Cyrodiil, Kaiserstadt, Revans Kammer; Marktbezirk; Talos-Platz-Bezirk
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Revan wachte erst am späten Vormittag des nächsten Tages auf. Der Wein hatte ihm einen tieferen Schlaf verschafft, wie er angenommen hatte. Schweigen betrachtete der Dunmer die kleine Kammer: Ein Bett, ein Schrank und ein Tisch mit 2 Stühlen. Im Schrank selbst befanden sich verschiedene Kleidungsstücke, die größtenteils arg in Mitleidenschaft gezogen worden waren. Auch war ein verborgenes Schloss in der Seitenwand, welches die Rückwand des Schrankes öffnete und einen sehr kleinen Raum dahinter offenbarte. In diesem Raum wurde die Ausrüstung und Beute gelagert, solange es nichts zu tun gab bzw. es keinen Käufer für die Beute gab. Auf einem der Stühle lag seine Kleidung, die er momentan trug. Auf dem Tisch selbst lagen Nadel und Faden, diverse Messer, eine Flasche mit Hochprozentigem und eine dicke Kerze gab bei bedarf Licht. Es ist nicht viel, aber diese Kammer ist mein zu Hause. Revan lebte seit 20 Jahren hier und in dieser Zeit erging es ihm besser wie vielen Anderen. Trotzdem war er der Überzeugung, dass er noch besser leben konnte als er es jetzt ohnehin schon tat. Dafür musste aber auch etwas getan werden und sie hatten ja wieder einen Auftrag. Einen sehr Heiklen, da sie dafür den Zorn der Thalmor auf sich ziehen würden, aber die Möglichkeit diesem Mer das Haus auszuräumen war sehr verlockend und versprach viel Gold. Der Dunmer blieb noch einen Moment sitzen, dann stand er auf. Wohin zuerst? Ich könnte dem Alten einen Besuch abstatten, oder ich sehe mir mal dieses Haus an und schaue was ich im Rest der Stadt so tut. Schnell entschied er sich für letztere Möglichkeit, da er meistens nur im Hafenviertel unterwegs war. Wenige Minuten später hatte er seine Kleidung angelegt und verließ die Kammer.
Auf der Straße empfing ihn das alltägliche Treiben der Kaiserstadt. Nach wenigen Schritten war er in der Menschenmenge untergetaucht und ging zielstrebig in den Marktbezirk. Die Masse an Menschen und Mer erschien in diesem Bezirk immer ein wenig erdrückend. Trotz verstärkter Präsenz der Wache konnte hier ein guter Taschendieb an einem einzigen Tag sehr viel verdienen. Allerdings war es immer ein Risiko. Zwar konnte man in der Masse gut verschwinden, wenn man allerdings entdeckt wurde, wiesen tausende Augen der Wache den Weg und dann hatte man keine Chance mehr. Revan war dieses Schauspiel sehr vertraut und er hatte es bis auf wenige Ausnahmen immer vermieden, hier irgendetwas zu stehlen. Nahrung an den Ständen zu stehlen war zwar nicht ganz so gefährlich, aber es war immer sicherer Geld in der Tasche zu haben, damit man zahlen konnte.
Die Tavernen waren alle überfüllt, daher stellte der Dunmer sein Frühstück selbst zusammen: Ein Laib Brot, ein Stück Salzkäse, ein Apfel und ein Bier ergaben ein sättigendes Mahl. Während er das letzte Stück Käse aß, überlegte Revan wie er am besten an Informationen über den Besitzer und seine Haus herankommen könnte. Einen Diener zu bestechen wäre eine Möglichkeit, allerdings bestand da das Risiko, das er später erwischt wurde und etwas über ihn ausplaudern würde. Meistens war das Bestechungsgeld auch nicht gerade niedrig, da viele Diener es vorzogen nach dem Einbruch möglichst weit Weg von ihrem Herren zu sein. Da der Herr hier aber sehr wahrscheinlich den Thalmor angehörte oder zumindest mit ihnen zusammenarbeitete, war die Bestechung der Diener nicht sehr vielversprechend. Einzige alternative wäre ein ehemaliger Diener, der gefeuert worden war. Aber es war nicht leicht solche Leute zu finden. Wenn man genug Zeit hatte und den Einbruch über Monate plante, konnte man solche Personen finden. Dem Tipp des Informanten zu Folge würde der Einbruch, so schätze Revan, innerhalb der nächsten 1 bis 2 Wochen stattfinden. In diesem Zeitraum brauchte man viel Glück oder einen Bettler der viel wusste und da war wieder die Frage ob er das nicht an andere Leute ausplaudern würde, die einem später an den Kragen wollen. Bei Altmern allgemein und Thalmor im speziellen konnte man nie vorsichtig genug sein. Gefahrloser war da das beobachten des Hauses um sich einen Überblick über die Größe und die Umgebung zu verschaffen und zu prüfen ob es einen Ausgang zur Kanalisation hatte. Wobei ein solcher Ausgang wahrscheinlich bewacht wurde. Es wäre immerhin ein Anfang. Den letzten Apfel verspeisend ging Revan in Richtung Talos-Platz-Bezirk. Dort sollte seine Arbeit beginnen.
Heute waren besonders viele Menschen in der Kaiserstadt unterwegs, daher benötigte der Dunmer mehr Zeit um den Talos-Platz zu erreichen. Dort angekommen sah er wie viele Neuankömmlinge erstaunt für ein paar Sekunden stehen blieben um die Statue in der Mitte des Platzes zu bestaunen. Der Drache war ein imposantes Bauwerk, den Dieb scherte das wenig. Er hatte diese Statue schon so oft gesehen, das er sie kaum noch beachtete. Trotzdem blieb auch er stehen, jedoch suchte er das Haus des Altmers. Nach wenigen Sekunden hatte er den Prunkbau gefunden, man konnte dieses Gebäude gar nicht übersehen, es stach aus den anderen Häusern am Platz hervor wie ein großes Juwel. Auf den ersten Blick erschien es sogar ein wenig unpassend, bei genauerer Betrachtung war es dann wiederum fast schon zu passend. Der Bau war angeblich, wie Revan einen reicheren Altmer einmal hatte sagen hören, im Stil der Ayleiden gehalten. Der Dunmer hatte nie eine ihrer Ruinen gesehen und außerdem fand er das Haus sehr protzig.
Der Palast, diese Bezeichnung war treffender, besaß 2 Stockwerke, einen Keller und umfasste etwa ein Viertel des gesamten Platzes. Die Außenmauer bestand aus Marmor und entlang der Fassade lief ein imposanter Bogengang mit prächtig verzierten Säulen. Dahinter lag im Schatten das große Eingangsportal und der Dieb glaubte sogar Verzierungen aus Gold zu sehen. Als ob es nicht hinreichend bekannt wäre, dass der Kerl Geld zum Scheißen hat. Langsam suchte Revan einen Weg durch die Masse an Menschen und Mer auf dem Platz um die Villa besser beobachten zu können. Während der Dieb nach einem guten Platz suchte wo ihn die Wachen nicht gleich verjagen würden oder jemand misstrauisch wurde, warf er immer wieder einen Blick auf das Gebäude. Einzelheiten der Verzierungen auf den Säulen wurde sichtbar, die Fenster waren nun besser sichtbar und das Eingangsportal besaß nicht nur Verzierungen aus Gold, es waren außerdem verschiedene Edelsteine in die Doppeltür eingelassen worden. Neben dem ganzen Prunk wurden nun auch 4 Wachen sichtbar, die alle vergoldete Elfenrüstungen trugen. Für weitere Einzelheiten reichte die Zeit nicht, da es keinen brauchbaren Platz gab an dem Revan hätte verweilen können ohne sofort aufzufallen. Da sie ohnehin nicht durch die Vordertür spazieren wollten, war das nicht so schlimm. Der Dieb schob sich weiter durch die Massen und umrundete den Talosplatz, ehe er in einer Seitengasse verschwand um den Rest der Villa begutachten zu können.
Die angrenzenden Gassen waren größer und breiter als im Rest der Stadt und konnten gut als eigene Straßen gelten. Somit war es nicht ohne weiteres möglich von einem Nebengebäude in die Villa einzudringen. Leider gab es auch keine Baugerüste die selbiges erleichtert hätten; weder an der Villa selbst noch an den angrenzenden Gebäuden. Selbst wenn es welche gäbe, würde der Altmer sie Nachts bewachen lassen. Die Seitenwände waren aus dem gleichen Material wie die Fassade und außer einigen prächtig verzierten Fenstern gab es nichts zu sehen. Die Fenster stellen auch keinen geeigneten Eingang dar. Dafür sieht man vom Platz noch zu viel und wahrscheinlich werden hier auch von ihm bezahlte Wachen patrouillieren; der kaiserlichen Wache traut er nicht......zu recht. Somit verblieb einzig die Rückseite der Villa als potenzieller überirdischer Einstieg. Der Dunmer wartete einen kurzen Moment um sich einer kleinen Gruppe von Boten und Dienern anzuschließen um wenigstens ein paar Blicke riskieren zu können ohne sofort entdeckt zu werden. Aber auch die Rückseite war keine Überraschung: Der Prunk setzte sich nahtlos fort, allerdings gab es hier auf beiden Stockwerken einen Bogengang. Der Garten war durch eine Mauer von der Straße getrennt, zusätzlich wuchsen verschiedene Sträucher und Bäume im Garten. Und natürlich standen auch hier Wachen. Das letzte was Revan erblicke bevor er in eine andere Menge von Menschen abtauchte und sich wieder von dem Garten entfernte, war ein Brunnen. Soviel zur Villa. Aber was will man erwarten? Wenn er wirklich die Geschäfte in der Unterwelt kontrollieren will, dann weiß er auf was er achten muss. Die Wachen stehen wahrscheinlich auf seiner persönlichen Gehaltsliste und folgen ihm wohl blind. Die Diener und Boten werden zu viel Angst haben. Jetzt blieb nur noch die Kanalisation als potenzieller Einstiegsweg. Aber das hatte noch ein wenig Zeit. Zuerst würde Revan der Taverne seines Vertrauens einen Besuch abstatten. Ihn hatte eine gewisse Unruhe ergriffen und seine Hände zitterten. Zeit für die tägliche Fütterung....
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Himmelsrand, Weißlauf, Umland
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Vesana breitete gerade die letzte der Wolldecken aus, die das Strohbett in der Tiefenschmiede abdecken sollten und legte den Rest so an den Rand, dass sie sich einfach über den Körper ziehen ließen. Aela platzierte zwei größere Schüsseln, sowie je einen Krug mit Wasser an der Seite und schaute anschließend nach oben. Die Kaiserliche folgte dem Blick der rothaarigen Nord. Durch die Spalten nahe der Höhlendecke drang inzwischen kein Licht mehr in die Kammer ein, einzig der schwache, flackernde Kerzenschein, der von einer einfachen Laterne ausging, sorgte für schummriges Licht. Die größere der beiden Jägerinnen wandte sich zu Vesa um, die eisgrauen Augen schauten sie fest aus dem Kraft ausstrahlenden, bemalten Gesicht an. „Bereit?“
„Ja.“ Sie nickte.
„Dann los.“ Aela drehte sich um, zog die hohen Lederstiefel von den Füßen und stellte sie anschließend neben den mittleren Altar der Tiefenschmiede. Vesana folgte ihrem Beispiel, während die ältere Jägerin nun auch ihre dunkelbraune Tunika mit Gürtel und Dolch über den Kopf von sich stülpte und auf dem Steinsockel ablegte. Splitterfasernackt zog sie sich anschließend in eine etwas dunklere Ecke zurück. Die Kaiserliche blieb in der Mitte zurück und verfolgte einen Moment gebannt, wie Aela bereits mit der Verwandlung begann. Sie krümmte sich, krampfte, dass es schon beim Zuschauen schmerzte. Während sich ihre Haut zu einem dunklen Aschgrau verfärbte und ihre Glieder an Kraft und Länge gewannen, ging sie auf die Knie und grollte bestialisch. Knackend wuchsen ihre Knochen. Ihr schulterlanges, rotes Haar verschwand und wich einem Fall, das Schwarz, Grau, sehr dunkles Braun und das Rot ihres natürlichen Schopfes miteinander mischte und ihr im schwachen Kerzenschein einen rostigen Schimmer verliehen. Auch der hellgraue Glanz ihrer menschlichen Augen blieb in Werwolfsform ansatzweise zu erkennen und schenkte ihr einen silbergoldenen Blick.
Vesana selbst verwandelte sich etwas zeitversetzt, aber ungestümer. Das Biest in ihr ließ sich nur noch schwer bändigen und drängte auf Blut und Fleisch. Während der Verwandlung taumelte sie durch die Höhe und stützte sich immer wieder am Alter in der Mitte ab. Das andere wölfische Zirkelmitglied schnupperte bereits am Eingang des Tunnels herum, der aus Weißlauf hinausführte, während die Kaiserliche gerade wieder auf die Füße kam. Die Dunkelheit der restlichen Höhlenteile zeichnete sich in gewohnt hellgrauen Farbabstufungen und so blieb vom farblichen Unterschied der Nordfrau in rostigem Rotschimmer zu Vesanas Schwarzbraun mit Überhang zum Schwarz kaum noch etwas übrig. Sie huschte lautlos zu ihrer Jagdgefährtin hinüber, die sich gerade zu ihr umdrehte.
Die zwei Wölfe blieben voreinander stehen und schauten sich einen Moment lang an, bevor sie einander die Hälse seitlich offenlegten und sich zu beschnuppern begannen. Es war ein Ritual, dass immer stattfand, wenn mehrere Wölfe der Gefährten zusammen jagten, die sonst nicht allzu oft auf gemeinsame Jagd gingen. Es gewährleistete, dass sie sich auch in der Wildnis auf größere Distanzen aufspüren konnten und gegenseitig erkannten. In der Hitze der Verfolgung von Beute mochte man sich sonst schnell im Weg stehen oder gar gegenseitig angehen. Die Tiere in ihnen, die sie ausführten und versuchten zu ermüden, handelten oft genug schneller, als sie zu denken imstande waren.
Aela beispielsweise roch für Vesana süßlich und bitter zugleich, fast wie Schweiß, nur nicht so abstoßend, mit einem Hauch von Leder und Eisen, der sicherlich von ihrer bevorzugten Rüstung stammte. Um sich zu signalisieren, dass sie den Geruch verinnerlicht hatten, schleckten sie sich kurz durchs Fell. Gleich darauf ging es auch schon los. Durch den Tunnel und die Turmruine ins Freie führte sie Aela nach Norden, weg von Weißlauf weiter in die Tundraebene hinein und näher an die nördlichen Bergwälder am Rand des Fürstentums. Etwas weiter westlich des nördlichen Wachturms von Weißlauf hasteten sie durch die Wildnis. Es würde eine lange Jagd werden, aber – so wusste Vesana nur zu gut – sie brauchten Sicherheitsabstand zur Stadt. Sie spürte sehr deutlich das Verlangen nach schneller Beute der Bestie in ihr und wenn diese langsamer wurde, weil sie die Fährte eines potenziellen, nahen Opfers aufnahm, schnauzte sie die Nord mit einem drohenden Knurren zusammen.
Erst als nicht einmal mehr die Lichtpunkte des Wachturms und der Drachenfeste in der Ferne zu sehen waren, verlangsamte Aela ihr Tempo und hielt gelegentlich zum Schnuppern inne. Die Kaiserliche folgte ihrem Beispiel und versuchte die verschiedensten Duftnoten in der feucht-kalten Nachtluft auseinanderzuhalten, der anhaltende Nieselregen erschwerte das Aufspüren von Spuren. Ein Hase hier, ein Greifvogel dort. Nichts, dass ihren Hunger auch nur im Ansatz hätte stillen können. Erst als sie auf einem Findling in Sichtweite einer kleinen Baumgruppe abermals eine Pause einlegten, bemerkten sie nahezu gleichzeitig die Spur einiger vielversprechender Opfer. Ihr für Menschen auf diese Entfernung unmöglich wahrzunehmendes Grunzen drang gedämpft bis zu ihnen vor und Vesana reckte ihm zusätzlich die spitzaufgestellten Ohren entgegen. Ein rolliges Knurren zeugte von ihrer Ungeduld, während sie zur Unterstreichung dieser mit den Klauen an den vorderen Pranken gegen den Fels unter ihren Füßen tippte.
Die Nord bemerkte das und rempelte sie mit der Schulter an, knurrte kurz mit der Schnauze auf sie weisend und sprang anschließend nach vorn von ihrem natürlichen Podest. Die Aufforderung ihr zu folgen und keine Mätzchen zu machen saß deutlich und so spurtete Vesa hinterher. Die Baumgruppe kam schnell näher und bald erkannte sie auch das gelegentliche Wackeln einiger Zweige im unteren Teil der Nadelbäume. Kurz bevor sie an ihrem Ziel ankamen verlangsamten die zwei Wölfe ihr Tempo jedoch erneut und teilten sich auf, um die kleine Gruppe an Wildschweinen von zwei Seiten anzugreifen. Sie mochten ausgezeichnete Beute sein, aber sie konnten auch gefährlich werden. Langsam pirschte die Kaiserliche rechts um das Versteck der Rotte herum, behielt aber bei aller Aufmerksamkeit, die sie den hauer-besetzten Fleischbergen schenkte, auch Aelas Duftnote stets in der Nase, während diese links herum pirschte.
Vorsichtig und möglichst geräuschlos schob sich die Jägerin zwischen den unteren Ästen hindurch, immer näher an das Borstenvieh heran bis sie schließlich die ersten von ihnen direkt im Blick hatte. Einige schliefen und lagen am Stamm naher Bäume, andere wühlten sich durch den lockeren Erdboden. Vorsichtig kletterte Vesana an einem der Hölzer hinauf, ihr Herzschlag inzwischen so laut, dass sie fürchten musste, die Schweine würden ihn hören. Nur mühevoll kämpfte sie das aufgeregte Hecheln nieder und brache den Schwanz vom Wedeln ab. Es half jedoch nichts, die Horde unter ihr schien die drohende Gefahr zu spüren. Einige der größeren Tiere hoben ihre massiven Schädel und schnüffelten. Ihre Anspannung ließ sich fast schon greifen.
Genau in diesem Moment gab Aela über ein kurzes Heulen das Kommando zum Angriff und ohne zu zögern drückte sich die Kaiserliche so kraftvoll, wie es ihr nur möglich war, vom Baumstamm ab. Ihre Krallen gruben sich in die Rinde bevor sie völlig frei durch die Luft segelte und nur an kleineren Zweigen hängen blieb. Während sie die Silhouette der anderen Wölfin nur aus dem Augenwinkel sah, wie sie mit vorgestreckten Läufen wie ein Falke auf eines der Schweine niederging, riss sie selbst ein weiteres der Borstenviecher mit sich zu Boden. Die Klauen tief in dessen Rücken versenkt und das warme Blut auf ihrer Haut spürend rollten sie gemeinsam mehrmals übereinander hinweg, bevor sie liegenblieben. Noch ehe Vesana jedoch ihre Fänge in das Genick ihrer Beute schlagen konnte, erwischte sie etwas hart an der Schulter, das sich schmerzhaft durch ihre Haut bohrte und sie von der scheinbar sicheren Beute wegriss.
Einer der größeren Keiler schien in der Panik der Horde nicht ganz so orientierungslos und fluchtorientiert zu sein. Offenbar wollte er zum Schutze der jüngeren Tiere kämpfen. Sie sah das feuchte Glitzern an einem seiner Hauer und spürte gleichzeitig das peinigende Stechen in ihrer linken Schulter. Dieses mistige, an einem Menschen gemessen bauchnabelhohe Borstenvieh hatte sie allen Ernstes verletzt! Wütend und von der Verletzung weniger verunsichert als aufgebracht knurrte sie dem grunzenden Schwein entgegen. Der Blutrausch und Hunger der Bestie milderten ihr Schmerzempfinden und den Fluchtreflex, der normalerweise mit stark blutenden Verletzungen, egal ob bei Tier oder Mensch, einsetzte. Das Quieken der übrigen Tiere entfernte sich schnell und auch das zuvor angefallene rappelte sich in der Zwischenzeit wieder auf.
Vorsichtig testete Vesa die Bewegungsfreiheit ihres Armes aus und stellte mit Erleichterung fest, dass es sich nur um eine Fleischwunde handelte. Kampflustig und mit herausfordernd ausgebreiteten Armen umkreiste sie das Schwein, das ihr stets den massiven Schädel und die langen Hauer entgegenstreckte. Den Geräuschen nach zu urteilen rang Aela noch mit einem anderen Herdenmitglied und so blieb der Kaiserlichen nichts anderes übrig, als sich allein mit dem aggressiven Keiler herumzuschlagen.
Irgendwann verlor sie die Geduld und sprang mit einem kräftigen Satz seitlich an dem Vieh vorbei. Sein Kopf folgte ihr, doch nicht schnell genug um den Hinterleib in gerader Linie dahinter zu verstecken. Mit einem schnellen Folgesprung erwischte sie den hinteren Oberschenkel des Keilers und riss ihn mit den Klauen auf bevor sie landete und sich abrollte. Quiekend spurtete das Schwein jedoch gleich auf sie los, anstatt sich an der Verletzung zu stören und rammte sie frontal in den Bauch. Sie jaulte, als sich einer der Hauer durch ihre Haut bohrte und sie gegen einen nahen Baumstamm warf. Benommen schüttelte sie den Kopf, um wieder klarer zu denken.
Die Kampfgeräusche aus Aelas Richtung klangen inzwischen nur noch schwach, als hätte die Nordfrau ihre Beute mittlerweile niedergerungen, um ihr jetzt den Todesstoß zu geben. Sie musste also nur noch auf Zeit spielen, denn zu zweit würde sich der Keiler wohl schnell erledigen lassen. Vom Angriff des Wildschweins in den Beinen noch geschwächt und trittunsicher, kletterte Vesana in zwei sehr kurzen Sätzen an dem Baumstamm hinauf und ein dritter Sprung brachte sie hinter dem Borstenvieh in Stellung. Während sich dieses drehte, fiel sie es erneut an und riss den anderen Hinterlauf auf. Dadurch verwirrt bemerkte es nicht, wie die zweite der Wölfinnen sich anschlich.
Während die Kaiserliche einem neuerlichen, jedoch zunehmend unbeholfenen Angriff des Schweins auswich, sprang Aela in hohem Bogen auf dessen Rücken und vergrub ihre Klauen und Fänge in seinem Fleisch. Quiekend, grunzend und schmerzhaft in Angst aufschreiend versuchte das bereits geschwächte Tier den Werwolf von sich abzuschütteln, doch gelang es ihm nicht. Die messerscharfen Krallen gruben sich nur noch tiefer in sein Fleisch. Als schließlich auch Vesana noch auf es sprang und das gesamte Gespann auf die Seite umfallen ließ, war es vorbei. Ein schneller Biss in die Kehle und ein durstiges Aufsaugen des heraussprudelnden Lebenssaftes setzten dem Leben des Keilers ein jähes Ende.
Aela zog sich aus dem Sichtfeld der Kaiserlichen zurück und den Klängen nach zu urteilen machte sie sich über ihr eigenes Borstenvieh her. Vesa ließ derweil von der Kehle des Schweins ab, als für ihren Geschmack zu wenig Blut aus ihr quoll. Haut- und Fleischreste hingen ihr aus dem Maul und zwischen den Zähnen als sie sich daran machte die Brust ihres Opfers aufzureißen. Erst mit den Klauen, dann mit den Fängen wühlte sie sich durch die Muskeln und Sehnen, brach wie ein Hund, der in der Erde wühlte, den Brustkorb auf und grub sich anschließend weiter durch das in der kalten Nacht dampfende Gewebe. Mit jedem Bissen, den sie hinabschlang auf ihrem Weg zum Herzen, spürte sie frische Kraft durch ihre Adern pulsieren, heißes Kribbeln durchzog ihren Bauch und die Schulter, als die Lebenskraft des Keilers über dessen Blut und Fleisch in sie überging. Es stimulierte ihre Regeneration und als sie schließlich die große Lebenspumpe gierig in sich hineinfraß beschleunigte sich der Effekt nochmals. Die Löcher, die die Hauer des Borstenviehs gerissen hatten, schlossen sich in Windeseile bis nur noch das blutige Fell von ihrer ehemaligen Existenz zeugte. Gleichzeitig gab sich das zunehmend gesättigte Biest mit der Beute zufrieden und überließ ihr größere Kontrolle über ihren eigenen Leib. Schweine, ob wilde oder gezüchtete, hatten den angenehmen Effekt, nahe an den stillenden Effekt von Menschenopfern zu kommen und so eine gute alternative Nahrungsquelle zu sein.
Einen Moment vom Festmahl pausierend, von Kopf bis Fuß mit Blut besudelt und tropfend, erhob sich Vesana und schaute hinüber zu Aela, deren Erscheinung sich in den Graustufen der Umgebung deutlich über ihrem Schwein abhob. Ihr Fell schimmerte feucht. Gerade stieß sie mit der spitzen Schnauze in ein großes Loch in der Flanke ihrer Bache und holte einen Fäden ziehenden Klumpen heraus. Die Kaiserliche erkannte sie als Blutgefäße, die rissen, als die Nordfrau das dunkle Herz im Ganzen hinabschlang und dafür den Kopf in den Nacken legte.
Der Anblick ließ ihr einen wohligen Schauer über den Leib laufen und versetzte sie in wallendes Zittern. Hitze stieg in ihr auf und noch im selben Augenblick stieß sie ein langes, helles Heulen aus. Ihre Jagdgefährtin stieg in den Mondgruß ein. Die Lust, noch weiter zu jagen, und die Erregung des Erfolges schien ihnen beiden gemein zu sein. Noch dazu, wo eines der Schweine auch ausgerechnet schon eine so verlockende Fährte gelegt hatte, immerhin war das verwundete Schwein mit dem Rest der Horde entkommen.
Zunächst genossenen sie beide ihre Beute einige weitere Momente, aber es dauerte nicht lange, bis sie wieder in die noch junge Nacht aufbrachen.
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Himmelsrand, Fürstentum Weißlauf
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Noch am frühen Nachmittag kletterten Aela und Vesana mit leichtem Reisegepäck und Jagdausrüstung ausgestattet durch die Turmruine am Ende des Tunnels aus der Tiefenschmiede. Sie gelangten auf diesem Wege schneller aus der Stadt, als wenn sie sie durch das Tor verließen und von dort den Weg in die Wildnis einschlugen. Mit der regenfesten, dickgefütterten Wildlederjacke, die sie schon auf Solstheim getragen hatte, zusammen mit einer etwas dickeren, molligen Hose und den hohen Wildlederstiefeln lief es sich selbst in diesem ungemütlichen Wetter vergleichsweise angenehm. Zwar war der Boden ziemlich aufgeweicht, weil es seit der Nacht ununterbrochen regnete, aber Vesa konnte sich Schlimmeres vorstellen. Aela lief neben ihr, ähnlich warm eingekleidet, und zusätzlich zu einem Tornister trug auch sie einen Jagdbogen mit zwei Köchern und einem Schwert auf dem Rücken.
„Ich habe gehört, der Auszubildende hatte heute Grund zum Fluchen?“, fragte Aela.
„Hat Skjor erzählt, ja?“
„Ja, hat er.“
„Er schien heute gut gelaunt zu sein.“
„Ist er auch, immerhin hatte mal wieder jemand den Mut, sich mit ihm anzulegen. Das freut ihn doch immer.“
„Stimmt.“
„Es endete aber scheinbar auch wie immer, richtig?“
„Natürlich endete es wie immer. Wann hast Du denn jemals jemanden gesehen, der Skjor in den Dreck gelegt hat?“ Die Nord lachte. Natürlich hatte sie das noch nicht gesehen. Keiner konnte das behaupten. „Wenigstens lernt man bei ihm was.“
„Das ist wahr.“
Für einige Zeit liefen die beiden Frauen schweigend weiter. Der Regen perlte an ihrer Jacke ab und tropfte von der Kapuze vor ihrem Gesicht hinab. Kein einziger Tropfen durch ihre Kleidung drang, außer ein wenig an den Knien, die nicht direkt von ihrem Oberteil oder den hohen Stiefel bedeckt wurden. Dennoch schien ihr alles irgendwie klamm zu sein. Die hohe Luftfeuchte kroch überall hinein und legte sich auf die Haut unter den Stofflagen. Nicht unbedingt angenehm, aber es ließ sich aushalten. Umso mehr verspürte sie das Bedürfnis sich in das weiche Fellfutter ihrer Kapuze zu kuscheln, allerdings wäre das im Gehen wohl weniger praktikabel.
„Was ich Dich noch fragen wollte“, setzte Aela nach einer Weile an.
„Ja?“
„Wie war es, den Werbären zu töten? Wie sah er aus?“ Vesana hatte in gewisser Weise schon darauf gewartet, dass die Nord fragen würde. Eine so erfahrene Jägerin wie sie, die eine Kreatur noch nicht einmal gesehen hatte, musste sicherlich eine gewisse Neugier verspüren, wie es war. Die Kaiserliche konnte es sich zumindest gut vorstellen, denn ihr selbst erging es nicht viel anders. Leuten von ihrem Schlag wurde regelrecht der Mund wässrig, wenn sie gute Jagdgeschichten hörten.
Vesa überlegte kurz, wie sie es erzählen sollte. „Es war eine atemberaubende Kreatur, Aela. Gut sechs Fuß groß, dreimal so kräftig wie jeder Werwolf, den ich bislang gesehen habe und dunkles, braunes Fell – dicht und fest – mit leuchtenden, gelbschimmernden Augen in tiefen Höhlen. Er besaß keinen Schwanz, aber seine Pranken waren massiv mit langen, scharfen Klauen“, berichtete sie und beobachtete währenddessen, wie Aela die Hände ineinanderschlang, als ob sie sich die Kreatur gut vorstellen konnte und in Ehrfurcht zu erstarren drohte. „Er hat gekämpft wie rohe Naturgewalt.“
„Wie … wie hast Du ihn erlegt?“
„Zufall. Selbst tiefe Schnitte schienen ihn nicht wirklich zu stören. Ich habe es irgendwann geschafft mein Stahlschwert in seiner Brust zu versenken. Als er es herausziehen wollte, hat er es einfach abgebrochen!“
„Abgebrochen?“
„Ja. Als wäre es ein dünner Ast. Die restliche Klinge, die steckengeblieben war, hatte ihn geschwächt, weshalb ich ihn schließlich hiermit“, sie zog ihr neues Schwert aus der Scheide auf dem Rücken, „erlegen konnte.“ Die Rothaarige sprach kein Wort sondern streckte die Hand aus und ließ sich die silberveredelte, geschwungene Waffe geben. Vorsichtig strich sie über das glänzende Metall, wog es hin und her. „Da fällt mir ein, ich habe das Fell noch unten in meinem Zimmer. Ich sollte es bei Gelegenheit noch fertig bearbeiten.“
„Das solltest Du, ja. Woher hast Du das hier?“ Sie reichte der Kaiserlichen ihre Waffe zurück, die diese anschließend wieder auf dem Rücken verstaute.
„Die habe ich einem Banditen auf Solstheim abgenommen.“
„Abgenommen?“
„Ja. Noch am ersten Tag bin ich mit ein paar Räubern zusammengestoßen. Der Anführer dachte, ich wäre leichte Beute, und hat sich etwas verschätzt. Seine Kumpane sind dann geflohen. Ich habe es bei den Skaal noch etwas mit Silber veredeln lassen, aber so grundsätzlich ist es seine Klinge gewesen.“
„Sie hat eine interessante Balance.“
„Ja, das dachte ich mir auch. Jetzt wo ich mein Stahlschwert gegen den Werbären verloren habe, bleibe ich erstmal bei dem hier.“
„Vernünftig.“
„Wo wollen wir eigentlich hin? Zum Jagen, meine ich“, wechselte Vesana das Thema.
„Hier in den Prärien nördlich von Weißlauf, noch in Reichweite für heute, gibt es eine kleine verlassene Hütte, die ich letztens mit Skjor entdeckt habe. Da werden wir heute unsere Sachen unterstellen und später schlafen“, erklärte Aela. „Morgen können wir dann früh los und weiter nach Norden, näher an die Wälder und Berge heran – oder vielleicht schaffen wir es sogar ganz bis zu ihnen. Da sind wir weit genug weg von Dörfern oder großen Städten und auch ungestört.“
„Klingt gut.“
„Die Vollmondnacht und die danach können wir dann noch dort bleiben und uns im Anschluss auf den Rückweg machen.“ Es war in der Tat ein guter Plan. So konnte sich das Biest in ihr austoben und selbst wenn es in der Vollmondnacht nicht auf Aela als Leitwolf hören sollte, mochte wohl nichts Schlimmes passieren. Bis dahin mussten sie aber erst einmal noch eine Weile durch das ungemütliche Wetter stapfen.
Schmatzend lösten sich ihre Stiefel aus dem Boden, der sie scheinbar kaum noch loslassen wollte. Eine zwar weiche, aber dann doch unangenehme Umklammerung, aus der sich die Kaiserliche nur allzu gern wieder zurückzog. „Gibt es eigentlich neue Anwärter, die in den Zirkel aufgenommen werden könnten?“, fragte Vesa nach einiger Zeit, die sie schweigend zurückgelegt hatten.
„Nein. Bislang hat sich niemand hervorgetan, der für das Geschenk des Wolfsblutes bereit wäre.“
„Hm, verstehe. Aber es gab auch keine Zwischenfälle mit anderen Rudeln, so wie vor – wann war das gleich – einem dreiviertel Jahr?“ Sie bezog sich damit auf eine eher umherstreunende Bande von Werwölfen, die für Unruhe gesorgt hatte. Zwar hatten die Unwissenden eher nur von großen Wölfen berichtet, aber der Zirkel wusste es aus Erfahrung natürlich besser und hatte sich zum Eingreifen gezwungen gesehen, um die eigene Tarnung nicht aufs Spiel zu setzen. Es endete mit zwei Toten auf der Seite der kleinen Bande, darunter dessen Leitwolf, und die anderen beiden waren geflohen. Bei dem Gedanken an die Geschichte verknotete sich ihr Magen und die Augenbrauen senkten sich ein Stück. Immer dann, wenn sich ihre Art untereinander bekämpfte, stimmte es sie traurig. Es gab größere Feinde, aber das half meist nichts. Die Streuner – und es gab viel zu viele von ihnen – waren in der Regel nichts anderes als verfilzte Halunken, die mit ihrer Gabe nicht umzugehen vermochten und deshalb den Rest ihrer Gattung in Bedrängnis brachten. Als ob die Territorialität der größeren Rudel nicht schon für genug Ärger zwischen den Wölfen sorgte, nein, es musste auch noch die geben, die alles fraßen, was ihnen vor die Nase lief.
„Nein, zum Glück. So ruhig, wie die Silberne Hand zurzeit ist, verhält es sich auch mit den Rudelrivalitäten. Obwohl wir das Fürstentum inzwischen ohnehin recht gut für uns beansprucht haben. Jetzt wo Du wieder da bist, können wir aber vielleicht etwas offensiver neuen Kontakt mit anderen suchen und womöglich unsererseits der Hand eins auswischen.“ Seit sie Darius kennengelernt hatte, war Vesana mit ihm regelmäßig auf der Suche nach anderen Rudeln gewesen, um Partnerschaften anzustreben und den Werwolfsjägern der Silbernen Hand stärkeren Widerstand entgegenzusetzen. Während Vilkas und Kodlak das in ihrer Zurückhaltung gegenüber dem Geschenk Hircines nicht gerade begrüßt, wenngleich auch nicht unterbunden hatten, fand diese Idee bei Skjor und Aela enormen Zuspruch und starke Unterstützung. Allerdings hatten die größeren Wolfsrudel selten Interesse, eher Skepsis oder gar Geringschätzung gezeigt, und die kleineren verschwanden so schnell, wie sie sie gefunden hatten – entweder weil sie von einem größeren Rudel vertrieben worden waren, oder weil sie die Hand erwischt hatte. Und seit Darius‘ Verschwinden hatte Vesa die Tätigkeit der Bündnissuche niedergelegt.
„Eine gute Idee“, stimmte die Kaiserliche schließlich zu. Nicht zuletzt würde das wohl auch eine Möglichkeit bieten, mehr über den Verbleib ihres Geliebten in Erfahrung zu bringen.
„Schön, dass Du das so siehst. Dann sollten wir uns wohl mit Skjor zusammensetzen, sobald wir wieder zurück sind.“ Vesana nickte, auch wenn die Nord das wohl kaum sah. Den Blick hielten sie beide eher gerade aus, um nicht fehlzutreten auf dem rutschigen Untergrund. Zumal sich die Sicht nicht gerade als herausragend bezeichnen ließ. Der dichte Grauschleier des Regens verschluckte die Umgebung schon im nahen Umkreis nahezu vollständig. Noch dazu wurde es allmählich dunkel. Ganz zu schweigen vom konstanten Rauschen der großen Tropfen, die schwer auf ihren Kopf und die Schultern prasselten, und jeden Laut der Umgebung verschluckten, da mussten sie die Augen eher auf die Umgebung, anstatt aufeinander, halten. „Ah, da vorne ist sie.“ Aela hob die Hand und deutete voraus ins verschwommene Dämmerlicht.
Mühsam, und auch nur aufgrund ihrer verbesserten Sinne, entdeckte Vesana die dunkle Ecke eines Holzverschlags hinter einem etwas größeren Findling. Einen Bogen beschreibend und so den Felsen weiträumig umringend, näherten sie sich der Hütte. „Da regnet es doch rein!“, murrte Vesa, als sie die großen Lücken zwischen den Brettern der Seitenwände und die schiefe, niedrige Eingangstür erkannte. Das Dach mochte kaum anders aussehen.
„Dafür haben wir ja unsere Zeltplanen dabei.“
Das Abdichten der Hütte mit ihren Zeltbahnen gestaltete sich als umständliches Unterfangen. Ständig rutschte der Stoff irgendwo wieder heraus, oder sie glitten ab, oder kamen gar nicht erst dort hin, wo es sinnvoll gewesen wäre ihn zu befestigen. Irgendwann im Dunkeln der hereingebrochenen Nacht schafften die beiden Frauen es schließlich, einen einigermaßen ausreichenden Teil der Hütte regenfest zu machen und dort ihre Schlafunterlagen auszubreiten. Wirklich komfortabel war es zwar nicht, zumal die widerliche Feuchtigkeit des Wetters überall hineinkroch und das Holz, vollkommen vollgesogen mit dem Nass, auch noch recht modrig roch, aber es würde wohl ausreichen, um hier eine Nacht zu verbringen. Wenigstens half die Kälte und das durch die Zeltplanen und den Bretterverschlag gedämpfte Rauschen des Regens durch seine Monotonie Vesanas Kopfschmerzen zu lindern. Mit jedem Moment, den die Nacht weiter über sie hereingebrochen war auf ihrem Weg, hatten sich diese verstärkt, als ob das Biest in ihr immer weiter aufwachte und gegen die Stäbe eines Käfigs schlug, um auszubrechen.
Zuletzt fühlte es sich so an, als würde ihr Schädel förmlich platzen. Es zog und stach, gelegentlich schoben sich die scharfen Reißzähne auch ein Stück heraus, bevor sie mit einem Stöhnen und scheinbar in Wut geballten Fäusten ihre Augen einen Moment schloss und gegen das Bedürfnis ihren Trieben freien Lauf zu lassen, ankämpfte. Jetzt, wo Vesa auf ihrer ledernen und fellbesetzten Schlafunterlage saß, beruhigte sie sich selbst durch gezwungen regelmäßige Atemzüge und seichtes Wippen des Oberkörpers bei angezogenen Beinen, die sie mit den Armen umschlungen hielt. Die feurigen Messerstiche quer durch den Kopf versuchte sie durch Bisse auf die Unterlippe auszublenden. Ihre Begleiterin kümmerte sich gerade noch um die letzten Handgriffe an der Hütte, hatte aber einsehen müssen, dass die Kaiserliche in diesem Zustand keine ernsthafte Hilfe mehr war.
Zusätzlich erinnerte sie die Situation an eine von zahlreichen Jagden mit Darius. Oft hatte sie mit ihm Zeit in den Wäldern an den Ufern des Ilinalta-Sees verbracht. Genau genommen am südlichen Ufer, wo sie ein sehr altes, verlassenes, kleines Blockhaus entdeckt hatten. Über den Verlauf mehrerer Jahre hatten sie dieses zu ihrer Zuflucht in den Sommermonaten ausgebaut und recht wohnlich eingerichtet. Es war dort gewesen, wo sie sich erstmals näher kennengelernt hatten. Es war dort gewesen, wo sie von ihrer gegenseitigen Lykantrophie erfahren hatten. Es war dort in der nahen Umgebung gewesen, auf einer Wiese zwischen Wald und See, dass er ihr bei der Arbeit an ihrem Totem der Jagd geholfen hatte. Und es war dort gewesen, wo sie sich das letzte Mal gesehen hatten.
Irgendetwas berührte Vesana an der Schulter und sie schreckte zusammen. Für einen kurzen Moment ließ der Kopfschmerz ihr Blickfeld verschwimmen, das ohnehin nur von einer kleinen Sturmlaterne erhellt wurde. Erst Aelas feste Stimme holte sie zurück ins Hier und Jetzt. „Es ist alles fertig. Lass uns aufbrechen, dann legen sich auch Deine Kopfschmerzen.“ Die Kaiserliche nickte nur benommen, als hätte ihr jemand einen Holzknüppel über den Kopf gezogen. Im Anschluss stemmte sie sich steifbeinig hoch und begann wie auch die Nord damit, sich auszuziehen. Jacke und Hose legte sie ans Kopfende des Nachtlagers nahe der Außenwand des kleinen Schuppens, die Stiefel stellte sie ans Fußende in die Nähe ihres Felleisens und ihrer Waffen. Als letztes, bereits vor Kälte heftig zitternd, streifte Vesa ihre Tunika über ihren Kopf, warf sie auf das Nachtlager und befreite die langen Haare aus dem Knoten am Hinterkopf. Noch immer klamm fielen sie ihr auf die Schultern und kitzelten die Haut.
„Dann mal los.“ Aela nickte in Richtung Tür und lief auch direkt los. Ihre nackten Füße hüllten sich schnell in braunes Schmutzwasser auf ihrem Weg dorthin und gleich darauf verschwand ihre sich hell vor den dunklen Wänden abhebende Gestalt durch den Eingang. Die Kaiserliche löschte noch die Laterne. Mit der plötzlich alles verschluckenden Dunkelheit verschwand auch ihre Orientierung im Hier und Jetzt, sie gab sich auf und verlor sich nicht nur im Dunkel der Welt, sondern auch in dem ihrer Gedanken.
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Das Wetter hatte sich am nächsten Morgen nicht gebessert und so kämpften sich die beiden Frauen weiter durch die widrigen Bedingungen Richtung Norden und näher an die Wälder heran. Aufgrund des Mangels an menschlicher Beute schlug sich der Hunger stärker auf Vesanas Befinden nieder und die tobende Bestie in ihr schien sich einen Weg aus ihrem Innern nach außen graben zu wollen – zumindest fühlte sich das Hämmern und Ziehen in ihrem Schädel und das Krampfen des Magens so an. Entsprechend anstrengend empfand es die Kaiserliche mit Aela schrittzuhalten, die augenscheinlich weniger stark unter dem bevorstehenden Vollmond zu leiden schien. Noch dazu hallten die Bilder der letzten Nacht, die wie in Trance die Jagd überlagert hatten, noch immer vor ihrem inneren Auge wider – eine Last, die die Nord sicherlich nicht verspürte.
„Sollen wir eine Pause einlegen?“, fragte die Rohaarige, nachdem sie einen Moment lang gewartet hatte, um Vesana aufschließen zu lassen.
„Lieber nicht“, entgegnete diese zähneknirschend. Obwohl die bloßen Erschütterungen ihrer Schritte immer wieder heftige Stiche durch ihren Kopf jagten, war das immer noch besser als in einem Moment der Ruhe nichts zu haben, um sich zur Ablenkung mit den Gedanken daran festzuhalten – und wenn es nur der nächste Schritt war. Würde sie sich setzen, das Biest in ihr mochte vor Hunger und Fresssucht losbrechen. Der Gedanke behagte Vesa keineswegs.
„Wie Du willst.“ Aela nickte nur und lief weiter. „Bei der Geschwindigkeit schaffen wir es ohnehin nicht mehr bis zu den Wäldern, allenfalls den vorgelagerten Ausläufen, daher würde eine Rast auch keinen Unterschied mehr machen.“
„Danke, aber eine Pause würde mir gerade nicht gut bekommen.“ Aela wandte ihr im Gehen kurz den Blick zu, musterte sie und nickte dann verstehend, bevor sie sich wieder nach vorne wandte. Wenn die Kaiserliche so aussah, wie sie sich fühlte – von Übelkeit und Kopfschmerz verzehrt – dann musste sie kreidebleich sein und rotstarrend-gereizte Augen haben.
„Es sollte nicht mehr sehr weit sein, bis wir die ersten vorgelagerten Wäldchen erreichen. Vielleicht sollten wir doch nicht ganz so weit ziehen und dafür länger jagen. Sicher sind wir hier allemal“, überlegte die Nord laut. An sich keine schlechte Idee und die Vesana merkte, wie die Bestie in ihr freudig tobte. Der die Blitze durch das Haupt ließen vorübergehend geringfügig nach, als ob ihr die Wölfin die Möglichkeit geben wollte, schneller ans Ziel zu gelangen, damit für sie auch mehr Zeit zum Jagen übrig blieb.
„Das entscheidend wir, wenn wir dort sind“, bemühte sich die Kaiserliche um Vernunft und erhielt einen heftigen Stich durch die Schläfe zum Dank. Leise stöhnend verzog sie das Gesicht und presste die Hand an die Kopfseite.
Es dauerte letztlich nicht allzu lange, bis sich eine Baumgruppe unweit vor ihnen aus dem grauen Schleier des anhaltenden Regens schälte. Groß genug, um Schutz vor Wind und Wetter zu bieten, aber dennoch kaum mehr als eine grüne Insel im Braun des herbstlichen Tundragrases. Die beiden Frauen schlugen sich einen Weg ins Innere und fanden sich zwischen den im unteren Bereich kahlen Stämmen der mittig liegenden, hohen Nadelbäume. Zwar tropfte durch den kontinuierlichen Guss noch reichlich Wasser durch das von unten dicht wirkende Dach, aber immerhin waren sie aus dem direkten Regen hinaus und konnten sich etwas entspannen. Für ihre Zelte wäre reichlich Platz auf dem ebenen, von alten Nadeln und Zweigen übersäten Boden. Die Bäume formten regelrecht eine Art Grotte, in der nur gelegentlich ein kleiner Busch oder überhaupt etwas wuchs, erfüllt vom Geruch feuchter Moose und Nadeln, ebenso wie Harz und nassem Holz. Eine bittere Mischung, die sich gut in die nasse Kälte der Luft einfügte, als gehörten sie zusammen. Ein unangenehmer Schauer rann ihr an der Wirbelsäule hinab und sie schüttelte sich kurz, um ihn loszuwerden.
„Wenn Du mich fragst, Vesa, ist das hier perfekt.“
„Hmhmm.“ Sie ließ ihren Tornister von den Schultern rutschen. Sie setzte sich auf das Gepäck, schob die Kapuze nach hinten vom Kopf und nahm das Gesicht in die Hände. Tief Luft holend versuchte sie mit der Dunkelheit der beschattenden Hände die brennenden Augen etwas zu beruhigen.
„Ich sehe mich mal noch etwas um.“
Die Kaiserliche ließ ihre Hände sinken und stemmte sich hoch. „Ich auch.“
„Sehr gut. Du dort drüben“, Aela wies gen Süden und Westen, „ich dort“, und zeigte nach Osten und Norden.
„In Ordnung.“ Damit trennten sich die beiden Frauen. Vesa schulterte noch schnell ihr Schwert und den Bogen, dann machte sie sich daran die pflanzliche Grotte und ihre Randgebiete zu erkunden. Außer reichlich vielen, allerdings ungenießbaren Pilzen in der Nähe einiger umgestürzter, alter Bäume und ein paar Büsche an Stellen, wo das Dach lichter war, schien hier kaum etwas zu wachsen. Tiere schienen sich noch nicht hier her zurückgezogen zu haben, aber es war auch längst noch nicht Abend, so dass sich dieser fast schon unheimlich stille Umstand noch ändern mochte. Einige Efeuranken, allerdings längst verdorrt und abgestorben, hielten noch immer die Stämme einiger hoher Fichten näher am westlichen Rand umschlossen.
Allerdings umschlangen sie nicht nur die kräftigen Säulen der natürlichen Höhle, sondern auch noch einige größere, schwarze Steine, die zum Teil auch vom dichteren Unterholz des Waldrandes verhüllt wurden. Interessiert und zugleich allmählich etwas beunruhigt, wandte sich Vesana diesen zu. Langsam kniete sie sich neben einen der schwarzen, irgendwie deplatzierten Felsen und befreite ihn vom gierigen Griff der Ranken. Grobe, vom Wetter ausgewaschene Muster aus geschwungenen, ineinander verdrehten Gravuren zeichneten sich dort ob. Vorsichtig fuhr die mit dem Finger durch die Furchen, rieb etwas Erde heraus und befreite anschließend eine größere Fläche. Sie kannte die Steine, oder wusste zumindest, was sie bedeuteten und als sie sich erneut umsah, entdeckte sie noch eine ganze Reihe größerer Steine, die sich verteilt wie dunkle Mahnmale als Schatten zwischen den Zweigen des dichten Unterholzes abhoben. Drohend und wie rastlose Geister, denen sie eigentlich Ruhe verschaffen sollten, lauerten sie um undurchsichtigen Dickicht, als wären sie dafür verantwortlich, dass kaum etwas in diesem kleinen Wäldchen lebte.
Beunruhigt und mit unregelmäßig schlagendem Herzen erhob sich Vesa. „Aela“, zischte sie in die feuchtkalte Nachmittagsluft, die mit einem Mal abgestanden zwischen den Bäumen festzuhängen schien, wie ein Leichentuch über dem Grab, auf dem sie stand. „Aela!“, wiederholte sie etwas lauter.
„Vesa!“, kam es vom nördlichen Rand zurück, aber nicht als wäre es eine Antwort. „Vesa, komm her!“ Die Kaiserliche setzte sich in Bewegung und die Aufregung in ihren Adern verdrängte für den Moment die Kopfschmerzen und Magenkrämpfe in eine dunkle Ecke ihres Verstandes. Behände und flink folgte sie dem Ruf ihrer Gefährtin. Die Nord brauch einige Dutzend Schritte vor ihr aus dem Unterholz und hielt an. Der Ausdruck von Besorgnis – weit geöffnete Augen und der leicht offen stehende Mund – verriet Vesana bereits, dass ihre Befürchtung wahr war. „Ich glaube nicht, dass wir hier bleiben sollten. Wir befinden uns auf den Au-“, doch weiter kam sie nicht. Die Kaiserliche verlor plötzlich das Gleichgewicht, als sie auf weichen Grund trat. Sie versank bis zum Knöchel im lockeren Nadelteppich und blieb an einer dünnen Wurzel hängen, die zwar nachgab, aber dennoch wie eine Fußfessel wirkte. Erschrocken vollführte ihr Herz einen hektischen Satz und sandte einen Stich durch ihre Brust, der ihr kurzweilig die Konzentration raubte. Reflexartig hob sie die Hände, doch es nützte nichts. Anstatt brauchlinks auf dem Untergrund zu landen, versanken ihre Arme bis zu dem Schultern im Erdreich und ihr Oberkörper folgte. Die Wurzel zog an ihrem Fuß, doch vermochte sie nicht ihr Gewicht zu halten. Mit einem spitzen Schrei des Schreckens verschwand Vesa in einem tiefen Loch, brach durch feines Wurzelgeflecht und wurde von größeren abgelenkt, schürfte über grobe Steine und wurde nur langsam gebremst.
Erst nach einigen ihr schier endlos erscheinenden Augenblicken des Fallens begann die Wurzel um ihren Fuß sie doch noch zu bremsen, nicht sanft jedoch, sondern schlagartig, dass es ihr Hüftgelenk schmerzhaft knirschen lies und ihr einen weiteren Schrei entriss. Im spärlichen Licht, das von oberhalb zu ihr hinabfiel sah sie nur noch, wie sie auf eine Wand des von dicken Wurzeln gestützten, senkrechten Tunnels zu pendelte. Durchsetzt von groben Steinen gab es nichts, dass ihren Aufprall in seiner Wucht gebremst hätte, und so schloss sie kurz vor dem Aufprall mit die Augen …
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Die Arme hingen taub und steif vom angestauten Blut nach unten. Der Kopf hämmerte, als würde Eorlund gerade ein Schwert darin schmieden und die Umgebung erschien ihr sowohl ton-, als auch formlos. Vesana blinzelte zwar, sah jedoch nichts. Sie glaubte Schemen zu erkennen, lange, drahtige Gebilde in dunklem Braun und mit feuchtem Glanz, doch verflüchtigten sie sich so schnell wieder, wie Schatten im Nebel. Wie ein Hirsch in der Brunft atmete sie schwer durch den Mund, die Nase verstopf ließ keine Luft hindurch. Bitteres Eisen hielt ihre Zunge und den Gaumen umschlungen, ließ ihre Kehle trocken wirken und erstickte jeden Laut noch bevor er entstehen konnte. An einigen Stellen ihres Körpers, von Kopf bis Fuß verteilt, brannte die Haut wie Feuer und einige heiße Tropfen rannen der Kaiserlichen über die Wangen ins Haar. Die kalte Luft, die ihr unter die hochgerutschte Jacke blies, spürte sie kaum und ließ sie nur gelegentlich schaudern. Das linke Bein spürte sie nicht, fühlte nur das unangenehme Ziehen in der Hüfte.
Wieder blinzelte die Kaiserliche und versuche mehr zu erkennen und sich zu erinnern, was passiert war. Während sich allmählich Rauschen auf ihre Ohren schlug, versuchte sie die gefühllosen Hände zu bewegen und sie so aus ihrem Schlummer zu befreien. Erfolglos. Das braune Geflecht um sie herum, aus teils dicken Streben, kam ihr in einem kurzen, klaren Moment, wie Wurzeln vor, doch das konnte unmöglich sein. Wieso sollte sie umgeben von Wurzeln sein? Hatte sie jemand begraben? Zwar fühlte sie sich gerade nicht besonders gut, aber tot war Vesa nun noch lange nicht.
Zorn stieg in ihr auf, ließ Aufregung durch ihre Adern pumpen und brachte etwas Gefühl in die Arme zurück, drängte das Rauschen in ihren Ohren zurück und machte Platz für neue Eindrücke. Während sie versuchte, mit den Händen einen der Lebensanker zu fassen zu bekommen, wurde ihr plötzlich bewusst, dass sie hing, kopfüber. Warum hing sie kopfüber in einem Wurzelloch? Inzwischen entwand sich ein leises, vom zunehmend heftiger werdenden Kopfschmerz gequältes Stöhnen ihrer Kehle. Das mit den Bewegungen der Arme abklingende Rauschen in ihren Ohren stammte somit auch nicht von Regen, wie sie es zunächst angenommen hatte, sondern von ihrem eigenen Blut, das ihr zu Kopf gestiegen war.
Gleichzeitig nahm sie etwas wahr, das entfernt an eine Stimme erinnerte. Weicher als das vergehende Tosen, wärmer als die feuchte Luft um sie herum. Mühsam versuchte Vesana zu erkennen, von wo die Klänge kamen, aber da sie sie nur undeutlich hörte, ließen sie sich nicht platzieren. Allerdings bemerkte sie das von oben einfallende, schummrige Licht. Dämmrig, wie spätnachmittägliche Sonnenstrahlen an einem bewölkten Tag. Vorsichtig versuchte sie den Oberkörper einzuknicken und dort hinauf zu schauen, doch die starke Bewegung schien auf einmal das taube, linke Bein zu wecken – etwas, dass die Jägerin sofort bereute. Ein weinerlich verzerrter, halb erstickter Schmerzensschrei riss sich los, als ihr dem Gefühl nach ein glühender Dolch in die Hüfte gestoßen und dann bis zum Knöchel durch ihr Glied gezogen wurde.
Gleichzeitig sorgte der Schmerz jedoch auch dafür, dass sie zu vollem Bewusstsein zurückkehrte. „Vesa! Hörst Du mich?“, vernahm sie nun die bekannte Stimme einer Frau von oben. Es war Aela, in Sorge. Auch die Erinnerungen kehrten zurück.
„Ja“, gab die Kaiserliche zurück, ihre Stimme rau wie ein Reibeisen.
„Verflucht, das wird aber auch Zeit!“
„Ich hänge fest“, überging Vesa den Tadel.
„Das sehe ich. Kannst Du Dich irgendwo hochziehen oder festhalten und die Wurzel durchschneiden?“ Sie versuchte, den Vorschlag umzusetzen und packte eine dicke Wurzel an. In der Tat half es ihr dabei, den Oberkörper wenigstens in die Waagerechte zu bringen, aber dann verschwand ihre Kletterhilfe im Erdreich.
„So müsste es gehen“, kommentierte Vesana aber dennoch und griff im selben Moment nach dem Schwert auf ihrem Rücken – und fasste ins Leere. Erschrocken machte ihr Herz einen Satz und sie merkte, wie sich ihre Augen weiteten. Etwas hektischer suchte sie auf ihrem Rücken nach der Waffe, fand sie jedoch nicht. Auch ihr Bogen schien zu fehlen. Lediglich drei Pfeile hatten sich im Köcher verkeilt und in dem Moment dämmerte ihr, wo sich der Rest befinden musste.
Vorsichtig schaute sie in den dunklen Abgrund und erblickte einige der langen Geschosse von feinerem Wurzelgeflecht aufgefangen etwa eine Mannshöhe unter sich. Der Bogen baumelte an einem etwas dickeren Lebensanker der Bäume und irgendwo im tiefsten Schwarz weiter unten blitzte etwas Metallisches auf. Ihr Schwert, wie sie nach angestrengtem Blinzeln erkannte. Wenigstens zwei Mannshöhen, vielleicht auch drei, trennten sie vom dem Ort, an dem die Waffe lag, mit der sie mühelos die sie am Fuß festhaltende Klammer hätte durchtrennen können. „Scheiße!“
„Was ist?“
„Ich habe meine Waffen verloren und komme nicht an die Wurzel heran.“ Zwar besaß sie noch einen langen Dolch am Gürtel, aber ihr Arm reichte aus dieser Position nicht bis zu ihrem Fuß und schon gar nicht, um die Wurzel zu durchtrennen.
„Kannst Du Dich nicht noch etwas hinaufziehen?“
Die Kaiserliche versuchte sich durch ruckartiges Anspannen der Bauchmuskulatur noch etwas weiter nach oben zu heben, aber es funktionierte nur kurzweilig und danach fing sie sich gerade so wieder an der dicken Lebensader des Baumes ab, die sie noch immer fest umklammert hielt. „Das könnte böse enden …“, murmelte sie und zog den Dolch. Jedes Mal, das sie sich für einen Moment weiter hob, hieb sie mit der scharfen Klinge auf ihre Fessel ein. Manchmal verfehlte sie die Stelle, auf die sie zuvor eingeschlagen hatte, aber stückchenweise durchtrennte sie das feuchte, flexible Holz. Irgendwann überstieg ihr Körpergewicht die verbleibende Tragkraft und die Wurzel riss.
Überrascht aufschreiend versuchte sich Vesana an ihre Kletterhilfe zu klammern, doch die inzwischen ermüdeten Finger schafften es nicht, sich an der feuchten, rutschigen Oberfläche festzuhalten. Wieder fiel sie, blieb an größeren Baumankern hängen, die ihr die Luft aus den Lungen trieben und ihren Schrei zum Schweigen brachten. Manche wirbelten sie herum, an andere, feinere bremsten ihren Fall. Aber nichts von alledem verhinderte, dass sie heftig auf dem kalten Steinhaufen direkt neben ihrem Schwert landete. Die blutarmen, kraftlosen Beine vermochten nicht, sie zu tragen und so prallte sie seitlich nahezu ungehemmt auf.
Für einen kurzen Moment wurde es abermals schwarz vor ihren Augen, doch die kraftvolle Stimme Aelas, in der eine nicht zu unterschätzende Menge an Sorge mitschwang, half ihr zurück in die Realität – zumindest teilweise. Schwindelig, von den Schlägen gegen ihr Haupt desorientiert und wegen der Kopfschmerzen kaum in der Lage, sich zu konzentrieren, blickte sie hinauf ins Licht des sterbenden Tages.
„Vesa, alles in Ordnung?“
„Ich … ich bin … unten“, gab sie zurück und schaute sich erstmals genauer um. Nicht, dass sie viel erkannte, aber zumindest sah sie, dass der von den Wurzeln gestützte Tunnel oberhalb einer unterirdischen Konstruktion lag. Überhaupt, die Unebenheit des Untergrunds, auf dem sie lag, die sich bewegenden, teils glattbearbeiteten Steine und die Tatsache, dass es an zwei Seiten in pechschwarze Finsternis untertage weiterzuführen schien, bestätigten nur noch, was sie vor ihrem Sturz schon angenommen hatte: Sie befand sich nun in einem teilweise eingestürzten Tunnel eines alten Hügelgrabes. Die gravierten Steine und auch Aelas Rufe, es passte alles zusammen.
„Was siehst Du?“
„Nicht viel. Scheint ein Tunnel zu sein.“ Vorsichtig setzte sie sich auf und lehnte sich gegen die nahe Wand. Ihr Schwert nahm sie auf und steckte den Dolch, den sie noch immer umklammert hielt, zurück in seine Scheide.
„Hör zu, Vesa. Kannst Du hinaufklettern?“ Vorsichtig bewegte die Kaiserliche die Beine, oder versuchte es zumindest. Das Rechte schmerzte und hämmerte, beim Linken war sie sich nicht einmal sicher, ob es überhaupt noch existierte. Alles unterhalb des Knies fühlte sie nicht mehr und der Oberschenkel brannte, als wäre er mit flüssigem Eisen ausgefüllt.
„Nein.“ Sie hörte nur entfernt etwas, das sich wie ein Fluch anhörte. Während sie darauf wartete, was die Nord erwiderte, sammelte die Kaiserliche sämtliche Pfeile ein, die sie aus dem Sitzen erreichte und die sie nicht bei ihrer Landung zerbrochen hatte. Es waren nicht gerade viele.
„Denkst Du, Du kannst da unten aushalten?“
Vesana schaute sich um, sah jedoch nichts in der Finsternis und vernahm auch keinen Laut, außer dem leichten Rauschen ihres eigenen Blutes in den Ohren und ihr tiefes Atmen. Einzig der modrige, abgestandene Geruch bereitete ihr Unbehagen, aber an den mochte sie sich vielleicht zeitweilig gewöhnen können. „Ich denke schon, wenn ich Proviant und eine Decke habe“, gab sie also zurück und bemerkte erst jetzt, wie ihre Stimme unangenehm laut durch die Dunkelheit ihrer Umgebung hallte – in unbestimmte Ferne untertage und zu ihr zurück. Ein eiskalter Schauer lief ihr über den Rücken und sie schüttelte sich.
„Gehe etwas zur Seite, dann versuche ich, Dein Felleisen hinabzuwerfen.“ Sie tat, wie ihr geheißen und schleifte sich an den äußeren Rand des Lochs, das in der Decke des eingefallenen Tunnels klaffte. Irgendwo zwischen acht und zehn Mannsgrößen über ihr mochte nun Aela zu ihrem Gepäck eilen und es in Kürze zu ihr bringen, in der Hoffnung, dass es nicht auch an einigen der Wurzeln hängen blieb.
„Vesa?“
„Ja?“
„Bereit?“
„Ja.“
Im nächsten Moment vernahm sie das stumpfe Ächzen von nassem Holz und hörte das Ziehen, als dünnere Wurzeln unter der Last aus dem Erdreich gerissen wurden. Kaum einen Augenblick später krachte ihr Tornister auf den teilweise mit Erde und Nadeln bedeckten Trümmerhaufen. Der Aufschlag hämmerte laut und unangenehm durch den Tunnel, ließ Vesana in sich zusammenfahren und reflexartig in die Umgebung lauschen. Aber es schien alles gut gegangen zu sein. Die Nord hatte den zweiten Köcher mit der Klappe des Felleisens abgedeckt, um zu verhindern, dass die Pfeile hinaus fallen konnten, und eine der Laternen baumelte außen am Gepäck, allerdings ohne die Glasscheiben, um wenigstens die Halterung intakt zu lassen und einen einfachen Transport der Kerze darin zu ermöglichen, wenn sie brannte.
„Ich werde Hilfe holen“, rief Aela von oben hinab.
„In Ordnung, ich warte hier“, erwiderte die Kaiserliche. „Nicht, dass ich etwas anderes tun könnte“, sprach sie zu sich selbst. „Beeil Dich!“, setzte sie aber noch einmal lauter nach. Aber selbst wenn sie es schafft, die Tage um Vollmond auf Wanderschaft zu verbringen, wenigstens drei Tage musste Vesana in ihrem dunklen Gefängnis ausharren, allein.
„Mache ich. Halt durch.“
„Ich geb‘ mir Mühe“, murmelte sie. Damit blieb die Kaiserliche auf sich gestellt zurück.
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Nun saß sie also allein in der Dunkelheit, nur spärlich von oben durch das rasch schwindende Licht des regnerischen Tages beschienen. Aela war noch nicht lange fort und dennoch erschien es Vesana in ihrem düsteren Loch bereits wie eine Ewigkeit. Um sich wenigstens etwas von der erdrückenden Stille abzulenken, kratzte sie sich bereits die Reste des geronnenen Blutes in ihrer Nase heraus, die sich während ihres zweiten Sturzes noch nicht gelöst hatten. Aber auch das schaffte nur kurzweilige Abhilfe und machte obendrein den Weg für die abgestandene Luft der Umgebung noch freier, als er schon war. Der Schwall ekelerregender Fäulnis ließ sie einen Moment lang würgen, bevor sie sich von der Stärke des Geruchs überrumpelt wieder unter Kontrolle brachte.
Da es nichts half, sich in den Widrigkeiten ihrer Umgebung zu verlieren, rutschte Vesa stattdessen etwas näher an ihr Felleisen heran. Zunächst Köcher und entglaste, etwas verbogene Laterne beiseitelegend, fing sie kurz darauf an, im Gepäck herumzukramen und nach dem Beutel mit den zwei Steinsplittern von Solstheim zu suchen. Während sie sich durch ihre Sachen wühlte, vorbei an der Schlafunterlage und der Zeltplane, den medizinischen Utensilien, ihren Jagdmessern und dem Proviant, ärgerte sie sich nun erst richtig, dass sie ihr Seil nicht mitgenommen hatte. Wer sich in der Tundra des Fürstentums einigermaßen gut auskannte, wusste, dass es keine gefährlichen Spalten und Klippen gab, wie auch Solstheim. Es wäre also nur Ballast gewesen. Niemand hätte damit rechnen können, plötzlich in ein dunkles, stinkendes Loch zu fallen. Andererseits ärgerte sich die Kaiserliche umso mehr über ihre eigene Trägheit und die fast schon überhebliche Einschätzung ihrer und Aelas Kenntnisse der Gegend, die sie zuvor schon bei den Nord auf der Insel angeprangert hatte, weil sie deshalb nicht optimal für alle Möglichkeiten des Fehlschlags ausgestattet waren. Ihre Sorgfalt musste sich definitiv wieder verbessern – den Mangel nur auf ihr Vollmondleiden zu schieben, ließ sie sich selbst nicht gelten.
Wenigstens dehnte sich durch die geringfügigen Bewegungen ihres Körpers während der Suche im Tornister das Brennen und Pochen in ihrem linken Bein aus. Obwohl es ihr ein mühseliges Stöhnen entriss und sie sich vorübergehend auf die eigene Hand beißen musste, um es zu unterdrücken, sorgte es für freudig-aufgeregtes Springen ihres Herzens und nervöses Kribbeln im Bauch. Wie es schien, kehrte allmählich Gefühl in das zuvor knieabwärts völlig Taube Glied zurück. Es würde sich zwar erst noch zeigen, wie schwer verletzt es war, aber vielleicht klang das Brennen irgendwann auch wieder ab, so wie es im rechten Bein bereits etwas nachzulassen begann. Die überwiegende Ruhe und die nur langsamen, belastungslosen Bewegungen schienen das Trauma zu kurieren.
In dem Moment fand Vesana schließlich auch den kleinen Beutel mit den Steinsplittern und zog ihn heraus. Schon durch das Leder spürte sie die Wärme Felsstücke und das feuerrote Glühen strahlte für ihre an die Dunkelheit gewöhnten Augen fast schon wie der Sonnenaufgang eines wolkenlosen Tages. Die Augen im Schmerz abgewandt, tastete sie blind nach der Laterne und setzte sie sich auf den Schoß. Schnell und kräftig schlug sie anschließend die Steinsplitter gegeneinander und die zahlreich von ihnen fliegenden Funken trafen auch auf den Docht der Kerze. Schnell züngelte die kleine Flamme empor und brachte Licht ins nahe Dunkel.
Wie ein Wall trennte der Trümmer- und Erdhaufen, auf dem sie saß den nach links verschwindenden Teil des Tunnels vom rechtsseitig liegenden. Allerdings mehr wie ein Hindernis, denn eine echte Mauer, immerhin konnte er überwunden werden und machte ein Passieren des Ganges nicht unmöglich. Vesa selbst saß noch ziemlich nahe an der Kuppe des Walls mit dem Kopf auf Höhe der übrigen Tunneldecke. Auf dem glatten schwarz-braunen Stein, aus dem die Wände bestanden, wucherten gelegentlich dicke Moospolster, füllten vom Wasser ausgewaschene Fugen dickwulstig auf und gaben der Architektur eine seltsam vergammelte Optik. Das schwache, feuchte Glitzern der Oberflächen unterstrich diesen Eindruck.
Da inzwischen auch das Rauschen des Blutes in den Ohren der Jägerin abgeklungen war, wurde ihr beim Anblick der tristen Umgebung abermals bewusst, wie ruhig es eigentlich war. Sie hörte jeden einzelnen ihrer ruhigen Atemzüge und glaubte fast schon die Schläge ihres Herzens in der Brust zu vernehmen. Hinzu gesellte sich entferntes Tropfen von Wasser, das durch das Erdreich in das unterirdische Gemäuer sickerte und leise, aber regelmäßig durch die Finsternis außerhalb des Scheins ihrer Laterne hallte. Unruhig drehte sich ihr der Magen, verknoteten sich die Eingeweide in einem Anflug von schwereloser Leichtigkeit. Zwar hatte sie mit den Gefährten schon so manche Festungsruine durchstöbert, war einigen wirklich widerlichen Kreaturen begegnet, aber noch nie in einem antiken Hügelgrab gewesen – und schon gar nicht allein und verletzt. Vesana kannte die Geschichten über die rastlosen Wiedergänger, die in solchen Tunnelsystemen hausten und … Nein, sie sollte nicht darüber nachdenken, was sich der Volksmund so alles erzählte. Schon jetzt lief ihr ein Schauer nach dem anderen den Rücken hinab und ihre Augen streiften unstet über alles, das von ihrer Kerze aus der Dunkelheit gerissen wurde. Jede weitere Sorge mochte sie wohl irgendwann in den Wahnsinn und die Paranoia treiben. Es waren nur ein paar Tage, die sie aushalten musste, das würde sie wohl schaffen sollen.
Stattdessen widmete sich die Kaiserliche ihren Beinen. Sich vorbeugend zog sie zunächst dem rechten den Stiefel aus und begann damit es von den Zehen bis zur Hüfte abzutasten. Vor allem an der Ferse und im Bereich der Gelenke sandten die Berührungen zwar heftigste Stiche aus, die heiß wie Nadeln durch ihre Muskeln fuhren, aber wenigstens schien nichts gebrochen zu sein. Lediglich der Blutmangel vom Hängen und der anschließende, nicht abgefederte Sturz hatten dem Glied zugesetzt – es würde sich aber erholen. Mit dem Schuhwerk wieder zugeschnürt über Fuß und Unterschenkel gestülpt, wandte sich Vesas Aufmerksamkeit der großen Unbekannten zu: Dem linken Bein.
Allein schon das Ausziehen des Stiefels ließ sie aufstöhnen und trieb ihr die Tränen in die Augen. Es kam ihr so vor, als ob nach der völligen Taubheit nun eine Übersensibilität in den Nerven einkehrte. Jede Erschütterung und Berührung hallte heiß pochend wider. Am Knöchel entdeckte die Jägerin auch schon das erste Übel: Die Druckstelle der dünnen Wurzel, an der sie vorher festhing. Ein dunkler, blau unterlaufener Striemen in der Breite von ein bis zwei Fingern zog sich einmal ringsum das Fußgelenk. Vorsichtig tastete sie zunächst an den Zehen und dem Mittelfuß entlang, um sicherzugehen, dass dort nichts gebrochen war. Danach nahm sie sich einen der übrig gebliebenen Pfeile und klemmte dessen Schaft zwischen ihre Zähne, bevor sie fortfuhr.
Als die erste Fingerkuppe die breite Druckstelle berührte, kniff sie die Augen zusammen und heulte gedämpft auf, bevor ihr die Tränen in die Augen schossen und es in Stöhnen überging. Ihre Kiefermuskulatur entwickelte in diesem Moment ungekannte Kraft und das Holz des Pfeiles knirschte. Aber es half nichts, sie musste fortfahren und tastete mit tränenverschwommener Sicht, ächzend und hin und wieder erneut in Jaulen verfallend weiter um ihren Knöchel herum. Nach einer kompletten Runde schien es ihr jedoch nicht, als ob etwas gebrochen wäre. Einzig und allein die Quetschung sorgte für den Schmerz es schien, als ob die Taubheit zuvor lediglich Produkt des Blutmangels gewesen war. Um das zu bestätigen, musste Vesa allerdings etwas tun, vor dem sie sich wohl nicht zu unrecht fürchtete: Den Fuß bewegen.
Vorsorglich klemmte sie sich einen zweiten Pfeilschafft zwischen die Zähne und packte anschließend an der Ferse und den Zehen an. Langsam begann sie damit, den Fuß hoch und runter zu neigen und schrie im nächsten Moment gellend auf. Die Pfeile fielen ihr aus dem Mund und völlig apathisch vom Schmerz rutschte sie zur Seite, der Kopf landete auf dem Tornister und zahllose kleinere Steinfragmente der Tunneldecke stachen ihr in die Seite. Doch all das war nichts im Vergleich zu der wallenden Woge des Feuers, die sich um ihren Fuß schloss wie das Maul eines hungrigen Wolfes. Tränen flossen ihr in Strömen aus den Augen und ihr ganzer Leib zitterte in der panikartigen Reflexreaktion ihres Leibes, der versuchte die Pein zu verarbeiten.
Der einzig klare Gedanke, der ihr in diesem Moment wenigstens etwas Halt gab, war die Erkenntnis, dass das Gelenk der Bewegung keinen Widerstand entgegengestellt hatte. Die Hoffnung, der Schmerz würde sich mit der Zeit von selbst legen und der Fuß erholen, gab ihr Kraft – wenn auch nur wenig in diesem Augenblick der Hilflosigkeit.
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Nur sehr langsam gelang es Vesana wieder klarer zu denken. Die Pein im Fuß hinterließ gleichzeitig eine merkwürdige Gefühllosigkeit, die sie alles unterhalb des Knöchels nicht mehr spüren ließ. Ein Umstand, der es ihr erleichterte, das Glied zu Bewegen, solange die Erschütterungen gering blieben. Vorsichtig schob sie sich in eine sitzende Position hoch und lehnte sich gegen die eiskalte, klamme Wand hinter ihr. Mühsam hievte sie ihr Felleisen über die Beine und legte es anschließend unter das linke, um es angewinkelt etwas höher zu lagern. Jede Bewegung kostete sie erhebliche Überwindung. Noch immer von zittriger Panik erfüllt, fürchtete sich ihr Körper vor neuerlichen Schmerzenswogen – es schien, als wolle er ihr nicht völlig gehorchen, ließ sie träge werden.
Tief durchatmend, die Augen geschlossen und die Finger in die Jacke auf dem Bauch gekrallt, ruhte sie sich einen Moment lang aus. Sie zwang sich durch die Nase zu atmen, auch wenn sie noch immer schlechter Luft bekam und versuchte so ihr rasendes Herz und das Zittern in den Griff zu bekommen. Nicht nur der Schmerz machte ihr inzwischen zu schaffen. Je länger sie in diesem dunklen Loch hockte, wissend dass über ihr die Nacht hereinbrach, desto unruhiger wurde sie. Es war nicht, dass sie allein war, als vielmehr wo sie war und dass es keine Möglichkeit gab, sich selbst zu befreien. Auch wenn sie nicht am Fuß verletzt gewesen wäre, Vesa zweifelte an ihrer Fähigkeit hinausklettern zu können. Das rutschige Erdreich und die schmierigen Wurzeln boten kaum Halt und vermutlich würde sie einfach nur wieder hinunterfallen. Ohne Hilfe saß sie fest, einen anderen Weg durch die dunklen Gänge des Grabes zu suchen, kam nicht in Frage.
Bevor sie noch weiter in die Dunkelheit ihrer Lider starren und ihre eigenen Atemzüge vielfach widerhallend als fernes, bedrohliches Echo eines im Dunkeln liegenden Beobachters zu ihr zurückfallen konnte, öffnete sie lieber die Augen. Schnell einen Blick in alle Richtungen werfend musste sie aber feststellen, dass ihr ihre Sinne einfach nur Streiche spielten und das Rasseln in der zunehmend kühler erscheinenden, feuchten Luft einzig und allein ihren Lungen entsprang.
Wütend auf sich selbst, wischte die Kaiserliche ruppig das angetrocknete Salz von ihren Wangen und machte sich anschließend an ihrem Tornister zu schaffen. Nach kurzem, vorsichtigem Kramen zerrte sie einen der Verbände und eine Schatulle mit ihrer Heilsalbe hervor. Immerhin dafür fand sie wieder den Mut, auch wenn sie sich ansonsten am liebsten gar nicht mehr bewegt und zu atmen aufgehört hätte, damit keine Geräusche zu ihr zurückfallen konnten, die ihr Dinge vorgaukelten, die es nicht gab. Aber es half nichts. Sie musste sich erst einmal versorgen, bevor sie zur Ruhe kommen konnte. Wieder einen der Pfeile zwischen die Zähne geklemmt, begann die Jägerin damit ihre Salbe dick auf das fast schwarz unterlaufene Gewebe und darum herum aufzutragen. Ihr Heulen brach sich am Holzschafft und hallte nur als klägliches Wimmern durch den Tunnel, kam aber als finsteres Säuseln und Flüstern mit einiger Verzögerung zu ihr zurück.
Sie versuchte die eiskalten Schauer zu ignorieren, die ihr von der Schädelbasis bis zum Steiß den Rücken hinabrannen, aber das reflexartige Schütteln, das ihren Leib erfasste, machte ihr einen Strich durch die Rechnung. Mühsam und in kleinen Schritten trug sie mehr von der Creme auf, bis irgendwann die halbe Schatulle auf ihrer Haut klebte und bereits einzuziehen begann. Für einen Moment ließ sie dies an der Luft geschehen, während sie die kleine Metallkiste zurück in ihr Felleisen packte. Danach begann sie damit den Verband abzurollen und ihn abwechselnd für besseren Halt um Knöchel und Mittelfuß zu wickeln. Es dauerte nicht lange, bis die schmerzlindernde Wirkung der Salbe eintrat und sich Vesana tatsächlich endlich etwas zu entspannen begann. Zwar fühlte sie sich noch immer wie eine Bogensehne, aber immerhin nicht mehr wie eine zum Schuss gespannte. Auch die panische Unruhe ließ wenigstens zeitweilig nach, während sie vorerst die Gedanken an ihre Umgebung verdrängte und die angenehme, heilende Wärme an ihrem Fuß genoss. Solange sie diesen still hielt, mochte das Gefühl vielleicht anhalten, aber erst einmal musste sie noch ihren Stiefel wieder darüber stülpen, sonst wären am nächsten Morgen auch die Zehen blau, obwohl sie sie nicht verletzt hatte.
Als auch das geschafft war, rutschte die Kaiserliche an den Fuß des Trümmerhaufens zum glatt gehauenen Steinboden hinunter und breitete im Sitzen ihre Schlafunterlage aus. So gegen den kalten, feuchten Boden abgeschirmt mochte sie zwar dennoch nicht gleich Schlaf finden, aber wenigstens etwas komfortabler sitzen oder liegen. Bequem platziert ließ es sich besser heilen. Ihre Anspannung wollte jedoch trotz dessen nicht weichen. Das tropfende Wasser halte lauter durch den Tunnel, der widerwärtig feuchte Modergeruch, der wie ein schweres Leichentuch zwischen den moosbewachsenen Steinen hing, schien stärker zu werden und zu allem Überfluss mischte sich noch die süße Note von Verwesung hinzu, die schon seit Jahrhunderten gefangen vom Fels hier festzustecken schien.
Zeit schien hier ohnehin keine Rolle mehr zu spielen. Die Dunkelheit begrüßte sie trotz der Laterne wie ein alter Freund in langer Umarmung, hielt sie fest und wollte sie nicht wieder freigeben. Wäre es doch wenigstens wirklich ein alter Freund gewesen. Das unangenehme Gefühl der Einsamkeit, das von dieser Umarmung ausging, ließ sie sich schütteln. Die Härchen auf ihren Armen stellten sich auf und während sich ihr Magen in Schwerelosigkeit umdrehte, lauschte sie erneut in ihre Umgebung.
Nichts. Nur das seichte Säuseln eines schwachen Luftzuges, der von oben durch das Loch in den Gang hinabzuzog, die Fäulnis aufwirbelte und ihr penetranter in die Nase trieb. Von der plötzlichen Intensität des Geruchs, der ihr schwungvoll zugetragen wurde, überrumpelt, musste sie einen Moment lang würgen bis der Kloß in ihrem Hals wieder verschwand. „Verfluchte Scheiße“, zischte sie in die Finsternis und bereute es, als ihre Worte verzerrt zu einem leisen Krächzen zu ihr zurückkehrten.
Wie sollte sie ganze drei Tage hier ausharren, wenn sie schon jetzt begann, den Verstand zu verlieren? Jeder ihrer Atemzüge kam mit vielfachem Echo zurück, vom Grab und den hier hausenden Geistern zu einem kränklichen Ton des Todes verfälscht. Sie fühlte sich beobachtet und war doch allein mit sich selbst, als würden ihre eigenen Gedanken frei in der Luft schweben, bereit wie hungrige Wölfe sie anzufallen.
„Aela, beeil Dich“, flüsterte Vesa zu sich selbst. Mehr als zuvor ohnehin schon stellte die rothaarige Nord in diesem Moment das einzige Fünkchen Hoffnung dar, an das sich die Kaiserliche zu klammern vermochte. Klein und rutschig wie ein Stück Treibgut bot sie nur in Momenten der Ruhe Halt, in denen Vesana mit sich selbst beschäftigt war. Lenkte etwas anderes ihre Aufmerksamkeit auf sich, rutschte sie ab und trieb haltlos umher. Wenn sie sich doch wenigstens bewegen und ihre Umgebung ein Stück weiter erkunden könnte, vielleicht würde sie dann feststellten, dass der Korridor nach wenigen Schritten an beiden Enden weiter eingestürzt war, aber so an ihren Platz gefesselt, blieb eine solche Vorstellung eine Insel im Nebel. Möglicherweise da, aber unauffindbar und nicht zu erreichen.
Leises Fiepen riss sie aus ihren düsteren Gedanken und trieb ihren Puls in die Höhe. Mittlerweile schmerzte die Brust von den vielen unregelmäßigen Schlägen und die Adern am Hals pulsierten unangenehm. Es klang wie eine Ratte, hallte durch den Gang und kehrte leiser und bösartiger zurück. Der Widerhall ließ es wie ein halbes Dutzend dieser Tiere klingen – hungrig und gierig. Es wurde lauter, aber kam es von oben oder aus dem Gang? Vesas Atmung ging stoßweise und sie zog den Dolch an ihrem Gürtel, hielt ihn mit der Klinge am Unterarm geführt vor die Brust und schaute sich um. Nichts rührte sich im Lichtkegel der Laterne.
Rieseln gesellte sich zum Fiepen, das beinahe mehr wie ein Quietschen klang, als würde Staub oder Dreck zu Boden fallen. Es drang von überall auf sie ein. Es hätte so gut links von ihr im Korridor sein können, wie auf der anderen Seite des Trümmerhaufens oder … das Loch! Das Quietschen schwoll in dem Moment zu einem vom Echo bestialisch verzerrten Kreischen an, als ihr dieser Gedanke kam. Aggressiv und schnell näherte es sich. Die Kaiserliche hielt den Dolch höher, wandte sich mehr zu dem Haufen zu ihrer Rechten um und lauerte zum Stoß bereit regungslos. Das flackernde Licht der Kerze warf bedrohlich tanzende Schatten, reichte kaum bis zum höchsten Punkt der Trümmer hinauf und hüllte ihre Umgebung in jenseitiges Zwielicht. Das Herz schlug ihr bis zum Hals und Schweiß brach ihr an der Hand aus, die den Dolch hielt, ließ ihren Griff unstet und rutschig werden und zwang sie dazu, die Waffe mit beiden Händen zu packen.
Dann huschte etwas am Rand des Lichtscheins durch ihr Blickfeld. Irgendetwas landete mit feuchtem Knacken auf den Resten der Tunneldecke und das anhaltende, dröhnende Kreischen verstummte so plötzlich wie es begonnen hatte. Stille kehrte ein und Vesana wagte es nicht, sich auch nur eine Haaresbreite zu bewegen.
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Himmelsrand, Fürstentum Weißlauf, Hügelgrab
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Herzschlag um Herzschlag, Atemzug um Atemzug. Vesana saß wie eingefroren. Die Klinge des Dolches zitterte phasenweise heftig, bis sie wieder fester Griff und sich noch weiter anspannte, um Ruhe in ihren Körper zu bringen. Es half nichts, jeder dieser Versuche endete lediglich damit, dass sie noch stärker vibrierte, als zuvor schon. Noch immer sah sie keine Regung auf der Kuppe des Trümmerhaufens. Manchmal glaubte sie nur, schleifendes Atmen zu vernehmen – kaum mehr als ein Nebelecho. Sie war sich nicht einmal sicher, ob es nicht sogar von ihren eigenen Atemzügen stammte und ihr ihre Sinne einfach nur einen Streich spielten. »Reiß Dich zusammen«, flüsterte sie sich zu und wischte dickte, eiskalte Schweißperlen aus ihrer Stirn als sie drohten aus den Brauen in die Augen zu tropfen.
Was sollte sie tun? Nachsehen, was da durch das Loch gekommen war? Oder einfach ausharren und warten, bis es sich selbst zeigte – wenn es sich überhaupt zeigte? Was mochte es auch sein können?
Letztlich entschied sie sich dazu, erst einmal die Laterne näher an die Spitze des Haufens zu bringen, um so vielleicht mehr sehen zu können. Vorsichtig schob sie sich etwas hoch, legte sich dann auf die Seite und drückte ihre Lichtquelle so weit von sich, wie es nur ging, bis sie schließlich sogar noch den Dolch zu Hilfe nahm, um das Metallgestell mit der Kerze weiter von sich zu schieben. Und also sie in die Richtung spähte, fast schon widerwillig aus Furcht, was sie möglicherweise entdecken mochte, sah sie, was sie auch zuvor schon gesehen hatte: Nichts. Frustriert, resigniert und erschöpft sackte Vesa Stirn voran in sich zusammen auf die groben Trümmerstücke. In einer Mischung aus Heulen und Seufzen stieß sie die Luft aus und entschloss sich, weiter hinaufzukriechen.
Haaresbreite um Haaresbreite schob sie sich hinauf, den Dolch immer stoßbereit vor den teils auf bäuchlings, teils seitlich liegenden Körper gehalten. Das Rasseln des Schmutzes, den sie loslöste, hallte widerlich als krabble ein großer Tausendfüßler irgendwo durch das Dunkel. Gänsehaut und unzählige Schauer hielten sie gefangen und doch fand sie einen letzten Rest an Mut, sich weiterzubewegen. Letzten Endes schaffte sie es bis nach oben und sah, noch immer, nichts. »Verfluchte Scheiße!«, zischte sie und schlug mit der Faust auf die Bruchstücke, bereute es aber und zuckte in sich zusammen. Dabei sah sie etwas im Licht der Laterne schimmern. Vorsichtig und langsam hob sie das Gestell, um den Lichtkegel zu vergrößern. Da lag irgendetwas am Rand, nahe der Wand. Es glänzte und funkelte im Licht, bewegte sich aber nicht. Behutsam kroch sie näher heran, zu undeutlich sah sie es selbst auf die geringe Entfernung, als verdichtete sich die Finsternis.
Während sich die Kaiserliche näher an das, was dort lag, heranbahnte, spürte sie wieder einen Schwall eisiger, innerlicher Kälte über sich hineinbrechen. Die Eingeweide krampften und verknoteten sich, die Finger zitterten und fühlten sich feucht an. Halt, die Feuchtigkeit stammte nicht von ihr. Der Schweiß drang ihr zwar noch aus den Poren, aber nicht so stark, dass es sich anfühlen konnte, als tauchte sie die Finger in einen Eimer Wasser. Augenblicklich gefror sie und ging in sich, ob sie sich vielleicht doch noch irgendwo verletzt hatte. Nein. Nein, das hatte sie nicht. Der Fuß pochte zwar heftig, aber sonst war sie sich keiner Verletzungen bewusst. Schon gar keiner offenen. Zeitlupenhaft wandte sie den Blick nach unten und holte die Laterne näher heran.
Ihre Finger schimmerten feucht und dunkel. Dunkel von Blut. Aber nicht das ihre. Einen Moment irritiert und den panischen Anfall von völliger Gedankenleere niederringend, blickte sie anschließend auf, dort hin, wo sie das Glitzern zuvor gesehen hatte. Ein unförmiger Leib lag dort. Geschunden und zerbrochen. Kleine Knochen spießten aus blutüberströmtem Fleisch. Einst graues Fell zeigte sich nun schwarz vom Lebenssaft. Der schwere Geruch von Eisen hing in der Luft wie der Dunst über einem See am Morgen. Irgendein Tier lag dort, völlig zerstört vom Aufprall. Klein, aber größer als eine Ratte. Ein … Waschbär? Ja, das mochte es sein. Der kleine Racker war durch das Loch gefallen und hier unten zerschellt. »Meine Güte«, stieß Vesana aus und sank in sich zusammen, das Gesicht zu Teilen in die klebrige Blutlache, die sie schon wieder vergessen hatte. Schnell schob sie sich aus ihr heraus und blieb liegen. Das konnte ja noch etwas werden.
Eine schier endlos scheine Zeit, es mochten nur Minuten sein, vielleicht ein paar Stunden, es spielte ohnehin keine Rolle, stand Vesa auf dem rechten Fuß, das linke Bein angewinkelt, und mit beiden Händen gegen die Wand gestützt im Tunnel. Ihr erster Versuch sich aufzurichten, seit sie in ihr Loch gefallen war. Nach dem Zwischenfall mit dem Waschbären, der noch immer oben auf dem Trümmerhaufen lag, hatte sie keinen weiteren Zwischenfall erlebt, aber es mochte auch noch nicht so lange her sein. Das nachlassende Pochen im linken Knöchel bewegte sie schließlich dazu, ihre Mobilität auf die Probe zu stellen. Ein Unterfangen, das ihr erst im fünften Anlauf wirklich gelungen war und viel Schmerz mit sich brachte. Nun aber aufrecht stehend, fühlte sie sich gleich etwas besser und sicherer. Zu wissen, dass sie sich im Notfall schneller als im Schneckentempo zurückziehen konnte, was auch immer ihr das Grab noch für Sinnestäuschungen und Proben auferlegen mochte, gab ihr halt und ließ die Insel der Hoffnung, Aela, schemenhaft im Nebel auftauchen.
Vorsichtig und langsam humpelte Vesana mit einer Hand an der Wand, die andere mit der Laterne, an der Wand entlang und machte sich daran, den Trümmerhaufen zu erklimmen. Als erstes musste sie ihren Bogen zurückholen, der noch irgendwo in den Wurzeln hing. Nicht unbedingt, weil er ihr etwas nützen würde in den engen Verhältnissen des Grabes, sondern eher aus Prinzip und für ein gestärktes Gefühl der Sicherheit. Ihr kam jede Waffe recht gelegen. Auch wenn sie nicht so wirklich wusste, gegen was sie sich eigentlich verteidigen wollte. Ihre Gedanken, die sich in Kreisen um immer dasselbe, die Enge und das Unbekannte drehten? Den aufkommenden Hunger, der mehr als nur ein Knurren im Magen war und beim Bild des zerfledderten Waschbären vor ihrem inneren Auge den Speichel im Munde zusammenzog? Den Durst, der ihr beim Anblick des dunkel geronnenen Blutes an den Händen und der Kleidung – ungeachtet ob das ihre oder jenes des kleinen Tieres – im Schein der Laterne die Kehle austrocknen ließ? Oder vielleicht doch gegen die Gespenster ihrer Einbildung, die Schemen und Umrisse in die Finsternis des Tunnels zeichneten?
»Reiß. Dich. Zusammen!« Wütend knurrend schlug die Kaiserliche mit der Faust gegen die nahe Wand, dass es schmerzend stach, und sie beinahe aus dem Gleichgewicht geriet. Nur mit Mühe krallte sie sich in einer groben Fuge fest und verhinderte ihr Umfallen. Trotzig, mit extra kräftig tretendem, unverletzten Bein, erklomm sie den Rest des Haufens und stand schließlich wieder am unteren Ende des Lochs. Schwärze, so dunkel wie selbst die Tunnelverläufe zu beiden Seiten nicht, füllte den oberen Teil aus. Wie drahtige, kranke Finger eines an Hunger sterbenden Alten zogen sich die Wurzeln am Rand des Lichtkegels der Laterne dahin. Sie schauderte bei dem Anblick. Wenn sie sich das geöffnete Maul irgendeiner Ausgeburt der Höllen des Vergessens vorstellte, zukünftig mochte sie diesen Anblick als Vergleich heranziehen.
Immerhin entdeckte Vesa ihren Bogen im Schlund der Finsternis. Er hing so an einer Wurzel fest, dass sie mit ausgestrecktem Arm gerade so an das untere Ende hinanreichte. »Scheiße!« Egal wie sie sich auch streckte und reckte, sie war zu klein, ihr Arm zu kurz. Es half nichts. Müde und in Frustration brummend sackte sie nach vorn gegen die schmierige Wand des Lochs, die Stirn gegen den rechten Unterarm gepresst und die Brust mit Hohlkreuz in den Matsch zwischen einigen Wurzeln gedrückt.
Wütend knurrend fasste die Kaiserliche einen Entschluss. Ruppig stellte sie die Laterne ab, dass das Metall klirrte und die kleine Flamme flackerte. Im Anschluss packte sie mit der Linken eine dicke Wurzel und reduzierte anschließend das Gewicht auf ihrem gesunden Fuß. Sofort jaulend wie ein Schlosshund machte sie es kurz rückgängig, dann versuchte sie es erneut und schaffte es, sich an der Wurzel soweit festzuhalten, dass die Last auf dem angeschlagenen Knöchel minimal war. Die Zehenspitzen des anderen drückte sie auf das obere Ende der Mauerreste des Tunnels, ungefähr auf Kniehöhe, und packte im Anschluss mit der anderen Hand eine freie Wurzel. Ihre Fernwaffe gab ihr wenigstens ein Ziel und immerhin dieses wollte sie erreichen, wenn sie sonst schon nichts weiter tun konnte, außer zu warten. Vorsichtig drückte sie ihr Bein durch und hob so vom Trümmerhaufen ab.
»Geht doch«, flüsterte sie und hielt den oberen Arm lang, um den Kraftaufwand zu minimieren. Leicht rücklings hängend und gleichzeitig auf der schmalen Steinkante stehend versuchte sie nun die Linke freizubekommen, um anschließend nach dem Bogen zu greifen. Es funktionierte, auch wenn es sie enorme Anstrengung und Konzentration kostete. Die Finger schlossen sich um das untere Ende der Waffe und bekamen sie zu greifen. Möglichst behutsam bewegte Vesana sie. Der Bogen hin am oberen Ende fest und sie musste ihn von der Wurzel ziehen, ohne aus ihrem Gleichgewicht zu geraten.
Ihre Waffe wollte nicht. Sie zog, schob und drehte, aber sie hatte sich so merkwürdig auf die Wurzel gefädelt, dass Vesa sie nicht herunterbekam. Nicht einmal dieses einfache Ziel sollte sie erreichen können! Was sollte das noch werden? Was auch immer sie hier unten tat, kaum etwas schien zu funktionieren, nichts ihr wohlgesonnen. Gerade wollte sie sich frustriert wieder nach unten lassen, da war es auch schon zu spät. Etwas Erde hatte sich weiter oben gelöst und fiel ihr mitten ins Gesicht. Als sie reflexartig dorthin lange, spuckend und prustend ob der Krümel in ihrer Nase, dem Mund und den Augen, verlor sie die Balance und rutschte mit der Rechten von der Wurzel ab. Zwar bekam sie mit der Linken noch etwas zu fassen, doch gab es nach und sie glitt davon ab. Spitz aufschreiend fiel sie hinab und schlug mit dem flachen Rücken auf dem Trümmerhaufen auf, dass es ihr die Luft aus den Lungen trieb und den Schrei erstickte noch bevor ihr Kopf auf einer verwitterten Steinkante aufschlagen konnte.
Der glühend heiße Stich im Hinterkopf, der folgte, hielt nur kurz vor, setzte ihre Wahrnehmung außer Gefecht und ihre Glieder erschlaffen. Scheinbar siedende Flüssigkeit, dem Gefühl nach brennendes Öl, ergoss sich über ihre Schädelseite als sie das Haupt in einem Anflug von fiebrigem Wahn zur Seite wandte. Das letzte, dass sie wahrnahm, war etwas vergleichsweise leichtes, dass ihr auf den Kopf fiel, bevor sie seitlich von den Resten der eingestürzten Decke rutschte, sich überschlug und von Dunkelheit umfangen liegen blieb.
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Skyrim, Fürstentum Reach, vor den Mauern Markarths
Der junge Bretone fluchte als er zu stolpern anfing und ihm die gesammelten Holzscheite aus den Armen purzelten. Sie schlugen mit einem dumpfen Geräusch auf der staubig lockeren Erde auf und stießen auch gegeneinander, wodurch sie noch weiter vom dem jungen Mann wegrollten.
Um ihn herum lachten einige der Männer und Frauen, während andere nur schwiegen. Doch alle verloren schnell wieder das Interesse und zogen kurz darauf weiter um ihre Erledigungen zu machen. Stephanus schüttelte kurz den Kopf, löste sich aus der sich erneut rührenden Menge und ging dann auf den Bretonen zu, der mit rotem Gesicht in die Knie gegangen war und hektisch versuchte, das verlorengegangene Holz wieder einzusammeln und so wenigstens einen Teil seiner Würde zu erhalten. Es misslang ihm offenkundig, denn immer wieder fiel einer der Scheite nach Freiheit suchend zurück auf den Boden. Zu seinem Glück schien es jedem außer Stephanus egal geworden zu sein, was der Junge tat, denn niemand blickte auch nur in seine Richtung.
Stephanus kniete sich nun ebenfalls hin und half dem verschreckten und beschämt dreinblickenden Bretonen, welcher kurz vor dem Kaiserlichen zurückschreckte, ihm jedoch ein dankbares Nicken entgegenbrachte als er verstand, dass von Stephanus keine Gefahr für ihn ausging.
„Bringt man euch Leuten in Hochfels nicht bei wie man Feuerholz trägt?“
Der Bretone blickte nun wieder gekränkt drein und schwieg für einen Moment, in dem die beiden Männer stumm das Holz zusammentrugen.
„Es war der verfluchte Nord. Er hat mir ein Beinchen gestellt.“
Stephanus richtete sich auf, ebenso der Bretone, und er legte einen letzten Holzscheit auf den Stapel in den Armen des jungen Mannes.
„Du müsstest da ein wenig spezifischer werden, Junge,“ merkte der Kaiserliche an. „Die Kompanie ist voll mit Nords.“
„Ich habe keine Ahnung wie er heißt,“ antwortete der junge Mann zögerlich. „Der Nord, der sich das Wappen auf den Nacken tätowiert hat.“ Dabei deutete er mit dem Kopf auf einen Mast in ihrer nähe, an dem eine Flagge verspielt im Wind wehte. Sie zeigte einen sitzenden schwarzen Raben im Profil auf dunkelgelbem Grund. Dunkelgelb war auch die Farbe, die die Söldner als eine Art Uniform für die Verzierungen an ihren Rüstungen und Schildern und auch für ihre Kriegsbemalung verwendeten. Auch die meisten Bestandteile aus Stoff an ihren Rüstungen waren dunkelgelb gefärbt.
Stephanus wusste sofort von wem der Bretone sprach und musste erst nicht in seiner Erinnerung nach einem zur Beschreibung passenden Gesicht kramen.
„Ja, das müsste wohl Idolg von den Inseln sein.“ Stephanus hatte viele Mitglieder der Kompanie in seinem Kopf in eine Liste sortiert. Mit Ausnahme vom Bretonen vor ihm war jeder in ihr gefährlich, doch verrückte und unberechenbare Schweinehunde wie Idolg verdienten einen besonderen Platz ganz oben.
„Vergiss am besten, dass es passiert ist, Junge. Sprich ihn erst gar nicht darauf an, sonst hackt er dir in aller Öffentlichkeit den Kopf ab und benutzt ihn als Nachttopf.“
Der Bretone machte sich auf, das Feuerholz zur Sammelstelle in der Mitte des Söldnerlagers zu bringen, und Stephanus folgte ihm. Als der Bretone dies merkte, blieb er kurz stehen und wandte sich dem Kaiserlichen zu.
„Ich hatte nicht vor, ihn anzusprechen, oder mich auch nur in seine Nähe zu begeben. Ich danke Euch aber für die Warnung.“
Stephanus schüttelte leicht den Kopf als er den schwarzhaarigen Bretonen musterte, der nun wieder mit dem Rücken zu ihm weiterging. Einfache Kleidung, Staub und Schmutz von der beschwerlichen Reise, ein leichter Anflug von Bartstoppeln. Doch seine Bewegungsabläufe, seine Stimme und die Art, wie er seine Worte betonte verrieten eine adlige Herkunft. Sie hatten den Jungen aufgegabelt, als sie Evermor in Hochfells passierten. Ganz klar war er wild darauf gewesen, so schnell wie möglich von dort wegzukommen. Und es war sehr offensichtlich, dass er nicht die Art von Mensch war, die sich freiwillig einer kleinen Armee aus gekauften Kriegern anschloss. Außer wenn es sich um eine unbedingte Notwendigkeit handelte. Ein wenig erinnerte der Junge Stephanus an ihn selbst als er noch jünger war. Blind auf der Flucht vor seiner Vergangenheit, auf der Suche nach dem schnellsten Weg fort von Zuhause. Er schlussfolgerte das dies vielleicht der Grund war aus dem er dem Bretonen jetzt half.
Sie erreichten das Ziel des Bretonen und der junge Mann aus Evermor legte das Brennmaterial auf einem größeren Stapel ab, an dem ab und an ein anderes frisches Mitglied der Kompanie ankam und seinerseits Holz aufschichtete. Jeder Schritt wirbelte ein Stück lockere und trockene Erde auf, das in winzigen Partikeln wieder auf den festeren Grund hinab schwebte.
Stephanus klopfte dem jungen Mann nach getaner Arbeit beruhigend auf die Schulter.
„Ich gehe dann jetzt, Junge. Halt dich von Ärger fern.“
Der Bretone streckte stöhnend den Rücken und drehte sich danach Stephanus zu, der schon im Begriff war zu verschwinden.
„Vielen dank. Und nennt mich bitte nicht andauernd Junge. Ich habe einen Namen.“
Stephanus blieb stehen und wandte sich mit hochgezogenen Augenbrauen wieder dem anderen Mann zu.
„Ach? Und der wäre?“
„Delstian,“ stammelte der Bretone schnell und verlegen, fast als hätte er das Gefühl, er wäre vorhin bei seinem letzten Satz nicht demütig genug gewesen, und befürchtete jetzt vom Kaiserlichen eine Ohrfeige zu bekommen.
„Mein Name ist Delstian.“
Stephanus ging wieder einen Schritt auf ihn zu, was Delstian dazu brachte verängstigt ein wenig zurück zu zucken. Der Kaiserliche ärgerte sich leicht über sich selbst, denn das war keinesfalls seine Absicht gewesen.
„Nun gut, Delstian,“ sagte er nun in einem ratgeberischen Ton. „Pass auf dich auf, und starr niemanden an, und glotze erst recht niemandem direkt in die Augen. Dann solltest du die nächsten Tage ohne Prügel durchkommen.“ Danach ließ der Kaiserliche Delstian stehen und ging seines Weges.
Die Kompanie hatte eine einfache Rangordnung: Der Anführer hatte vier Leutnants, die ihrerseits zwei ihnen direkt untergestellte Offiziere hatten. Diese wiederum hatten einige Unteroffiziere unter ihrem Kommando, die für eine verschieden große Anzahl an Kämpfern zuständig waren. Diese Gruppen hatten während eines Marsches die Last ihres in Einzelteile zerlegten Zeltes unter sich aufgeteilt zu tragen, nicht unähnlich dem Verfahren, dass die kaiserlichen Legionen verwendeten. Und genau zu diesem Zelt war Stephanus jetzt unterwegs.
Es war ein schöner und nur leicht bewölkter Tag, selbst wenn der kühle Wind in den Hochlanden von Reach die wärme der Sonne effektiv verminderte und den Kaiserlichen bei besonders kalten Böen unter seinem Lederharnisch frösteln ließ und sich ihm immer wieder die Nackenhaare aufrichteten. In einiger Ferne konnte Stephanus die Mauern und Dächer der Stadt Markarth sehen. Sie war vor Jahrtausenden in das sie umgebende steile Gebirge gehauen worden, welches sich zu beiden Seiten der Stadt in die Ewigkeit erstreckte und sich zum Himmel hin seine Gipfel immer stärker in zunächst unbeständige, dann jedoch dichter werdende weiche Nebelschwaden hüllte. Stolze grüne Banner mit einem weißen stilisierten Bergziegenbockschädel darauf wehten über Türmen und änderten ihre Richtung mit dem Wind.
Würden einige der prächtigen goldenen Dächer nicht das Licht der Sonne reflektieren, gäbe es die Banner nicht und würde auch kein Rauch aus den Schornsteinen von Markath aufsteigen so könnte man fast glauben die Stadt sei ein Teil der hellgrauen Felsen. Markath hatte seinen Ruf als „Stadt des Steins“ verdient. Sie sah zeitlos und uralt aus, als hätte es sie schon lange vor ihren Erbauern gegeben. Als wäre sie vor Urzeiten einfach aus dem Berg heraus gewachsen und stumm ihren Platz auf Nirn eingefordert.
Der Wind drehte sich und trieb den gemischten Geruch und die Klänge der Zivilisation an Stephanus' Nase und Ohren heran: Nahrungsmittel, Duftstoffe, Abfall, schwitzende Menschen und Mer, laute Hammerschläge, das unverständliche Gemurmel tausender Münder und das bellenden von Hunden. Aber der Geruch von Markarth hatte etwas besonderes an sich. Das hölzerne Aroma verbrannter Kohle und der eigentümliche Duft von geschmolzenem Metall lag besonders schwer in der Luft, und beides hebte die Geruchspalette Markarths von der anderer Städte ab. In der Ferne rauschte zudem ein Fluss.
Stephanus ging über einen breiten Weg, der durch das Lager führte, auf das imposante Torhaus zu, auch wenn es noch weit weg lag. Doch sein Ziel befand sich einfach nur in der selben Richtung. Er kam an vielen Zelten verschiedener Machart und Farbe vorbei, und die Leute, die müßig, gleichgültig oder zielstrebig an ihm vorbeizogen, unterschieden sich ebenso stark voneinander wie ihre zeitweiligen Behausungen, auch wenn viele von ihnen dennoch eines gemeinsam hatten: Man konnte ihnen sofort ansehen, dass sie sich ihr Brot mit dem Schwert in der Hand verdienten und auch keine wirklich angenehmen Zeitgenossen waren. Viele von ihnen gehörten Rassen an, von denen man eine kriegerische Natur erwartete. Gerade jetzt ging eine Gruppe aus fünf Rothwardonen an Stephanus vorbei. Aber eigentlich war jede Rasse mindestens acht mal in der Kompanie vertreten, sei es bei den Nahkämpfern, den Bogenschützen oder den wenigen Kampfmagiern.
Die Mietklingen der Kompanie hatten ihr Lager in einigem Abstand von den steinernen Mauern der Stadt aufgeschlagen, denn außer den Quartiermeistern durfte keiner von ihnen die Hauptstadt des Fürstentums betreten. Die Stadtwache bestand darauf, dass sie ohne eine kleine randalierende Armee aus zwielichtigen Heuerlingen bereits genug Probleme in der Stadt hätte. Es stellte auch eine Sicherheitsmaßnahme gegenüber Krankheiten dar. Im Krieg fielen die Meisten nicht im Kampf oder fielen schlecht behandelten Verletzungen zum Opfer. Nein, den Großteil der Todesopfer des Krieges forderte die herzlose Pestilenz. Sobald eine Seuche einmal in einem Lager oder einer Stadt ausbrach war sie nur noch schwer wieder einzudämmen. Sie machte keinen Unterschied zwischen Bettlern und Königen, wie man sagte, auch wenn die Letzteren dank der modernen Alchemie mit genügend Gold in Wirklichkeit nicht viel zu befürchten hatten.
Seltsamerweise hatte Stephanus aber vor einigen Stunden einen Wachmann in Grün sagen hören, es gäbe keinerlei Probleme in Markath. Doch dass hatte er mit einem Achselzucken abgetan und keine weiteren Gedanken daran verschwendet. Was in der Stadt passierte ging ihn nichts an, denn das Söldnerheer würde nur einige Nächte vor der Stadt verbringen, um nach dem langen Marsch über die Bergpässe zwischen Skyrim und Hochfels wieder Energie zu tanken und Vorräte aufzustocken. Stephanus taten jetzt noch die Füße weh. Vielleicht konnten sie auch neue Rekruten anwerben. Ihr eigentliches Ziel aber war Hjaalmarsch, ein versumpftes und sagenumwobenes Gebiet im Nordwesten von Himmelsrand. Dort wollten sie mit ihrem neuen Arbeitgeber aufschließen: Ein Kaiserlicher Feldherr, der seine Ränge auf die Schnelle mit zusätzlichen bereits ausgebildeten Truppen verstärken wollte. Zuvor war die Kompanie in Hochfels aktiv gewesen. Die kleinen Königreiche der Provinz und die sie regierenden Adelsfamilien bekriegten sich am laufenden Band, vor allem in dieser Zeit der Instabilität, so dass es nie an Arbeit für Schwertarme und Bogenschützen gemangelt hatte. Ein kleinerer Teil des Söldnerheeres war auch in der Heimat der Bretonen geblieben um bestimmte vertragliche Voraussetzungen zu erfüllen, doch der Anführer der selbsternannten Militärunternehmer witterte das große Geld im frisch entflammten Bürgerkrieg der Nords. Bei dem besagten Anführer handelte es sich um einen Dunkelelfen namens Ganlydyn Menarven. Stephanus war ihm mehrere Male persönlich begegnet, doch er versuchte, diese Treffen so selten wie möglich zu halten. Wenn Menarven etwas von einem einfachen Fußsoldaten wollte, dann war das nie ein gutes Zeichen. Nach Außen hin wirkte der rotäugige Elf immer ruhig und freundlich, und er sprach auch immer in einer leisen Tonlage, so dass jeder Anwesende die Stimme senkte, um ihn reden zu hören. Aber nur Neulinge und Naivlinge fielen auf diese nur aus Tradition aufrecht erhaltene Illusion herein: Ganlydyn war rücksichtslos und blutrünstig. Stephanus konnte sich noch gut daran erinnern, was mit dem Vorgänger des jetzigen Zahlenmeisters der Kompanie geschehen war, auch wenn er dessen Namen über die Jahre hinweg vergessen hatte.
Ungefähr zwei Jahre nachdem Stephanus beigetreten war – damals befanden sie sich in Hammerfell - hatte Menarven über seine Offiziere jeden dazu auffordern lassen, sich in der Mitte ihres damaligen Lagers zu versammeln. Dort war auf die Schnelle ein kleines Podium aus Holz errichtet worden, zusammen mit einem Pranger. Ganlydyn Menarven zog höchstpersönlich den ehemaligen Schatz- und Zahlenmeister hinter sich durch die Menge hindurch und zwang den unter Todesangst stehenden Mann anschließend, sich selbst am Pranger festzumachen. Nachdem die klappe zufiel befestigte der Dunmer ein einfaches Schloss am Holzobjekt und für seinen armseligen Gefangenen gab es kein Entkommen mehr. Stephanus fiel auf, dass er sich nicht einmal daran erinnern konnte, welcher Rasse der Zahlenmeister angehört hatte. Er wusste nur noch, dass er ein Mensch gewesen war und sein Gesicht und sein nackter Oberkörper von blauen Flecken übersät worden waren, als ein Raunen durch die schroffe Menge ging und der Anführer der Heuerlinge seine Hand erhob, um Ruhe einzufordern. Das gesamte Lager verstummte sofort. Doch Menarven sagte nichts um die Stille auszufüllen. Stattdessen trat er seinem ehemaligen Angestellten in die Seite und legte dann mit einer schnellen Bewegung eine Hand auf dessen Mund, als dieser ihn aufschlug um einen Seufzer der Pein rauszulassen und verzweifelt die gewaltsam aus seinen Lungen entwichene Luft wieder einzufangen. Wenige Sekunden danach leuchtete es aus dem Inneren des Schatzmeisters, wobei sich seine Rippen dunkel abzeichneten und er wie eine morbide Laterne die abendliche Szenerie erleuchtete. Dann fing auch sein Äußeres an zu brennen. Die magisch verstärkten Flammen hatten den Mann innerhalb von einer Minute mitsamt Knochen vollkommen in Asche verwandelt, den Pranger und das Podium jedoch seltsamerweise von dem tödlichen Tanz ihrer feurigen Zungen verschont gelassen.
„Das passiert mit jenen, die denken, sie könnten der Kompanie ihr Geld stehlen und damit davon kommen.“
Ohne ein weiteres Wort verließ der Dunkelelf das Podium wieder, wobei er kein ein einziges Mal in die Menge sah, und ging dann mit erhobenem Haupt auf direktem Wege zu seinem Kommandozelt zurück. Jeder auf seinem Weg wich sofort vor ihm zurück und machte ihm Platz, als wäre er ein pestkranker Bettler. Jedoch war die Angst vor Ganlydyn auch heute noch viel größer und realer als die vor der Pest.
Stephanus zog sich selbst mit einer leichten Gänsehaut wieder aus der Erinnerung, denn er erreichte nun endlich sein Ziel. Nachdem er einige Male abgebogen war und sich geistesabwesend zwischen etlichen Zelten vorbei schlängelte kam er an der Zeltbaracke an, in der er heute Abend schlafen würde. Innen war es wärmer als draußen, sogar ein bisschen stickig. Die Sonne hatte das vor ungefähr fünf Stunden errichtete Zelt aufgewärmt und der stetige Wind, der durch die zerklüftete Bergregion wehte, hatte hier nicht besonders viel Einfluss. Die eng zusammenstehenden Baracken spendeten sich gegenseitig Windschatten, auch wenn durch die eine oder andere nicht geflickte Lücke im Stoff ein leises freches Pfeifen ertönte, sobald der Wind ein wenig an Geschwindigkeit zunahm. Stephanus zog hinter sich die als Tür dienende Klappe im Stoff zu und schnürte sie wieder fest an ihren Platz, selbst als der Wind leicht daran zerrte, als wolle er seine neu gefundene Geliebte nicht mehr loslassen. Auf der mit Stroh ausgelegten trockenen Erde lagen rund dreißig Bettrollen dicht an dicht. Jeder Meter Platz wurde effektiv genutzt. So gab es außer den einfachen Schlafstätten der Mietklingen und den kleinen Haufen ihrer transportablen Besitztümer nur einen einzigen Tisch und den an ihn ran geschobenen Stuhl in der Mitte des Zeltes, genau dort, wo ein dünner Baumstamm als einsame Säule für die Last des Daches aus Stoff und Seil diente.
Außer Stephanus waren noch zwei andere Personen im Zelt: Ein auf seinem Bett vor sich hin summender Rothwardon mit einer abgegriffenen Harfe in den Händen, und ein den Vorherigen finster anfunkelnder Ork, der ebenfalls in einiger Entfernung zum Harfenspieler auf seiner eigenen Bettrolle saß.
„Stephanus, sag dieser vermaledeiten Wüstenratte sie soll endlich die Klappe halten.“
„Ihr habt einfach keinen Geschmack für Musik, mein Freund Rognag,“ sagte der Rothwardone mit einem fachmännischen und bedauerlichen Tonfall in der Stimme und einem breiten Grinsen im Gesicht, bevor er sein Summen der Klangkulisse der Baracke wieder hinzufügte und sich knapp mit dem hin und wieder zögerlich hereinpfeifenden Wind messte.
Stephanus schüttelte nur leise lachend den Kopf und begab sich näher an den Orsimer heran, welcher leise in sich hinein fluchte und mit seinen gelben Augen immer noch mit Messern nach dem Rothwardonen warf.
„Wie geht’s dem Bein, Rognag?“ Der Kaiserliche ließ sich neben seinem Lagergenossen auf den Boden sinken.
Rognag gro-Golug war der Kompanie vor etwa fünf Jahren beigetreten. Auf den Tag genau war auch der Rothwardone Bodeado unter Vertrag genommen worden, und seit der ersten Stunde, in der sie in Stephanus' Einheit gelandet waren, stritten sich die beiden wie kleine Kinder. Bodeado trieb den Ork durch sein Harfenspiel, seine Sticheleien und sein konstantes Gerede immer wieder zur Weißglut. Rognag hingegen überschüttete den anderen des Nachts manchmal mit seinem Müll, „verlegte“ dessen Sachen oder verbrachte Stunden damit sich besonders kreative Flüche für seinen Mitstreiter aus Hammerfell einfallen zu lassen. Es war ein sehr merkwürdiges und auf jeden Außenstehenden wohl verwirrend wirkendes Verhältnis: Nur ein einziges Mal war es zu einer physikalischen Auseinandersetzung zwischen den beiden gekommen, nachdem sie nach einer gewonnenen Schlacht die ganze Nacht hindurch getrunken hatten und Beleidigungen zu Faustschlägen wurden. Beide hatten sich gegenseitig windelweich geprügelt und danach sofort zusammen weiter getrunken. Das war einige Wochen nach ihrer Rekrutierung gewesen, und seitdem verband die beiden Männer eine Art von verdrehter Freundschaft. Auch Stephanus sah die beiden als seine Freunde an. Die Freundschaft unter gekauften Schwertern hatte jedoch sehr oberflächliche Eigenschaften: Man half sich gegenseitig im Kampf und bei den täglichen Arbeiten im Lager. Man tauschte Geschichten aus , trank und scherzte miteinander. Manchmal kam es sogar dazu, dass eine ungeschriebene Regel unter Söldnern gebrochen wurde und man sich über die Vergangenheit vor der Kompanie ausfragte. Bis dahin und darüber hinaus ging es jedoch nur selten. Man würde für den anderen niemals sein eigenes Leben riskieren, wenn für einen selbst nichts dabei raussprang.
Rognag gro-Golug stöhnte leise als er sich schwerfällig vom Rothwardonen abwandte und seinen entnervten Blick nun auf Stephanus fixierte.
„Dem Bein geht es bestens. Mache mir nur sorgen, dass mir bald die Ohren anfangen zu bluten.“ Beim letzten Teil seines Satzes hob er gereizt die Stimme und nickte ruckartig in Richtung Bodeado, welcher dies mit einem dankbaren Nicken erwiderte, als wäre die Wut des Orks genau die Anerkennung die er brauchte. Der Ork selbst war im liegen groß, im Stehen sogar größer als ein wohlgenährter Durchschnittsnord und damit eine respekteinflößende Gestalt. Seine tiefschwarzen öligen Haare ließen einen großen Teil der Stirn offen und waren am Hinterkopf zu einem sehr kurzen Zopf zusammengebunden, so wie viele Orks ihre Haare arrangierten. Er war mittleren Alters, hatte olivgrüne Haut, ein typisch orkisches und rundes Gesicht und Zähne mit einem leichten Gelbstich. In ihrem Lager für die nächsten Paar Nächte hatte er seine imposante grün-braune Rüstung aus orkischem Stahl mit den dunkelgelben Verzierungen abgelegt und trug stattdessen einfache Kleidung aus brauner und grauer Wolle.
Bei ihrem letzten Kampf in Hochfels - sie waren von ihrem Arbeitgeber gegen den Söldnertrupp eines rivalisierenden Adligen losgeschickt worden - hatte ein Nord mit einem gigantischen Hammer aus Stahl und einer gigantischen Gier nach Blut Rognags Beinschiene eingedellt und sein Bein mit einem einzigen Schwung gebrochen. Der Ork hatte überlebt, und dank Medizin und der vergangenen Zeit konnte er ab der ungefähren Mitte ihrer Reise nach Himmelsrand wieder aufrecht auf zwei Beinen stehen und sich ohne Hilfe fortbewegen. Dass Orks an sich sehr zähe Schweinehunde sind hatte dabei sicher auch geholfen.
„Nun gut. Bodeado, wirf mir mal mein Geld zu.“
„Natürlich doch! Geh und kauf dir eine Flöte damit, dann könnte die Truppe als Musiker durch Tamriel ziehen, eine Spur aus gebrochenen Herzen und gebrochenen Schädeln hinter sich herziehend. Unser grüner Freund Rognag bekommt aber nur eine Trommel. Außer einer Triangel wäre alles andere viel zu kompliziert für ihn!“
Während der Ork irgendeine erzürnte Erwiderung stammelte, setzte sich der Rothwardone auf und tastete in einem naheliegenden Tornister nach dem gesuchten Säckchen mit Münzen. Nicht lange darauf drehte er sich wieder zum Kaiserlichen um und warf ihm die Septime zu.
Bodeado trug einen einfachen Lederharnisch und hatte dunkelbraune stoppelige Haare. Seine lebenslustigen Augen waren Haselnussbraun und ein spitzes Bärtchen zierte sein Kinn. Von sich selbst hatte er immer behauptet, dass er einst mal ein Pirat auf dem Abeceanischen Meer gewesen sei, doch glaubte ihm das niemand so wirklich. Jedes Mal, wenn er davon erzählte - und er erzählte sehr oft davon - kamen neue Details hinzu, und alte Details veränderten sich oder verschwanden völlig.
Stephanus fing den Geldbeutel in der Luft auf. Es war natürlich nicht sein ganzes Geld, denn die meisten seiner Septime existierten nur auf Papier. Die Kompanie hatte eine eigene kleine Bank, die einige Truhen in drei mit stabilen Käfigen versehenen Wagen umfasste. Die Kosten für Nahrung, Wasser und der Gleichen wurden vom Sold abgezogen, und der Rest nur stückweise und auf Nachfrage ausgezahlt. Einerseits konnte man sich seine Münzen so gut einteilen und vertrank oder verzockte nicht alles an einem Tag, andererseits war man finanziell plötzlich von der Kompanie abhängig. Je größer die Summe an abgehobenem Geld, desto mehr Fragen stellten der Schatzmeister und seine Gehilfen, und ohne guten Grund würde man seine Septime auf die Schnelle nicht bekommen. Das Gold wagte niemand zu stehlen, da die Geschichte des verbrannten Schatzmeisters immer noch die Runden machte und Ganlydyn an den wenigen, die es trotzdem versuchten, brutale Exempel statuierte: Ihnen wurden die Zunge und beide Hände entfernt, anschließend wurden sie im Lager vorgeführt und dann setzte man sie in der Wildnis aus.
Stephanus zählte schnell die Münzen durch - man konnte ja nie wissen - und steckte das Säckchen in eine seiner Gürteltaschen, während seine beiden Zeltgenossen wieder anfingen zu streiten. Mit einem Nicken verabschiedete er sich von ihnen, auch wenn sie es nicht wirklich bemerkten. Sie waren zu sehr mit sich selbst beschäftigt. Stephanus nahm es einfach so hin, und er konnte nicht anders als zu schmunzeln als er die Baracke wieder verließ und das letzte, das er von den beiden hörte war:
„Holla holde Herrin von Wegrast-“
„Halt endlich die Klappe!“
Einige Minuten später hatte Stephanus zielstrebig das halbe Lager durchmessen, als seine Suche nach einem bestimmten runden Zelt endete, dessen Dach aus Planen ein kreisförmiges Loch hatte aus dem ohne Pause Rauch aufstieg, der den Stoff um die Rundung herum bereits geschwärzt hatte. Diese vom Wind weggetragene und unförmige Säule aus dichtem Qualm war nicht nur schwarz oder grau. Ab und zu war sie auf kurioser Weise grün verfärbt, manchmal sogar violett bis pink. Es war das teilweise mobile Labor des Alchemisten und seiner Gehilfen. Der Kaiserliche betrat den breiten Eingang des Zeltes und wurde sofort von einer Wolke aus den verschiedensten Gerüchen begrüßt: In einem Moment wohlriechend rosig, im anderen Moment eine deftige Ladung an Gewürzen, dann wieder scharf und eigenartig unbeschreiblich. Und diesen an manchen Stellen besonders konzentrierten Dunst konnte man trotz des offenstehenden Ausgangs sogar sehen. Wie leicht durchsichtiger Nebel trieben aus den unterschiedlichsten komplizierten alchemistischen Apparaturen aufsteigende Schwaden durch das Innere der Behausung aus Stoff und trieben Stephanus je nach Konsistenz Tränen in die Augen, während sie zugleich auch das Licht im inneren des Zeltes dämpften. Er kämpfte sich durch die mit Gasen geschwängerte Luft bis zu einem mit Büchern zugepflasterten Tresen nicht weit von der offenen Pforte vor und nickte den dahinterstehenden Mann mit einem einzelnen kaum unterdrückten Huster zum Gruß an. Dieser nickte zurück und Lächelte sanft, während er damit begann seine majestätischen Schnurrhaare abzutasten und die vor alchemischen Gasen wimmelnde Luft tief und genussvoll einzuatmen. Der Alchemist – unverkennbar ein Khajiit – trug eine an den Rändern verzierte Robe aus tiefvioletter Seide. Eine dazugehörende Kapuze lag tief im Gesicht des Tiermenschen, so dass seine licht reflektierenden und bernsteinfarbenen Augen nur knapp darunter hervorlugten. Über den Händen trug er einfache an den Fingerspitzen leicht grünliche Handschuhe aus Leder, so dass sich sein braun, schwarz und weiß geschecktes Fell nur in seinem Gesicht entblößte. Während die Katze noch mehr von der trägen und unsauberen Luft um sie herum einsog begnügte sich Stephanus damit, diese in einem Versuch mit zweifelhaftem Ausgang von seinem Gesicht weg zu fächern. Dies quittierte der Khajiit mit einem belustigten Blick. Mit einem lauten und entzückten „Ahh!“ stieß der Alchemist schließlich die Luft wieder aus und schenkte dem Kaiserlichen nun seine vorerst ungeteilte Aufmerksamkeit. Stephanus konnte mit zusammengekniffenen Augen die Gehilfen des Khajiiten durch den Dunst hindurch im Zelt herumirren sehen, doch er schenkte den schemenhaften Bewegungen im Hintergrund kaum Beachtung.
„Was führt den Menschen in mein Reich der Kolben, Kalzineröfen und Retorten? Plagt ihn wieder die Schlaflosigkeit, ja?“
„Richtig. Ich brauche fünf Flaschen.“
Stephanus dankte den Neun, dass Bodeado nicht ihr Alchemist war. Er hätte, wie es eben seine Art war, nur geredet und geredet, während der Kater vor ihm sehr schnell zum Punkt kam. Der Kaiserliche wollte schnell wieder aus dem Zelt raus, denn das Gemisch aus bunten Dämpfen fing langsam an in seiner Nase und – was noch viel schlimmer war – in seinen Lungen zu brennen. Dem Alchemisten waren wohl schon alle Geruchsnerven vor Ewigkeiten weggeätzt, so dachte sich Stephanus.
„Kommt sofort. Legt schon das Geld hin. Fünfzig Septime.“
Ohne weitere Umschweife verzog sich der Khajiit in die Tiefen des künstlichen Nebels. Als eine Art Luxusartikel mussten Stephanus' Nachtschlaftränke separat bezahlt werden, und der Kaiserliche leerte den Beutelinhalt ohne noch einmal die Münzen zu zählen auf eine freie Stelle auf dem Tresen. Er kaufte immer die gleiche Menge, und der Preis veränderte sich nicht, so dass er immer genau wusste, wie viele Septime er bei seinen Besuchen dabei haben musste. Im ersten Moment würde man bei den Preis, den Stephanus jedes mal aufs Neue zahlen musste an Wucher denken. Aber fünf Flaschen reichten durchaus für eineinhalb bis zwei Monate aus. Genug für lange Märsche ohne besondere Zwischenstopps, mit Ausnahme der Nachtruhe. Warum der Preis gleich blieb wusste Stephanus nicht zu beantworten. Wenn es um den Handel ging kannte er außer einigen Tricks beim gelegentlichen Feilschen eigentlich gar nichts. Der Alchemist könnte die Preise diktiert bekommen, oder er wollte von sich aus seinen Kunden entgegen kommen, was der Kaiserliche allerdings anzweifelte. Der Khajiit setzte immer eine freundliche Miene auf und erhob seine Stimme nur selten zum Fluchen oder zum Schreien, was aber eher eine Fassade war.
Der Alchemist, dessen Namen Stephanus selbst über all die Jahre hinweg nie erfahren hatte, verteilte nun geschickt fünf mittelgroße Flaschen auf der hölzernen Auflagefläche und auf den Einbänden der achtlos darauf gestapelten Bücher.
„So. Die Zahl der Münzen stimmt. Der Mensch weiß, wie man dosiert. Habt noch einen schönen Tag in der Sonne,“ beendete der Khajiit die Transaktion und verabschiedete sich auch damit.
Stephanus erwiderte dies mit einem von einem Grunzen begleiteten Nicken, verstaute die röhrenförmigen Glasbehälter und machte sich daraufhin mit fast schon zugekniffenen und tränenden Augen fluchtartig zum Ausgang auf, bei jedem Schritt damit beschäftigt zu husten und ein Würgen zu unterdrücken. Seine letzte Mahlzeit wollte er noch drinnen behalten, aber sie schien nicht einer Meinung mit ihm zu sein.
Er dankte still den Neun als er schlussendlich aus der Öffnung stolperte und den in der Luft gelösten Chemikalien entkam. Seine selbst unter den Augenlidern brennenden Augäpfel mussten sich erst wieder an das Tageslicht gewöhnen, aber die saubere Luft sog er mit einigem Abstand vom Alchemistenzelt mit den Händen auf die Knie gestützt gierig und tief ein. Ob ihn jemand so sah war ihm im Moment egal. Seine Gedanken klärten sich wieder, als sein Hirn wieder an kostbaren Sauerstoff kam. Die Gase waren ihm wortwörtlich zum Kopf gestiegen.
„Das wäre schonmal überstanden,“ sagte er zu niemandem besonders als er sich wieder aufrichtete und sich daraufhin schon wieder auf den Weg machte. Im Lager gab es bestimmt noch Arbeit zu verrichten. Und wenn er keine Arbeit fand, konnte er immer noch an Übungskämpfen teilnehmen.
Himmelsrand, Fürstentum Weißlauf, Hügelgrab
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Es schien, als wären die Wolken in tiefste Traurigkeit und Trübsinn verfallen, derart heftig ließ die graue Masse am Himmel ihren Inhalt hinabgießen. Als dichte Schleier, die im Wind wogten, versperrten sie Vesa die Sicht auf ihre Umgebung, hüllten sie in Verschwommenheit und undeutliche Formen. Der Himmel selbst schien auf die Erde zu stürzen und entsprechend roch es auch. Nicht nur die kalte Feuchtigkeit des Regens, die wie eine Glocke über dem Land hing, nein, auch Fäulnis und Verwesung, als wäre die Welt bereits tot und löse sich auf. Die Kaiserliche schüttelte sich, als ihr der Geruch heftig in die Nase stieß, und bereute es sofort. Jede Faser ihres Leibes schien aufzuflammen als stünde sie in einem großen Feuer. Sie wollte schreien, doch erstarb ihr der Laut im Hals. Mehr als ein raues Krächzen brachte sie nicht hervor.
Je länger sie völlig durchnässt im Regen lag, grobe, unbequeme Steine im Rücken, ohne dass sie sich zu bewegen vermochte, desto größer schienen die Regentropfen zu werden. Irgendwann dröhnte jeder einzelne Aufschlag durch ihren Kopf wie ein Hieb mit dem Hammer. Paralysiert im Schmerz blieb ihr nichts anderes übrig, als die Beben im Schädel zu ertragen, hoffend es würde aufhören zu regnen. Doch das tat es nicht und so schrumpfte sie in sich zusammen, ohne Kontrolle über ihren Leib, zusammengerollt wie ein Kleinkind. Die Hände auf die Ohren gepresst, als könnten sie so das Donnern aussperren. Es endete in größerer Enttäuschung und Wut darüber, dass es nicht funktionierte. Im Gegenteil, es schien vielmehr so, als hielten sie das Dröhnen davon ab, aus ihrem Haupt zu entweichen und verstärkten es noch mehr.
Platsch, platsch, platsch. Jeder Tropfen weckte ein heißes Brennen, dass vom Hinterkopf aus um sich griff wie ein Waldbrand. Heiße Bahnen zogen sich von dort ausgehend über ihre Kopfhaut, brannten sich gleich flüssigem Eisen ein. Tiefes Grollen begleitete die brennenden Schmerzen, wurde lauter und umfing sie als Gewittersturm. Vibrierend fraß es sich Vesana hinein, jede noch so kleine Erschütterung ließ heiße Stiche durch ihren Schädel fahren bis sie sich schließlich fest in den Untergrund krallte und vor Schmerz stöhnend in den Boden biss. Krampfend bohrten sich ihre Finger durch die groben Steine unter ihr während sich der bitter-schmierige Geschmack von feuchtem Holz auf ihrer Zunge ausbreitete.
Erst als sie das widerlich pelzige Gefühl im Mund spuckend versuchte loszuwerden und sowohl ihr eigenes Stöhnen, wie auch das Grollen gleichzeitig erstarben, wurde sie sich bewusst, dass letzteres nicht aus den Wolken zu ihr hinabgerollt kam, sondern sich ihrer eigenen Kehle entwunden hatte. Dem nicht genug, das Sonnenlicht schien zu sterben, wich einem milderen, schwächeren Schimmer, der flackerte und den Himmel in Schwärze verdunkelte. Die kontinuierlichen Regenschauer wichen einzelnen, schweren Tropfen, die ihr auf den brennenden Hinterkopf klatschten und jedes Mal ein Schwert durch ihr Haupt rammten. Unter ihr lag Vesas Bogen auf schwarzem, brüchigem Steinboden. Er schien als hätte jemand mit spitzen Zähnen in ihn hineingebissen.
Mühsam stemmte sich die Kaiserliche hoch, unendlich kraftlos und zittrig, als hätte sie seit Tagen nichts gegessen. Gerade so erkannte sie noch, wie die freigelassenen Finger, die aus ihren Handschuhen herausstanden, ihre Farbe von aschgrau zu einer menschlicheren Farbe änderten und sich die Fingernägel von, eben noch scharfe Klauen, zurückzogen und sich an den Fingerkuppen dunkel unterlaufen verkürzten. Tropfen rannen ihr durch das Haar auf die Wangen bis zu den Mundwinkeln und verbreiteten dort einen matten, bitteren Geschmack von Eisen. Auf allen Vieren hob sie die Rechte, schüttelnd als erfriere sie gerade, dabei besaß sie schlicht keine Kraft um mehr als sich selbst zu halten, und griff sich mit den schmutzverkrusteten Fingern ins Haar am Hinterkopf. Stöhnend und gleichzeitig grollend zog sie sie ruckartig zurück, als ihr ein neuerlicher Hammerschlag für einen Moment die Sehkraft schwinden und sie auf die rechte Schulter hinabsinken ließ. Knackend schoben sich augenblicklich wieder ihre Krallen und scharfen Eckzähne hervor.
Hunger, Wut und Schmerz schwächten ihre menschliche Form und brachten das Biest zum Toben und doch schaffte es keiner Beiden die Oberhand zu gewinnen. Der Kampf schwächte sie zusätzlich und zwang sie dazu, liegen zu bleiben. Der Wolf spürte die Vollmonde während der Mensch sich nach Ruhe und Erholung sehnte, wissend, dass es hier unten ohnehin keine Beute zu holen gäbe und mit dem angeschlagen Fuß käme auch ihre Tierform nicht aus dem Loch.
Übel, vom krampfenden Magen, der nach mehr verlangte als Brot und Fett, mit flammender Brust im Kampf zwischen Mensch und Tier und einem Kopf so schwer wie ein Amboss und ähnlich starken Schlägen ausgesetzt, lag die Kaiserliche am unteren Ende des Schutthaufens und krümmte sich. Die Hände vor das Gesicht geschlagen, während ihr Tropfen von der Tunneldecke auf den Schädel schlugen und ihr Lebenssaft heiß aus einer kleinen Wunde am Hinterkopf auf die Steine sickerte. Salzige Tränen, so voll mit Frust, Wut und Schmerz, dass sie hätten töten können, brannten ihr in den Augen und ergossen sich über ihre schmutzige Haut.
Wie lange war sie wohl bewusstlos gewesen? Ein paar Stunden? Minuten? Einen Tag? Vermutlich ersteres und doch hätte es ebenso gut Morgen oder Mittag, Abend oder noch dieselbe Nacht sein können.
Noch immer mit ausgefahrenen Krallen und Eckzähnen nahm Vesa die Hände vom Gesicht und schaute hinauf zum oberen Ende des Steinhaufens. Es gab nur eine Möglichkeit, es herauszufinden. Träge, gleich einer Schildkröte, begann sie damit, sich die losen Steine hinaufzuschleifen. Ein mühsames Unterfangen, das sich derart lange hinzog, dass ebenso gut ein Tag vergehen mochte. Dennoch schaffte sie es nach oben und blieb so ausgelaugt wie selten zuvor bäuchlings liegen. Schnaufend hob sich ihr Brustkorb schwer, brannte als wäre er mit heißem Öl ausgegossen und gelegentlich glaubte sie die Rippen knacken zu hören, während das Biest versuchte auszubrechen aber augenscheinlich nicht genug Kraft zu besitzen schien.
Vorsichtig, darauf bedachte nicht anzuecken, wandte die Kaiserliche nach schier ewigen Momenten den Kopf und versuchte aus dem Augenwinkel heraus in das Loch hinaufzuspähen. Noch immer erfüllte völlige Schwärze den senkrechten Tunnel. Doch an seinem Ende ließ sich etwas erkennen, mehr eine Ahnung denn etwas wirklich greifbares, das aussah wie erstes Tageslicht, das in morgendlicher Schwäche versuchte durch dichtes Astwerk zu dringen. Konnte es wirklich sein? Sollte es tatsächlich schon Morgen sein? Sie musste wirklich Stunden bewusstlos gewesen sein. Sie wusste nicht, ob sie erleichtert oder entsetzt sein sollte. Doch der Wolf machte ihr die Entscheidung letztlich leicht, als er sie sich aufbäumen und wütend grollen ließ. Klauen weit ausgefahren und das Gebiss bereits verschoben hob sich ihr Oberkörper auf die Ellbogen gestemmt und der Kopf in den Nacken gelegt. Der Kraftakt erstarb bald, endete in einem kläglichen Wimmern und ließ die Kaiserliche in sich zusammenfallen wie ein Schluck Wasser.
Dafür fiel ihr Blick nun dorthin, wo sie zuletzt den Waschbären gesehen hatte. Entsetzt weiteten sich ihre Augen und das Herz krampfte derart, dass sie sich mit der Hand gegen die Brust langte und die Finger fest in das Leder ihrer Jacke krallte. Unregelmäßig atmend musste sie sich zusammenreißen, um nicht sofort wieder ohnmächtig zu werden oder laut zu aufzuschreien. Sogar das Biest in ihrer Brust hielt inne. Noch immer zeichneten Fellfetzen und dunkle Blutflecken die Stelle, an der das Tier aufgeschlagen war. Einige der völlig zerschellten, winzigen Knochen lagen auch noch herum. Aber etwas ganz Entscheidendes hatte sich an der Aufschlagstelle verändert und allein der eine Gedanke vertrieb sämtliche Fähigkeit an irgendetwas anderes zu denken, als wäre ihr Kopf mit einem Mal mit Nebel gefüllt.
Mit unsteten Augen schaute sie in die Dunkelheit auf der anderen Seite des Trümmerhaufens hinab. Nichts. Zurück zur Stelle, wo der Waschbär gelandet war. Nichts. Vesana schloss die Lider, rieb kurz darüber und öffnete sie erneut. Nichts. Langsam, den rasselnden Atem zu beruhigen versuchend, schob sie sich zu ihrer Nachtstatt hinab und nahm sich ihre Laterne mit, die noch immer oben gestanden hatte und inzwischen gefährlich weit abgebrannt war. Ein letzter Blick, um sicher zu gehen, dass sie nicht völlig verrückt wurde. Nein, wurde sie nicht. Der geschundene Leib des Waschbären fehlte.
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