Meine Fresse ist im Moment übelst aufgequollen, die Unterlippe ist angeschwollen und ich habe so ein komisches Ding vor dem Gesicht, dass an den Ohren befestigt ist. Das Ding ist dazu da, den Kühlbeutel gegen meinen Kiefer zu drücken. Ich seh echt Scheisse aus und war der Brüller heute morgen am Bahnhof. Ja, ich war beim Zahnarzt. So eine Scheisse hab' ich noch nie erlebt.

Ich komm' rein, 07:15 Morgens, erstens eine verdammt unmenschliche Zeit, zweitens ist die verfluchte Praxis ziemlich weit vom Bahnhof entfernt. Na jedenfalls, ich komm' genau rechtzeitig dort an, nachdem ich vorher fast verpennt und den Zug verpasst habe. Nur so nebenbei, ich hasse Zahnärzte und Ärzte allgemein, gibt keinen, dem ich über den Weg trauen würde. Am Empfang begrüsst mich eine Frau, sagt mir, ich wäre gleich dran und müsse hier noch ein paar schmerzbetäubende Tabletten fressen. Ich sage ihr noch halb im Schlaf, ich sei noch genügend betäubt von gestern Abend. Sie lacht nur und erwähnt fast beiläufig, dass es nicht gut sei, während der Operation noch Restalkohol im Blut zu haben. Ich winke ab und begebe mich kurz ins Wartezimmer, bevor der Horror losgeht.

Sie bitten mich herein, eine dünne Frau mit Brille und eine fette Frau mit ernstem Gesicht. Beide tragen diese grünen Operationsoveralls. Gefällt mir irgendwie nicht. "Möchten Sie etwas, dass Sie ein bisschen beduselt, während der Doktor operiert?" Jo, denke ich, lustig wär's schon, hier noch 'nen Trip zu schieben, aber schliesslich muss ich nachher noch auf Arbeit, und es reicht schon, wenn ich dort mit geschwollener Fresse erscheine, da brauche ich nicht noch zugeknallt mit irgendwelchen Mittelchen aufzukreuzen. Also entscheide ich mich dagegen.

Der Doktor kommt rein, ein tateriger Alter der wahrscheinlich nach dieser Operation in Rente geht. Verdammte Kacke, der ist älter als mein Grossvater! Er schüttelt mir die Hand, lächelt freundlich. Mir ist nicht mehr ganz so wohl und es wird mir zunehmend unwohler, als der Kerl ganze drei Spritzen aufzieht. Aber nicht diese normalen Teiler, die waren irgendwie echt gross. Habe ich schon erwähnt, dass ich Spritzen bis auf den Tod hasse? Igitt. Drei Riesendinger davon. Er setzt an: "Es wird jetzt ein wenig pieksen." Zum Glück spüre ich nicht viel, nur ein unangenehmes Scheissgefühl, dass aber schnell wieder verfliegt. Danach donnert er mir die zwei anderen rein und verschwindet noch kurz, um Overall und Gummihandschuhe zu holen. Das gespritzte Zeug knallt rein und meine Fresse fängt an zu Surren und zu Brennen, dann pennt sie ein.

Während ich auf das Wiedererscheinen des Doktors warte, führe ich ein kurzes, sehr aufbauendes Gespräch mit der Dünnen. Sie meint plötzlich so: "Ach ja, wenn's weh tun sollte, geben Sie uns das bitte zu verstehen. Manchmal kommt es vor, dass nicht alles vollständig einschläft und Sie deshalb heftige Schmerzen verspüren könnten." "Mach ich.", sage ich und in Gedanken: Danke, du Gurke. Jetzt bin ich aber beruhigt.

Der Doktor kommt zurück, in grünem Overall, mit Mundschutz und Gummihandschuhen. Was zur Hölle will der an mir operieren, denke ich, ich will ja nur 'nen Zahn ziehen. Na ja, ist ja auch das erste Mal, dass ich das durchmache. Dann kontrolliert er irgendwie, ob mir die Fresse auch wirklich eingepennt ist, indem er mir noch 'ne Spritze reinjagt. So genug. Jetzt geht's ans Eingemachte.

Die Fette legt mir irgendein Teil um den Hals und der Sitz fährt zurück. Die Dünne macht allerlei Bohrer und derartiges parat. Sieht nicht gut aus. "Werden Sie den benützen?", frag' ich, wobei es sich anhört wie: "Ferden Zie denn bennussen?", da meine Sprechbewegungen und Zunge sich kaum mehr steuern lassen. "Ja, wenn's mit den anderen nicht geht."
Achso, die haben also noch schlimmere Teile am Start. Oder ist der Bohrer für die schlimme Situation? Na ja, werde ich gleich sehen. Es geht los.

Als erstes kratzt er mit einem spitzigen Stäbchen an meinem Zahn herum. Es ist der grösste Zahn in meinem Mund, und der muss natürlich raus. Kratz-Kratz. "Okay.", meint er und nimmt eine Zange zur Hand, eine verdammte Monsterzange! "Mal sehen.", sein trockener Kommentar dazu. Der Stahl blitzt grau im Licht dieser komischen Lampen, die es in jedem Zahnarztsaal gibt. Dann legt er Hand an. Es reisst und knirscht und macht und tut. Mann, ist das unangenehm! Ich habe das Gefühl, der reisst mir meinen gesamten Kiefer raus, so wie mein Fressgestell ächzt! Okay, er muss härter ran, so geht's noch nicht. Verbissen reisst, hebelt und dreht er an dem Zahn, bis ich tief in meinem Fleisch spüre, dass sich etwas lockert. Endlich! Zieh den Bastard raus, nun mach schon!
Dann plötzlich, er hebelt und kneift immer noch wie ein Verrückter, Zack!, der Zahn splittert in einige hundert Teile, die im ganzen Raum rumfliegen! Verdammte Kacke, was... "Na gut.", meint der Doktor und legt die üble Zange beseite. Puh! Ich fühle Zahnsplitter auf meiner Stirn. Die Dünne nimmt sie mit spitzen Fingern weg. Dann geht's weiter. Meine Hände haben Schweissausbrüche und mein Herz ist nicht mehr ganz so ruhig, wie auch schon. Wie lange würde diese Scheissoperation noch dauern? Ist es normal, dass Zähne einfach in Stücke fliegen? Ich bin mir da ganz und gar nicht sicher.

Irgendwie bin ich ob der Explosion des Zahnes gar nicht so beeindruckt, ich habe schon fast damit gerechnet. Dieser taterige, alte ... Oh, jetzt hat er eine Art Hammer in der Hand, sucht mit der anderen nach einem Teil, das er an der Zahnwurzel ansetzen kann, um sie dann so rauszuhämmern. Mann, das wird übel. Er hat's gefunden und beugt sich wieder über mich. Beiläufig bemerke ich das Blut an seinen Gummihandschuhen, ist nicht mal wenig. Dann setzt er den Metallstift an, Bumm-Bumm-Bumm!, die ersten Hammerschläge fahren nieder. Halb im Spass denke ich noch: Wenn der jetzt den Stift verfehlt ... Aber ich spinne den Gedanken nicht zu Ende, den er hämmert wieder und mein Kiefer erzittert unter den Einschlägen. Die Dünne drückt mir von unten dagegen, damit meine Fresse nicht auf- und zuklappt wie bei einem dieser Nussknackermännchen. Ja, der Doktor hat auch noch eine Nuss zu knacken. Das Gehämmere geht weiter und es entwickelt sich ein gewisser Druck auf meine Kieferknochen, der mir sehr unangenehm ist. Plötzlich, wuuuusch-Zack-Bumm!, einige Blutspritzer kleben plötzlich an der Arztlampe und am Mundschutz des Doktors. Übel, übel, montiert der mir den ganzen Kiefer weg? Ich habe keine Angst, aber die Szene kommt mir sehr unwirklich und irgendwie ungemütlich rein. Diese Bild, es ist ein Cover einer sauguten Metalband, hatte ich die ganze Zeit vor Augen:



Es geht weiter, schliesslich will die Wurzel auch noch gezogen werden, damit das Implantat dann richtig platziert werden kann. Also eigentlich zieht mir der Tatterheini ja gar keinen richtigen, echten Zahn. Das ist nur ein künstliches Teil, dass mir eingesetzt wurde, weil ich vor langer Zeit mal auf die Fresse geflogen bin, mir dabei den Milchzahn ausgeschlagen habe und die Wurzel, des darunter nachwachsenden Zahnes, zertrümmert wurde.

Die Tortur nähert sich ihrem bitteren Ende. Nochmal mit der Zange dahinter, selbstverständlich. Rupf! und Hack! und Reiss!, dann kommt die Scheisse raus. "Da haben wir's.", meint der Greisendoktor. Endlich! Mann, bin ich erlöst! Verdammt war das hart! Ich möchte Dankesworte zu Gott oder sonst irgendeinem Bedepperten flüstern, kann ich aber nicht, weil meine Fresse immer noch pennt und der Doktor und die zwei Gehilfinnen mich lächelnd mustern. Ja, zugegeben, ich sehe etwas bleich aus.

Ich erhebe mich, oh, mir ist etwas schwummrig. So, noch schnell dies komische Mundgehänge um die Ohren gehängt, Kühlteil dazwischen gequetscht und fertig ist der verseuchte Irre. Mann, gebe ich ein Bild ab. Sehe aus wie aus 'ner Anstalt entlaufen, ist aber lustig irgendwie. Ich bekomme 'ne Menge Tabletten in die Hand gedrückt, Schmerztabletten, Tabletten gegen die Schwellung an meiner Fresse, noch mehr Schmerztabletten. Und 'ne hässliche Mundspülung. Der Doktor erklärt mir kurz, wann welche Tablette und wie oft. Ich muss noch was unterschreiben und bekomme so einen Zettel, auf dem irgendwas über meine gerade vollzogene Operation steht. Uninteressanter Müll. Ich hab's geschafft!

Bevor's ab in die Strassen geht, frage ich die Arztgehilfin am Empfang nochmal kurz wegen der Tabletten. "Ähm, felche mus igg chenau wan nemenn undd wieevieele dawonn am Takch?" - "Das hat Ihnen der Doktor doch gerade erklärt." Aber sie ist freundlich und macht's trotzdem nochmal. Für mich, damit ich auch nicht zu viel von denen fresse. Dann mach' ich mich mit gemischten Gefühlen vom Acker.

Draussen guckt mich jeder an, aber wirklich jeder, an dem ich vorbeigehe. Einige lächeln, andere ziehen 'ne Schnute. Der hat sich zu viele Drogen in die Lippe gespritzt!, ich kann ihre Gedanken beinahe hören. Ein Zombie wandelt Richtung Zug, torkelt wehmütig am Kiosk vorbei, wo köstliche Zigaretten angeboten werden, aber er darf sie nicht kaufen, weil seine Fresse erst heilen muss. Endlich im Zug beglotzen ihn drei Kinder samt Mutter, die Kinder scheinen Angst zu verspüren. Der Zombie glotzt gedankenverloren zum Fenster raus.

Unterwegs, nach dem Zug auf den Bus zur Arbeitsstelle, treffe ich eine Kollegin, sie erschrickt. Ich nuschle irgendwas und setz mich neben sie. Der Tag kann nur besser werden.

Nun bin ich hier. Die Spritzen lassen langsam aber sicher nach, die Betäubung schwindet. Die Schmerztabletten von heute morgen wirken auch nicht mehr. Schmerzen. Brauch Tabletten. Wie viele nochmal? Auch egal, fress' ich halt einfach mal ein paar.