Den ersten Eindruck, den Tarrior vor der Stadt in sich aufgenommen hatte, verstärkte sich jetzt noch zunehmend. Die Ratsstadt hatte sich seit seiner Abwesenheit in starkem Maße gewandelt. Zum Besseren wie er fand. Kriege schienen irgendwie die Leistung zu befördern und das Denken zu verändern. Die Stadt war im Laufe der Jahrhunderte des Friedens immer mehr verfallen. Die Wehranlagen hatte man weder erweitert, noch aktiv in Stand gehalten. Die Wachtürme hatten meist nur noch dekorativen Charakter gehabt oder hatten der Unterbringung der Stadtwache gedient. Eine konsequente Verteidigung war mit der halb verfallenen Stadtmauer sowieso nicht möglich gewesen, doch jetzt hatte man dessen Notwendigkeit wohl begriffen. Aus dem Zwang des Krieges heraus hatte man die bestehenden Wälle restauriert und sogar noch verstärkt und einige zusätzliche Wachtürme errichtet. Da die Hlaalu-Architektur wie in Morrowind üblich ohne Schmuck auskam, hatte man sie sehr schnell errichten können. Weiterhin hatte man zusätzliche Mauern eingezogen und die Torbögen zumindest auf der einen Seite mit einem Tor aus sehr dickem Holz gesichert. Derweil waren einige Bürger damit beschäftigt Stahlplatten anzubringen. Die nun dickeren Mauern boten jetzt genug Platz für Bogenschützen und einige abgerundete Zinnen, die man darauf platziert hatte, sorgten für zusätzlichen Schutz.

Tarrior fand, dass Balmoras jetzige Verteidigung wohl durchaus mit der Ald’ruhn konkurrieren konnte. Die Ratsstadt des Hauses Redoran war zwar an die Deadra gefallen, aber dank dieser Niederlage würde wohl der Rar auf alles gefasst sein. „Es wird wohl auch nötig sein um diesen gräulichen Feind und diesen Intrigen schmiedenden Kult endlich zu bezwingen“: dachte er und verfluchte die Mythische Morgenröte für die Rolle, die sie beim Fall Ald’ruhns gespielt haben musste. Sie konnten so viele Deadra töten wie sie konnten, aber diese waren unsterblich und konnten durch das nächste Tor zurück nach Nirn gelangen. Nur wenn sie den Kult, der für die Deadrische Invasion die Brücken baut, besiegten, konnten sie aufatmen. Sie mussten die Mehrunes Dagon Anbeter mit Stumpf und Stiel ausrotten. Aber wie sollte man sie so einfach unter der Bevölkerung finden, die sich zudem mit den großen Flüchtlingsströmen vermischt hatte. Über derartige Fragen machte sich Dunmer Gedanken, während er durch die alten Straßen ritt, auf denen geschäftiger Betrieb herrschte. Vor den Waffen- und Rüstungsgeschäften hatten sich Schlangen gebildet. Sicherlich wollten nur die Wenigsten ihre Waffen und Rüstungen reparieren lassen, die meisten deckten sich vermutlich für eine noch in der Zukunft liegende Belagerung der Stadt, oder irgendeine Reise durch gefährliches Territorium ein. Das Geschäft fahrender Händler florierte dadurch mit, denn viele gingen, wegen der langen Wartezeiten, lieber zu den improvisierten Ständen hier und dort in den Gassen. Große Säcke mit Vorräten wurden von eifrigen Dunmern in großen Zügen durch die Straßen geschleppt und an die Bevölkerung verteilt. Wahrscheinlich war Balmoras Versorgung durch den Verlust der Eierminen und den Bauernaufstand ebenfalls stark beeinträchtigt worden. Man konnte daher eigentlich noch von Glück reden, dass die Deadra sich noch im Inneren der Insel austobten.

Wenn die Westspalte, mit den restlichen Farmen und Minen, in die Hände der Deadra fallen würde, dann könnte es zu verheerenden Engpässen kommen. Auf dem Weg zu dem Stall etwas am Stadtrand von Balmora kam er an der Taverne „Acht Teller“ vorbei. Draußen an der Tür hing ein Aushang, der den Auftritt der bekannten Spielmannstruppe „Deus Infernum“ ankündigte. Tarrior erinnerte sich verschwommen an die ungewöhnliche Gruppe aus zwei Aschländern, zwei Redoranern und einem ehemaligen Kriegswappenträger. Sie reisten soweit er wusste seit drei Jahren regelmäßig durch ganz Morrowind und waren recht bekannt. Tarrior interessierte das eher weniger und er ritt weiter. „Zumindest dürfte es das Volk ein wenig beruhigen“: dachte er dennoch. Dann erreichte er auch schon den Stahl etwas unterhalb des oberen Viertels, in dem die Reichen und Mächtigen der Stadt residierten und in dem sich auch die große Ratshalle befand. Er drückte einem Stalljungen 10 Draken für die Unterbringung des Tieres in die Hand und war dann schon auf dem Weg zum Rat. Da er selbst Ratsmitglied war, sollte es sogar seine Pflicht sein, sich um das Haus zu bemühen. Womöglich konnte er mit etwas behilflich sein und wenn nicht, dann würde er sowieso bald nach Caldera weiterreisen. Die Invasion war schließlich kein Grund seine Pläne zu ändern, vor allem da Behram ihn immer noch mit Beweisen in der Hinterhand bei der kurzen Leine hielt. Sein vordringlichstes Ziel würde es zunächst sein, seine Plantage gegen die Deadra zu wappnen. Sollten sie in Mar Gaan durchbrechen, dann würden sie sich wohl wie eine brennende Flut über die Westspalte ergießen und alles in Blut ertrinken lassen. Die Plantagen, seine eigene unter anderem und die dort lebenden Besitzer und Bauern wären gegen diese Übermacht sogut wie chancenlos. Für den Fall des Falles musste alles für eine schnelle Evakuierung bereit sein. Auch Gilluk musste er noch warnen. Er würde es sich niemals verzeihen, sollte dem Argonier, den er als Freund schätzte, etwas zu stoßen.

Er machte sich eine gedankliche Notiz einen der Ratsherren zu fragen, ob er nicht etwas Platz für die Flüchtlinge erübrigen könnte, wenn es denn soweit käme. Tarrior stieg die große Treppe hoch, die man ebenfalls wieder in Stand gesetzt hatte. Zuvor war sie ausgetreten und brüchig gewesen, doch jetzt war sie erstaunlich gut in Schuss. „Nunja wenn man die Stadt wieder auf Vordermann bringt, kann man ja gleich mal an allen Stellen nachbessern“: dachte er belustigt, doch seine Stimmung schwang wieder um, als er den Tempel entdeckte. Das Stein gewordene Symbol des Glaubens an das Tribunal zu seiner Rechten, verursachte ihm gewisse Übelkeit. Die Abneigung gegen den Tempel saß bei ihm noch immer sehr tief. Er hatte instinktiv gelernt den Tempel zu hassen. Er machte auch selten einen Hehl daraus, aber er entschied sich es in Zukunft nicht zu übertreiben. Womöglich würden sie ihn dann noch für ein Mitglied der Mythischen Morgenröte halten. Zwar war er das nicht, aber in gewisserweise dennoch ein Ketzer. Er ließ den Tempelbau schnell hinter sich und bog auf den großen Platz ein. Noch immer bildete der saubere Platz mit den zwei Bäumen einen wunderschönen Kontrast zu der Unterstadt, die hinter ihm lag. Dieser Ort war stets ein Ort der Ruhe. Hin und wieder schlenderten hier nur die Adligen mit ihren Dienern vorbei um etwas Luft zu schnappen, ansonsten saßen sie in den Ratshallen, oder in ihren Häusern und kümmerten sich um wichtige Angelegenheiten des Fürstenhauses. Daher war es hier meist ruhig und friedfertig. Das Einzige was etwas Stress hier her bringen konnte, waren die Boten, mit ihren wichtigen Neuigkeiten aus den verschiedenen Regionen der Inseln. Tarrior sah jetzt sogar drei von ihnen in nicht allzu großen Abständen, während er langsam und gemütlich über den Platz schlenderte und die frische Luft genoss. Es schien, als wäre die Krise hier noch nicht angekommen, obwohl die Aufregung und Nervosität in der Stadt und die vermutlich hitzig geführten Debatten in der Ratskammer die Wahrheit offenbarten. Er wandte seinen Blick noch einmal gen Himmel und atmete tief ein, dann betrat er das Ratshaus.

Im selben Augenblick, als er die Tür hinter sich geschlossen hatte, bestätigte sich sein Verdacht. Ein wahrer Pulk von Abgesandten, Bittstellern, Wortführern, Militärs und anderen hatte sich in der Eingangshalle versammelten und diskutierten angeregt und auch sehr lautstark miteinander. Die Dunmerin, die für die Verwaltung der Ratshalle zuständig war, der Name war Tarrior entfallen, hatte alle Mühe damit jede Person und jedes Anliegen in ein großes Buch aufzunehmen. Sie schwitzte und ihr Atem ging schnell. Jetzt wo er sich einige Momente in dem Raum befand, konnte Tarrior es ebenfalls spüren. Die Luft war warm und feucht regelrecht schwül. Die Luft war eindeutig verbraucht und roch nicht gut. Die vielen Leute hier auf engem Raum sorgten dafür. Die Frau saß hinter einem niedrigen Tisch und war über dutzende Papiere und ihr Buch gebeugt. Ihre Augen konnten den Bewegungen der Feder in ihrer Hand kaum folgen und wirkten ziellos und erschöpft. Eine Traube aus Kaiserlichen, Dunmern und einem Rothwardonen umdrängten sich und sprachen durcheinander. Sie gab sich offensichtlich nicht die geringste Mühe zu verstehen, was die Männer und Frauen sagten. Tarrior bekam am Rande mit, dass sie sich darum stritten, wer als nächstes an der Reihe wäre. Er entschied sich diesen Streit kurzerhand zu beenden und drängte sich nach vorne. Ohne großes Federlesen schob er den Rothwardonen und eine Kaiserliche zur Seite und schob sich damit direkt an die Spitze. Zunächst wollen sie Einwände gegen das harsche Vordrängeln vorbringen, doch Tarrior kümmerte sich nicht um sie, sondern legte sich lieber einen geschäftig klingenden Tonfall zurecht.

„Ich bin hier um an der Ratsversammlung teilzunehmen“: sprach er die Frau hinter dem Schreibtisch an. Die Leute hinter ihm verstummten, als sie mitbekamen, dass er ein Ratsmitglied sei. Die Frau schien ihn zunächst nicht bemerkt zu haben. Sie schrieb noch einen Satz zu Ende und setze einen abschließenden Punkt und schaute lustlos aus ihren müden Augen auf. Dann weiteten sich diese plötzlich, als sie ihr Gegenüber erkannte. „Serjo Gildres! Ihr hier? Es ist mir eine Freude euch zu begrüßen“: begrüßte sie ihn und verhaspelte sich in Überraschung mehrmals. „Wir haben euch lange nicht gesehen. Es ist viel passiert. Man wird froh sein, dass ihr wieder da seid. Jetzt ist jedes Ratsmitglied selbst gefragt. Ihr könnt natürlich sofort passieren“: fuhrt sie fort. „Ja es ist für mich auch schön wieder hier zu sein und was den Rat angeht, genau deswegen bin ich hier. Die Deadra scheinen ja schon tief in unserem Land zu stehen. Nun dann will ich den Rat nicht weiter warten lassen“: sagte er und wandte sich ab. Kaum hatte er sich einige Schritte entfernt, stürmten die Bittsteller wieder auf die Dunmerin ein. Jetzt fiel Tarrior auch wieder ihr Name ein. „Nileno Dorvayn“: kramte er aus seinen Erinnerungen und lenkte seine Schritte in Richtung Treppe, die in den zweiten Stock und damit in den Ratssaal führen würde. Zwei Hlaalu-Wächter, die vermutlich die vielen Gesandten zurückhalten sollten, hielten ihn kurz auf. Tarrior nannte kurz seinen Namen und er wurde umgehend durchgelassen. Er stieg die Treppe nach oben und als er durch die nächste Tür getreten war, fand er sich auch schon in der Ratskammer wieder. Er platzte regelrecht herein, denn der Rat tagte bereits angeregt. Ein paar Stühle waren leer unter anderem auch der von Meister Bero. Die Menge verstummte, als er eingetreten war. Es fiel kein Wort, als er um den großen Tisch herum ging und auch nicht als er auf seinem Stuhl neben Carnius Curio Platz nahm.

Der junge Kaiserliche hatte vor zwei, oder waren es drei Jahre, den Platz seines Vaters eingenommen. Tarrior hatte weder Carnius wunderlichen Großvater Crassius noch seinen, dem Glücksspiel verfallenen, Vater Carius sonderlich gemocht. Sie waren dekadent und hatten sich eher wenig um die Angelegenheiten des Hauses bemüht. Crassius konnte man zumindest zugute halten, dass er ein Förderer der Künste gewesen war, obwohl sein eigen geschriebenes Theaterstück, nunja sehr speziell war. Carnius hingegen, der soweit er wusste, einen Großteil seines Lebens bei der Ost-Kaiserlichen Handelsgilde verbracht hatte, war ein würdiger Hlaalu-Vertreter. Er hatte Geschäftssinn und führte ein einträgliches Handelsgeschäft. Er konnte sich vorstellen, dass die Krise den Profit noch mal kräftig erhöht hat, denn es bestand inzwischen ein regelrechter Großbedarf an Waren aller Art. Angefangen bei Nahrungsmitteln bis hin zu Waffen und Rüstungen, oder die Rohstoffe aus denen sie gefertigt werden. Die Stimmen des Rates setzten langsam wieder ein, aber einige schauten ihn noch verwundert an. Man diskutierte noch kurz das bereits angeschnittene Thema zu Ende, dann richtete der Wortführer das Wort an ihn selbst.

„Möchten wir jetzt Tarrior Gildres begrüßen“: verkündete er und es kam zustimmendes Gemurmel. „Wollt ihr ein paar Worte an den Rat richten, oder ein weiteres Thema einbringen?“: fragte der Mann, ein Kaiserlicher, das Protokoll einhaltend. Er verneinte, denn er wollte zunächst einmal hören was die anderen zu besprechen hatten. Morrowind bezüglich hatte er sowieso nichts beizusteuern. Doch dazu kam es nicht. Ein anderer Dunmer, den Tarrior als Abgesandten des Stadtherren von Suran identifizierte, richtete eine Frage an ihn: „Herr Gildres gestattet mir doch eine Frage. Man hat lange nichts von euch gehört. Was habt ihr in der Zwischenzeit getan?“ Ihm fiel sofort der misstrauische Tonfall des Abgesandten auf. „Ich war in Cyrodiil. Einige dringende Angelegenheiten hatten mich dorthin geführt. Ich kam erst vor wenigen Tagen wieder in Vvardenfell an und war über die derzeitige Lage tief erschüttert“: gab er zu Protokoll. Im wahrsten Sinne des Wortes, denn einige eifrige Schreiberinnen notierten alle Gesagte. Als das Wort Cyrodiil gefallen war, sogen viele erstaunt die Luft ein. „Ich hatte angenommen Meister Bero hätte es euch berichtet, zumindest hatte ich von ihm einige Schreiben in Cyrodiil erhalten, in denen es um Ratsangelegenheiten ging“: zeigte er sich verwundert, scheinbar hatte man es nicht für nötig befunden zu sagen das er in Cyrodiil war. „Dann wart ihr es also, der für das große Fest vor ein paar Monden den Alkohol geliefert hatte“: stellte ein anderes Ratsmitglied fest. „Das stimmt“: sagte er und wunderte sich wirklich, warum es niemand für nötig befunden hatte zu erwähnen, dass er der Lieferant in Cyrodiil gewesen war. „Nunja dann möchten wir uns gewiss noch bei Herrn Gildres für seinen Einsatz zur Beruhigung des Volkes bedanken“: schlug der Sprachführer vor und wieder erklang zustimmendes Gemurmel. Gewiss wollte der Mann wieder die Aufmerksamkeit auf die eigentlichen Themen der Sitzung lenken, doch das war ihm nicht vergönnt. Wieder meldete sich jemand zu Wort. „Wart ihr in Kvatch gewesen?“: fragte der Herr der Stadt Gnaar Mok. Auch hier konnte er zustimmen, obwohl die Erinnerungen nicht gerade schön waren. „Bitte berichtet uns davon“: bat er und Tarrior begann zu erzählen.