Du verstehst das Konzept der "Ehre", bzw des "Gesichtes" und den Unterschied zwischen Ehren- und Gefängsstrafe überhaupt nicht? Mach es mir nicht so schwer.
Wie schon gesagt, eine Ehrenstrafe bedeutet einen Einschränkung der Rechts- und Geschäftsfähigkeit, allerdings auf freiem Fuße. Das Ausführende Organ ist die Öffentlichkeit. Ich habe keine Ahnung, ob eine Wiedererlangung des Rechtsstatus danach noch einmal möglich war, aber ich glaube nicht. Die Rechtsfähigkeit einer Person war mit ihrer "Ehre" verknüpft und "Ehre" beschrieb in diesem Fall nichts anderes, als eine gewisse durch Sozialkontrakte definierte Regelmäßigkeit des Verhaltens.
Die Kontrolle über die Einhaltung dieser Standards oblag der Gruppierung, welche die Person angehörte. "Ehre" war ein von der Gruppe an die Person zubeschriebener Wert, der auch von der Gruppe wieder aberkannt werden konnte und nicht der Person eigen war. Vereinfacht gesagt.
Eine Gefängisstrafe (wie sie im Fall von Unterlassener Hilfeleistung verhängt wird) bringt Freiheitsentzug und Suspension der Geschäfts- und Rechtsfähigkeit, allerdings nur für die Zeit der Haftstrafe. Ausführendes Organ ist die Polizei - ein staatliches Organ. Der Häftling erhält seinen Rechtsstatus nach seiner Freisetzung wieder vollständig zurück, er wurde nur vorübergehend suspendiert. Ziel der Gefängisstrafe ist eine Introperspektive zu erreichen in welcher der Häftling selbst ein Verständnis für seine Taten und damit Reue über seine Taten entwickeln soll. Der Rechtsstatus ist ein angeborener, der allen Bürgern einer Nation gleich und gleich unveräußerlich ist. Die moralischen Standards werden als internalisiert angenommen und bei mangelnder Internalisierung wird "Nachdenkzeit" zur nachträglichen Internalisierung verhängt.
Diese Möglichkeit ist im Ehrenmodell nicht einmal in Betracht gezogen. Reue gab es (in Europa) nur gegenüber den kirchlichen Institutionen. In Japan gab es Reue, aber ich habe keine Ahnung, in welcher Weise sie (abgesehen von Seppuku) ins Rechtssystem integriert war. Alles was ich dazu kenne sind moderne Beispiele von Takeo Doi.
Eventuelle zusätzliche Ächtungen nach dem Gefängisaufenthalt sind ungesetzlich und nach dem gebräuchlichen Strafmodell sogar kontraproduktiv. Die Klatschpressen haben blos einen diffusen Einfluss auf die Rechtspraktik und sind dementsprechend nicht mit dem konkreten Einfluss der Gruppe im Falle einer Ehrenstrafe zu vergleichen.
Du gehst davon aus, dass der Mensch alles durch reine Beobachtung lernt? Du bist anscheinend nur mit wenig Introperspektive aufgewachsen. Leute interpretieren Handlungen und Aussagen nicht in derselben Weise. Besonders Kinder haben eine äußerst kreative Art, ihre Lektionen zu interpretieren und zu verinnerlichen und aufgrund dieser ihr Verhalten zu bilden. In Situationen, wo sie sich nicht auf solche Regelmäßigkeiten verlassen können und aus Tag-zu-Tag-Beobachtungen wie der Spiegel angewiesen sind (z.B. in gewalttätigen Familien, oder Familien mit alkoholsüchtigen Mitgliedern) entwickeln sie einen Schaden.Zitat
Jemandem zu empfehlen, sich wie ein Spiegel zu verhalten, ist das Rezept schlechthin, um einen unglücklichen Menschen zu erzeugen. Regelmäßigkeiten sind notwendig für eine normale Entwicklung und deswegen entstehen sie fast von selbst unter halbwegs akzeptablen Lebensumständen. Höhere Werte sind nett, aber nicht unbedingt notwendig für die Entwicklung von Gewohnheiten.