Sie verteilten sich ein wenig über den Bereich der im Windschatten der Felsen lag und kreisten ohne Kommandos den Spalt ein, wo sich der Leichnam und der Wolf befanden. Sein Herz schlug ihm bis zum Hals und sein Adrenalinspiegel stieg in den ungesunden Bereich. Seine Hand presste das dunkle Holz des Speeres förmlich zusammen. Schritt für Schritt näherten sie sich. Gondrim und Hulfgar schlichen in einem toten Winkel, außerhalb des Sichtwinkels des Tiers zwischen den Felsen, direkt an diesen entlang und hatten ihre Speere bereits in eine wurfvorbereitende Position über den Kopf erhoben. Brândil, Rulmgar und er übernahmen den frontalen Teil. Das Knurren wurde lauter und als er mehr von dem engen Spalt einsehen konnte, fiel sein Blick auf einen großen, weißen Wolf, der Zähne fletschend über dem Leichnam eines Mannes, den er nicht richtig erkennen konnte. Das Gesicht war halb zerfetzt und auch der Brustkorb hatte Fleisch eingebüßt. Der Wolf selbst hätte ihm wohl bis knapp unter den Brustkorb gereicht, wenn er neben ihm gestanden hätte. Das Fell um die lange Schnauze war blutverschmiert und die Lefzen waren weit nach hinten gezogen, sodass man die langen, spitzen Zähne sehen konnte. Roter Speichel troff von ihnen herab. Was bei allen …, dachte er bei dem selbst ihm unbekannten Anblick eines solchen Tiers. Es überraschte ihn vor allem die eine Tatsache, dass es sich keinesfalls um einen Werwolf, handelte, wie er erst angenommen hatte. Er schaute kurz zu seinen beiden Freunden, in den Schneewolfsrüstungen links und rechts von dem Wolf und nickte ihnen zu, dass sie die Positionen wenige Schritte von diesem entfernt halten sollte. Brândil und Rulmgar gab er stumm die Anweisung sich langsam zurückzuziehen. Er würde ebenfalls rückwärts laufen und stets direkt vor dem Wolf bleiben. Sie nahmen nun auch ihre Speere in eine wurfbereite Haltung.
Das Raubtier machte einen kleinen Schritt auf ihn zu, als Zeichen seiner Dominanz und seines Anspruches auf die Beute. Das Knurren riss nicht ab, ebenso wenig wie sein stetig auf Hochtouren schlagendes Herz. Langsam, Schritt für Schritt, entfernte er sich von dem Wolf. Der Schnee knirschte unter seinen schweren Schritten und der Schweiß lief ihm in Strömen über den Rücken und das Gesicht. Er war schließlich gute zwanzig Schritt von dem Wolf entfernt. Er festige noch einmal seinen Griff um den Speer und spannte seine Muskeln in seinem rechten Arm. Er schaute der Reihe nach in die ersten, bärtigen Gesichter seiner Jagdkameraden und jeder einzelne gab seine Zustimmung mit einem knappen Nicken. Thorin stemmte seine Füße fester in den Schnee, in einer Art Schrittstellung und schleuderte den Speer schließlich nach dem Wolf. Die lange, dünne und rasiermesserscharfe Spitze verfehlte den Kopf des Tieres nur um Haaresbreite. Sie schrammte über ihn hinweg und schnitt nur leicht durch die Haut und riss ein wenig Fell heraus. Blut quoll schwach aus dem Schnitt und der Wolf geriet in Rage. Das Knurren wurde laute und im nächsten Augenblick rannte das Tier los. Direkt auf ihn zu. Es näherte sich mich großen, schnellen Schritten oder eher Sprüngen und war schneller heran, als er erst gedacht hatte. Nur mit einem schnellen Hechtsprung nach links rettete er sich aus der Bahn und rollte sich über die linke Schulter ab. In einer fließenden Bewegung zog er seine Armbrust und legte einen Bolzen auf. Spannte die Sehne und visierte den Wolf an, während zwei seiner Gefährten ihre Speere nach ihm schleuderten. Einer verfehlte sein Ziel, der andere bohrte sich durch den linken Oberschenkel, im nächsten Moment wurde es aber durch die Schrittbewegung direkt aus dem Fleisch gerissen und hinterließ eine offene, stark blutende Wunde.
Gondrim und Hulfgar machten sich direkt an die Verfolgung des nun flüchtenden Wolfes. Er verfolgte mit seiner Armbrust die Bewegungen des Tieres und Brândil und Rulmgar holten nun auch ihre Armbrüste heraus. Auch sie legten an. Er war der Erste, der feuerte … und der Schuss saß. Der Bolzen schlug mit voller Wucht von der Seite in den Schädel und bahnte sich seinen Weg tief in den Kopf. Das Tier war aber noch lange nicht am Ende. Es taumelte zwar, rannte aber noch weiter. Er legte geduldig einen neuen Bolzen auf. Es würde nun nur noch eine Frage der Zeit sein, bis ihr Gejagter zusammenbrach und die Blutspur würde eine ganze Weile gut sichtbar sein. Auch die anderen nahmen das zur Kenntnis und verlangsamten ihr Schritttempo. Brândil schaute ihm kurz ins Gesicht und als sich ihre Augen für einen kurzen Augenblick trafen, konnte er die Anerkennung in ihnen sehen. Langsamen, bedächtigen Schrittes folgten sie den Spuren des Wolfes. Keiner von ihnen wagte es zu sprechen oder sich in Sicherheit zu wiegen. Ein verletztes Raubtier, war ein besonders gefährliches Raubtier. Das wussten sie alle und so senke sich auch nicht sein Blutdruck.
Es dauerte nicht lange, da konnten sie sich aber wieder beruhigen. Der Wolf lag schwer atmend zwischen einigen kleineren Steinen und hauchte sein Leben aus. Das Blut sickerte aus den Wunden am Bein und am Kopf. Er entspannte die Sehne der Armbrust wieder und stecke sie und den aufgelegten Bolzen wieder weg. Stattdessen nahm er sich sein Schwert und näherte sich vorsichtig dem verendenden Tier. Unter der Deckung seiner Freunde schnitt er dem Wolf schließlich die Kehle durch, um ihm ein schnelles, möglichst qualloses Ende zu bereiten. Es ging bei der Jagd nicht darum seine Überlegenheit gegenüber der Natur und ihren Kreaturen zu demonstrieren, sie zu erlegen und ihnen beim sterben zuzusehen, sondern vielmehr darum sich das Notwendige, das man zum Leben brauchte, zu nehmen und dies mit möglichst viel Ehre und Respekt zu tun. Er reinigte die Klinge mit einem Stofftuch und steckte sie dann wieder weg. Auch die anderen verstauten ihre Waffen. „Gute Arbeit“, sprachen sie in seine Richtung, um ihre Anerkennung zu zeigen. Ihm bedeutete das sehr, sehr viel.
Sie knieten sich neben den Wolf und begangen ihn zu zerlegen, solange er nicht gefroren war. Er zog seinen Bolzen aus dem Schädel und sie teilten schließlich das Fleisch unter einander auf, häuteten ihn und überließen die Reste Mutter Natur. Sie würde sich zurückholen, was ihr gehörte. „Habt ihr schon einmal einen solchen Wolf gesehen? Ich meine: er war gigantisch!“, konnte es sich Rulmgar nicht verkneife das Kommentar zu bringen. Alle schüttelten den Kopf. Auf dem Rückweg sammelten sie zunächst zwei der drei Speere auf. Als sie sich dem Startschauplatz ihres kleinen Kampfes näherten, war eines gleich auf Anhieb besonders auffällig: der Leichnam war verschwunden!
Sofort schäften sich ihre Sinne wieder und jeder holte seine Waffen wieder heraus. Der Puls schoss wieder in die Höhe und seine Muskeln spannten sich. Die Armbrust hielt er halb erhoben vor sich, sodass er sie schnell hoch reißen konnte, um schnell anzuvisieren. Sie näherten sich dem Spalt. Das einzige, das von dem kleinen Blutbad zeugte, war die Unmenge an Blut, die über den Boden und die Steine links und rechts daneben verteilt war. Sein Speer steckte in einem flachen Winkel im Boden. Er tauschte die Armbrust gegen ihn und machte sich an die Spurensuche, die sich als sehr einfach erwies. Die tiefen Schleifspuren und die kleineren, kreuz und quer verteilten Abdrücke von Wolfsfüßen sprachen eine eindeutige Sprache. Nach wenigen Schritten, auf der anderen Seite des Spaltes, wo sie ungeschützt vor dem neuerlich auffrischenden Wind waren, folgten sie nur noch der tiefen Schleifspur. Der Wolf musste den Körper des Mannes rückwärts davon geschleift haben. Sie folgten den Spuren, die teils stark mit Blut getränkt waren, eine kleine Ewigkeit. Niemand sprach ein Wort und ihre Anspannung war förmlich greifbar. Konnten sie vielleicht gleich den zweiten Jagderfolg verbuchen? Niemand wusste es, aber jeder hoffte es insgeheim. Würde es aber niemals offen zugeben. Sie konnten nicht auf ihre Hoffnung und auf Glück zählen. Das einzige, das wirklich zählte auf der Jagd, war ihr Geschick und ihr Können. Auf etwas anderes konnten sie sich nicht verlassen und würden sie auch nicht.
Wieder näherten sie sich einem großen, blutigen Bereich im Schnee in dem die Spuren endeten. Und zu ihrer aller Überraschungen fanden sie nichts, außer Blut und ein paar kleinen Knochen, die offen sichtlich noch vor kurzem in einem Körper gesteckt hatten. Sowohl der Wolf, als auch der Menschenkörper waren verschwunden. Spurlos. „Kann mir einer erklären, was hier gerade vor sich geht?“, war es dieses Mal er, der seiner Verwunderung Luft machte. Er erhielt keine Antwort. „Wie, zum Henker, kann ein Wolf samt Beute spurlos verschwinden?“
„Ich habe nicht die leiseste Ahnung“, erwiderte Brândil und kniete sich neben die wenigen, kleinen Knochen. Nahm einen in die linke Hand und schaute ihn sich genauer an. „Dir Frage ist, deuten wir es als gutes, oder als schlechtes Omen?“