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Provinzheld
Solstheim, Hütte im Wald, Skaal-Dorf
Das Toben des Sturmes draußen hatte nachgelassen, als er langsam aus seinem tiefen, aber dennoch wenig erholungsreichen Schlaf erwachte. Er fühlte sich, wie immer matt und niedergeschlagen, allerdings legte sich das üblicher Weise mit der Zeit wieder. Das Feuer in seinem Kamin war stark niedergebrannt, aber die Glut verströmte immer noch wohlige Wärme und reichte aus, um ein Neues zu entfachen. Die letzten Scheite seines Vorrates, die neben dem aus groben, grauen Steinen gemauerten Feuerplatzes gestapelt waren, schichtete er kreisförmig gegeneinander gelehnt auf der Glut und machte sich dann daran das neue Holz in den für es vorgesehen Bereich zu platzieren. Es dauerte eine Weile, bei der Menge des Holzes, aber wenigstens vertrieb er so die Schlaffheit in seinen Gliedern und war am Ende wieder munter. Er wandte sich dem Frühstück zu, das nur aus ein wenig Brot und einigen getrockneten Früchten bestand. Es gab wichtigeres zu tun, als ein ausgedehntes Frühstück. Beispielsweise Waffen vorbereiten und die Rüstungen entstauben.
Als erstes widmete er sich der Eisbärenpelzrüstung, die, bis auf den Helm, in einer alten, hölzernen Truhe auf der anderen Seite des kleinen Eingangsbereiches lagerte. Mit einem leisen Knarren öffnete er die Truhe. Auch wenn man es ihr nicht ansah, war sie innen gut gepflegt und mit Tüchern ausgelegt, damit das, zwar abgeschliffene, aber dennoch spröde Holz der Rüstung in ihrem Inneren nicht schaden konnte. Den weißen, flauschigen Pelz konnte man schon durch die vielen Lagen von Stoff, in den er extra noch einmal eingewickelt war, spüren. Vorsichtig hob er das relativ leichte Bündel heraus und legte aus auf einen kleinen Tisch an der Wand, schob anschließend einen Holzschemel davor und machte sich ans Auspacken. Lage für Lage des Stoffes wickelte er die Rüstung aus und schließlich kam das weiße Schimmern zum Vorschein. Sie war sehr gut gefertigt und, nebst der Braunbärenpelzrüstung in einer anderen Kiste, sein ganzer Stolz. Die etwa fingerlangen Haare des Fells hingen glatt herab, als er einen Handschuh aus dem Bündel nahm. Her musste nicht viel machen, wie ihm auffiel. Die Haare waren nicht verdreckte oder in irgendeiner Form verfilzt oder etwas in der Art. Das ersparte ihm Zeit. Unter den Haaren befand sich dann die dicke, auf spezielle Art bearbeitete Haut. Sie war robust und vermochte auch vor Hieben mit Schwertern oder anderen Klingenwaffen Schutz zu bieten. Unter der äußeren Haut war noch einmal weiche Wolle als Polster angebracht und ganz innen kam dann noch eine dünne Lederschicht. Sie bot also nicht nur Schutz vor Waffen und den damit verbunden Wunden, sondern auch vor enormer Kälte. Nachdem er sorgfältig die Rüstungsteile durchgeschaut hatte, legte er sie wieder zusammen und ließ sie auf dem Tisch. Danach stand er auf ging zum Kamin, an dessen oberen Ende unter der Decke der Helm der Rüstung hing und in den Raum starrte. Auf den ersten Blick hätte man nicht gedacht, dass der komplette Bärenkopf Teil einer Rüstung ist, aber wenn man näher kam und von unten die Öffnung bemerkte, erschloss sich schnell der eigentliche Zweck. Mit der Rechten langte er nach oben und hob den Helm von seiner Halterung. Auch hier waren die Haare fingerlang. Der Unterschied zu den restlichen Teilen war, dass man die Knochen gelassen hatte und lediglich etwas den Unterkiefer bearbeitet hat, damit man besser sehen konnte. Sogar die Zähne hatte man gelassen. Nach innen war nicht anders gearbeitet und somit war der Helm nicht nur ein Schutz sondern auch eine Mütze. Auch hier musste er nicht viel tun und legte seinen warmen Kopfschutz zum Rest der Fellkleidung.
Nun war die Armbrust an der Reihe. Sie musste etwas nachjustiert werden. Seit sie das letzte Mal genutzt wurde, war etwas Zeit vergangen. Da er sie nur beim Austesten einstellen konnte und gegebenenfalls auch die Sehne neu spannen konnte, hatte er gleichzeigt noch die Möglichkeit die Fellrüstung ein wenig passender einzustellen und einen Spaziergang zum Dorf zu unternehmen. Wenn genügend Zeit bis zur Dämmerung blieb. Er nahm seine Waffe samt Bolzen aus der Halterung und ging zurück zum kleinen Tisch. Als erstes legte er die Hosen an. Sie saßen eng, aber nicht unbequem. Eher das Gegenteil. Das Nächste waren die Jacke, die ihm bis auf die Oberschenkel ging und somit keinen Freiraum zwischen Hosenbund und ihrem unteren Rand bildete, und die hohen Stiefel, die bis knapp unter die Knie reichten. An ihren Sohlen waren kleine metallene Spitzen angebracht, die verhinderten, dass man auf Eis schnell ausrutschte. Zu guter Letzt kamen die Handschuhe, die ebenfalls die Armteile der Jacke weit überlappten und der Helm. Hier in der warmen Hütte begann er bereits jetzt zu schwitzen, also sah er zu, dass er ins Freie kam. Er schnappte sich seine Armbrust mit Munition und einigen Dingen zum Einstellen und begab sich nach draußen.
Der Schnee war vor seinem Haus bis zur Hüfte hoch angeweht worden und wäre beinahe durch die offene Tür in sein Heim hineingefallen, wenn er sie nicht schnell wieder hinter sich geschlossen hätte. Mit den Beinen und Füßen schaufelte er einen einigermaßen breiten Gang durch den Haufen, bis das Weiß nurmehr bis etwa zu den Knien hoch lag. Durch die Baumwipfel konnte er den an diesem Tag nur leicht bewölkten Himmel sehen. Hin und wieder fiel ihm ein bisschen Schnee entgegen, das von einem Ast gerutscht war und vor seinem Mund bildeten sich weiße, feuchte Atemwolken und schlugen sich kurz darauf als kleine Eiskristalle an seinen Barthaaren und den beiden Hälften des Unterkieferknochens zu seiner Rechten und Linken nieder. Er ging um das Haus herum auf die Hinterseite, wo unter einem kleinen Verschlag für gewöhnlich ein paar gefrorene Schinken oder rohe Fleischkeulen hingen. Allerdings war dieser Vorrat ebenso zur Neige gegangen, wie sein Holz. Er hatte einiges zu tun. Das kam ihm nicht zum ersten Mal in den Sinn. Wenigstens seinen Fleischvorrat würde er bald wieder auffrischen können. Das Holz würde dann danach kommen. An einer der Wände des Holzschuppens hing eine kleine Scheibe mit aufgemalten Ringen und unzähligen Löchern darin. Seine Zielscheibe für Arbeiten, wie diese. Also begab er sich in etwa vierzig Meter Entfernung in Stellung. Spannte mit einer kleinen Kurbel die Sehne und legte einen Bolzen auf. Wobei er bereits wusste, dass sie nachgespannt werden musste, denn für gewöhnlich lockerte er sich ein wenig, wenn er die Armbrust eine Weile nicht brauchte. Allerdings konnte er nicht sagen, wie sehr. Er legte auf die Scheibe an und drückte die durch das Fell kaum merkliche Schulterstütze gegen seine rechte Schulter. Dann presste er die Metallspange an der Unterseite, die den Abzug darstellte, an das dunkle, glatte Ebenholz. Mit einem leisen Klicken wurde der Mechanismus ausgelöst und schon einen Lidschlag später sauste der Bolzen davon. Mit einem feinen Pfeifen durchschnitt er die Luft und schlug eine gute Handbreite unterhalb der Zielscheibe leise summend ein, obwohl er etwas über die Mitte gezielt hatte. „Viel Arbeit“, murmelte er leicht überrascht über die extreme Ungenauigkeit. Er klemmte die Schusswaffe zwischen seine beiden Oberschenkel und nahm ein kleines Werkzeug zum Spannen der Sehne. Dazu mussten zwei kleine Rädchen an den Enden des quergelegten Bogens, um die die Enden dieser gewickelt waren, nachgezogen werden. Es war ziemliche Gefühlssache. Nicht zu lasch, aber auch nicht zu straff. In diesem Fall konnte die Sehne schnell reißen. Er drehte ein wenig mit dem schlüsselartigen Metallstift und zog sie strammer. Spannte sie dann von neuem mit der größeren Kurbel und legte einen Bolzen ein.
Diesmal saß das Geschoss eine Handbreite unter der Mitte. Schon besser, aber es ging noch genauer. Also noch ein letztes Mal nachjustieren und der dritte Schuss traf dann ins Zentrum bei immer gleich anvisiertem Punkt. Zufrieden packte er schließlich alles wieder zusammen und lief zur Scheibe, um die Bolzen herauszuziehen. Sie waren zum Glück so kreiert, dass die Spitzen nicht so schnell abbrachen und nicht so leicht in ihrem Opfer steckenblieben, wenn man sie herauszog. Das kam ihm zugute. Denn die Spitzen waren nicht komplett durch das Holz geschlagen und ließen sich mit etwas wackeln wieder herausziehen und hatten noch eine gute Qualität, sodass er sie zu den Anderen zurück in den ledernen Köcher stecken konnte. Auf dem Weg zurück zum Eingang, bei dem er den tiefen Spurrinnen von seinem Hinweg folgte, beschloss er trotz der bereits einkehrenden Spätnachmittagssonne – er hatte wohl länger, als gewollt geschlafen – noch einmal ins Skaal-Dorf zu gehen. Ein kurzer Besuch in der Halle der Skaal musste einfach mal wieder sein. Der Duft von süßem Met, frisch gebratenem Fleisch und einigen Gewürzen. Dazu der flackernde Schein von Feuer und derbe Späße in den Runden. Er hüpfte nur kurz zurück ins warme Innere seiner Behausung. Schaute nach dem Feuer, dass noch eine ganze Weile brennen würde, auch ohne Aufsicht, hing seine Schusswaffe zurück und schnappte sich ein paar Draken. Seine Rüstung behielt er gleich an, in der Nacht würde es noch um einiges kälter sein und mit Alkohol im Blut war es allgemein besser, wärmere Kleidung zu tragen. Er verließ die Hütte so schnell, wie er hineingegangen war, wieder und machte sich an den Aufstieg des Hügels zum Dorf hinauf.
Nach einer ganzen Weile, während der er gegen den tiefen Schnee am Hang ankämpfte, erreichte er schließlich das in einem baumlosen Areal angelegte Skaal-Dörfchen. Aus den kleinen Schornsteinen der mal mehr, mal weniger großen hölzernen Hütten stiegen stetig dünne Rauchfahnen zum mittlerweile klaren Himmel empor. Er lief zwischen den Häusern hindurch und hielt auf das größte Gebäude zu. Es war wohl gut dreimal so groß, wie alle anderen in der Nähe. Und wohl auch am meisten geziert mit Schnitzereien an den tragenden Balken an der hohen Front. Das dunkle Holz bildete, wie bei allen anderen Hütten auch, einen starken Kontrast zum glänzenden, makellosen Weiß auf dem Boden und den Dächern. Durch das Eigengewicht des Schnees war der Dachfirst bereits wieder schneefrei. Und direkt unter den Enden der Dachfläche hatten sich größere, langgezogene Haufen gebildet. Eiszapfen zierten die jedwede Ecke. Auf dem Platz direkt vor dem großen, zweiflügligen Eingang befand sich keine Menschenseele, außer ihm. Weiter entfernt konnte er ein paar Gestalten sehen, die ihren Geschäftigkeiten nachgingen. Aber er interessierte nicht für sie und ging stattdessen auf den Eingang zur großen Dorfhalle zu.
Er drückte einen Flügel auf und trat in den üblichen Eingangsbereich. Kurz darauf schloss er die Tür wieder, klopfte den Schnee von seinen Stiefeln und der Hose und schob die nächste hölzerne Tür auf. Mit einem Mal kamen ihm der intensive Duft von gewürztem Fleisch und der typische, süße Geruch von Met entgegen. Er erschlug ihn regelrecht. Dazu kam noch ein enormer Schwall an Wärme und er riss den Bärenkopfhelm regelrecht von dem seinen. Im nächsten Augenblick zog er die Handschuhe und die Jacke aus, sodass er nur noch seinen Leinenhemd obenrum anhatte. Nun war es etwas erträglicher. „Sehd wer uns mal wieder beerhd!“, lallte eine tiefe, brummende Stimme eines Mannes von der linken Seite. Hatte er noch kurz seinen Blick über die großen, in grobe Steinmauern gefassten, Feuerstellen schweifen lassen, um die in einigem Abstand lange Bänke angeordnet waren. Über den offenen Feuern brutzelten Schweine.
Grinsend wandte er seinen Kopf zu dem Mann, der gesprochen hatte. Es war ein älterer Nord mit leicht grauem Vollbart und längeren, bereits silbrig glänzenden Haaren. Gekleidet in schlumprige, abgenutzte, braune Lederkleidung und einer qualmenden Holzpfeife im Mund. Der Met schwappte aus dem großen Humpen, als er ihm aus der kleinen Runde an einem Tisch zuprostete. Er hob die Linke zum Gruß, während die Rechte seine ausgezogene Kleidung hielt. Dann machte er sich auch schon auf den Weg zu den Männern, von denen immer wieder Gelächter zu ihm drang. Auch aus den anderen Ecken des Hauses schnappte er gelegentlich Gesprächsfetzen auf. „Und da hadd er dem Braunbären gesagd: Dich krieg ich schneller von hinten, als du brüll’n kannsd!“, war nur einer davon.
„Guten Abend, Brândil Morgenstern“, grüßte er den älteren Mann und grüßte der Reihe nach die drei anderen Männer der Runde. Gondrim Prankenfänger, ein stämmiger Mann mittleren Alters, kurzem, braunem Haar, gefährlich wirkenden, grünen Augen und einem kurz gehaltenen Kinnbart, war der Erste. Rulmgar Eisennagel, der mit seinen zwanzig Jahren jüngste in der Runde, mit seinen dunklen, braunen Augen, langen, blonden Haaren und eher dünnen Glieder, der Zweite. Zu guter Letzt folgte dann noch Hulfgar Schmiedhammer, der gräftigste Mann der Runde. Rotbraune Haare, die zusammen mit dem durch Zöpfe gezierten Bart bis auf die Brust hingen und das Gesicht mit seinen hellblauen Augen umrahmten. Alle zusammen prosteten ihm mit schwappenden Humpen zu und machten eine Lücke für ihn und seine Kleidung frei. „Noch ‘n Humb’n für uns’ren Jagdgefährden!“, brüllte Rulmgar und reckte dabei seine rote Schnapsnase in die Luft und schlug mit der freien Hand auf den massiven, dunklen und alten Holztisch. Es dauerte auch nicht lange, dann kam schon ein Großer für ihn und er packte ihn mit beiden Händen. Setzte ihn an seine Lippen und kippte den Met in einem Zug in seinen Rachen. Gefolgt von einem langgezogenen, bärengleichen Brüllen, dass seine Backen aufblähte und sowohl ihn, als auch die anderen am Tisch in lautstarkes Gelächter ausbrechen ließ. „Noch’n Krug!“, rief diesmal Gondrim und leerte danach auch seinen Krug. Praktisch prophylaktisch kamen gleich fünf neue Humpen an ihren Tisch. Für jeden einen. Es war immer der schönste Teil der Jagdvorbereitungen. Das Trinkgelage vor dem Aufbruch. Auch das nächste Gefäß voll mit Met leerte er in einem Zug und ließ ihm bereits jetzt etwas wärmer werden, als ihm durch die dicke Hose und die Stiefel ohnehin schon war.
„Wie lange seit ihr schon hier?“, fragte er in die Runde und erntete Gelächter.
„‘n ganzen Nachmiddag!“, kicherte Brândil. Es würde wohl ein sehr langer und vor allem lustiger Abend werden, dass stand fest. Dann wurde ihm auch schon der nächste Humpen und auch ein wenig zu Essen gereicht …
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