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Provinzheld
Solstheim, Hügelgrab, Höhlensystem
Wieder troff ein Tropfen des Werwolfspeichels von einem der fast fingerlangen Fangzähne. Wie in Zeitlupe fiel er zu Boden zerbarst mit einem leisen Klatschen auf dem dunklen Steinboden. Danach ging alles ganz schnell. Vollkommen ohne, dass er Einfluss darauf nahm, zuckte Thorins rechte Hand zum Stiel der Fackel, griff zu und riss den Eisenkäfig am brennenden Fackelkopf hoch. Er zielte auf die Schnauze. Gleichzeitig öffneten sich die kräftigen Kiefer der Bestie noch weiter und wollten zuschnappen. Sein Herz raste so schnell, dass die Bewegungen scheinbar langsam und träge verliefen. In Wirklichkeit aber ging es rasant und in Bruchteilen eines Lidschlags. Seine Hand mit der Fackel kam näher, aber damit auch die tödlichen Zähne. Unwillkürlich ließ sich Thorin nach hinten fallen und schlug im kurzen Flug zu. Die Kiefer erwischten einige lose wehende Strähnen seines schwarzen Haares keine zwei Fingerbreiten vor seinem Gesicht, als sie laut klackend zusammenschlugen. Dann kam die Fackel und schmetterte mit brachialer Gewalt gegen den massigen, mit langem, weißem Fell bedeckten Kopf. Thorin glaube sogar das Kiefergelenk leise knacken zu hören. Funken stoben aus dem Eisenkorb der Fackel und es roch ekelerregend nach verbranntem Horn. Der Werwolf jaulte schmerzerfüllt auf und sprang augenblicklich über ihn hinweg. Dabei erwischten ihn zwei Klauen und hinterließen tiefe, höllisch schmerzende Schnitte von der linken Augenbraue über die Stirn zum Haaransatz. Dann landete er auf dem Rücken.
Hinter sich hörte Thorin, wie die weiße Bestie Rulmgar aus dem Weg schleuderte. Das laute, überraschte Stöhnen des schlanken Nords deutete zumindest darauf hin. Allerdings war wohl nichts weiter passiert, denn Rulmgar konnte noch lauthals fluchen und den Werwolf verwünschen.
Während Thorin mit der Fackel in seiner Rechten auf dem Rücken lag und die Füße nun langsam gegen den steinernen Altar rutschen ließ, beruhigte sich sein Puls zumindest wieder zu einem natürlichen Level. Zwar pumpte sein Herz noch immer, wie verrückt, aber seine Sicht hatte aufgehört sich zu drehen. Blut quoll aus den zwei Schnitten über dem linken Auge und lief ihm sowohl in dieses, als auch in die Haare.
Dann hörte er leise Schritte neben sich und merkte, wie jemand die Fackel aus seiner Hand nahm. Nur einen Augenblick später kniete Gondrim neben ihm. „Alles in Ordnung?“, fragte er grimmig und mit wachsamen, grünen Augen.
„Nur ein paar Kratzer. Kein Biss“, entgegnete Thorin und stemmte sich schwitzend auf die Ellbogen hoch. Der kräftige Jäger mit den kurzen Haaren nahm nun die bereits entzündete Fackel und ließ das Feuer auf die Zweite, noch kalt am Boden liegende, überspringen. Thorins Sicht auf dem linken Auge hatte sich etwas rötlich eingefärbt, durch das hineingetropfte Blut, sehen konnte er aber ansonsten einwandfrei. Weitere Blutstropfen rannen nun durch die Braue abgelenkt an seiner Schläfe hinab und in den Mundwinkel. Es dauerte nicht lange, da schmeckte sein Mund nach Eisen. Seine Schmerzen wurden aber bald von der enormen Anspannung zu einem kaum nennenswerten Pegel reduziert oder zumindest ausgeblendet.
Nachdem sich sein Herz noch etwas weiter beruhigt hatte – dem warmen, flackernden Lichtschein kam dabei eine wichtige Rolle zu – stand Thorin ganz auf und griff sich seinen Speer. Rulmgar und Hulfgar standen mit zum Stechen bereiten Speeren links und rechts vom breiten Eingang in die Grabkammer. „Alles in Ordnung bei dir, Rulmgar?“, fragte Thorin keuchend und sich noch immer erholend den blonden Mann.
„Besser, als bei dir“, entgegnete der jüngere Jäger ohne Thorin das Gesicht zuzuwenden. Und das war auch gut so. Noch so eine Überraschung konnten sie gewiss nicht gebrauchen. Gondrim lief langsam und merklich angespannt zu Hulfgar und reichte ihm eine der beiden Fackeln. Die Zweite behielt er in seiner Linken und schnappte sich dann seinen Speer. Ohne, dass es eines Kommandos bedurfte, schlichen Hulfgar und Rulmgar nun los. Während Gondrim und Thorin den kurzen Weg zum Eingang ins Höhlensystem nahmen, gingen die beiden anderen Jäger den längeren Weg.
Dank der Fackeln war alles in einem Umkreis von bis zu fünf Schritten hell erleuchtet. Das ließ sich Thorin zumindest etwas sicherer fühlen und tat seinem Puls gut. Nichtsdestotrotz war er bis aufs Äußerste angespannt. Er glaubte sogar das leise Atmen des Werwolfs aus den Tiefen der Höhle zu hören oder wie die Haare auf Rulmgars und Hulfgars Panzerung aneinander rieben. Und dabei waren sie auf der anderen Seite des großen Steinblocks im Eingangsbereich des Grabs. Allerdings war es nur eine Einbildung seines nun zu empfindlichen Verstandes. Es war, als ob seine Sinne Dinge an seinen Verstand leiteten, die zwar eigentlich da waren, aber einfach weit außerhalb seiner Sinneswahrnehmung lagen. Halluzinationen, wenn man so wollte.
Schlussendlich erreichten Gondrim und er den runden Eingang in das Höhlensystem. Ein großes Loch, sicherlich gut sechs Schritte breit, war durch den schwarzen Stein des Hügelgrabs geschlagen worden. Dahinter zog sich ein ebenso breiter Gang bis weit unter den eigentlichen Hügel. Das Licht ihrer Fackel warf bizarre und teilweise furchteinflößende Schatten an herausstehenden Steinen. Der Lichtkreis um sie herum, reichte nicht einmal bis zu den Wänden am Eingang und dem hinteren Teil des Hügelgrabs, geschweige denn um das Ende des schlecht gehauenen Höhlengangs zu beleuchten. Somit wusste Thorin erst, wo genau sich der Ausgang mit dem schweren, runden Stein befand, als er den Lichtschein von Hulfgars Fackel sah. Einen Moment später bogen die beiden Männer um die scharfe Biegung und kamen ohne schneller oder nachlässig zu werden, auf Thorin und Gondrim zu.
Thorin schaute gerade zu Hulfgar, als irgendwo tiefer in dem Höhlensystem das leise Klicken von Steinen ertönte. Ruckartig fuhr sein Kopf herum und der Speer ging hoch. Das Echo hallte über sie hinweg und sein Herz machte ein paar neuerliche Sprünge. Wieder klickte es von irgendwo aus der Dunkelheit außerhalb des fünf Schritte weit reichenden Lichtkegels. Es war aufgrund der vielen Echos unmöglich zu sagen, wie nahe oder fern es eigentlich war. Genau in diesem Moment ertönte ein leises, scharfes Pfeifen vom Grabeingang. Irgendwo befand sich eine kleine Ritze durch die der Wind bei einer starken Böe hinein blies. Thorin fiel beinahe in Ohnmacht vor Schrecken denn es klang fast höhnend, als ob es der Werwolf war. Allerdings war das unmöglich, denn im Bereich des Hügelgrabs und dessen Eingang war er nicht mehr. Das Pfeifen hielt an, verstärkte sich sogar noch etwas. Keiner von ihnen schien es auch nur zu wagen zu atmen, dann endete das hohe, fast schon schneidende Geräusch abrupt und Thorin hörte das Blut in seinen Ohren rauschen.
Langsam wandte er den Kopf wieder der Dunkelheit im rundlichen Tunnel zu. Genau dann tropfte wieder etwas Blut aus der Braue und blieb an seinen Wimpern hängen. Nur ein Blinzeln später und das Blut geriet in sein Auge. Seine Sicht trübte sich und mit der freien linken Hand rieb er, damit das Blut sich schnell verteilte und seine Sicht nicht weiter beschränkte. Genau in diesem Augenblick war es, dass er eine kaum wahrnehmbare Bewegung am Rande des Lichtkegels bemerkte. Nur ein Huschen und als er genau hinsah schon wieder verschwunden. „Hast du das gesehen?“, fragte Thorin mit aus dem Rhythmus gebrachtem Herzen und leise flüsternd Gondrim.
„Was?“, fragte der kräftigere Jäger alarmiert. Er hatte es offen sichtlich nicht bemerkt, erwartete aber das Schlimmste. Thorin war sich nicht einmal sicher, ob er überhaupt etwas gesehen hatte, oder ob ihm seine überaktiven Sinne wieder einen Streich gespielt hatten.
„Ich weis es nicht“, entgegnete er also und schritt nun langsam in den Tunnel hinein. Kleinere, lose Steinchen knirschten leise unter seinen Sohlen. Wieder erklang das Klickern eines kleinen Kiesels von irgendwo aus der Dunkelheit der Höhle, dicht gefolgt von dem Geräusch wenn sich gleich eine kleine Lawine aus mehreren solcher Steine in Bewegung setzte und dann wieder zum Stehen kam.
Die verfluchten Echos machten es aber unmöglich festzustellen, wo und wie tief in der Höhle es eigentlich passierte. Wäre es direkt vor ihnen gewesen, sie hätten es gewusst, aber nur ein paar Schritte weiter und es hätte vom Klang her überall sein können. Das leise Knirschen von mehr Steinen unter schweren Füßen verriet Thorin, dass ihm seine Freunde folgten. Die zwei Lichtkreise der Fackeln wanderten stetig weiter nach vorne, genauso, wie er. Dennoch sah er nicht übermäßig viel im Schein der Fackeln. Die Flammen warfen große, dunkle Schatten von hinten und engten somit seine Sicht ein. Das Licht reichte gerade so aus, dass Thorin erkennen konnte, wo sich ihr Tunnel aufteilen würde. Dann erreichten sie auch schon die Abzweigungen. Ein Gang ging nach rechts, einer nach links und einer gerade aus. Keine guten Verhältnisse für eine Jagdgruppe aus gerade einmal vier Männern. Selbst wenn sie noch so erfahren waren, die Beschaffenheit der Höhle schuf perfekte Vorrausetzungen für einen Hinterhalt.
Alle Vier von ihnen traten vorsichtig und einen kleinen Kreis bildend auf die Kreuzung. Rücken an Rücken deckten sie sich gegenseitig, die Fackeln warfen dabei noch mehr, beinahe irritierende Schatten.
Ohne, dass es ein richtiges Kommando gab, lösten sich Hulfgar und Rulmgar dann aber wieder aus dem Kreis und schritten langsam, leise und mit erhobenen Speeren auf den linken Tunnel zu. Gondrim und Thorin blieben auf der Kreuzung, um zu verhindern, dass der Werwolf ihren Freunden in den Rücken fiel. Thorin hatte dabei ein Auge auf den gegenüberliegenden Gang und Gondrim eines auf den Rechten. Aus dem Augenwinkel heraus sah Thorin, wie sich der Lichtschein um die zwei ungleichen Jäger weiter entfernte und um eine leichte Biegung im Korridor verschwand.
Mittlerweile hatte sich der ganz leichte, rote Schleier vor seinem linken Auge wieder gelegt, allerdings quoll noch immer recht viel Blut aus den zwei tiefen Schnitten der Werwolfsklauen. Vorsichtig ob Thorin seine linke Hand und tastete mit den Fingern langsam vom Ohr aus nach vorne. Zwar konnte er nicht sehr viel fühlen durch das dicke Leder und Fell, aber vielleicht würde er zumindest herausfinden, wie tief die Kratzer waren. Sein Zeige- und Mittelfinger erreichten die Schläfe und es begann leicht zu brennen. Je mehr sich Thorin auf die Wunde konzentrierte, desto mehr der eigentlichen Schmerzen brachen wieder in seinen Verstand ein.
Dann war es soweit und als seine Finger den Wundrand erreichten, fuhr ihm ein wahrer Blitz des Schmerzes von vorn bis nach hinten durch den gesamten Schädel. Seine Sicht verschwamm und er stöhnte vor schmerzt auf. Alles um ihn herum schien sich zu drehen und seine Knie gaben nach. Schwer, aber wie in Zeitlupe sank Thorin zu Boden. Kniend spürte er, wie mehr Blut aus den Schnitten sickerte. Sein Kopf fühlte sich an, als ob er gleich platzen würde und zu allem Überdruss glaubte er nun auch noch, ein höhnendes und beinahe lachendes Knurren von irgendwo tief aus den Höhlen zu hören. Als wenn ihn der Werwolf auslachte, dass er wegen zwei kleinen Kratzern in die Knie ging.
„…rin. Thorin! Thorin, verdammt!“ Gondrim hatte die Fackel und seinen Speer auf den Boden gelegt, kniete nun vor ihm und schüttelte ihn nun mit beiden Händen an den Schultern. Erst jetzt merkte Thorin, dass er komplett durch seinen Freund hindurch in unbestimmte Ferne geblickt hatte. „Thorin, rede verdammt! Was ist los?“ Der stämmige Jäger mit den kurzen Haaren klang schwer besorgt, auch wenn er so leise, wie es ihm möglich war, sprach. Thorins Linke lag mittlerweile einfach neben ihm auf dem Boden und die rechte hatte den Speer fallen lassen.
„Es … brennt … wie … Feuer …“, stammelte er. Gondrim nahm vorsichtig seine Hand von seiner linken Schulter und strich vorsichtig einige Haare zur Seite, um besser etwas von der Wunde sehen zu können. Scharf sog Thorin die Luft ein und eine Berührung etwas zu weit unten sandte einen neuerlichen Blitz durch seinen Schädel. Thorin konnte die Schmerzen nicht länger ertragen und heulte kurz auf. Tränen rannen ihm aus den Augenwinkeln. Dieses Mal schien sich der Werwolf nicht mehr halten zu können und johlte förmlich vor Schadenfreude. „Schweig!“, schrie Thorin aus Leibeskräften.
Gondrim stand der Schreck im Gesicht geschrieben. „Was? Mit wem redest du?“
Dieses Mal war es Thorin, dem der Schreck durch Mark und Bein fuhr. Hörte er schon Stimmen? War es soweit mit ihm gekommen? Wegen zwei kleinen Kratzern?! Nein! Nein, unmöglich. Er riss sich zusammen.
„Wie schlimm ist es?“, presste er durch seine zusammen gebissenen Zähne hindurch heraus.
„Die Schnitte gehen bis auf den Knochen. Es ist ein Wunder, dass sie überhaupt nur so wenig bluten“, erwiderte Gondrim und nahm nun auch die andere Hand von Thorins Schulter. Wenn er sich wegen dem Ausbruch seines Freundes irgendwelche Gedanken machte, so zeigte er es nicht. „Thorin, du bist nicht in der Verfassung diese Jagd weiter zu führen“, sprach Gondrim dann warnend und vielleicht auch bedauernd mit einem weiteren Blick auf die Schnitte, als sich Thorin langsam und mit noch wackeligen Beinen aufrichtete. Er schnappte sich seinen Speer und schaute wieder auf seinen zu bewachenden Gang. Doch er konnte es tun, er musste es tun und er wollte es tun. Sie hatten ihren Wachdienst schon lange genug vernachlässigt.
Als Thorin nicht weiter auf Gondrims Kommentar einging, griff sich dieser Fackel und Speer und wandte sich ohne ein weiteres Wort seinem Tunnel zu. Da Hulfgar und Rulmgar nicht zu ihnen gerannt kamen, mutmaßte Thorin, dass sie den kleinen Ausbruch nicht gehört hatten. Der Blutstrom aus seiner Stirn hielt an, aber scheinbar ließ er zumindest ein klein wenig nach. Die Kratzer würden ein weiteres Andenken an den Mörder seiner Eltern werden. Und er würde es mit Stolz und Freude tragen, wenn sie als Sieger aus dieser Höhle gingen. Er wollte es beenden und nur deswegen ignorierte er die höllischen Schmerzen, so gut es ging.
Nach einiger Zeit kamen Hulfgar und Rulmgar zurück. Dem angespannten Ausdruck auf ihren Gesichtern nach zu schließlich, hatten sie nichts gefunden und erwarteten das Schlimmste. „Bei euch etwas?“, murmelte Hulfgar, als er neben ihnen stehen blieb. Thorin schüttelte den Kopf und wieder fuhr ein Blitz durch seinen Kopf. Seine Sicht verschwamm erneut, aber er hielt sich auf den Füßen. Irgendwo, dieses Mal scheinbar ganz nahe, klickte ein kleiner Stein. Gleichzeitig fuhren die Köpfe der vier Jäger in die Richtung des mittleren Gangs. Es war gerade einmal knapp außerhalb des Lichtscheins und als Gondrim seine Fackel etwas in die Höhe streckte, sahen die Vier einen noch ganz langsam rollenden Kiesel. Ohne Kommando, aber dennoch im Bruchteil eines Lidschlags schnellten die Speere angriffsbereit in die Höhe.
Nichts tat sich. Thorin atmete nur flach, damit er keine Geräusche verursachte und in die Dunkelheit lauschen konnte. Sein Puls raste und mehr Blut rann aus der Stirnwunde. Es tropfte vor seinem Auge hinab und lenkte seine Aufmerksamkeit ab. Wieder waren es Hulfgar und Rulmgar, die gemeinsam, Schritt für Schritt und so leise, wie möglich, in den dunklen Tunnel hineinschlichen. Thorin hörte seinen Herzschlag in den Ohren und spürte ihn auf seiner Stirn pochen – jedes Mal, wenn ein kleiner Schwall Blut aus den zwei Schnitten quoll. Wieder verschwanden die beiden erkundenden Jäger aus seinem Sichtfeld und es hieß warten.
Seine Sinne nun noch weiter angespannt, war er es, dem das leise, ferne Geräusch von schwerem, schleifendem Stein zuerst auffiel. Es kam aus der Grabkammer und auch Gondrims Kopf zuckte nun in diese Richtung herum. Einen Moment später vernahmen sie das laute Heulen des Windes und kalte Luft schwappte ihnen ins Gesicht. Irgendwie schien die kalte Nachtluft in das Hügelgrab zu ziehen und pfiff weiter in die Höhle. Jemand hatte den Eingangsstein aufgeschoben!
Das scharfe Heulen war laut, viel lauter als vor einiger Zeit, wo Hulfgar und Thorin durch den Gang im Eingangsbereich des Hügelgrabs geschlichen waren. Und es machte es schwer, etwas anderes zu hören. Wieder machte sein Herz unrhythmische Sprünge und Aussetzer. Ihre Speere schnellten nach oben und zum Zustechen bereit. Die kalte Luft brannte in seiner Wunde, wie Feuer.
Dann vernahmen sie das laute knirschen von kleinen Steinen direkt vor ihnen aus der Dunkelheit. Zu spät aber. Im nächsten Moment tauchte die zwei Schritt lange, kräftige Gestalt des weißen Werwolfs über ihnen auf. Die Arme weit auseinander und die Kiefer bis zum Anschlag aufgerissen. Speichel troff von den langen Fangzähnen. Dann landete er auf Gondrim, den Speer einfach durch den Sprung umgehend. Das überraschte, schmerzerfüllte Schreien seines Freundes endete in einem feuchten Gurgeln. Klirrend fiel der Speer zu Boden und Funken stoben von der nun umher rollenden Fackel.
Bevor Thorin reagieren konnte, erwischte ihn die linke Pranke der Bestie. Die fünf langen, scharfen Krallen an den Enden der kräftigen Finger durchschlugen seine Pelzrüstung und fuhren tief in sein Brustfleisch. Im Nächsten Moment flog er vier Schritte weit nach hinten, glitt von den Krallen und schlug gegen die steinerne Tunnelwand. Die Luft wich augenblicklich aus seinen Lungen und röchelnd und um seine Atmung ringend glitt er nach unten und blieb gegen die Wand gelehnt sitzen. Sein dunkler Ebenholzspeer verschwand klirrend in der Dunkelheit.
Unterdessen machte sich der weiße Wolf in den Gang, in dem Hulfgar und Rulmgar verschwunden waren. Es dauerte nicht lange, bis Thorin Schreie hörte. Danach kehrte Stille ein. Seine Atmung ging schwer und bei jedem Heben und Senken, fuhren Lanzen aus Feuer durch seine Brust. Blut quoll aus den fünf tiefen Stichen und durch die Löcher in seinem Schneebärenfellharnich.
Eine Weile blieb Thorin einfach so sitzen. Zwar sprudelte das Blut nicht aus seinen Wunden, aber es quoll in einem steten Strom immerfort. Sein Verstand war leer er starrte einfach vor sich hin auf seinen toten Freund. Er saß gut einen Schritt außerhalb des von der Fackel geworfenen Lichtkegels. Im flackernden Schein lag Gondrim. Blut rann noch immer aus einer klaffenden Halswunde und das Gesicht wies genau auf Thorin. Die sonst so gefährlichen, grünen Augen des kräftigen Nords waren trüb und leblos. Das konnte Thorin selbst auf die gut sechs Schritte Entfernung erkennen.
Er schloss kurz die Augen, öffnete sie dann wieder und musste den Blick von seinem förmlich geschlachteten Freund abwenden, er konnte den Anblick einfach nicht ertragen. Stattdessen wandte er den Blick nun wieder auf den Gang zu, in dem seine beiden anderen Freunde gewesen waren. Der Werwolf musste früher oder später wieder heraus kommen. Am liebsten hätte er nach der Bestie geschrien, aber ihm fehlte die Kraft in den mindestens leicht angeschlagenen Lungen. Wenn es so mit ihm zu Ende gehen sollte, dann wollte er wenigstens kämpfend untergehen. Allerdings schien selbst das in Frage zu stehen.
Thorin konnte unmöglich sagen, wie lange es dauerte, aber nach einiger Zeit hörte er schwere, schlurfende Schritte aus dem Gang gegenüber vom Hügelgrab. Dazu kamen kurz darauf schwere, kraftlose Atemgeräusche. Es klang beinahe etwas schleifend. Thorins Anspannung kehrte trotz seiner körperlichen Verhältnisse zurück. Seine Sinne schärften sich und fixierten die Geräusche in der Dunkelheit, wenngleich sie nicht ihre volle Leistung erreichten. Sein Puls beschleunigte sich außerdem, nur sehr zu seinen Ungunsten, denn dadurch erhöhte sich sein Blutverlust.
Nach einigen weiteren, schlurfenden Schritten schälten sich die Umrisse von zwei Personen. Eine lief, die andere wurde auf den Rücken gebuckelt getragen. Hulfgar trug Rulmgar. Das Schlurfen kam dadurch zustande, dass der viel kräftigere Nord am linken Oberschenkel vier tiefe Schnitte hatte und nicht mehr richtig laufen konnte. Dazu kamen noch einige Schrammen im Gesicht. Rulmgar sah fürchterlich aus. Er hatte vier Kratzer quer über das Gesicht, blutete aus der rechten Schulter und vermutlich noch irgendwo am Unterleib. Die Atemgeräusche stammten von ihm. Der Anblick versetzte Thorin einerseits in Freude, dass wenigstens zwei seiner Freunde überlebt hatten, andererseits aber auch in Wut und Trauer. Rulmgar würde schwer zu kämpfen haben, wenn er überleben wollte. Vermutlich würde Thorin mehr als nur zwei Freunde verlieren. Wie war es nur möglich gewesen, dass sie so überrascht worden waren?
„Thorin!“, keuchte Hulfgar einerseits erleichtert, andererseits vom Anblick erschüttert.
„Habt ihr ihn erwischt?“, wollte Thorin dann mit bereits brechender Stimme wissen. Wenn Hulfgar und Rulmgar noch am Leben waren und der Werwolf nicht bei ihm durch gekommen war, dann musste er wohl unweigerlich tot sein.
„Was? Nein. Er hat uns überfallen und rannte dann zurück“, berichtete der stärkere Nord und setzte sein „Gepäck“ vorsichtig und ganz langsam neben Thorin.
„Was?!“, entfuhr es Thorin entsetzt und lauter, als er eigentlich gewollt hatte. Bestraft wurde er mit einem heißen Stich durch die Brust.
Wie als ein höhnendes Zeichen hörten sie alle das leise Klicken von einem auf Stein schlagenden Kiesel aus dem letzten, nicht erkundeten Gang …
Geändert von KingPaddy (03.10.2009 um 20:01 Uhr)
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