Ostufer des Nabiaflusses, nahe Bal Ur
Nachdem Mensch, Mer und Tiere unbeschadet über den Fluß gekommen waren und sie ein Feuer entzündet hatten, schälte sich Erynn aus ihrer patschnassen Rüstung und betrachtete mißmutig das Leder. Am Feuer trocknen konnte sie die Teile nicht, ohne daß sie sich verziehen und brüchig werden würden. Einen Regenguß mochte das Material ohne weiteres wegstecken, aber für ein Vollbad war es schlicht und ergreifend nicht konzipiert.
Tatsächlich dauerte es recht lange, bis sie ihren Kram um das Feuer ausgebreitet und, soweit es möglich war, notdürftig trockengewischt hatten. Erynn sprach nicht viel dabei, wenngleich ihr der Verlust ihrer Karte nicht entgangen war. Großartig... Irgendwo im fremden Land, mit dürftiger Orientierung und du mittendrin, Erynn. Die Menge dessen, was sie abschreiben konnten, hielt sich jedoch in Grenzen. Hauptsächlich alles, was aus Papier war. Nach einiger Zeit schließlich gab es nichts mehr zu tun außer zu warten. Die Elfin legte sich auf den Rücken und genoß die Wärme, die von dem teils felsigen, teils aschestaubigen Boden ausging. Die Lava dicht unter der Oberfläche heizte den Grund auf und trieb ihr die klamme Nässe aus Kleidung und Knochen. Zwar würde sie später aussehen wie ein wandelnder Teil der Landschaft, aber sie wäre zumindest trocken und zudem gut getarnt, überlegte sie mit einem halben, selbstironischen Grinsen.
Die meiste Zeit über, während sie so dalag, starrte die Kriegerin gedankenversunken zu den Zinnen der merkwürdigen Ruine hinauf, dortin, wohin ihr Blick seit einiger Zeit immer wieder wanderte. Bal Ur... Was das wohl bedeuten mag? Es erinnert mich ein wenig an die Gebäude aus den Totenlanden, aber irgendwie... anders. Fest stand, daß die Architektur auf den ersten Blick nicht wirklich Sinn ergab. Die Teile der Anlage, die sie sehen konnte, schraubten sich wie verkrümmte Klauenfinger in den nachmittäglichen Himmel, schienen aber keinem anderen Zweck zu dienen als dem, einen befremdlichen Anschein zu erwecken. Erynn war bewußt, daß diese Steine schon seit Generationen aufeinanderstehen mußten, aber das Ganze wirkte, als würde es jeden Moment in sich zusammenstürzen oder hätte es, legte man die Regeln der Vernunft an, schon längst tun sollen.
Zwischenzeitlich schloß sie die Augen und lauschte auf die Geräusche um sich herum. Das Feuer aus den seltsam dürren, dornigen Ranken, die sie an einem der Hänge geschlagen hatten, knackte leise vor sich hin und verströmte einen würzigen, intensiven Geruch, der ein wenig beflügelnd wirkte. Die Guars hatten sich schnell wieder beruhigt, tappten mal hierhin, mal dorthin und kauten geräuschvoll an dürrem Gras oder ein paar Ästen, die sie im Bereich des Flußufers fanden. Alles in allem wirkte die ganze Szene sehr friedlich, aber Erynn fand keine Ruhe. Hier lag sie, am Fuße einer höchstwahrscheinlich daedrischen Ruine... so nah dran. Allein eine langgezogene Anhöhe trennte sie von der Anlage, die erschreckende, aber auch merkwürdig angenehme Erinnerungen an die Stunden weckte, die sie Mehrunes Dagons Reich verbracht hatte. Als sich die Sonne dem westlichen Horizont bereits weit genähert hatte, hielt sie es nicht mehr aus. Geschmeidig stand sie auf und begann, ihre Begleiter dabei ignorierend, die steile Anhöhe hinaufzuklettern, hinter der das Gemäuer lag. Wenigstens einen kurzen Blick wollte sie darauf werfen, und der Kamm oben dürfte sich als Beobachtungspunkt hervorragend eignen...