Zitat
Eines Morgens kam ich zu spät zur Schule und fand meine Klasse in hellem Aufruhr vor. Der Lehrer war weit und breit noch nicht zu sehen, und an der Tafel machte sich ein Junge mit einem Stück roter Kreide zu schaffen. In rieseigen, gut einen halben Meter großen Buchstaben bedeckte er die schwarze Fläche mit dem obszönsten Wort der ungarischen Sprache, einem Synonym für Vagina.
Der Rest der Klasse saß an den Tischen und sgate das Wort im Chor auf, anfangs noch halb scherzhaft und mit stockender Stimme. Pi-na! Pi-na! um dem Wort Gewicht zu verleihen, fingen die Jungen an, mit den Füßen auf den Boden zu stampfen und mit den Fäusten auf die Tische zu schlagen. Ihre Gesichter waren rot vor Erregung und körperlicher Anstrengung und schon bald brüllten sie das Wort immer wilder, aber auch mit einem feinen Gespühr für seinen Rhythmus. Durch das Gestampfe wirbelten sie Stauf auf, was ihrem plötzlichen Ausbruch endgültig den Charakter eines Sturms verlieh. Pi-na! Pi-na! Die Jungen rächten sich für all die Fragen wie: "Was fällt dir ein?" oder: "Was willst du denn noch?" Wie sie da mit den Füßen stampften, auf die Tische trommelten und das verbotene Wort herausbrüllten, war es keine Frage mehr, was sie alle meinten und wollten. Oder besser gesagt, was wir alle meinten und wollten, denn ich war zu meinem Platz geeilt und hatte mich den Horden angeschlossen. Ich spürte, wie die Bodendielen vibirierten und die Wände bebten, während unser Schlachtruf im ganzen Gebäude widerhallte: Pi-na! Pi-na!
Eines der klapprigen Fenster sprang auf, und das rote Wort flog hinaus auf die Straße. In diesem ruhigen Teil des alten Buda, wo die Häuser niedrig waren und tagsüber kaum Verkehr herrschte, trugen unsere Stimmen bestimmt weit und brachten alte Damen, Hausfrauen sowie Postboten auf ihrer täglichen Runde zum Stehen. Die schöne Vorstellung, daß die Welt da draußen zuhörte, beflügelte uns zu noch größeren Anstrengungen.
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