Wälder östlich der Knochenspitze
Der Ork kniete über dem toten Hasen und begutachtete den Federschaft, der aus dessen Genick ragte. Er rieb sich mit der linken Hand über das Kinn, das sich durch die groben Bartstoppeln mehr wie die Metallraspel eines Schmiedes anfühlte, denn gerade gestern rasierter Haut. Ich muss den Dolch mal wieder schleifen... Seine Aufmerksamkeit wanderte wieder zu der Jagdbeute. Was er so besonders an dem Hasen oder vielmehr dem Geschoss fand war die merkwürdig bunte Befiederung. Er kannte die Einheitsfarben der meisten Jäger. Die imperialen Jäger hatten meist rot, da die Handvoll befugter Jäger aus Einsamkeit kamen. Jäger der Jarl befiederten in den Farben der Wappen des jeweiligen Jarltum. Hier aber war schwarz und ein hochgradig selstames Türkis kombiniert. Kein dem Druide bekannter Vogel besaß ein Federkleid mit so einer Farbe. Vielleicht sind sie auch gefärbt... Er wollte gerade nach dem Hasen greifen um sich den Schafft besser beäugen zu können.
'Griffel weg! Den habe ich erlegt!' Ertönte hinter ihm eine weibliche Stimme. Djure blickte sich über die Schulter. Hinter ihm stand eine Kaiserliche oder eine Bretonin, so genau konnte er das nicht sagen. Sie hielt einen Bogen gespannt vor sich und zielte auf ihn. Djure war in seiner hockenden Position bereits fast auf Augenhöhe mit der Frau. Er schnaufte hörbar und richtete sich dann auf. Er drehte sich zu ihr um und blickte auf sie herab. Der Frau fehlte locker eine halbe Armeslänge zu ihm. Sie musste den Kopf nach hinten biegen um ihm in die Augen blicken zu können. 'Wäred ihr wohl so freundliche, euren Bogen aus meinem Gesicht zu nehmen?' Fragte der Ork. Seine Stimme war die eines tiefen Basses, eines Basses, wie man ihn manchmal auf Paraden der Legion hören konnte. Seine Statur schien sie relativ wenig zu beeindrucken, sie hatte unbestreitbar schon einige Trolle gesehen. Sie machte auch nicht wirklich Anstalten den Bogen zu senken. 'Ihr dachtet ihr könntet mich beklauen?' Fragte die Frau. Immer wieder das selbe... seit dieses Arschloch in Windhelm der festen Überzeugung war einen unglaublich sinnfreien Krieg vom Zaun zu brechen hat jeder Trottel das Recht für sich gepachtet jeden anderen aus Misstrauen einfach angehen zu können...
Djure seufzte und neigte dann den Kopf etwas um in den Himmel über sich blicken zu können. 'Seht, ich wollte euch nicht beklauen, ich bin vermutlich ein besserer Jäger als ihr, ich habe mich lediglich über die mir unbekannten Federfarben gewundert.'
'Natürlich und als nächstes erzählt ihr mir, dass ihr kein Ork seid und eigentlich für die Legion kämpft und ...'
Weiter kam sie nicht. Der Ork nutzte ihre kurze Unkonzentriertheit aus indem er mit Wucht die freie linke Faust ausstreickte - zur Seite.
Sie krachte in den Stamm einer Tanne neben ihm. Der Stamm schwankte beeindruckend. Die Augen der Frau folgten dem wankenden Baum hinauf in die Spitze. Einen Herzschlag später wurde sie unter einer dicken Schicht Schnee begraben. Der Ork bekam natürlich auch etwas ab, aber ihm reichte die Schneeladung gerade einmal bis zur Hüfte und zudem war seine Statur viel zu massig als dass der Schnee ihn tatsächlich umreissen hätte können. Von der Frau waren jedoch nur noch zwei hilflos fuchtelnde Hände zu sehen. Eine seiner riesigen Hände fuhr zwischen den Händen durch den Schnee und ertastete ihr Gesicht. Mit einem Wisch legte er den Kopf der Frau zur Hälfte frei. Sofort begann sie zu brüllen und zu keifen. Und beinahe ebenso schnell verstummte sie wieder, als Djure ihr direkt wieder die Hälfte des Schnees, den er gerade erst vor ihrem Gesicht weggeräumt hatte, wieder auf selbiges drückte. Nur noch Augen und Nase waren frei. Mit der rechten Tatze fuhr Djure an der Seite ihres Kopfes durch den Schnee, drückte ihn zur Seite, sodass sie in dieser Richtung etwas Platz hatte, dann spreitzte er den kleinen Finger von der Hand ab, steckte ihn ins Ohr der Frau und drehte ihn einmal ruckartig in jede Richtung. Am Saum ihrer Kaputze, welche über ihrem Kopf ein wenig aus dem flockigen Weiß ragte, putzte er den Finger ab, dann kam er nahe an den Spalt neben ihrem Kopf. 'Wenn ich gleich den Schnee vor eurem Gesicht wieder entferne, tut mir den Gefallen und haltet die Schnauze, ihr werdet die Puste noch brauchen.' Er machte ihren Mund wieder frei und es wäre auch einfach zu schön gewesen, wenn sie getan hätte, was er gesagt hatte. Aber nein, sie brüllte direkt wieder los. Djure kniff entnervt die Augen zusammen. Ein weiterer Schlag gegen den Baum und es regnete einige Tannenzapfen. Er suchte sich einen schönen aus und drückte ihn der aus Leibeskräften kreischenden Frau zwischen die Kiefer. 'Shhh!' Machte er, dann grub er mit einigen Wischern seiner großen Hände das Kaninchen aus. 'Gut festhalten.' Sagte er übertrieben aufmunternd und drückte ihr das halb geforerene Tierchen in eine der hilflos geöffneten Hände. 'Wenn ihr euch dafür entschuldigen wollt, dass ihr diese ganze Sache hier unnötig provoziert habt, ihr findet mich heute und morgen in Kyneshain.' Dann wuchtete er seinen massigen Körper durch den Scheewall. Er drehte sich noch einmal um. 'Ich würde mich beeilen, es dämmert bereits, soll kalt werden nachts hier draußen...'
Djure ging davon aus, dass die Frau sterben würde. Sie hatte zwar die richtige Kleidung für die Jagd im Schnee gewählt, jedoch sah er nur geringe Chancen für sie, sich allein aus dem Schneeberg zu befreien. Er wusste selbst, wie schwer Schnee sein konnte lag man darunter begraben. Notwehr und so... Sie hatte ihn vermutlich für den üblichen Orkbarbaren gehalten. Naja geschuldet seinem Aussehen liefen diesem Irrtum doch immer wieder erstaunlich viele Fremde auf. Trotzdem, aus ihrer Sicht stammt sie aus einem zivilisierten Volk, hat sich aber aufgeführt wie ein Schläger aus der Gosse.
Es war bereits tiefschwarze Nacht, die Nordlichter tanzten in strahlendem Grün am Himmel als Djure in Kyneshain ankam. Er blieb noch einen Augenblick vor dem Gebäude stehen und betrachtete das Schauspiel am Himmel. Dann nahm er seine Kopfzier ab und hängte sie sich an einer daumendicken Kordel um die Schultern. Er war so bereits zu groß für die Türen, wenn er den Schädel trug war die Wahrscheinlichkeit groß, dass er am Türsturz hängen blieb und das Ding im schlimmsten Fall zu Schaden kam. Das galt es zu vermeiden, das Ziegengebein hatte einen unmessbaren ideellen Wert. Er zog die Tür auf. Der Schankraum war nicht voll, aber gut besetzt. Als der Riese eintrat und die Tür hinter sich ins Schloß zog und die Kälte aussperrte, wandten sich ihm einige Köpfe zu, beäugten ihn einige Augenblicke und drehten sich dann wieder weg. Djure schaute durch den Raum und fand auch sogleich, was er suchte. An einem Tisch drängte sich eine größere Runde um zwei sich gegenüber sitzenden Männer und feuerte die beiden Gestalten an. Die beiden Sitzenden hatten die Gesichter zu grimmigen Fratzen verzogen, während sie sich im Armdrücken maßen. Sehr gut... ich kann den Geldbeutel bereits klimpern hören... Djure hielt zwar nicht sehr viel von weltlichem Besitz, aber er war nunmal kein Hexenrabe, der von rohem Fleisch, Luft und Hass leben konnte. Manche seiner Vorräte konnte er nunmal nicht in den Wäldern eben so auffüllen wie manch andere. Und Met gabs auch nicht in Flüssen.
Er gesellte sich zu der Truppe. Ein Arm wurde umgeknickt und donnerte auf die Tischplatte. Jene, die auf den richtigen gesetzt hatten jubelte, einige andere begannen ärgerlich auf ihren Einsatz zu schimpfen, während der Geschlagene den Stuhl räumte. Schon wollte sich ein nächster Herausforderer setzen, ein brauchbar trainierter Nord, der dem Ork wenigstens bis ans Kinn reichte, doch Djure legte dem Nord eine seiner mächtigen Hände auf die Schulter und hielt ihn leicht zurück. Der Nord blickte sich um und wollte schon etwas sagen, machte aber angesichts der Erscheinung Platz. Djure blickte einem sehr drahtigen Rothwardonen in die braunen Augen. Hmm... kommt nicht so oft vor, ich bin gespannt. Männer die direkt hinter Djure standen mussten sich auf die Zehenspitzen stellen um über seinen Schultern sehen zu können. Ein Bosmer am Kopfende des Tisches war noch geschäftig dabei die Wetten anzunehmen. Trotz der physischen Überlegenheit Djures setzten doch noch einige nicht gerade kleine Beträge auf den Rothwardonen. Er musste wohl schon einen recht erfolgreichen Abend bestritten haben bisher. Dann beschied der Bosmer den beiden die Fäuste ineinader zu verschränken. Der Elf wartete noch kurz, dann gab er das Zeichen zum Anfangen. Sofort spannten sich die Muskeln des Rothwardonen an. Djure drückte zunächst lediglich dagegen. Er musste anerkennen, dass der Kerl eine sicherlich mit viel Disziplin trainierte Muskulatur besaß. Die Lefzen im Gesicht des Ork hoben sich, als er langsam begann dagegen zu drücken. Die ganze Sache war an sich schon lächerlich unfair. Djures Unterarm war bereits eine ganze Spur länger als der Des Menschen, der Hebel mit dem der braune Kerl agieren konnte war einfach nicht groß genug um dies hier gewinnen zu können. Aber er hielt trotzdem dagegen. In Djures Rücken krachte die Eingangstür ins Schloss, aber er kümmerte sich nicht weiter darum, obwohl ein Teil der Zuschauer verstummt war und sich umblickte. Der Arm des Menschen aus Hammerfell krachte auf die Tischplatte, doch der Jubel blieb aus. Jetzt fühlte sich Djure doch gewzungen, sich zur Tür umzudrehen um zu sehen, wer dort so spannendes eingetreten war.
Eine Frau, gehüllt in einen triefenden Umhang einer Farbe, die Djure sehr sehr bekannt vorkam. Die Frau hatte die Kapuze zurückgeschlagen und ihr schweißnasses Gesicht glänzte im Schein der Kaminfeuer. Djure musste anerkennen, dass das von goldenem Haar eingerahmte Gesicht recht hübsch anzusehen war. Eine nur ganz dezent nach oben gebogene Stupsnase, deren flacher Rücken zwischen zwei offenen Augen gebettet in eine runde Stirn mündete. Die an sich fröhlichen Augen - wäre da nicht die tiefe Zornfalte in der Stirn gewesen - wurden durch die im gesichtsmittigen relativ dicken Ansatz nach einer Fingerbreite bereits zu einer sehr dünnen Linie auslaufenden Augenbrauen betont. Die Bäckchen unter den Augen waren gewölbt und jetzt stark gerötet. Die Lippen wirkten im ersten Augenblick gedrungen und von links und rechts her gestaucht. Aber auf den zweiten Blick war es lediglich ein kleiner, Mund mit ästhetisch zum eher runden Gesicht passenden, vollen Lippen in einer Form, die gern lächelte. Wenn der Bogen nicht die Hälfte des Gesichtes verdeckt - oder eben Schnee - sieht sie doch schon sehr hübsch aus...
'Der da!' Sie zeigte keuchend auf ihn. 'Ist ein Spion der Legion!' Wirklich? Muss das jetzt sein? Die meisten im Raum blickten sie eher stutzig an anstatt wie sie sich vermutlich erhofft hatte mit Waffen auf ihn loszugehen.
'Schaut ihn euch doch an, wie plump er versucht die Uniform der Sturmmändel mit diesem Ziegenfilz zu kopieren!'
Das ist jetzt eine persönliche Beleidigung. Djure stand auf, wobei der Stuhl knackte und Knarzte fast so, als wäre er erleichtert endich das Gewicht loszusein. 'Was fällt dir eigentlich ein Weib?!' Er packte seinen Stab mittig, vollzog eine Drehung über die drei Meter Entfernung zu ihr durch den Raum und mit dem Schwung der Drehung schoß ein Ende des Stabes ihr entgegen und traf sie auf Brustbeinhöhe. Pfeifend wich ihr die Luft aus den Lungen und sie klappte zusammen. Sie japste nach Luft. Djure zog sie an ihrem Mantel hoch. Er hatte den Schlag sehr genau bemessen, sie würde keine Schäden davon tragen, aber er würde sie nun davontragen und einmal eingehend mit ihr darüber verhandeln, dass sie ihrer gesundheitlichen Unversehrtheit einen großen Gefallen täte, würde sie ihn nicht noch einmal derart provozieren.
'Halt!'
Djure drehte sich zu der Stimme um. Ein Soldat der Sturmmäntel stand hinter ihm. Überraschend entspannt, lediglich eine Hand ruhte auf dem Schwertgriff. Hinter dem Soldat versetzt stand ein Kundschafter, ebenfalls in der typisch blauen Uniform. 'Ja?' Machte Djure.
'Dürften wir euch einmal durchsuchen? Nur Routine versteht sich.'
'Nein?'
'Seht guter Mann, wir wollen keinen Ärger hier - und keine Spione der Legion. Wenn ihr kooperiert würdet ihr damit beweisen, dass ihr nicht zum Imperium gehört.'
'Welchen Teil von nein habt ihr nicht verstanden?'
'Herr, wir sind vom rechtmäßigen Großkönig in Windhelm dazu befugt Waffengewalt anzuwenden, wenn es sein muss...'
'Und ich bin befugt mir mit eurem Haupthaar den Arsch nach dem nächsten Haufen abzuwischen, wenn ihr nicht sofort umdreht und mich in Frieden lasst!'
Der Nord schien kurz verblüfft, blickte aber dann grimmit in die Augen des Ork: 'Hiermit seid ihr vestegnommen wegen des dringenden Verdachtes...'
Djure reagierte bevor der Soldat geendet hatte: Die Hand, welche die Frau am Kragen hielt warf diese über einen Dachbalken über dem Ork, wo sie zappelnd hängen blieb, während die andere Hand ausholte und den Stab vorschnellen ließ. Während der Stab durch die Luft schnitt, lockerte Djure seinen Griff, sodass er die Waffe nun an einem Ende Packte, während das andere Ende nun mehr Schwung generierte und krachend an der Schläfe des Soldaten landete. Der Mann kippte sofort bewusstlos um. Der wird die nächste Zeit nicht aufstehen... Kreischend stürmte der Kundschafter mit einem Dolche in der Hand an. Djure schlug die heranfahrende Klinge einfach zur Seite. Sein Knie fuhr nach oben und dem noch nach vorn stolpernden Jüngling in den Unterleib. Was ein Schmerzensschrei hätte sein können gipfelte lediglich in einem aufgerissenen Mund und damit, dass der Mann einen Meter zurück segelte und japsend auf dem Boden liegen blieb.
'Hol mich endlich runter du Sohn eines Horkers!'
Djure drehte sich um und grinste dreckig. 'Achso ja wegen den Stoßzähnen in den Mundwinkeln? Ja, der ist gut, den hab ich auch nicht schon mindestens ein oder zweimal vorher gehört...' Dann drehte er sich wieder zum Schankraum um. 'Noch jemand, der meint ich gehöre zur Legion?' Niemand regte sich. 'Sehr gut, ich bekomme hier noch Wettgeld.' Er klopfte auffordernd auf den Tisch, an dem er eben noch saß und den Rothwardonen besiegt hatte. Zitternd schob der Bosmer ihm ein Beutelchen mit Septimen hin. Der Ork schüttelte den Kopf. 'Ich will nicht alle Einsätze, ich will nur meinen Teil von gerade eben.' Er konnte ungefähr abschätzen, wie viel er gewonnen hatte, es würde wieder eine Weile genügen schätzte er. Er blickte zur Wirtin hinüber: 'Einmal eine Runde Honigbräumet für das Loch hier.' Zustimmender Jubel und vereinzeltes Klatschen wallte in dem Raum auf. 'Und einen Schlauch Gewürzwein für mich.' Sagte der Ork, nachdem er den Gewinn von dem Waldelf entgegengenommen hatte und zur Bar gegangen war. Er ignorierte die Frau auf dem Balken, wie sie wild zappelte und keifte. 'Holt ihr sie da noch runter?' Fragte die Wirtin. 'Wieso, wollt ihr sie behalten?'
'Nein, eben nicht, derart schrille und hysterische Gäste kann ich nicht gebrauchen.'
'Keine Sorge, ich nehm sie mit.'
Die Wirtin schob ihm den Schlauch Gewürzwein über die Bar. Djure griff danach, hängte ihn sich um und ging durch den Raum. Mit einem Ruck hatte er die Frau von dem Balken heruntergezogen. Sie war erstaunlich leicht, wie er jetzt feststellte. Er umgriff beide Handgelenke und hielt sie vor sich hoch, sodass ihre Füße nicht den Boden berührten. 'Folgt ihr mir unauffällig oder nicht?' Ihre Antwort war ein schwacher Tritt gegen ihn. 'Ich werte das als nein.' Ein Ruck ging durch den Körper der Frau als er sie über seine Schulter warf. Gezielt legte er die freie Pranke auf ihr Geßäs. Hm... nicht von schlechten Eltern... Er trat nach draußer und stieß die Tür ins Schloß. Er ging ein paar Schritte vom Eingang weg und warf die Frau dann mit einer flüssigen Bewegung in eine Pulverscheewehe an der Wand des Gebäudes. Er ging vor ihr in die Hocke. 'Wollt ihr mir jetzt verraten, was euch dazu bewegt mir derartig den Abend zu vermiesen?' Er sprach normal und ruhig. Sie kniff die niedlichen Augen zusammen und presste die Lippen aufeinander. Djure seufzte. 'Wie heißt ihr?' Sie verschränkte die Arme vor der Brust und drehte bockig den Kopf zur Seite. 'Woher kommst...' Ihm fiel ein Fetzen Papier auf, der keinen Meter über dem Kopf des Menschen an die Holzwand der Herberge getackert war. Der Profilriss des Kopfes kam Djure aber sowas von bekannt vor. Er senkte nochmal den Blick und glich nochmal mit der zur Seite starrende Frau ab. Völlig verblüfft streckte er einen Arm nach oben und riss einen dicken Büschel Stroh aus dem Dach. Ein Schwall Schnee löste sich und fiel nach unten. 'HEY!' schreckte die Frau prustend auf. 'Sitzen bleiben!' Djure drückte sie zurück in ihren frostigen Sessel. Er schnippte dem Stroh entgegen und mit der improvisierten Fackel beleuchtete er den Steckbrief. 'Gesucht, möglichst lebendig: Julienn Moryn. Kaiservolk, etwa...'
'Stop!' Rief die Frau und wollte erschrocken aufspringen und nach dem Steckbrief grabschen.
'Sitzen bleiben sagte ich!' Djure drückte sie wieder zurück. Er las weiter: 'Etwa 24 Jahre alt, nackenlanges, krauses goldblondes Haar. Angeklagt des Raubes aus den Schatzkammen Mortal und Weißlauf. Des weiteren verantwortlich für mehrere Überfälle entlang der Hauptstraßen zwischen Weißlauf und Einsamkeit.' Er blickte auf das zierliche Geschüpf vor sich. Das muss entweder unglaublicher Zufall sein oder schlicht eine Verwechslung... 'Abgabe der Gefangenen gegen ein Kopfgeld von 500 Septimen, wenn tot 200 Septime, in der Kaserne von Einsamkeit. Er steckte die Strohfackel mit der Flamme voraus in den Schnee. 'Julienn...?'
'Ja?' Fragte sie aufblickend, realisierte aber im selben Moment, dass das ihre letzte Chance zum Schwindeln gewesen war. 'Scheiße!' Flüsterte sie. 'Ich... heiße nicht so!' Sagte sie bestimmt. Djure grinste breit. 500 Septime, damit könnte ich mir ein halbes Jahr den Gang zu Tavernen und das Handeln mit Fellen einfach sparen, heute muss mein Glückstag sein. 'Na dann hast du doch sicher nichts gegen einen Ausflug nach Einsamkeit, Julienn. Soll eine beeindruckende Stadt sein hab ich mir sagen lassen...' Der Ork glaubte selbst noch nicht ganz, dass dieses niedliche, nicht unbedingt sehr helle Ding in zwei Schatzkammern von Jarls eingebrochen war. Aber die Ähnlichkeit war groß genug, vielleicht würde er das Kopfgeld trotzdem einstreichen können. Er warf sich die zappelnde Kaiserliche wieder über die Schulter. 'Macht es euch bequem, wir haben einen längeren Weg vor uns.' Er überlegte noch kurz, ob er nicht erst lagern sollte um sie trocken zu bekommen. Achwas, auf dem Steckbrief stand lebend, nicht gesund. Er setzte sich seinen Schädelknochenhelm auf, riss den Steckbrief von der Wand und stopfte ihn sich in den Gürtel, dann stapfte er los der Straße nach Norden folgend.
Himmelsrand, Fürstentum Reach, Broken Tower Redoubt
“Wir sind so erledigt...”, stammelte Olaf, wobei er in dem Raum am tiefsten Punkt der Wendeltreppe, in den sie geflüchtet waren, auf- und ablief und nervös an seinem Daumennagel kaute. Hier unten war es viel kälter als draußen, und nur der Schein der angebrachten Fackeln erleuchtete das Gemäuer.
„Nägelkauen ist schlecht für dich, Olaf,“ sagte Bodeado, während Stephanus eine kurze Zählung machte, und dabei versuchte, das Zittern seiner Hände unter Kontrolle zu bekommen.
„Ach, halt doch dein Maul! Uns sitzt 'n Drache auf'm Dach, und du laberst immer noch deine scheiß Waschweiberweisheiten vor dich her!“ fuhr der kurz vor der Panik stehende Nord den Ex-Piraten mit schriller Stimme an.
Neben der gescheiterten Ballistenmannschaft hatte es Meum-Te noch vor ihnen in den Turm geschafft, und Bärenpelz war ihnen verwirrt und mit gezogener Axt entgegengeeilt. Insgesamt waren sie also zu sechst.
„Wir haben wirklich Glück gehabt,“ dachte Stephanus bei sich selbst. „Hätte dieses Monstrum unsere Seite der Mauer zum Grillen ausgesucht, wären wir jetzt tot.“
„Ich sag, wir gehen raus und bringen das Vieh einfach um, zack, Axt zwischen die Augen, so schwer kann das doch nicht sein!“, gab Bärenpelz seine Meinung kund, wobei er von der Kiste aufsprang, auf der er gesessen hatte. Er hatte den Terror des Drachen nicht mit eigenen Augen gesehen, und die Illusionsmagie, die die fliegende Echse auf sie gefeuert hatte – wenn es denn Illusionsmagie war – war wohl nicht sehr tief in das Gemäuer eingedrungen.
Die umstehenden Söldner sahen den massigen Nord an, als sei er Wahnsinnig.
„Nein,“ sagte Stephanus nach einer verdutzten Pause, „das Ding hat mit einem Schlag rund ein Drittel von uns erledigt, Bärenpelz.“
„Und ich hab meine Pfeife verloren,“ warf Bodeado traurig ein.
„Wenn wir uns nicht etwas einfallen lassen, können wir uns gleich selbst anzünden,“ schloss Stephanus seinen Satz ab.
Der massige Nord seufzte und setzte sich wieder auf die unter seiner Last stöhnende Holzkiste, und schien dabei fast enttäuscht, sich nicht in das Maul der Bestie, und damit in den sicheren Tod, stürzen zu dürfen.
„Können wir nicht einfach warten, bis das verdammte Mistvieh wieder abhaut? S'war davor doch auch nich' da. Fliegt also manchmal weg,“ schlug Gramul vor. Der Ork hatte sich mit gekreuzten Armen gegen eine Mauer gelehnt, und warf hin und wieder einen Blick nach oben an die Decke. Nach ihrer Flucht ins innere der alten Festung hatten sie kaum noch Geräusche von draußen vernommen.
Die Söldner grübelten jeder für sich, mit der Ausnahme von Olaf, welcher immer noch halb panisch den Raum durchmaß.
„Hörst du wohl auf damit, du machst mich noch ganz kirre!“ schrie Bärenpelz den anderen Nord schließlich an. Dieser schreckte auf und schenkte ihm als Antwort einen bösen Blick, blieb jedoch wie angewiesen stehen und lehnte sich, wie Gramul, ebenfalls an die Wand, den Blick nach unten auf seine Stiefel Gerichtet.
Die Söldner dachten nun weiter nach: Bodeado kaute auf seiner Unterlippe, Gramul gro-Ogdum sah die anderen erwartungsvoll an, Meum-Te rieb sich nachdenklich das Kinn, Olaf nagte weiter an seinem dreckigen Daumennagel, Stephanus fuhr sich durch den Bart, und Bärenpelz kratzte sich am Hintern.
„Nein,“ sagte der Kaiserliche schließlich, denn ihm war ein grausiger Gedanke gekommen. Er nahm die Hand aus dem Bart und blickte die anderen an. „Wir können nicht warten. Die Kompanie denkt, die Festung ist unter unserer Kontrolle, und nachdem gepackt ist, kommen sie alle durch den Pass. Der Drache fliegt einmal drüber, und bringt alle um, bevor jemand überhaupt weiß, was vorgeht. Und dann ist es aus.“ Das schien nicht jeden zu überzeugen. Er konnte an ihren Gesichtern ablesen, dass einige von ihnen abwägten, wie viel ihnen ihr Sold in dieser Situation eigentlich wert war.
„Außerdem...“, fügte er hinzu. Bilder der Küche gingen ihm durch den Kopf, und Menschen, die sich verhielten, als seien sie schon längst tot gewesen, nur noch leere Hüllen, Schatten ihrer Selbst. „Außerdem haben die Abgeschworenen auch gewartet. Und wir wissen, was aus ihnen geworden ist.“
Die anderen nickten langsam, wobei Olaf gut anzusehen war, dass er sich ebenfalls noch an die Küche erinnerte.
„Rognag ist so ein verdammter Glückspilz,“ murmelte sich Bodeado selbst zu. „Bricht sich ein Bein und darf sich im Lager ausruhen, während wir es mit Gestalten aus alten Legenden zu tun haben...“
„Wisst ihr, wir sollten einfach aufgeben, und uns Gottes Gnade unterwerfen.“ Dieser Satz kam von Meum-Te, der die anderen nun mit einem sehr verwirrten Gesichtsausdruck betrachtete. Offensichtlich waren dies nicht seine eigenen Worte gewesen, die aus seinem Mund kamen, und der Argonier fluchte in seiner Muttersprache und hob verzweifelt die Hände an den Kopf.
„Xuth! Hist zu leise im verfluchten Norden!“
Bodeado, der neben der Echse stand, sah diese misstrauisch an und legte eine Hand auf den Griff seines Schwertes, während sich die anderen Söldner besorgte blickte zuwarfen.
Abgesehen von der Sache mit den Hist konnte Stephanus die Niedergeschlagenheit des Argoniers nur zu gut verstehen. Es war ein grauenhaftes Gefühl gewesen, so kurz es auch war, nicht mehr der Herr seines eigenen Körpers gewesen zu sein, nicht mehr der Herr seiner eigenen Gedanken. Absolut schutzlos und unfähig, sich zu wehren, dem verfluchten Nebel in seinem Kopf ausgeliefert, der den Kern seines Seins angriff und zerfraß, seine Psyche, seine Erinnerungen, dass, was ihn zum Menschen machte, und ohne das er nichts weiter war, als eine leere Hülle, die vor sich hin vegetierte. Selbst jetzt noch konnte er ein stilles Echo der befehlsgewohnten Stimme hören, wegen der sich seine Nackenhaare aufrichteten. Aber wenn man der Stimme des Drachen zu lange lauschte, wurden die selbstabwertenden Gedanken, die sie einem in den Kopf legte, zu einer selbsterfüllenden Prophezeiung.
Stephanus riss sich mit einem Kopfschütteln von seinen Gedanken los und sagte: „Lasst uns erst einmal mit den anderen neu Gruppieren. Hrard sollte noch in der Eingangshalle gewesen sein, als das Vieh aufgetaucht ist. Er hat bestimmt schon eine Idee, wie wir hier lebend rauskommen.“ sagte Stephanus, und hoffte gegen sein besseres Wissen, dass er recht hatte.
Das Portal zum Westturm stand einen Spalt weit offen, und Soldin Stahlzapfen lugte vorsichtig hinaus. Unweit von der Stelle, die der Drache mit Feuer bespuckt hatte, und wo der Stein fast angefangen hatte, zu schmelzen, lag Brarek Jungeiche, in einer immer größer werdenden Lache seines Blutes, und des Blutes der verstreuten Körper um ihn herum.
Dem Mann fehlte der untere Teil des rechten Arms, und eins seiner Beine stand in einem sehr ungesund aussehenden Winkel von seinem Körper ab. Mehrere klaffende Wunden in seinem Torso markierten die Stellen, an denen die Zähne des Ungetümes ihn durchstochen hatten, jedoch nicht sehr tief, wie Soldin bemerkte. Auch war er kaum verbrannt.
Entgegen aller Erwartung schien Brarek noch zu leben. Er stöhnte, zuckte und röchelte, den Kopf mit den blutverschmierten und damit unbrauchbaren Augen starr in den Himmel gerichtet.
„Nordische Zähigkeit“, dachte Soldin selbstgefällig.
Vom Drachen war weit und breit keine Spur zu sehen, wenn man von der Spur der Verwüstung mal absah. Und wenn man nicht genau darauf achtete, bemerkte man die Paar Steinchen nicht, die auf der Außenseite über der Tür herabrieselten...
Soldin schloss die schwere Tür wieder und blickte die Innenseite der Wand hoch, dorthin, wo er den Drachen in Lauerposition vermutete. „Cleveres Mädchen...“
Das Monster war also in der Lage, Köder auszulegen und Fallen zu stellen. Sie hatten es also eindeutig mit mehr als nur einer animalischen Intelligenz zu tun.
Selbstzufrieden machte er kehrt und stieg die Wendeltreppe wieder herab, während Brarek draußen sein Leben ausröchelte.
Er hatte es doch gewusst. Die Drachen waren zurückgekehrt, wie es in den alten Legenden vorausgesagt wurde. Und mit ihnen, das Drachenblut. Und wer sonst könnte das Drachenblut sein, als ein Prachtexemplar von einem Nord wie er selbst? Wie dem auch sei, wenn sie das Vieh erledigen könnten, nun, das würde ihm auf jeden Fall einen Ehrenplatz in Sovngarde garantieren, ganz nah dran am Kamin, den Metfässern und den knapp bekleideten Walküren.
„Jetzt seit leise und lasst mich nachdenken,“ befahl Hrard.
„Was gibt‘s da groß nachzudenken? Wir sind gearscht, im Großen und Ganzen, mehr gibt’s darüber nicht zu sagen!“ beschwerte sich Sylaen.
„Wenn du das so siehst, dann steht dir frei, durch die Eingangstür zu gehen und dich fressen zu lassen.“
Was folgte, war eine angespannte Pause, während der Hrard Sylaen kalt ansah, sie ihn böse anfunkelte, und die restlichen, nun verstummten Söldner zwischen den beiden hin und her schauten. Schließlich seufzte die Elfe und ließ besiegt die Schultern hängen.
Stephanus versuchte wieder seine zitternden Hände unter Kontrolle zu bekommen, und erneut vergeblich. Es passierte ihm hin und wieder, während Pausen nach Momenten, in denen er sich vollkommen klar werden konnte, dass sein vorheriges Überleben nur vom Zufall abhing. Ein massiver Bolzen einer Balliste, oder der Felsen eines Katapults, der seine Nebenmänner in der Formation zerfetzte; ein Regen aus Pfeilen, der genau zu seinen Füßen niederregnete oder die Reihen hinter ihm traf; ein mit Magie geformter Eiszapfen, der genau dann seinen anfänglichen Anstoß verlor, nachdem er mehrere von Stephanus' Mitstreitern vor ihm durchlöchert hatte. In diesem Falle war der Auslöser die Wahl des Drachen gewesen, welche Seite der oberen Befestigungsanlage er verbrennen wollte.
Der Kaiserliche atmete mehrmals tief ein und aus, aber es half nichts. Wieder einmal würden sich seine Hände nur mit der Zeit beruhigen können.
Er blickte auf und schaute sich in dem Hinterzimmer der Eingangshalle um. Von den neunundzwanzig Söldnern waren ohne ihn nur noch dreizehn geblieben. Fünf Männer Verwundete und Eskorte, der Rest war entweder beim Angriff des Drachen gestorben, oder versteckte sich irgendwo anders in der Festung. Stephanus schätzte, dass sie selbst mit voller Truppenstärke dem Drachen in ihrer Situation wohl nichts entgegenzusetzen hatten. Die Wenigsten hatten Bögen oder Armbrüste – Stephanus ärgerte sich über sich selbst, hatte er doch selbst seinen Bogen bei der Flucht vor dem fliegenden Monster verloren.
„Was ist mit den Gefangenen? Wir könnten die beiden als Ablenkung benutzen und uns davon machen,“ schlug Harun in der nachdenklichen Stille vor.
„Nein,“ erwiderte Hrard sofort. „Können kaum noch stehen. Und das Mistvieh ist zu schnell. Sie wären in einem Augenblick erledigt, und dann wären wir an der Reihe.“
„Wie wäre es stattdessen mit Spurius? Er kann noch laufen, und für was anderes als Drachenköder spielen ist er nicht zu gebrauchen,“ sagte Berend mit einem bösen Grinsen.
„Ach, halt doch deine dumme Schnauze, du Sohn einer räudigen, rotäugigen Gossenhündin!“ rief Cocius Spurius mit einer Hand auf dem Schwert dem immer noch grinsenden Dunmer entgegen. Das Gesicht des jungen Kaiserlichen war an den Stellen, an denen er von Folms Berends Fäusten getroffen worden war, noch stark angeschwollen, was jedoch nicht seinen wütenden Gesichtsausdruck überdeckte. Eins musste Stephanus dem mutmaßlichen Vergewaltiger lassen: Er ließ sich nicht einfach so unterkriegen. Vielleicht war er auch so seiner Exekution entkommen.
„Ihr haltet beide die Schnauze,“ fuhr Hrard sie gebieterisch an und hämmerte seine Hände demonstrativ auf den Holztisch vor ihm. „Wir brauchen keine Ablenkungen für den Drachen. Nicht als unseren Hauptplan. Wie ihr sicher wisst, packt die Kompanie gerade ein und bereitet sich darauf vor, hier an der Festung vorbei zu ziehen. Und sie wissen nichts vom Drachen. Es wird ein Blutbad, und unser Sold und unsere Vorräte sind dann dahin, und wir stecken hier fest, um langsam zu verrecken.“
„Wer sagt denn, dass das verdammte Ding noch da ist?“ fragte Fleisch in die Runde. „Wir haben seit einer halben Stunde nichts mehr von dem Scheißteil gehört.“
„Oh, es ist noch da!“ dröhnte Soldin Stahlzapfen, der gerade durch die Tür gestapft kam, mit vor stolz herausgestreckter Brust, rußgeschwärztem Gesicht und selbstzufriedener Miene.
„Vierzehn“ verbesserte Stephanus die interne Zählung seiner Mitstreiter. Es hätte ihn eigentlich nicht überraschen sollen, dass Soldin in typischer Nord-Manier darüber erfreut war, einem übermächtigen Gegner entgegen zu stehen.
„Wo?“ fragte Hrard sofort.
„Oben. Es liegt auf der Lauer und wartet auf uns,“ verriet der andere Nord in einem verschwörerischen Tonfall.
Hrard nickte nur, während sich Stahlzapfen sich zur Runde der verbliebenen Söldner hinzugesellte.
Es folgte abermals eine grübelnde Stille, in der jeder darüber nachdachte, wie sie alle – aber vor allem er oder sie selbst - der Situation lebend entkommen konnten.
Schließlich blickte Harun vom Boden auf und wand seinen Kopf mit einem Fingerschnippen ihrem Anführer zu. „Rauchzeichen. Die Rauchsignale, die die Abgeschworenen benutzt haben, können wir die nicht als künstliche Nebelwand benutzen, und uns in ihrem Schutz davon stehlen? Und dabei noch irgendwie die Kompanie warnen?“
Alle Blicke im Raum wanden sich nun Hrard zu, der sich das Kinn rieb und offensichtlich überlegte. „Nein,“ sagte der Nord schließlich. „Ihr Leute habt mir berichtet, wie es geflogen ist. Die Flügel sind offenbar sehr stark. Es könnte den Rauch einfach wegdrücken. Und die Dorfbewohner konnten die Rauchzeichen nicht sehen, alles stammt aus Berichten von Reisenden.
Außerdem ist es nicht damit getan, aus der Festung zu entkommen,“ fuhr Hrard fort, „die Leichen, die wir hier gefunden haben, waren alt, und in der Zeit schien das Vieh Karthwasten nicht angegriffen zu haben. Aber wer sagt, dass das sich nicht ändern kann? Wenn es uns in diese Richtung fliehen sieht, geben wir der Bestie vielleicht einen Grund, es doch zu tun. Aber das gibt mir eine Idee...“ Der Anführer der Söldner wand sich plötzlich Stephanus zu. „Levinius! Die Balliste, ist sie noch intakt?“
„Ja“, antwortete der Kaiserliche verdutzt, etwas überrascht davon, plötzlich Hrards Aufmerksamkeit auf sich ruhen zu haben. „Wieso?“
„Wir müssen den Drachen verjagen. Ihm wehtun, damit er sich zurückzieht. Eine andere Option sehe ich gerade nicht.“
Stephanus nickte kurz, und drehte sich zu Bodeado, Gramul gro-Ogdum und Olaf um. „Habt ihr die Balliste noch geladen, bevor wir uns zurückziehen mussten?“
„Ja,“ sagte Olaf.
„Nein,“ sagte Bodeado.
Die beiden sahen sich kurz an, und dann sprach der Rothwardone zum Kaiserlichen: „Es war ein hektischer Moment. Keine Ahnung. Ich weiß nur, dass wir den ersten Schuss verfehlt haben, und wir mussten vor dem zweiten den Rückzug antreten.“
„Du meinst wohl DU hast den Schuss verfehlt,“ berichtigte Olaf ihn, was ihm einen kleinen Stoß in die Rippen einbrachte.
„Hmpf,“ sagte Hrard. „Die Rauchzeichen, Levinius?“
„Oben in den Türmen,“ antwortete Stephanus.
„Und der Drache?“ fragte der Anführer nun Soldin, der mit verschränkten Armen in die Runde blickte.
„Die Bestie hat sich am Westturm festgekrallt, ich glaub mal mit dem Kopf zum obersten Plateau hin, wo es mich fast gegrillt hat.“
„Hm. Nun gut.“ Hrard kratzte sich erneut am Kinn, wobei er nachdenklich auf den Tisch hinab sah, und dann blickte er auf und sprach weiter: „Männer, es sieht so aus: Wir werden die Aufmerksamkeit dieses Mistviehs weg vom Ostturm halten, wo die Balliste steht. Ein Teil von uns wird's am Westturm ablenken, und mithilfe der Rauchgräser hüllen wir die Brustwehr in Nebel. Genug, um dem anderen Teil die Chance zu geben, unbemerkt an die Balliste zu kommen, zu zielen, und diese fliegende Perversion einer Echse aus dem Himmel zu schießen, oder am Boden zu treffen, oder wo auch immer es sich aufhalten mag. Das Ding zu töten wäre optimal, doch es zu verjagen reicht auch schon.“
„Farbiger Qualm, und dann durch den Rauch mit einer Balliste auf ein fliegendes, bewegliches Ziel schießen? Hrard, das ist absolut zurückgeblieben!“ beschwerte sich Berend.
„Wär dir lieber, sie würden im Offenen rumlaufen? Ohne Deckung, völlig sichtbar für dieses Scheißding? Der Rauch wird sich schon verziehen, es reicht, wenn er sie versteckt hält, solang' sie an die Balliste geh'n.“
Der Dunmer zuckte als Antwort die Achseln, und Hrard wand sich von ihm ab.
„Nun denn. Spurius?“
Der junge Kaiserliche drehte sich seinem Anführer zu. „Was?“
„Du, Sylaen und Mafalda-“
„Mafalda ist tot.“
„Du, Sylaen und Bärenpelz spielen Ablenkung am Eingang zum niederen Plateau.“
„Moment, was? Im Freien?“
„Ja.“
„Du bist doch wahnsinnig!“
Die beiden anderen Erwähnten taten ebenfalls ihr Missfallen kund, doch verstummten wieder, als Hrard als Ruhezeichen seine Hand hob.
„Das ist doch Selbstmord! Du willst uns einfach nur loswerden!“ rief Cocius wütend. Er machte Anstalten, weiter zu schreien, schloss aber seinen Mund in dem Moment, in dem Berend einen bedrohlichen Schritt auf ihn zu machte.
„Es wird nicht lange dauern,“ sagte Hrard.
„Weil wir dann tot sind,“ antwortete Sylaen.
„Nein. Ihr lenkt nur solange ab, bis die andere Gruppe auf der Westseite die Rauchzeichen angezündet und vom Turm geworfen hat. Danach lenken die ab. Das sind Berend, Meum-Te, Fleisch und Bodeado. Levinius und Olaf gehen an die Balliste. Der Rest ist Reserve und Signalläufer. Alle verstanden?“
Es gab vereinzeltes Nicken, aber auch vereinzeltes Murren. Nicht jeder war mit dem Plan einverstanden, und auch Stephanus hatte seine Zweifel. War der Rauch überhaupt nötig, nachdem der Drache dank Ablenkung der Ostseite der Festung den Rücken zugedreht hat? Brauchten sie wirklich diese Stufen-geschaltete Ablenkmanöver? Und was würde passieren, wenn der Plan fehlschlug?
Stephanus wusste, dass weder Hrard, noch er, noch irgendwer sonst unter ihnen viel Erfahrung mit fliegenden Widersachern hatte. Das einzige, was ihm gerade einfiel, waren Magier mit Levitationszaubern, doch die waren in der Regel langsam und für jeden geübten Bogenschützen ein einfaches Ziel.
„Oh, und Harun?“
„Hrard?“
„Sobald die Ablenkung auf dem Turm anfängt, läufst du vom Haupteingang los in richtung Karthwasten und alarmierst die Kompanie.“
Nun war das Murren lauter, doch es war weniger gegen Hrards Plan gerichtet, sondern eher gegen Harun, der wohl mit einem blauen Auge davonkommen würde, während sie zurückbleiben und gegen die Kreatur aus altnordischen Legenden kämpfen mussten.
„Glücklicher Bastard,“ dachte Stephanus bei sich selbst.
„Jetzt wo das erledigt ist... Los. Ihr wisst wohin ihr müsst. Begebt euch in Position und wartet auf das Signal. Noch ist das Rennen gegen die Zeit kein Sprint.“
Himmelsrand, Einsamkeit, Blauer Palast
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Der Weg zum Haupthaus des Palastes blieb ein kurzer, verstrich noch schneller ob Amelias Kopf in den Wolken und Augen auf den Fassaden, bevor dieser der säulengetragene Vorbau des Haupttraktes abschnitt. Nur für einige Herzschläge kam es ihr so vor, als bliese der Wind stärker in die Kolonnade. Dann jedoch schob ihr Wegführer, Hrundal, wie ihn sein Kamerad nannte, die schweren Portalflügel aus massivem bronzeverzierten Holz auf und gebot ihnen, einzutreten. Wärmere, aber keinesfalls sonderlich warme Luft schlug ihr unvermittelt entgegen, derweil sie und ihr Ohm sich ins Innere begaben und letztlich kurz stehenblieben, um auf den Rest zu warten.
Zugegeben, der Anblick der weitläufigen Halle mit Kolonnaden und Emporen zu allen Seiten, gearbeitet aus deutlich kunstvoller behauenem Stein in hellem und dunklem Grau, mancherorten sogar düsterem Anthrazit, verschlug der Bretonin schließlich doch einen Moment den Atem. Trübes Licht funkelte durch die Bogenfenster an der Basis der Domkuppel und zerstreute sich im schummrig von Leuchtern erhellten Empfangsbereich. So manche geschäftige Bedienstete des Hauses und weitere Wachen in den deutlich schwereren Rüstungen, wie sie auch ihr Wegführer trug, die mit den Rücken zu einigen der eckigen Säulen standen, bevölkerten diesen Teil des Palastes. Während die Gerüsteten ihre Posen nicht merklich veränderten, glichen die Diener dieses offenkundige Desinteresse aus und warfen so manchen neugierigen Blick zu den eintretenden Bretonen hinüber, ehe sie hastig zu den Seiten des Saals zwischen Pflanzkübeln mit blässlichem Grün und den Pfeilern verschwanden.
»Es ist üblich, dass Besucher des Hauses den Jarl persönlich über ihre Anwesenheit in ihren Hallen unterrichten, auch wenn sie Gäste anderer Bewohner des Palastes sind«, meldete sich unvermittelt Hrundal zu Wort, seine Stimme rauchig und spröde, einer rostigen, blätternden Eisenstange nicht unähnlich. Erstmals nahm Amelia ihn richtig wahr und betrachtete seine markanten, kantigen Züge, die sich nicht vollends unter seinem dichten, brustbeinlangen Vollbart zu verstecken vermochten. Stahlblaue Augen leuchteten unter seiner starken Stirn und buschigen Brauen hervor. Ein Nord, wie er im Buche stand – Wildes Schimmern in den Augen, kraftvoll. Aufregend.
»Wenn es die Gepflogenheiten des Hauses sind, so werden wir uns ihnen selbstverständlich beugen«, willigte Natalios schließlich ein, als sie alle das trockene Innere des Palastes betreten hatten. Neuerliches Herzklopfen erfasste Lia in der Gewissheit, einer echten Königin gegenüberzutreten. Nach all den kleinen und größeren Fürsten, Herzogen und Burgherren in Hochfels, die ihre Familie kannte, so besaß diese Begegnung eindeutig Besonderheit. Dennoch verspürte sie dieselbe, leichte Unzufriedenheit mit dieser Art des Empfangs, wie sie auch ihr Ohm zu empfinden schien, immerhin wollten sie sich nicht allzu groß bekannt machen. Mehr noch als das einfache Volk tratschte der Adel unter sich – und kam dabei noch weit mehr herum, als ersteres. Von allen Gerüchteverbreitern mochten Blaublütige die Schlimmsten sein – und damit kannte sich Amelia nicht nur bestens aus, sondern musste zu ihrer Schande gestehen, oft genug dazuzugehören. Adelsdamen unter sich. Nichts zeterte mehr.
Unterdessen die junge Bretonin ihren Gedanken nachhing, verpasste sie beinahe den kunstvollen Aufgang am gegenüberliegenden Ende der Halle, ignorierte ihn fast völlig, obwohl sie eine der geschwungenen Treppen nach oben stiegen. Schwere Schritte voraus und folgend, blieben ihr Onkel und sie doch weiterhin von ihren Wächtern eingefasst.
So imposant der Empfangssaal hinter ihnen sein mochte, so schlicht bot sich der eigentliche Thronraum an, mehr eine zu dunkel geratene Nische mit Bannern und einigen Holzbänken. Wenig Licht drang durch die zu klein geratenen Fenster an der rechten Seite und nicht einmal ein großer Teppich, so wie in der Eingangshalle, sorgte für etwas mehr Gemütlichkeit. Amelia fröstelte es unvermittelt.
Darüber hinaus fielen die Bretonen im Vergleich mit den anderen Anwesenden hier nicht nur durch ihre feinere, filigranere Erscheinung und kleinere Größe auf. Wenn sich Amelia die Kleidung der Nordadeligen betrachtete, so mochten diese bisweilen in Hochfels als gewöhnlich durchgehen, wenn sie einmal von den schweren, gut gearbeiteten Fellen absah, die den meisten um die Schultern lagen. Schwere Stoffe, oftmals Samt, überbordet mit schwerem Goldschmuck, gröberen Untergewändern und farblichen Kombinationen, bei denen Amelia die Augen bluten wollten. Ihre Hoffnungen, in diesem Kleiderladen nahe des Haupttores der Stadt den einen oder anderen Septim wohl investieren zu können, welkten nur einen Lidschlag später.
Dennoch blieb ihr nur ein flüchtiger Moment, die Umgebung aufzunehmen, bevor Hrundal ihre Gruppe näher zu einem Podest lotste, auf welchem sich ein deutlich kunstfertiger geschnitzter, hoher Lehnstuhl befand. Eine schmale, älter erscheinende Nordfrau saß auf dem Thron, trug das rot schimmernde, lange Haar mit einem goldenen Stirnband nach hinten gelegt und entblößte damit ihr spitzes Gesicht. Graue Augen, die auf Lia einen traurigen Eindruck machten, musterten die Neuankömmlinge, welche das Gerede zwischen den Anwesenden zum Verstummen gebracht hatten.
Langsamen Schrittes näherten sich letztlich lediglich die beiden bretonischen Adeligen dem Thron. Ihre Wachen und Hrundal hielten sich indes im Hintergrund und nahe der Brüstung oberhalb der gewundenen Treppen ins Erdgeschoss. »Gäste aus Hochfels sind in diesen Hallen selten«, eröffnete Elisif. Was genau Amelia erwartet hatte, wusste sie nicht, aber keinesfalls eine solch tonlose Stimme, auch wenn sie wohl unfraglich zum blassen Jarl passte. Natalios und seine Nichte blieben stehen, als die Regentin sich erhob. Derweil sich ihr Ohm tief verbeugte, senkte Amelia das Kinn und den Blick, um einen makellosen Knicks zu vollführen, auf den ihre Mutter zweifellos stolz gewesen wäre, lange genug wie es gedauert hatte, ihrer Tochter diesen beizubringen.
»Sybille unterrichtete mich, dass sie Gäste aus dem Westen erwartete«, fuhr der Jarl fort und trat auf die mittlere Stufe des Podestes hinab. »Ich gehe recht in der Annahme, dass Ihr diese seid?«
Auf diese Weise angesprochen, richtete sich Nat auf und Amelia folgte seinem Beispiel. »Sehr wohl, Jarl. Natalios Val Nurinia.« Während er sprach und eine neuerliche Verbeugung andeute, meinte die junge Bretonin an seiner Seite das leichte Zucken seiner Kiefermuskeln zu erkennen. »Und Amelia Val Nevenas, meine Nichte«, stellte er im Anschluss Amelia vor, die ebenfalls einen erneuten Knicks andeutete.
»Sybille deutete an, Ihr wärt für persönliche Angelegenheiten hier?« Elisif blieb auf der mittleren Stufe stehen und ignorierte die neugierigen Blicke der umstehenden Adeligen und Palastbewohner ebenso wie ihre neuen Gäste.
»Recht so. Als Hexenmeister der Magiergilde in Urvanus bin ich für magische Studien nach Himmelsrand gekommen. Amelia ist dabei nicht nur meine Nichte, sondern auch Schülerin«, erklärte Natalios und musste dabei nicht lügen, auch wenn es nicht der ganzen Wahrheit entsprach.
»Nun, dann seid Ihr bei Sybille in den richtigen Händen.« Größere Zufriedenheit mit der Antwort des Bretonen zeichnete sich auf Elisifs scharfen Gesichtszügen und um die blassen Mundwinkel ab. »Unglücklicherweise«, fuhr sie gedehnt fort, »ist Sybille gerade noch verhindert und treibt wohl irgendwo im Palast ihr Unwesen.« Sie hob den Blick an ihren Gästen vorbei. »Du, Wächter, Dein Name?«
»Hrundal, Jarl.« Ergebenheit weichte die rauche Stimme des Nord auf und Amelia meinte seine Verbeugung am knirschen des Wamses und der stählernen Panzerplatten zu hören.
»Suche Sybille und sage ihr, dass ihre Gäste eingetroffen sind.«
»Gewiss, Jarl. Sofort, Jarl.«
Gerade wollte er sich bereits mit schweren, rasselnden Schritten entfernen, da hielt ihn die Regentin nochmals auf. »Fange im Verließ an.« Darauf folgten schnell frequente Schritte, die irgendwo in der Weite der Empfangshalle verklungen und letztlich ganz verschwanden. »Erikur«, wandte sich Elisif im Anschluss von den Bretonen ab und kehrte zu ihrem Thron zurück, »sei so gut und zeige unseren Besuchern den Gästetrakt. Die Zimmer sind hergerichtet.« Damit setzte sich der Jarl und betrachtete erneut Amelia und ihren Ohm. »Bei Speis und Trank zum heutigen Abend wäre ich sehr an Eurer Verbindung zu Sybille und Euren magischen Studien interessiert, Natalios.«
»Gewiss, Jarl. Mit Vergnügen«, entgegnete der Angesprochene und deutete eine erneute Verbeugung an.
»Folgt mir«, sprach unvermittelt ein kräftiger, aber keinesfalls muskulöser Nord von der Seite. Sein schwerer Mantel in goldbesticktem Himmelblau wollte so gar nicht mit dem giftigen Grün seines Untergewands harmonieren und biss sich obendrein mit den ins Rosa abgleitenden Quarzkristallen, die im klobigen Goldschmuck um seinen Hals eingefasst auf seiner Brust lagen. Nicht, dass die Kristalle zur Farbe des Metalls gepasst hätten. Lia erschauderte.
Mühsam konzentrierte sie sich auf sein langes Gesicht mit der riesigen Knollnase. Engstirnig geschnitten, fasste kinnlanges, blondes Haar, das in Zöpfen über den Schläfen lag, das Antlitz ein und vertuschte somit die wahrhaft hohe Stirn zumindest teilweise. »Erikur, Thane von Jarl Elisif«, stellte er sich nochmals selbst vor, derweil er ihnen gebot, den Nordflügel des Palastes mit ihm anzusteuern. »Erfreut Eure Bekanntschaft zu machen.«
»Gleichsam.« Natalios schüttelte im Gehen seine Hand. Gleichzeitig kam hinter ihnen wieder das schwere, wenn auch gedämpfte Scheppern ihrer eigenen Wächter auf, und kündete von ihrem schweigsamen Folgen.
»Thane?«, hakte Lia in diesem Moment ein. Der Begriff klang fremdartig und unbekannt, entsprechend interessiert sah sie den Nord von der Seite an, indessen er mit ihnen über die Empore des Eingangssaals in den Nordflügel verschwand.
»Ein ritueller Titel für jene, die in der Gunst des Jarls und der Menschen seines Fürstentums stehen. Besondere Leistungen und dergleichen.«
»Also eine Art Ritter?«
Erikur schien kurz zu überlegen, dann jedoch nickte er in Laufrichtung. »Ja, vermutlich. Obwohl es wirklich mehr eine Volkssache ist. Ein Thane muss sich im Dienste des Volkes ebenso verdient machen wie im Dienste seines oder ihres Jarls, bevor er den Titel verliehen bekommt. Für Ritter gilt dies wohl nicht in der gleichen Weise«, erwiderte er dann, folgte einem kurzen, mit schmalem Teppichband ausgelegten Flur bis sich dieser Teile. »Links liegen die Gemächer des Jarls. Der Gästetrakt befindet sich im zweiten Stockwerk, wenn Ihr mir also weiter folgen würdet?«
Nachdenklich ob Erikurs Antwort schenkte sie seinen Ausführungen zum Lageplan des Palastes nur bedingt Aufmerksamkeit, aber sah wenigstens den langen, von zahllosen Leuchtern erhellten Korridor hinab, bevor sie den schweren Schritten des Nords die schmalen Stufen hinauf folgte.
»Befinden sich viele Gäste im Palast?«, wechselte Amelia letztlich das Thema. Dass ihr die Gesellschaft des Jarls im Thronsaal ziemlich klein erschien, sprach sie nicht laut aus. Es wäre unangebracht gewesen und vermutlich fiel der Grund für die geringe Größe in eine ähnliche Kategorie der Erklärung wie das ruppige Verhalten der Wachen am Stadttor.
Ihre Vermutung sollte sich bestätigen. »Ich bin sicher, dass Ihr von der gegenwärtigen Lage in Himmelsrand gehört habt. Besucher am Hof sind selten geworden. Darüber hinaus verbringen die Thane ihre Tage zwar durchaus im Palast, leben jedoch nicht hier. Der Gästeflügel ist deshalb völlig frei.« Just in diesem Moment erreichten sie das obere Ende der Stiege und traten auf einen weiteren Flur hinaus, der jenem ein Stockwerk tiefer zum Verwechseln ähnelte. Graues Mauerwerk, vereinzelte rote Banner und Wandteppiche, schummriger Kerzenschein. Einigermaßen wohnlich, aber keinesfalls warm.
»Hier, dies ist das größte Schlafgemach und der Dame sicherlich besonders gefällig«, fuhr Erikur schließlich fort und lief eiliger zu einer nahen Tür hinüber, um sie für Amelia zu öffnen. Mit einem dankenden Nicken und schmalen Lächeln trat sie unter dem beinahe aufdringlichen Blick des Thane durch die schwere Pforte in ein hergerichtetes Gemach, das zwar kleiner als jenes in der Burg ihrer Familie war, aber zumindest in seiner Einrichtung keine Abstriche bot. Ein großes, von Schleiern verhangenes Doppelbett, mehr als genug Schränke und Kommoden, um all ihre mitgeführten Kleider und Sachen zu verstauen und sogar eine Feuerstelle ebenso wie ein Raumteiler, hinter welchem sie nach kurzem Umherlaufen einen Badezuber entdeckte. Die Fenster wiesen zwar nach Norden, weswegen nie die Sonne hineinscheinen würde, aber die Aussicht, die sich der jungen Adeligen bot, mochte diesen Umstand wohl mehr als ausgleichen.
So glitten ihre Augen einige lange Momente über den Mund der Bucht und die nördlichen Küstenlinien nach Westen und Osten hin bis sie sich ebenso im tristen Grau verloren wie das Schwarz des Geistermeers. Erst danach beachtete Amelia erneut den Raum und nahm die weichen Felle auf dem Dielenboden wohlwollend zur Kenntnis. Ebenso wie Rasvan, der sich prompt auf einem Bärenpelz zum Fußende des geräumigen Doppelbetts niederließ.
»Diese Tür dort«, deutete der Thane auf eine schmale, unauffällige Pforte am Westende des Raumes, »führt in eine Zwischenkammer. Ideal für Eure Magd, wenn Ihr eine mit Euch brachtet. Sie öffnet sich auch in den angrenzenden Raum, welchen ich Euch anraten möchte, Natalios.«
»Wird Raum für unsere Wachen hier oben sein?«, hakte ihr Onkel daraufhin nach. Ihr Hausführer hielt kurz an der Türschwelle inne, sah aus, als ob er gerade schon weitergehen wollte, dann wog er das Haupt unschlüssig von einer zur anderen Seite. »Das solltet Ihr mit Sybille besser direkt besprechen. Da Ihr ihre Gäste seid, wird sie sich um solcherlei Fragen kümmern und ich weiß nichts darüber, ob bereits Absprachen geführt worden sind.«
»Dann werden wir uns gedulden«, bestätigte Nat und folgte Erikur zurück auf den Korridor, wo sie aus Amelias Sichtfeld verschwanden. Diese blieb in ihrem Gemacht und kniete sich neben den Mischling aus Eiswolf und Schäferhund, der sich wonnig und ruhig atmend auf dem Fell ausbreitete und die langen, kräftigen Beine von sich streckte. Festen Boden unter den Füßen zu haben, musste unzweifelhaft auch er genießen.
»Du scheinst Dich ja richtig wohl zu fühlen«, flüsterte sie dem Halbwolf zu und zerzauste ihm mit ruppigen, aber liebevollen Bewegungen der Hände das Haar am massigen Hals. Anstatt wirklich darauf einzugehen gähnte das Tier bloß und glotzte sie lediglich aus seinen großen, goldbraun leuchtenden Augen heraus an. Unbekümmert streichelte sie ihn zwischen den Ohren, bis er den langen Lappen aus dem Maul hängen ließ und das wuchtige Haupt niedersank. »Ja ja, Faulpelz. Steh auf«, wies Amelia den Vierbeiner an und beobachtete zufrieden, wie er die schläfrig immer wieder zufallenden Lider hochriss und sich anschickte, aufzustehen. »Gut so.« Wehleidig wimmernd wandte sich ihr der Hund zu. Doch anstatt sich weiter kraulen zu lassen und sich gleichzeitig darüber zu beschweren, nicht liegen bleiben zu dürfen, drückte er sich mit den Vorderpfoten ab und legte die schweren Tatzen auf Amelias Schultern.
Überrumpelt entwand sich ein helles Quieken ihrer Kehle, bevor sie nach hinten stürzte und sich einige noch immer vom geschmolzenen Schnee nasse Stofffalten gegen ihren Leib drückten. »Nicht so ungestüm«, lachte sie und schob sich mit verrutschten Gewändern und dem abgewickelten Zopf zwischen ihren Gliedern unter dem hochbeinigen Halbwolf heraus.
Schwere, eilig klingende Schritte näherten sich auf dem Flur und hielten vor ihrer Tür inne. »Alles in-«, hob Lida an und die Adelige warf einen schnellen Blick zu ihr hinüber, wie sie an der Tür unvermittelt innehielt und ihre vom schnellen Lauf verwehte, brustlange Goldmähne richtete. »Oh.«
»Schon gut, Lida. Der Herr wünschte deutlich zu machen, dass ihm nicht an Spielen gelegen ist«, erklärte die Bretonin und begann damit, aufzustehen. Bevor Erikur und ihr Onkel zurückkehren konnten, richtete sie ihre Gewänder und den Überwurf neu und löste den verhedderten Schal. Schwer wog der Zopf über ihrer Schulter, richtete sie das silberne Netz an ihrem schlanken Hals gerade in dem Moment, als der Nord und ihr Verwandter zurückkehrten.
»Ich bin sicher, dass Ihr Euren Aufenthalt im Blauen Palast genießen werdet«, verkündete der Thane gerade und hielt hinter Lida auf dem Korridor inne, warf einen Blick in Richtung der jungen Bretonin, die ihren mit winzigen Saphiren bestückten Halsschmuck gerade fertig justiert hatte und sich anschickte, die ungeschützte, helle Haut und das Metall vor der kühlen Luft in den noch ungeheizten Zimmern mit dem seidenen Schal zu schützen. »Und ich bin sicher, dass wir Eure Gegenwart ebenso genussvoll aufnehmen werden.« Kurz hielt er seine felsengrauen Augen auf sie gerichtet und rang ihr ein etwas widerwilliges, dankendes Nicken bei leichter, unwillkürlicher Röte in den Wangen ob des gezwungenen Kompliments ab. Auf der einen Seite schmeichelte es ihr, ohne Frage, andererseits blieb Erikur nicht ihre erste Wahl unter jenen, von denen sie solch schöne Worte hören würde.
»Wärt Ihr so frei, diesen beiden Herren hier Geleit zu organisieren, damit sie einige unserer Sachen bereits von unserem Schiff holen können?« Erst im Näherkommen erkannte Amelia, dass Natalios auf Bedrich und Franos zeigte. Die kräftigen Zwillinge mit den fast schwarzen, fingerlangen Haaren und gleichfarbigen Murmeln von Augen ließen in Synchronie die Kiefermuskeln unter den buschigen Backenbärten spielen.
»Natürlich. Wenn Ihr wünscht, steht Euch derweil dieser Flügel und der Rest des nördlichen Palastes zur Verfügung. So Ihr wünscht, stellt Euch die Küche sicherlich etwas für die nachmittägliche Stärkung zusammen.« Noch wartete der Thane auf eine Reaktion der Bretonen, aber schien sich allmählich auf den Weg machen zu wollen.
»Meinen Dank. Wir werden uns sicherlich zurechtfinden«, erwiderte Natalios und nickte Erikur dabei anerkennend zu. Der erwiderte die Geste und wollte sich bereits zum Gehen wenden. Aber Amelia hielt ihn noch einmal auf.
»Ihr sagtet, der Nordflügel?«
»Ah, richtig. Eine gut gemeinte Warnung«, antwortete Erikur und setzte ein wenig erfreutes Lächeln auf. »Der Pelagius-Flügel ist schon seit Längerem für alle Besucher und Bewohner des Palastes gleichermaßen geschlossen. Ausnahmslos.«
»Ich denke, dass wir unseren Weg dorthin so ganz ohne Hilfe ohnehin nicht finden würden«, willigte ihr Ohm ein und warf nur einen kurzen Seitenblick auf Amelia, die unbemerkt von ihrem Hausführer mit den Schultern zuckte.
»Abermals: Eine Freude«, verneigte sich Erikur und verschwand anschließend in Begleitung der zwar kleineren, aber kraftvolleren Zwillinge. Lia und ihr Ohm sahen ihnen nach, bis sie die Stufen der Treppe hinab verschwanden.
»Also warten wir?«, hakte die junge Bretonin nach.
»Kolja«, wandte sich Natalios ohne auf ihre Frage einzugehen an den Hauptmann, der einige Schritte in Richtung des Zimmers ihres Verwandten auf dem Korridor die Stellung hielt.
»Herr?« Der muskelstarke Kämpfer strich sich eine lockere Strähne aus der Stirn und richtete im Anschluss seinen Mantel wieder so aus, dass er das Wappen auf seiner Brust verdeckte.
»Offenkundig ist es nicht die beste Idee gewesen, sich am Hof einzuquartieren, wenn es darum geht, unsere Anwesenheit möglichst verdeckt zu halten. Aber…« Er warf einen Blick auf seine Nichte. »… in diesen Zeiten ist das Bewusstsein des Jarls über unsere Anwesenheit sicherlich nützlicher und in jedem Falle sittlich wie schicklich. Deswegen erwarte ich, dass unsere Späher aufbrechen, sobald wir mit Sybille gesprochen haben.«
»Wie Ihr es wünscht.« Koljas tiefe Stimme klang in den engen Verhältnissen des Flurs wie eine Lawine an fernen Berghängen und jagte Amelia Gänsehaut auf die Arme.
»Sollten wir Jarl Elisif über unsere anderen Aufgaben hier unterrichten?«, wandte sie junge Adelige ein und warf ihrem Onkel einen fragenden Blick mit hochgezogenen Augenbrauen zu.
»Unbedingt. Aber nicht im Beisein des gesamten Hofstaates.«
Daraufhin nickte sie lediglich. Ihnen fehlten so manche Güter für längere Reisen hier, die für über zwanzig Mann zu beschaffen sicherlich nicht einfach werden würde ohne die Unterstützung des Hofes. Pferde, um nur eines zu benennen.
»Ein Spaziergang in den Hof, derweil wir warten?«, schlug sie im Anschluss vor und griff erneut in das dichte Fell zwischen Rasvans Ohren. Nat nickte lediglich und folgte ihr die Treppen hinab. Sie nahmen nicht den Weg durch die Thronnische, sondern folgten der Stiege einfach bis hinab ins Erdgeschoss, um von dort direkt in den Eingangssaal und hinaus ins Freie zu gehen. Niemand hielt sie auf oder behelligte sie in irgendeiner Weise und so traten sie letztlich hinaus in die frostige Luft des fortgeschrittenen Nachmittags. Längst senkte sich die Sonne den Berggipfeln im Westen entgegen und es fehlte nicht mehr viel, bevor sich der frühe Abend über die Stadt legte – wenn es denn an einem trüben Tag wie diesem einen Unterschied machte.
»Lauf!«, befahl sie unvermittelt und warf die linke Hand mit ausgestrecktem Zeigefinger vor. Bellend und freudig knurrend sprintete Rasvan aus dem Stand los und querte unter den irritiert zu ihnen gewandten Blicke der Wachen am Torhaus des Palastes in Windeseile den Hof, bis er in einer der Ecken Stellung bezog. Bellend tänzelte er auf der Stelle und provozierte ein gefälliges Schmunzeln seines Herrchens. Die Rechte auf Hüfthöhe neben sich haltend, als schwenkte sie einen großen Weinkelch, sammelte Amelia Mana in ihren Fingern, entzog mit diesem der umliegenden Luft noch mehr Wärme, dass sich um ihre Hand ein dichter, glitzernder Nebel bildete und verlieh der Energie in einer bläulich bis leicht violett schimmernden Wolke Kraft ihrer Gedanken die Form eines Balls. Simpel, wie der weiße, perfekt gepresste Schnee war, kostete es sie auch bei weitem nicht die Konzentration, die ihr die Blume abverlangt hatte, zumal sie ihn nicht zu Eis verdichten musste. Ohne Vorankündigung gab sie dem schwebenden Ball mit weiterer Magie einen kräftigen Schubs und das Geschoss flog pfeilschnell davon, entzog sich gänzlich dem Fokus ihrer Augen.
Blitzartig sprang der große Halbwolf aus dem Stand in die Höhe, katapultierte sich mit den mächtigen Hinterläufen vom Boden weg und schnappte den Schneeball aus der Luft, bevor er die Wand hinter ihm treffen konnte. »Guter Junge«, schmunzelte sie, mehr zu sich selbst, als zu den zwei Männern und der Frau, die neben ihr standen.
»Er hat seinen Biss gewiss nicht verloren, Herrin«, lobte Kolja dennoch und trat an den Rand des Weges, der durch den Hof führte. Arme vor der Brust verschränkt, halb unter seinem Mantel verborgen, blieb er stehen und betrachtete das hechelnd umhertänzelnde Tier, welches ob seines beinahe komplett weißen, nur stellenweise gräulichen Pelzes mit dem flockenbedeckten Boden verschmolz. »Sendet ihm noch einen, oder gleich zwei, dann wird Euch in Zukunft niemand hier behelligen, solange er an Eurer Seite steht«, fuhr er fort und deutete vor deren Blicken verborgen in die Richtung der verunsichert dreinblickenden Torwächter. »Verehrer wie Erikur eingeschlossen.« Ob eine Spitze von Ironie in seinem letzten Satz lag, wusste Amelia nicht recht zu bestimmen, aber sie entschloss sich, es so zu verstehen.
Offenkundig ahnten die Wachen, welches nicht-hündische Blut durch die Adern des Mischlings floss, und wussten um die tierische Urgewalt, die dieses zu entfalten vermochte. Sie trainiert und abgerichtet am Werk zu sehen mochte wohl durchaus Respekt – oder gar Furcht – abverlangen und schnell die Runde machen.
»Was meinst Du, Nat? Wohlwollen oder Furchtsamkeit?«
»Ein bisschen von Beidem, vielleicht?«, erwiderte er.
Sie stieß ein heiteres Schnauben aus und formte neuerliche Magie, diesmal in beiden Händen, und spürte wie die Anstrengung und Konzentration an ihren körperlichen Kräften zu zehren begannen, sich ihr Leib von innen erwärmte, als ertüchtigte sie sich gerade – und das obwohl kalte Nebelbänke ihre feinen, behandschuhten Finger umschwirrten. Kein unangenehmes oder auslaugendes Gefühl, aber eines, das sich dazu aufschwingen konnte, wenn sie nur lange genug fortführte, was sie gerade tat – auch wenn es bei dieser leichten Übung sehr lange dauern mochte.
Von der schwindenden Kälte in ihren Gliedern beflügelt, schmunzelte sie und sandte die Schneebälle zeitlich und in ihrer Flugbahn leicht versetzt in Rasvans Richtung. Den ersten schnappte er im Sprung aus der Luft, bevor er sich noch im Flug in seinem flexiblen Rückgrat wandte und mit den Hinterläufen von der nahen Wand abdrückte, um sich dem zweiten Geschoss entgegen zu katapultieren.
»Herzlichen Glückwunsch, Herrin, die Nord dieser Stadt werden Euch als Jungfer heimkehren lassen, ohne dass Ihr sie abweisen müsst«, scherzte Kolja diesmal offener.
»Das ist genug«, erwiderte sie ehrlich empört. Sie nahm es ihm nicht übel. Aber gewisse Grenzen der Etikette mussten bestehen bleiben und auch wenn Kolja sie von Kindesbeinen an als Soldaten und Leibwächter im Dienste ihrer Familie kannte, der sich in diversen Konflikten und Gefahrensituationen verdient gemacht hatte, so musste er diese ebenso wie alle anderen einhalten. Deutlich straffer und ergebener nickte er am Rande ihres Sichtfeldes.
»Unrecht hat er nicht.« Auch wenn sie Natalios nicht sah, hörte sie sein Schmunzeln.
Bevor sie auch ihm einen empörten Kommentar angedeihen lassen konnte, sprintete Rasvan plötzlich zu ihnen zurück. Allerdings ohne seine Pfoten freudig tänzelnd über den Schnee zu heben, sondern weitaus kraftvoller und bestimmter, als befände er sich auf der Jagd, pflügte er hindurch. Im Näherkommen erkannte Amelia auch die angelegten Ohren. Ihr Gesicht verlor binnen eines Herzschlages jede Entrüstung, jede Freude und spannte sich zu einer steinernen Maske an. Dann gelangte der Halbwolf auch schon neben ihr an und sie hörte das tiefe Knurren, welches seinen Leib unter ihrer schnell auf seinen Rücken gelegten Hand zum Vibrieren brachte.
»Was is-« Dann bemerkte sie, wie sich die Männer und Lida bereits umwandten, weil der Hund starr und mit gefletschten Zähnen an der Seite seines Herrchens in die Schatten unter dem säulengetragenen Vorbau des Haupthauses starrte. Geifer troff ihm von den Fangzähnen. Schließlich straffte sich auch die junge Adelige und machte auf der Stelle kehrt.
Eine dünne, kleine Gestalt stand dort im Halbdunkel, wo selbst an sonnigen Tagen kein Licht hingereicht hätte, hüllte sich in die schlichten, blauen Gewänder eines Magiers und versteckte sein Gesicht zu großen Teilen unter einer Kapuze. »Sch, ganz ruhig, Rasvan«, flüsterte Lia ihrem Gefährten zu und strich zwischen seinen Ohren entlang. Gleichsam spürte sie jedoch auch, wie die Anspannung ihres Vierbeiners beim Anblick der stillen und geräuschlos hinter sie getretenen Person auf sie selbst übersprang.
»Er ist nicht der einzige, der auf diese Weise reagiert«, schnitt die Stimme einer Frau unter der Kapuze hervor und ein schiefes, wenig freundliches Lächeln umspielte die schmalen, femininen Lippen, die zu sehen blieben und unter einer schlanken Nase saßen.
»Und Ihr seid?«, fragte Amelia vorschnell zurück, biss sich aber gleich im Anschluss verärgert auf die Zunge, um weitere Kommentare zurückzuhalten.
In diesem Moment schob sich Natalios an seiner Nichte vorbei und trat zwischen den unverändert knurrenden Hund, den wohl lediglich Amelias Hand und deren beruhigende Streichbewegungen davon abhielten, auf die schmale Frau loszugehen. »Sybille, wie ich sehe, scheinst Du Deine Angewohnheit, Normalsterbliche zu Tode zu erschrecken, nicht abgelegt zu haben.«