Ein Hornstoß ertönte in einiger Entfernung hinter seinem Rücken und im nächsten Augenblick war die Luft von unmenschlichem Brüllen erfüllt, dass ihm bis ins Mark fuhr. Tarrior raffte sich schnell aus dem Staub auf und versuchte seine Besinnung zurückzugewinnen, die durch den magischen Transport ins Wanken geraten war. Ein schneller und gehetzter Blick verriet ihm, dass sie sich Aschland befanden. Am Horizont nur einige hundert Meter entfernt sah er die Häuser der redoranischen Siedlung Maar Gan aufragen. Er wagte kaum nach hinten zu schauen, von wo die bestialischen Geräusche an seine Ohren drangen, aber der Schrei eines Kameraden verriet ihm, dass dort wohl die daedrischen Horden lauerten und sie entdeckt hat. „LAUFT!“: schrien einige Krieger der Eskorte und um ihn herum kam Bewegung in den zerstreuten Konvoi. Als er ebenfalls zu laufen begann, wie seine Begleiter, ging ihm durch den Kopf, dass der Zauber versagt und sie vor der Stadt abgeworfen hatte. Ihm gingen ebenso Alinas Worte durch den Kopf, dass er sich mit seiner Bauchwunde lieber noch hätte ausruhen sollen. „Verdammt!“: zischte Tarrior als der Schmerz ausgehend von seiner Bauchregion über ihn hinweg brandete. Nach nur einigen Metern war es ihm als könne er nicht mehr weiterlaufen, während er deutliche Erschütterungen im Boden fühlte, deren Stärke zunahm, sodass der Verursacher langsam aber sicher herannahte. Das tierische Brüllen wurde stärker. Das gierige Verlangen nach Blut und Tod war fast greifbar, so als hätte man einen ausgehungerten Bluthund von der Kette gelassen. Er wurde langsamer, er merkte es. Die Schritte wurden kürzer und immer anstrengender. So sehr sich sein Geist auch bemühte, so sehr widersetzte sich der Körper. Adrenalin und Schmerz rauschten gleichwohl durch Adern und Nerven und es war als würde der Widerspruch den Dunmer innerlich zerreißen. Erste humanoide Schreie lenkten ihn einen kurzen Blick ab, sah er neben sich einen Kaiserlichen stürzen, dem ein martialischer mit Zacken und Widerhaken geschmückter Pfeil das Bein durchschlagen und zu Fall gebracht hatte. Doch nur einen Augenblick später war dieser Vorfall wieder aus seinem Geist gewischt, der kaum mehr etwas anderes zuließ als das Geräusch herannahender Feinde und der eigene Wille zur Flucht. Die Pfeile, die um ihn herum niedergingen, waren nicht mehr als ein Zischen und Brechen in seinen Ohren und verschwommene Schatten vor seinen Augen. Auch das angst- und schmerzerfüllte Schreien der Eskorte, die von den Geschossen niedergestreckt und dann von der folgenden Meute in Stücke gerissen wurde, war kaum mehr als ein Teil des Rauschens des Blutes, dass ihm die Sinne benebelte. Eine weitere schmerzende Welle – er stolperte, fiel in den Schmutz, rollte sich ächzend ab und kam in einer flüssigen Bewegung nach oben, um sich dann erneut vor Schmerzen zu krümmen. Der Gegner war nur noch knapp hinter ihm. Die Luft schien wie flüssiges Blei zu sein, durch das er waten musste. Es schien ihm, als käme er nicht mehr von der Stelle, während er den Geifer seiner Gegner heiß und giftig bereits im Nacken zu fühlen glaubte. Vor seinen Augen war alles nur noch verschwommener Nebel, doch er rannte, humpelte weiter auf die rettende Siedlung zu.

Er wähnte die Sicherheit in greifbarer Nähe als er vernahm, wie die Stadtwächter auf der vor ihm liegenden Stadtmauer Befehle von ihrem Kommandanten erhielten. Die Rettung war so nah, doch da ertönte wieder das Zischen. „Pfeile“: schoss es ihm durch den Kopf. Eine weitere Salve, die ihn wahrscheinlich nicht verschonen würde. Er warf sich nach vorne. Hoffte auf Rettung und hörte die Geschosse über ihn hinweg zischen. Er wollte wieder aufstehen, aber der Schmerz in seiner Bauchregion drückte ihn umgehend nieder. Es war vorbei. Die Pfeile hatten ihn offenbar verfehlt, aber seinen daedrischen Häschern konnte er nicht mehr entgegen. Da hörte er eine weitere Salve über ihn hinweg fliegen, doch diesmal ertönten keine menschlichen oder merischen Schreie mehr, sondern wieder das tierische Brüllen, aber diesmal mit einer von Schmerz gepeinigten Note. Zwei weitere Salven folgten in kurzer Zeit und er hörte wahre Kolosse zu Boden gehen. Zwei kräftige Arme packten ihn kurz darauf an den Schultern und zogen ihn unsanft hoch, sodass er gegen den Schmerz anschreien musste. „Kommt hoch!“: herrschte man ihn an. Auf zitternden Beinen schaffte er es, von den beiden Männern, die ihn aufgestellt hatten, gestützt, wieder zu laufen. Durch verschleierte Augen sah er, dass sie den niedrigen Wall der Stadt durch einen Torbogen passierten und hinter ihnen, wurde eben ein solchen geschlossen. Für einen Moment sah er voller Befremden das eine große Gruppe von Daedroths und Clanbannen, die sie zuvor verfolgt hatte, in kurzer Entfernung zum Wall in einem perfekten Halbkreis stehen blieb, während die Bogenschützen sie von oben aus Korn nahmen. Erst als ihre sicher geglaubten Opfer hinter dem Wall in Sicherheit waren, wandten sie sich mit wütendem und enttäuschtem Brüllen ab und entfernten sich in Richtung des Heeres, dass Tarrior nun unverhüllt als Masse aus dämonischen Leibern und schwarzgerüsteten Dremoren sehen konnte, bevor er einfach in die Knie ging und im weichen Aschesand zur Ruhe kam.

Es konnten kaum mehr als ein paar Minuten vergangen sein, als jemand seinen Kopf anhob und ihm ein Fläschchen an den Mund setzte. Zunächst verweigerte er reflexartig das Trinken, doch dann packte ihn eine behandschuhte Hand stark am Kiefer und drückte ihm den Mund mit Gewalt auf, sodass eine minzig-bittere Flüssigkeit seinen Rachen hinunterfloss und er sie unter lautem Husten herunterschluckte. Er fühlte eine ungewöhnliche Hitze in seinem Körper, die seinen matten Glieder vom einem Moment auf den anderen neue Kraft schenkte und sich dann auf seine Bauchregion konzentrierte und den Schmerz auf ein sanftes Poches zurückstufte. Hektisch schlug er die Augen auf und sah in das Gesicht eines vernarbten Dunmers mit tiefen Falten im Gesicht. Seine Rüstung wies ihn als redoranischen Wächter aus. Der Mann, offenkundig von wortkarger Natur, hielt ihm kommentarlos die Hand entgegen und zog ihn auf die Beine. „Danke“: murmelte Tarrior. Der Trank schien seine Zunge betäubt zu haben. „Nichts zu danken. Ihr habt uns Vorräte gebracht. Es war das Mindeste euch zu retten“: winkte der Mann ab. Während der Alte sich nun entfernte und zu einigen anderen Redoranern am Wall hinüber ging, sah sich Tarrior um. Einige andere Magier der Liga, die wie er die Eskorte des Konvois gebildet hatten, genossen gerade eine ähnliche Behandlung. Der Kaiserliche, der ihren Konvoi angeführt hatte, sah er im Gespräch mit zwei weiteren Dunmern. Der eine trat in einer Prunk-Knochenrüstung mit redoranischen Abzeichen auf und war wohl der Kommandant der Stadt, der andere trug eine rote Robe mit goldenen Stickereien und daedrischen Symbolen und war wohl der Hohepriester des örtlichen Tempels. Von den ursprünglich fünf Karren mit denen sie aufgebrochen waren, befanden sich nur noch vier hier in der Stadt. Der fünfte schien scheinbar samt Guar und Fahrer vor der Stadt verloren gegangen zu sein. „Wenn der Zauber uns inmitten der Daedra abgesetzt hätte, wären wir jetzt tot“: erfasste Tarrior ein Grausen. Die Bogenschützen auf den Wällen hatten ihm das Leben gerettet. Er stieg über eine Leiter den Wall hinauf und besah sich von dort noch einmal das Feld vor den Mauern. Er erkannte die Stelle, wo er zum Ende hin liegen geblieben war. Kurz dahinter war der Halbkreis aus toten Daedra, die von den Pfeilen der Wächter erwischt worden waren und dann wenige hundert Meter freie Fläche in dessen Mitte er anhand eines großen Wirbelmusters die Stelle erkennen konnte, an der sie angekommen waren. Am anderen Ende warteten die Daedra mit ihrer Armee vermutlich außer Reichweite der Bogenschützen der Stadtwache. Von hier oben war es nicht nur eine Wand des Todes sondern ein ganzer See, denn bis zum Horizont hin, hatte sich der Bereich zwischen den beiden Hügelketten mit Gegner gefüllt und er konnte sogar zwei Tore ins Reich des Vergessens ausmachen. Der Himmel über Mar Gaan war entsprechend blutrot und wurde regelmäßig von Blitzen durchzuckt, als wäre die Stadt schon selbst Teil der daedrischen Heimat.

Während Tarrior sich noch wunderte, warum die Daedra kurz vor dem Stadttor mit ihrem Ansturm gestoppt hatten, trat ein Wächter an ihn heran. „Serjo Gildres?“: fragte er. Der Dunmer nickte abwesend. „Euer Anführer möchte mit euch sprechen“: erklärte der Wächter und zeigte auf den Eskortenführer, der sein Gespräch mit dem Priester und dem Kommandanten dadurch beendete, dass er letzterem ein versiegeltes Schreiben übergab. Tarrior nickte erneut und stieg die Leiter hinunter, bevor er zu ihm hinüber ging. „Serjo Gildres. Es freut mich, dass ihr wohlauf seid. Ich fürchtete schon, dass ihr für uns verloren wäret. Madame Alina hat mich kurz vor unserer Abreise instruiert euch ziehen zu lassen, wenn ihr die Stadt verlasst. Wir werden euch mit einem Seil zwischen den großen Felsen im Nordosten herunterlassen, sobald ihr soweit seid. Allerdings sollte euch klar sein, dass ihr so nicht mehr in die Stadt zurückkehren könnt. Ich sollte euch daher empfehlen euch nach euren Erledigungen nach Norden an die Küste und von dort aus nach Khuul durchzuschlagen. Aufgrund der Bedrohung durch die Nord haben wir dort eine kleine Garnison stationiert, die euch zurück eskortieren kann“: erklärte der Mann ihm in zackigem Ton. Tarrior war überrascht, was Alina noch für ihn bewerkstelligt hatte. Er selbst hatte gar nicht überlegt, wie er nach seiner Suche nach dem Nordmagier nach Balmora zurückkommen sollte. „Vielleicht war es doch nicht so schlecht der Liga beizutreten“: überlegte er. „Richtet Alina meinen Dank aus. Ich werde mich erst einmal ausruhen. Ich denke das Beste wird es sein, wenn ich die Stadt in den frühen Morgenstunde verlasse“: schlug er vor. Der Mann nickte: „Ich hätte dasselbe vorgeschlagen. Auch die Späher der Dremora sind zu dieser Zeit unaufmerksamer und eure Chance, euch ungesehen bis zum Pass zu schleichen, ist damit größer.“ Dann verabschiedete sich Tarrior, um sich einen Platz zum Schlafen zu suchen.

Recht bald fand er heraus, dass der Außenposten und das Handelshaus keinen Platz mehr boten und auch die Bewohner von Maar Gan ihre Häuser bereits für weitere Soldaten und Flüchtlinge geöffnet hatten und nun ebenfalls belegt waren. Man verwies ihn an den örtlichen Schrein und Tempel des Tribunals in der Stadt, denn Alkama Deryth der örtliche Priester hatte ihn nach langem Zögern als Notunterkunft geöffnet. Tarrior jedoch war bei dem Gedanken daran, die Hilfe des Tempels in Anspruch zu nehmen, gar nicht wohl zumute. Er hasste den Tribunalstempel und vermied es nach Möglichkeit sich deren heiligen Stätten auch nur zu nähern. Jetzt sollte er sie nicht nur freiwillig besuchen, sondern dort auch noch übernachten. Geradezu ein Alptraum für ihn. Der Dunmer seufzte und ergab sich in sein Schicksal. Wenn er sich nicht ausruhte, würde er die Reise durch das Aschland nicht überstehen und womöglich fiel er geschwächt einer Patrouille der Daedra in die Hände, dann wäre es aus mit ihm. So ließ er die Vernunft über seine Abneigung triumphieren und schob sich aus dem Eingang des Andus Handelshauses und lenkte seinen Schritte in Richtung des Tempels. Im Gegensatz zu Ebenherz wirkte die Stadt hier trotz der ganzen Flüchtlinge wie ausgestorben. Die meisten Bewohner hatten sich in ihren Häusern verbarrikadiert. Auf der Straße sah man hauptsächlich Soldaten mit grimmigen Gesichtern oder Kinder, die der Gefahr um sie herum nicht wirklich bewusst waren und fast schon unbefangen spielten. Die wenigen Erwachsenen, die Arbeiten nachgingen, die für das Funktionieren der Stadt unerlässlich waren, hatten ebenso verschlossene Gesichter wie die Wächter, doch spiegelten ihre Augen andauernde Furcht wieder. Auch war ihre Konstitution nicht die beste. An vielen Leibern hingen die Kleider nur schon herunter oder mussten mit Gürteln eng an die schmalen Körper gebunden werden. Die Bürger hungerten nicht, aber die Rationierung der Mahlzeiten machte sich bemerkbar. Auch die neuerliche Vorratslieferung die neben Munition für Bögen und Armbrüste, Medikamenten und Befestigungsmaterial hauptsächlich Nahrungsmittel enthielt, schuf da keine Abhilfe. Vermutlich rechnete man bereits damit, dass sich die nächste Lieferung wiederum verzögern wird. Es war alles in allem eine Stimmung, die auf ihn mehr als bedrückend wirkte und der er sich mit schnellen Schritten zu entledigen suchte, aber leider hatte sie die gesamte Stadt erfasst, sodass es für ihn keinen Ausweg gab. Ganz auf das Elend um sich herum konzentriert, hatte er gar nicht bemerkt, dass er bereits auf den Vorplatz vor dem kleinen Tempelgebäude getreten war.

In der Sonne funkelte ein Ring aus großen Kristallen, der wohl der Resonanzring für sein Gegenstück in der Propylonkammer in Andasreth war. „Hier hätten wir also ankommen sollen“: stellte Tarrior mit Unbehagen fest. Der Teleport war wirklich eine gefährliche Art zu reisen, aber wohl die einzige Möglichkeit, wie die Stadt hier überhaupt versorgt werden konnte, wenn die Daedra sie eingeschlossen hatten. Ohne die Versorgung über die Liga wäre die Siedlung gewiss schon längst aufgegeben worden. Bei diesen Überlegungen wunderte er sich wiederum, dass die Daedra die Stadt noch nicht einfach überrannt hatten und warum die Daedroths ihren Angriff vorhin kurz vor den Stadttoren gestoppt hatten. Für diese gewaltigen Kreaturen wäre es doch kein großes Problem gewesen, dass Stadttor einzudrücken oder mit ihrem Klauen in Stücke zu schlagen. Er zuckte mit den Schultern, womöglich hatten die Magier einen Schild oder etwas in der Art gewirkt, der die Gegner fernhielt. Er durchschritt die Öffnung in der Mauer für den abgegrenzten kleinen Tempelbereich. Hier waren einige Frauen mit angestrengten Gesichtern dabei auf dem sandigen Boden Salzreis zu ziehen, wie Tarrior verwundert feststellte. Durch stetiges Ausbringen von Wasser hatte man den Boden schlammig gemacht und pflanzte kleine Sprösslinge dieser durchaus genügsamen Pflanze an. Allerdings würde die erste Ernte wohl erst in ein paar Monaten herangereift sein und dann wohl kaum den Bedarf eines nennenswerten Teils der Bevölkerung von Maar Gan decken. Und das auch nur, wenn die Siedlung den Daedra solange standhalten würde. „Ein paar Monate. Wenn sich diese Invasion noch solange hinzieht, dann wird Tamriel schließlich überrannt sein. Dann ist das Ende gekommen“: dachte Tarrior fatalistisch, denn diese Invasion konnte doch unmöglich zum Normalzustand werden. Es musste etwas geschehen. Die Tore mussten geschlossen werden. Allerdings kamen ihm wiederum die wenigen Monate, die die Krise nun schon im Gang war, fast vor, als dauerte sie bereits fünf oder sechs Jahre und ebenso lang kam ihm inzwischen diese Odyssee vor, die Behram ausgelöst hatte. Der Dunmer überquerte, während er noch diesen Gedanken nachhing den Hof und stand dann vor der Tür des Tempels und klopfte anschließend dreimal gegen das schwere Holz.