Zitat Zitat von Ianus Beitrag anzeigen
Ich lese die Literatur immer noch zu meiner Unterhaltung und dementsprechend weit gestreute Themen behandeln die Bücher. Momentan zu meiner Seite habe ich zum Beispiel "The Patterns of Warfare Through the Eighteenth Century" von Larry Addington. Ein schrecklich eurozentrisches Buch. Man kann in den Reden des Buddha mehr über indische Kriegsführung erfahren als in diesem Fachwerk und seit 1990 ist den Leuten aufgefallen, wie viele Armbrüste die Chinesen verwendet haben. Seine Theorie zu Schusswaffen ist ebenfalls durch bessere, unterhaltsamere Untersuchungen relativiert worden. Vor zehn Jahren war das Buch mal annehmbar, inzwischen ist es einer Neubearbeitung bedürftig um dem Titel gerecht zu werden.

Das fasziniert mich an Fachliteratur: Es ist ein Fortschritt feststellbar, sowohl im Leser als auch in den Büchern selbst. Das Buch ist nicht nur ein Stück Papier, sondern Leser arbeiten damit und reagieren kreativ darauf. In der Romanliteratur oder im Fantasy wird mir dieser Prozess nicht werkimmanent bewusst - will ich den Fortschritt in der Literatur erkennen, muss ich Bücher über kritische Theorie, über Poststrukturalismus oder sonstige Themen lesen. Da der Roman seine Theorie und seine Arbeitsweise verhüllt, hält er mir einen Genuss vor, den ich so wie es ist nur aus Fachliteratur ziehen kann.

Bin ich denn wirklich der einzige, der den Fortschritt der Erkenntnis als Selbstwert genießt?
Ich würde mich selbst als Vielleser bezeichnen, lese aber kaum Fachliteratur in deinem Sinne. Ich lese ab und an Biografien, weil mich interessiert, wie ein großer Mann zu großen Gedanken gekommen ist oder wie das Leben einer Person aussah, deren Werke ich sehr schätze, aber das war es dann fast auch. Fachliteratur lese ich sonst nur, wenn die Erschließung der Kultur ihr Thema ist, also Sekundärliteratur zu Romanen oder Werke wie James Monacos "Film Verstehen" (den btw schon Fassbinder in einem seiner ersten Kurzfilme in der Hand hatte).

Zwar sammel ich auch viel Wissen an, aber doch bei weitem nicht so vieles, so spezielles wie du. Wenn ich Philosophie oder Literatur lese, geht es mir - neben der einmaligen Freude - darum, das Leben im Ganzen besser zu verstehen. Ich will die Geschichte besser verstehen, ich will verstehen, warum ich mein Geld nicht Kindern in Afrika spende, ich will verstehen, warum es immer Krieg gab. Ich finde es aufregend, wenn Nietzsche die christliche Moral als Ressentiment entlarvt und spannend, wenn Sloterdijk schreibt, dass die Ideologiekritik erst aus der Verneinung des Diskurses entstanden ist. Aber Hieb und Stichwaffen im China des 7ten und 8ten Jahrhunderts? Hat das was mit meinem Leben zu tun? Ist das wirklich von Belang?
Ich finde es immer spannend, wenn du mit deinem scheinbar allumfassenden Wissen auf Threads antwortest und irgendwie auch toll, dass du die unwahrscheinlichsten Sachen weißt, aber vieles davon käme für mich nie in Frage, weil ich keinen Bezug von meinem Leben zu der Sache herstellen kann.