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Thema: Keine andere Seite

Baum-Darstellung

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  1. #1

    Keine andere Seite

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    Keine andere Seite

    Die Gitterstäbe. Keine Metapher diesmal, aber ein Symbol, also vielleicht doch wieder eine Metapher. Nicht wie in einem Film, grau, rostig und dick genug, um einen Elefanten zu erschlagen, eher praktisch. Keine Tür. Look, don’t touch, sagen die Gitterstäbe, aber sie grinsen dabei nicht mehr. Sie sind ziemlich nüchtern geworden. Er lehnt sich zurück.
    Zwei Jahre zuvor hatte er das erste Mal geschrieben, weil er schon immer gern schrieb, und weil er ja Gott weiß genug Zeit dafür hatte. Seitenweise - zwei, drei Bücher? Er konnte sich nicht mehr erinnern. Am ehesten wohl, weil es egal geworden war. Er fühlt sich ein Bisschen wie ein Jugendlicher, der irgendwann einfach aufgehört hat, die Pickel auszudrücken. Nicht, weil es nichts bringt, sondern einfach, weil es nicht mehr zählt.
    Er lässt seinen Blick hindurch gleiten zum Baum, von dem man zwischen den Häusern einige Äste sehen kann. Im Sommer waren es noch Blätter. Im Winter war das Skelett verschneit. Zwei Mal. Im Ersten Jahr, und im Zweiten.
    „Bewährung hätt ich auch gern. Zwei, drei Jahre einen auf ruhig machen, rauskommen, und dann is wieder der Teufel los.“
    Er grinst, für den kommunikativen Zellengenossen, weil er es sich nicht gern mit Leuten verscherzt.

    Die Beamten lassen ihn allein in der Stadt zurück. Er läuft ein paar Schritte, schaut sich die Schaufenster an (weil sie dafür gemacht sind) und setzt sich auf eine Bank. Weiter oben fallen die letzten braunen Blätter vom Baum. Bald Schnee, dann Blüten, dann wieder Blätter. Immer noch der gleiche Baum, den er von drinnen gesehen hat, jeden Tag.
    Die Menschen stürmen vorbei, Taschen unter den Armen, Worte durch die Menge werfend, Jacken mit einer Hand zuhaltend. Ihm ist auch etwas kalt, aber es ist ein gutes Gefühl, denn er friert noch nicht. Legt den Kopf in den Nacken und atmet tief ein. Abgase, die Friteuse von McDonalds, ein wenig Herbst. Schließlich, nach einer irrelevant langen Zeit, erhebt er sich und streckt sich.
    Die Schrift, die sein Innerstes erklärt, mit psychoanalytischen Metaphern, mit Erfahrungen und mit Charakteren, die er eins zu eins aus der Realität übernommen hat, mit philosophischen Betrachtungen, Ideen und Erkenntnissen - sie liegt zerknüllt im Mülleimer seiner Zelle, zusammen mit einem braunen Apfelrest und einem paar durchlöcherten Socken.
    „Mallorca! Dann Kino, irgendein Liebesfilm. Und dann, am Ende, ne ••••, ne ganz junge!“, erinnert er sich, und die Vorstellung des Mannes nebenan erscheint ihm wie etwas sehr Entferntes. Schließlich steckt er die Hände in die Jeans, weil es doch kalt ist.
    Summt eine Bryan Adams Melodie und lächelt.


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    Geändert von La Cipolla (08.05.2009 um 10:03 Uhr)

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