Kapitel II: Der Magier und der Rattenjunge
Das große Schiff, auf dem Barc und seine Leute waren, glitt nur über hunderte Häuser mit roten Ziegeldächern, azs vielen ragten auch Schornsteine, aus denen Rauchschwaden in den Himmel quollen. Das Schiff warf einen weiten Schatten über die riesige Stadt, auf deren Straßen viele Angereiste aus Burmecia oder Lindblum Richtung Schloss der Königin eilten, wo auch das große Theaterstück aufgeführt werden sollte. Unter den Reisenden befand sich auf ein kleiner Junge mit einer übergroßen Zipfelmütze, die sein Gesicht bis auf die feurig leuchtenden Augen verbarg. Er trug eine weiße Hose mit hellgrünen Streifen und einen kleinen blauen Mantel. Er ging durch eine Straße Alexandrias und sah in einiger Entfernung das große weiße Schloss, das im Schein der aufgehenden Sonne wie ein Kristall leuchtete.
Die Menschen eilten an ihm vorbei und schienen den kleinen nicht zu sehen und er fühlte sich noch kleiner als er´s schon war. In seiner kleinen rechten Hand hielt er eine Karte für das Theaterstück und stapfte langsam über die Straße, seine Schritte waren um einiges kürzer als die eines Menschen. Ein Reisender rempelte ihn an und der Kleine stürzte nach vorn auf den Steinweg. Der Mann hatte es gar nicht gemerkt und war schon weiter gegangen. Der Junge rappelte sich auf und hob seine Karte auf, die er verloren hatte. Dann ging er weiter und kam zum großen Marktplatz Alexandrias. Dahinter befand sich der große See der Stadt, auf dessen Insel das Schloss stand.
In der Mitte des Platzes stand eine Hütte, in der die Leute ihren Karten für das Theaterstück vorzeigen mussten. Er stapfte hin und stellte sich vor die hölzerne Theke. Der Mann hinter der Theke musste zweimal hinschauen, ehe er den Kleinen sah.
"Guten Tag, kleiner Herr.", grüßte der Herr.
"Guten Tag.", gab der kleine in schüchternem Ton zurück. Er stellte sich auf die Zehenspitzen und legte seine Karte auf die Theke.
"Oh, Moment mal, da stimmt etwas mit der Karte nicht.", murmelte der Mann, "oh, das ist eine Fälschung. Tut mir leid für Euch, kleiner Herr, aber leider kommen solche Fälschungen oft in Umlauf und geraten dann an ahnungslose Bürger."
Der Kleine ließ traurig den Kopf hängen.
"Nun seid bitte nicht traurig, kleiner Herr, hier nehmt das als kleinen Trost." Der Mann reichte ihm drei Karten für das auf ganz Gaia berühmte Tetrakartenspiel.
"Danke.", sagte der Kleine und verließ die Hütte. Traurig sah er noch mal in Richtung Schloss und schlenderte dann in eine Seitenstraße. Ein Gasthaus befand sich in dieser Straße und davor stand eine Leiter, auf der ein Mann hockte, der über dem Gasthaus ein Schild festnagelte. Der Junge ging weiter, stolperte dann aber über einen Stein und fiel gegen die Leiter. Das Schild fiel herunter.
"Mann, pass gefälligst auf!!!", brüllte der Mann zornig und kletterte die Leiter herunter. Er nahm das Schild und nagelte es dann noch fest. Dann verließ er die Straße.
Der Kleine lehnte sich gegen eine Hauswand und schaute nachdenklich drein, da hörte er auf einmal Schritte und blickte sich um. Er sah einen kleinen Jungen, der wie ein Burmecianer aussah, die Straße hinunter eilen. Er trug einfache fleckige Kleider und ein Kopftuch, das er tief ins rattenhafte Gesicht gezogen hatte. Er war etwa so groß wie der Kleine mit Zipfelmütze.
Der Rattenjunge blieb vor ihm stehen. "Du willst doch zum großen Theater von Alexandria?"
"Woher weißt du das?", fragte er.
"Das ist nicht wichtig, aber ich kann dir helfen, zum Schloss zu gelangen.", sagte der Rattenjunge, "du müsstest mir dabei helfen und gehorchen, wenn ich dir was befehle."
Er überlegte eine Weile, dann sah er auf. "In Ordnung."
"Gut, dann lautet mein erster Befehl: Pass auf, ob jemand die Straße entlang kommt, während ich diese Leiter hier mitnehme."
"Du willst sie stehlen?", fragte er.
"Vertrau mir und pass auf.", befahl der Rattenjunge.
Er schaute die Straße auf und ab, aber es kam niemand. "Die Luft ist rein.", sagte er.
"Gut." Der Rattenjunge packte die Leiter. "Komm mit!"
Sie eilten die Straße herunter, bogen dann nach rechts in ein weitere Straße und kamen dann an einem der Flüsse Alexandrias, die aus dem großen See vor dem Schloss flossen, an. An einem Holzsteg ankerten mehrere hölzerne Ruderboote und dicht an diesem kleinen Hafen stand ein kleiner Glockenturm, in den sie hineingingen. Eine Leiter führte hinauf bis zu den Glocken des Turms.
"Du kletterst als erster.", sagte der Rattenjunge.
"Gut." Der Kleine ging an die Leiter und hatte gerade die erste Sprosse hinter sich gebracht, als etwas von oben auf ihn plumpste.
Er fiel zu Boden und sah dann ein kleines Wesen mit weißem Fell und einer roten Knubbelnase. Schnurrhaare wuchsen unter seiner Nase, wie bei einer Katze.
Der Rattenjunge kicherte. "Das ist ein Morgy."
"Oh, tschuldikupo.", piepste das kleine Wesen und flog mit seinen kleinen roten Flügeln am Rücken von seinem Bauch herunter. "Ich bin Kupo, kupo."
"Ich kenne diese Morgys.", sagte der Rattenjunge, "Kupo ist ein Freund von mir. Wie geht es dir, Kupo?"
"Ganz gutkupo. Aber man findet hier in Alexandria nicht mehr so viele Kuponüsse, das ist traurigkupo.", entgegnete der Morgy.
"Dann viel Erfolg bei der Suche nach den Nüssen.", sagte der Rattenjunge, "komm jetzt und klettere rauf."
Der Kleine ging erneut an die Leiter und kletterte hinauf in den Glockenturm. Der Rattenjunge folgte mit der Leiter.
"Übrigens heiße ich Puck.", sagte der Rattenjunge, "wie heißt du?"
"Vivi."
Puck sprang hinüber auf das Ziegeldach des nächstgelegenen Hauses.
Vivi zögerte einen Moment.
"Komm! Spring!", rief Puck.
Vivi nahm ein wenig Anlauf und sprang. Fast wäre er herunter gefallen, wenn Puck ihn nicht bei der Hand gefasst und ihn herauf aufs Dach gezogen hätte. Sie marschierten weiter über die Dächer, zwischen denen Holzbretter Brücken von Dach zu Dach bildeten. Die Bretter waren meist schon morsch und manche brachen herunter, nachdem sie hinüber gegangen waren.Dann kamen sie zu einem Haus, das kaum einen Meter von der Mauer zum See vor dem Schloss entfernt lag.
"So, jetzt überlisten wir die Ritter, die die Mauer bewachen." Puck lächelte heimtückisch und legte die gestohlene Leiter als Brücke bis auf die Mauer. Sie gingen vorsichtig über die Leiter, standen dann auf der Mauer und sprangen auf der anderen Seite wieder hinunter. Sie hatten Glück, denn gerade war das Ruderboot angekommen, das ein Dutzend von Angereisten hinüber zum Schloss und dem Theaterstück fahren sollte. Vivi und Puck mischten sich unauffällig in die Menge und wurden dann mit den anderen Zuschauern von einem Ritter Alexandrias zum Schloss gerudert.