten, eilte auch schon eine anmutige elegante Frau auf sie zu, sie trug rote Hosen und grauen Harnisch, darüber ein weißes Gewand, sie hatte dichte glänzende Haare, die in Strähnen über ihr schönes Gesicht liefen. Am Gürtel trug sie ein kunstvoll geschmiedetes Schwert. Es war Beatrix, die Generälin der Königin und größte Schwertkämpferin in Alexandria, ja sogar über seine Grenzen hinaus.
"Was wollt Ihr hier?", fragte Beatrix.
"Wir müssen die Königin sprechen, sag ich.", antwortete Son.
"Die Königin wünscht keine Störung, sprecht leiser.", sagte eine strenge Stimme, ein großer Ritter in schimmerndem Harnisch und mit einem Kettenhemd darunter war herangetreten. Er trug den stählernen Helm eines Hauptmanns, an dem eine weiße Feder befestigt war. Der Name dieses Ritters lautete Adalbert Steiner, Hauptmann der Pluto-Ritterschaft Alexandrias.
"Nennt, was ihr zu sagen habt.", befahl Beatrix Zon und Son, ohne Steiner zu beachten. "Ich werde es der Königin mitteilen."
"Wieder plustert sie sich so auf, diese Beatrix.", murmelte Steiner grimmig und ging auf seinen Platz in der Nähe der Königin zurück, wo er Wache hielt.
Die beiden Hofnarren indessen berichteten Beatrix, was geschehen war.
"Geht, ich sage es der Königin.", sagte Beatrix.
"Könntet Ihr sie darum bitten, uns am Leben zu lassen, obwohl diese furchtbare Sache geschehen ist, zag ich?", fragte Zon.
"Geht!", befahl Beatrix kühl.
Ihr beherrschendes Wesen verfehlte seine Wirkung nicht und die beiden Hofnarren verließen den Balkon eilends.
Beatrix ging dann zum Thron der Königin und verbeugte sich tief. "Majestät, bitte schenkt mir Gehör, ich habe Euch etwas wichtiges von Zon und Son mitzuteilen."
"Seht Ihr denn nicht, dass ich das Theaterstück zu genießen versuche?", fragte Königin Brane empört.
"Ich bitte Euch um Vergebung, wenn ich Euch störe, aber es ist von aller größter Wichtigkeit.", beharrte Beatrix.
"Nun gut, ich will zuhören, also sagt mir, was geschehen ist.", befahl die Königin.
"Zon und Son sind hier gewesen, sie sagen, dass Eure Tochter, Prinzessin Garnet Till Alexandros XVII. den königlichen Kristall an sich genommen hat und aus dem Schloss geflohen ist.", sagte Beatrix.
"Was?!", rief die Königin erbost. "Was fällt dieser Göre ein. Erdreiset sie sich doch tatsächlich, meinen Schatz zu stehlen. Generälin, Ihr wisst um den Wert des Kristalls, Garnet darf nicht verschwinden. Hauptmann!"
Steiner trat heran und verbeugte sich. "Was befehlt Ihr, Majestät?"
"Schafft mir Garnet wieder her, Generälin Beatrix und auch Ihr, Hauptmann Steiner. Beatrix, Ihr schickt Eure Soldatinnen aus, Steiner, trommelt die Pluto-Ritterschaft zusammen und sucht das ganze Schloss, wenn es nötig ist, auch ganz Alexandria ab. Sie darf nicht entkommen. Jetzt geht und lasst mich das Theater weiter genießen.", befahl die Königin.
"Zu Befehl, Eure Majestät.", sagten Steiner und Beatrix, danach verließen sie den Balkon. Zwei Soldatinnen blieben zur Bewachung der Königin zurück.