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Ehrengarde
Ich bin im allgemeinen auch ziemlich angepieselt wegen der Flüchtlingssache vor Ort bei uns und Daens ausführlicher Post lässt mich den Kopf senken und im Stillen fragen, wie viele Menschen so wenig zu tun haben, dass sie öffentlich so gegen die Flüchtlinge herziehen, sie niedermachen und es sogar so weit zu bringen, auf einer Bürgerdiskussion rassistisch ausfallend zu werden. Im Prinzip sind das doch eigentlich alles Leute, die im Leben selbst Stress haben und nur hier in den Flüchtlingen ein Ventil finden, um ihren Druck ablassen zu können, bevor dieser die Menschen vollständig zur Explosion bringen.
Ich schreibe jedoch auch in eigener Sache, denn mich hat eine Sache nicht einfach "nur" aufgeregt, sondern ehrlich gesagt auch ziemlich aufgewühlt. Ich arbeite ja beim Rettungsdienst Mittelhessen, dessen Hauptstandort Marburg ist. Jedoch nur für ein Jahr und dann nicht im Rettungsdienst direkt, sondern hauptamtlich in der Lagerlogistik. Ersteres tue ich freiwillig optional und dann auch nur als Springer auf dritter Position. Gegenüber unserer Logistik befindet sich der verwandte DRK Kreisverband und drei Straßen weiter ein Sportplatz, der seit einiger Zeit für ein Flüchtlingslager in Form vieler Zelte herhalten muss. Es ist natürlich klar, dass viele Leute, die tatsächlich hier wohnen, nicht wirklich gut darauf zu sprechen sind, was ich ja irgendwo sogar noch nachvollziehen kann. Jedoch war uns allen von der Lagerlogistik DRK von vorn herein klar: Wir wollen den Flüchtlingen eine Anlaufstelle voll Geborgenheit, Zuverlässigkeit und Sicherheit sein. Dass genug Einsatzfahrzeuge stehen und auch fahren, wird vielen völlig verunsicherten Flüchtlingen vermutlich ebenfalls ein Stück Sicherheit mit in ihr Leben geben. Um also unsere Vorstellungen in die Tat umzusetzen, haben wir uns mit dem benachbarten KV zusammengetan und eine Anlaufstelle für Bürger eröffnet, die dort jederzeit die verschiedensten Sachen spenden können. Das wurde und wird auch sehr rege betrieben und genutzt und jeden Tag kommen viele Flüchtlinge zu uns, um sich mit solcherlei Dingen einzudecken und sich ein Stück Geborgenheit von uns mitgeben zu lassen.
Jedoch erstarkte relativ bald schon eine Schande in unserer Mitte, von der ich niemals geglaubt hätte, dass sie in dieser Form so entstehen kann. Vor anderthalb Wochen ungefähr kam ich um halb acht morgens bei der DRK Logistik an und sah von weitem schon so 5-10 Ottonormal-Bürger mit meinem Vorarbeiter und einem FSJ'ler-Kollegen diskutieren. Ich zog mich also schnell um und als ich dazustieß, war mir klar, dass diese Leute uns wirklich massiv bedrängten und uns hinterfragten, wieso wir solchem Gesindel helfen würden und warum wir Leute unterstützen, die vielleicht allerhöchstens zur Feldarbeit taugten. Die Leute, die froh sein können, eine so gut organisierte Rettungsorganisation zu haben, bezeichnen uns einen Verräter, weil wir nun die Sicherheit der Bürgerschaft aufs Spiel setzen würden, indem wir Flüchtlinge mit Spendenmaterial versorgen und uns daher nicht mehr vorwiegend um Notfälle von Einheimischen zu kümmern. Gott, als wären wir der Kopf des Ganzen! Wir sind doch nur einfache Arbeiter aus der Logistik, die Rettunsgwachen/Wagen/Noteinsatzfahrzeuge mit Hastenichjesehn beliefern. Wir haben nichts mit der Rufzentrale auf der Hauptrettungswache zu tun, welche Einsätze, Fahrzeuge, Rufnahmen von ihnen und ITH-Transporte koordinieren! Wir haben uns aus eigenem Antrieb entschlossen, den Menschen zu helfen, die alles verloren haben und werden dafür bedroht!? Gottlob war ich an diesem Morgen ausgeschlafen und mein Vorarbeiter an meiner Seite, sonst hätte ich wirklich viel Mühe gehabt, dass ich nicht meine Beherrschung verliere. Nachdem auch unser Vorgesetzter eintraf und mit der Polizei drohte, haben die sich dann vom Acker gemacht. Und einer rief uns dann noch zurück, dass "bald irgendwann noch mal Blut fließen wird". Nun haben wir dieses Pack vertrieben, aber ich fühlte mich danach keinen Deut besser, sondern muss in Angst leben, dass ich irgendwann noch mal nachmittags aufgelauert bekomme und sogar noch überfallen werde, wenn mein Kollege und ich von der Tour wieder kommen, allein sind und ausladen. Nun sind wir also am Tiefpunkt der Gesellschaft. DRK'ler müssen plötzlich vor den Leuten Angst haben, die vermutlich vor der Flüchtlingswelle unsere besten Freunde gewesen wären? Oder die von uns nur himmelheil geschwärmt hätten? Ist es wirklich das, was die Gesellschaft braucht, um noch weiterexistieren zu können? Muss ich als Mensch ab sofort Angst haben, etwas gutes zu tun? Ich schlafe fast jede Nacht durch. Ganz ohne Toilettengang und ganz ohne das Verlangen zu spüren, etwas trinken zu müssen, weil eventuell mein Mund über Nacht zu trocken wurde. Doch wenn ich mal nicht schlafen kann, dann beschäftigt mich genau diese Sache. Und ich kann nichts gegen meinen eiskalten Schauer tun, der langsam meinem Rücken herunterläuft.
Es ist so...unwirklich. Das ganze wirkt so...unvollkommen. Wie ein schlechter Scherz. Den finde ich allerdings im Gegensatz zu vielen anderen Scherzen überhaupt nicht mehr witzig.
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