[FONT="Times New Roman"]Eine Geschichte über Nichts. Oder vielleicht doch nicht?[/FONT]
[FONT="Palatino Linotype"]Es ist Rettung[/FONT]
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[FONT="Times New Roman"]Die Nacht liegt hell und schwarz und wabernd vor mir. Hell, weil die unzähligen Lichtinseln der Stadt zu mir heraufleuchten wie glitzernde Sterne in einem Meer aus halbflüssigem Quecksilber. Eine in der warmen Brise zitternde Zigarette steckt zwischen meinen aufgeschwollenen Lippen, Rauch kräuselt sich von ihrer Spitze und verliert sich im Nachthimmel, die Partikel sehen von näherem betrachtet aus wie kleine wuselnde Tierchen. Meine Pupillen haben ihre Größe geändert, von normal zu riesengroß. Telleraugen, wie man sie im Slang nennt, Augen, die durch das Dunkel schweifen, doch die Farben sind überall, weich und ruhig, noch nicht verblasst. Der Fuß wippt auf und ab, leise Musik hängt in der Luft, unidentifizierbar, von unbekannter Quelle. Aber sie gefällt nicht schlecht, nichts ist schlecht. Hinter mir der vertraute Schein dessen, was einige Menschen Wohnung nennen, hier bin ich sicher, hier bin ich glücklich. Wie tief mag der trostlose Beton unter mir liegen, wie hoch mag das schützende Dunkel reichen? Fragen, die selbst mein gelöster Verstand nicht außer Acht lässt. Antworten werde ich nicht erfahren, habe es aufgegeben, sie zu suchen. Mein kitschiges, hellblaues Hemd mit den Palmen drauf flattert in der angenehmen Brise, als ich meinen gedanklichen Weg durch die Nacht beschreite. Ein Lächeln umspielt meinen Mund, endlich aufrichtig und ehrlich. Endlich.
Dann kommen sie, zuerst nur zirpende Schatten im Licht, danach größer. Umschwirren mich mit ihren faltigen Flügeln, zerwirbeln die Luft, gut sichtbar. Was sind sie? Vielleicht sind sie nicht real wie die Welt, aber sie könnten es werden. Und sie werden und sie wollen. Wollen zu mir. Lass sie kommen, kann nur helfen, kann nur schaden, aber egal. Lass sie kommen.
Etwas, das sich anfühlt wie Nichts, touchiert meine Schulter, landet auf dem Geländer, das sich erstreckt wie Spinnweben ohne Spinnen. Das Glas Martini zerschellt am Boden, Scherben bringen kein Glück in diesem Fall, Scherben lockt sie an. Scherben im Herzen, einerlei, nun ist es zu spät. Die Zigarette verbrennt.
„Was machst du hier oben?“, fragen sie, nicht aufdringlich, aber doch nicht zu leise, um nicht gehört zu werden. „Willst du nicht runter zu den Menschen, zu denen, die du lieb hast?“
Aber wer würde das sein? Sie stellen die Fragen, die Antworten liefern sie sich selber. Wenn es so ist, wie sie sagen, bin ich verloren. Aber jetzt ist alles gut, jetzt ist richtig. Meine Füße zögern, wippen weiter. Okay, wenn sie nichts sagen, werde ich hineingehen, wo es am Sichersten ist. Ein roter Blitz aus Neon, ein Komet aus flüssigem Magma, erstrahlt unten in der Dunkelheit, nur kurz, die Lichter schreien ein schreckliches Geräusch in die Nacht hinaus, gedämpft, wie durch ein Sieb gefiltert, nur das grausame Gequietsche ertönt, der Rest bleibt mir erspart.
„Sie löschen sich aus“, sagen sie und das Spinnwebengeländer schmilzt vor mir, zerfällt wie kalte Asche, rieselt herab. „Sie löschen sich aus und eines Tages werden sie auch dich auslöschen. Nein, sie haben es schon getan.“
Wirklich? Kann gut sein, muss wohl so sein. Ich habe versagt, aber warum? Hör auf zu fragen, es bringt nichts, nur Qual. Und das darf nicht mehr geschehen.
„Du willst also nicht? Was ist mit deiner Frau? Sie wartet dort unten auf dich.“
Ich weiß nicht ob sie wartet, aber ich weiß, dass ich nicht denke, dass sie es tut. Sie kann nicht. Es ist nichts unmöglich, nein, nichts. Aber sie kann nicht und ich will nicht.
„Das Licht. Da unten. Es ist Rettung.“, sage ich der Nacht, nicht unüberlegt, nicht hastig oder unruhig. Ganz sachte. So ist es. Es ist Rettung. Meine Füße wandern, das Wippen hört auf, die Musik auch. Dann falle ich, dem pulsierenden Licht entgegen. Unterwegs nach unten denke ich nicht mehr, lasse alles hinter mir. Alles, außer dem Leben für diesen Augenblick.[/FONT]