Letzte Saat, 1 Ära 243:

in aller Eile schreibe ich diese Zeilen für die Nachwelt, denn ich werde den neuen Morgen nicht mehr erleben. In den Straßen tobt seit Stunden der Kampf. Geschrei, Blut, Waffengeklirr und die Luft riecht nach Magie.
Wie konnte das nur geschehen? Der Weißgold-Turm wird noch vor dem Morgengrauen fallen, wir können nicht mehr standhalten. Ich sollte diese Zeilen eigentlich mit meinem Blut schreiben, doch nutze ich ganz profan die letzte Tinte. Wer von den Unseren nicht nach Valenwood fliehen konnte, der ist dem Untergang geweiht. Die Menschen werden siegen. Wie ist das möglich, dass diese Barbaren, die geboren wurden, uns zu dienen, nun über die uralten Kultur, unsere Macht und unsere Herrschaft triumphieren?

Doch vielleicht sollte ich von vorn anfangen: Mein Name ist Alandiriel und ich bin eine Ayleide. Und bald bin ich tot. Ich werde mein Leben selbst beenden, umso noch im Tod über diese unglaublichen Menschen zu triumphieren. Nein, ich gönne ihnen nicht den Sieg über mich. Ayleiden gehen in Würde.

Diese Alessia, die sie die Sklavenkönigin nennen, wer ist sie? Diese Menschenfrau, diese Barbarin, die zuerst unser Eigentum befreite und dieses nun in den Kampf gegen uns führt. Und auch noch Hilfe bekam von einem, den sie Pelinal nennen und einem Morihaus, der die menschliche Armee anführt. Über seltsame Kräfte verfügen diese. Man sagt, dass Pelinal ein unsterblicher Held, ein Krieger, ein Zauberer sei. Nie hätten wir gedacht, dass es soweit kommen könnte, obgleich einige unserer Älteren bereits vor Monaten Warnungen ausgesprochen hatten. Wir lachten darüber. Hielten es für die Hirngespinste alter Krieger und Magier, die sich noch einmal wichtig machen wollten. Wir Ayleiden waren zu stolz und dies sollte unser Untergang sein. Aber wer hätte schon je geglaubt, dass der Weißgold-Turm fallen könne? Dass diese schier uneinnehmbare Stadt, diese Festung aus Schönheit und Glanz, aus uralter Kultur ihr Ende finden würde? Wir wähnten uns ewig, wo wir doch schon am Ende unserer Zeit angekommen waren.

Warum ich nicht da draußen bin und mitkämpfe in den Straßen? Meine Magie nicht fliegen lasse wie einen Pfeil, der den Feind mit tödlicher Sicherheit durchbohrt? Oder warum ich nicht rechtzeitig nach Valenwood geflohen bin? Nun, bis vor wenigen Stunden war dieser Keller, in dem ich sitze, nur eine Vorraum zu einem Fluchtweg nach draußen. Kinder und alte Leute geleitete ich auf diesen Weg in der Hoffnung, sie würden Valenwood und die Sicherheit der Camoran-Dynastie erreichen. Dann schien auf einmal die Erde zu beben. Trümmer fielen herab und begruben die letzten Flüchtlinge unter sich. Ihre Schreie klingen noch immer in meinen Ohren. Als es endete, war der Gang eingestürzt und nur Staub lag in der Luft. Stille hier unten und von oben klangen noch immer die Kampfgeräusche. Ich weiß nicht, was das Beben ausgelöst hat. Fehlgeschlagene Magie? Ich werde es nie erfahren. Aber ein herabfallender Block einer Säule traf mein Bein und zerschmetterte es. So kann ich nicht kämpfen. Die Schmerzen scheinen alles zu beherrschen, vernebeln meinen Blick. Ich muss mich beherrschen, nicht zu schreien. Und will doch nur in aller Eile noch ein paar Zeilen schreiben. Wenn die Kampfgeräusche draußen enden, dann hat auch unsere Welt ihr Ende gefunden. Dann ist der Weißgold-Turm gefallen und diese elenden Menschen werden die Sieger sein. Was werden sie anfangen mit diesem Sieg? Sie verfügen nicht über unser Wissen, unsere uralte Magie, unsere Kräuterkunde, unsere Alchemie, unsere Weisheit. Sie sind Barbaren, die nach einer Freiheit schreien, die sich nicht verstehen. Barbaren, die sich gegen ihre rechtmäßigen Herrscher auflehnen. Was wird es ihnen bringen? Wird unser Wissen, unsere Kultur für immer verloren sein? Werden zumindest irgendwelche Mer etwas retten können, verstehen können?

Die merethische Ära wird enden. Die Dämmerung der Ayleiden, unsere ganz persönliche Dämmerung hat begonnen. Mögen meine Brüder und Schwestern, die Valenwood erreicht haben, wieder stark werden. Vielleicht können sie eines Tages zurückholen, was uns gehört. Vielleicht ...

Noch immer ist die Luft schwer von Magie, tobt der Kampf in den Straßen, klirren die Waffen, doch immer häufiger hört man Siegesschreie aus menschlicher Kehle, mit ihrer menschlichen barbarischen Stimme ausgestoßen.

Ich hätte mit den anderen fliehen können, doch lehrte man mich schon als Kind, dass Adel verpflichtet. Und so fühlte ich mich verpflichtet, erst die wehrlosesten unserer Leute in die Freiheit zu geleiten. Doch für mich wurde das, was für sie der Weg in die Freiheit wurde, zur tödlichen Falle. Wird einer dieser Flüchtlinge sich später an mich erinnern? Oder werde ich nur eine gesichtslose Erinnerung bleiben? Vielleicht nicht einmal das, denn wer mit dem Überleben beschäftigt ist, hat keine Zeit für Erinnerungen.

Der Kerzenstummel, der neben mir steht, ist fast runtergebrannt. Sich aufbäumend flackert das Lichtlein in der Dunkelheit. So wie wir uns aufbäumen gegen unser unvermeidliches Ende. Die Geräusche oben werden leiser, die Kampfgeräusche lassen nach. Und dann höre ich es: einen Siegesschrei, der aus tausenden von Kehlen stammen muss und doch klingt, wie aus einer. Meine Stadt, meine Stadt gefallen, mein Volk am Ende. Nun ist auch meine Zeit gekommen. Unter Schmerzen schleppe ich mein zerschmettertes Bein nach und humpel zu meinem Beutel. Nehme den Becher raus, der ursprünglich für Wasser gedacht war. Wasser, das ich auf der Flucht trinken wollte. Nun mische ich einige meiner Kräuter, die ich stets mit mir führe, da hinein und fülle diese Mischung, von der ich weiß, dass sie tödlich sein wird, mit Wasser auf. Noch einmal hole ich tief Luft, dann trinke ich den Becher in einem Zug leer. Es gibt keine Rettung. Ich sterbe einzig aus dem Grund, weil ich eine Ayleide bin. Ich gehe nun denselben Weg, den soviele meines Volkes mir vorangegangen sind heute. Die Dämmerung der Ayleiden, sie wird nun zu meiner persönlichen Dämmerung. Mir wird kalt, so kalt. Und ich werde so müde auf einmal. Das Gift wirkt und die Welt versinkt um mich herum, so wie zuvor die Kampfgeräusche schwiegen. Es ... wird ... dunkel ...

hier endet der Bericht in einem Tintenklecks, so als wäre die Feder der Schreiberin mitten im Wort aus der Hand geglitten