-
Fossil
Zurück auf ihrem Zimmer verstaute Erynn zunächst die Botschaften in einer flachen Tasche, damit sie auf ihrer Reise keinen Schaden nähmen. Dann begann sie damit, ihre Lederrüstung akribisch auf ausgefranste Nähte und andere Schwachstellen zu überprüfen. Sie fand einige abgeschabte Stellen am Mittel- und Ringfinger des rechten Handschuhs, dort wo das Leder durch das Ziehen und Loslassen der Bogensehne stark beansprucht wurde. Seufzend begann sie, die schadhafte Naht auszubessern. Es erforderte einiges an Geduld, und geduldig war sie im Moment gar nicht. Hinter ihrer Stirn arbeitete es. Warum hat diese argonische Ziege so darauf herumgeritten, daß die Botschaften sicher ankommen müssen? Das ist doch selbstverständlich, oder etwa nicht? Entweder hatte sie in letzter Zeit Pech mit ihren Kurieren, oder sie hat mir nicht alles gesagt. Verdammt, wie ich diese Adelsheinis und ihre Spielchen hasse. Sie überlegte einen Augenblick, was sie über Bravil wußte: Ein Sumpfloch mit schlechter Luft und noch schlechterem Ruf. Über die Beziehungen zwischen Bravil und Skingrad wußte sie gar nichts. Mach dich nicht verrückt, Erynn, schimpfte sie mit sich selber. Vermutlich wollte sich dieses Weib nur beim einfachen Pöbel wichtig machen, weil sie sonst nicht viel zu melden hat.
Mit diesen Gedanken legte die Elfin sich hin und lauschte den Geräuschen im Gildenhaus, die gedämpft in ihre Kammer hinaufdrangen, bis ihr die Augen zufielen.
Als Erynn erwachte, war es, wie sie erwartet hatte, noch dunkel; vielleicht die achte Stunde der Nacht. Sie erhob sich und wusch ihr Gesicht mit kaltem Wasser, um die Müdigkeit zu vertreiben. Dann legte sie die Rüstung und Waffen an. Das Schwert hing schwer und beruhigend an ihrer linken Seite, der Köcher mit den neuen Pfeilen auf dem Rücken und der Dolch wie immer in dem Futteral im rechten Stiefel. Die Tasche mit den Botschaften ließ sie unter dem Lederharnisch verschwinden. Das würden die Schriftstücke vermutlich nicht ganz knitterfrei überstehen, aber es bestand auch nicht die Gefahr, daß sie verloren gingen oder gestohlen würden. Sie nickte entschlossen und griff nach dem Bogen, der entspannt auf der Kleidertruhe lag. Wahrscheinlich würde sie ihn nicht brauchen, aber man weiß ja nie...
Die Nachtluft war klar und kühl, als sie sich auf den Weg zu den Stallungen mache. Falchion begrüßte sie mit einem leisen, grollenden Wiehern. Kurz darauf waren sie unterwegs. Sie folgten der Goldstraße in einem weiten Bogen um Skingrad herum in die Richtung des großen Forstes. Noch immer war es dunkel, und die langsam im Westen versinkenden Zwillingsmonde warfen ihr Licht auf den Pfad vor ihr – der eine bleich und kalt wie der Tod, der andere warm und einladend wie das Leben selbst.
Als sie die Verlassene -und jetzt von Goblins besetzte- Mine erreichte, zügelte sie das Pferd und saß ab. Mißtrauisch sah sie sich um, lauschte angespannt auf irgendwelche verräterischen Geräusche, die auf das Vorhandensein der kleinen Mistviecher hindeuten konnten. Aber alles schien ruhig zu sein, keines der Wesen zeigte sich. Plötzlich fuhr sie herum und riß noch in der Drehung ihr Schwert aus der Scheide. Da war etwas, in den Büschen! Die Elfin verharrte reglos und lauschte, aber das Geräusch wiederholte sich nicht. Fünfzig Herzschläge später ging sie langsam auf das Gebüsch zu, das Schwert vorgestreckt, mit dem sie die Zweige auseinanderschob. Nichts. Kein Goblin, nicht einmal eine Ratte oder ähnliches.
Erynn schüttelte den Kopf. Scheinbar hatte ihr der Wind einen Strich gespielt.
Sie kehrte zu Falchion zurück und stieg wieder in den Sattel. Die dunkelste Stunde der Nacht war verstrichen, und der heraufziehende Tag ließ sich bereits erahnen. Wie auf ein geheimes Signal hin begannen Vögel zu zwitschern, einige wenige zunächst nur, doch schon nach wenigen Minuten piepste und zirpte es in allen Sträuchern der Westebene, als wollten sie mit ihrem Gesang die Sonne hinter dem Horizont hervorlocken. Erynn genoß ihr Konzert und die Morgendämmerung; wenngleich sie sich kaum noch an ihr Herkunftsland erinnerte wußte sie doch, daß die Dunmer eine besondere Beziehung zu Azura und dem Zwielicht hatten, das ihre Domäne war. In Momenten wie diesen fühlte sie einen tiefen Frieden, und im Stillen dankte sie der Daedrafürstin für das Geschenk des neuen Morgens.
Als die Sonne höher stieg, erreichte die Elfin den Rand des Großen Forstes und sah sich wachsam um. Direkt an dem Pfad gelegen gab es einige Höhlen, an denen sich manchmal seltsame und unberechenbare magische Kreaturen herumtrieben. Es würde besser sein, den Wald so schnell wie möglich zu durchqueren, um diese Wesen nicht mehr als nötig zu stören. Sie trieb Falchion zu einem flotten Trab und behielt während des ganzen Rittes ihre Umgebung im Auge. Mehrfach glaubte sie, daß unsichtbare Augen sie beobachteten, und langsam aber sicher wurde sie nervös, warf immer wieder Blicke über die Schulter, konnte aber nichts entdecken bis auf ein paar Rehe, die hinter ihr den Weg kreuzten und mit raschen Sprüngen wieder im Unterholz verschwanden.
Ungefähr auf halber Strecke durch den Wald holte sie einen Reiter der kaiserlichen Legion ein, parierte ihr Pferd und sprach den Kavalleristen an. „Seid gegrüßt, Soldat. Würdet Ihr mir erlauben, mich Euch anzuschließen? Zu zweit reist es sich sicherer durch diesen Wald als allein.“ Er musterte sie kurz und gab dann brummelnd, aber nicht unfreundlich seine Zustimmung. Er schien es gewohnt zu sein, Reisende durch den Forst zu eskortieren.
Ein bißchen dumm kam sie sich schon vor. Sie war ein Mitglied der Kriegergilde, in eine gute Rüstung gehüllt und ein Schwert an ihrer Seite, und hier war sie und bat um Begleitschutz. Jedoch wollte sie das Kribbeln im Nacken nicht einfach so abtun, das sie verspürte, seit sie Falchion in den Wald gelenkt hatte. ‚Ein Mer, der nicht auf seinen Instinkt hört, wird entweder ein ziemlich schlechter Jäger oder ein ziemlich toter Krieger sein’, pflegte ihr Vater zu sagen, und Erynn hatte nicht vor, diese Lebensweisheit jetzt auf die Probe zu stellen. Unauffällig tastete sie nach der Tasche mit den Briefen. Sie war noch da.
Schweigend ritten sie nebeneinander her, und als sie die alte Ayleidenstätte Ceyatatar passierten, atmete die junge Dunkelelfin auf. Jetzt hätten sie es fast geschafft.
Sie erreichten die Ringstraße am frühen Nachmittag. Der Soldat verabschiedete sich und wünschte ihr eine sichere Weiterreise; dann wandte er sich nach Norden, während Erynn den Weg nach Südosten einschlug, am Ufer des Rumaresees entlang. Auf ihrer Karte war etwa auf halber Strecke zwischen Skingrad und Bravil ein kleiner Ort mit Namen ‚Pells Tor’ eingezeichnet, in dem es auch eine Herberge geben sollte. Dort wollte sie rasten und am folgenden Tag nach Bravil weiterreisen.
Sie erreichte das Dorf noch bei Tageslicht, auch wenn die kümmerliche Ansammlung von Bretterbuden diese Bezeichnung kaum verdiente. Eine Herberge gab es, einen Stall allerdings nicht. Erynn betrat die Taverne, einen schummrigen Laden, dessen Luft rauchgeschwängert war. Jemand sollte sich dringend um den Abzug des Kamins kümmern, aber wenigstens wird hier geheizt, kommentierte sie in Gedanken. Sie sprach die ältliche Wirtin hinter dem Tresen an: „Seid gegrüßt. Ich hätte gern ein warmes Essen und ein Zimmer für die Nacht.“ „Das läßt sich einrichten“, erwiederte die Menschenfrau. „Es gibt Steinpilzsuppe, dazu Brot und Met oder Bier, je nachdem, was Euch lieber ist. Ihr könnt natürlich auch Wasser haben, billiger wird es dadurch allerdings nicht. Fünfzehn Septime für Essen und Übernachtung.“ Erynn nickte. „Einverstanden.“ Sie zählte die Münzen auf den Tresen. „Kann ich mein Pferd hier irgendwo unterstellen?“
Konnte sie nicht, denn es gab tatsächlich keinen Stall. Also pflockte sie Falchion auf der Wiese hinter der Herberge an. Für eine Nacht würde es schon gehen. Nachdem sie ihr Tier versorgt hatte, umrundete sie die Taverne wieder, gerade rechtzeitig um zu sehen, wie drei Personen Pells Tor betraten. Sie wirkten etwas abgerissen, ihre Reisemäntel waren staubbedeckt und die Gesichter lagen im Schatten der Kapuzen, die sie sich übergestülpt hatten. Ziemlich viel Durchgangsverkehr hier, grübelte sie. Erstaunlich, daß die Bewohner dieses Kaffs nicht mehr Kapital daraus schlagen... Sie betrat die Taverne wieder, nahm jetzt auch wahr, daß der Schuppen offenbar ‚Zur schlafenden Stute’ hieß, jedenfalls behauptete das das verwitterte Schild über dem Eingang. Die Wirtin teilte Erynn mit, daß das Abendessen in einer halben Stunde fertig sei. Sie nickte zur Bestätigung und schleppte Falchions Sattel und Zaum auf ihr Zimmer, wo sie sich auch gleich ihrer Rüstung entledigte. Die Tasche mit den Botschaften befestigte sie an ihrem Gürtel. Auch wenn die Leute in Pells Tor wie einfache, anständige Menschen wirkten, würde sie nicht das Risiko eingehen, diese unbeaufsichtigt herumliegen zu lassen. Die Elfin stieg die Treppe wieder herab, und ihr Blick fiel auf die drei verstaubten Reisenden, die offensichtlich ebenfalls die Taverne entdeckt hatten. „... Zimmer habe ich leider keine mehr frei, aber wenn die Herren zum Abendessen bleiben wollen...“, hörte sie die Wirtin sagen. Sie wollten.
Erynn suchte sich einen Tisch nahe am Kamin. Zwar war es nicht wirklich kalt, aber der lange Ritt saß ihr durchaus in den Knochen und die Wärme half ihr dabei, die protestierenden Muskeln zu lockern. Ich war wirklich schon viel zu lange nicht mehr unterwegs. Die drei Gestalten setzten sich ebenfalls an einen Tisch. Seltsamerweise machte keiner von ihnen Anstalten, seinen Reisemantel abzulegen, ja, sie schlugen noch nicht einmal die Kapuzen zurück. Seltsames Völkchen, dachte Erynn und begann, das Trio verstohlen zu beobachten. In dem Moment kam die Wirtin mit ihrer Suppe und einem Krug Bier, so daß sie für den Augenblick abgelenkt war.
Während des Essens blickte sie aus dem Augenwinkel immer wieder zu den drei Männern, die sich sich über ihre Suppenschüsseln gebeugt hatten. Sie schienen es nicht eilig zu haben, sprachen jedoch kein Wort miteinander. Schließlich schob sie den Teller von sich fort und beschloß, noch einmal nach Falchion zu sehen bevor sie schlafen ging. Dem Pferd schien es gut zu gehen, es graste zufrieden hinter der Taverne. Erynn kehrte ins Haus zurück und stellte fest, daß die Männer verschwunden waren. Was waren das bloß für komische Galgenvögel? Ich bin bloß froh, hier noch ein Zimmer bekommen zu haben. Denen möchte ich nicht allein und im Dunkeln begegnen. Sie ging nach oben und ließ sich auf die Matratze fallen. Das Stroh darin war frisch, die Laken fadenscheinig aber sauber. Wenigstens etwas...
In der Nacht schlug das Wetter um; es regnete, als sie Pells Tor verließ. Sie folgte jetzt der Grünen Straße nach Süden, die bereits schlammig zu werden begann. Der Regen wurde stärker und sie beugte sich im Sattel etwas vor, um die Kapuze über den Kopf zu ziehen. Das rettete ihr wahrscheinlich das Leben. Der Pfeil, der sie wohl im Rücken hätte treffen sollen, durchschlug ihre Rüstung am Oberarm und hinterließ dort einen tiefen blutigen Kratzer, taumelte, aus der Flugbahn gebracht, an Falchions Kopf vorbei und verschwand aus ihrem Blickfeld. Das Pferd scheute, und mit einem scharfen Ruck an den Zügeln brachte die Elfin es zum Stehen. Sie ließ sich aus dem Sattel fallen, rollte sich ab und kam wieder auf die Beine. Im Aufstehen zog sie ihr Schwert.
Verflucht!
Einer der drei Kapuzenmänner stand hinter ihr auf dem Weg und hatte bereits einen weiteren Pfeil auf der Sehne, legte aber noch nicht an, da seine beiden Kumpane bereits mit gezogenen Waffen auf sie losstürmten. Dem Kerl, der ihr am nächsten war, war die Kapuze zurückgerutscht und sie konnte erkennen, daß es sich um einen Kaiserlichen mit dunkelblondem Haar handelte. Der dritte Angreifer folgte, durch schwere Rüstung behindert, etwas langsamer. Dann war der Kaiserliche heran und holte zu einem schräg nach oben geführten Rückhandhieb aus. Erynn blockte den Schlag, schloß mit einem schnellen Ausfallschritt den Abstand zu ihrem Gegner und ließ ihre Klinge an der des Widersachers herunterrutschen, bis sich beide Parierstangen ineinander verkeilten. Die Schneide ihres Schwertes lag jetzt seitlich am Hals des Halunken. Entschlossen riß sie ihre Waffe zurück; ein roter Nebel nahm ihr für einen Moment die Sicht, als der Kaiserliche stürzte.
Die kurze Orientierungslosigkeit kam sie teuer zu stehen, als der Schwergerüstete sich auf sie stürzte. Schon bei dem ersten, wuchtig geführten Hieb geriet sie hoffnungslos ins nach, blockte nur mit Mühe den Schlaghagel, der auf sie niederprasselte, indem sie ihr Schwert mit der einen Hand am Heft, mit der anderen kurz unter dem Ort gepackt hielt. Unnachgiebig trieb er sie vor sich her, während ihr nichts anderes übrig blieb als rückwärts zu stolpern. Ihr mußte etwas einfallen, und zwar schnell!
Ihr Feind holte zu einem neuerlichen Schlag aus, als Erynn sich fallen ließ. Sie rollte sie ihm entgegen und ihr Körper traf auf die Schienbeine des Gegners, während dieser sich in der Vorwärtsbewegung befand. Das Schwert kam ihr dabei abhanden, aber die überraschende Aktion erzielte den gewünschten Effekt. Der Angreifer verlor das Gleichgewicht, segelte über sie hinweg und schlug scheppernd der Länge nach in den Schlamm. Die Dunkelelfin wirbelte herum, kam auf die Füße und riß den Dolch aus dem Stiefelschaft. Sie sprang auf den Rücken des Mannes, der sich gerade wieder aufrappelte, und stach nach seinem Hals.
Einmal. Zweimal. Erneut spritzte ihr Blut ins Gesicht.
Noch immer auf der Leiche hockend, den Dolch halb erhoben, sah sie sich mit wildem Blick nach dem Schützen um. Der stand, wie versteinert, noch immer auf dem Weg und glotzte ungläubig. Dann ließ er seinen Bogen fallen und flüchtete ins Unterholz.
Mit unsicheren Bewegungen kletterte Erynn von dem toten Körper herunter, nur um drei Schritte weiter in die Knie zu brechen. Ihr war kotzübel.
Wahrhaftig, sie hatte getötet. Menschen getötet. Keine Goblins, Trolle oder tollwütige Wölfe. Zwar war ihr klar gewesen, daß es früher oder später so weit sein würde, allerdings hätte sie niemals geglaubt, daß sie in dieser Situation mutterseelenallein und in strömendem Regen auf einem matschigen Pfad hocken würde, blutbesudelt zwischen den Leichen ihrer Gegner.
Noch schlimmer als das war die Empfindung gewesen, als sie auf ihren zweiten Widersacher eingestochen hatte – die blinde, schiere Raserei. Sie hatte ihn töten wollen, zerfetzen wollen in dem roten Nebel ihrer ungezähmten Wut. Das war also der Blutrausch, über den selbst gestandene Krieger nur halb flüsternd und hinter vorgehaltener Hand sprachen, wenn sie es denn überhaupt taten.
Die Dunkelelfe schlug die Kapuze zurück, legte den Kopf in den Nacken und ließ den Regen auf ihr Gesicht fallen. Wie lange sie so dort gehockt hatte, im Innern völlig taub und leer, vermochte sie später niemals zu sagen. Endlich erhob sie sich steifbeinig, sammelte ihr Schwert auf, fing Falchion ein und setzte ihren Weg fort.
Sie schaute nicht zurück.
Stichworte
Berechtigungen
- Neue Themen erstellen: Nein
- Themen beantworten: Nein
- Anhänge hochladen: Nein
- Beiträge bearbeiten: Nein
-
Foren-Regeln