„Eindeutig tot und das wohl schon seit ein paar Tagen“: stellte Tarrior fest, als er dem schon leicht aufgequollenen Körper einer flüchtigen Musterung unterzog. Die Todesursache war offenkundig und ließ auf Fremdeinwirkung schließen. „Der Mann ist eindeutig ermordet worden“: dachte er. „Scheinbar hat man ihn getötet und dann in den Fluss geworfen, aber er ist am Ufer hängen geblieben und wurde nicht abgetrieben“: kam er zu einem Ergebnis und vermutete, das es sich um einen der Kundschafter handeln musste, von denen der Minenverwalter gesprochen hatte. „Irgendjemand will wohl nicht, dass jemand herausfindet, was in der Mine passiert. Ich muss vorsichtig sein. Womöglich überwachen die Mörder den Weg nach Shulk“: überlegte er und ihm kam ein Einfall. Er lächelte innerlich. Er hatte einen Plan. Er konzentrierte sich und murmelte ein paar Worte. Er spürte wie sich Magie vor ihm zusammen zog. Er schloss die Augen und stellte sich selbst vor. Sein Haare, sein Gesicht, seine Statur, seine Kleidung und Rüstung und natürlich auch seine Bewegung. In Gedanken nahm das Bild, das er von sich hatte, Gestalt an. Als er zufrieden damit war, ließ er seine Gedanken in den Zauber einfließen und er spürte wie sich die Magie, die er für den Zauber benutzte, verformte. Langsam öffnete er die Augen und es schien, als würde er in einen Spiegel gucken. Der erste Fixpunkt, waren die durchdringenden fast schon glühenden roten Augen, dann kam auch schon das feuerrote Haar. Er erkannte seine markanten Gesichtszüge wieder und befand sich mit dem Spiegelbild auf einer Augenhöhe. Ein kurzer Blick nach unten verriet ihm, dass auch die Rüstung seiner eigenen bis ins letzte Detail glich. Ein gedanklicher Befehl reichte und die Kopie machte einige Schritte. Die Bewegungen sahen tatsächlich aus, wie bei ihm selbst. Jedoch bemerkte er recht schnell, das die Konturen unscharf wurden und etwas an Form verloren, als sich die Kopie bewegte. Illusion gehörte zu einer der Schulen des Hauses Dagoth. Die Suggestion, mit dem man damals neue Kultisten gewann, beruhte zum Teil auch auf geschickter Illusion und nicht nur dem Senden von Traumbotschaften. Das Tarrior sich viel lieber auf die Kräfte der Zerstörung und der reinen Gedankenkraft konzentriert hatte, schien ihm jetzt zum Problem zu werden. Doch umso länger der Dunmer sein Spiegelbild laufen sah, desto mehr fand er, dass es wohl ausreichen würde. Auf die Entfernung würde sicher eh keiner den Trick durchschauen. Die Illusion musste nur solange wirken, wie es erforderte um die Mörder aus ihrem Versteck zu locken und er würde ihnen dann einfach in den Rücken fallen, während sie mit seinem Doppelgänger beschäftigt wären. Ein gurgelnder Laut machte ihn darauf aufmerksam, das Fryrr auch noch existierte.

Er hatte sich regelrecht in seinem eigenen Anblick verloren. Der Guar schien durcheinander und sein Kopf zuckte mehrfach zwischen Tarrior und seinem Spiegelbild hin und her und überlegte wohl, wer von den beiden Dunkelelfen sein Reiter war. Der Guar erkannte seinen Herren, als dieser die Hand ausstreckte und diese mitten durch den Körper der Kopie gleiten ließ. Das Spiegelbild zerfaserte, an der Stelle wo er es berührte, wie Rauch. Eine wirklich einfache Illusion. Tarrior hatte schon von Illusionsmagiern gehört, die eine feste und sogar eigenständig handelnde Kopie von sich herstellen konnten, aber da war er weit entfernt von. Aber so häufig griff er auch nicht auf derartige Zauber zurück, also musste er auch nicht so sehr darin bewandert sein. Für diese Aktion würde dieser Zauber gewiss ausreichen. Die Mörder würden den Unterschied erst zu spät bemerken. Mit einem Gedankenbefehl schickte er die Kopie, in unverdächtiger Haltung, vor. Es schien als wäre er ahnungslos. Das würde sie leichtsinnig werden lassen. Tarrior folgte zu Fuß in einigen Metern Abstand. Fryrr trottete brav hinter ihm her und verhielt sich ruhig. Als sie eine Stelle passierten, die aufgrund größerer Felsen und hohem Buschwerk perfekt für einen Hinterhalt schien, blieb Tarrior außer Sichtweite stehen und dirigierte sein Abbild direkt zwischen den Sträuchern hindurch. Erstes Rascheln kündigte die Anwesenheit weiterer Personen an. Tarrior streckte seinen Geist aus und tatsächlich fühlte er zwei Personen in der Nähe. Der Gesichtsausdruck des Spiegelbildes drückte noch immer Ahnungslosigkeit aus. Noch wartete er. Die Mörder waren vorsichtiger als er gedacht hatte, aber sie konnten die Falle unmöglich durchschaut haben. Und tatsächlich im nächsten Moment sprangen zwei Schemen aus dem Gebüsch. Der Eine baute sich vor der Kopie auf und verstellte ihr den Weg und der Andere kam mit gezücktem Schwert hinter ihr aus den Büschen. Sein Abbild war eingekreist. So leise wie möglich näherte sich Tarrior nun dem Geschehen. Die Männer grinsten und redeten auf das Spiegelbild ein, doch das verzog weder eine Miene, noch ließ es sich zu einer Antwort herab. Wie konnte es auch? Der Dunmer grinste, denn die Männer wurden langsam böse, weil sie nicht beachtet wurden.

Er konnte nun erkennen, dass es sich bei ihnen um zwei Rothwardonen handelte. Er hatte zwar keine Ahnung, welchen Grund sie haben sollten die Mine von der Stadt abzuschneiden, aber es war ihm auch ziemlich egal. Er wusste jedenfalls, dass er sie in den nächsten Augenblicken ins Vergessen schicken würde. Die Chitin-Rüstung leistete ihm hierbei gute Dienste. Aufgrund des leichten Materials konnte er sich ihnen schnell und ohne größere Geräusche nähern. Der Rothwardone, der sich hinter seinem Spiegelbild aufgebaut hatte, merkte nicht einmal wie ihm geschah, als Tarrior die Klinge von hinten an seinen Hals legte. Ein kräftiger Ruck und die Kehle war durchgeschnitten. Er hielt dem Mann den Mund zu, während das Leben schnell aus ihm heraus floss. Er ließ ihn los und der leblose Körper sackte vornüber ins Gras. „Hmm wie ich sehe, blickst du dem Tod ohne Angst ins Gesicht. Das lobe ich mir. Aber das wird dir auch nichts nützen“: sagte der andere und ging auf das Spiegelbild zu. Er hatte weder den Trick durchschaut, noch gemerkt, dass sein Gefährte bereits tot war. Er stieß seine Klinge durch den geisterhaften Körper von Tarriors Abbild. Als er noch ganz erstaunt betrachtete, wie sich der Körper in farbige Rauchschwaden auflöste, machte Tarrior einen Satz nach vorne und rammte ihm sein Schwert bis zum Heft in die Brust. Mit einem Stöhnen kippte er nach hinten um und der Dunmer hatte einen Moment lang Probleme das Gleichgewicht zu halten, aber schaffte es. Er drückte den Fuß in den Körper des Rothwardonen hinein, packte fest den Schwertgriff und zog mit aller Kraft. Mit einem schmatzenden Geräusch glitt die Klinge aus ihrem Opfer. Er wischte sie an dem Hemd des Mannes sauber und schob sie zurück in die Scheide. Dann rief er Fryrr mit einem Pfiff zu sich und stieg wieder auf. „Das hat gut geklappt“: fand er. Aber ihm war jetzt klar geworden, das jemand nicht wollte, das man herausfand, was in der Mine nicht stimmte.

Ihm war nicht wohl bei dem Gedanken. Wenn sie schon den Weg zur Mine unter Bewachung stellten, was würde ihn dann in Shulk selbst erwarten. Außerdem fragte er sich, wer ihn erwarten würde. Zunächst hatte er ja vermutet, das die Mythische Morgenröte oder Deadra die Versorgung Balmoras hatten untergraben wollen, aber die beiden Rothwardonen sahen nicht so aus, als gehörten sie zu den Kultisten. Außerdem passte diese Vorgehensweise auch überhaupt nicht zur bisherigen Taktik der Invasoren. Zwar verhielten sich die Deadra hier auf Vvardenfell sowieso anders, als in Cyrodiil oder auf dem Festland, aber er konnte sich nicht vorstellen, dass die Dämonen sich mit so einfachen Zielen, wie Eierminen, aufhielten. „Wenn aber nicht die Deadra wer dann?“: fragte er sich und hatte dann eine naheliegende Antwort gefunden: „Banditen womöglich.“ Er zuckte mit den Schultern und richtete seinen Blick wieder nach vorne, nachdem er ein Stückchen durch die hübsch blühende Natur geritten war. Vom Krieg war hier in diesem lauschigen Flusstal nichts zu sehen. Um ihn herum stand alles in voller Blüte, der Himmel über ihm war klar und blau und die kleine Bergkette erhob sich nicht weit vor ihm. Er konnte sogar schon den gut sichtbaren Eingang der Eiermine erkennen. Vor dem Zugang befanden sich ein paar alte Loren und Kisten mit Spitzhacken. Ein kleiner Unterstand mit drei Strohlagern und eine erloschene Feuerstelle. Niemand war zu sehen. Instinktiv streckte Tarrior wieder seinen Geist aus, konnte aber nichts wahrnehmen. Das bedeutete, dass keine weiteren Wachen vor der Mine postiert waren. Was sich jedoch innerhalb der Tunnel abspielte, konnte er nicht spüren. Dafür waren seine Kräfte nicht stark genug. Dazu würde er die Mine ersteinmal betreten müssen. Einige Meter vor dem Eingang brachte er Fryrr zum Stehen.

Er nahm sich ein Seil und band den Guar an einem dünnen Baum fest. Tarrior war sich sicher, das das Tier selbst ohne Seil nicht weglaufen würde, aber so war er sich wenigstens absolut sicher und brauchte sich keine Sorgen machen. Er strich mit der Hand nochmal über die ledrige Haut und ging dann zum Minenzugang hinüber. Die engen Tunnel und verwinkelten Höhlengänge waren nichts für einen ausgewachsenen Guar. Er wusste es. Die Mine hatte ihm damals gehört. Sie war Teil seiner Landbesitzung Odai-Plateau gewesen. Nach seinem damaligen Verschwinden, als er sich dem Haus Dagoth angeschlossen hatte, hatten sie seinen Landbesitz zerschlagen. Die Siedlung ging an einen Ratsherren und die Minen wurden dem allgemeinen Besitz des Fürstenhauses zugeschlagen. Shulk versorgt seitdem in öffentlichem Auftrag Balmora, während die beiden anderen Eierminen auf der Bitterküstenseite der Berge zum Teil für die Versorgung Hla Oads zuständig waren. Irgendwann jedoch, so hatte er es sich vorgenommen, würde er seinen alten Besitz wieder erlangen, aber natürlich waren im Moment andere Dinge wichtiger. Das Wohl des Fürstenhauses stand zurzeit über seinen eigenen Befindlichkeiten. Zumal das Fürstenhaus, mit seiner Unterstützung für die Bemühungen des Hauses Redoran, dafür sorgte, das die Deadra im Zentrum der Insel festgehalten wurden. Eine Hungersnot oder ein Aufstand in Balmora würde die Lage nur destabilisieren und der Rat würden sich dann nur noch auf die internen Probleme konzentrieren und die kläglichen Reste von Redoran wären allein gegen die deadrischen Horden. Und brächen die Dämonen im Nordwesten durch, war er selbst dann auch direkt betroffen. Seine Plantage würden dann wohl recht schnell brennen. Er fand es erstaunlich, wie viel an der richtigen Versorgung und Planung in so einer Notlage hing. Deshalb war es für ihn auch unbegreiflich, warum das Haus Telvanni sich bisher aus dem Konflikt heraus hielt, als ginge dieser es nichts an. Er schüttelte diese Gedanken jedoch ab, als er sein Ohr an die Tür legte, um zu hören ob sich etwas auf der anderen Seite tat. Doch da war nichts. Kein Geräusch war zu vernehmen, außer dem Wind der durch die Gänge pfiff. Zumindest direkt hinter der Tür war wohl niemand. Er wollte gerade eintreten, als er plötzlich Magie spürte, als sich seine Hand der Klinke genähert hatte. Er zog die Augenbrauen zusammen und betrachtete den Türöffner misstrauisch.

„Gut versteckt“: gestand anerkennend ein. Jemand hatte eine magische Falle angebracht. Sie würde ausgelöst, sobald jemand Unbefugtes die Tür öffnen würde. Er konzentrierte sich und beschwor einen etwas stofflicheren Ahnengeist herauf. Eine der großen Fähigkeiten, die seinem Volk im Blut lagen. Er bemühte nicht oft seine Ahnen, aber wenn er Hilfe brauchte, kamen sie fast immer. Er hatte immer an den Ahnenkult geglaubt, schließlich hatte er schon seit seiner Kindheit das Gefühl, das jemand da war, der immer auf ihn aufpasste. Ihm gefiel die Vorstellung, dass die verstorbenen Vorfahren ihren Nachfahren mit Hilfe und Rat zur Seite standen. Er hatte von Dunmern gehört, die mit den Geistern ihrer Ahnen richtig kommunizieren konnten. Er jedoch war, wie die meisten Dunmer übrigens, nur dazu veranlagt die Geister heraufzubeschwören, um sich von ihnen helfen zu lassen. Der grünschimmernde Geist war kaum durchsichtig, wie von ihm gewünscht. Damit hatte er eine recht große Stofflichkeit und würde die Falle auslösen. Höflich bat Tarrior darum und der Geist legte seine geisterhafte, halb verwest aussehende Hand auf die Klinke. Sofort züngelten Flammen empor und der Geist seines Ahnen brannte lichterloh. Einige Augenblicke schlug der Ahne um sich, um sich dann urplötzlich aufzulösen. „Ich hätte ihn nicht gebraucht“: merkte der Dunmer an, aber er hatte ja vorher nicht wissen können, um was für einen Fallenzauber es sich gehandelt hatte. Da Feuer ihm nichts anhaben konnte, hätte ihm in diesem Fall nichts passieren können. Wäre es aber ein Schock- oder noch schlimmer ein Frostzauber gewesen, wäre es wohl nicht glimpflich ausgegangen. So war es doch gut, dass der Ahne ihm zu Hilfe gekommen war. Er öffnete die nun sichere Tür und trat in, das von Fackellicht erschaffene, Zwielicht der Mine. Ein übler fauliger Geruch empfing ihn sofort mit dem nächsten stärkeren Luftzug.

Die Quelle war auch schnell ausgemacht. Über den Gang, der ins Innere der Mine führte, lagen überall zerschmetterte Kwama-Eier verteilt. Sie waren eindeutig absichtlich zerschlagen worden und der Matsch faulte jetzt vor sich hin. Doch zwischen der Pampe entdeckte er auch die charakteristischen roten Spuren und Flecken, wie sie spritzendes Blut hinterließ. Er nahm ein Stück Stoff und band es sich vor Nase und Mund, um den ekelhaften Gestank nicht einzuatmen, der nur noch gedämpft durch den dicken Stoff drang. Er nahm sich eine Fackel von der Wand und folgte den Spuren der Zerstörung tiefer hinein in die Erde. Neben umgekippten Loren und aufgebrochenen Kisten mit zersprungenen Eiern fand er auch immer wieder zerstörte Eiersäcke der Kwama. Von Toten oder Feinden war bisher jedoch keine Spur zu sehen. Seine geistigen Sinne konnten hier in den Tunneln auch nur wenige Meter weit sehen. Selbst relativ nahe Feinde konnte er somit kaum ausmachen. Außerdem störte irgendetwas seine Wahrnehmung, als gäbe es Überlagerungen. Er schob es auf die engen Tunnel und verscheuchte die Gedanken daran, denn etwas anderes erregte seine Aufmerksamkeit. Als er um eine Ecke bog, schlug ihm ein derart widerlicher Geruch entgegen, dass ihm kurzzeitig der Atem wegblieb. Was er dann sah, ließ ihn erschauern.

Halb verweste Körper von Kwama in verschiedenen Stadien lagen auf einem Haufen aufgeschichtet, wie achtlos weggeworfener Müll. Arbeiter, Krieger, Kundschafter auch Skribs, allesamt schon eine Weile tot. Und zwischen den insektoiden Kadavern, entdeckte er auch einige Arme und Beine, die zwischendrin herausschauten. „Es hat also auch Tote gegeben“: dachte er laut. „Scheinbar hat jemand die Mine überfallen“: kam ihm in den Sinn. Aber es waren nur wenige Paare an Beinen und Armen, die er entdeckte. Also entweder gab es tiefer in der Mine noch mehr Leichenberge, oder es gab noch Überlebende unter den Minenarbeitern. Er musste es herausfinden. Denn so wie es aussah, hatten die Angreifer absichtlich die Produktion eines ganzen Monats zerstört. Wenn sie die Arbeiter auch noch getötet hatten, dann war es egal, ob er die Mine von ihnen befreite oder nicht. So würden sie die Produktion nie mehr rechtzeitig in Gang bringen. Er wandte seinen Blick von dem Kadaverhaufen ab und folgte den Spuren der Verwüstung weiter ins Innere.