Solstheim, südwestliche Küste, Rabenfels
<< Zum vorherigen Beitrag
Sie rannte durch die Dunkelheit, ziellos einfach nur gerade aus. „Wie konntest Du nur?!“, schrie sie. Ihre Stimme drohte zu brechen.
„Wo willst Du hin, Vesa?“, klang es hohl aus weiter Ferne, obgleich schon fast omnipräsent von überall her.
„Sag‘ Du mir nicht, was ich zu tun und zu lassen habe!“
„Ich bin Dein Vater, natürlich sage ich Dir das!“ Tränen rannen ihr über die Wangen in den Mund. Die Nase verstopft bekam sie kaum noch Luft.
„Lass‘ mich in Frieden! Du bist nicht mehr mein Vater!“
Sie stolperte, strauchelte und fiel. Auf einem Flecken Gras kauerte sie vor etwas, das von Tränen verschwommen beinahe wie ein Grabstein aussah. Regen durchnässte sie bis auf die Knochen. Die zitternden, eiskalten Finger der linken Hand strichen am Stängel einer Todesglockenblume entlang und hoben die schwere Blütenstaude an. Zahllose dieser traurigen Gewächse zierten das Grün um sie herum. Glasklare Perlen, die bei der leichtesten Berührung das Weite suchten und sich gegenseitig verjagten, schmückten jede einzelne. „Es tut mir leid. Es tut mir so unendlich leid“, flüsterte sie. Ihre Worte verschluckte der Regen. „Ich werde euch in nächster Zeit nicht mehr besuchen kommen können. Bitte vergebt mir.“ Sie blickte von der Blume auf, der graue, moosbewachsene Stein schien sich von ihr zu entfernen und tauchte zunehmend in Finsternis. „Grüßt Mutter von mir.“ Das Gras zerfiel unter ihr, löste sich in Schwärze auf.
Wärme, ein flackerndes Feuer in einem molligen Raum. Holzstreben, die die natursteinernen Wände und die Holzdecke stützten. Einige Stühle und ein paar Frauen und Männer der verschiedensten Rassen. Ein paar trugen Waffen. Alle schienen einen ruhigen Abend mit Bier und Essen zu verbringen. Vesa schaute erst zu Boden, anschließend leicht zur Seite in das Gesicht eines Orks. „Es tut mir leid, ich muss fort.“
„Wohin willst Du?“, fragte er zurück, die wulstigen Lippen standen sich beim Sprechen selbst im Weg.
„Weiß ich noch nicht.“
„Warum willst Du fort?“
„Ich muss. Tut mir leid.“ Sie wandte sich ab, trat auf eine Tür zu und noch bevor der Orsimer sie aufhalten konnte verschwand sie durch den Ausgang in ein Meer aus Pech.
Ein männliches Gesicht, voller Hingabe und Zuneigung, gleichsam von Sorge und Bedauern gezeichnet. „Geh‘ nicht!“, fehlte Vesana.
„Ich muss. Aber ich verspreche Dir, dass sie mich nicht kriegen werden und wir uns bald wiedersehen.“ Die Züge des Kaiserlichen mit den schwarzen Haare im Linksscheitel und dem gepflegten Kantenbart verschwammen im Nichts.
„Nein, bleib!“ Rief sie in die Dunkelheit hinein und blieb allein zurück.
Die Luft blieb ihr weg. Die Eingeweide wurden leicht, Wind zerrte an ihrer Kleidung und dem Haar. Füße und Hände fanden keinen Halt. Sie fiel. Sie fiel in einen Ozean der Unendlichkeit, unfähig zu denken oder zu sprechen. Hilflos trudelte sie durch die Ewigkeit, kaum in der Lage die eigene Hand vor Augen zu sehen, denn geschweige ihre Umgebung, den Himmel oder den Grund, auf den sie zutrieb. „Vesa“, drang eine sorgenvolle Frauenstimme aus der dunklen Ferne zu ihr vor, „es … es tut mir leid, aber …“
„Aber, was?“ Ein Kloß formte sich in ihrem Hals, raubte ihr die Fähigkeit zu sprechen.
„Ich … glaube, er wird … er ist schon so lange fort …“ Sie wollte etwas sagen, widersprechen, schreien. Es ging nicht. Kaum öffnete sie den Mund, fühlte es sich so an als ob Wasser gewaltsam ihren Rachen hinab in Magen und Lunge presste – es fühlte sich wie ertrinken an und erstickte so sogar den eigentlich unbändigen Drang zu fliehen, einfach wegzurennen. Sie bekam keine Luft, musste husten, griff sich an die Kehle, spürte den unbändigen Drang sich zu übergeben. Doch noch vorher schwanden ihre Sinne und sie verlor jedes Empfinden für Zeit. Einzig der Schmerz blieb.
Vesana sog die Luft ein, als wäre sie ihr viel zu lange weggeblieben, und bäumte sich auf. Ein feuriger Stich in der linken Brust ließ sie qualvoll aufschreien, doch endete es abrupt in heftigem Husten, das einen kleinen Schwall Blut hervorwürgte. Benommen und orientierungslos fiel sie zur Seite um, spuckte das Rot aus, ohne zu wissen wohin, und stürzte aus erhöhter Position auf harten Grund. Instinktiv griff sie sich an die schmerzende Stelle und drückte dagegen, als ob sie so die Pein zerquetschen konnte. Stattdessen schossen nur zusätzliche Blitze durch den Leib, die für Krämpfe, Zuckungen und weiteres Stöhnen, Schreien und blutiges Husten sorgten. Kälte zog ihr in die Glieder, ließ sie zittern, und dennoch stand ihr der Schweiß auf der Stirn.
Es dauerte lange, bis das Stechen nachließ und sich ihr gequältes Ringen um geistige Fassung in Schluchzen und einfaches Weinen wandelte. Nur in ein weißes, ihr viel zu groß geratenes Hemd aus Leinen gehüllt schlang sie die Arme um sich selbst und zog die Beine an, um die Muskeln um den Brustkorb zu entspannen. Eine einfache Decke aus Wolle hatte die Kaiserliche mit sich gezerrt, als sie aus dem gefallen war, das sich erst nach und nach im deutlicher werdenden Sichtfeld als ein Bett entpuppte. Einige Öllampen sorgten für schummriges Zwielicht. Allmählich gewann ihr Umfeld an Klarheit, verschwamm jedoch bei jeder noch so geringfügigen Bewegung und selbst die Atemzüge, egal wie flach und langsam sie sie hielt, brannten wie flüssiges Feuer. Das Zucken in ihren Gliedern ließ nach, doch die Tränen flossen unaufhörlich. Sie nahm eine ihrer Hände und hielt sich den Kopf, in dem ein Gedanke den anderen jagte und vertrieb. Nichts blieb fassbar, ein ewiges Karussell, das sich hinter ihrer Stirn drehte. Hin und wieder geriet es aus dem Takt und hämmerte von innen gegen die Schläfen bevor es sich fing und weiterdrehte, als wäre nichts gewesen.
Ihr wurde schwindelig davon und bald drehten sich nicht nur die Gedanken im Kreis, sondern auch ihr Gleichgewicht. Bevor sich jedoch ihr Magen umdrehen und verkrampfen konnte, spürte sie wie jemand je einen Arm unter ihre Kniekehlen und ihre Schultern schob. Kurz darauf verlor Vesa den Bodenkontakt, fand sich jedoch gleich danach auf einer weicheren Unterlage wieder. Die Arme wurden weggenommen und sie sackte in sich zusammen. Jemand deckte sie zu und hob anschließend ihren Kopf. Sie spürte einen sanften Druck an ihrer Unterlippe und erkannte gerade so aus dem Augenwinkel eine grauhäutige Hand, die ein Schälchen hielt. „Trinkt das und schlaft. Ihr braucht Ruhe.“ Die weichen, einfühlsamen Töne weckten Vertrauen. Mühsam öffnete die Kaiserliche ihren Mund einen Spalt weit und ließ die bittere, kühle Flüssigkeit hineinlaufen. Einen Großteil schluckte sie, doch musste sie zum Schluss husten, weil ihr einige Tropfen in die Luftröhre geflossen waren. Was heraus- und ihre Wange hinabrann wurde wenig später mit den Blutreste von zuvor weggetupft. „Schlaft“, flüsterte die Männerstimme erneut. Kurze Zeit später fühlte sie, wie die Schmerzen nachließen, sich der Knoten in ihrem Kopf löste und sich ihre Muskeln entspannten. Sie fand etwas Frieden.
Weniger gepeinigt schlug Vesana später abermals ihre Augen auf. Sie lag auf dem Rücken, die Wolldecke reichte, trotz des zerwühlten Zustandes, bis zum Halsansatz. Ihre Haut im Gesicht fühlte sich verklebt an, wie am Morgen nach einer langen Fiebernacht. Die Hände befanden sich an ihren Seiten und hielten sich flach unter dem dicken Tuch versteckt. Langsam schärften sich die Konturen der Umgebung. Es schien ihr, als befände sie sich in einem typischen Redoran-Haus. Die gewölbten, beigefarbenen Wände und der Mangel an Fenstern sprachen dafür. Ansonsten verriet nichts in dem kleinen Raum, wo genau sie war. Ein einfacher Schrank, eine Kommode mit einem Tonkrug und dazugehörigem Schälchen, zwei Stühle an einem kleinen Tisch und ein runder, gemusterter Teppich auf dem dunklen Boden aus groben Steinen. Es fiel ihr schwer alles auszumachen, nicht nur, weil Dinge in weiterer Entfernung verschwammen, sondern auch weil sie den Kopf auf dem steifen Hals kaum zu bewegen vermochte.
Trotz der Schwierigkeiten, die sie bereits damit hatte, wollte sie versuchen aufzustehen. Wo auch immer sie sich aufhielt, es konnte nicht außerhalb von Morrowind sein und das musste sie schnellstmöglich verlassen. Mit etwas Schwung versuchte sie sich auf die Seite zu drehen und drückte sich gleichzeitig mit der linken Hand am Bett ab. Die Beine hingen halb aus ihrer Schlafstatt heraus, als sie stöhnend innehalten musste und beinahe vornüberkippte, weil ihr die ein Schwerttänzer durch die Brust wirbelte. Die Luft blieb ihr weg und trieb Tränen in ihre Augen. So verharrte sie einige Momente, um Kraft und Fassung zu sammeln. Die Rechte zu Hilfe nehmend, stemmte sich die Kaiserliche in eine sitzende Position hoch und rang mit sich, nicht gleich wieder umzufallen, weil ihr der Schwindel zu Kopf stieg und sich die Umgebung zu drehen begann. Vorsichtig übte sie mehr Druck auf die kraftlosen Füße aus und blieb zunächst gebückt, damit sie sich weiter an dem niedrigen Bett abstützen konnte und die Muskeln am Oberkörper nicht auseinander zog. So schaffte es die Jägerin immerhin, einen kleinen Schritt nach dem anderen und mit vielen Sammelpausen, sich bis zur Kommode durchzuschlagen.
Dort angekommen setzte sie beide Hände an der Kante der Ablagefläche ab und versuchte sich weiter in eine aufrechte Haltung zu hieven. Doch mit hoch erhobenem Kopf übernahm sie sich schließlich. Die Knie wurden weich und gaben nach. Unbeholfen versuchte sich Vesana abzufangen, räumte jedoch nur die Tongefäße ab, die daraufhin lautstark zerberstend auf dem Boden aufschlugen. Sie ging in die Knie und der Kopf fühlte sich so bleiern schwer an, dass er einfach nach vorn auf den Steingrund sackte. Der Schwindel ließ sie zur Seite gegen das dunkle Möbel sinken.
Eine gefühlte Ewigkeit später vernahm sie, wie eine Tür aufgeschoben wurde und anschließend zurück ins Schloss fiel. Schnelle Schritte näherten sich ihr und ein Schatten tauchte über ihr auf. Jemand in einer hellblauen Robe kniete sich neben die Kaiserliche und nahm ihren linken Arm hoch. „Ihr solltet doch ruhen!“ Es handelte sich um die Stimme, die sie schon zuvor vernommen hatte. Er legte sich ihren Arm um die Schulter und half ihr auf die wackeligen Beine. „Kommt, lasst mich Euch zurück zu Eurem Bett bringen. Da Ihr nun schon wach seid und einfache Anweisungen nicht zu wirken scheinen, erkläre ich Euch, warum es gut für Euch wäre, zu ruhen.“ Der Unbekannte geleitete sie zu ihrer vorherigen Ruhestätte und half ihr dabei, sich zu setzen. Im Anschluss legte er ihr die Decke um die Schultern. Erst jetzt realisierte die Jägerin richtig, dass es sich um einen Dunmer handelte und er seiner aufwändig gearbeiteten Robe nach zu urteilen als Geistlicher diente. Allmählich dämmerte ihr, wo sie sich befand.
Doch Worte zerflossen ihr auf der schweren Zunge, noch bevor sie überhaupt dazu kam die erste Silbe auszusprechen. Als wäre sie betrunken drehte sich ihr Sichtfeld und wie ein Sack Reis plumpste sie nach hinten gegen die Wand. Glücklicherweise war es bis zu dieser nicht sehr weit und so blieb sie einigermaßen aufrecht, der Kopf im Nacken. Während sie so dasaß und sich kaum zu rühren vermochte, rückte jemand einen Stuhl zurecht. „Trinkt das“, der Dunmer von zuvor setzte ihr wieder etwas an die Lippen. „Es wird Eure Gedanken etwas klären.“ Vesana schluckte die widerlich saure und zugleich ekelhaft bittere Flüssigkeit, musste dann jedoch aufhören, weil ihr der Trunk aufstieß.
Immerhin, der Mann hielt Wort. Es dauerte zwar einige Zeit, doch stabilisierte sich ihr Gleichgewicht danach etwas und auch Worte zerronnen nicht gleich, wohl aber noch bevor sie sie zu einem Satz zusammensetzen konnte. „Wo?“, brachte sie heraus, zu sprechen brannte in ihrer Lunge. Die Augen streiften weiterhin unruhig, ohne Fokus über die Umgebung und an der Decke entlang.
„Ihr befindet Euch im Tribunals-Tempel in Rabenfels. Ich bin Ältester Othreloth.“
„Was?“
„Ihr wurdet vor fünf Tagen angegriffen. Der Angreifer konnte fliehen und wurde noch nicht gefunden. Ihr überlebtet knapp. Der Stich führte wohl nur um Haaresbreite am Herzen vorbei. Die Verletzung an Eurer Lunge blieb in einem heilbaren Rahmen, weil die Waffe schmal und scharf war, weshalb sich das zerstörte Gewebe in Grenzen hielt. Dennoch, die Heilung braucht Zeit und obwohl die äußeren Wunden verschlossen sind, bleibt das Gewebe im Innern verletzt.“
Langsam gewann Vesana genügend Selbstbeherrschung zurück, um die Augen auf den Priester zu lenken. Seine alten Züge mit den langen weißen Haaren und dem spitzen Bart verschwammen jedoch häufig. Einen Funken Sorge glaubte sie aber trotzdem zu erkennen. „Ich … weg“, versuchte sie auszudrücken, dass sie schnellstmöglich verschwinden musste.
„Es tut mir leid, aber Ihr befindet Euch noch lange nicht in einer Verfassung, in der Ihr längere Reisen unternehmen könnt.“
„Gjalund … Windhelm …“
„Er kommt erst in einigen Tagen zurück. Ich glaube nicht, dass Ihr dann schon in der Verfassung sein werdet, zu reisen.“ Unbeholfen suchten ihre Hände nach etwas, an dem sie sich festhalten konnten. Sie musste hier weg. Schnell. Sofort. Ihr Magen drehte sich um, als sie ihre eigene Hilflosigkeit realisierte. Wie so oft in Momenten, in denen sie sich einsam und ungeschützt fühlte, griffen ihre Finger an ihre Brust wo sonst das Amulett hing. Sie fanden es nicht. Die Lippen begannen zu beben, Tränen entwanden sich den Augenwinkeln und sie krallte sich in die Decke. Nicht einmal mehr die sonst letzte rettende Insel in den schlimmsten Stürmen blieb ihr noch.
„Meine … Sachen?“, würgte sie hervor, als ihr ein vereinzelter klarer Gedanke Hoffnung gab.
„Was Ihr bei Euch getragen habt und in Eurem Zimmer in der Taverne gelegen hat, befindet sich in dem Schrank dort drüben.“ Er deutete mit einer Hand in die Richtung. „Euer Wagen steht unverändert in der Ebenerzmine. Crescius Caerellius wacht über ihn.“ Othreloth stand auf und beugte sich vor. „Bitte, ruht Euch aus. Wenigstens noch ein, zwei Tage.“ Unter sanftem Druck sah sich Vesana gezwungen, wieder in die Waagerechte zu gehen. Der alte Dunmer schien in der Tat sehr um ihr Wohlbefinden besorgt. „Wenn es Euch dann besser geht und das Fieber und der Schwindel von allein nachgelassen haben, habt Ihr meine vollste Unterstützung schnell wieder auf die Beine zu kommen. Solltet Ihr bis zu Gjalunds Abreise nach Windhelm allein stehen und gehen können, so werde ich Euch nicht am Aufbruch hindern.“ Er deckte sie zu und tupfte über ihre Stirn. „Dass Ihr von hier fort möchtet, kann ich gut verstehen, glaubt mir, doch kann ich nicht verantworten, Euch in Eurem jetzigen Zustand ziehen zu lassen.“ Der Geistliche saß inzwischen wieder aufrecht auf seinem Stuhl. „Bis dahin seid Ihr hier sicher. Vor Eurer Tür stehen zwei Wachen, die dazu angehalten sind nur mich hineinzulassen und bei jedem Geräusch aus diesem Raum nachzuschauen und mich zu Hilfe zu holen. Euch kann hier nichts geschehen, wenn Ihr nicht selbst Eure Fähigkeiten überstrapaziert.“ Mit diesen Worten erhob er sich, schob seinen Sitz zurück an die Seite und verschwand aus dem Raum. Vesana blieb in Schmerz und Einsamkeit zurück.
Zum nächsten Beitrag >>
Solstheim, südwestliche Küste, Rabenfels
<< Zum vorherigen Beitrag
Ein Krug und Schälchen standen inzwischen nicht mehr auf der Kommode, deren Vorgänger Vesana von dieser gefegt hatte, sondern ganz am Rand auf dem kleinen, runden Tischlein mit den zwei Stühlen. Ihr Tornister lehnte von außen am einzigen Schrank im Zimmer. Ansonsten entdeckte sie nichts, dass sie nicht zuvor schon schemenhaft wahrgenommen hatte, während sie auf der Seite lag und zum ersten Mal wieder einigermaßen klar zu denken vermochte. Das Atmen fiel ihr nach wie vor schwer, aber immerhin schmerzte es nicht mehr so sehr, dass es ihr jedes Mal die Sehschärfe raubte. Außerdem schien der Schwindel verschwunden zu sein, zumindest solange sie lag. Aber genauer würde sie es in Kürze wissen. Entschlossen, dieses Mal weiter als bis zum niedrigen Ablageschränkchen zu kommen, streckte die Jägerin die Füße unter der Bettdecke hervor und stützte sich zunächst auf den rechten Ellbogen. Anschließend brachte sie sich in eine sitzende Position und schlang die Wolldecke um die Schultern. Ein wenig fröstelte es ihr noch, aber das mochte gut auch am Hunger, Durst und dem allgemeinen Gefühl von Schwäche liegen und nicht an einer kühlen Umgebung.
Sich auf jede einzelne Bewegung konzentrierend begann Vesa damit aufzustehen. Anschließend tastete sie sich gebückt erst am Bett und anschließend an der Kommode entlang. Dort hielt sie wie zuvor inne und brachte sich in eine normale Körperhaltung. Das Ziehen in der Brust strafte sie jedoch unverzüglich ab, weil sie zu hastig agierte und so krümmte sie sich erst noch einmal, bevor sie wieder normal Luft bekam. Im Anschluss setzte sie den Weg zur Tür fort und hatte dabei immer eine Hand an der Wand, um sich selbst ein gewisses Sicherheitsempfinden bei ihren Schritten zu vermitteln. An der Tür angekommen, lehnte sie sich mit der Schulter gegen die Wand und drückte die alte Eisenklinke hinunter. Ein Dunmer mit feuerrotem Haar und einem linksseitig umfassend tätowierten Gesicht wandte sich ihr augenblicklich zu. Etwas Überraschung huschte über die sonst steinernen Züge. Vesana brauchte einen Moment, um die bekannte Erscheinung zuzuordnen, aber schenkte der Wache von der Basaltmauer schließlich ein völlig entglittenes, schiefes Lächeln zum Gruß. „Könntet Ihr“, begann sie mit kraftloser Stimme zu sprechen, „den Ältesten Othreloth holen?“ Der Dunmer nickte und verschwand aus dem Sichtfeld der Kaiserlichen.
Diese schloss den Durchgang und kämpfte sich zurück zu ihrer Schlafstatt, auf die sie sich schließlich sinken ließ und erschöpft zurück gegen die Wand lehnte. Die Augen geschlossen wartete sie darauf, dass der Priester kam. Erst, als sie vernahm, wie die Tür aufgeschoben wurde, hob sie die Lider. Der alte Dunmer mit den langen, weißen Haaren und in einem Zopf auslaufenden Kinnbart nahm sich einen Stuhl und setzte sich vor die Jägerin. „Wie geht es Euch?“, seine dunkelrot glühenden Augen strahlten zwar eine gewisse Bedrohlichkeit aus, doch die feinen Falten an den Augenwinkeln und die weiche Tonlage ließen diese schnell vergessen werden.
„Kraftlos“, entgegnete Vesa. „Und hungrig.“ Othreloth lächelte.
„Dagegen können wir etwas unternehmen. Hunger ist ein gutes Zeichen. Wie geht das Atmen?“
„Schwer. Aber besser.“ Der Geistliche nickte und zupfte sich am Bart.
„Was haltet Ihr davon, wenn ich Euch eine Suppe und etwas Wasser bringe und wir uns versuchen zu unterhalten?“
„In Ordnung.“ Als ob sie auch eine Wahl hätte. Aber sie wollte nicht klagen, immerhin verdankte sie diesem Mann ihr Leben, da ließ sich ein kleines Gespräch schon verkraften. Im Zweifel konnte sie immer noch abbrechen, weil ihr die Kraft zum Sprechen fehlte.
„Setzt Euch doch schon an den Tisch, ich komme gleich zurück.“ Damit erhob sich der Priester und schob den Stuhl zurück an seinen vorherigen Platz. Vesana harrte noch einen Moment auf dem Bett aus, dann kämpfte sie sich zum Rundtisch vor und setzte sich. Die Decke hielt sie nach wie vor um die Schultern geschlungen, obgleich es nichts gegen die frierenden Zehen und Füße half. Wenig später kehrte der grauhäutige Weise zurück, stellte eine dampfende, herb duftende Suppenschüssel vor sie, legte etwas Brot dazu und schenkte aus einem Krug Wasser in eine Tasse. Er ließ die Kaiserliche erst einmal einige Löffel voll der kräftigen Kräuter- und Gemüsebrühe schlucken und schwieg.
Das heiße Mahl weckte frische Lebensgeister in Vesa. Sie spürte förmlich, wie neue Energie durch ihren Körper strömte und das leichte Zittern, das ihren Körper fest umklammert hielt, allmählich zurückdrängte. Ihre leichenblassen Hände und Unterarme erhielten bald darauf eine leichte fleischige Färbung und nach der Hälfte der Schüssel verebbte auch das Beben der Lippen. Geschmack zählte in diesem Moment nicht, die neugewonnene Kraft rechtfertige zu diesem Zeitpunkt so gut wie alles. Zusammen mit dem Brot sättigte die warme Mahlzeit auch noch in völlig ausreichendem Maße. Zufrieden lehnte sich die Kaiserliche zurück, trank noch einen Schluck und fasste anschließend die Enden der Decke, um sie dichter um sich zu schlingen.
„Besser?“, fragte Othreloth.
„Ja.“
„Denkt Ihr, wir können uns etwas über die Geschehnisse von vor einer Woche unterhalten? Was Ihr gesehen habt und was genau eigentlich passiert ist?“
Sie schaute den Geistlichen an, musterte seine tiefroten Augen und die Regungen auf dem Gesicht, um ihn besser kennenzulernen, doch verrieten die Züge wenig mehr, als ihr schon bekannt war. Es schien, als wollte er zu Schonungszwecken die Befragung der Verletzten übernehmen und sie nicht den Gardisten der örtlichen Behörden überlassen. „Ich werde Euch sicherlich nur wenig erzählen können, aber ja“, stimmte Vesana zu. Einiges wollte sie auch nicht erzählen, aber das musste der Priester nicht wissen.
„Wisst Ihr, wer Euch angegriffen hat?“
„Nein.“ Die erste Lüge gleich zu Beginn. Sie kannte nur nicht seinen Namen. „Der Waffenwahl nach zu urteilen aber ein Assassine.“ Einer aus der Morag Tong, um genau zu sein. Allein der Gedanke an diese Organisation ließ gleichermaßen Wut wie Furcht in ihr aufsteigen. Welches genau es war, das sie die Faust unter der Decke ballen ließ, wusste sie nicht. Auf jeden Fall stieß ihr die Suppe im Magen auf und nur mühsam gewann sie die Oberhand über die aufquellenden Gefühle.
„Ja, das liegt nahe. Auch, da er sich schnell entfernen konnte und unverändert verschwunden bleibt“, dachte der Älteste des Tempels laut darüber nach. Er zupfte sich grübelnd unaufhörlich an Kinn und Bart herum. „Könnt Ihr Euch an irgendetwas genauer erinnern? Hat er etwas gesagt? Wie hat er Euch überfallen? War es ein Mann, oder eine Frau?“
„Ich vermute, dass es ein Dunmer war. Ein Mann. Er hat mich von hinten festgehalten und niedergestochen. Mehr ist da nicht.“ Die Worte des Meuchlers spielten keine Rolle und waren ohnehin privat. Selbst wenn sie sie kundgab, änderte das nichts. Ihren Angreifer würden die Wachen hier ohnehin nie zu fassen bekommen.
„Hm, das ist nicht sehr viel.“
„Tut mir leid, es ging alles so … so verdammt schnell“, sie brach künstlich ab, strich sich mit der Linken über das Gesicht und massierte die Augen. Diese Standardfragen führten zu nichts.
„Schon in Ordnung, verzeiht“, entschuldigte sich der Priester. „Nur eines noch, zum Abschluss: Habt Ihr etwas von einem Bären mitbekommen, der sich in der Nacht in Rabenfels aufgehalten hat?“
Jetzt wurde die Kaiserliche hellhörig und schaute auf. „Ein Bär?“ Konnte es das gewesen sein, was sie kurz vor der Ohnmacht noch vernommen hatte? Dieses animalische Grollen begleitet von Kampfgeräuschen?
„Ja. Es scheint, als hätte er sich zum Zeitpunkt des Überfalls auf Euch in der Straße aufgehalten und Euren Angreifer attackiert. Die Wachen sind erst durch ihn darauf aufmerksam geworden, dass sich etwas ereignet hat. Als sie eintrafen, rannte er jedoch durch den Tunnel im Bollwerk hinter einer schlanken Gestalt her.“
Vesana überwand ihre erste Neugier und Überraschung und schüttelte sacht mit dem Kopf. „Nein, tut mir leid. Ich habe nichts bemerkt.“ Für die Zeit vor und während des Überfalls traf dies auch zu.
„Schon in Ordnung. Wenigstens habt Ihr es überstanden.“ Freundlichkeit stahl sich auf die Züge des Dunmers und er faltete endlich die Hände im Schoß zusammen. Das Fummeln am Bart hatte mit der Zeit zu stören begonnen.
„Ich würde mich gerne noch etwas bewegen. Umherlaufen, vielleicht“, wechselte Vesa das Thema. Wenn sie sich jetzt wieder hinlegte oder allein zurückblieb, wären unangenehme Gedanken und Erinnerungen vorprogrammiert. Mit der kalten Wut im Bauch und der Furcht in den Knochen in einem stillen Raum und allein zu ringen erfüllte nicht gerade ihre Vorstellungen von Erholung und Rückgewinnung von Kraft. Sie musste sie herauslaufen und irgendwo vor der Zimmertür abladen.
„Natürlich. Lasst mich Euch aufhelfen, dann bringen wir die Schüssel weg und gehen etwas durch den Tempel.“ So taten sie es dann auch.
In den folgenden Tagen erlangte die Jägerin sehr rasch ein Grundmaß ihrer Kräfte zurück und sah sich letztlich in der Lage, auch ganz ohne fremde Hilfe zu gehen. Zwar hatte sich noch längst nicht ihre übliche Verfassung wiederhergestellt, aber immerhin ließen sich einfache Wege erledigen – regelmäßige Pausen zum Luft holen und Sammeln vorausgesetzt. Othreloth befand am Morgen des zehnten Tages nach dem Überfall, dass sie soweit ausreichend genesen war, dass sie die Rückreise nach Himmelsrand antreten konnte. Nicht zuletzt verdankte sie das den Heilkünsten des Priesters und der Unterstützung der örtlichen Alchemistin.
„Die salzhaltige Seeluft sollte Euch gut tun“, erklärte der Geistliche, als sie sich verabschiedeten. „Und hier habt Ihr noch drei kleine Heiltränke, die Ihr in den nächsten Tagen zusätzlich als Dampfbad einatmen solltet, damit die regenerierende Wirkung ohne Umwege direkt an die verletzten Stellen dringt. Ihr kennt das ja bereits. Danach sollte der Heilungsprozess von alleine rasch voranschreiten und Ihr Eure alte Stärke zurückgewinnen.“ Vesana nickte und nahm den Beutel mit den Fläschchen entgegen. „Es tut mir leid, dass man Euren Angreifer noch immer nicht gefunden hat. Passt auf Euch auf.“
„Habt Dank für Eure Fürsorge. Das werde ich.“
„Lebt wohl.“
„Ihr ebenso.“ Mit diesen Worten wandte sich die Kaiserliche von dem Priester ab und trat vom Anlegesteg auf Gjalunds Kahn. Sie hatte Othreloth noch eine kleine Spende für den Tempel dagelassen, aber das wusste er noch nicht. Vermutlich hätte er sie nicht angenommen. Möglichst schnell verschwand sie unter Deck und legte sich in eine Hängematte. Wenig später ließen sie Rabenfels hinter sich. „Bloß weg von hier“, flüsterte sie zu sich selbst. Weit, weit weg von allem, das auch nur ansatzweise im Zugriffsgebiet der Assassinengilde aus Morrowind lag. Zurück in heimische Gefilde. „Alles nur wegen Dir, Vater, nur wegen Dir. Gut gemacht!“ Der Magen krampfte und die Finger gruben sich in den Stoff ihrer Tunika auf dem Bauch. Hass vergiftete ihren Hunger bis er schließlich daran verstarb und verhinderte überdies, dass sie Schlaf fand.
Zum nächsten Beitrag >>
Geistermeer, Nordmaid, Himmelsrand, Windhelm
<< Zum vorherigen Beitrag
Der zweite Tag der Reise verlief im Vergleich zu dem vorherigen noch um einiges ruhiger. Keine unschönen emotionalen Ausbrüche, keine Stürme, und auch sonst blieb es weitgehend still auf dem Kahn. Um die Mittagszeit hing Vesana mit dem Kopf über einer Keramikschüssel, die sie sich von Gjalund geliehen hatte und sog die stinkenden Dämpfe des blubbernden Heiltranks ein. Das Stechen und Ziehen in der linken Lunge, das noch im Hintergrund stets Präsens zeigte, legte sich für die Dauer dieser Prozedur völlig. Da es über diese Behandlungen immer weiter zurückgegangen war, hoffte die Kaiserliche nun, dass es nach der letzten schließlich ganz verschwinden würde. Im Anschluss an das Dampfbad kümmerte sie sich im Frachtraum des Schiffes um ihre Sachen und die Vorbereitung der weiteren Reise. Sie zog sich wärmer an, lagerte die Sachen ausbalanciert auf der Ladefläche des Karrens um und zog zum Schluss die Plane fest.
Bald darauf gesellte sie sich zu Gjalund und seinen Matrosen an Deck. „Hat Eure Behandlung geholfen?“, erkundigte sich der bärtige Nord mit der bärigen Stimme.
Die Kaiserliche nickte. „Das hat sie.“
Ein Lächeln stahl sich auf das Gesicht des Bootsführers. „Sehr schön.“ Er wandte den Blick nach vorn in die Ferne. Vesa folgte ihm dabei und entdeckte blassblau schimmernd die Umrisse der Nordküste Himmelsrands. Nach Westen hin zog es sich bis auf ihren Breitengrad und verschwand schließlich in der weiten Ferne des Geistermeeres. Bei dem Anblick konnte auch sie nichts daran ändern, dass sich ihre Mundwinkel leicht nach oben zogen. Bald zu Hause, der Gedanke sorgte für Freude. „Der Wind steht günstig. Wir sollten in den nächsten Stunden in den Fjord von Windhelm einfahren. Von da an ist es nicht mehr sehr weit“, berichtete Gjalund. „Ich denke wir erreichen den Hafen noch vor Mitternacht“, fügte er an, als die Jägerin ihm wieder ihr Gesicht zuwandte und bereits zur Frage danach ansetzte. „Wenn es Euch nichts ausmacht, würde ich Euch nach Einbruch der Dunkelheit gerne mit an Deck haben.“
„Weshalb?“
„Bei Nacht den Fjord zu manövrieren ist keine leichte Sache. Eisschollen und scharfe Felsen gibt es überall. Ein weiteres Paar wachsamer Augen würde mir sehr helfen.“
„Ah, natürlich gerne.“
„Habt Dank.“ Die Kaiserliche schenkte dem Kapitän ein Lächeln und überließ ihn dann seiner Aufgabe. Zielstrebig nahm sie ihren angestammten Platz am Bug des Kahns ein, zog die Stiefel aus und legte die nackten Füße hoch, während ihr die nachmittägliche Sonne ins Gesicht schien. Mit der wohligen Wärme auf der Haut und dem frischen Seewind zum Trotz schloss Vesana die Augen, legte die Hände auf dem Bauch und den Kopf in den Nacken auf einem Fass ab. So positioniert genoss sie das Rauschen der Wellen, die salzige Luft, welche ihren Atemwegen guttat, und das sachte Schaukeln des Schiffes. Auf, und ab. Auf. Und ab. Auf … und ab. Auf … und … ab. Auf …
Vorsichtig berührte jemand ihre Schulter und holte sie aus ihrem Schlummer. Zunächst orientierungslos, dann erschrocken, zuckte die Kaiserliche zusammen und musste mehrmals blinzeln, bevor sie ihre Umgebung deutlich wahrnahm. Lyrgleid stand über ihr und seine rechte, kraftvolle Hand ruhte auf ihr. „Entschuldigt.“ Er nahm seine Finger zurück. „Es wird bald Dunkel und Gjalund meinte, Ihr wolltet vielleicht noch etwas essen, bevor wir in den Fjord einfahren.“ Erst jetzt bemerkte Vesa den niedrigen Stand der Sonne und die frostigen Böen, die sie zittern und ihre Härchen auf den Armen sich aufstellen ließen. Noch immer etwas schlaftrunken nickte sie einfach nur und begann damit, ihre Stiefel über die eiskalten Füße zu ziehen.
Nach der kräftigen Suppe, und in ihre dicke Jacke gehüllt, hielt sie vorn Ausschau. Glücklicherweise zogen nur wenige kleine Wolken am Himmel entlang, so dass die funkelnden Sterne die Umgebung ausreichend erhellten. Da die Monde kaum mehr als haarbreite Sicheln abgaben, mussten die übrigen Lichtpunkte ausreichen. Ohne den klaren Himmel wäre es wohl unmöglich gewesen bei Nacht den Fjord zu befahren, was ihre Reise unnötig verzögert hätte. Insofern widmete sich Vesana nach dem nachmittäglichen Nickerchen und der stärkenden Mahlzeit mit gewissem Elan der ihr zugewiesenen Aufgabe. Dass Gjalund die Geschwindigkeit erheblich reduziert hatte, half beim Manövrieren und gab den Ausgucken genug Zeit, Objekte zu erspähen. „Links! Etwa dreißig Meter“, warf sie über die Schulter dem Kapitän zu. Mit der nautischen Sprache von Backbord und Steuerbord kam sie nicht zurecht. Ständig verwechselte sie die beiden, also blieb sie lieber gleich bei den normalen Begriffen. Mit ausreichend Spielraum umschifften sie die Eisscholle.
Das Spiel setzte sich eine ganze Weile lang fort. Zum Glück zog sich über den Sommer das Eis reichlich zurück, wie ihr Lyrgleid über dem Abendessen erklärt hatte, so dass der Zufahrtsweg nach Windhelm ausreichend breit für bald drei Frachtkähne war. Allerdings trieben in dieser Zeit auch die meisten Schollen umher, weshalb es oftmals nicht weniger tückisch sein mochte. Mit Ausnahme einer einzigen Scholle, die sie aber auch nur sacht tuschierten, kamen sie ohne Komplikationen bis zum Hafen Windhelms durch.
Die dicken, hohen Mauern der Stadt, die wohl eine der größten Himmelsrands war, wirkten selbst bei Nacht noch imposant und machtvoll. Obwohl ihr der Konflikt zwischen Kaiserreich und Sturmmänteln wenig bedeutete und sie sich auch herzlich wenig darum scherte, wer gewann, musste Vesa dennoch einräumen, dass sich Ulfric mit Windhelm einen eindrucksvollen Sitz seines eigenen kleinen Reiches gesucht hatte. Ähnlich Einsamkeit für die Kaiserreichsympathisanten, nur etwas schmutziger und älter. Sich als jemand des Kaiservolkes in der Hochburg der Sturmmäntelrebellen aufzuhalten blieb zwar immer noch ein nicht ganz ungefährliches Unterfangen, aber auf der anderen Seite reichte es in den meisten Fällen zu sagen, dass sie den Gefährten angehörte. Der härteste rassistische Bodensatz der Rebellion, der diesen Hinweis ignorierte und am liebsten ein Reich nur von Nord schaffen wollte, ließ sich zwar nicht verleugnen und reichte wohl weit höher in der Hierarchie, als der unbedarfte Betrachter vermuten mochte, aber dieser in Grüppchen auftretenden Spezies von Rebellen ließ sich überwiegend aus dem Weg gehen. Im Zweifelsfall besaß der Status als Gefährte aber so viel Beachtung, dass bei einer handfesten Auseinandersetzung die Sympathien der beistehenden Beobachter auf ihrer Seite lagen und diese ihr dann beisprangen. Nicht zuletzt lag das wohl an Ysgramor, dem ersten Menschenherrscher Himmelsrands, dessen Name mehr Gewicht besaß als jeder nach ihm gekommene und kommende Unabhängigkeitskämpfer im Namen der nördlichen Provinz.
Ein kräftiger Ruck am Schiffsrumpf ließ die Jägerin aus ihren nicht ganz verachtungsfreien Gedanken hochschrecken. Sie hatten angelegt und die Matrosen zogen die Taue am Steg fest. Während sich die Männer abmühten, kehrte die Kaiserliche unter Deck zurück und sah abermals nach ihren Sachen, band sich einen der Dolche an den Gürtel und prüfte den Sitz ihres Geldsäckels. Es wurde Zeit, dass sie heimkehrte. Das Gold ging ihr allmählich aus und von dem spärlichen Rest mussten noch Gjalund, eine Tavernenübernachtung und die Reise nach Weißlauf bezahlt werden. Nur noch das Finanzbuch fehlte und dann suchte sie auch schon wieder nach dem Kapitän. Im Gemeinschaftsraum traf sie ihn. „Wenn Ihr möchtet, können wir Euren Karren noch bis zur örtlichen Taverne bringen“, schlug dieser vor und bot Vesana an, sich mit ihm an den Tisch zu setzen. Sie folgte ohne groß zu zögern.
„Das würde mir sehr helfen, danke.“
„Selbstverständlich gern.“ Sie schenkte ihm ein schmales Lächeln. So viel aufrichtige Freundlichkeit begegnete der Kaiserlichen eher selten, weshalb sie ihr manche Reaktionen schon fast aus Reflex und Überraschung abrang. Nach kurzem Schweigen zählte sie sich die Septime ab, die nach ihrem Rechnungsbuch noch für sie selbst übrig bleiben sollten, den Rest des Geldes schob sie dem Nord zu. Die spärliche Summe, mit der sie bis nach Weißlauf kommen musste, verstaute sie im kleinen Säckel am Gürtel. „Danke.“ Gjalund nickte ihr mit hochgezogenen Mundwinkeln zu und erhob sich. „Nun, wollen wir Euch zum Haus Kerzenschein bringen?“
„Bitte.“ Auch die Jägerin stand auf und ging an Deck. Wenig später hievten die drei Seemänner den Karren aus dem Frachtraum auf den Anlegesteg.
„Lyrgleid, bring sie bitte zur Taverne.“ Der blonde, jüngere Mann begann damit den Wagen der Kaiserlichen zu ziehen und führte diese vom Hafen durch ein Seitentor ins Innere der Stadtmauern. Kaum noch jemand trieb auf den engen, dunklen Straßen sein Unwesen, auch Lichter brannten nur wenige hinter den Fenstern. Die Stadt schlief tief und fest unter dem Tuch des glitzernden Sternenhimmels. Eisige Kälte hielt es straff, damit niemand unter ihm hervorgekrochen kam. Vesa hauchte in ihre hohlen Hände während sie neben dem Nord herlief.
„Ziemlich kalt heute Nacht, selbst für Windhelm“, stellte dieser fest und warf einen Blick über die Schulter zur Kaiserlichen hinüber. Sie ging nicht weiter darauf ein. Nach einem reichlich anstrengenden Fußweg durch die schmalen Gassen und über das holprige Pflaster erreichten sie schließlich ein größeres Gebäude mit hohem Spitzdach, direkt an den Toren im Innern der Stadt. Lichtschein drang durch die kleinen Fenster nach draußen, hin und wieder huschten Schatten an den trüben Glasscheiben vorbei. „So, da wären wir. Euren Karren stellen wir am besten dort an der Seite unter“, meinte Lyrgleid und wies auf einen Unterstand aus Holz.
„Einverstanden.“ Vesa nahm sich noch die wichtigsten Sachen von der Ladefläche, verstaute sie in einem ihrer Tornister und schulterte diesen sehr vorsichtig. Mit den Waffen, dem Geld und einigen verbliebenen Vorräten auf dem Rücken verabschiedete sie sich von dem Nord, der ihren Karren gezogen hatte, und trat auf einen seitlich liegenden Eingang des Wirtshauses zu. Knarzend schob sie die dicke Holztür auf und trat in die wohlige Wärme des schummrigen Innenraumes ein. Fast niemand mehr hielt sich darin auf. Ein ziemlich mitgenommen aussehender Nord in wettergezeichneter Leinenkleidung saß an einem Tisch in der Ecke des langen Gastraumes, ein Barde in farbigen Kleidern saß am Feuer im zentralen Kamin, die Laute neben ihm am Stuhl lehnend, und eine junge Frau des Nordvolkes mit aufreizend tiefem, prallgefülltem Ausschnitt kam gerade eine Treppe am langen Ende des Raumes empor. Sie trug einen Krug, auf dem eine Schaumkrone stand, und reichte ihn dem Barden. Erst danach wandte sie sich dem neuen Gast zu.
„Kann ich Euch helfen?“, wollte sie mit übertriebener Freundlichkeit wissen.
„Ich bräuchte ein Zimmer für die Nacht“, erwiderte Vesana.
„Ah, redet mit Elda. Einfach die Treppe hinab am Tresen.“ Die Kaiserliche folgte der Geste der Nord und stieg die knarrenden Stufen nach unten in den kleinen Eingangsbereich. In einer seitlichen Nische lag eine Theke hinter der eine hochgewachsene, blonde Frau Geschirr trocknete. Sie blickte auf, als sie Vesas Kommen vernahm.
„Guten Abend“, grüßte sie.
„Ich bräuchte ein Zimmer für die Nacht“, erklärte sich die Kaiserliche.
„Zehn Septime. Es liegt am Ende des Ganges links“, erläuterte die Wirtin und deutete auf den Flur zwischen Tresen und Treppe.
„Danke. Sagt, Ihr wisst nicht zufällig, wo ich jemanden finde, der mich gegen Geld nach Weißlauf bringt?“ Elda begann damit, weiter Geschirr zu trocknen, ohne jedoch die Augen von ihrer Kundin zu nehmen.
„Doch, Ihr habt Glück.“
„So?“
„Direkt bei mir oben im Schrankraum. Hrothluf, der Nord hinten in der Ecke. Rotbraunes, zerzaustes Haar, wilder Bart und zerfurchtes Gesicht – leicht zu erkennen – er hat einen Karren und fährt öfter in die Richtung. Fragt ihn.“
„Danke“, die Jägerin nickte und ging wieder nach oben. Die Bedienstete räumte gerade einen Teller und Tonkrug vom Tisch des beschriebenen Mannes ab. Er wirkte müde und schon arg angetrunken. Unbeholfen kratzte er sich mit seinen dicken, rauen Fingern im Bart herum, während er mit der Zunge seine spröde wirkenden, wulstigen Lippen benetzte. „Seid Ihr Hrothluf?“, wollte sie wissen und blieb hinter einem freien Stuhl am Tisch des Nords stehen. Ihre Hände ließ sie auf der Lehne des Sitzes ruhen und fixierte ihn mit festem Blick.
Der reagierte träge. „Der bin ich!“, gab er kund. Erst danach fanden seine braunen Augen die junge Frau, die mit ihm sprach. „Was kann ich für Euch tun?“ Obwohl seine Bewegungen und Reflexe eine andere Sprache sprachen, gaben seine Worte keinen handfesten Anlass dazu zu glauben, dass der Mann schon ein paar Krüge Met zu viel hatte.
„Ich muss nach Weißlauf weiterreisen und die Wirtin sagte mir, Ihr könntet mir dabei helfen.“
„Nach Weißlauf sagt Ihr?“
„Ja, genau.“
„Hm.“
„Ich kann Euch selbstverständlich bezahlen. Allerdings habe ich noch einen kleinen Karren bei mir, den wir ebenfalls mitführen müssten.“
„Hm.“ Hrothluf strich sich scheinbar nachdenklich durch den wüsten Bart. „Könnt Ihr kämpf‘n?“
„Warum?“
„Weil auf der Straße nach Weißlauf ein Geschäftspartner von mir verschwund‘n ist und ich mich sorge. Sollte ihm ‘was widerfahr‘n sein, möcht‘ ich nicht, dass mir dasselbe zustößt. Ich sitz‘ schon vier Tage mit einer Lieferung Schmiedeeis‘n und Werkzeug hier in Windhelm fest, weil diese verflucht faul‘n Sturmmäntel keine ihrer Leut‘ als Söldner abstell‘n und alle Söldner anwerb‘n!“, erklärte der Mann und es trat Zorn in seine Augen, die Brauen zog er enger zusammen und die freie Hand ballte er zur Faust. Die Kaiserliche überlegte einen Moment. Obgleich sie sich nicht unbedingt in der Verfassung befand, zu kämpfen, würde sie in jedem Fall demselben Risiko eines Kampfes ausgesetzt sein, egal mit wem sie nach Weißlauf reiste – zumindest wenn der besagte Geschäftspartner überfallen worden war und nicht einfach von einem Steinschlag oder Tier dahingerafft wurde.
„Ich kann kämpfen, ja“, erwiderte sie schließlich.
„Gut. Gut!“ Hoffnung spiegelte sich nun auf dem Gesicht des Nords wieder. Er strich sich das kinnlange, fettige Haar nach hinten und stand auf. Mit den Oberschenkeln stieß er unbeholfen gegen den glücklicherweise leeren Tisch, dafür verschüttete er eine beträchtliche Menge seines Getränks, das er noch immer in der Hand hielt. „Ihr sorgt für meine Sicherheit und dafür bring‘ ich Euch nach Weißlauf. Um Proviant und Unterkunft unterwegs braucht Ihr Euch nicht zu kümmern. Eur‘n Karr‘n krieg‘n wir schon mit weg. Einverstand‘n?“ Er reichte Vesana die Hand. Offensichtlich würde sie doch noch mit ihrem wenigen Geld zurechtkommen.
„Einverstanden.“ Sie schlug ein.
Zum nächsten Beitrag >>
Himmelsrand, Windhelm, Straße nach Weißlauf
<< Zum vorherigen Beitrag
Festes Klopfen an der Tür. „Guten Morgen“, klang eine tiefe Männerstimme durch das alte Holz. Orientierungslos schlug Vesana die Hände vor das Gesicht und rieb es sich kurz ab. Müde seufzend rollte sie sich unter der Wolldecke auf die Seite und schob die Beine ins kalte Freie. Gänsehaut überzog augenblicklich die nackte Haut bis zu den Knien und biss sich in ihre Zehen wie zig bluthungrige Zecken. Ein kurzer Blick zum kaum erhellten Fenster verriet der Kaiserlichen, dass sie vergessen hatte, dieses nach dem Lüften ganz zu schließen und so hatte es wohl die gesamte Nacht einen Spalt weit offen gestanden. Leichte Luftschübe dehnten den ungefärbten Wollvorhang ins Raumesinnere während sich Vesa auf die Kante des Bettes setze.
Abermals Klopfen an der Tür. „Seid Ihr wach?“ Sie ordnete die Stimme Hrothluf zu.
„Das bin ich. Einen Moment“, erwiderte die Jägerin. Sie stand auf, ordnete schnell das Bett und zupfte sich ihre Tunika zurecht, bevor sie in Richtung Tür ging.
„Ihr müsst Euch nicht beeilen. Ich wollt‘ Euch nur wiss‘n lass‘n, dass ich im Schankraum ob‘n noch ‘was ess‘n werde. Vielleicht möchtet Ihr Euch dazu setzen, um Euch für die Reise zu stärken.“ Sie hielt kurz vor der Tür inne.
„In Ordnung. Ich komme gleich nach.“ Hoffentlich schwatzte er nicht zu viel, sonst würde das eine sehr – sehr – lange Woche bis nach Weißlauf werden. Noch etwas träge und steifbeinig, die Nacht war eindeutig zu kurz geraten, sammelte die Kaiserliche ihre Sachen zusammen. Sie streifte sich die kurzärmelige Tunika vom Leib, nahm sich stattdessen eine langärmelige, um die Hüfte etwas kürzer geschnittene, und schlüpfte in ihre Hose. Zwischendurch ordnete sie noch ihre Haare und schlug sich einen Schwall kalten Wassers aus einer Waschschüssel ins Gesicht. Das weckte dann auch endlich ihre Lebensgeister, die etwas länger brauchten, um in Fahrt zu kommen. Zum Schluss die Stiefel und den ganzen Rest ließ sie vorerst auf dem Zimmer zurück. Die Dielen knarzten unter ihren eigentlich leichten Tritten während Vesana den langen Flur vor zum Empfangstresen zurücklegte.
„Guten Morgen“, grüßte die Wirtin des Gasthauses aus ihrer Nische und schaute kurz von dem Buch auf, das vor ihr lag. Vermutlich die Finanzen der Taverne. Die Kaiserliche nickte nur und stieg in den Schankraum hinauf. Es herrschte Leere. Niemand außer Hrothluf hielt sich hier auf. Er saß am selben Tisch, wie am Abend zuvor.
„Da seid Ihr ja“, bemerkte er die Kaiserliche. Der Nord wirkte geordneter und gepflegter als bei ihrer ersten Begegnung. Die starke Veränderung ließ Vesa kurz stutzen, aber sie überwand die kleine Überraschung ohne, dass ihr Gegenüber etwas von ihr mitbekommen hatte. Es war offensichtlich, dass er mit der Anwerbung einer Leibwächterin für die Reise neuen Lebensmut schöpfte. Die schulterlangen, rotbraunen Haare hielt ein Lederband am Hinterkopf zusammen, den Bart schien er etwas gekämmt zu haben und auch so wirkten die Furchen auf seinem Gesicht weniger tief. Von der sauberen Kleidung ganz zu schweigen. Manchmal täuschte der erste Eindruck scheinbar doch noch, stellte die Jägerin fest, und setzte sich schließlich ihrem Auftraggeber gegenüber mit an den Tisch.
„Darf ich?“ Sie zeigte auf den leeren Teller, der neben einem Brotkorb, Käse und etwas Fett auf dem Tisch stand.
„Natürlich, bitte bedient Euch.“ Während sich die Kaiserliche eine Scheibe bestrich, goss der Nord in eine Tontasse Wasser aus einem Krug und schob sie ihr hinüber. „Was genau möchtet Ihr eigentlich in Weißlauf, wenn ich so neugierig sein darf?“ Vesana schloss kurz die Augen, während sie ein Seufzen unterdrückte. Damit es nicht auffiel biss sie gleichzeitig in ihre fettbestrichene Brotscheibe. Mit dem Kauen rang sie die enttäuschte Hoffnung auf eine möglichst gesprächsarme Reise nieder und setzte danach mit viel Verzögerung zu einer Antwort an.
„Ich kehre Heim“, erklärte sie und schaute den Nord kurz an, bevor sie abermals von der Stulle abbiss.
„Ah, die Familie ruft?“
„Sozusagen.“
„Wart Ihr lange weg?“ Hrothluf trank etwas, während er auf eine Antwort der Kaiserlichen wartete, die sich weiterhin nicht beeilte auf seine Fragen einzugehen.
„Es sind jetzt ziemlich genau sechs Wochen.“
„Oh, eine ziemlich lange Reise also. Geschäftlich unterwegs?“
„Nein.“ Nach kurzem Überlegen erschien Vesa die Antwort für die Freundlichkeit des Nords dann doch etwas unangemessen. Sie trank einen Schluck und setzte dann fort: „Eine private Unternehmung.“
„Ich bin sicher, dass man sich über Eure Rückkehr freuen wird.“ Die Jägerin setzte ein schmales Lächeln auf und schob den Teller von sich.
„Meine persönlichen Sachen stehen noch unten. Ich würde sie dann holen und auf meinen Karren legen. Danach können wir jederzeit aufbrechen, wie es Euch beliebt.“ Der Mann nickte.
„In Ordnung, ich wart‘ solang‘ hier. Bezahlt ist bereits.“ Vesana erhob sich und verschwand nach unten.
Wenig später, die Sonne zögerte noch immer sich über die Hausdächer der alten, dicht gebauten Stadt und die Zinnen ihrer Schutzmauer zu erheben, durchschritt die Kaiserliche an der Seite des über anderthalb Köpfe größeren Hrothluf die mächtigen Stadttore Windhelms. Die Wachen in ihren dick-gefütterten, fellgesäumten Rüstungen öffneten es ihnen nach kurzem, argwöhnischem Blick in Richtung der Jägerin. Davon, dass ihr einziger Ansatzpunkt für Misstrauen nur die Rasse der Frau war, ließen sie sich vermutlich von selbst eines Besseren besinnen und so kamen sie ihrer Pflicht entsprechend nach.
Außerhalb der schützenden Wälle pfiff der Wind mit kalter Schärfe. Die steilabfallenden Berghänge, der Fjord und die karge, baumlose Umgebung boten keinerlei Abschirmung gegen die schnell drehenden Böen. Darüber hinaus befanden sie sich auf der Brücke, die den bald nur noch Fluss breiten Fjord vor der Stadt überspannte, in besonders exponierter Lage. Dazu war es fast noch Nacht und weitestgehend wolkenlos. Augenblicklich fröstelnd zog Vesa die Jacke weiter zu, schlug sich die Kapuze über das Haupt und ihr Tuch vor Mund und Nase. Der rothaarige Nord bemerkte es mit einem „Ziemlich ungemütlich, was?“ und obwohl er sich von Natur aus weniger vor derartiger Kälte fürchten musste, schien es auch ihm frisch zu werden.
„In der Tat“, entgegnete seine Begleiterin kurz angebunden und biss die Zähne fest aufeinander, um ein Zittern der Lippen und des Kiefers zu unterdrücken. Es gelang nur sehr eingeschränkt. Immerhin die Anstrengung vom Ziehen des Karrens sorgte dafür, dass sie nicht noch mehr fror. Im Gegensatz zu den ewig weißen Gebieten Solstheims würde sich die Luft hierzulande allerdings schnell etwas aufwärmen, sobald die Sonne richtig am Himmel stand. Dass die weitläufigen Talbereiche, die die Kaiserliche von der Brücke aus einsehen konnte, nicht im Weiß versanken, sprach eindeutig dafür. Während sie sich so umschaute und versuchte vom Klima abzulenken, erreichten die Beiden auch schon die Stallungen am Ufer gegenüber der Stadt. Etwas mühevoll, da sie sich nach wie vor nicht auf der Höhe ihrer körperlichen Leistungsfähigkeit befand, bremste sie den Wagen auf dem leicht abschüssigen Weg bis zu dem Bretterverschlag unter dem einige Pferde mit Wolldecken überzogen standen und sich dicht zusammendrängten. Konstante Dampfwolken standen ihnen vor den Mäulern. Im Hintergrund, mit einer Plane abgedeckt, entdeckte die Kaiserliche noch einen größeren, zweiachsigen Karren – der einzige in unmittelbarer Nähe. „Ist das dort Eurer?“ Sie deutete auf das Gefährt.
„Ja. Bringt Eur‘n Wag‘n schon dort hin. Wir bind’n ihn dann hint’n an.“ Sie tat, wie ihr geheißen und wartete im Anschluss gegen einen der Stützbalken im offenen Teil der Ställe gelehnt. Die Arme schlang sie um den Körper. Es dauerte nicht sehr lange, dann kehrte Hrothluf zu ihr zurück – ein braunes Pferd, mit dichtem, etwas längerem Fell im Schlepptau.
„Dann woll’n wir mal.“ Nach seinen Worten stieß sich Vesana von dem Balken ab, half dem Nord dabei, das Zugtier vor den Karren zu spannen und schließlich zurrten sie ihren eigenen Wagen auch noch fest. So reisefertig gemacht und mit jeweils einer Decke des Mannes um den Schultern für die ersten Stunden der Reise, half dieser der Kaiserlichen auf die Sitzbank am vorderen Ende des Gespanns hoch. Bevor er selbst aufstieg, ging er noch einmal zu seinem Pferd vor und holte zwei Möhren aus einem kleinen Beutel am Gürtel hervor. Kurz streichelte er es über den Kopf, knutschte es auf die Nase und gab ihm dann mit einem „Gute Berta“ die Leckerbissen. Anschließend schwang er sich neben seine Reisegefährtin auf die Bank und griff nach den Zügeln. „Dann woll’n wir mal.“ Kurz knallte der Lederriemen, als er ihn fast schon peitschend schlug, dann setzten sie sich zuckelnd, ruckelnd und holpernd in Bewegung. Mit Schwert, Bogen und Köcher zwischen die Beine geklemmt, beugte sich die Jägerin vor, stützte sich auf die eigenen Beine und versuchte so wenig offene Stellen, wie möglich, für den Wind zu lassen. „Weißlauf … Lebt Ihr schon lang‘ dort?“ Vesana schloss für einen sehr langen Moment die Augen und atmete tief ein.
Zum nächsten Beitrag
Himmelsrand, Straße nach Weißlauf, Südlich von Windhelm
<< Zum vorherigen Beitrag
Nicht mehr in unmittelbarer Stadtnähe, verschlechterten sich die Straßenverhältnisse zusehends. Aber wenigstens blieben die ausgefahrenen Spurrinnen der zahlreichen Karren, die hier, wenn schon nicht täglich, so doch wöchentlich entlangkamen. Regelmäßig stauchte größeres Holpern Vesanas Oberkörper zusammen und jagte feurige Stiche durch ihre Brust. Aus diesem Grund verlegte sie sich oft genug darauf, neben dem ohnehin langsam zuckelnden Wagen herzulaufen. Auf den unebenen Wegen und den steilen Auf- und Abfahrten in dem bergigen Terrain ging es für das alleinige Zugtier auch einfach nicht schneller. Durch den größeren Abstand, manchmal kundschaftete sie auch voraus oder lief etwas hinterher, entging die Kaiserliche auch regelmäßig diversen Gesprächsversuchen. Ab und an fragte sie sich wirklich, ob die Leute es nicht merken wollten, dass ihrem Gegenüber nicht nach einem Plausch war, oder ob sie schlicht zu unfähig waren es zu erkennen. Am Ende spielte es wohl keine Rolle, denn der Effekt blieb derselbe – und abgesehen davon konnte sie auch schlecht klagen, immerhin kam sie völlig umsonst und sogar noch mit kostenfreier Verpflegung nach Weißlauf. Ein Glücksgriff blieb es also dennoch. Gelegentlich wechselten sie sich auch ab mit dem Führen des Wagens, damit sich Hrothluf ebenfalls die Beine vertreten konnte.
Mit dem Ansteigen der Temperaturen sah sich Vesa auch bald gezwungen die Decke des Nords abzulegen und ihre Jacke auszuziehen. Es verwunderte immer wieder wie es in diesen kargen Höhenlagen und noch dazu so weit im Norden derart warm wurde. Aber so empfand sie es noch immer besser als wenn sie sich wie am Morgen und auf Solstheim alle möglichen Körperteile abfror. Allein der Gedanke an die Insel sorgte dafür, dass sie mit den Zähnen knirschend schneller stapfte und den Wagen hinter einer Kuppe am zum Fluss zu ihrer Rechten abfallenden Berghang zurückließ. Der Strom rauschte ein ganzes Stück unter ihnen und mündete kurz vor Windhelm mit einem weiteren Zufluss in den Fjord. Er würde ihnen noch lange den Weg weisen, denn trotz eines kleinen Stromes aus dem südlichen Hochland um Rifton, der sich am Rande des niedriger liegenden Moorlandes entlang zog, entsprang der überwiegende Teil der Wassermassen den dichten Hochwäldern im Falkenring-Tal. Sie ergossen sich vorbei an Flusswald und Weißlauf und rauschten durch eine enge Schlucht immer weiter Richtung Norden.
Weißlauf … jeder Schritt brachte sie näher und verdrängte den Ärger, den sie mit dem Abschluss ihrer Reise zur Insel verband. Bis sie am höchsten Punkt der nächsten Kuppe angekommen war, verspürte sie nichts mehr von der um sich schlagenden Wut in ihrem Bauch und so setzte sie sich auf einen etwas größeren Stein am Wegesrand, ließ die Beine über die Kante baumeln und betrachtete die tosenden Wassermassen weit unter ihr. Hrothluf hörte sie irgendwo auf dem Stück Weg, das hinab in die von ihr schon durchquerte Senke führte. Das Klappern und Holpern des Wagens ließ sich leicht vernehmen – auch über das konstant im Hintergrund stehende Rauschen des Flusses. Wie hieß er denn gleich noch? Sie überlegte angestrengt, um sich die Zeit zu vertreiben. Manchmal kniff sie die Augen zusammen, wenn sich ihr der Name gerade so am Rande der Erinnerung in dichtem Nebel entzog und sie versuchte ihn zu greifen. Darin scheiternd nahm sich die Jägerin schnell einen kleinen Stein aus ihrer Nähe und schleuderte ihn hinab zu der namenlosen Wasserschlange.
Inzwischen fehlte nicht mehr viel, bis der Nord mit seinem Karren dieselbe Anhöhe erreichte und so stand Vesana auf, um sich zum Weitermarschieren bereit zu machen. Sie blieb am Wegesrand stehen, bis Hrothluf und Berta mit ihr auf einer Höhe waren, dann lief sie neben dem Gespann her. „Irgendwas entdeckt?“, wollte der Reiseführer wissen.
„Nein, nichts Besonderes.“ Vögel, Pelztiere, Büsche, Steine, Schnee in höheren Lagen auf den Bergen. Mehr nicht. Das Land lag so friedlich da, wie es eben nur daliegen konnte. Fast idyllisch, wäre es nicht so langweilig gewesen. „Sagt Bescheid, wenn Ihr Euch wieder die Beine vertreten wollt, dann kann ich die Zügel nehmen.“
„Das mach‘ ich, danke. Vielleicht nach der nächst‘n, oder übernächst‘n Anhöhe.“ Vesa nickte nur und schwieg. So reisten sie eine Weile, bis es der Kaiserlichen schließlich wieder zu anstrengend wurde, zu gehen, und sie sich zurück auf die Sitzbank begab. „Sagt, wo habt Ihr eigentlich das Kämpf’n gelernt?“, nahm der Rothaarige prompt das Gespräch auf. Für die Kaiserliche kam die Frage etwas überraschend.
„Wie kommt Ihr jetzt darauf?“
„Nun, wenn ich meine Sicherheit schon in Eure Hände geb‘, muss ich doch auch wiss’n, woher Ihr kämpf’n könnt“, erklärte der Nord. Es leuchtete ein, dass er fragte, wenngleich er es reichlich spät wissen wollte.
„Bei der Kämpfergilde in Bruma“, erwiderte die Jägerin daraufhin.
„Ah, verstehe. Ein weiter Weg von Bruma bis hierher.“
„Ja, ist es.“ Sie mahlte leicht mit den Zähnen aufeinander. Oh, wie sie keine Lust hatte, und ihre Bücher lagen auf ihrem eigenen Karren ganz hinten am Gespann – vorerst vollkommen außer Reichweite.
„Seid Ihr damals direkt nach Weißlauf gekommen?“
„Nein. Ein Jahr bin ich herumgereist, bevor ich nach Weißlauf kam.“ Sie dachte nicht allzu gerne an diese Zeit zurück. Viel zu wechselhaft und unkontrolliert schritt ihr Leben damals voran. Machtlos, beschrieb ihren Zustand nicht im Entferntesten. Eine Phase geprägt von Gewalt und Tod, wie auch Ekstase und Rausch – nichts, wofür sie übermäßig Stolz empfand, aber sie bereute es im Gegenzug auch kein Bisschen. Immerhin war es die Grundlegungsphase für ihre folgenden Lebensjahre. Es dauerte seine Zeit, bis Vesana diesen ungestümen, ja stürmischen, Abschnitt überwunden hatte, aber die gewonnene Kontrolle über ihr Leben würde sie sich von niemandem mehr nehmen lassen. Niemandem.
„Vermisst Ihr Eure alte Heimat nicht?“, fragte Hrothluf weiter. Allmählich regte sich Widerstand in ihrem Bauch, weiterzusprechen. Nicht nur, dass es sie störte, ständig reden zu müssen, nein, es kamen auch noch Themen auf, die den Nord schlicht nichts angingen. Tief ausatmend schloss die Kaiserliche die Augen, lehnte sich zurück und faltete die Hände auf dem Bauch zusammen. Die Sonne im Gesicht versuchte sie die sanfte Wärme auf der Haut zu genießen und sich abzulenken, zu beruhigen.
„Nein“, antwortete sie schließlich. Es gab Dinge, die sie vermisste, aber gewiss nicht in der Kämpfergilde oder aus der Zeit, während sie dieser angehörte. Auch die Tatsache, dass sie sich der Gilde unverändert zu Dank verpflichtet fühlte – immerhin hatte sie dort Grundlagen über den Schwertkämpf, das Bogenschießen und allgemeine Selbstverteidigung, sowie das Jagen erlernt – änderte nichts daran, dass sie um keinen Preis wieder zurückkehren wollte. Aber all das und was sie wirklich vermisste, musste und sollte der Wagenführer nicht wissen. Abgesehen davon wollte sie sich nicht derart weit zurückerinnern, es hätte nur ihre Freude über die Heimkehr getrübt, und das wollte sie nicht.
„Dann seid Ihr ein beinah‘ echtes Kind Himmelsrands“, witzelte Hrothluf daraufhin. Vesa verleitete es zu einem verhaltenen Schmunzeln.
„So könnte man es ausdrücken“, kommentierte sie, „auch wenn es wohl mehr als nur eine Hand voll Leute gibt, die Euch widersprechen würden.“
„Ach, macht Euch nichts aus diesen Leuten.“ Tat sie auch nicht. „Heimat ist, wo Ihr Euch zu Hause fühlt.“ Wange und Augenwinkel in der dem Nord abgewandten Gesichtshälfte zuckten kurz unangenehm. Damit hatte er zwar verdammt Recht, aber es hatte Jahre gedauert, bis sie sich wirklich heimisch gefühlt hatte bei den Gefährten. Und selbst jetzt galt sie eher noch als verschwiegene Einzelgängerin, die überwiegend nur mit den höherrangigen Mitgliedern verkehrte. Nicht weniger loyal zur Gemeinschaft als der Rest, aber eben doch eher einzelnstehend. Zu den neusten Zugängen und vielen anderen, die nicht dem Zirkel angehörten, bestand für sie kaum eine Verbindung. Es hießen sie natürlich trotzdem alle willkommen, immerhin verband sie ihre Gemeinschaftszugehörigkeit, aber es bedeutete der Jägerin eigentlich nur bei einer kleinen Anzahl an Leuten tatsächlich etwas.
„Das ist wahr“, entgegnete sie mit reichlich Verzögerung auf die Äußerung des Nords. Es wurde Zeit, dass er sich die Beine vertrat – er stimmte sie eindeutig zu nachdenklich, oder zumindest mehr, als sonst und als es ihr lieb war in diesem Moment. „Lasst mich einmal die Zügel übernehmen.“
„Gute Idee!“ Er reichte ihr den Lederriemen und stieg vom Kutschbock, während sie gerade auf einer Anhöhe des Weges ankamen. Sie setzte sich mittig auf die Bank und atmete erleichtert durch. Wenigstens für die nächsten Meilen oberhalb des Flusses hatte sie erst einmal wieder ihre Ruhe. Fluss. -fluss … Weißfluss! So hieß er, der Strom, dem sie bis ins Fürstentum Weißlauf folgten.
Zum nächsten Beitrag >>
Himmelsrand, Fürstentum Ostmarsch, Straße nach Weißlauf
<< Zum vorherigen Beitrag
Mit lautem Klacken prallten die hölzernen Klingen aufeinander und sandten eine unangenehme Schockwellte durch Hand, -gelenk und Unterarm, die vorübergehende Taubheit hervorrief. Vesana drehte sich unter den gekreuzten Übungsschwertern mit Eisenkern hindurch, um den in den Arm gelegten Schwung weiter zu nutzen und zog ihre Waffe in einer tiefen Kreisbahn gegen die Hüfte ihres Gegners nach. Dieser wich jedoch zurück, seine Füße wirbelten auf dem trockenen Erdboden Staub auf, und ließ ihren Schlag ins Leere laufen. Wie so oft zuvor umkreisten sich die Kontrahenten, mit erhobenen Schwertern belauerten sie sich, Schweiß rann über die Haut – egal ob frei, oder von leichtem Stoff bedeckt – troff vom Kinn und anderen hervorstehenden Körperecken. Schwer hoben sich ihre Brustkörbe. Ab und an mussten sie die mit Leder umschlagenen Hefte nachgreifen.
So wie sich die seitlichen Zöpfe der Jägerin allmählich aufzulösen begannen, solange dauerte die Auseinandersetzung zwischen den zwei Kaiserlichen inzwischen, so durcheinander lagen die fingerlangen, schwarzen Haare ihres Widersachers. Sein sauber getrimmter Kantenbart glänzte ebenso feucht wie seine Haut, doch die dunkelbraunen Augen wirkten wach und ließen nicht auf Erschöpfung schließen. Im Gegenteil, sie strahlten Ruhe aus – Wachsamkeit, aber auch Gelassenheit. Mit der freien Linken strich er sich eine Strähne des dunklen Haars aus der Stirn ohne die Augen von Vesana zu nehmen und sich dadurch eine Blöße zu geben. Diese spürte einen einzelnen Schweißtropfen über ihre Stirn rinnen und in ihrer rechten Augenbraue verschwinden, gleich darauf sammelte er sich aber wieder an deren unteren Rand. Es würde nicht mehr lange dauern, bis er ihr ins Auge tropfte.
Auf der Terrasse zum hinter Jorrvaskr liegenden Übungsplatz standen die übrigen Mitglieder der Gefährten, die an diesem heißen, wolkenlosen und windstillen Tag im Spätfrühling 4Ä 197 nicht gerade auf Mission waren. Gespannt schweigend und nicht einmal bei knapp ausgehenden Schlagabtauschen mitgerissen stöhnend beobachteten sie den Kampf zwischen Vesa und Darius, der inzwischen mehr als doppelt so lange dauerte wie jeder andere Übungskampf der Jägerin mit den Nicht-Zirkelmitglieder der Gefährten. Sie spürte die vielen Augenpaare auf sich, doch störte sie sich nicht daran. Einzig ihre eigenen Erwartungen lasteten schwer auf ihr. Seit über sechs Monaten ungeschlagen gegen jedes einfache Mitglied der Gemeinschaft. Einzig gegen die Zirkelmitglieder hatte sie regelmäßig verloren. Und jetzt sollte ihr dieser Welpe, kaum drei Monate Mitglied der Gefährten, gefährlich werden? Niemals!
Bevor der Schweißtropfen an ihrem Auge hinabfallen konnte, führte sie einen Schlag von hoch oben diagonal nach links unten. Während der schwarzhaarige Kaiserliche blockte, drehte sie sich an ihm vorbei um die eigene Achse, schleuderte die salzige Perle davon, und wiederholte den Hieb, diesmal in seinem Rücken. Nur um Haaresbreite entkam er diesem mit einer echten Waffe normalerweise tödlichen Schnitt, taumelte nach vorn, fiel und rollte sich über den staubigen Boden ab. In einigen Schrittlängen Entfernung kam er auf die Füße, Knie gebeugt, das Schwert lauernd an der Seite im Handgelenk kreisend. Sein inzwischen wieder wohlgenährter, trainierter Körper hüllte sich in feines, braunes Pulver, das schnell zu Schlieren verwischte. Beide hatten den Mund dauerhaft offenstehen wie Raubtiere auf der Jagd, so schwer atmeten sie inzwischen. Beinahe glaubte Vesana sogar, sein Herz in der nackten Brust schlagen zu sehen. Vielleicht war es aber auch nur Einbildung, weil ihr eigenes so schnell schlug. Die Pausen zwischen Phasen des Austauschs von Schlägen zogen sich mittlerweile länger hin, die Erschöpfung zog allmählich in ihre Muskeln ein und keiner wollte deshalb einen Fehler begehen.
Dann setzte Darius an, rannte auf sie zu und führte einen mächtigen Hieb von der Seite. Mit Mühe lenkte ihn die Kaiserliche ab, doch folgte sofort ein weiterer von schräg oben. Block. Ein abgesetzter Schlag von unten, links, rechts, oben, oben, unten, zum Abschluss ein Stich und wieder standen sie sich gegenüber, hechelnd. Leichtes Zittern setzte ein, als sich die Taubheit im rechten Arm abermals zu legen begann. Vesa musste schnell handeln, wollte sie noch gewinnen. Sie war schneller und wendiger als ihr Widersacher, dafür besaß er mehr Kraft. Ihre einzige Chance bestand in der Flucht nach vorn, einem Hagel von Schlägen, während dem der muskulöse Mann irgendwann einen Fehler begehen musste.
Eine Finte in seine rechte Flanke, während sie mit einem Nachstellschritt an seine linke Seite kam. Während sie sich an ihm vorbeiwand, zog sie ihm mit der Verse den linken Fuß weg, brachte ihn aus dem Gleichgewicht und führte die Holzklinge in einem hohen Hieb auf die Schulter seines linken Armes. Wie er diesen noch rechtzeitig ablenkte, sollte ihr ein Rätsel bleiben, aber er schaffte es. Taumelnd kam er vor ihr auf die Füße und versuchte seine Waffe zwischen sich und die Jägerin zu bringen. Diese führte jedoch keinen Schlag, sondern einen Stich gegen seine Brust. Er beugte sich nach hinten, entkam dem Treffer, doch hielt er sein Schwert in der Überraschung lockerer. Das nutzte Vesana, ließ das ihre im Handgelenk kreisen und verkeilte es zwischen Klinge und Parierstange an Darius‘ Waffe. So verkeilt war es ihr ein Leichtes ihn zu entwaffnen. In hohem Bogen flog das Übungsschwert über sie hinweg, landete irgendwo außer Sicht im Dreck, doch das spielte auch keine Rolle mehr – ihre Schwertspitze drückte sich inzwischen gegen die Brust des Schwarzhaarigen. Applaus donnerte von der Terrasse.
Mit weit aufgerissenen Augen betrachtete ihr Kontrahent die Kaiserliche, atmete unverändert schwer, Schweiß floss ihm in Strömen am Leib hinab und Erschöpfungszittern ergriff von ihm Besitz. Vesa nahm ihre Waffe nun runter und ließ sich anschließend rücklings einfach in den Dreck sinken. Das Schwert neben sich fallen gelassen, legte sie die Hände auf die Stirn und schloss die Augen. Es gab keine Stelle mehr, an der ihre Tunika noch nicht klitschnass an ihrem Körper klebte. Der Beifall endete inzwischen und die meisten der Zuschauer gingen wieder ihrer Wege, wie die Kaiserliche bemerkte, als sie die Augen öffnete. In diesem Moment schob sich ein Schatten über sie und jemand reichte ihr die Hand, um ihr auf die Füße zu helfen. Es war Darius, wie sie wenig später feststellte, als er nicht mehr direkt in der Sonne stand. „Ein guter Kampf“, befand er.
„In der Tat“, entgegnete sie mit einem Nicken, hob ihre Waffe auf und machte sich daran, zu Aela und Farkas, die noch auf der Terrasse zurückgeblieben waren, hinüberzugehen. Ihr Gegner folgte kurz darauf.
„Sehr spannend“, lobte die rothaarige, hochgewachsene Nord mit der markanten Kriegsbemalung im Gesicht. Der bärenstarke, aber nicht unbedingt hellste Gefährte an ihrer Seite brummte zustimmend. Vesana nahm sich einen der zwei Wasserkrüge, die auf einem nahen Tisch standen. Erst schüttete sie sich einen Teil des Inhalts über den Kopf, genoss das kühle Nass, wie es von oben ihren Körper hinabfloss und die Hitze, die sie in sich spürte, wenigstens von außen etwas bekämpfte – danach setzte sie das Gefäß mit beiden Händen an die Lippen und trank gierig. Darius tat es ihr gleich, während die beiden Zirkelmitglieder geduldig warteten, dass sie Kontrahenten vom Kampfrausch wieder etwas runterkamen. Erst danach setzte Aela erneut an zu sprechen und fixierte dabei die Kaiserliche. „Der Zirkel hat eine neue Aufgabe für Dich, Vesa.“
„So? Was soll es sein?“
„Du wirst einen Welpen ausbilden“, erklärte Farkas und grinste, weil er genau wusste, dass die Jägerin zuvor wenige Ambitionen gezeigt hatte, freiwillig einen zu übernehmen. Nicht zuletzt, weil sie nach ihrer eigenen rasanten Weiterentwicklung derartige – teils utopische Ansprüche – an andere anlegte. Und obwohl hohe Ansprüche durchaus vorteilhaft für einen Schüler sein mochten, konnten sie auch zu dessen Scheitern führen. Abgesehen davon war sie seit gerade einmal einem viertel Jahr selbst ein vollwertiges Mitglied der Gemeinschaft.
Seufzend fragte sie: „Wen?“ Aela nickte leicht an ihr vorbei, sie wandte sich um und blickte in Darius‘ schmutzverklebtes Gesicht. Er schien noch nicht ganz realisiert zu haben, worum es überhaupt ging – Ratlosigkeit zeichnete seine festen Züge.
„Die übrigen Zirkelmitglieder erkennen Deine Gründe für das Desinteresse an der Ausbildung eines Welpen an, glauben jedoch, dass sie in diesem Fall keine Gültigkeit besitzen“, sprach die erfahrenere Jägerin weiter.
Skeptisch zog Vesana eine Augenbraue hoch. „Inwiefern?“ Sie nahm noch einen Schluck Wasser, ohne die Augen von ihren Gesprächspartnern zu nehmen.
„Ihr seid euch vergleichsweise ebenbürtig, so dass auch Du noch etwas lernen kannst.“ Die Kaiserliche lachte kurz auf.
„Ebenbürtig, so?“ Sie wandte sich Darius zu und nahm sich eines der Holzschwerter, die inzwischen auf dem Tisch lagen. Kurzerhand drückte sie es ihm gegen die Brust, bis er es mit einer Hand selbst festhielt. „Das wollen wir erst noch sehen. Abmarsch.“
„Das heißt, Du nimmst an?“, hakte Farkas nach und erntete ein grimmig-schiefes Lächeln.
Rückblickend wusste sie nicht mehr genau, was sie dazu bewegt hatte, die Aufgabe so umstandslos anzunehmen. Vielleicht weil ihr der Kampf gegen Darius Spaß bereit hatte und sie mit ihm auf gleichem Niveau trainieren konnte, ohne sich grämen zu müssen, dass man es ihr leicht machte. Vielleicht auch, weil er nicht weniger ehrgeizig war, als sie und seine eigene Entwicklung nach Eintritt in die Gemeinschaft der Gefährten ähnlich schnell voranschritt, wie die ihre. Die Zirkelmitglieder hatten daher durchaus rechtgehabt, als sie meinten, auch Vesana könne noch etwas dazulernen. Vermutlich wusste sie all das zum Zeitpunkt der Aufgabenverteilung instinktiv schon. Und womöglich gefiel ihr zu allem Überfluss an guten Gründen der Gedanke an diese neue Herausforderung mehr, als die Vorbehalte, die sie bis dahin gehegt hatte, sie zu hemmen vermochten.
Jetzt nahm sie das Stofftuch von ihrem Kopf, schüttete den stinkenden Heiltrank irgendwo an einen Busch und verstaute den Rest bei ihren Sachen. Nach dem Dampfbad verlor sich ihr Blick im Lagerfeuer am Abend des zweiten Reisetages nahe dem Zufluss aus dem Rifton-Plateau in den Weißfluss. Hrothluf schlief bereits fest. Sie saß also allein den knisternden Flammen gegenüber – Darius war fort, sie Zirkelmitglied, nur noch wenigen unterlegen, den meisten ebenbürtig. Allein in der Dunkelheit der sternenklaren Nacht nützte ihr all das jedoch wenig. Einsamkeit lastete schwer auf ihren Schultern. Nur noch vier, höchstens fünf, Tage, dann wäre sie wieder zu Hause, hätte sie wieder Freunde um sich. Es wurde Zeit, dass sie zu ihrem Alltag zurückkehrte. Egal, wie schwer es ihr auch fiel, sie konnte nicht ständig in Erinnerungen oder Gefühlsausbrüchen hängen bleiben. Wo käme sie da bloß hin, man stelle sich nur einmal vor, jemand würde sie dabei beobachten. Nein, soweit würde sie es nicht kommen lassen. Sie musste schleunigst ihre alte Standfestigkeit zurückgewinnen und diese Schwächephasen überwinden, hinter sich lassen. Und doch … die Einsamkeit würde auch zurück in Jorrvaskr nicht vollends verfliegen, dessen war sie sich sicher.
Grummelnd legte sie sich auf die Seite, stützte den Kopf auf die Hand und starrte weiter in die Flammen. Die Decke zog sie höher und wartete, bis Hrothluf sie mit der Wache ablöste.
Zum nächsten Beitrag >>
Himmelsrand, Fürstentum Ostmarsch, Straße nach Weißlauf
<< Zum vorherigen Beitrag
Mehr oder weniger parallel zu den mächtigen Kaskaden des Weißflusses arbeitete sich ihr Gespann die steilen Serpentinen Manneshöhe um Manneshöhe die Felswand hinauf. Der dritte und vierte Tag boten tatsächlich einmal Abwechslung. Kaum hatten sie den Zufluss aus dem Süden überquert, waren sie in dichten Bergwald eingetaucht und würden ihn auch noch an diesem Tag wieder verlassen – nach oben verlassen. Die Straße führte sagenhaft steil ins Tal der Valtheimer Türme hinauf, das das Fürstentum Ostmarsch mit der Tundra um Weißlauf verband. Ein ebenso schöner, wie gefährlicher Reiseabschnitt. Das Gebiet unten vom Wald bis hinauf zu dem verfallenden Turm wurde regelmäßig von plündernden Gruppen heimgesucht, öfter als sie an Händen und Füßen zusammen abzählen konnte wurde Vesana mit den Gefährten entsandt, um dem raubenden Treiben ein Ende zu setzen. Entsprechend wachsam beobachtete sie ihre Umgebung. Zwar glaubte sie nicht an einen Überfall während des Aufstiegs durch die spitzen Serpentinen, aber wer wusste schon, was hinter der Abbruchkante lauerte, die mit jedem Schritt von Berta dem Pferd näher rückte?
Über das tosende Donnern der Wassermassen des Stromes zu ihrer Rechten würde jedenfalls keiner von ihnen Rufe von Banditen, oder möglicherweise das Pfeifen von Pfeilen vernehmen. Ihre Augen wären die einzige Möglichkeit der frühzeitigen Warnung, also behielt sie die Kaiserliche offen. Ihre persönliche Anspannung spiegelte sich nicht nur in ihrem aufrechten Sitz und den um Schwert und Bogen fester greifenden Händen wider, es färbte auch auf Hrothluf ab. Oder färbte er auf sie ab? Es spielte keine Rolle. Auch er ließ die Augen schweifen und zusätzlich zum im Wald festhängenden Sprühnebel der Kaskaden rannen Schweißperlen über seine freie Haut in Gesicht und Nacken. Er schwieg – und das sprach Bände.
„Ich kundschafte etwas voraus“, entschied die Jägerin und kletterte einige Kurven unterhalb der Abbruchkante und inzwischen oberhalb der Wipfel der letzten Bäume vom Wagen. Schwert und Bogen band sie sich auf den Rücken und mit schnellen, zielsicheren Schritten ließ sie das Reisegespann hinter sich zurück. Mittlerweile fielen ihr derartige, körperlich stark in Anspruch nehmende Bewegungen immer leichter. Vor allem nach dem letzten Heiltrank und mit dem Auslauf, den sie während der Reise auch zuvor schon hatte, baute sich ihre Ausdauer schnell aus. Zwar wäre sie noch immer nicht im Stande, längere Strecken zu rennen, aber wenigstens schnelles Wandern im unwegsamen Gelände bereitete ihr kaum noch Schwierigkeiten – abgesehen davon, dass es sie dennoch schwer atmen ließ. Ein kurzer Blick zurück verriet der Kaiserlichen außerdem, dass sie durchaus noch sehr flink in solchem Terrain zu Fuß war – der Nord und sein Wagen hatten in der Zeit, in der sie ihr Ziel schon erreichte, kaum zwei Serpentinen zurückgelegt. Zufrieden stahl sich ein Lächeln auf ihre Lippen, die sie nun wieder zusammenpresste, um die angestrengte Atmung zu beruhigen und den Puls zu drücken. Hier oben hallte das Rauschen des Wassers weniger stark wider, weshalb sie mehr Geräusche aus der Umgebung vernahm und das wollte sie sich nicht durch rauschendes Blut in den Ohren zunichtemachen lassen.
Die letzten Schrittlängen schob sich Vesana nun vorsichtig und langsam im Schutz einiger größerer Felsbrocken vorwärts. Das karge Tal wies kaum noch Vegetation auf, die größer als ein kleiner Strauch oder Busch war, weshalb sie besonders auf der Hut sein musste, wollte sie nicht von möglichen Räubern entdeckt werden. Kurzes Kreischen ließ sie zusammenfahren und die Augen weit geöffnet über die steilen Berghänge zu beiden Seiten der Flusskerbe schweifen lassen. Aber am leicht bewölkten Himmel machte die Jägerin alsbald einen Adler aus, der wohl als Quelle des Geräusches zu werten war. Es kam vor, dass Banditen Tiergeräusche imitierten oder gar Falken als Warnsystem einsetzten, um Gefahren zu kommunizieren. Allerdings hatte sie noch keine Gruppe getroffen, die einen Adler einsetzte. Zu stolz und eigensinnig waren die Tiere, als dass sie sich von einem Haufen Halunken zähmen ließen.
Vorsichtig pirschte sie weiter und behielt dennoch die Hänge mit im Auge. Sicherheitshalber. Außerdem erwachte ihr Jagdfieber. Zähnebleckend drückte sie sich in den Sichtschatten eines Felsens, von dem aus sie leicht bis zu den alten Türmen sehen konnte, die – durch eine schmale Brücke verbunden – an beiden Ufern des Weißflusses standen. Es wirkte friedlich, ruhig. Fast schon zu ruhig. Adrenalin pumpte durch ihre Adern während sie den Bogen vom Rücken nahm und einen Pfeil zog, beinahe hoffend, dass sich doch noch Ziele zeigen würden. Sämtliches Gefühl von Anstrengung durch den zügigen Aufstieg verflog während ihre Sinne die Umgebung abtasteten. Inzwischen vernahm sie auch wieder das Holpern der eisenbeschlagenen Wagenräder, das sich langsam aber stetig weiter nach oben kämpfte. Aber auch als sich das Gespann schließlich über die Kante schob und Vesana dem etwas verwirrt dreinschauenden, verunsicherten Hrothluf per Handzeichen zu verstehen gab, dass er einfach weiterfahren sollte, regte sich nichts. Weder zuckte sich etwas vor dem Turm an ihrem Ufer, noch auf der Brücke oder am steilen Hang auf der anderen Flussseite.
Ein Anflug ungemütlicher Schwere legte sich auf ihren Magen, als die Kaiserliche nach weiterem Warten enttäuscht schnaufend aufstand. Die einfache Schusswaffe aus Holz in der Rechten, ein Pfeil mit Zeigefinger und Bogensehne fixiert folgte sie letzten Endes dem Nord den leicht abschüssigen Weg hinab zum Turm auf ihrer Seite. „Scheint verlass‘n.“ Der Rothaarige wirkte sehr erleichtert, seine Schultern höher als zuvor, sein Stand aufrechter und die Stimme befreiter.
„In der Tat“, entgegnete Vesa und verstaute Bogen und Pfeil im Köcher. Sie kniete sich neben eine erloschene Feuerstelle vor dem Eingang in den Turm. Tasten bestätigte die Vermutung: kalt, nass und schon lange nicht mehr in Brand gewesen. Hier hatte sich mindestens eine Woche lang niemand mehr aufgehalten. Die Jägerin schaute zu ihrem Reiseführer hinauf, der gerade Berta am Kopf tätschelte, dann hinauf zum Himmel und wieder zurück. „Die Sonne steht schon tief und einen besseren Rastplatz werden wir auf den nächsten Meilen kaum noch finden.“
„Da habt Ihr Recht.“ Das Pferd band er kurzerhand vom Wagen los und an einem schweren, nahegelegenen Stein fest. Ohne ihn weiter zu beachten, trat die Kaiserliche auf die modrige, aus den Angeln gerissene Tür zu, die in das Innere des Gemäuers führte und den Eingang weiterhin versperrte. Angestrengt brummend zerrte sie das mit Wasser vollgesogene Holz zur Seite, nur um gleich darauf ihr Schwert zu ziehen. Das markante Schleifen hallte aus der feuchten Dunkelheit im Turm zurück. Nichts regte sich und auch als sich ihre Augen zunehmend an den Lichtmangeln innerhalb der alten Mauern gewöhnten, entdeckte sie nichts im Eingangsbereich oder auf der Steintreppe weiter nach oben, das irgendwie bedrohlich werden mochte. Sie würde später mit Fackellicht noch einmal tiefer in das verlassene Gebäude eindringen, aber dafür mussten die alten Fackeln an den Wänden erst einmal an ihrem Feuer trocknen – vorerst zog sie sich aus dem nach Fäulnis stinkenden Gemäuer zurück. Wie es diese Banditenbanden länger als eine Nacht in solchen Umgebungen aushielten, blieb Vesana nach wie vor ein Rätsel, schon jetzt ließ ihr der Geruch den Appetit vergehen. Aber vermutlich machte einem eine solche Umgebung nicht so viel aus, wenn man selbst schon derart verdorben war, wie die meisten Räuber. Mit Zähnen schwarz wie die Nacht und Mundgeruch so stark, dass er einen Troll neidisch werden ließ, stumpften sie womöglich gegen Umgebungsgerüche ab. Vielleicht ein etwas übertriebenes Bild, gestand sie sich ein, aber irgendwo doch treffend. Auf alle Fälle eines, dass sie verdienten.
Während Hrothluf das Feuer in Gang setzte, schob sie eine alte Holzbank zurecht, die wohl von den vorherigen Langzeitbewohnern gezimmert worden war. Damit saß es sich weit aus gemütlicher, als auf dem kalten, harten Boden. „Drei Tage noch, dann sollt‘n wir in Weißlauf ankomm‘“, befand der Nord und setzte sich mit auf die Bank. Ächzend und sich durchbiegend nahm sie sein Gewicht mit auf. Skeptisch blickte er an sich hinab auf das Holz und dann wieder in die allmählich in die Höhe schnellenden Flammen. „Wenn das Wetter hält, könn‘ wir sogar ab morg’n Abend schon Weißlauf und die Bauernhöfe seh’n.“ Auch wenn sie sich darüber selbst im Klaren war, so löse die Aussprache der Gedanken doch wieder einen Schwall Vorfreude aus. Leichtigkeit im Magen und ein schmales Lächeln überfielen Vesana. Auch die Erkenntnis, dass sie das Fürstentum Ostmarsch mittlerweile hinter sich gelassen hatten, überkam die Kaiserliche in diesen Moment. Bald, sehr bald schon, war sie wieder unter Freunden.
Bis dahin musste sie allerdings noch das wachsame Auge ihres Gespanns sein und so schnappte sie sich eine Fackel, entzündete sie im Lagerfeuer und begann damit, den näheren der Valtheimer Türme zu durchkämmen. Nützliches würde sie kaum finden, und Hrothluf hatte sicher auch keine Verwendung für durchgerostete Schwerter, aber so beschäftigte sie sich wenigstens und mochte nach der Wachablöse auch beruhigt schlafen können.
Zum nächsten Beitrag
Himmelsrand, Fürstentum Weißlauf, Straße nach Weißlauf
<< Zum vorherigen Beitrag
Grauverhangener Himmel, ein frischer Wind und der Duft von bevorstehendem Regen in der Luft – sie prägten den Abend am Ausgang des Valtheimer-Tals. Hoch oberhalb des Weißflusses mit Blick weit in die Tundra des Fürstentums Weißlauf hinein rasteten die Kaiserliche und der Nord am Rand der Bergstraße, wenn sich der kaum erkennbare, holprige Weg überhaupt als solche bezeichnen ließ. Die Arme um den Oberkörper geschlungen, die Jacke geschlossen und die Kapuze über dem Kopf, stand Vesana am Abgrund und spähte in die Ferne. Ob aus der vergebenen Hoffnung heraus, die Mauern und Türme der ersehnten Stadt am Horizont zu erkennen, oder einfach um die Gedanken in den scheinbar unendlichen Weiten zu verlieren – es spielte keine Rolle. Stoisch trotzte sie den teils straffen Böen, ließ sie mit den losen Strähnen am Rand des Gesichtes spielen und ließ sich auf der frischen Luft in den schnell dunkler werdenden Abend treiben.
Nervöses Kribbeln stieg in ihrem Unterleib auf, arbeitete sich hinauf bis in die Brust, ließ das Herz rasen und die Atmung gelegentlich aussetzen. Weder richtig un-, noch wirklich angenehme Schauer liefen ihr den Rücken hinab. Schmerzende Sehnsucht und treibende Vorfreude rangen in ihr um die Vorherrschaft. Die Linke schob sich unter ihrem Arm hervor und glitt hinauf zu der Stelle der Jacke, unter der sich ihr Hirschkopfamulett verbarg. Dort krallte sie sich in den dicken Stoff der Kleidung und hielt so auch das Schmuckstück fest. Während sie mühevoll die Ungeduld in sich niederkämpfte, biss sich die Jägerin auf die Unterlippe und schloss die Augen. Erst die völlige Finsternis und nach plötzlichem Grollen in den Wolken, gelang es ihr, das Prickeln im Bauch abzustellen. Kurz harrte sie in ihrer Pose, reckte die Nase in den Wind und sog die frische Luft ein. Anschließend wandte sie sich ab und Hrothluf zu, der zwischen einigen Felsen eine Plane gespannt und vor dem improvisierten Unterstand ein kleines Feuer entfacht hatte.
„Wir werden bald im Dunkeln sitzen“, kommentierte Vesana den Anblick. Sie war sich nicht einmal sicher, ob sie es mehr zu sich, oder direkt an ihren Begleiter gewandt sagte. Daher verwunderte es nicht, dass er einen Moment benötigte, bevor er reagierte.
„Weshalb?“ Sie hielt sich mit dem rechten Arm noch immer umschlungen, während sie zu ihm hinüberschlenderte. Mit der Linken wies sie zum Himmel. „Oh nein, wirklich?“ Sie nickte und hockte sich zu ihm in den Unterstand, Hände den Flammen entgegengestreckt.
„Aber weit im Westen schien es teilweise wieder aufzureißen. Ich vermute, dass es nicht zu lange regnen wird.“ Es änderte zwar nichts daran, dass ein Gewitter in diesen Höhenlagen unvermindert gefährlich werden konnte, aber wenigstens einer von ihnen musste einen kühlen Kopf bewahren. Nachdem sie kurz nach Aufbruch an den Valtheimer Türmen einen alten, kaputten Karren am Flussufer ausgemacht hatten, von dem Hrothluf aus irgendeinem Grund annahm, dass es sich um den seines Geschäftspartners handelte, war der Nord permanent nervös gewesen. Nicht, dass ihr sein nervöses Trippeln und Auf- und Abgehen am vorigen Abend schon gereicht hätte, nein, er musste sie auch zig Mal aufwecken, weil er geglaubt hatte, etwas gehört zu haben. Zornig zog sie die rechte Oberlippe nach oben, wie ein aggressiver Hund. Der Rothaarige sah es nicht, aber ihr leises Grollen hätte er hören können, wäre er nicht damit beschäftigt gewesen, den Himmel zu beobachten. „Ihr übernehmt heute die erste Wache“, befand Vesa und der Mann nickte, aus seinen eigenen Gedanken gerissen, eifrig zur Bestätigung.
Zaghaft tätschelten die schwachen Wellen am Ufer des Sees ihre nackten Füße. Sie streichelten sie, lockten mit unverhoffter Wärme und Geborgenheit in der Dunkelheit der wolkenlosen Nacht. Die Sterne spiegelten sich auf der ebenen, pechschwarzen Oberfläche des Gewässers und verwandelten sie in eine gemütliche Seidendecke, unter der sich ein jeder gern zum Schlaf verkroch. Vorsichtig, ganz behutsam, um den zarten Schleier des Glitzerns nicht zu zerreißen, setzte Vesana einen Schritt vor, tauchte bis über die Knöchel im Nass ein. Feine Härchen richteten sich, ob des wohligen Gefühls von Komfort, überall an ihrem unbedeckten Leib auf. Mit der Linken öffnete sie das Lederband an ihrem Hinterkopf, das ihren Pferdeschwanz und die Zöpfe zusammenhielt. Angenehm warm, wie der Atem eines Nachtgefährten, fiel es über ihre Schulten bis auf die Brust hinab, legte es sich um ihren Nacken wie ein leichtes Tuch.
Mit den Händen auf Hüfthöhe, die Innenseiten flach zur Oberfläche des Sees weisend, schritt sie nun immer weiter voran tiefer ins Nass. Angetan vom sachten Kitzeln an ihren Beinen, während sie mehr und mehr vom flüssigen Schwarz umhüllt wurden, stahl sich ein zunächst zaghaftes, bald schon auch die Augen umfassendes Lächeln auf ihr Gesicht. Vesa spürte die kleinen Fältchen, die es um die Augenwinkel warf, fühlte seine entspannende Wirkung in den Muskeln.
Langsam tauchten ihre Oberschenkel ein, schoben sich tiefer ins Dunkel. Das Kribbeln stieg an ihr auf – stieg in ihr auf. Es schwoll über den Schritt hinaus an, umschloss ihre Hände und ließ den Bauchnabel zurück. Ihr Herz begann zu springen, unruhig mit Freude tanzte es hinter ihren Rippen. Als die Wassergrenze schließlich auch ihre weiblichen Rundungen zu reizen begann, hielt sie die Luft an und mit einem kurzen Satz tauchte die Jägerin rauschend in den Fluten ab. Wie ein Kissen legte sich der Druck der Finsternis auf ihre Ohren, schloss ihre Lider und sorgte für absolute Stille um sie herum. Ein herrliches Gefühl, als sie allein mit ihrem eigenen Herzschlag war. Keine Einflüsse von außen verunreinigten dieses Moment. Nur sie, nur die Wärme, Stille.
Lange blieb sie bodennah, entließ Schübe von Luft, die für einen Herzschlag lang die Ruhe durchbrachen während sie blubbernd aufstiegen. Doch auch sie war nicht in der Lage, ewig in den stillen Tiefen zu verweilen. Leichtes Stechen und baldiges Krampfen in den Lungen setzten ihrer Entspannung und dem Frieden ein Ende. Als sie sich gezwungen sah, aufzutauchen, drückte sich die Kaiserliche kraftvoll am steinigen Untergrund ab und ließ sich bis hinauf an die Oberfläche treiben. Begrüßt von silbrigem Lichtschimmer atmete sie tief ein und schwamm gleich darauf zurück zum Ufer. Fast schon widerwillig, als ob es sie nicht hergeben wollte, entließ sie das Wasser an die Luft der Nacht. Und doch hielt eine innere Unruhe Einzug, die ihre Finger zum Zittern brachte und ihre Muskeln in Spannung versetzte. Kleine Tropfen rannen an ihr hinab, kitzelten sie und ließen sie spüren, wie empfindlich ihre Haut doch eigentlich war. Überhaupt drangen die Begebenheiten der Umwelt intensiv und in unvergleichlicher Intensität auf sie ein. Die Klarheit der Nacht, der Duft des Laubes an den Bäumen und das seichte rasseln der Grashalme im lauen Wind. Ein ebenso schönes, wie überwältigendes Gefühl.
Doch da war noch etwas. Schwere in der Luft, wie ein dickes Tuch legte sie sich über alles. Der bittere Vorbote von Regen umarmte sie mit aller Kraft und hielt sie fest. Ohne Gegenwehr empfing sie seine Begrüßung und legte den Kopf voller Erwartung in den Nacken. Die Augen wach und weit geöffnet schaute Vesana hinauf zum dunklen Himmel. Keine Sterne leuchteten dort, nur vage machte sie die graue Masse aus, die bald ihren Inhalt über das Land ergießen würde. Herausfordernd breitete sie deshalb die Arme aus und lehnte sich noch etwas zurück. Ihr feucht-schweres Haar glitt von ihren Schultern und zog an ihrem Kopf, als wollte es sie zurück in die Fluten dirigieren, denen sie noch nicht einmal vollständig entstiegen war.
Doch war es schon zu spät dafür. Ein großer Tropfen klatschte ihr auf die linke Wange. Sein Gewicht ließ sie erst zusammenzucken, bevor sie seine immense Wärme zu genießen begann, als er langsam über ihre Haut hinabrann. Es folgten schnell weitere, deren Rinnsale bald ihr Gesicht, Schulten und Brust vollständig bedeckten. Und sie rochen so köstlich! Hastig öffnete die Jägerin ihren Mund, um den immer weiter anschwellenden Wolkenbruch aufzufangen. Der bitter-schwere Geschmack von Eisen umschloss ihre Zunge. Genussvoll schloss sie die Augen bevor sie den ersten Schwall hinabschluckte. Dann noch einen und noch einen. Immer mehr und immer gieriger schluckte sie hinab, ein unbändiger Durst überkam sie, bevor ihr Magen knurrend auf seinen Hunger aufmerksam machte. Vesana richtete sich auf, senkte den Kopf und öffnete die Augen. Die Hände offen wie Schalen vor den Bauch gehalten, blickte sie auf ihre im Dunkel feucht glänzende Haut. Sie wirkte dunkler als sonst.
Abrupt endete der schwere Regenschauer und die Wolkendecke riss auf. Silberweißes Licht umfing sie und ließ einen Schimmer von tiefem Rot auf ihrem nackten Körper erkennen. Mehr und mehr knurrte ihr Bauch, verlangte danach gefüllt zu werden. Bald schon war es so sehr angeschwollen, dass sie es nicht nur in ihrem Körper spürte, sondern regelrecht hörte. Erst dann überkam sie die Erkenntnis, dass es längst nicht mehr ihr Magen war, der verlangend brummte, sondern dass sich das bösartige Knurren ihrer eigenen Kehle entwand.
Perplex hielt sie inne und schaute abermals zum Himmel auf. Wie aus einem Leinentuch herausgerissen, klaffte dort eine Lücke in der Wolkendecke. Zwei matt schimmernde Scheiben, eine silbern, eine rot, glommen dort wie unheilvolle Augen. Wie vom Blitz getroffen fuhr von ihrem linken Auge ein greller Schmerz quer durch ihren Kopf, ließ sie stöhnen und in sich zusammenfahren. Gequält wandte sie den Blick von den auf einmal blendend hellen Monden ab.
Keuchend und nach Luft schnappend schnellte Vesa hoch. Schweiß stand ihr auf der Haut und den Mund hielt sie geöffnet. Das Herz schlug ihr bis zum Hals und sie benötigte einige Momente, um zu realisieren, wo sie sich befand. Sie fühlte sich matt und überhaupt nicht ausgeruht, die Haare klebten ihr am Kopf. Hastig schaute sie sich nach Hrothluf um, doch entdeckte sie ihn nirgends in der Dunkelheit der Nacht. Es regnete nicht mehr, aber dort, wo ihr Kopf gelegen hatte, tropfte es in regelmäßigen Abständen noch durch die Plane. „Scheiße“, knurrte sie leise.
Knurren. Knurrte sie wirklich? Ja, sie knurrte. Etwas verwundert bemerkte sie, wie von dem schnell zerfließenden Traum nichts weiter als ein Gefühl von Hunger, Verlangen und Unruhe zurückblieb. Nach einigen Augenblicken der Besinnung verflüchtigten sich auch die letzten Reste ihres nicht sehr tiefen Schlummers. Lediglich ein leichtes Kribbeln in den Gliedern, wie Aufregung nur weniger eindeutig schlecht oder gut, blieb an ihr haften. Inzwischen wieder klarer bei Verstand wusste die Jägerin nur allzu gut, was es zu bedeuten hatte.
Steifbeinig erhob sie sich und taumelte gleich darauf einige Schritte zur Seite, unter der Plane hervor, als ihr ein heftiger Stich durch die linke Schläfe fuhr. Reflexartig begann sie damit, die Stelle zu massieren, während sie unter ihrem provisorischen Unterstand hervortrat und nun aufrecht stehend weiter nach dem Nord Ausschau hielt. Das einst wärmende Feuer war erloschen, kein Licht ging mehr von ihm aus. Nur die Sterne über der westlich liegenden Tundra leuchteten ihr die Umgebung aus. Direkt über ihr hingen noch die Reste des Gewitters zwischen den Bergflanken im Tal. Sie ließen vom Regen gereinigte, kristallklare Luft zurück und das Gefühl, zu lange im Sprühregen eines Wasserfalls gestanden zu haben.
Klamm, aber nicht kalt, lief die Kaiserliche umher, rang die ersten Kopfschmerzen, die auch die nächsten Tage prägen würden, nieder und entdeckte schließlich ihren Reiseführer an exakt derselben Stelle, wo sie am Abend noch gestanden und den Blick in die Ferne hatte schweifen lassen. Auf leisen Sohlen näherte sie sich ihm und blieb im Abstand von wenigen Schritten stehen. Er hatte sie noch immer nicht bemerkt. In den Weiten glaubte sie irgendwo nahe am Horizont einige Lichtpunkte im Land zu sehen. Es mochte Weißlauf sein, vielleicht auch nur eines der Dörfer im Umland der Stadt, aber es spielte keine vordergründige Rolle. Es zählte nur, dass die Heimat zum Greifen nahe war.
„Ihr könnt Euch nun schlafen legen“, begann Vesana schließlich zu sprechen. Sie klang sanfter als sonst, weniger harsch. Dennoch fuhr der Nord in sich zusammen, als wäre er vom Donner gerührt.
„Bei den Göttern!“, entfuhr es dem Mann. „Ihr habt mich vielleicht erschreckt!“
„Verzeiht.“ Mehr fiel ihr dazu nicht ein, schenkte ihm ein Lächeln, das er in der Dunkelheit wohl kaum sehen konnte, und bekräftigte danach erneut: „Legt Euch schlafen.“ Inzwischen etwas gefasster nickte Hrothluf und verschwand hinter ihr aus dem Sichtfeld der Jägerin. Diese nahm nun den Platz des Nords ein, die Hände um den Leib geschlungen und die Augen zum Himmel gleiten lassend. Gerade verzog sich eine Wolke weiter nach Osten und entblößte die dicht beieinanderstehenden Monde. Jeder nur die genaue Hälfte eines Kreises – der eine silbrig-weiß, der andere rostrot. Wieder lächelte sie, bevor ein neuerlicher Stich durch ihre Schläfe fuhr, selbiges vertrieb und sie dazu zwang den Blick abzuwenden.
Es schien fast so, als schwänge in der Luft die seichte Note eines köstlichen Mahles mit, als sie den Blick zurück nach Weißlauf lenkte. Ein köstliches Mahl, das ihr das Wasser im Munde zusammenlaufen ließ und den Appetit allein durch seinen Duft weckte. Wärme stieg vom Unterleib ausgehend in ihr auf, die der Kälte der Nacht trotzte. Die Augen fest auf ihr Reiseziel gerichtet, erschienen ihr die Kopfschmerzen mit einem Mal gar nicht mehr so schlimm, im Gegenteil. Die wohlige Wärme der Erregung erreichte ihre Wangen und zwang die Lippen auseinander. Fast sehnsüchtig biss sie sich auf die Zungenspitze. Was sie sonst fernab von zu Hause quälte, verflog nun wie leichte Nebelschleier am Morgen während die Sonne aufging. Die Schmerzen, die ihr noch bevorstanden, schienen einfach nichtig. Zurück blieb die Gewissheit, dass es sich nirgendwo besser lebte, jagte und speiste, als in ihrem angestammten Revier.
Zum nächsten Beitrag
Himmelsrand, Fürstentum Weißlauf, Straße nach Weißlauf
<< Zum vorherigen Beitrag
Dung und Ackerland, ihr Duft schwängerte die Luft am frühen Nachmittag, als der Nord und die Kaiserliche an den Gehöften und Wirtschaftsflächen rund um die hohen Stadtmauern Weißlaufs vorbeikamen. Ein Müller zerrte gerade Kornsäcke in einen Mühlturm, ein anderer schleifte staubende Beutel aus seinem heraus. Eine erdverschmutzte Frau kauerte in ihrem Gemüsebeet während ihr Mann in weiter Ferne mit der Sense hantierte. Die Sonne brannte vom Himmel und trieb Ströme von Schweiß in die Gesichter zweier Wachen, die auf den Rücken ihrer Pferde die befestigten Wege im Umland der Hauptstadt des Fürstentums sicherten. Ihre schweren Kettenhemden, die runden Schilde und mit gelbem Stoff verzierten Wamse lasteten auch auf ihren Reittieren, die schwer atmeten. Grimmig musterten die zweifelsfrei wenig zu Scherzen aufgelegten Gerüsteten das Gespann, als sie einander passierten.
Klappernd holperte der Wagen über die groben Pflastersteine, ungemütlich wurden sie durchgeschüttelt. Auch wenn es jedes Mal einen Stich durch ihre Schläfen fahren ließ, wollte sich Vesana nicht die gute Laune verderben lassen. Erleichterung und Freude ließen ihr Herz hoch schlagen, während die Mundwinkel regelmäßig nach oben wanderten, wenn sie die Augen über die Stadtmauern zu ihrer Rechten schweifen ließ. Es dauerte nicht sehr lange, bis die beiden schließlich an den Stallungen unterhalb der Stadt, noch vor der von alten, verwitterten und von früheren Schlachten gestutzten Mauern eingefassten Rampe ankamen, die hinauf zum eigentlichen Stadttor führte. Einige Zelte standen am Rand des Weges unweit der Ställe und ebenfalls noch außerhalb der alten Wehranlagen. Fahrende Händler, wieder einmal.
Kurzerhand hüpfte sie vom Kutschbock, als ihr Wagen letztlich hielt und Hrothluf die Zügel an der Bank befestigte. Die Beine ausschüttelnd band sie sich die Waffen auf den Rücken, warf sich die dicke Jacke über die Schulter und stapfte nach hinten zu ihrem eigenen Karren. Die Überkleidung ablegend begann sie damit, ihr Fuhrwerk vom Wagen des Nords zu lösen. Selbiger stieß in diesem Moment zu ihr. „Lasst mich Euch hiermit noch helf’n“, bat er und Vesa nickte nur. „Habt Dank für Euer Geleit. Ich bin froh, dass Eure Dienste nicht wirklich von Nöten gewes’n sind.“
„Mich ebenfalls“, entgegnete die Jägerin und löste die letzte Schlaufe auf ihrer Seite des Gespanns. „Ihr wollt mit Eurem Wagen nicht hoch in die Stadt fahren?“
„Doch, aber erst später und solang‘ möcht‘ ich Euch nicht hier unt’n festhalt’n.“
„Verstehe.“ Gemeinsam schoben sie ihren Karren etwas zurück, so dass sich Vesana hinter die Zugstange stellen konnte. Was er hier vor der Stadt noch für Geschäfte zu erledigen hatte, ging sie weder etwas an, noch interessierte sie sich wirklich dafür. Im Gegenteil. Sie war froh, sich von ihm trennen zu können.
„Genießt Eure Zeit in der Heimat, wer weiß, wann es Euch wieder forttreibt“, sagte Hrothluf zum Abschied.
„Danke, das werde ich. Gute Geschäfte.“ Der Nord nickte und machte ihr den Weg frei. Sie setzte sich in Bewegung. Die Steigung ließ sie schnell keuchen und der Blutdruck verstärkte ihre Kopfschmerzen, aber zielstrebig und unnachgiebig, mit dem Gefühl der endlich erreichten Heimkehr im Bauch, arbeitete sie sich dem Stadttor entgegen. Ihr Blick schweifte schnell von den moosbewachsenen Mauern zu den Zelten, als sie Stimmen und sehr leise Schritte von dort vernahm. Eine ganze Schar von laufenden Fellknäulen aus den heißen Regionen im Süden Tamriels wuselte zwischen den ledernen Verschlägen umher. Reflexartig verzog sie das Gesicht und wandte den Blick ab, zurück gerade aus auf den Weg zum Tor. Diese Halunken sollten ihr bloß fern bleiben. Nur zu gut wusste sie, wie die Schnurrer Unvorsichtige über den Tisch zogen.
Aber es sollte nicht zu einer Konfrontation kommen. Ein schon etwas ergraut wirkendes Katzenwesen in weiten, bunten Gewändern aus dickem, leicht zerschlissenem Stoff, das sich unaufhörlich an den Schnurrhaaren zupfte, schaute zwar lange in ihre Richtung, hielt aber seine Kumpane davon ab zu der Kaiserlichen hinüber zu eilen. Zumindest sah es aus dem Augenwinkel so aus. Vermutlich hatten wenigstens ein paar dieser Samtpfoten doch noch einen siebten Sinn und wussten, von welchen Reisenden sie besser die Tatzen ließen. Mit gewisser Erleichterung durchquerte Vesana kurz darauf auch schon das ehemalige Stadttor und ließ das Zeltlager der Katzen hinter sich.
Am eigentlichen Stadttor ließen sie die Wachen mit mürrischem, verschwitztem Blick passieren und übergaben sie dem geschäftigen Treiben auf der breiten Hauptstraße, die vorbei an zahlreichen Geschäften und dem Güldengrünbaum hinauf zur Drachenfeste führte. Es würde ein beschwerlicher Weg, aber mit ein wenig Geschick nicht mehr für sie. Der Anteil von Männern unter der Bevölkerung erschien der Jägerin noch immer ausgesprochen hoch. Die zentral gelegene, leicht zu erreichende Stadt mit den vielen Dörfern und Gehöften in ihrem Fürstentum zog nicht nur fahrende Händler, Handwerker oder Kulturgeister an. Auch die jungen Burschen, die nicht auf dem Land der Eltern arbeiteten, sondern andere Wege für diese erledigten, tummelten sich hier. Nicht wenige hielten beide Augen weit geöffnet auf der Suche nach einer hübschen Frau, die Auswahl im eigenen Heimatort war meist sehr begrenzt.
Ein verschmitztes Lächeln und einen Augenaufschlag später, schon rissen sich zwei junge, kräftige Männer wenig älter als Vesa darum, ihren Karren ziehen zu dürfen. Besonders bei den flachen Treppen, die einmal zum Güldengrünbaum und dann zu Jorrvaskr hinauf führten, kamen ihr die starken Arme ganz gelegen. Es änderte aber nichts daran, dass sie sich mit Freuden wieder von den viel zu viel redenden Herren trennte und sie ohne viel Federlesen von sich scheuchte, als sie einmal am Heim der Gefährten angekommen waren. Auch wenn sie sich früher oft ihrer eigenen Reize bedient hatte, um die eine oder andere Gefälligkeit zu erhalten, inzwischen merkte sie selbst, dass sie aus der Übung gekommen war. Ganz zu schweigen davon, dass sie nur noch selten wirklich das Bedürfnis verspürte, derartig mit Männerherzen umzuspringen.
Unterhalb der Himmelsschmiede schlug sie den Bogen um das hölzerne Haus der Gefährten herum, zerrte ihren Wagen hinter sich her und hielt noch einmal kurz inne, bevor sie tatsächlich auf den Übungsplatz zwischen Mauer und Jorrvaskr trat. Lediglich eine Person hielt sich hier auf, die Terrasse lag ruhig und unbesetzt da. Ein hochgewachsener Nord in schwerer Stahlrüstung schwang sein zweihändiges Schwert gegen eine Übungspuppe nahe der Mauer. Allein anhand der Statur und den schulterlangen, dunklen Haaren erkannte sie Farkas auch von der Rückenansicht. Er hatte Vesana noch nicht bemerkt, also ließ sie den Wagen nahe dem Felsen unterhalb der Schmiede stehen, legte ihre Waffen auf ihm ab und schlenderte langsam hinüber. Der kräftige Nord hieb von oben auf den Schild und blockte die hölzerne Klinge, die herumfuhr, als sich die Puppe drehte. Ein paar weitere Schläge in die Luft folgten, als kämpfte er gegen weitere unsichtbare Feinde. Keine unübliche Praxis, um Bewegungsabläufe einzustudieren.
„Hat Dir noch niemand gesagt, dass Du gegen imaginäre Gegner sowieso immer gewinnst und nicht üben brauchst?“, spöttelte die Kaiserliche nach einer Weile, die sie stillschweigend zuschaute. Gegen einen der Stützbalken des Vordachs über der Terrasse lehnend beobachtete sie, wie Farkas ruckartig herumfuhr. Der Schrecken und die Überraschung standen ihm in die aufgerissenen Augen geschrieben. Es dauerte einen Moment, bis er die verschwitzte, von der langen Reise und all ihren Zwischenfällen gezeichnete Frau wiedererkannte. Doch dann brach er in lautes Lachen aus – kein bösartiges oder herablassendes, nein. Freude brandete dort aus seiner Kehle auf als der Nord sein langes Schwert in der Scheide auf dem Rücken verstaute und mit großen Schritten zu Vesana hinüber kam.
Mit dem Ellbogen stieß sie sich von dem Balken ab und trat auf den Gefährten zu. Kurz darauf drückte er sie an sich. Etwas zögerlich legte sie ihm dann auch die Arme um den Körper. Sie reichte im kaum bis zum Kinn. Einige Augenblicke später löste er sich wieder von ihr und legte seine prankenhaften Hände auf ihre Schultern. Die grauen Augen in dem wettergegerbten Gesicht musterten sie. „Wir haben uns schon Sorgen gemacht, dass Dir etwas passiert sein könnte“, sprach er.
„Sorgen? Um mich? Überflüssig!“, entgegnete sie mit einer wegwerfenden Handbewegung und entwand sich geschickt seinem Griff. Erneut lachte der Nord, Scherze in ironischer Selbstüberschätzung kamen bei ihm unverändert gut an. Sie schmunzelte, ging zu einem der Tische hinüber und setzte sich auf einen der beschatteten Stühle daneben.
„Es ist gut, Dich wiederzusehen. Und das Lächeln steht Dir“, meinte Farkas, als er sich zu ihr setzte. Bei dem Seitenhieb auf ihre kümmerliche mentale Verfassung zum Zeitpunkt des Aufbruchs trübte sich ihr Blick etwas ein und verlor sich kurz in der Ferne hinter ihm. „Entschuldige, …“
Vesa schüttelte den Kopf und hob abwehrend die Hand. So schnell, wie ihre Gedanken abgedriftet waren, fing sie sie auch wieder ein und schenkte ihm ein weiteres Lächeln und Augenkontakt. „Schon gut.“ Er erwiderte das Lächeln. „Wo sind die anderen?“
„Oh, sie sind alle hier. Einige der Frischlinge sind unterwegs im Fürstentum, aber der Zirkel ist komplett.“
„Und ich bin sicher, es freuen sich alle ebenso sehr, wie Farkas und ich, dass Du wieder hier bist.“ Vilkas stand auf der Türschwelle ins Innere Jorrvaskars, ein freundliches Schmunzeln zierte seine rauen Lippen und legte die Augenwinkel in feine Falten.
„Vilkas!“ Die Kaiserliche stand langsam auf, um auf den schlanken, im Vergleich zu seinem Bruder nur geringfügig größeren Mann zuzugehen.
„Schön, dass Du meinen Namen noch kennst“, stichelte er und breitete die Arme aus. Er trug eine einfache Tunika aus dunklem Leinenstoff, was der begrüßenden Umarmung etwas Persönlicheres gab, entgegen der Rüstung seines Bruders. „Du siehst aus, als könntest Du eine kräftige Mahlzeit vertragen“, stellte der Nord fest.
„Sehr gern.“
„Dann komm mit rein in die gute Stube.“
„Gleich, ich hole nur schnell meinen Wagen.“
„Das mach‘ ich, geh‘ ruhig rein“, wehrte Farkas ab und erhob sich von seinem Stuhl. Vesana nickte dankbar und folgte Vilkas ins Innere der Halle der Gefährten. Feuchtwarme, leicht rauchige Luft schlug ihr entgegen, als sie in das schummrige, flackernde Zwielicht trat. Eigentlich gut ausgeleuchtet von einer großen Feuerstelle und zahllosen Kerzen und Laternen, wirkte es dennoch kaum heller als in der Dämmerung eines leicht bewölkten Tages. Das dunkle, alte Holz mit seinem rötlichen Schimmer schien das Licht aufzusaugen. Für einen kurzen Moment hielt die Jägerin inne, während die Tür hinter ihr ins Schloss fiel, und ließ die Eindrücke auf sich wirken. Kribbeln stieg in ihr auf, ergriff den Magen und das Herz bis es in den Kopf stieg und die Gedanken durcheinander warf. Lächelnd schritt sie auf den großen Tisch in der Mitte der Halle zu. Aela und Skjor saßen dort am langen Ende über ihrem Essen in ein Gespräch vertieft. Der einäugige Nord mit dem fast kahlen Schädel und den Kriegsmahlen auf den Wangen bemerkte als erster, dass nicht nur Vilkas eingetreten war.
Sein Besteck ablegend stützte er das Kinn auf die zusammengefalteten Hände. „Sieh‘ an, wer wieder da ist.“ Seine festen Züge mit der langen Narbe auf der linken Wange regten sich kaum. Typisch für den immer-ernsten Nord.
„Hallo Skjor“, entgegnete Vesana.
„Hallo.“
Inzwischen hatte sich auch Aela umgedreht und strich sich einige Strähnen ihres langen, rotbraunen Haares aus dem Gesicht. „Willkommen zurück.“ Die Frauen nickten sich zu.
„Tilma!“ Vilkas sah sich nach der alten, zerfurchten Frau um, die sich immer liebevoll um das Wohlbefinden der Gefährten kümmerte.
„Komme schon“, kam es von irgendwo aus der großen Halle zurück, während sie sich mit an den sonst leeren Tisch setzten. Vilkas neben Skjor, Vesana neben Aela. Kurz drückten sie sich gegenseitig im Sitzen. Wenig später standen zwei dampfende Suppenschüsseln vor ihnen. „Soll ich Kodlak holen?“
„Lass‘ den alten Mann ruhen. Es wird noch genug Zeit zum Erzählen geben“, winkte Vilkas ab. Die Bedienstete und Freundin der Gefährten nickte und zog sich zurück.
„Deine Reise hat ziemlich lang gedauert“, stellte die rothaarige Nord zu Vesas linken fest, während diese über ihre dampfende Schüssel pustete und mit dem Löffel rührte.
„Ja, das ist wahr.“
„Lasst sie doch erst einmal wieder zu Kräften kommen!“, schnitt ihre Farkas das Wort ab und setzte sich auf den Stuhl neben sie. Das Holz ächzte unter seinem Gewicht.
„Schon in Ordnung.“
„Hast Du gefunden, wonach Du gesucht hast?“, wollte Skjor wissen. Vesana legte den Löffel ab und strich sich gedankenverloren mit dem rechten Daumen über die linke Handinnenfläche. Langsam fuhr er über die vier vernarbt aussehenden Punkte, die sie dort seit dem Kampf gegen den Werbären trug. Bilder zuckten ihr von der Konfrontation vor das geistige Auge.
„Ja … ja, das habe ich.“ Sie schaute auf und zu ihm hinüber.
„Damit bist Du die erste der gegenwärtigen Gefährten, die jemals einen Werbären gesehen und getötet hast. Dafür meinen Respekt“, sprang Aela von der Seite ein. Die Kaiserliche wandte den Blick auf sie und nickte dankend für die Anerkennung. Von einer selbst sehr erfahrenen Jägerin wie der Nord-Frau bedeutete es durchaus viel.
„Sie hat sich ganz schön gemacht, was?“ Farkas klopfte ihr auf die Schulter und wuschelte ihr anschließend durch die Haare. Die eigentlich freundschaftlich gemeinte Geste ließ Vesana jedoch in sich zusammenfahren. Die kräftige Berührung am Kopf und die Erschütterung rüttelten die fast vergessenen Kopfschmerzen frei. Reflexartig presste sie die Linke gegen die Schläfe, schloss die Augen und versuchte ruhig zu atmen. Flammende Stiche zuckten ihr quer durch den Schädel. Mühevoll verhinderte sie ein Stöhnen.
„Kopfschmerzen?“, wollte Vilkas, der ihr direkt gegenüber saß, wissen.
„Ja.“ Zähneknirschend öffnete die Kaiserliche die Augen und zwang sich entgegen der aufkommenden Übelkeit einen Löffel des dicken Eintopfes hinunter. Essen half in der Regel wenigstens ein Bisschen.
„Wie lange seit Deiner letzten Verwandlung?“, hakte der vergleichsweise kleine und schlanke Nord weiter nach.
„Frag‘ nicht.“
Skjor begann ein wenig zu schmunzeln, verlor jedoch nichts von seiner grimmigen Erscheinung. „Das könnte interessant werden.“
„Gefährlich, nicht interessant. Es sind nur noch fünf Tage bis Vollmond“, konterte Vilkas. „Vesa, Du weißt genau, wie wichtig es ist das Biest nicht zu lange zu unterdrücken. Es raubt Dir …“
„Auch das letzte Bisschen Kontrolle in den Vollmondnächten, ich weiß!“, unterbrach sie ihn. „Bitte, ich bin froh überhaupt wieder hier zu sein und nicht in der Stimmung für Moralpredigten.“ Obwohl nur eine sehr schwache Anspielung, so schien Vilkas dennoch zu verstehen, dass auf ihrer Reise keinesfalls alles so gelaufen war, wie es sich die Kaiserliche erhofft hatte. Ob die anderen es ebenfalls so verstanden hatten, wusste Vesa nicht, es war aber auch nicht so wichtig. Trotzdem schwiegen alle für einen Moment. Sie würde später mit dem kleinsten der anwesenden Nord in Ruhe sprechen, aber nicht jetzt. Mit einem knappen Lächeln legte sie den kurzen Streit ihrerseits bei.
„Was ist bei euch hier in der Zwischenzeit passiert?“, schlug sie ein anderes Thema an und hoffte, dass die übrigen Drei eine Weile mit Erzählen beschäftigt sein würden, damit sie in Ruhe essen und die Kopfschmerzen niederringen konnte.
Zum nächsten Beitrag >>
Himmelsrand, Weißlauf, Umland
<< Zum vorherigen Beitrag
Nackt in der Dunkelheit. Ihre offenen Haare kräuselten sich in der feuchten Höhlenluft. Die Härchen am Rest ihres Körpers stellten sich auf und sie fröstelte. Lediglich eine Kerze stand auf einem der Podeste am Rand der Kaverne, doch ihr Lichtkegel verlor sich schnell und berührte nicht einmal mehr die Kaiserliche, die kaum zwei Schritte von ihr entfernt stand. Das Ziehen und Stechen in den Schläfen, die körperliche Unruhe, die ihre Gedanken rasen und den Bauch wie voll mit Bienen summen ließ, und das schlichte Verlangen durch die Nacht zu hetzen schwollen immer weiter an. Bilder von vergangenen Hatzen lockten sie und zwangen sie dazu, in verkrampfter Selbstbeherrschung mit den Zähnen zu knirschen und die Fäuste zu ballen. Noch wollte sie sich nicht ihren Trieben hingeben, brachte sich dazu die Augen offen zu lassen und sich nicht in den Eindrücken ihrer Fleischlust zu verlieren.
Zunächst kehrte Vesana noch einmal in den schwachen Lichtkreis zurück und schaute an sich hinab. Die Verletzungen der letzten Wochen verblassten immer mehr. Die gelbgrüne Färbung ihres Brustkorbes war verschwunden und die Stichverletzung unterhalb des linken Busens schimmerte nur noch als ein blasser Strich. Auf ihrem Rücken mochte sie sich ähnlich präsentieren. Womöglich würden sich die schmalen Narben am Ende ihrer Jagd gar nicht mehr erkennen lassen. Wenn sie von ihrer schmutzigen Erscheinung absah, wirkte sie tatsächlich wieder normal und gesund. Trotz der Pein hinter ihren Augen stahl sich ein Lächeln auf ihre Lippen und sie gab sich auf.
Ein Grollen stieg in ihrer Kehle auf, als sie sich nach vorn krümmte und die Hände vor das Gesicht schlug. Es schwoll an, wurde tiefer und bedrohlicher. Sie spürte, wie ihre Muskeln an Masse gewannen, sich ihre Rippen knackend ausdehnten und den Brustkorb wachsen ließen. Auch die Knochen in den Armen wurden länger, ihre Haut dunkler bis sie aschgrau schimmerte. Obwohl die widerlichen Geräusche für einen Außenstehenden zweifelsohne mit unglaublichen Schmerzen verbunden sein mochten, spürte die Kaiserliche nichts der Gleichen. Die Spasmen, die durch ihren Körper fuhren und sie durch die Kaverne taumeln ließen, legten sich schnell und wichen geschärften Sinnen. Ihr langes Haar war kürzerem, weichen Fell gewichen und die Finger- und Fußnägel zu langen, scharfen Klauen gewachsen. Was sonst nichts als schwarze Finsternis gewesen war, schattierte sich nun klar in hellen Grautönen ab. Das Kerzenlicht strahlte hell in Gelb und erweckte den Eindruck einer kleinen Sonne. Sie roch das Wachs, ihre schmutzige, verschwitzte Kleidung auf dem Boden und das Stroh des Nachtlagers. Ihr schnell schlagendes Herz hallte von den Höhlenwänden wider.
Hechelnd sprang sie auf das Mittelpodest, die Füße zu beiden Seiten der Schale, die Pranken hielten sie vornübergebeugt im Gleichgewicht und krallten sich in den Stein. Schwanzwedelnd schaute sie sich um und drückte sich wenig später aus den gebeugten Knien ab. Annähernd geräuschlos landete sie im Tunnel und spurtete ihn auf allen Vieren entlang. Es dauerte nicht lange, da fand sie sich in dem verfallenen Turm wieder. Doch anstatt anzuhalten sprang sie einfach gegen die Wand auf der gegenüberliegenden Seite des Absatzes, oberhalb des Ausgangs in das Umland Weißlaufs. Kurz hielt sich Vesana fest, drückte sich schnell darauf ab, landete unterhalb der Kante in der Wand und sprang erneut direkt aus der Ruine heraus. Auf dem feuchten Erdboden rollte sie sich zwischen einigen Trümmerstücken ab. Einen weiten Sprung später stand die Wölfin oben auf einem nahen Felsen und ließ die scharfen Augen über das flache Land von der Straße im Süden, über die Gehöfte und Mühlen, die sich an ihr aufreihten und die Tundrasteppe im Norden schweifen. Mit einem schnellen Stoß drückte sie sich mit den Armen einzig auf die Hinterbeine hoch und hob den Kopf. Eine der wenigen Wolken am Himmel dieser Nacht gab in diesem Moment die Monde frei und ihr silber-rotes Licht brandete über die sie hinweg. Ein langes, lautes Heulen entwand sich ihrer Kehle, voll Freude und in Erwartung reicher Beute.
Sie begann zu schnüffeln und die Gerüche ihrer Umgebung aufzunehmen. Gras, Wasser, frisch aufgewühlte Erde. Auch Holz und Kräuter sandten ihre Marken zu ihr. Irgendwo mussten sich auch einige Rehe aufhalten, doch weder sie, noch all das andere interessierten sie. Heute suchte die Jägerin andere Beute. Kalter Rauch schlug ihr als Note im Hintergrund entgegen. Er kam nicht aus der Nähe der Höfe an der Straße und auch nicht von der Stadt hinab. Vielmehr trieb ihn der sachte Wind aus dem Norden zu ihr.
Ruckartig fuhr sie herum, drückte sich kraftvoll mit den Beinen ab und nachdem sie aufsetzte, spurtete sie hechelnd durch die Nacht. Mühelos vollführte sie den Slalom zwischen den größeren und kleineren Felsbrocken, die das nahe Umland des kleinen Berges, auf dem die Drachenfeste und Weißlauf lagen, zeichneten. Ihre Lungen brannten bald vor Anstrengung, das Herz schlug wie wild, doch anstatt langsamer zu werden legte sie noch einmal zu. Sie fühlte sich gut, berauscht von der Kraft, die durch ihre Adern pulsierte und sie vorwärts trieb, geleitet von Hunger und Lust. Mit jedem Satz wurde die rauchige Note in der Luft deutlicher, leichter wahrzunehmen und fungierte bald wie eine Schnur, die sie bis zu ihrem Ende aufrollte, um so den Weg zu finden.
Weit unterhalb der Drachenfeste hielt die Wölfin abermals inne, reckte das Haupt in die Höhe und schnüffelte. Die Kälte war aus der Duftnote gewichen, das Feuer, deren Spur sie aufgenommen hatte, befand sich in unmittelbarer Nähe. Wachsam strafften sich ihre Ohren, rotierend versuchten sie die Geräusche der Nacht auseinanderzuhalten. Leises Knacken filterten sie alsbald aus dem glucken so mancher Nachtvögel in der Ferne und dem Schnaufen naher Säuger. Ihren eigenen Herzschlag verdrängte sie in den Hintergrund. Vesana folgte der steilen Felswand zu ihrer Linken und entdeckte nach kurzer Zeit schwachen Lichtschimmer an einem Vorsprung. Es schien, als würde er von unten durch ein Feuer angestrahlt. Knistern in der Luft und die immer intensivere Note von Rauch bestätigten diesen Verdacht.
Die Jägerin verlangsamte ihre Schritte und schlich auf allen vieren näher. Kurz vor einem größeren Felsbrocken, der ihr die Sicht auf das Lager versperrte, kletterte sie jedoch behände die Wand hinauf, um auf den Vorsprung zu gelangen. Lautlos fanden ihre Klauen und Zehen Halt, hakten sich in Spalten und umgriffen kleinere Felsnasen. Aufgeregt wedelte ihr Schwanz hin und her, schlug ihr das Herz bis zum Hals. Gleich war es soweit. Zum Rauch gesellte sich inzwischen der Geruch mehrerer Personen – allesamt Männer. Sie stanken nach Schweiß, Schmutz, Fett und anderen Ausdünstungen, doch es spielte keine Rolle. Vesa wollte nicht mit ihnen ausgehen. Ihre inneren Werte besaßen für sie Priorität. Ihre lange Zunge bleckte über die feuchte Nase, als sie das spitz zulaufende Haupt über die Kante des Simses reckte und hinabschaute.
Drei Mannshöhen unter ihr lagerten vier Männer. Ein Dunmer, der Rest waren Nord. Die Grauhaut schien Wache zu halten, doch galt sein Blick einzig dem Feuer, nicht seiner Umgebung, und schon gar nicht dem Himmel oder der Felswand über ihm. Seine menschlichen Kumpane verteilten sich auf zwei Schlafmatten und einen Stuhl mit Beistelltisch. Zweifelsfrei handelte es sich bei ihnen um Wegelagerer. Ihre schäbige Erscheinung und die drei ramponierten Karren mit den unterschiedlichsten Waren sprachen eindeutig dafür.
Das Maul offenstehend, schwer atmend und immer unruhiger sondierte die Kaiserliche für einen kurzen weiteren Moment die Situation. Ihr Sinn für Vorsicht war noch nicht erloschen. Doch verriet ihr ihre feine Nase, dass sie keine Störung fürchten musste. Es versteckte sich keine fünfte Person in unmittelbarer Nähe und so weit ab von jeder Straße brauchte sie auch nicht mit Wachen rechnen. Es gab kein Halten mehr. Sie ließ sich etwas nach vorne fallen, bevor sie sich nach unten hin an dem Vorsprung abdrücke. Die Pranken vor den Kopf gestreckt erfassten sie als erste den Rücken des Elfen. Dann schnappen die Kiefer um seinen Hals zu. Er hauchte sein Leben aus, bevor ihre Füße ihn erreichten und ihn als Puffer zu Boden rissen.
„Was bei …?!“, schrie der Nord auf dem Stuhl und riss damit seine beiden Kameraden aus dem Schlaf. Doch weiter kam er nicht, denn die Wölfin schnellte schon herum und sprang von der Leiche unter ihren Füßen. Ihre Fänge versenkte sie in der linken Brust und Schulter, riss den wehrlosen Mann aus seinem Sitz und kugelte mit ihm in einem Wirrwarr aus Gliedmaßen über den erdigen Grund. Sein Schreien erstarb zunehmend in feuchtem Gurgeln, als ihre Eckzähne durch die Bewegungen seine Lunge aufschnitten. Blut quoll ihr ins Maul, benetzte ihre Zunge und rann ihren Rachen hinab wie guter Wein. Schweres Eisen kitzelte ihren Gaumen und weckte Lust auf Mehr.
Doch noch konnte sie sich nicht laben, nein. Zwei Nord standen noch zwischen ihr und ihrem Bankett. Mit rottriefender Schnauze und hechelnd trat sie ihnen auf die Hinterläufe erhoben gegenüber. Obwohl wesentlich kleiner als die Beiden, standen deren Augen weit offen wie Tore in ein Reich der Angst. Ihre Hände zitterten als erfroren sie und die Lippen bebten wie die Erde unter den Füßen eines Riesen. Sie brachten keinen Ton heraus, zu sehr schockierte sie der Anblick und plötzliche Tod ihrer zwei Kollegen. Knurrend trat Vesana näher. Unerwartet warf der weiter hinten stehende Nord sein Schwert auf den Boden und ergriff die Flucht. Nicht, dass es ihm etwas nützen würde, wenn sie ihn denn noch verfolgen wollte, aber für den Moment galt ihre Aufmerksamkeit dem Letzten der Viererbande.
Die Wölfin schritt immer näher, umkreiste ihre Beute schließlich und lauerte auf einen Fehler. Auch wenn das einfache Eisenschwert in seiner Hand kaum gekonnt geführt wurde, so mochte es durch Zufall dennoch schlimme Wunden reißen können. Also wartete sie ab, bis sich der furchtzerfressene Mann von selbst präsentierte. Und genau das tat er auch, als er nach ihr schlug. Kurz sprang Vesa zurück, dann wieder vor, noch ehe er seine Waffe erneut erhob. Mit der Linken riss sie ihm den Schwertarm von Ellbogen bis Handrücken auf. Schreiend taumelte der Räuber zurück, sein Lebenssaft floss schnell aus seinen Adern. Noch im Taumeln erwischte ihn ihre rechte Pranke quer über den Brustkorb und schon sprang sie ihn an. Die Fänge schlug sie ihm in den Hals, die Krallen an den Zehen gruben sich in seine Oberschenkel während ihre Pranken den widerstrebenden Oberkörper zu Boden pressten.
Knurrend rüttelte sie mit ihrem Kopf, zerfetzte seine Kehle und sandte ihn ins Jenseits. Zufrieden ließ sie von ihm ab und baute sich triumphierend über ihm auf. Ein langes Heulen grüßte die Monde, die unheilvoll ihren Jagderfolg beglückwünschten. Den Vierten der Bande ließ sie ziehen. Er wäre den Aufwand nicht wert, zu verlockend rief das noch warme Festmahl zu ihren Füßen.
Mühelos riss sie ihm die lederne Kleidung vom Leib und entblößte geschundene Brust. Die Rippen blitzten in den feucht triefenden Schnitten ihrer Klauen auf. Genüsslich leckte ihm die Wölfin über die Haut, schloss die Augen und brummte in Erregung. Wärme stieg in ihr auf, als sie das Eisen auf der Zunge schmeckte und es gierig hinabschluckte.
Feuchtes Glucksen riss sie aus ihrer Trance und ließ ihren Kopf in die Höhe schnellen. Aus der Nähe der Felswand vernahm sie die kläglichen Versuche eines sterbenden Mannes, Luft zu holen. Die Lefzen zurückziehend, entblößte sie die Fänge und verzog das Maul in ein animalisches Grinsen. Von ihrem letzten Opfer ablassend, schritt Vesana über den Leichnam hinweg und kehrte zum Nord, der auf dem Stuhl gesessen hatte, zurück. Seine Augen wanderten unstet umher, blieben nur kurz an ihr hängen, als sie über ihm stehen blieb, und blickten gebrochen in die Weiten des Nachthimmels. „Reudi-“, er spuckte Blut und hustete. Sein Gesicht schimmerte in tiefem Rot. „Reu-“, wieder brach er ab. „Reudiges … Biest:“ Schmerz verzerrte seine einst harten Züge. Sein voller Bart glitzerte feucht im flackernden Schein des Lagerfeuers.
Mit dem linken Fuß fixierte die Wölfin seinen Arm, die Krallen gruben sich tief hinein. Der rechte setzte oberhalb des Schrittes auf dem Bauch auf. Als sie sich auch dort festkrallte, stöhnte der Räuber. Seinen kraftlosen Versuch sie mit der noch freien Hand zu schlagen beendete sie mit einem kräftigen Hieb in die Kehle des Ellbogens. Schlaff sackte das Glied zu Boden. Behände trennte sie ihn von seinem Wams. „Los.“ In seinen Worten schwang Verlangen und Herausforderung mit. Er wollte, dass sein leiden endete und sie würde ihm diesen Gefallen tun. Ob ihm der Weg zusagte, blieb offen.
Schnell und für den Nord unerwartet schlug sie ihm die Klauen oberhalb des Herzens in den Brustkorb. Sein Schrei wäre wohl ohrenzerreißend gewesen, hätte ihm nicht seine Lunge den Dienst versagt. Kraftvoll bog sie ihre Finger um zwei Rippenbögen herum und riss sie kraftvoll wieder aus seinem Fleisch heraus. Knackend gaben die Knochen nach außen nach und spannten ein tiefrotes Loch auf, aus dem sein Lebenssaft floss. Regungslos lag der Plünderer unter ihr, doch sein erkennbar in der Wunde schlagendes Herz – wenn auch schwach – sprach dafür, dass noch immer ein letzter Rest Leben in ihm steckte. Bevor es aufhören konnte zu schlagen, vergrub sie ihre Fänge tief in dem starken Muskel. Zwei letzte Schläge vollführte es, bevor sie es herausriss und im Ganzen hinunterschlang.
In Ruhe widmete sie sich nun den anderen beiden, bereits verstorbenen Räubern und mit jedem Herz, das sie verzehrte, schien es, als verschärften sich ihre Sinne, Kraft und Ausdauer. Nicht nur das, auch erleichterte ihr das Gefühl der Sättigung und Stärkung, ihre innersten Triebe besser zu beherrschen und so umsichtiger zu handeln. Das Tier in ihr zog sich aus ihrem Verstand zum Verdauungsschlaf zurück. Es war in diesem Moment, dass sie die Leichen zum Feuer schleifte und nahe genug heranlegte, um ihre Kleidung Feuer fangen zu lassen. Bevor ihr jedoch der beißende Gestank von verkohltem Fleisch in die empfindliche Nase steigen konnte, hetzte sie schon wieder durch die Nacht zurück zum Ruinenturm, hielt dort jedoch noch inne und hastete dann zu einem nahegelegen Becken, in dem sich das Wasser eines Baches sammelte.
Erst nach einem ausdauernden Bad, während dessen sie sich das bluttriefende Fell und die letzten Fleischreste aus dem Maul wusch, kehrte Vesana zurück in die Tiefenschmiede. Mühelos überbrückte sie den hohen Absatz in der Ruine und bettete sich anschließend zusammengerollt wie ein Kind im Mutterleib auf das Strohlager. Die Kerze war inzwischen heruntergebrannt und überließ sie der Finsternis, auch wenn diese noch nicht vollständig Einzug halten wollte, solange ihre Wolfsaugen Wache hielten. Sie schloss sie alsbald und versuchte ihr aufgeregtes Herz zu beruhigen und Schlaf zu finden. Erst dann würde sie sich zurückverwandeln können. Bis dahin ruhte sie, von innen heraus warm und von den Fesseln der letzten Wochen der Unterdrückung befreit, zufrieden und gestärkt.
Zum nächsten Beitrag >>
Himmelsrand, Weilauf, Umland
<< Zum vorherigen Beitrag
Aus der Deckung eines großen, schroffen Felsbrockens heraus beobachtete Vesana einen alten Khajiit in weiten, leicht zerschlissenen Gewändern. Im silbernen Lichtschein wirkten sie zwar überwiegend graustufig, doch erinnerte sie sich nur zu gut daran, dass sie eigentlich farbenfroh schillerte. Auch jetzt noch, wo die Katze durch das ruhig daliegende Lager seiner Handelskarawane schlich, zupfte sie sich unaufhörlich an den Schnurrhaaren. Eine nervige Geste und sie zog die Lefzen in sehnsüchtiger Erwartung des Bevorstehenden zurück. Leises Knurren entwand sich ihrer Kehle und sie rutschte weiter an den Rand des Felsens.
Nur mit Mühe gelang es der Jägerin, sich zurückzuhalten und den Appetit zu bändigen. Noch war es nicht an der Zeit, zu nahe befand sich der alte Kater an den Zelten und dem niedrig gehaltenen Lagerfeuer, um das drei weitere Schnurrer saßen. Sie musste ihn irgendwie aus der Deckung der Planen und Karren locken. Eine Reihe von Ideen hatte sie bereits, aber eigentlich erschien ihr nur eine als wirklich praktikabel. Entsprechend huschte sie aus ihrer Deckung, auf allen vieren durch die silbergraue Nacht und für die Dauer eines Lidschlages nur zwischen zwei Zelten sichtbar durch sein Sichtfeld. Die wachsame Katze bemerkte die Bewegung hielt augenblicklich in ihren Bewegungen inne, um in die Dunkelheit zu spähen. Zunehmend mehr Wolken brauten sich am Himmel zusammen und warfen zusätzlich verwirrende Schattenspiele auf das Land. Das nutzte die Kaiserliche und huschte etwas weiter entfernt wieder in die andere Richtung zurück, nur um sich im Anschluss hinter einem anderen Felsen zu verstecken, die Ohren zu recken und vorsichtig aus der Deckung zu spähen.
Leicht hechelnd und mit aufgeregt schlagendem Herzen beobachtete sie den Karawanenführer. Der Khajiit wirkte merklich angespannt, schritt aber vorsichtig auf die Lücke zwischen den Zelten zu, das Zupfen an den Schnurrhaaren hatte er inzwischen eingestellt. „Was ist?“, fragte einer der anderen, die am Feuer saßen und das veränderte Verhalten ebenfalls bemerkt zu haben schien.
„Khajiit nicht sicher. Wahrscheinlich bloß ein Tier.“ Vesa entlockte es ein zorniges Grollen, das sie jedoch schnell wieder abbrach, um nicht aufzufallen. Stattdessen nutzte sie erneut den Schatten einer Wolke, um quer durch das Sichtfeld der Katze zu huschen und wieder in Deckung zu verschwinden. Während ihr die Samtpfote noch zwei Schritte ins Freie außerhalb des Lagers folgte, entließ die Wölfin ein sachtes Heulen und Knurren, dass gerade bis zu ihrem Ziel vordringen mochte. Augenblicklich veränderte sich seine Pose von einer neugierigen Anspannung zu furchtsamer Abwehr. Den Rücken gekrümmt, die Beine etwas gespreizt und Sprunggelenke angewinkelt. „Ma’Nushik, Wölfe!“, zischte der graue Khajiit, in dessen großen, spitzen Ohren Vesana nun zahlreiche Schmuckringe aufblitzen sah, wich einen Schritt zurück und ließ die drei zuvor um das Feuer sitzenden Katzen an ihm vorbeitreten. Jeder hielt einen Speer in der Hand, offenkundig stellten sie Wachen dar, wenngleich sie keine Rüstung trugen und sich nur in dicke Gewänder hüllten.
„Wo sind?“, fragte der kräftigste Kater im güldenen Pelz und weit aufgerissenen Augen. Seine scharfen Eckzähne entblößt und die Waffe zum Stich bereit hoch erhoben spähte er in die Dunkelheit hinein.
„Da drüben!“ Der Anführer blieb hinter seinen drei Wachen zurück, die vorsichtig, Schritt für Schritt, in die Richtung liefen, in der sich die Kaiserliche längst nicht mehr befand. Im Schutze einiger Büche schlich sie vorborgen vor den jüngeren, mit Sicherheit weitaus nachtschärferen Augen der drei Bewaffneten näher an das Lager heran. Ihre weichen Pfoten und Pranken legten sich langsam und bedacht auf den Untergrund, nicht einen Laut verursachend. Ihr rasendes Herz verlangte zwar nach schnellen Luftzügen und einer kräftigenden Beute, doch wusste auch das Biest in ihr die Gier im Zaum zu halten, wenn es sein musste.
Erst als sie in der Deckung aus einem Zelt und nahen Felsen angelangte, gönnte sie sich einen neuen Blick auf die Szenerie vor dem Lager. Der graue Kater mit den zahllosen Ohrringen hatte die Arme vor der Brust verschränkt und beäugte zähneknirschend seine drei Wachen. Diese stachen ein bis zwei Dutzend Schrittlängen entfernt mit ihren Speeren in die Büche, um sich dort eventuell versteckende Tiere zu verscheuchen – jedoch ohne Erfolg. Behutsam, langsam und jeden Griff und Tritt genau auslotend, kletterte die Wölfin auf den bis dahin schutzgebenden Stein. Die Aufmerksamkeit des Alten galt unverändert seinen Fellkameraden, weshalb er den dunklen Schatten im toten Winkel zu seiner Linken nicht bemerkte, und die übrigen teilten sich in diesem Moment auch noch auf, um mehr Boden auszukundschaften. An sich keine dumme Herangehensweise, würden sie denn tatsächlich mit einem Rudel hungriger Wölfe zu tun haben. So ließ es sich normalerweise auffächern und einzeln bekämpfen, da es dennoch alle potenziellen Opfer umkreisen würde.
Eine Wolke schob sich vor die Monde und warf ihren Schatten über die fünf Nachtgestalten. Im Höhenflug eines aufgeregten Herzschlages und mit leichten Eingeweiden drückte sich Vesana vom Felsen ab. Von oben fiel sie über den ahnungslosen Kater her. Erst im letzten Moment, kurz bevor sie zusammenstießen, bemerkte er das Unheil, das sich im näherte, doch war es da bereits zu spät. Ihre Fänge umschlossen seinen Kopf, hinderten ihn daran, einen Laut von sich zu geben und im Anschluss riss sie ihn zu Boden. Während sie sich behände abrollte und wieder auf die klauenbesetzten Füße kam, schlug der Khajiit mit dem Kopf auf einen Stein und verlor das Bewusstsein. Einige, mitsamt Stücken der Ohren, herausgerissene Ringe spuckte die Jägerin aus, dann schlug sie ihre Reißzähne in eine Schulter ihrer Beute und schleifte ihn außer Sichtweite der bewaffneten Katzen.
Diese hatten von dem ganzen Trubel nichts mitbekommen und stachen weiter in Gestrüpp und Schatten. Selbst wenn sie von den kurzen, dumpfen Schlaggeräuschen das eine oder andere aufgeschnappt hätten, wäre es genauso gut möglich gewesen, dass der Alte gerade in einem der Zelte verschwand. Zwar aufgeregt und die Ohren alarmbereit rotierend, aber freudig und mit immenser innerer Wärme in ihr aufsteigend, schleifte sie den noch lebenden Katzenmenschen weiter durch die Nacht auf eine etwas weiter entfernt liegende Baumgruppe zu. Dort sollte sie geschützt vor jedwedem zufälligem Blick in Ruhe speisen können. Bis die anderen Schnurrer bemerkten, dass sich ihr Anführer überhaupt nicht mehr im Lager befand, würde es Morgen und sie längst verschwunden sein. Zumal sich Wildtiere bei Nacht gerne in der Nähe der vereinzelten Bauminseln in der Tundra des Fürstentums aufhielten und die Aasfresser sich bis zum Morgengrauen an den Resten laben würden.
Als die Kaiserliche mit ihrer Beute an ihrem Ziel ankam und sie liegen ließ, schlug diese die Augen auf. Desorientiert und panisch rappelte sich der Kater auf, breite Blutbahnen zogen sich über sein Gesicht und von der Schulter über den Leib. Tiefe Schnitte ihrer Zähne ließen weißen Knochen an dünnen Hautstellen hindurchschimmern und das linke Auge lag aufgeplatzt in seiner Schädelhöhle. Schmerzerfüllt stöhnend und keuchend taumelte der halbblinde Khajiit durch die Dunkelheit im Schatten der Bäume. Lediglich Vesas rolliges Knurren brachte ihn zum Stillstand, als wäre er im Bruchteil eines Lidschlages zu Eis erstarrt. Nur sein leises, zweifelsfrei ängstliches Schnurren zeugte von seinem restlichen Leben. Er stank nach Angst und vermutlich lag das nicht zuletzt an dem nassen Fleck, der sich hüftabwärts in seinen Gewändern abzuzeichnen begann. Von der gönnerhaften Gestalt des Schnurrers, wie am Tag ihrer Ankunft in Weißlauf, blieb nichts als ein Häufchen Elend. Sich noch kurz am Anblick labend umkreiste sie ihn, streifte raschelnd einige Zweige und knurrte leise weiter mit zurückgezogenen Lefzen.
„B-b-bi-t-t-tte“, stammelte der Kater, als wüsste er, dass ihn kein normaler Wolf als Beute auserkoren hatte. Im letzten Moment seines Lebens erlaubte die Jägerin ihm noch einen Blick auf jene Gestalt, die ihm im silbernen Schein der fast vollen Monde nachgestellt und zugeschlagen hatte. Dann sprang sie ihn unvermittelt an. Die von weiten Stoffärmeln bedeckten Arme, die er zu seinem Schutze hochriss, zerfetzte sie mühelos noch während er auf den Rücken fiel und sie auf ihm landete. Bis auf die Knochen zerfleischt, schlug sie die schlaffen Glieder zur Seite und zerbiss dem grauen Khajiit schließlich die Kehle – ein finaler Akt der Gnade, um ihm das Leid eines aufgebrochenen Brustkorbes zu ersparen, wie es einer der Nord in der vorherigen Nacht ertragen musste. Berauscht von ihrem Erfolg und ihrer Güte machte sie sich schließlich über ihn her, genoss die Schwere und Bitterkeit des Eisens, als sie sein Herz hinunterschlang und gierig von seinem warmen Blut trank. Völlig von benebelt vom Fieber der Jagd schlug sie ihm immer wieder die Klauen in den schlaffen Leib, schlitzte ihn auf, um noch mehr von ihm zehrte.
Knackendes Holz brachte die Kaiserliche dazu, sämtliche Schändungen zu beenden sich ruckartig umzudrehen. Im Dunkel unter einigen Zweigen, aber für sie deutlich in der graumelierten Umgebung zu erkennen, schälte sich ein schlanker, fast schwarz erscheinender Wolf hervor. Wachsam schnuppernd und mit hochgereckten Ohren beobachtete er die Werwölfin, die auf die Hinterläufe erhoben über ihrer Beute thronte. Die bluttriefenden Pranken mit den Armen ausgebreitet zog sie die Lefzen zurück und entblößte die scharfen Zähne, an denen noch Reste der Katze hingen. Tief knurrend machte sie ihrem mehr oder weniger Artverwandten deutlich, dass er sich zurückzuhalten hatte. Seine beiden Rudelpartner, die ihn inzwischen flankierten, senkten mit ihm zusammen knurrend das Haupt, blieben aber wo sie waren.
In Ruhe wandte sich Vesana ihrem Schnurrer zu, labte sich noch für einige Momente, putzte sich anschließend Fasern aus dem Maul und leckte die Pfoten sauber. Erst danach überließ sie den Kadaver den Wölfen und spurtete vom Fleischsaft und dem Katzenherz gestärkt durch die Nacht. Zeit noch etwas herumzutollen blieb genug bis zum Morgengrauen. Das eine oder andere Reh zu hetzen, sie musste es nicht einmal erlegen, sondern einfach zur eigenen Verausgabung, sorgte stets für Freude.
Zum nächsten Beitrag >>
Himmelsrand, Weißlauf, Umland
<< Zum vorherigen Beitrag
Am Morgen tauchte Vesana in die Kälte eines kleinen Teiches außerhalb der Mauern Weißlaufs ab. Es handelte sich um denselben Tümpel, den sie schon in der vorletzten Nacht dazu genutzt hatte, sich zu reinigen. Nach der Letzten jedoch war es ihr nicht so recht gelungen, sämtlichen Schmutz von sich zu waschen und so wiederholte sie es in menschlicher Gestalt erneut. Abgesehen davon weckte das kühle Nass die Lebensgeister und es half gegen die unveränderten Kopfschmerzen, die gelegentlich wie Speere durch ihren Schädel stachen und sich sonst wie kneifende Käfer in die Haut bissen. So aber lähmte das Wasser die Nerven und die Stille unter der Oberfläche beruhigte die inzwischen trotz der Beute empfindsameren Ohren. Die Haare spielten ihr um Gesicht und Schultern während die Kaiserliche mit geschlossenen Augen unter der Oberfläche ausharrte, bis ihr die Luft ausging. Erst im letztmöglichen Moment tauchte sie tief luftholend auf.
Sie verschwand bis zu den Schlüsselbeinen im dunklen Nass, wenn sie auf dem Boden stand und leichtes Zittern begann von ihr Besitz zu ergreifen, als frische Böen über die Oberfläche des Teiches und ihre bis auf die Kopfhaut durchnässten Haare streichelten. Sie brachten zunehmend dunklere Wolken aus dem Westen heran und spätestens zum Mittag mochten sie wohl die Sonne verdeckt haben. Die letzten wärmenden Strahlen folglich bestmöglich ausnutzend begann Vesa damit, sich die mittlerweile aufgeweichten Blutsreste vom Leib zu rubbeln und begab sich anschließend näher zum Ufer. Bevor sie ganz aus den still daliegenden Fluten stieg, die lediglich vom zufließenden Bach geringfügig aufgebracht wurden, schaute sie sich noch einmal um. Zwar glaubte sie nicht, dass sie hier jemand beobachten, oder überhaupt durch Zufall finden würde, aber sie ging lieber sicher.
Erst danach stieg sie hinaus. Dicke Perlen rannen über ihre Haut, kitzelten sie und brachten die noch so feinsten Härchen an ihrem Körper dazu, sich aufzustellen. Der Wind verstärkte diesen Effekt und unangenehme Schauer rannen der Jägerin den Rücken hinab. Schnell rang sie ihr langes Haar aus und legte es in einen Knoten an den Hinterkopf. Einige Strähnen fielen ihr zwar ins Gesicht und reizten die Nasenspitze, doch auch die strich sie noch hinter die Ohren bevor sie sie zum Niesen brachten. Mit dem nahezu weißen, cremefarbenen Stoffband fixierte Vesana den Haarknoten, legte es in eine kleine Schleife und ließ die langen Enden des Bands ins Genick hinabfallen. Erst danach, noch immer feucht, schlüpfte sie in die saphirblaue Tunika und den Rest ihrer Sachen. Klamm legte sie sich an ihren Körper, aber die Sonne würde sie sicherlich noch ausreichend trocknen, bevor die Wolken gänzlich die Macht am Himmel übernahmen.
So hergerichtet und erfrischt spazierte die Jägerin unterhalb der Stadtmauern zur Hauptstraße und den sich daran anreihenden Gehöften. Begleitet vom Geruch frisch umgegrabener, abgeernteter Äcker huschte sie am Rande der Felder entlang bis sie den gepflasterten Weg erreichte, den sie wenige Tage zuvor bereits mit Hrothluf an ihrer Seite passiert hatte. Bei dem Gedanken an den Nord verzog sie das Gesicht und schob ihn schnell beiseite. Überdies erreichte sie ohnehin bald die Stallungen und kam somit in die Nähe des Katzenlagers, das sie im Gehen mit gewissem Interesse beobachtete. Ungeordnetes Durcheinander herrschte dort. Unter der Aufsicht einiger Wachen, die ausgesprochen angespannt wirkten, bauten die Schnurrer ihre Zelte ab. Sie wirkten dabei aufgebracht, fast schon etwas panisch. Ein schmales, ahnendes Lächeln stahl sich auf die Lippen der Kaiserlichen, kräuselte die Mundwinkel und entspannte die Kopfhaut angenehm.
„Was geht hier vor sich?“, fragte sie eine der Wachen, die den Durchgang des ehemaligen Stadttores flankierten und sich nicht in unmittelbarer Nähe zum Lager befanden.
„In der Nacht hat ein Rudel Wölfe ihren Anführer gerissen und jetzt haben sie Angst, als wäre ihre gesamte Sippe in Gefahr.“ Der bärtige Nord, der auf Vesana hinabblicken musste, rollte die dunklen Augen. „Ihr solltet besser weitergehen. Diese Khajiit glauben, dass es keine gewöhnlichen Wölfe waren, die ihren Häuptling gerissen haben – was auch immer das heißen soll – und gehen jeden an, der keine Rüstung des Jarls trägt oder sie schief anschaut.“ Er schüttelte sacht mit dem Kopf bis ihm einige Strähnen seines dunkelblonden Haares unter dem Helm ins Gesicht fielen. Die Kaiserliche hob in gespielter Verwunderung und Erkenntnis die Augenbrauen hoch.
„Danke für den Hinweis. Dann mal noch viel Glück hier.“ Sie wandte sich zum Gehen.
„Danke, einen schönen Ta- Wouh, Moment!“
„Ja?“ Einen Schritt hinter der Wache blieb sie stehen und drehte sich zu ihr um.
„Ist das Fell, das da aus Eurem Ohr kommt?“ Ihr Herz machte einen Satz in völligem Schock, nur mit Mühe milderte sie die Entgleisung ihres Gesichtes und sie starrte den Mann sprachlos an. Doch dann vernahm sie ein Lachen wenige Schrittlängen entfernt. Der Kamerad ihres Gegenübers am anderen Ende des alten Stadttores krümmte sich und hielt sich den Bauch, als sie zu ihm hinüberblickte. Und auch der Nord vor ihr begann nun laut los zu lachen. Ihr dämmerte, dass sie einem üblen Scherz aufgesessen war.
Die Fassung zurückgewinnend setzte sie zu einer Antwort an: „Vielleicht.“ Sie spitzte die Lippen in einem herausfordernden Lächeln. „Wollt Ihr herausfinden von welchem Tier es stammt?“ Jetzt war es die Wache, die kurz starrte, dann aber erneut lachte.
„Ich hoffe, es kratzt nicht so wie die Katzen da drüben.“
„Keine Sorge, es beißt nur.“ Sie stieß ein kurzes Knurren aus, das dem Tier in ihr jedoch keinesfalls gerecht wurde. Zu realistisch wollte sie es dann doch nicht klingen lassen. Der Kamerad auf der anderen Seite des Tordurchgangs pfiff verheißungsvoll. Es entlockte der Kaiserlichen nur ein leises Seufzen. „Nett, Eure Bekanntschaft gemacht zu haben. Viel Spaß bei den Nächsten, an denen Ihr Euren Scherz ausprobiert.“
„Gleichsam, danke. Habt einen angenehmen Tag.“ Er nickte ihr zu und ließ sie ziehen. Diesmal war es sein Kumpan, der die Kaiserliche abermals zum Stehen brachte. Ein langes, gedehntes Seufzen der Enttäuschung ließ darauf schließen, dass er einen anderen Ausgang des Geplänkels zwischen ihr und der Wache erwartet hatte. „Halt die Klappe!“, fuhr diese ihn deshalb direkt an, grummelte aber kurz darauf resignierend, als Vesana bereits weitergegangen war. „Wartet“, bat der Nord laut. Wieder hielt sie inne. „Wäret Ihr so gnädig mir Euren Namen zu verraten?“
Inzwischen verlor die ursprüngliche Auseinandersetzung mit dem Mann, der wohl eine Handvoll Jahr älter sein mochte als Vesa, ihren spaßigen Reiz. Dennoch wandte sie sich ihm zu. Er war einen Schritt auf sie zugetreten und stand nun direkt unter dem Tordurchgang etwas im Schatten. Obwohl die Rüstung viel verbarg, erkannte sie seinen kräftigen, muskulösen Körper, der zweifelsfrei zum Kämpfen fähig war. Die schulterlangen Haare schauten unter dem eisernen Helm hervor, der das markige Gesicht mit dem vollen Bart aussparte. An sich kein schlechter Anblick, auch nicht zu alt. Aber dennoch nichts, worauf sie sich eingelassen hätte.
Es hatte ihr tatsächlich wieder etwas Spaß bereitet, mit ihm zu spielen und auch er mochte augenscheinlich seine Freude gehabt haben – dabei sollte es allerdings auch bleiben. Er wollte mehr als sie bereit war zu geben, und das galt generell und unabhängig von der jüngeren Vergangenheit. Sein nicht völlig untalentiertes Bemühen honorierend, schenkte ihm Vesana ein schmales Lächeln, welches aber ebenso wie ihr längeres Schweigen bereits verriet, dass er ihr zu nahe kam. „Verzeiht“, kam er einer Antwort von ihr zuvor und neigte des Haupt und den Oberkörper leicht nach vorn. Als er sie wieder hob blickte sie ihn ein letztes Mal an und wandte sich dann endgültig zum Gehen.
Schmunzelnd und leichtfüßig trat sie in die Stadt ein und kehrte gegen das Getümmel auf den Straßen ankämpfend nach Jorrvaskr zurück. „Guten Morgen, Liebes“, grüßte Tilma als die Jägerin ins rauchige Innere der Halle der Gefährten trat.
„Guten Morgen“, entgegnete sie und wollte sich an den langen gedeckten Tisch zu Farkas und Skjor setzen, die noch frühstückten. Allerdings hielt sie Vilkas davon ab, der schnell auf sie zutrat. Hinter ihm türmten sich zwei hünenhafte Stadtwachen in schweren Rüstungen auf. Sie standen im krassen Gegensatz zu den eher leicht Gerüsteten am Tor und auf den Straßen, vor allem aber auch zu dem in eine einfache, schwarzbraun gefärbte Tunika gehüllten Gefährten vor ihnen.
„Vesa, warte“, bat er in einem Ton, der ebenso Sorge wie Verärgerung mit sich führte. Ob sie ihr galten oder etwas anderem vermochte die Kaiserliche nicht zu sagen.
„Vilkas, was ist los?“
„Das wüsste ich auch gern.“ Eine der Wachen nahm ihren rundum geschlossenen Helm ab. Darunter kam ein glattrasiertes, von zahlreichen Kämpfen gezeichnetes Gesicht zum Vorschein. Dunkle, teils grauverfärbte Haare umspielten das Gesicht bis zu den Wangen. Zweifelsfrei gehörten die zwei Männer zu den Gardisten der Drachenfeste – direkte Leibwächter des Fürsten von Weißlauf und seinem Gefolge.
„Ihr werdet gebeten, mit uns zu kommen“, sprach der Nord, der sich den Helm unter den Arm geklemmt hatte. Vesanas Gesicht versteinerte und zeigte nichts, von ihrem unangenehm wild pochenden Herzen. Mühsam zwang sie sich ruhig zu atmen und die Verwunderung zu verbergen.
„Eine Bitte würde voraussetzen, dass ich eine Wahl habe.“
„Reine Freundlichkeit.“
„Würdet Ihr mir erklären, um was es hier geht?“ Inzwischen stand die Jägerin frontal zu den beiden Wachen, die Hände vor der Hüfte verschränkt und in der Nähe ihres Dolches – nicht dass er ihr gegen die zwei schwer Gerüsteten viel genützt hätte, Schwertgriffe mit Platz für zwei Hände ragten über ihren Schultern auf. Vilkas flankierte sie und im Hintergrund sah sie Aela und die restlichen Zirkelmitglieder in argwöhnischen Posen die Szenerie beobachten und dem Gespräch lauschen.
„Es wird Euch in der Drachenfeste alles Nötige mitgeteilt werden.“ Das Gesicht des Nords verriet ebenso wenig über Motive, Kenntnis und Einstellung gegenüber Vesana, wie deren Gesicht über ihre Wut und Sorge.
„Muss sie allein gehen, oder wird es gestattet, sie zu begleiten?“, hakte Vilkas nach.
„Sofern Eure Empörung berechtigt ist, wird dies nicht nötig sein. Daher: Nein, es wird nicht gestattet.“ Es kam zu einem kurzen Blickduell zwischen dem Gardisten und dem wesentlich kleineren Gefährten. Danach wandte sich ersterer wieder der Kaiserlichen zu. „Jetzt kommt, wir haben nicht den ganzen Tag Zeit.“
Zum nächsten Beitrag >>