Skyrim, Fürstentum Reach, vor den Mauern Markarths
Sylaen richtete sich auf und warf einen weiteren Scheit ins Feuer. Er landete mit einem knistern auf seinen bereits verkohlten Artgenossen, wobei er ein wenig Asche aufwirbelte. Während der nach Kohle riechende Rauch zusammen mit einigen Funken in den ruhigen nächtlichen Himmel aufstieg, starrte Stephanus in die tanzenden Flammen und wunderte sich, ob es durch die Verworrenheiten des Schicksals dazu gekommen war, dass es sich bei dem frischen Holzscheit um einen von eben jenen handelte, die der Bretone heute Mittag fallen gelassen hatte. Wie war sein Name noch gleich gewesen? Delstian? Elstian? Er wusste es nicht mehr. Er hatte ihn über den Tag hinweg völlig vergessen. Stephanus und seine Gedanken waren durchgehend beschäftigt gewesen. Vom Training und von der Arbeit im Lager wehklagten seine mittlerweile müden Muskeln. Seine Waffen hatte er erneut geschärft, zudem hatte er bei den letzten Arbeiten an der lächerlichen Holzpalisade geholfen, die jetzt das Lager umspannte.
Das meiste Holz wurde importiert, denn Reach war nicht für seine dichten und tiefen Wälder bekannt. Im Gegenteil. Neben vertrocknet aussehendem Gras und den stellenweise wachsenden Büschen gab es kaum erwähnenswerte Vegetation. Mit Ausnahme der vereinzelten Bäume. Die knorrigen dürren Pflanzen trugen kaum Blätter und schienen aus den unerbittlichen Felsen der Umgebung und allen Widrigkeiten des trockenen Klippenlandes zu trotz stur dem Himmel entgegen zu wachsen. Sie sahen uralt aus, verhärmt und verbogen. Sie waren starrköpfige, trotzige Greise, die es obgleich ihres Alters der erbarmungslosen Natur zeigen wollten, und sich auch noch fest vorgenommen hatten, die Berge selbst zu überdauern.
Und während die Funken wie rote Glühwürmchen aufstiegen, musste Stephanus plötzlich an lang vergessene Abende denken, bei denen er ebenfalls vor einem Lagerfeuer gesessen hatte. Damals war er aber von anderen Leuten umgeben gewesen. Von vertrauteren Leuten, und vertrauenswürdigen. Unverhofft überrumpelten ihn Melancholie, Sehnsucht und Einsamkeit, als er an die in seinen Erinnerungen bereits verschwimmenden Gesichter seiner verflossenen Mitstreiter dachte und seine Gedanken sich auf Wanderschaft begaben.
Als er die Augen schloss konnte er sie unter seinen Lidern deutlich am Feuer sitzen sehen, noch lebendig und glücklich miteinander lachend. Die Erinnerung schmerzte, und es fiel ihm schwer sich zusammenzureißen und vor den ihn in der Gegenwart umgebenden Zeitgenossen zu verbergen, was in ihm vorging.
Ein Schemen an der Feuerstelle in seinem Kopf winkte ihm zu. Elberond, ein Bosmer, an einem Hitzschlag in der Alik'r Wüste gestorben, circa fünf Jahre nachdem Stephanus sich eingeschrieben hatte. Als das Kaiserreich 4Ä 175 Hammerfell als Provinz verstieß, wurden die Rothwardonen sehr misstrauisch allen Ausländern gegenüber, und die Söldner wurden nur für Ziele von sekundärer Bedeutung genutzt. Dies hinderte sie nicht, ihre angekauften Waffenträger wortwörtlich in die Wüste zu schicken. Ein Jahr nach Elberonds Tod hatten es die stolzen Einwohner Hammerfells schließlich fast im Alleingang geschafft, die Armeen des Aldmeri-Bundes vollständig zurückzuschlagen. Der Elf war einer seiner ersten und besten Freunde gewesen. Ungefähr im gleichen Alter, aufgeweckt, und entgegen allen Erwartungen ein miserabler Bogenschütze. Sie hatten sich die Strapazen der Kampfausbildung und der niederen Arbeiten der Rekruten geteilt, ihr Essen, ihre Geschichten, Witze und Philosophien. Er war wie ein Bruder für ihn gewesen. Sie mussten ihn am Ende zurücklassen. Die Sonne hatte gleichgültig und zerschmetternd auf sie herabgebrannt, und auf niemanden wurde während des Marsches Rücksicht genommen.
Wer hinfiel und nicht mehr die Kraft fand von alleine wieder aufzustehen war tot.
Neben ihm saß ein weiterer Kamerad aus seinen ersten Jahren: Der Ohrlose Oswald, ein Nord, der noch vor ihrer Begegnung beide Ohren an den Frost verloren hatte. Der trinkfesteste Mann, den Stephanus je gekannt hatte, mit dem Körperbau eines Bären und der geballten Kraft eines Erdrutsches. Für Stephanus war er ein Ersatzvater gewesen. Ein klobiger Prolet, der sich aber auch selbst Grenzen gesetzt hatte, und auch nicht so dumm war, wie er aussah. Der Nord hatte ihm vieles über den Nahkampf mit Schwert und Schild beigebracht. Seine Moral hatte Stephanus geformt. Im Scherz hatte Elberond einst gesagt, man könnte den Ausgang einer bevorstehenden Schlacht voraussagen, wenn man auf Oswalds kahlen Schädel spuckte und alles gut auf voller Fläche verteilte und dann lange genug in sein vom Kahlkopf reflektiertes Gesicht sah. Oswald war an der Grenze zwischen Morrowind und Schwarzmarsch bei einem Scharmützel gefallen, aber nicht bevor er womöglich übertriebenen Berichten zufolge zehn Argonier mit in den Tod gerissen hatte. Der Nord hatte eine Halskette aus Stahl getragen, rief sich Stephanus in Erinnerung. Eine Kette, die er selbst geschmiedet hatte.
In seinem Kopf hörte er ihn wie damals brummen: „Sie her, Stephanus. Dinge die du selber machst, halten am besten. Wie diese Kette hier. Ich habe sie mit meinen eigenen verdammten Händen gefertigt. Sie ist nicht von weltlichem wert, nicht aus Gold, auch nicht aus Silber, aber bei Ysmir, ich kann dir garantieren, sie wird uns beide überdauern.“
Trotz seiner Bemühungen war es Stephanus damals nicht vergönnt gewesen dieses Erinnerungsstück zu bergen.
Dann waren da noch Dan-Za, Madril, Sorink, der grünhändige Malik und Viania Catraso. Aber die Liste der Namen ging immer weiter und verlor sich zum Teil in der trüben Tiefe des Vergessens. Mit Vielen von ihnen hatte Stephanus gute Erinnerungen, mit einigen hatte er sich nur das Zelt, den ein oder anderen Schlauch Wein und die Wärme des Feuers geteilt. Allein das galt unter manchen Umständen schon als Freundschaft. Seit fast schon 30 Jahren kamen und gingen die Gesichter. In seinem Beruf wurde man nur selten alt.
Er lächelte dann doch gequält, als er sich vor allem an die Zeit mit Viania zurückerinnerte. Beim Gedanken an sie fühlte der Kaiserliche noch stärkere Sehnsucht in sich aufsteigen. Seine erste Liebe außerhalb der Kaiserstadt. Die Zeit mit ihr war unbeschreiblich gewesen, die besten Jahre seines damals jungen Lebens. Deutlich sah er ihre smaragdgrünen Augen und ihre freche, lebensfrohe Art. Diese Eigenschaften waren, neben ihren besonderen gemeinsamen Momenten, die einzigen Erinnerungen die er an sie noch hatte.
„Du hast echt eine bemerkenswerte Fähigkeit, dich nur an die Augen deiner Mitmenschen zu erinnern,“ stellte der Kaiserliche selbstkritisch fest.
Stephanus seufzte und fuhr sich durch den Bart. Die Zeit in der Oswald, Viana und Elberond noch lebten... Damals war er ein wahrer Schönling gewesen, doch dass war bevor er aufgehört hatte, sich zu rasieren, bevor er vom Krieg und den beschwerlichsten Umständen gezeichnet wurde (seine Nase tat ihm hin und wieder immer noch weh), und bevor die Spuren der Zeit sich geduldig und unaufhaltsam in sein Antlitz schlichen. Über die Jahre hinweg war er verbittert und zynisch geworden. Wie war es nur so weit mit ihm gekommen?
„Nein, nicht zynischer,“ dementierte ein Teil von ihm. „Du bist nur weniger Dumm und Naiv als früher.“
Er wurde jäh aus seinen Gedanken geschreckt, als Sylaen ihn leicht in die Seite stieß.
„Schlaft nicht ein, alter Mann. Hrard kommt gleich und teilt die Wache ein.“
Stephanus quittierte die Bemerkung der Elfe mit einem leisen Murren und nickte dann Cocius, dem anderen Kaiserlichen in der Gruppe zu, der ebenfalls unweit von ihm am Feuer saß. Nachdem er sich seiner Aufmerksamkeit sicher war, sagte er:
„Cocius, reich mir mal den Wein.“
Der angesprochene Kaiserliche nahm noch einen letzten Schluck aus dem ledernen Behältnis und streckte seinen Arm dann mitsamt Weinschlauch Stephanus entgegen. Dieser griff sich den Lederbeutel, löste den an einem Seil befestigten Korken und setzte die nun freie Öffnung an seinen Lippen an, nicht ohne dem anderen Kaiserlichen ein dankbares Nicken entgegenzubringen. Er schloss die Augen als die süße Flüssigkeit in seinen Hals ran und ihn mit Wärme erfüllte. Das Feuer hielt zwar einen Teil seiner Vorderseite warm, aber jedes Stück seines Körpers, das Stephanus von den Flammen abwandte oder das zu weit weg lag wurde Opfer der nächtlichen Kälte und ihrer seltsam milden Umarmung. Dieser zwielichtige Zustand hatte einen eigenartigen Reiz. Der Kaiserliche zog es aber vor, sich vollständig in wohlige Wärme zu wiegen, wobei der Wein gut half.
Grillen zirpten um sie herum und wetteiferten mit Bodeado, der irgendwo in der Nähe gedankenverloren an den Seiten seiner Harfe zupfte.
Sylaen stellte unvermittelt eine Frage: „Hat jemand 'ne Ahnung, warum wir überhaupt hier sind? Ich meine, was läuft in Himmelsrand ab?“
Niemand antwortete. Sie stieß Stephanus erneut an und stellte ihre Frage ein zweites Mal.
Der Kaiserliche seufzte und rückte ein wenig von ihr weg. Er wollte von der Waldelfe wirklich nicht angefasst werden. Besser jetzt reden, dachte er dann, während er ganz diszipliniert seine aufkochende Wut unterdrückte.
„Einfach,“ erwiderte er dann so gleichgültig, wie er nur konnte, „Ulfric Sturmmantel will den Thron von Himmelsrand und hat dafür den Hochkönig umgelegt. Das Kaiserreich hat das natürlich nicht einfach so hingenommen, und jetzt hat er einen Bürgerkrieg angestachelt.“
Als Söldner behielt Stephanus seine Meinung für sich, aber das bedeutete nicht, dass er sich keine bildete. In seinen Augen war Ulfric nichts weiter als ein weiterer Adliger, der bei seinen Versuchen Macht zu gewinnen gescheitert war und nun einen zweiten Anlauf startete. Dass Sturmmantel dabei vorgab, allein für die Unabhängigkeit von Himmelsrand zu kämpfen, hielt der Kaiserliche für absolut verdammenswert. Wie viele arme Naivlinge würde er unter seinem Banner vereinen können? Stephanus verabscheute Menschen wie Ulfric, die andere manipulierten und ihre Ängste und Träume ausnutzten um dadurch an ihre eigenen Ziele zu kommen. Wenn es die Situation nicht unbedingt erforderte verbarg Stephanus seine Absichten nicht. Wollte er jemanden töten, dann versteckte er das nicht.
„Aber wenn du ganz ehrlich bist,“ forschte eine nachdenkliche Stimme in seinem Kopf nach, „würdest du unter den gleichen Umständen nicht das selbe tun?“
Ja. Ja, das würde er wohl.
„Verdammter Narr,“ verbesserte er sich selbst im Nachhinein, „du bist keinen Deut besser.“
Was war heute Abend los mit ihm? Über Dinge wie Moral und die Menschen aus seiner Vergangenheit hatte er lange nicht mehr nachgedacht.
„Wie viele Leute hat er?“ erkundigte sich die Elfe weiter.
Stephanus wusste, dass sie keine Angst vor einer Überzahl an Feinden hatte. Das Miststück wollte nur wissen, wie lange sie in der nordischen Provinz bleiben würden.
„Hrard meint, er hat den ganzen Osten hinter sich.“
„Den ganzen Osten?“
„Ja,“ knurrte er.
„Dann bleiben wir wohl ein Weilchen hier.“
„Ja.“
Sie verzog den Mund und blickte finster drein. „Ich mag's hier nicht. Himmelsrand ist zu kalt.“
„Musst dich wärmer anziehen,“ brachte Cocius sich ins Gespräch ein.
Stephanus wand sich von seiner Sitznachbarin ab und lehnte sich zurück, während Cocius und Sylaen die Unterhaltung weiterführten. Er wechselte normalerweise keine Worte mit ihr und erwiderte nur selten etwas, wenn sie ihn ansprach. Seine Miene verfinsterte sich, während er am Rande mitbekam, wie Cocius anfing, mit der blonden Waldelfe zu flirten. Dieser Idiot hatte ja keine Ahnung. Aber er wollte sich nicht die Mühe machen ihn vorzuwarnen. Nein, dass war jetzt nicht seine Angelegenheit. Sollte der andere Kaiserliche von alleine darauf kommen, wie psychotisch Sylaen sein konnte. Ihren Beinamen „Jungelfe“ hatte sie dadurch bekommen, dass sie einmal erwähnt hatte, dass sie mit ihren fünfzig Lebensjahren im Vergleich zu anderen Elfen recht Jung war. Im Augenblick hatte sie eine gute Phase, aber ihr Gemütszustand konnte sich drastisch von einen Moment auf den anderen ändern. Er verspürte Ekel bei der Erinnerung an eine ihrer neulichen Episoden. Er hatte sie bei einer Pause auf ihrem beschwerlichen Trip über die Grenze von Hochfels dabei erwischt, wie sie ihre krankhaften Zwänge an einem armen Hasen ausließ. Das Tier war offensichtlich paralysiert gewesen, denn unter normalen Umständen hätte es sich gewehrt und geschrien wie am Spieß, während seine Peinigerin ihm systematisch jeden einzelnen Knochen brach. Dabei hatte Slyaen die ganze Zeit über vor Verzückung gekichert, und Stephanus hatte an den Augen des Tieres gesehen, dass es bei vollem Bewusstsein war. Das stumme Leid und das perverse Gackern der Frau hatten in dem Kaiserlichen eine Mischung aus Wut und Ekel ausgelöst. Bis dahin hatte er zwar gewusst, dass sie geisteskrank war, aber ab diesem Augenblick war ihm bewusst, wie tief der gewalttätige Wahnsinn in ihr steckte. Als sie ihn letztlich doch bemerkte hatte sie ihn böse angefunkelt und ihm gesagt, er solle sich gefälligst um seinen eigenen Kram kümmern. Er hatte es nicht gebraucht, ihr zu sagen, wie krank sie ihn machte. Sein Gesichtsausdruck allein hatte Bände gesprochen, und sie hatte zu genüge darin gelesen. Zu gerne hätte er sie in diesem Moment umgebracht, doch ein gefolterter Hase war leider keine ausreichende Berechtigung. Solange man der Kompanie Geld einbrachte und seine eigenen Leute nicht wegen jeder beliebigen Belanglosigkeit tötete, konnte man so viele Hasen malträtieren, wie man wollte. Er arbeitete nun mal mit Mördern zusammen. Berüchtigte Ex-Banditen, entlaufene Sträflinge, Vergewaltiger.
„Wann werden denn jetzt die Wachen eingeteilt?“ fragte jemand unvermittelt.
Wie auf ein geheimes Zeichen hin schälte sich von einen Moment auf den anderen Hrards Umriss in einigem Abstand auf der anderen Seite der Feuerstelle aus der Dunkelheit. Die knisternden Feuerzungen beleuchteten sein Gesicht, tauchten es in dunkles Orange und Gelb und ließen die Furchen in seinen harten Gesichtszügen noch tiefer als sonst erscheinen. Der kräftig gebaute Nord war frisch rasiert, und seine strohblonden Haare lagen zu dünnen Zöpfen geflochten auf der linken Seite seines Kopfes. Seine dunklen Augen gingen fast im Flimmern der über den Flammen erhitzen Luft und den Schatten in seinem ernsten Gesicht unter, und nur das sich in ihnen spiegelnde Feuer versicherte dem Betrachter, dass sich in Hrards Augenhöhlen tatsächlich Augäpfel befanden und nicht nur dunkle Leere. Stephanus korkte den Weinbeutel wieder zu und begrüßte den Neuankömmling dann mit einem Kopfnicken. Er respektierte den Mann.
Alle Gesichter, die sich um das Feuer herum versammelt hatten, waren nun auf Hrard gerichtet und alle Gespräche zwischen ihnen waren verstummt.
Ohne Umschweife erhob der Nord seine tiefe und etwas monoton klingende Stimme, während er seinen gespenstischen Blick über jeden einzelnen von ihnen wandern ließ:
„Wir bewachen diese Nacht das östliche Ende des Lagers an der Straße. Levinius, Stahlzapfen, gro-Ogdum, Meum-Te. Ihr Vier habt bis Eins Wache. Bodeado, Jungelfe, Spurius, Bärenpelz, bis vier. Fleisch, gro-Golug, Jungeiche und ich bis Morgenappell. Ich stelle gleich die Sanduhren. Der Rest von euch kann heute Nacht ausschlafen.“
Danach ging der Nord wieder seines Weges und verschwand im Schatten der Umgebung.
Sofort regte sich die Meute um das Lagerfeuer herum wieder, als währen sie aus einer Kältestarre gebrochen und hätten sich an den Ofen erinnert, den sie zuhause angelassen hatten. Stephanus und die drei anderen Erstschichtler zogen sich auf ihre Beine und machten sich auf, um ihre Ausrüstung zu holen. Zuvor reichte der Kaiserliche aber den sich in seiner Hand leicht verformenden Schlauch an seine Kumpane zurück.
Sie befanden sich in der Nähe der Stadt und außerhalb eines potenziellen Kriegsgebiets in relativer Sicherheit und konnten sich kurze Wachschichten leisten. Zusätzlich konnte Stephanus unter diesen Umständen auch seine Paranoia überwinden und er hatte für die vorhergegangene Arbeit seine Rüstung und sein Schwert beim Quartiermeister abgegeben. Seinen Dolch behielt er selbstverständlich immer bei sich.
Reach war selbst im Ausland berüchtigt für seine unsicheren Straßen. Die „Abgeschworenen“, wie sie sich nannten, griffen Gerüchten zufolge jeden an, der das Pech hatte, in ihre nähe zu kommen oder in einen ihrer Hinterhalte zu geraten. Bis jetzt hatte die Kompanie aber keinen einzigen von ihnen zu Gesicht bekommen. Auf der Reise nach Himmelsrand erlitt ihr Trupp auch keine Nennenswerten Verluste, weder durch Banditen oder durch Unfälle. Stephanus konnte also mit weniger Streng verteilten Wachschichten leben. Er bevorzugte es auch in die erste Schicht eingeteilt zu werden, was Hrard bewusst war. Vielleicht wollte der Nord ihn für irgendwas belohnen, oder es war auch nur kompletter Zufall. Für das letztere Sprach, dass eine durchgeschlafene Nacht viel eher eine Belohnung gewesen wäre.
Man hörte die Zeltgruppe der Schmiede bevor man sie sah: Selbst noch in der Nacht arbeiteten einige Schmiede unter der Leitung eines Meisters an ihren improvisierten Schmelzöfen und hämmerten an Ambossen auf metallene Rohlinge ein.
Hier und da konnte man auch das quietschen und kratzen eines Schleifsteins hören. Gesellen besserten Rüstungen aus und reparierten Waffen und machten sie wieder kampfbereit. Sie stellten einfache Äxte, Kolben und Schwerter her, Hufeisen, Nägel, eiserne Heringe und dergleichen. Die Herstellung von Rüstungen war allein die Aufgabe des Meisterschmieds. Wie über dem Zelt des Alchemisten stieg hier Rauch auf, dieser blieb im Gegensatz zu der anderen Wolke aus Qualm naturbelassen. Der Geruch von Ruß und verbrannter Kohle erfüllte die Luft, eine rauchige Note, die Stephanus schon immer gefallen hatte, und hier war sie stärker noch als vergleichsweise der Duft, der im Wind von der Stadt bis ins Lager mitschwang. Die gesamte Ausrüstung war schwer zu transportieren, und sie wurde auch erst dann aufgebaut, wenn ein längerer Aufenthalt sicher war.
Trotz des Lärms und der immer noch aktiven Arbeit schlief der große Teil der Handwerker bereits, in den meisten Öfen brannte die Glut einsam pulsierend vor sich hin und wartete darauf, wieder aufgeheizt zu werden und durch ihre künstlichen Lungen – die Blasebälge - neue Luft und damit neues Leben einzuatmen. Am Rand des kleinen Abschnitts im Lager befand sich eine Reihe von Baracken die als Waffenkammer herhalten mussten. Zwei Männer bewachten den Eingang, und im Innern trieb einer der Quartiermeister sein Unwesen: Ein magerer, kleiner und kahlköpfiger Bretone in einem speckigen, dunkelgelb gefärbten Lederwams. Stephanus kannte ihn beim Namen.
„Maniel. Meine Sachen.“
„Nachtwache?“
„Ja.“
Der Bretone nickte daraufhin, und ohne weiteren Wortwechsel pfiff der Mann dann nach seinen Assistenten, die faul im Halbschlaf zwischen Waffen- und Rüstungsständern hervorguckten und sofort um einiges wacher wurden, als der Quartiermeister sich vom Kaiserlichen wegdrehte und sie scharf Anschrie und ihnen einen schönen Urlaub in Oblivion selbst versprach, sollten sie sich nicht gefälligst in Bewegung setzten.
Wie von Molag Bal verfolgt trugen sie in Windeseile Stephanus' Ausrüstung zusammen. Kurze Zeit später steckte er dann auch schon in seiner Rüstung und fühlte sich gleich viel wohler. Es war, als würde man an einem klammen kalten Tag einen Mantel überziehen, um sich vor dem frostigen Wind zu schützen. Oder als würde man bei strömenden Regen eine wasserfeste Kapuze aufsetzen. Doch noch wichtiger war ihm sein Schwert. Erst jetzt gestand er sich ein, wie nackt er sich ohne seine Waffe gefühlt hatte.
Mit einem kindischen Lächeln hielt er die Klinge gegen eine Fackel in seiner Nähe und beobachtete, wie sich das Feuer darin spiegelte. Es war eine schöne Waffe. Für den größten Teil war die zweischneidige Klinge aus dunklem Stahl auf den ersten Blick schnurgerade und verjüngte sich nur allmählich, lief am Ende aber Ende unvermittelt zu einer dreieckigen Spitze zusammen, dem Ort. Die Hohlkehle des Schwertes hatte eine mattere Beschaffenheit, als zum Beispiel die wie ein Spiegel glänzende Schneide, und endete kurz vor der Fehlschärfe.
Der Schwertknauf besaß die Form einer großen Münze und war aus Eisen gefertigt. Sein Gewicht gab Stephanus' Waffe mehr Balance, da es das Gewicht der Klinge ausglich. Zudem eine Parierstange aus Stahl. Viele seiner Mitstreiter besaßen Schwerter mit Parierstangen aus Messing, doch war dieses Metall einfacher zu bearbeiten, wies im Ausgleich aber eine geringere Haltbarkeit vor. Eine sich verformende – oder im schlimmsten Fall sogar zerbrechende – Parierstange konnte einem Schwertkämpfer schnell das Leben kosten.
Und dann war da noch das Heft aus Hartholz, umwickelt mit dunkelbraunem Leder. Es lag gut und stabil in der Hand, und es bot gerade genug platz für zwei Hände. Dadurch konnte Stephanus das Schwert je nach Situation mit einer oder mit zwei Händen führen: Entweder mit einem Schild für zusätzlichen und vor allem beim Kampf gegen Bogenschützen entscheidenden Schutz, oder mit beiden Händen für zusätzliche Schlagkraft. Diese Waffe war geschmiedet, um gerüstete Gegner zu bekämpfen, genau was Stephanus brauchte. Zwar war sie beim Handgemenge in engen Bereichen durch ihre Länge weniger effektiv als kürzere Blankwaffen, aber in solchen Umständen fand der Kaiserliche sich nur selten wieder. Das offene Feld war sein übliches Kampfgebiet.
Stephanus schob sein Schwert in die mit Fell gefütterte Scheide und befestigte sie auf der linken Seite seines Körpers an seinem Gürtel. Hiernach wünschte er Maniel und seinen faulen Lehrlingen eine gute Nacht und machte sich dann auf.
Er war auf halben Wege zu seinem Posten, als Jemand Stephanus im gehen auf die Schulter klopfte, und er brauchte sich nicht erst umzudrehen, um zu wissen, um wen es sich handelte. Das Gewicht der großen Pranke zu spüren war schon genug, und nun gingen er und Soldin Stahlzapfen nebeneinander her. Unweit hinter sich konnte Stephanus noch die Schritte der anderen Männer hören, die ebenfalls der ersten Wache zugeteilt wurden, als der Wind zunahm und sich in ihren Haaren verfing. Hier und dort klatschten die Zeltplanen dumpf auf, wie Segel, die den Wind einfingen.
„Na, Levinius? Wie gefällt Euch Himmelsrand?“ Mit einem herzlichen Lachen und einem vor Glück strahlenden Gesicht ließ Soldin von der Schulter des Kaiserlichen ab, und breitete stattdessen die Arme aus und deutete sie auf das das Land umgebende Gebirge. Masser und Secunda vermochten es an diesem Tag kaum die Nacht zu erhellen, so dass sich die Berge als gigantischer Schatten fast schon bedrohlich vor dem Sternenhimmel abzeichneten. Die Augen des Nord funkelten bei seiner Pose wie die eines Diebs, der es nach langen Strapazen endlich geschafft hatte, in ein Goldlager von unschätzbaren Ausmaßen zu gelangen.
„Könnt Ihr es sehen? Es riechen? Einfach verdammt wunderbar wieder in der Heimat zu sein!“, brüllte er schon fast.
„Alles was ich sehen kann ist Euer Großkopf, Stahlzapfen,“ erwiderte Stephanus trocken.
„Wie meinen?“ Der massige Nordmann hielt inne und drehte sich zu ihm um.
„Ja. Und je mehr ihr über Himmelsrand erzählt, desto mehr wächst er auch an.“
Der Nord hatte der gesamten Mannschaft schon seit dem Moment an, an dem sie zur Grenze aufgebrochen waren, mit der glorreichen Heimat der Menschen auf Tamriel, Himmelsrand in den Ohren gelegen. Langsam reichte es.
„Wenn Ihr nicht aufpasst, dann platzt er gleich.“
„Vielleicht sollte ich Euren Kopf platzen lassen, kaiserlicher Hundesohn.“
„Ach ja?“
Stahlzapfen nickte mit einem finsteren Lächeln auf dem Gesicht: „Ja. Und wenn dann mein eigener Kopf platzt, muss ich wenigstens nicht Euren stinkenden Leichnam auf den Abfall schaffen.“
Er zog sein Schwert. Stephanus ließ sich nicht lumpen und tat es ihm gleich. Eine Weile standen sie sich mit gezogenen Waffen gegenüber und starrten sich gegenseitig an, zwei Wölfe kurz vor dem Angriff. Der Kaiserliche konnte den Wahnsinn und die Mordlust in Soldin's Augen sehen. Eine fast zwei Meter hohe und erzürnte Ansammlung von Muskeln und Hass. Es war nur noch eine Frage von Sekunden, bis sie sich gegenseitig an die Kehle gehen würden. Die Zeit schien wie in Zeitlupe zu vergehen, sein gesamter Körper war gespannt, Adrenalin raste durch seine Blutbahnen. Ihre anderen Mitstreiter hatten beide vollkommen aus ihren Gedanken verbannt, da diese nur stehenblieben und teilnahmslos hinsahen, ohne merkliche Absicht in den Konflikt einzugreifen.
Plötzlich brüllte der Nord vor lachen und steckte sein Schwert weg. Alles war also nur ein neunverdammter Scherz gewesen. Ein kranker Streich.
„Verrückter Schweinehund,“ fluchte der Kaiserliche mit einem falschen Lächeln auf den Lippen, sein Gesicht immer noch Soldin zugewannt.
Dieser klopfte sich einmal auf den Oberschenkel und fasste sich dann langsam wieder, und nickte dem anderen Mann belustigt zu.
„Ach, wenn ich Euch umbringen würde, Stephanus, dann hätte ich niemanden mehr zum töten!“ Damit ließ der Nord die Sache bei sich beruhen, und Levinius war froh über den plötzlichen Sinneswandel des Nords. Für einen Moment blieb er noch verdutzt stehen während Soldin bereits weiterging.
Stephanus sah ihm im Gehen nach, als Meum-Te an ihm vorbeizog.
„Sah kurz aus, als würde Nord dich töten,“ bemerkte der Argonier im Vorbeigehen in gebrochenem kaiserlich.
Der Kaiserliche zuckte die Achseln. „Stahlzapfen ist eben verrückt. So was macht er manchmal.“
Dadurch, dass er es als verkorkste Gewohnheit des Nords verkaufte, versuchte Stephanus sich nicht von der Echse anmerken zu lassen, dass der Nord ihn zumindest genauso sehr überraschte wie jeden Außenstehenden. Seine Nackenhaare waren immer noch aufgerichtet und sein Herz kehrte nur nach und nach zu seinem gewohnten, langsameren Rhythmus zurück. Er war schon bereit gewesen, vorzuschnellen und zuzustechen, bevor er die plötzliche Veränderung im Verhalten des Nordmannes gemerkt hatte. So leicht es auch gewesen war, ihn zu provozieren, so leicht hatte Stahlzapfen sich auch spontan entschieden, heute kein Blut zu vergießen.
„Wenn ich's Euch doch sage! Der Typ hat die Wahrheit gesagt!“
Stephanus stieß ein ungläubiges Lachen hervor und schüttelte den Kopf.
„Der einzige Drache auf der Welt steht im Tempel des Einen, und ist zudem seit fast zweihundert Jahren versteinert.“
Stahlzapfen funkelte den Kaiserlichen von der Seite an.
„Ihr seit ein miesepetriger, skeptischer, verdammter Bastard, wisst Ihr das?“
„Das ist durchaus begründet. Ihr müsst schon sehr Dämlich sein, wenn Ihr jeden Scheiß glaubt, den irgendein verängstigter Reisender erzählt.“
Nun war es an Soldin den Kopf zu schütteln.
„Ich sehe schon seit Jahrzehnten die Furcht in den Gesichtern Anderer. Der Typ hat sich vor Angst fast in die Hosen gemacht. Der hat uns nichts vorgespielt, um sich interessant zu machen.“
Der Kaiserliche schnaufte.
„Ich hab ja nicht gesagt, das er gelogen hat. Er hat durchaus geglaubt, er habe einen Drachen gesehen.“
„Das hat er.“
„Hat er nicht. Diese verflixten Leute vom Land sind schreckhaft wie sonst was. Da hat ihm wohl eine Wolke für eine Sekunde die Sonne verdunkelt und er ist in Panik verfallen.“
„Wolken brennen keine Häuser nieder,“ erwiderte der Nord.
„Der Penner ist wohl verängstigt losgelaufen und hat sich den Rest nur eingebildet. Erinnert Ihr Euch noch an den Werwolf von Wegrast?“
Soldin nickte.
„Und was war der am ende gewesen?“
„Ein verdammter Obdachloser mit Wolfsmantel.“
„Sehr wohl. Ein verdammter Obdachloser mit Wolfsmantel. Und die ganze verdammte Stadt hat mit ihren Gerüchten die Angst an die Spitze getrieben.“
Stephanus fröstelte. Seit ungefähr einer Stunde Standen sie schon bei der Kontrollstelle am Wegesrand. Ganz in der Nähe hörte er gro-Ogdum husten, und Meum-Te als Rückmeldung darauf wütend auf Argonisch schnattern. Zu ihrem Glück hatte sich der Wind im Laufe der Nacht gelegt, aber während der Tag durch die Wärme der Sonne unglaublich heiß gewesen war, war die Nacht ohne die Sonne umso kälter. Dieser krasse Gegensatz zwischen Heiß und Kalt war Stephanus durchaus bekannt. Dieser Effekt war besonders in Wüsten zu spüren.
Und der besagte Fremde war vor einigen Minuten an ihrem Posten vorbeigezogen, aber nicht, ohne ihnen hastig von dem angeblichen Drachenangriff auf der Straße vor ein paar Tagen zu erzählen.
„Diesmal ist es aber anders,“ beharrte der Nord. „Brarek Jungeiche hat mir erzählt, wie er mit einem von der Stadtwache geredet hat, und der hat ihm auch von Drachen erzählt. Kennt Ihr Helgen? Niedergebrannt, von einem einzigen Drachen allein. Ulfric Sturmmantel war da, und General Tullius auch.“
„Und wahrscheinlich auch noch der Kaiser selbst, während Sheogorath auf der Wiese nebenan Blümchen pflückte.“
„Ach, halt doch einfach die Klappe. Die gesamte Stadt redet davon. Und auch jeder andere Reisende,“ ereiferte sich der Nord.
„Gesamte Städte reden von einem Werwolf, der eigentlich nur ein Obdachloser ist.“
„Ihr seit zu ungläubig.“
„Ich bin zu vernünftig.“
Stahlzapfen spuckte verächtlich aus.
„Vergesst es einfach. Mit Euch zu reden hat keinen Sinn.“
Einige Minuten später brach der Nord dann wieder die Stille.
„Wie steht Ihr eigentlich zum Bürgerkrieg, Levinius?“
Stephanus seufzte leise und zuckte dann die Achseln. „Ein Krieg wie jeder andere auch.“
„Für welche Seite seit ihr?“
„Macht doch keinen Unterschied, oder?“
Eigentlich wollte er die Frage nicht beantworten... Aber, so überlegte er, selbst die unbedeutendste Konversation versicherte, dass er sich nicht allein mit seinen Gedanken an vergangene Zeiten wiederfand.
Er wog den Kopf hin und her, ließ geschlagen die Schultern sinken und sagte dann: „Legion.“
„War ja klar. Der Strahl möge dich treffen, Kaiserlicher Hundesohn.“
„Ach?“ Stephanus drehte sich zu Soldin um. „Und Ihr seit also ein Anhänger des großen Freiheitskämpfers Ulfric?“
„Himmelsrand sollte frei sein,“ erwiderte Stahlzapfen.
„Euch ist aber schon bewusst, dass wir auf der Seite der Legion kämpfen, oder? Also gegen die Sturmmäntel.“
„Ja ja, das weiß ich doch,“ stellte der Nord mit einer Wegwurfgeste klar.
„Ich will nur sicher stellen, dass die Qualität ihrer Truppen gewahrt wird.“
„Achso?“, wunderte sich Stephanus.
„Ja! Und außerdem stelle ich auch sicher, dass jeder Sturmmantel seinen Platz in Sovngarde verdient, bevor ich ihn ins Jenseits befördere.“
„Bravo,“ lachte der Kaiserliche, „die werden Euch für Euren Dienst bestimmt eine Statue in Windhelm stiften.“
Soldin lachte nun auch. „Das will ich aber schwer hoffen. Das währ doch das Mindeste.“
„Wenn Ulfric aber gewinnt,“ sagte Stephanus, nachdem sich das verhaltene Lachen wieder gelegt hatte, „und Himmelsrand unabhängig wird, wird die gesamte Provinz mit Sicherheit den Bach runtergehen.“
Stahlzapfen warf ihm einen skeptischen Blick zu. „Glaubt Ihr etwa, Nords können sich nicht selbst regieren?“
„Darum geht es nicht,“ stellte der Kaiserliche klar, „aber nach dem Bürgerkrieg würden zwei Generationen Nords fast am Stück durch die Kriege gebeutelt sein. Erst der große Krieg, und dann diese Scheiße jetzt.“
„Worauf wollt Ihr hinaus?“
„Die verdammten Hochelfen, Stahlzapfen. Die werden danach hierherkommen und einfach alles überrollen. Und das Kaiserreich wird dagegen auch nichts mehr tun können. Und danach...“ Seine Miene verfinsterte sich. „Danach schnappen sich die gelbhäutigen Bastarde eine Provinz nach der anderen.“
Soldin schwieg daraufhin nachdenklich, redete nach einer Pause aber doch weiter.
„Nein. Nein, so ist es nicht. Seht, das Kaiserreich ist so gut wie zerschlagen.Ein sterbender Schatten seiner Selbst. Alles, was es für Himmelsrand noch bewirkt, ist, dass die Menschen hier Steuern an den Kaiser zahlen müssen, ob sie wollen oder nicht. Hohe Steuern, um Cyrodiil und Was-weiß-ich wieder fein herzurichten. Im Gegenzug werden unsere Religion und unsere ältesten Bräuche verboten, damit ihr Kaiserlichen diese lächerlichen Forderungen der Hochelfen einhalten könnt. Das Kaiserreich zieht Himmelsrand nur runter. Und sobald es frei ist, können wir Nords eine vernünftige Verteidigung gegen die Aldmer aufbauen. Außerdem...“ Der Nord räusperte sich. Sein Gesicht war gerötet, denn er hatte sich wirklich in das Thema rein gesteigert. So viel an einem Stück hatte Stephanus ihn noch nie reden gehört.
„Außerdem, der große Krieg ist schon was her. Ja, es gibt hier und da noch einige Kriegsversehrte, aber die gibt es überall auf Tamriel, und sie machen auch keinen Großteil der Bevölkerung aus.“
„Und wenn der Bürgerkrieg so weitergeht, verkrüppelt Ulfric auch noch die jungen Männer und Frauen seines Landes.“
„Nicht, wenn das Kaiserreich die Unabhängigkeit akzeptieren würde,“ konterte der Nord.
Beide Männer schüttelten sacht den Kopf während sie wieder nach Osten schauten und das Thema fürs erste beiseite legten. Dass Soldin desertieren und sich auf die Seite der Sturmmäntel schlagen würde bezweifelte Stephanus aber. Nein, der Nord liebte es zwar zu töten, aber auch er hatte seine Prinzipien.
Außerdem wusste jeder, was Ganlydyn Menarven mit Deserteuren anstellte.
Stephanus zog seinen Mantel enger um sich, denn nicht nur seine Gedanken, sondern auch der wieder aufkommende Wind sorgten dafür, dass ihm unangenehm kalt wurde.
Himmelsrand, Fürstentum Weißlauf, Hügelgrab
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Zusammengerollt wie ein neugeborenes Kind in den Armen seiner Mutter lag Vesana auf ihrer Nachstatt, die Lider fest zusammengekniffen und in jeder Hand einen ihrer Dolche. Die Ohren gespitzt versuchte sie Geräusche aus ihrer Umgebung aufzunehmen, hoffen, dass es nichts zu hören gab. Doch anstatt die Stille als beruhigend zu empfinden, begann ihr Herz nur noch mehr zu springen und die Lungen nur umso heftiger zu brennen. Sie musste einen anderen Weg finden sich abzulenken. Zu liegen und zu warten würde früher oder später wohl ihren nervlichen Tod bedeuten. Wo war nur ihre Stärke hin? Sie setzte sich auf und lehnte sich gegen die Wand, den Tornister als Polster verwendend. War sie mit dem Sturz und ihrer Verletzung verflogen? An sich handelte es sich nicht um eine völlig neue Situation. Verletzungen hatte sie viele erlitten, einige noch weit schwerer als die jetzige. Allein war sie früher auch schon oft gewesen und dennoch machte es ihr gewöhnlich nichts, oder wenigstens nicht viel, aus.
Die Kaiserliche schob es schließlich auf ihre Umgebung. In einem stinkenden Loch befand sie sich immerhin zum ersten Mal. Keine Erfahrung, die sie zu wiederholen wünschte, sollte sie hier herauskommen. Aber vielleicht belog sie sich auch selbst, wenn sie es so einfach abtat, und das anschwellende Zittern in ihren Fingern und der Unterlippe schien eine direkte Strafe dessen zu sein. Vielleicht handelte es sich um einen Test? Obwohl sie Situation selbst für Hircine ausgesprochen grausam und völlig untypisch schien. Nein, es lag einzig an ihr und die Tatsache, dass sie nicht wusste, warum ihr ihre Lage eine derart große Angst einjagte, verschlimmerte es nur noch.
Wie Wasser am Bug eines Schiffes zerstoben ihre Gedanken, als die Jägerin kleine Steine rieseln hörte. Kaum mehr als ein Flüstern, aber doch deutlich über das schwache Rauschen des Blutes in ihren Ohren vernehmbar. Unwillkürlich hielt sie die Luft an und gefror zu Eis. Kaltes Wasser schien ihr den Rücken hinabzurinnen, doch vermochte sich ihr Leib nicht zu schütteln, zu verkrampft spannten sich ihre kraftlosen Muskeln. Kurz brach das Rasseln der Steinchen ab, dann ertönte es erneut und lauter, als schob sich etwas auf allen Vieren die andere Seite des Trümmerhaufens hinauf. Reflexartig deckte Vesa die flackernde Laterne mit dem unteren Ende ihrer Schlafunterlage ab und löschte sie das Licht. Die schlanken, schmutzverkrusteten Finger griffen fester um die Dolche. Mit verschränkten Armen wiesen die langen, scharfen Klingen von ihr wie die Stacheln eines Igels.
Abermals endete das klickende, rasselnde Rauschen der Steine. Es wich einem leisen, haarsträubend-widerlichen Knacken, als brächen Knochen in einem winzigen Leib. Feucht, schmierig, schmatzend. Scharf sog sie die Luft ein, als ihre Lungen danach zu ächzen begannen. Zu lange hatte sie ihr Atmen zu unterdrücken versucht. Beinahe verschluckte sie sich daran und das glucksende Aufbäumen ihres Überköpers hallte plötzlich derart laut durch den Tunnel, dass ihr das Blut vor Schreck in den Adern gefror. Das Schmatzen auf der anderen Seite der eingestürzten Tunneldecke endete abrupt und die Kaiserliche biss sich in den Ärmel ihrer Jacke um weitere Geräusche ihrerseits zu unterbinden. Doch es war zu spät. Anstatt des feuchten Knackens vernahm Vesana nun wieder das Rauschen kleiner Steine, lediglich weitaus aggressiver und intensiver als zu vor.
Gebannt und in völliger Starre, hoffend was auch immer dort den Trümmerhaufen erklomm, würde sie im Dunkel nicht erkennen, hielt sie still. Schwaches Licht drang inzwischen bis auf die Kuppe hinab und kleidete sie in gespenstig surreales Grau. Sie fühlte sich beinahe farbenblind, derart tonlos wirkten die Steine und das Erdreich, dass sie von ihrer Position aus zu erkennen vermochte. Wäre es nicht für die zwei plötzlich auftauchenden, eisblau leuchtenden Lichtpunkte gewesen, die in kalter Mordlust funkelten. Abermals hielt die Jägerin die Luft an, doch schien es nutzlos. Die Kreatur, die dort oben über die Trümmer gekrochen kam, musste sie bemerkt haben, denn nur kurz hielt sie inne. Dann setze sie ihren Weg kriechend fort und kam näher.
Instinkthaft zog Vesa die Schlafunterlage von der Laterne und eben noch an die Dunkelheit gewöhnt, flutete ihr warmes Licht plötzlich durch den Tunnel. Ein Stöhnen, das ein Kreischen hätte sein sollen, entwand sich der Kehle der spindeldürren, grauen Kreatur, die nur Haut, Sehnen und Knochen war, Fleisch und Lebhaftigkeit jedoch vermissen ließ. Das Licht, das nach kurzer Gewöhnung zu seiner gewöhnlichen Schwäche zurückkehrte schien dieses tot aussehende Monstrum zu blenden und es fluchte unaufhörlich. Schleifend wie ein Schwert am Stein klangen seine Laute, als es sich über die groben Felsen der alten Tunneldecke wand. Fellfetzen und blutige Sehnen hingen ihm aus dem unmenschlich weit aufgerissenen Mund und zwischen den schwarzen, verfaulten Zahnstummeln. Die Kaiserliche stemmte sich in die Höhe und nutzte sie die Paralyse des offenkundigen Untoten, dessen Haut die Farbe der Wände besaß.
Während sie an die Wand gestützt hinter ihre Laterne stolperte, nahm sie sich noch ihren Bogen und legte einen Pfeil auf die Sehne. Schief, den verletzten Fuß kaum belastend und vom im Bauch wild um sich schlagenden Hunger gekrümmt wartete sie ab. Das Kreischen der Kreatur riss nicht ab, es schmerzte ihr in den Ohren und schien unendlich weit durch den Tunnel hinter ihr zu hallen. Sie schüttelte sich und versuchte das Gefühl loszuwerden, dass es ihr in den Kopf zu kriechen versuchte. Benommen schüttelte sie das Haupt und spannte ihren Bogen. Mühsam beherrschte sie das Zittern, das ein genaues Zielen zu verhindern suchte.
Der Untote schien mittlerweile weniger vom Licht abgehalten, als noch zu Beginn, und kroch weiter. Erst jetzt fiel Vesana auf, dass er keine Beine mehr besaß. Ab den Knien fehlten die Knochen. Die faulige Haut hing in Fetzen unter einer kurzen, abgerissenen Lederhose hervor. Helle Sehnen verfingen sich hin und wieder zwischen größeren Steinbrocken. Genervt wirkend zerrte dann das Biest daran und versuchte mit widernatürlicher Kraft sich zu befreien. Der Anblick drehte ihr den Magen um und vertrieb die Luft in den Lungen. Ihre schüttelnden Finger wollten nicht mehr wie sie. Notgedrungen musste sie die Waffe in ihren Händen sinken lassen, um den Pfeil nicht zu verschwenden, denn die Köcher befanden sich noch neben ihrem Felleisen. »Scheiße!«, zischte sie leise und strich sich den kalt ausbrechenden Schweiß aus dem Gesicht.
Von dem von ihr ausgehenden Geräusch angespornt, krabbelte der faulige Torso weiter auf sie zu und erreichte inzwischen den Fuß des Trümmerhaufens. Ohne es beeinflussen zu können wich Vesa weiter ins Dunkel hinter ihr zurück, entfernte sich so von der Laterne und dem Untoten, dessen leuchtende, blaue Augen sie unentwegt anstarrten als könnten sie die Kaiserliche bereits schmecken. Hinter sich zog er eine frisch feuchte, dunkle Spur her, die gelegentlich kleinere Klümpchen und Brocken, manchmal im Kerzenschein rot schimmernde Splitter von Knochen unterbrachen. Die Reste des Waschbären zweifelsohne, die ihm aus den vergammelten Innereien fielen. Der Anblick und der ihn begleitende, süß-saure, ätzende Geruch von jahrhundertealtem Fleisch und Gewebe zwangen Vesana in die Knie. Kraftlos sanken ihre Hände und verkrallten sich im Stoff über dem pumpenden Bauch. Säure stieg ihr von Innen in die Nase, brannte in den Schleimhäuten und setzte sich auf die Zunge wie ein Pelz. Schon im nächsten Moment, noch bevor sie überhaupt zu realisieren vermochte, was ihr widerfuhr, krampfte ihr Magen und trieb ihr seinen blanken Saft durch den Hals zum Mund hinaus. Tränen traten ihr in die Augen und ließen die in Übelkeit ohnehin schon eingeschränkte Sicht weiter zerfließen.
Blind tastete ihre Rechte nach dem fallen gelassenen Bogen und als sie das Holz mit dem noch immer an der Sehne hängenden Pfeil fand, zog sie sich unaufhörlich würgend weiter zurück, um Abstand zu dem Kriecher zu gewinnen. Mühsam stand sie erneut auf und wischte sich einzelne Tropfen ihres Erbrochenen von der Unterlippe bevor sie ihre Waffe abermals spannte und derart stark zitterte, dass sie sich gegen die Wand lehnen musste, um wenigstens einen Arm davon abzubringen. Nur noch wenige Schrittlängen trennten sie von der Kreatur. Es musste jetzt oder nie geschehen. Vesa zog noch einmal an und ließ dann das Geschoss surrend von der Sehne schnellen. Es traf die Kreatur in die Schulter nahe dem Hals und provozierte ein ächzendes, gedehntes Zischen mit weitaufgerissenem, schwarzem Mund. Ihre Lippen öffneten und schlossen sich tonlos als der Untote nochmals aggressiver weiter auf sie zugekrochen kam.
Im blanken Entsetzen, das sich als eiskalte Faust um ihr Herz schloss und ihr die Eingeweide durcheinanderwirbelte, ließ die Kaiserliche den Bogen fallen und griff nach den zwei Dolchen am Gürtel, die sie zuvor dort hektisch deponiert hatte. Zitternd warf sie den ersten nach dem Monstrum, verfehlte ihn aber als ein neuerlicher Würgeanfall sie zu schütteln begann. Klirrend polterte die Waffe durch den Lichtkegel der Laterne und blieb nahe ihrer Nachtstatt liegen. Mühsam versuchte sie den starken Reflex zu unterdrücken, schaffte es aber nur ansatzweise. Die zweite Klinge surrte in einem besonders ruhigen Moment ebenfalls durch die Luft und traf das beinlose Biest in den Hals. »Verrecke Du Miestvieh!«, schrie sie ihm entgegen, als es noch immer nicht stillhielt und verausgabe so die brennenden Lungen nur noch mehr. Das Herz pochte ihr bis zum Hals und erfolglos versuchte sie einen klaren Gedanken zu fassen.
Als letztes Resort zog sie ihr Schwert aus der Scheide und hielt die Klinge zitternd mit beiden Händen fest. Der silberveredelte Stahl schimmerte im schwachen Licht, funkelte regelrecht lüstern, und wirkte doch schwach während er vibrierte wie eine angeschlagene Triangel. Der Untote streckte ihr inzwischen die abgemagerten, gammligen Finger seiner Rechten entgegen und versuchte sie mit seinen eingerissenen, zerfurchten Fingernägeln zu kratzen. Gerade noch rechtzeitig wich sie aus und schlug mit dem Schwert zu. Mühelos durchdrang die scharfe Schneide die über die Jahre im Grab brüchig gewordenen Knochen des Unterarms. Stumpf schlug die abgetrennte Hand auf dem feuchten, schmierigen Steinboden auf und entriss der Kreatur abermals ein schleifendes Kreischen.
Den verstümmelten Arm zurückziehend reckte es ihr nun unbeirrt die andere Hand entgegen. Die zu Klauen gekrümmten Finger hieben überraschend schnell nach Vesa. Mühevoll entging sie dem zweiten Angriff unversehrt. Durch all den Ekel und das Entsetzen, ja sogar vorbei an der Angst, die sie innerlich gefrieren ließ, quoll so etwas wie Wut in ihr auf. Es war nicht ihre, da fühlte sie sich sicher, aber die des Biestes. Zornig grollend schlug sie dem Untoten in dessen dritten Angriff auch die verbliebene Hand vom Leib. Diesmal blieb es aber nicht dabei. Tränenblind folgten weitere Schläge während denen sie sowohl den Torso, als auch die restlichen Armstummel und den Kopf traf. »Verrecke – Du – dreckiges – räudiges – stinkendes – scheiß – Vieh!« Ihr Widersacher kam nicht einmal mehr zum Stöhnen oder Zischen als sie ihn mit der Klinge malträtierte. Irgendwann ging die Jägerin kraftlos auf die Knie und stach auf den matschigen Haufen aus Knochen und Haut ein bis sie schließlich einfach umfiel und ihr der lederummantelte Griff ihrer Waffe aus den Fingern glitt. Auf den Resten der Arme und zwischen einigen haarträchtigen Fetzen der fauligen Kopfhaut blieb sie liegen, würgend, angewidert, und sich noch weitaus dreckiger fühlend als zuvor. Der bittere Duft des Todes zwang ihr neuerlich die Säure aus dem Magen. Hustend, spuckend und nach Luft ringend zuckte sie vor und zurück, blieb jedoch in dem liegen, was von dem Untoten nach ihrer blinden Hackorgie übrig blieb. Die erdbebenhaft zitternden Hände schlug sie vor das Gesicht und begann noch während sie sich erbrach zu weinen.
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Die Augen fest auf den in Stücke gehauenen, grauen Leib einige Schrittlängen von ihr entfernt gerichtet, schien das allmählich ungenießbar fest werdende Brot in ihrer Hand beim Kauen nur mehr und nicht weniger zu werden, egal wie oft sie auch schluckte. In Angst, es könne ihr jeden Augenblick wieder hochkommen, verging ihr jeder Rest an Appetit, ganz gleich wie sehr ihr leerer Magen auch knurrte und danach verlangte, gefüllt zu werden. Dazu hing der widerwärtige Gestank des faulenden Leichnams in der Luft wie dicker Nebel an einem Frühlingsmorgen. Beinahe unerträglich verbiss er sich in Vesas Nase, verspottete sie in ihrer Schwäche und umfing sie als fanatischer Liebender, der sonst nichts an sie heranlassen wollte. Lustlos biss sie in den Brotlaib und anschließend den Hartkäse in der anderen Hand. Kleine Stückchen und doch bröselte es ihr über die Lippen aus dem Mund als sie geistesabwesend kaute.
Hautreste und gammeliges Sekret klebten ihr überall an den Händen und der Brust, sogar im Gesicht hingen noch einige Fetzen. Für einen Beobachter musste sie zweifelsfrei nicht weniger abstoßend wirken als die Kreatur, die sie erschlagen hatte. Ohne sich von dem Untoten abzuwenden verstaute die Kaiserliche letztlich die Überbleibsel ihrer spärlichen Mahlzeit in einem Lederbeutel und anschließend in ihrem Felleisen. Weder fühlte sie sich gesättigt, noch in irgendeiner Weise gestärkt – im Gegenteil. Das Essen wog schwer wie Blei im Magen, fühlte sich nicht richtig an und nur mühevoll unterdrückte sie den Würgreflex, der sie anhaltend peinigte. Vereinzelte Tränen, ob aus Wut oder Verzweiflung wusste sie nicht zu sagen, rannen über ihre Wangen. Ihre Lippen erreichten sie jedoch nicht, blieben sie doch vorher vom Schmutz aufgesogen einfach unterwegs stecken.
Träge hievte sich Vesana mit Hilfe der nahen Wand auf die Füße hoch, verstaute den Dolch, der zuvor sein Ziel verfehlt hatte, am Gürtel und näherte sich im Anschluss der zerfledderten Leiche. Widerwillig zwar, ihre Beine wurden mit jedem Schritt wackeliger, aber sie zwang sich dennoch näher an ihn heran. Vom Anblick und dem intensiven, bitter-süßen Geruch abgestoßen hob sie den linken Arm und presste Nase und Mund in die Kehle des Ellbogens. Immerhin im Ansatz milderte der starke Geruch des an dieser Stelle nicht mit dem Sekret und Fetzen des Wiedergängers besudelten Leders den Gestank. Zunächst riss sie ihren zweiten Dolch aus dem Hals. Schmatzend löste er sich heraus, die klebrigen Hautränder der von ihm geschlagenen Wunde wollten ihn nur widerstrebend hergeben. Die Jägerin wiederholte es mit dem in der Schulter steckenden Pfeil und warf ihn kurzerhand zu den am Tornister deponierten Köchern hinüber. Den Bogen legte sie sich um die Schultern und zuletzt riss sie ihr Schwert begleitet von gänsehauterregendem Knacken aus den zertrümmerten Rippen heraus.
Für einen Moment blieb sie über dem Leib stehen und betrachtete ihn von oben herab. Das kalte, helle Blau seiner Augen war erstorben, dunkle, nachtschwarze Höhlen blieben dort zurück, die nicht minder furchteinflößend wirkten. Ein kalter Schauer lief ihr bei dem Anblick von der Schädelbasis bis hinab zum Steiß. Das folgende, heftige Zittern versuchte sie gar nicht erst zu unterdrücken. In dessen Zuge nahm sie auch den Arm vom Gesicht und bereute es noch im selben Augenblick. Als mächtige Keule prügelte der bestialische Gestank auf sie ein und trieb ihr die Tränen in die Augen. Nur verschwommen fiel Vesas Blick dabei auf etwas am ranzigen Gürtel der Kreatur. Ein kurzer Holzschafft, in etwa passend zu einem Stiehl einer Streitaxt, hing dort. Nur dass ihm das Axtblatt fehlte und an dessen Statt lediglich eine rostige, eiserne Kappe auf dem dunklen, vermoderten Holz saß. Das Gesicht abwendend, kniete sie sich so weit vom Kadaver weg wie möglich neben diesen. Die Finger ausgestreckt tastete sie im toten Winkel ihres Blickfeldes nach dem, das früher vielleicht einmal ein einfacher Streitkolben gewesen sein mochte und bekam es schließlich auch zu fassen. Erst leicht, dann stärker riss sie an ihm herum bis er sich schließlich knirschend und schmatzend aus dem verrosteten Eisenring und dem um ihn geschlungenen Stoff der Hose löste. Mit Feuchtigkeit vollgesogen wog er schwer in den Händen der Kaiserlichen, als sie ihn wendete und betrachtete.
Unschlüssig drehte sie die alte, stumpfe Waffe hin und her, brach gelegentlich einige dünne Rostplatten vom alten Eisen und ließ ihn folgend weiter rotieren. Von einem Seufzer begleitet, der ebenso gut in einem neuerlichen Brechanfall hätte enden können, wandte Vesa schließlich noch einmal den Blick auf die zerfledderte Leiche. Was früher einmal ein Mann gewesen sein konnte – die übrig gebliebenen Haare im unteren Teil des abgemagerten, knöchernen Gesichtes deuteten darauf hin – sah nun nicht anders aus als fauliges, verschimmeltes Obst, auf dem jemand herumgetrampelt war. Stofffetzen eines alten Hemdes und was aussah wie alte Bandagen umspannten den Oberkörper. Im flackernden Schein der sterbenden Laterne schillerten sie seltsam anmutend in bunten, violettstichigen Farbnuancen über dem allgemeinen Braun ihrer ranzigen, uralten Erscheinung. Das ölige Schimmern des Stoffes mochte so gut von alten Ölen zur Salbung wie von fettigen Ausdünstungen des toten Körpers stammen.
Mit Ausnahme des Streitkolbens in ihrer Hand, entdeckte Vesana sonst nichts Verwertbares am Leib des Toten. Gerade wollte sie sich abwenden und zu ihren Sachen hinken, da kam ihr aber eine Idee. Kurzerhand riss sie so viele lose Stoffbahnen von der Leiche, wie sie zu fassen bekam ohne mit dem grauen Gewebe von Haut und Knochen in Berührung zu kommen. Schmierig fühlte sich das alte Leinen an. Es roch ebenso bestialisch wie der Wiedergänger, einige seiner Reste hingen am Stoff. Dennoch wickelte sie diesen um das eisenbesetze Ende des Knüppels in ihrer Hand und kehrte im Anschluss zu ihrer Nachtstatt zurück, wo von der dicken Kerze in der Laterne kaum mehr als ein Stummel übrig war. Schnell hielt die Jägerin ihre letzte Hoffnung auf fortwährendes Licht in die kleine Flamme. Rauchend und rußend fing der Stoff Feuer. Fast schon widerwillig züngelten die gelben Lohen um den schlanken Kopf des Streitkolbens, an ihrer Basis schimmerten sie giftig grün. Beißender Qualm ging von den immer greller werdenden Feuerzungen aus und verteilte sich im Tunnel. Der Geruch von verbranntem Fleisch und Horn übertünchte sogar zeitweilig den des fauligen Kadavers bis schließlich der komplette Stoffummantelte Teil ihrer improvisierten Fackel lichterloh brannte und allmählich nur noch von den aufgesaugten Fetten und Ölen zehrte, die menschlichen Überreste völlig verschlungen.
Weit heller als es die Kerze selbst zu ihren besten Zeiten nicht vermochte leuchtete die schwere Fackel ihre Umgebung aus, offenbarte jedoch nicht viel mehr. Zu lang reichte der Tunnel unter der Erde gerade aus und so verlor sich auch ihr neues Licht nur allzu früh im ewigen Dunkel. »Verdammte Scheiße«, zischte Vesa. In Anbetracht dessen, dass sie wohl wenigstens noch einen kompletten Tag hier unten ausharren musste, kam ihr die Weitläufigkeit des zugänglichen Teils des Hügelgrabes ausgesprochen ungelegen. Wollte sie sich überhaupt auch nur ansatzweise so etwas wie sicher in ihrem provisorischen Lager fühlen, würde kein Weg daran vorbeiführen dem Tunnel wenigstens ein Stück weit zu folgen, um zu sehen, wo er hinführte. Andererseits mochte es das seit dem Angriff des Wiedergängers anhaltende, beklemmende Gefühl beobachtet zu werden, womöglich sogar noch verstärken. Den Gedanken daran schob sie schnellstens beiseite. Lieber lief sie umher, als noch länger auf dem Präsentierteller zu sitzen und nichts zu tun außer zu warten. Warten und mit sich selbst zu kämpfen schien ihr jedenfalls in Anbetracht der fortwährenden Übelkeit, die sich wie ein Parasit in ihrem Magen festsetzte, und dem Gestank die schlechtere Handlungsoption.
Bevor sich die Kaiserliche umentscheiden konnte, suchte sie ihre Sachen und humpelte los. Mit Bogen und Köcher auf dem Rücken, zwei Dolchen am Gürtel und dem besudelten Schwert in der Rechten arbeitete sie sich an der Wand entlang. An dem Toten vorbei, nicht über den Trümmerhaufen in die Richtung aus der er gekommen war. Lieber kundschaftete sie einen möglichen Rückzugsweg aus, falls noch ein paar seiner Freunde vorbeikämen. Ihren angeschlagenen Fuß noch immer nicht mehr als unbedingt nötig belastend kam Vesana zwar nur langsam voran, aber wenigstens entfernte sie sich allmählich aus dem nach süßer Fäulnis riechenden Abschnitt des Tunnels.
Dünne und dicke Wurzeln, manches Mal ein ganzer Vorhang feinsten Wurzelgeflechts, durchbrachen die schwarzen Steinwände, den Boden und sogar die Decke über ihr. Es glich einem Wunder, dass hiervon noch nichts eingestürzt war. Sie begrenzten aber auch die Reichweite des Lichts ihrer Fackel. Zittrig hielt die Jägerin diese umklammert, der kalte Schweiß ließ ihre Hände glitschig werden und sogar um den sonst rutschfesten Griff ihrer Klingenwaffe musste sie nachgreifen. Jeder Schritt, der sie weiter von ihrem Lager fortbrachte, ließ ihr Herz wilder schlagen, als wollte es ihr sagen, dass es Zeit zum Umkehren war. Wohl öfter als nach vorn, schaute sie über die Schulter zurück, stets mit dem unguten Gefühl im Nacken, dass sie verfolgt wurde. Dennoch setzte sie ihren Weg fort, wenngleich ihr die Knie weich zu werden drohten und sie häufiger innehalten musste, um durchzuatmen.
Irgendwann, es kam ihr vor wie eine halbe Ewigkeit, konnte aber ebenso gut lediglich eine halbe Stunde oder weniger gewesen sein, schälte sich vor ihr etwas aus der Finsternis, das ihr gar nicht behagte und der Monotonie des Tunnels ein Ende setzte. Unruhig verkrampfte ihr Magen und die verspannten Muskeln der Schultern sowie im Nacken jagten ihr unangenehme Stiche in den ohnehin dumpf pochenden Kopf. Die Wunde am Hinterkopf blutete zwar nicht mehr, aber Vesa spürte sie noch immer als brennende Erinnerung an ihren Sturz. Unregelmäßig ging ihre Atmung, als sie schließlich an der Weggabelung ankam. Einer gerade aus, ein weiterer führte leicht ansteigend nach links, der andere etwas abschüssig nach rechts. Jeder von ihnen nicht heller als die übrigen. »Scheiße.« Mit dem linken Ärmel wischte sie sich über das schweißgetränkte Gesicht und schloss einen Moment die Augen. Umkehren und die andere Richtung erkunden? Einem der Wege hier weiter folgen? Oder doch in ihrem Lager auf Rettung warten?
Sie entschied sich dazu, dem ansteigenden Weg zu folgen. Nach oben zu gehen konnte nie falsch sein. Zumindest wenn sie von unter der Erde an die Oberfläche gelangen wollte. Auf unsicheren Schritten arbeitete sich die Kaiserliche vorwärts. Schief mit dem Ellbogen des rechten Armes gegen die von Feuchtigkeit schmierige Wand gestützt entlastete sie so den verletzten Fuß, dem der nur sehr geringfügig steigende Tunnel erhebliche Probleme bereitete. Heißes Brennen und kalte Gefühllosigkeit wechselten einander ab. Tränen standen ihr in den Augen.
Grobe, schwarze Steine tauchten in ihrem Sichtfeld auf. Sie wirkten, als wären sie direkt aus den Wänden geschlagen und dort liegen gelassen worden, wo sie gelandet waren. Scharfe Abbruchkanten fanden sich an ihnen ebenso wie von der Feuchtigkeit angefressene, runde Seiten. Eine Vorahnung beschlich sie, die ihr den Magen zusammenzog und wenig später wurde sie Wirklichkeit. Vor einem deckenhohen Haufen aus Erde, Wurzeln und Steinen stehenbleibend rannen ihr dicke Tränen der Enttäuschung aus den Augen über die Wangen. Die bebenden Lippen fingen einige von ihnen auf. Eine Sackgasse. Kraft- und hilflos sank sie mit dem Rücken an der Wand hinab. Die Beine angewinkelt, das Schwert klirrend auf dem steinernen, unendlich kalt wirkenden Boden abgelegt und die Fackel auf der anderen Seite neben sich starrte sie gegen den dunklen Fels gegenüber. Es wäre auch zu schön gewesen.
Sollte sie die anderen Wege doch noch auskundschaften? Nein … Nein, es wäre zwecklos. Sie würde sich nur unnötig verausgaben. Schlimmstenfalls stieß sie womöglich noch auf ein Nest dieser untoten Biester und hätte dann eine ganze Horde von ihnen an den Fersen. Nein, wahrlich, das konnte sie nicht riskieren, denn geschweige gebrauchen. Halb stöhnend, halb knurrend zog sie sich auf die Beine und lief den Weg, den sie gekommen war, zurück.
Unterwegs hielt die Kaiserliche dennoch kurz an der Wegkreuzung an und lauschte in die undurchdringliche Schwärze außerhalb des Fackelscheins. Schwere Wassertropfen fielen irgendwo hinab und klatschten auf den steinernen Untergrund der Tunnel. Ein leichter Windhauch flüsterte aus einer anderen Richtung ein schauerliches Lied von Tod und Trauer. Ihre Nackenhaare stellten sich dabei unangenehm auf und abermals griff sie fester um ihr Schwert. Dazu gesellten sich das Rauschen und Pochen ihres eigenen Blutes in den Ohren und ihre tiefen Atemzüge bei halb geöffnetem Mund. Am ganzen Leib zitternd schloss sie kurz die Augen und versuchte das leise Schleifen des modrigen Luftzugs, als dieser zwischen Wurzeln und durch Kerben in den Steinen pfiff, zu verdrängen.
Schneller als zuvor, ein Hauch von panischer Angst im Magen trieb sie an, betrat Vesa den Tunnel zurück zu ihrem Lager. Doch als die ersten Dekorationen dessen Umfelds in das Licht ihrer Fackel traten, hielt sie schlagartig inne. Das Blut in den Adern erstarrt und die Gedanken ins Jenseits befördert starrte sie auf die plumpen, ungelenken Bewegungen am Rand des Lichtkreises. Widerwärtiges Ziehen, Reißen und Knacken schwappte zu ihr hinüber wie das leise Rauschen der Uferwellen eines Sees an einem windstillen Abend. Es kostete sie sämtliche verbliebene Beherrschung, nicht laut zu schreien und auf der Stelle umzudrehen und davonzurennen. Vermutlich hätte sie damit nur auf sich aufmerksam gemacht, denn die zwei neuen Wiedergänger, die über ihrem geschlachteten Kumpan knieten und sich seine Reste in die weit aufgerissenen, mit schwarzen Zähnen bestückten Mäuler schoben, beachteten sie nicht im Geringsten.
Grotesk und abstoßend mutete die Szenerie an. Die zwei abgemagerten, dürren Gestalten, mit aschgrauer Haut, die direkt auf den Knochen lag, und glühenden Augen in hellem Blau. Dazu ihre abgewetzte Kleidung und die rostigen, stumpfen Schwerter an ihren verfaulten Gürteln. Fetzen ihres inzwischen tatsächlich verstorbenen Kameraden hingen ihnen zwischen den Zähnen und klebten in den Resten von dem, was früher einmal bärtige Männergesichter gewesen sein mochten. Angst, so kalt wie das älteste Gletschereis Solstheims, ließ sie frieren und erstarren. Unfähig, etwas zu tun, starrte sie auf das Bild, das sich ihr bot. Sie schüttelte sich von Kopf bis Fuß und ihre Knie wurden allmählich weich. Während sich ihre Eingeweide verkrampften bekam sie das Gefühl, sie würden vom bloßen Zuschauen derart verfaulen wie die Organe der Wiedergänger vor ihr.
Nach schier unendlich langen Augenblicken der Starre, schaffte es Vesana sich doch noch zu bewegen. Langsam, zeitlupenhaft und als befände sie sich in einem Alptraum, aus dem sie nicht entkommen sollte. Ein Schritt hinter den anderen. Leise, so penibel darauf bedacht, jeden Laut zu vermeiden, wie sonst nie zuvor. Die Szene verschwand aus ihrem Lichtkreis, wenngleich sie die begleitenden Geräusche, nun da sie sie zuzuordnen wusste, weiterhin hören konnte oder es sich zumindest einbildete. Fast schon irre, begann sie zu grinsen, als schließlich auch noch die hörbaren Hinweise auf das Geschehen verschwanden. Gerade wollte sich die Jägerin umdrehen, da stieß sie mit der Schulter gegen etwas. Keine Wurzel, dafür war es zu schwer und träge, aber auch kein Stein, zu weich kam es ihr vor. Das Herz bis zur Zunge schlagen spürend, drehte Vesa den Kopf und schaute hinter sich. Halb hob sie das Schwert, doch so recht wollte der mit einem Mal kraftlose Arm nicht ihrem Willen folgen.
Im Augenwinkel tauchte etwas auf, das ihr den Atmen stocken ließ und sogar das Herz zum schmerzhaften Stillhalten verdammte. Sie blickte in das kalte, eingefallene Gesicht eines weiteren Untoten, der gerade das Maul aufriss und ihr seinen gammeligen Mundgeruch entgegenströmen ließ. Für den Bruchteil eines Lidschlages sah es so aus, als grinste er in abstoßender, gehässiger Weise, doch dann fletschte er die Zähne weiter bis der graue Kieferknochen und die schwarzen Reste des Zahnfleischs zum Vorschein kamen. Ihre Knie gaben nach, als er mit seinen spindeldürren Fingern nach ihr langen wollte und noch im Fallen entriss sich ein gellender Schrei des Entsetzens ihrer Kehle.
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Zweifelsfrei musste ihr Schrei auch von den anderen beiden Untoten vernommen worden sein und obwohl sie sich der Gefahr, die von ihnen ausging, bewusst war, lag sie einfach nur auf dem Rücken, gelähmt und unfähig, sich zu bewegen. Wie eine Schildkröte. Erst als der Wiedergänger seine knöcherne Hand nach ihr ausstreckte und sie packen wollte, trat sie nach ihm, nicht auf die Idee kommend das Schwert zu benutzen. Noch im selben Augenblick bereute sie es, als heiße Stiche und flammende Qualen von ihrem verletzten Knöchel ausgingen, nachdem er das Schienbein ihres Gegners getroffen hatte. Der bis dahin unterdrückte und kontrollierte Schmerz brach sich nun wieder Bahn. Tränen rannen ihr aus den Augen während sie halb wimmernd, halb knurrend nur noch den unverletzten Fuß nutzte, um den wandelnden Leichnam auf Abstand zu halten.
Es schien ihr, als würde er allmählich genervt von ihrem Widerstand und griff irgendwann, da er sie mit den bloßen Klauen nicht zu fassen bekam, nach dem rostigen Schwert an seinem Gürtel. Knirschend und rau schabend löste es sich aus dem einfachen Eisenring, der es hielt und eine Scheide ersetzte. Kleine Brocken des verwitterten Metalls fielen zu Boden und Vesana schob sich rücklings mit Ellbogen und dem unverletzten Fuß fort. Der Wiedergänger war jedoch schneller auf seinen klapprigen Beinen und holte sie ein. Überraschend schnell für eine vergammelte Leiche hob er seine Waffe und hieb nach ihr. Die Augen vor Schreck zusammengekniffen hob sie nur im Reflex den Schwertarm. Das folgende, helle Klirren als Metall auf Metall traf schmerzte ihr in den Ohren und ließ sie unkontrolliert zucken.
Es folgten einige weitere Hiebe, die sie alle eher dürftig parierte – entweder mit dem Schwert oder ihrer improvisierten Fackel. Letztere verlor stets einige glühende Stofffetzen, wenn sie vom rostigen Eisen getroffen wurde. Allein die panische Angst, die zwei übrigen Untoten könnten noch zu ihnen stoßen, welche ihr wie eine faustgroße Zecke im Nacken saß und ihr das Blut aus dem Kopf weichen ließ, trieb Vesa schließlich dazu, ihrerseits nach ihrem abartig stinkenden Kontrahenten zu schlagen. Dank der Waffe des anderen verfehlte sie zwar ihr eigentliches Ziel, dafür wurde ihr Hieb jedoch so weit von der Brust abgelenkt, dass er quer über den Bauch schnitt. Die ausgezehrte, graue Haut platzte auf wie eine Eiterblase, derart unter Spannung stand sie. Graubrauner, übelkeiterregender Brei, der wohl einst die Eingeweide gewesen sein musste, quoll hervor und ergoss sich über die Beine der Jägerin. Es roch nach alter Galle, Magensäure und allerlei anderem verfaultem Bauchinhalt und stieg ihr in die Nase wie ein Speer. Völlig von der Wucht überrumpelt fühlte sie sich erschlagen und erdrückt unter tonnenschwerem Gestank während der Wiedergänger kreischte als gäbe es kein Morgen.
Kurz wurde ihr schwarz vor Augen, Brot und Käse der vergangenen Mahlzeit suchten sich einen Weg nach draußen. Erst als sie etwas schweres und hartes in die Seite traf bekam sich die Kaiserliche unter Kontrolle. Auf ihr lag das rostige Metallband, das einmal ein Schwert gewesen war. Perplex suchte sie nach dem Untoten, unstet wanderten ihre Augen durch das dunkler gewordene Zwielicht während die Fackel, ihren Fingern entglitten, in Griffweite auf dem Boden lag. Ihr Widersacher war ein paar Schritte zurückgetaumelt und hielt sich den breiten Schlund in seinem Bauch. Darmreste und anderes Gewebe hingen zwischen seinen Fingern heraus. Die kalt glühenden Augen starrten sie hasserfüllt an und eine frostige Aura des Zorns ging von ihm aus, wie Vesa sie nie zuvor erlebt hatte. Den Mund aufgerissen zischte, fauchte und kreischte er unaufhörlich.
Vesa rappelte sich auf die Knie hoch, während der Untote noch mit sich selbst beschäftigt war und die augenscheinlich sehr irritierende, wenn sicherlich auch nicht wirklich schmerzvolle, Verletzung mit seinen dürren Händen hielt. Vermutlich war es mehr die Erinnerung an den Schmerz, den eine solche Wunde hervorrief, als diese selbst – zumindest wenn diese stinkende Ausgeburt irgendwelcher kranker Magie so etwas wie Erinnerungen überhaupt noch besaß. Die Kaiserliche griff sich ihre Fackel und stand wankend auf. Ihre Hose klebte, die Stiefelsohlen lösten sich nur schwer vom Untergrund und glitten stets ein Stück in eine willkürliche Richtung, wenn sie sie in dem widerwärtigen Brei versuchte abzusetzen. Dennoch, mit dem Gefühl im Nacken bald weitere Gesellschaft zu bekommen, schaffte sie es erneut nach dem Untoten zu schlagen.
Dieser wich zunächst zurück und hob schließlich die Arme zur Verteidigung, doch nützte ihm das nichts. Ihre von schwarz gewordenem Körpersekret besudelte Klinge durchtrennte ihm den rechten Arm oberhalb des Ellbogens und die nachgezogene Fackel traf gegen seine Brust. Er taumelte und stürzte, während Funken auf seine zerfledderte Kleidung übersprangen und sie in Brandsteckten wie einst die Kerze die ölgetränkten Stoffbahnen des Beinlosen von zuvor. Kreischend und derart heftig qualmend, dass der Tunnel rasend schnell von schwarzem Dunst ausgefüllt wurde, fiel der Wiedergänger letztlich um und wand sich hin und her. Vesana beschrieb einen Bogen, soweit möglich, und presste sich den Jackenärmel vor das Gesicht, um nicht zu viel von den sicherlich giftigen Dämpfen einzuatmen, als ihr Widersacher in grellen, grüngetünchten Flammen verging.
Ein Blick über die Schulter folgte. Am Rande des Lichtkreises, den die untote Fackel am Boden warf, machte sie eine Bewegung aus. Bald noch eine und wieder eine, bis sich schlussendlich die zwei anderen Wiedergänger aus der Schwärze schälten und fauchend innehielten. Die Schwerter in den Händen kreischten sie in unmenschlichen Tonlagen, eine Mischung aus Greifvogel, Raubkatze und Schmerzensschreien. Ein furchteinflößendes Geräusch, das Vesa abermals in heftiges Zittern versetzte. Wie angewurzelt blieb sie stehen, die Füße schwer und die Beine schwach.
Letztlich rührte sich der Untote am Boden nicht mehr und schmorte lediglich vor sich hin. Es schien ein Startsignal gewesen zu sein, denn die beiden verbliebenen setzten sich simultan in Bewegung. Gleichzeitig fiel auch von ihr die Starre ab und im Reflex wandte sie sich um. So schnell sie vermochte, humpelte die Jägerin durch den Tunnel, ignorierte die Wurzeln, die ihr oft ins Gesicht schlugen und versuchte den heiß pochenden Knöchel auszublenden, so gut es ging. Trotz der neu gefassten Entschlossenheit, wenn sie ihren instinktiv aus den animalischen Tiefen ihres Bewusstseins aufsteigenden Fluchtreflex so beschönigen wollte, kam sie nur langsam voran. Viel zu oft knickte sie um, übersah mit tränengelöster Sicht besonders dicke Lebensanker der Bäume und wurde von ihnen umgeworfen, oder benötige schlichtweg einen kurzen Augenblick des Verschnaufens. Ihr unruhiger Magen und die von der Übelkeit verstärkte Atemlosigkeit taten ihr übriges. Abschütteln würde sie ihre zwei Verfolger, deren klapprige Schritte und in die Knochen fahrendes Zischen und Fauchen ihr dicht folgte, sicherlich nicht. Aber ebenso wenig würde sie in einem Kampf mit den beiden als Siegerin hervorgehen. Es glich schon allein einem Wunder, dass sie ihr Schwert und die Fackel noch festhielt, derart kraftlos und zittrig waren ihre Finger.
Vesana erreichte die Kreuzung von zuvor und bog halsüberkopf links ab. Erst nach und nach verlangsamte sie ihre Schritte und blieb schließlich stehen, als ihr der fatale Fehler, den sie begangen hatte, vollends dämmerte und ambossschwer auf sie niederdrückte. Kalte Schauer des Entsetzens rannen ihr den Rücken hinab, ließen sie frieren als befände sie sich mitten in einem Schneesturm. Dann kehrte sie um, befürchtete jedoch das Schlimmste. Zurück an den abzweigenden Tunneln kamen gerade die beiden übrigen Untoten in steifbeiniger Weise aus dem Korridor gehumpelt, in dem sich ihr Lager befand. Unfähig so kurz vorher noch anzuhalten, noch dazu da sie sonst mit ihrem angeschlagenen Fuß das Gleichgewicht verloren hätte, stieß sie frontal mit einem von ihnen zusammen.
Taumelnd drehten sie sich umeinander und stolperten anschließend auseinander. Sie schrie im Entsetzen und panischer Angst, die ihr Herz zum Zerspringen brachte, der Wiedergänger krächzte und fauchte. Sein Kumpan benötigte einige Schritte bevor er zum Stehen kam und sich dem Geschehen zuwenden konnte. Die Kaiserliche krachte unterdessen Schulter voran gegen die Wand direkt an der Ecke zwischen zwei Tunneln. Das Schwert entglitt ihren Fingern als auch ihr Haupt ob der Trägheit und Überraschung herumschnappte und gegen den Stein schlug. Es verschwand laut klirrend aus ihrem Sichtfeld. Benommen taumelte sie weiter und ging auf ein Knie hinab, nicht wissend welchen der Korridore sie gerade überhaupt betreten hatte.
Es spielte jedoch auch keine Rolle mehr. Von tief unten spürte sie Zorn sintflutartig in ihr Aufsteigen. Ein tiefes Grollen, dunkler und bedrohlicher als das jedes Bären und so vibrierend, dass es ihr selbst eine Gänsehaut bereitete, brandete aus ihrer Kehle auf. Wut packte sie mit glühenden Fingern und das flackernde Licht der Fackel wurde dunkler, als die Quelle dumpf zu Boden fiel. Im nächsten Moment drückte sie sich kraftvoll mit dem gesunden Fuß hoch. Dem jedoch nicht genug, der Schwung trieb sie in die Luft bis sie die Bodenhaftung verlor und in direkter Linie auf den näherstehenden der beiden Untoten zuflog. Von der Angst, die sie zuvor in ein Gefängnis aus unsichtbaren Handfesseln gesperrt hatte, spürte sie in diesem Moment nichts mehr. Lediglich der abgrundtiefe, animalische Hass auf diese abstoßenden Kreaturen der Finsternis und schwarzen Magie brodelte in der Wölfin, die sich ob der Schwäche beider ihrer Formen irgendwo auf halbem Wege der Verwandlung befand. Vom Hunger erheblich geschwächt mochte dies das letzte Aufbäumen ihrer Bestie sein, bevor auch sie in eine Starre der Verzweiflung und Resignation verfiel.
Den Mund weit aufgerissen und die scharfen Eckzähne entblößt streckte Vesa die aschgrauen Hände mit den dunklen Klauen vor. Zu schnell, um darauf reagieren zu können, erreichte sie den Wiedergänger. Schmatzend, als fasste sie ihn Schlamm, und doch auch reißend wie Pergament zersprang die zähe Haut um den Brustkorb der Abscheulichkeit. Diese kreischte, doch erstarb ihr Aufbegehren als seine Angreiferin die Füße nachzog und ihm mit der Wucht des Aufpralls ihres restlichen Körpers die Rippen herzzerreißend knackend bis zur Wirbelsäule eindrückte. Gemeinsam stürzten sie nieder, überschlugen sich und blieben letztlich liegen als der Untote Vesanas Zusammenstoß mit einer Tunnelwand dämpfte und sein spröde gewordener Schädel unter ihrer Schulter zerbarst.
Schnellstmöglich hievte sich die Jägerin zurück auf die Füße und blieb knurrend, die Zähne gefletscht, vor dem verbliebenen Widersacher stehen. Die Kreatur vor ihr musterte sie einen Moment mit seinen glühenden Augen, die ob ihrer geschärften Sehkraft nun noch stärker aus seinem grauen, eingefallenen Gesicht hervorstachen. Die alten Haare hingen, dem was einst ein Mann gewesen war, in verfilzten Strängen von der Kopfhaut, manches Mal zogen sie diese sogar ein Stück vom Knochen. Die Lippen waren abgefault und so starrte die Wölfin in ein abstoßend schelmisch wirkendes Grinsen schwarzer Zähne und grauer Kieferknochen. Das rostige Schwert hielt er mit beiden Händen und nahm es unvermittelt zur Seite. Während er unbeholfen auf Vesa zugestürzt kam, holte er so zu einem kräftigen Schwung aus. Doch die Jägerin war schneller und sprang auch ihm frontal gegen den Leib. Das Spiel von zuvor wiederholte sich, nur dass sie es nicht dabei beließ, ihn auf dem harten Grund zu zerschlagen. Brüllend und heulend kniete sie über ihm und zerfetzte ihn mit ihren scharfen Klauen. Rippenteile, Haut- und Kleiderfetzen, Reste der Innereien und andere Knochensplitter verteilte sie auf der Kreuzung der Wege, bis ihr letzten Endes die Luft wegblieb und sie sich taumelnd erhob.
Schwindelig und orientierungslos schwankte sie in einen der Tunnel hinein. Ihre Augen verloren mit jedem Schritt an Schärfe und überließen sie der scheinbar dickflüssigen Dunkelheit. Mit der verklungenen Wut verschwand nun auch ihre Anspannung und so etwas wie zynische Erleichterung ergriff von ihr Besitz. Froh, die Verfolger los zu sein scherte sie sich nicht darum, ob neue kommen könnten. Ihr fehlte schlicht die Kraft zur Sorge. Schließlich versagten ihr auch die Knie den Dienst und nur das sonnengleiche Brennen in ihrem verletzten Fuß, das ihr unaufhörlich neue Tränen in die Augen trieb und ihr das Gesicht bei jeder noch so kleinen Erschütterung verzog, verhinderte, dass Vesana bereits hier und jetzt ins Reich der Träume und weiter weg abdriftete.
Kriechend wie ein Tier, das sich zum Sterben verkroch, bewegte sie sich fort und es schien, als beschwerte ein zentnerschweres Gewicht ihren ganzen Körper. Immer langsamer kam sie voran, je weiter sie sich zog. Sie befürchtete schon, der Tunnel könne bald so sehr ansteigen, dass sie bäuchlings zurück zu seinem Anfang rutschen könnte. Doch dann erreichte sie etwas, das ein Deckenbruch unter der Last des Erdreichs darüber gewesen sein mochte. Grobe Steine, vermengt mit Erdreich und abgerissenen Wurzeln türmten sich hier bis zur Tunneldecke auf. Erschöpft und müde, hungrig und doch appetitlos, verzog sie sich an den Rand des Korridors, wo einige besonders große Bruchstücke eine kleine Nische formten. Die Kaiserliche winkelte die Beine an, umschlang sie mit den Armen und legte das Haupt mit der Stirn auf ihnen ab, als könne ihr in dieser Position die Welt untertage nichts mehr anhaben. Sacht wippte sie vor und zurück, kaum merklich, als wehte nur ein laues Lüftchen und sie wäre ein Blatt ein einem Baum.
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Cyrodiil, Kaiserstadt, Talosplatz-Bezirk; Hafenviertel
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Das Leben ist ein Spiel und die Würfel können auf jede Seite fallen. Für Revan war das Ergebnis mehr als nur einmal lebensgefährlich. Aber er hatte bisher immer Glück gehabt, so auch jetzt. Zumindest hoffte er, dass er auch dieses mal Glück haben würde. Der Dunmer lag halb bewusstlos unter einem Trümmerhaufen begraben. Wie konnte das nur passieren? Er würde noch genug Zeit haben, diese Frage zu stellen und vielleicht eine Antwort darauf zu finden. Die Ereignisse der letzten Tage holten ihn in seinen Träumen ein, während er nur darauf warten konnte sein Bewusstsein wieder zu erlangen...
Der Abstecher in seine Stammkneipe war völlig normal abgelaufen, zumindest bis zu dem Zeitpunkt ab dem der billige Fusel und das Rauschkraut seine Sinne vernebelten und eine Lücke in seiner Erinnerung hinterließen. Völlig verkatert wachte er am nächsten Tag gegen Mittag in seinem Bett auf und leerte zuerst die Flasche mit Schnaps, welche auf seinem Tisch stand, einerseits um die aufkommende Übelkeit zu betäuben, andererseits um durch den starken Geschmack und Geruch nicht sofort wieder die Besinnung zu verlieren.
„Na, hast du deinen Rausch ausgeschlafen?“, spottete jemand aus Richtung der Tür. Revan brauchte ein paar Sekunden bis er die Worte verarbeitet hatte und ihm dämmerte, das er normalerweise alleine im Zimmer war. Für den Bruchteil eines Augenblicks erstarrte der Dunmer, ehe er hektisch nach seinem Dolch suchte. Eine schallende Ohrfeige, begleitet von „Beruhige dich. Ich bin es, Cale.“, brachte ihn zur Besinnung und zum ersten Mal schaute er der Person ins Gesicht. Zu seiner Überraschung war es tatsächlich der Waldelf. Erleichtert fiel er wieder auf sein Bett. „Ich habe dir oft genug gesagt dass du nicht einfach so in mein Zimmer schleichen sollst.“
„Und wie oft habe ich dir gesagt das du immer wachsam sein musst? Und du weißt was ich von deiner Sucht halte. Du gefährdest nicht nur dich, sondern auch mich und andere“, erwiderte der Bosmer.
„Spar dir deine Belehrungen, ich weiß was ich tue“, antwortete Revan in genervtem Tonfall. Der Bosmer seufzte und schüttelte resignierend den Kopf, ehe er das Thema auf ihre Aufgabe lenkte. „Steh auf, wir haben noch viel Arbeit vor uns.“
Ganz in der Ferne glaubte er Stimmen zu hören. Oder spielen mir meine Sinne einen Streich? Ein Windhauch streichelte wärmend seine Haut, ehe im ein starker Brandgeruch in die Nase stieg. Noch ehe er ob des beißenden Windes husten konnte, umfing ihn wieder die Ohnmacht...
Der Wagen polterte seid einer gefühlten Ewigkeit über das Pflaster der Straßen der Kaiserstadt. Langsam bekam er davon Rückenschmerzen. Hoffentlich fährt der Kutscher keine Umwege. Die Kanäle hatten auch keinen brauchbaren Einstieg in die Villa offenbart. Natürlich gab es mehrere Zugänge, aber sie alle wurden bewacht oder sehr wahrscheinlich mit Fallen gesichert. Soweit wirkte die Villa einbruchssicher, wovon man auch ausgehen musste, wenn man das Berufsfeld dieses Mannes kannte. Und da der Ausflug des Altmers früher als erhofft stattfand, blieb nur noch die Möglichkeit mit dem Lieferkarren ins Innere der Villa zu gelangen. Zugegeben es war ein sehr alter Trick und die Chance, erwischt zu werden war hoch, aber es war die einzige Möglichkeit die sie hatten.
Der Wagen hatte angehalten und gedämpfte Stimmen waren zu hören. Der Geruch der Pechfackeln zog durch die Ritzen in die Kisten. Revan verkniff sich das Husten. Kurz darauf rollte der Wagen in den Hof und wurde von den Dienern entladen. Ihre Flüche über die schweren Kisten verstummten, nachdem sie von einer anderen Person scharf angefahren wurden. Wesentlich ruhiger beendeten sie ihre Arbeit. Nach einer weiteren gefühlten Ewigkeit in der absolute Stille herrschte, öffneten Revan und sein Meister Faldil mittels kleiner Brecheisen ihre Kisten und sahen sich sofort aufmerksam um. Im Lagerraum herrschte vollständige Finsternis, keine Fackel brannte und abgesehen von der ein oder anderen Ratte waren sie alleine. Erleichtert atmeten beide tief durch, ehe sie aus ihren Kisten stiegen und ihre Ausrüstung anlegten. Es hat tatsächlich funktioniert. Jetzt müssen wir nur noch den Gegenstand beschaffen und nebenbei noch ein wenig für unseren Lebensunterhalt mitnehmen. Die Villa zu verlassen sollte kein Problem darstellen. Das Duo war in schwarze, weite Kleidung gehüllt die genug verborgene Taschen besaß um Beute und Werkzeug darin zu verstecken. Für größere Gegenstände hatte jeder noch einen Leinensack dabei. Ihr Werkzeug bestand aus verschiedenen Dietrichen, einem schmalen Spatel, Horchtrichter, einer Phiole mit Öl und einer kleinen Rolle Teerpapier. Die Gesichter und ihre Hände waren geschwärzt, Waffen hatten sie keine dabei; das Blinken der Klingen könnte sie verraten. Ihre Blicke trafen sich in stummem Einverständnis, danach bewegten sie sich beinahe lautlos durch den Raum.
Ihre Augen waren bereits an die Dunkelheit gewöhnt, daher sahen sie trotz der Finsternis die Umrisse der Kisten, Fässer und Säcke. Hier werden wohl nur Lebensmittel und andere Gebrauchsgegenstände gelagert. Auch wenn seine Villa gut bewacht wird, ist er deswegen noch lange nicht leichtsinnig. Sein Mentor hatte den gleichen Gedanken und wies ihn mit einer Handbewegung an, ihm zu folgen.
Das Duo schlich zum Ende des Raums, welcher von einer schweren, mit Eisenbeschlägen verstärkten, Holztür verschlossen wurde. Kein Licht schimmerte durch die Ritzen, ein gutes Zeichen. Mit dem Horchtrichter gegen die Tür gelehnt, lauschte Faldil in die Stille hinein. Nach kurzer Zeit gab er Entwarnung. Wie zu erwarten war die Tür verschlossen, allerdings nur durch einen Riegel der angehoben werden konnte. Mit dem Spatel dauerte es nur wenige Sekunden, ehe die Tür geöffnet wurde. Da ölt jemand die Scharniere regelmäßig.
Der Gang hinter der Tür offenbarte vorerst nur Dunkelheit und in einiger Entfernung erste Fackeln an den Wänden. Kein Geräusch durchbrach die Stille. In stummem Einverständnis folgten beide dem Gang bis sie nur noch wenige Schritte von der ersten Fackel trennten. Einzig das Knistern der Fackeln und der Geruch von verbranntem Öl brachten nun ein wenig Abwechslung. Langsam näherten sie sich, jeder an einer anderen Ecke, der Kreuzung und spähten abwechseln in alle Richtungen.
Der kalte, harte Boden war sehr angenehm, versprach er doch ein wenig Linderung für seine Kopfschmerzen. Revan wollte den Kopf heben, doch eine bleierne Müdigkeit und tausend kleine Lichtpunkte, die vor seinen Augen tanzten, vereitelten dieses Vorhaben sofort. In der Ferne glaubte er Stimmen zu hören. Oder sind sie ganz nah? Plötzlich legte sich ein anderes, beruhigendes Geräusch auf seine Ohren und ließ ihn wieder das Bewusstsein verlieren.
Langsam wurde es frustrierend. Sie hatten bereits die ganze Villa, mit Ausnahme dieses Raumes der hinter dieser mehr als prächtig verzierten Tür lag, abgesucht. Gold oder wertvolle Gegenstände hatten sie auch nicht gefunden. Mit Ausnahme eines Gemäldes, das sie aber nicht stehlen konnten, da sonst ihre Anwesenheit bekannt würde. Und zu allem Überfluss hatte auch ein leichter Regen eingesetzt. Eine Handbewegung seines Mentors signalisierte Revan, dass er nun an der Reihe sei.
Nachdem er mit einem letzten prüfenden Blick in den Gang hinter ihnen geschaut hatte und einige Augenblicke in die Stille lauschte, wandte er seine volle Aufmerksamkeit dem Schloss vor ihm zu. Revan wählte einen leicht gebogenen Dietrich mit einer abgerundeten Spitze und ein an beiden Enden gebogener, flacher Metallstab um das Schloss später drehen zu können. Mit der Übung vieler Jahre begann er das Schloss zu untersuchen. Ein sehr gutes Schloss.....mit den üblichen 5 Stiften. Fallen gab es keine. Langsam und gefühlvoll suchte der Dunmer bei dem ersten Stift den „goldenen Punkt“. Wenn man genügend Druck ausübte, blieb der Stift entriegelt und man konnte den Nächsten bearbeiten. Gab man zu viel Druck, riskierte man das der Dietrich beschädigt wurde, sobald man den Druck vom Stift löste. Aber das war für Revan kein Problem, zumindest nicht bei den ersten drei Stiften. Ab dem vierten Stift wurde es schon schwieriger den Punkt zu treffen. Das verzögerte die Öffnung aber nur um wenige Sekunden. Nach dem letzten leisen Klicken, atmete er erleichtert aus und wollte schon zur Öffnung ansetzten, als er sofort einen Widerstand bemerkte. Noch mehr Stifte? Irritiert führte er den Dietrich wieder in das Schloss und tastete noch einmal alle Stifte ab. Es sind nur 5 Stifte....oder?. Einer Ahnung folgend strich er die Seitenwand des Schlosses ab und fand auch genau das, was er vermutet hatte. Für diesen letzten Sicherungsmechanismus war allerdings ein anderes Werkzeug von Nöten. Zuerst nahm der Dunmer einen Dietrich mit einem dreieckigen Bart. Damit konnte er zwar den Bolzen drehen, allerdings nicht weit genug. Zu allem Überfluss sprangen durch den Schlag auch die Stifte wieder in ihre ursprüngliche Position. Revan murmelte einen derben Fluch und atmete ein paar Mal tief ein und aus, um den aufkeimenden Ärger zu unterdrücken. Er brauchte alle Konzentration für dieses Schloss, da waren Emotionen, gleich welcher Art, fehl am Platz. Sein Mentor schwieg die ganze Zeit und beschränkte sich darauf die Umgebung im Auge zu behalten. Trotzdem wusste er, was sein Schüler tat.
Erneut wählte Revan den Dietrich mit der abgerundeten Spitze und arbeitete sich Stift für Stift vor. Nachdem alle 5 wieder in der gewünschten Position hatte, nahm er für den Bolzen diesmal einen Dietrich mit viereckigem Bart. Zu seiner Überraschung bewegte sich der Bolzen keinen Millimeter. Was zum....? Ein paar Sekunden später dämmerte ihm die Lösung des Problems und mit einem lächeln nahm er wieder den Dreieckigen und drehte den Bolzen soweit er konnte. Anschließend setzte er der Viereckigen an gleicher Stelle an und zog langsam den Ersten wieder raus. Diesmal ließ sich der Bolzen weiter drehen, allerdings auch nur wieder ein kleines Stück. Jetzt sah Revan das Muster klar vor Augen und innerhalb weniger Sekunden war auch der Bolzen an dem Punkt, dass er die Öffnung nicht mehr verhinderte. Mit dem flachen Metallstab drehte er das Schloss und ein leises Klicken bestätige die erfolgreiche Öffnung. Sein Mentor nickte und zusammen drangen sie in den Raum ein.
Irgendetwas helles stach ihm in die Augen. Reflexartig schloss er sie wieder, noch ehe sie geöffnet waren. Jetzt waren eindeutig Stimmen zu hören. Was sie sagten, vermochte Revan trotzdem nicht zu sagen, sie klangen seltsam verzerrt. Wegen der Helligkeit, welche seine Augen trotz der geschlossenen Lider peinigte, vermutete der Dunmer dass die Stimmen ganz nah sein mussten. Plötzlich gab es einen lauten Knall und das Splittern von Glas war zu hören und da war wieder diese beißende Brandgeruch. Dann umfing ihn wieder Dunkelheit.
Der Raum war keine und gleichzeitig doch eine Überraschung. Offensichtlich waren sie in den Privatgemächern des Altmers, Eraami, gelandet. Und hier gab es mehr als genug Gegenstände die sie zu Gold machen konnten: Mit Juwelen verzierte Kelche und Pokale, goldene Schalen, ein Krug aus Vulkanglas, Schmuck, unzählige Kisten mit Münzen unterschiedlicher Währung. Revan hatte ein breites Grinsen im Gesicht. Nach diesem Raubzug konnten sie wieder für eine ganze Zeit untertauchen oder in aller Ruhe den nächsten Einbruch vorbereiten. Aber zuerst brauchen wir das Familienerbstück..., er seufzte. Bei der Menge an Gold suchen wir hier die Nadel im Heuhaufen. Stumm gingen beide ans Werk und suchten das Familienerbstück. Nebenbei legte der Dunmer besonders wertvolle Gegenstände auf die Seite, die er später mitnehmen wollte. Es fiel ihm sehr schwer die Beherrschung nicht zu verlieren. So viel Gold auf einem Haufen hatte er noch nie gesehen. Dieses Zimmer war das reinste Paradies, einen schöneren Ort konnte man sich nicht vorstellen. Davon träumten jede Nacht aber tausende von armen Seelen und doch würde es immer nur ein Traum bleiben. Aber nicht für mich. Langsam arbeitete sich Revan durch das Zimmer und gelangte irgendwann an einen großen Tisch auf dem verschiedene Bücher und Schriftrollen lagen. Mit mangelndem Interesse überflog der Dunmer die Schriftstücke und suchte vielmehr eine kleine Schatulle oder ein verstecktes Schloss. Nach kurzer Suche ertasteten seine Finger eine etwa 2 Hand breite Klappe oder vielmehr die kleine Lücke zwischen Tisch und Klappe. Allerdings fehlte ein Schloss. Eine erneute Begutachtung des Tisches war wenig aufschlussreich. Hier liegen nur Schriften und diese Büste. Das Versteck weckte seine Neugier, aber er fand keinen Weg es zu öffnen. Seine Aufmerksamkeit wurde bald auf ein Schmuckstück gelenkt, welches vermutlich die Nadel war, die sie gesucht hatten. Ein prüfender Blick in der Nähe des Fensters bestätige seine Vermutung. Sehr gut. Jetzt nichts wie raus hier. Einer plötzlichen Ahnung folgend ging er wieder zu dem Tisch und nahm das Schriftstück, welches unter dem Schmuckstück lag. Im trüben Mondlicht begann Revan zu lesen. Es waren nur wenige Zeilen, die aber mehr als ausreichend waren um den Herzschlag des Dunmers schlagartig in die Höhe zu treiben. Noch ehe er etwas sagen konnte, spürte er eine kalte Klinge am Hals.
„Geh zu deinem Mentor. Aber nicht zu schnell, sonst könnte mir die Hand ausrutschen.“ Die Stimme kam ihm seltsam vertraut vor, aber Revan konnte nicht sagen woher. Er war wie gelähmt. Ohne Widerstand folgte er der Anweisung und bei der Tür standen nicht nur sein Mentor, sondern auch der Altmer mit seiner Leibwache. Dieser klatsche spöttisch und betrachtete ihn abfällig.
„Schön. So viel Spaß hatte ich schon lange nicht mehr. Es war sehr amüsant euren kleinen Einbruch zu beobachten.“ Das anschließende Gelächter ließ Revan die Haare zu Berge stehen. „Aber dachtet ihr wirklich, dass ihr ohne meine Erlaubnis in meine Villa einbrechen könnt?“ Wieder dieses unangenehme, schrille Lachen. „Aber ihr habt den Test bestanden. Daher mache ich euch ein Angebot: Ihr könnt für mich arbeiten. Für Leute wie euch habe ich immer genug Arbeit.“
„Warum sollten wir auf euer Angebot eingehen?“, erwiderte Revan trotzig.
Als ob er diese Frage erwartet hätte, geht der Altmer ganz langsam, wissend lächelnd, auf Revan zu. In der Art eines Lehrers, der von seinen Schülern eine dumme Frage gestellt bekam, antwortete er: „Weil wir, die Thalmor, die Zukunft sind. Jeder der uns im Weg steht wird sich fügen, auf die ein oder andere Art. Den Mer gehört ganz Tamriel....“ Ab diesem Punkt ignorierte Revan die Rede des Altmers und versuchte einen Ausweg aus der Situation zu finden. Hinter mir steht Tiro. Das ich diese miese Ratte nicht sofort erkannt habe. Ansonsten sind noch 8 weitere Wachen im Raum. Der Ausgang ist versperrt und vor dem Fenster stehen auch welche. Der Rest verteilt sich auf Faldil und mich. Die Aussicht mit Beute die Villa zu verlassen hatte sich in Luft aufgelöst. Im Moment ging es nur noch darum, seine Haut zu retten. Und der Dunmer sah nur eine Möglichkeit, da er niemals den Thalmor die Treue schwören würde. „Ja, ich werde mich euch anschließen.“ Von diesen Worten aus seinen Überlegungen gerissen, starrte Revan fassungslos seinen Mentor an. „Warum? Was ist aus deinen ganzen Idealen und Lehren geworden? All das, was du mir in den letzten Jahrzehnten beigebracht hast?“
„Die Zeiten ändern sich, Golion. Ich habe dich damals ausgebildet und es war deine einzige Chance der Gosse zu entkommen. Jetzt hast du die Chance, weiter aufzusteigen. Unsere Position war nie sicher. Mit den Thalmor haben wir diese Sicherheit. Wir können gegen die rivalisierenden Banden bestehen und diesem Moloch endgültig entkommen“, antwortete Faldil.
„Hörst du dich eigentlich selbst reden? Glaubst du überhaupt deinen eigenen Worten? Warum haben wir uns dann nicht einer anderen Bande oder der Diebesgilde angeschlossen?“
„Weil die Thalmor die Zukunft sind. Alle anderen werden sich fügen oder sterben. Sei kein Tor und nutze diese Chance.“
Nur über meine Leiche. In einer fließenden Bewegung packte Revan die Hand mit dem Dolch und warf seinen Kopf schräg nach hinten links. Der Schwung war nicht ausreichend um Tiro die Nase zu brechen, aber es verschaffte ihm die wenigen Sekunden die er brauchte. Der Dunmer sprintete auf das Fenster zu, warf den Wachen davor etwas von der Pulvermischung, die er immer bei sich hatte, in die Augen, so dass auch sie abgelenkt waren. Er preschte durch die Lücke und sprang aus dem Fenster. Der Aufprall wird hart. Zwar hatte die Villa nur 2 Stockwerke, aber es regnete und dementsprechend rutschig war auch das Pflaster des Talosplatz.
Die anschließende Flucht hatte sich seinen Erinnerungen entzogen. Wie ein Wahnsinniger war er durch die Stadt gerannt und hatte sofort die Kanalisation als Fluchtweg gewählt, da er sonst an den Toren aufgehalten worden wäre. Die Wache war in diesem Fall keine Hilfe. Zum Einen da er ein Verbrechen begangen hatte und zum Anderen weil es die Thalmor waren die ihn jetzt jagen würden. Irgendwie hatte Revan das Hafenviertel erreicht und eilte sofort zu einem Ort wo er noch auf Hilfe hoffen konnte. Doch die entsprechende Taverne ging jäh in Flammen auf und gerade als er abdrehen wollte wurde es plötzlich taghell und ein ohrenbetäubendes Krachen zerriss die Nacht. Danach wurde es schwarz um ihn...
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Skyrim, Fürstentum Reach, Straße nach Hjaalmarch >>> Fürstentum Reach, Karthwasten
„Haltet nach Bewegungen auf den Klippen Ausschau.“
Stephanus' Blick wanderte auch so bereits die Abhänge der felsigen Steilwände zu ihrer linken entlang. Sie ragten etliche Meter in die Höhe und sorgten durch ihre scheinbare Unüberwindbarkeit dafür, dass ihr Weg zunächst stetig nach Norden verlief, ab einem bestimmten Punkt aber eine Rechtskurve beschrieb. Nun folgten sie dem alten und abgenutzten Pflaster nach Osten. Südlich der Straße fiel das Gelände noch weiter ab, und am Grund dieser nicht allzu tiefen Grube schnellte Wasser in einem vergleichsweise schmalen Strom dem Geistermeer entgegen.
Der Kaiserliche mochte dieses Gelände nicht. Es verunsicherte ihn. Bis jetzt hatte es nicht die geringste Spur von den Abgeschworenen gegeben – mit Ausnahme einer Stelle, bei der die längst vergessenen und verkohlten Überreste eines Fuhrwerks am Wegesrand standen, umgeben von vereinzelten verbrannten Knochen.
Aber Stephanus wusste, dass sich die vermeintliche Idylle schnell in eine felsige Hölle verwandeln konnte. Die Abgeschworenen kannten dieses Gebirge, denn Berichten zufolge waren die meisten von ihnen auch hier aufgewachsen. Es war ihre Heimat, und kurz für einen Überfall aufzutauchen und sich daraufhin in den Druadac-Bergen erneut unauffindbar zu machen stellte für sie kein Problem dar. Aber aus irgendeinem Anlass hatten sie sich noch nicht blicken lassen.
Vielleicht verschreckte sie die schiere Anzahl an bewaffneten Männern und Frauen, obwohl so eine große Gruppe durch erschwerte Organisation durchaus anfällig für schnelle Partisanenangriffe wäre. Einen Gegenangriff zu organisieren dauerte zu lange, und die Ureinwohner des Reach wären wortwörtlich schon längst über alle Berge, bevor es auch nur einer der Söldner schaffte, die felsigen Klippen zu erklimmen. Bodeado hatte herumerzählt, dass es sich bei den Ureinwohnern von Reach um sogenannte Reikmannen handelte, entfernte Verwandte der Bretonen. Der Rothwardone interessierte sich für solche Sachen. Wo immer auch sie ankamen, fragte er herum, welches Volk in der Umgebung wo lebte, und was als ihre auszeichnenden Eigenschaften galt.
Hrard ging an der ihm unterstellten Gruppe marschierender Heuerlinge auf und ab. „Behaltet das Tempo bei, dann schlafen wir heute noch in Karthwasten.“
Sein Tonfall war so gleichgültig und monoton wie eh und je. Warum der Nord sich so verhielt? Alle hatten dazu ihre eigene Theorie, aber Stephanus kannte als eines der dienstältesten Mitglieder des Trupps die Wahrheit – oder zumindest eine Version, die der Wahrheit nahe kam.
Im Laufe der Jahre erfuhr der Kaiserliche von irgendwo, dass Hrard schon von Geburt an verkorkst war. Was auch immer in seinem Körper dafür verantwortlich war, dass er Emotionen wie Aufregung und Freude verspüren konnte, funktionierte nicht. Jedenfalls nicht richtig. Richtige Gefühle empfand er nur in Extremsituationen, und selbst dann fühlte er sich nur wie ein Durchschnittsmensch während einer Ruhephase.
Stephanus folgerte, dass dies bereits ausreichend Anreiz bot, und dass die Garantie auf Kämpfe auf Leben und Tod überhaupt erst der Grund gewesen war, aus dem der Nord sich in seiner Jugend dazu entschieden hatte, sich als Privatsoldat zu verdingen.
Die Sonne stand am Morgen noch im Osten, färbte die vereinzelten Wolken am Himmel rot und orange, und schimmerte über die vor ihnen liegenden Berge in ihre Augen. Viele blickten entweder im leichten Winkel nach unten, um nicht geblendet zu werden, oder überwachten, wie Stephanus, ihre Umgebung, und sahen dadurch erst gar nicht nach Osten zur Sonne.
„Sie dir diese hasenfüßigen Hunde an,“ rief Brarek Jungeiche, der neben Stephanus her marschierte, ganz unvermittelt. Dabei nickte er nach vorne, wo einer der wenigen Bogenschützentrupps einen Fuß vor den anderen setzte. Der hochgewachsene Nord (unter so vielen Nords war der Kaiserliche es bereits gewohnt, bei einer Konversation immer wieder mal nach oben schauen zu müssen, um in das Gesicht des anderen zu blicken,) schien aber mit niemandem außer sich selbst zu sprechen. Dennoch bekam er eine Antwort: Ein belustigtes Schnaufen von Stahlzapfen, ein zustimmendes „Scheiß Bogenschützen“ von Fleisch und ein „Feige Bastarde“ von gro-Golug.
Die Fernkämpfer genossen unter den Infanteristen nicht gerade ein hohes Ansehen. Die Kommandeure sorgten immerhin dafür, dass die mit Pfeil und Bogen bewaffneten Menschen und Mer einen akzeptablen Abstand zum Feind hatten, weswegen sie im besten Falle nie in den Nahkampf gerieten. In den Augen der übrigen Fußsoldaten besaßen sie also das unverdiente Privileg, im Gegensatz zu ihnen ihr Leben nicht bei jeder Schlacht riskieren zu müssen. Alleine die Anwesenheit auf einem Schlachtfeld konnte eigentlich schon als Lebensgefährlich betrachtet werden, dem Großteil der Infanteristen war das aber egal. Wenn man von Berufswegen her von Angesicht zu Angesicht gegen andere Bewaffnete (manchmal auch Unbewaffnete) auf Leben und Tod kämpfte, verstand man Abstand zum Feind bereits als ein stark vermindertes Risiko, an einer Überdosis Eisen zu sterben.
Stephanus selbst verabscheute nur Bogenschützen, die nicht auf ihrer Seite kämpften, und auch er selbst benutzte ab und zu einen Bogen. Aber er konnte den Abscheu gegenüber den Fernkämpfern nachvollziehen: Von oben herabstürzende Pfeile waren während eines Gefechts unvorhersehbar. Schon ein Pfeil von minderer Qualität konnte bei einem richtigen Treffer verheerende Folgen haben. Wenn man, wie die meisten Infanteristen in der Kompanie, nur einen leichten Holzschild und minder- oder mittelwertige Schutzbekleidung besaß, war es eine sehr unangenehme Ungewissheit, ob der nächste Pfeil nun nutzlos abprallte oder den Schild oder die Panzerung einfach durchschlug.
Schwere und wohlhabende Truppen mit hochwertigen und äußerst teuren Plattenpanzern mussten sich nicht um Pfeile sorgen. Dies galt jedoch nur solange, wie die Pfeile nicht aus mindestens ebenbürtigen Materialien gefertigt waren, oder die Bogenschützen nicht auf geringeren Distanzen gezielte Schüsse auf die vergleichsweise ungeschützten Gelenke und Verbindungsstellen zwischen den einzelnen Rüstungssegmenten abgeben konnten.
Doch nur sehr wenige konnten sich eine solche Rüstung leisten, selbst wenn sie ihr gesamtes Leben lang sparen und dann ihr kleines Vermögen dafür zusammentrugen. Soweit Stephanus wusste, besaßen in der Kompanie gerade mal fünf Leute einen solche Panzer. Er zählte dabei Rognag gro-Golugs Panzerung noch mit, obwohl sie ein anderer womöglich als mittlere Rüstung eingeordnet hätte.
Aber gegen ihre eigenen Bogenschützen hatte Stephanus eigentlich nichts, außer vielleicht, wenn sie den Befehl erhielten, selbst dann zu feuern, wenn die eigenen Truppen getroffen werden konnten. Zudem besaß er die Gewissheit, dass Bogenschützen im Kampf vielleicht verheerende Verluste beim Feind erzielen konnten, sie es aber bei weitem nicht mit Kampfmagiern aufnahmen. Vor Zerstörungsmagie schütze selbst der beste Plattenpanzer nichts, wenn er nicht gerade selbst durch Magie verstärkt wurde. Talentierte Magier konnten mit der konzentrierten Wut der Elemente ganze Formationen auslöschen.
Denn wenn ein Mann erst einmal in Flammen stand, war er bereits außer Gefecht gesetzt.
Stephanus hatte das mehrere Male beinahe selbst zu spüren bekommen, blieb bisher aber zu seinem Glück vor der mörderischen Umarmung mit dem Feuer verschont.
Blitze und Feuer machten – erst einmal losgelassen - keinen Unterschied zwischen Mensch und Mer, und kochten jeden in ihrem Wege bei lebendigem Leibe. Magisch geformte Eiszapfen durchbohrten Stahl wie fadenscheiniges Pergament, schockgefrorene Kämpfer zerbrachen einfach so in Stücke, schreienden Männern schmolzen durch unnatürlich heiße Flammen die Augen aus dem Kopf.
Stephanus richteten sich bei dem Gedanken die Nackenhaare auf, und er versuchte, das alles schnell wieder zu vergessen.
Jungeiche hob die Hände vors Gesicht und bildete mit ihnen einen Trichter, bevor er dann laut genug schrie, um die Aufmerksamkeit der Bogenschützen auf sich zu ziehen.
„Hey, Lederkäpchen! Wie ist es eigentlich so, als Sohn einer Hündin aufzuwachsen?“
Stephanus rollte daraufhin mit den Augen. „Was für ein geistreicher Poet.“
Einer der Fernkämpfer drehte sich zu dem Nordmann um.
„Keine Ahnung,“ schrie er zurück, „aber ich bin mir sicher, dass Ihr mir sehr viel darüber erzählen könnt! Und jetzt seit leise, bevor-“
„Bevor was?“, spöttelte der Nord. „Bevor ihr loslauft, um genügend Distanz von mir zu gewinnen? Hah!“
Der in Leder gerüstete Elf wollte gerade zu einer bissigen Erwiderung ansetzen, da tauchte Hrard plötzlich neben Brarek auf und schrie nun seinerseits.
„Schnauze, Jungeiche, oder willst du den Packeseln bei ihrer Arbeit helfen?“
Brarek funkelte ihren Unteroffizier finster an. Nach kurzem, unangenehmen und spannungsgeladenen Schweigen, während dem sich die beiden Männer nur stumm gegenseitig anstarrten, wand Jungeiche das Gesicht vom anderen Nord ab und presste zwischen seinen Zähnen hervor: „Nein.“
„Dann sei gefälligst leise!“
Der jüngere Nord verstummte und wurde vor mühsam niedergerungener Wut rot im Gesicht, während sowohl die Bogenschützen als auch die Nahkämpfer glucksten, und einige sogar lauthals spöttisch lachten. Hrard verschwand wieder und es kehrte nach einigem verhaltenen Gekicher erneut Stille ein. Der Kaiserliche konnte Brarek fast schon vor Wut brodeln hören.
Stephanus hob den Kopf gen Himmel und beobachtete einige der majestätischen Bergadler dabei, wie sie von der warmen Luft aufgetrieben über ihnen allen schwebten.
Wie gleichgültig alles den Vögeln wohl sein musste. Ihnen war es egal, wer gerade über Tamriel herrschte, wer wo Krieg führte, und ob in einer beliebigen Provinz wieder Unruhen aufflammten. Den ganzen Tag glitten sie einfach über alles und jeden hinweg, und niemand konnte ihnen ihren Platz als Könige der Lüfte streitig machen – vorausgesetzt die Gerüchte von der Rückkehr der Drachen blieben so unwahr wie bisher. Der Kaiserliche vermochte es nicht, diesem Unfug Glauben zu schenken. Stahlzapfen glaubte, was er wollte, und Jungeiche war ein dummer Schwätzer.
Die Bogenschützen blieben plötzlich murmelnd stehen. Stephanus riss den Blick vom Himmel ab und hörte, wie mehrere Offiziere „Halt! Anhalten!“ schrien. Die gesamte Kolonne kam zu einem Stopp.
Einige der Söldner in den Reihen reckten sich und streckten ihre Köpfe, um über die Anderen hinweg zu sehen und herauszufinden, was vor ihnen vor sich ging.
„Was ist denn jetzt los?“, fragte Sylaen, und im nächsten Augenblick stand Hrard auch schon vor der Gruppe.
„Stellt euch auf. Bärenpelz, Spurius, geht nach vorne und findet heraus, was los ist. Ihr Übrigen, Augen auf die Klippen.“
Ein Murmeln ging durch die Gruppe, und sie kamen den Aufforderungen des Nords nach. Sie setzten ihre Rucksäcke ab, dann zogen sie ihre Waffen und Schilde, und machten sich kampfbereit, während die Spannung stieg. Stephanus schnallte seinen Halbhelm aus grauem Eisen vom Rucksack ab und setzte ihn sich auf den Kopf. Wurden sie jetzt angegriffen?
Bärenpelz – scheinbar der haarigste Mensch, der je auf Nirn wanderte, und der angebliche Sohn einer Bärin – verschwand, dicht gefolgt vom Kaiserlichen Cocius Spurius, im Laufschritt in der Menge aus Leuten.
Ohne das Gewicht seiner persönlichen Sachen und seines Anteils am Zelt fühlte Stephanus sich sofort leichter. Die fehlende Last pochte angenehm in seinem Rücken und in seinen Schultern. Aber das nahm er nur am Rande wahr.
Die aufsteigende Anspannung war nur die Spitze, von dem, was Stephanus schon die ganze Wanderung über verspürt hatte. Seine Augen blitzten wachsam hin und her, Ausschau haltend nach Bewegungen in den Bergen. Er konnte das Gefühl nicht loswerden, dass ihr Marsch allzu friedlich durch die Berge verlief, wo diese doch angeblich nur so vor marodierenden Halbnackten wimmelten.
Sein Herz schlug schneller, und ein Teil von ihm wünschte sich unbedingt, dass es sich tatsächlich um einen Angriff handelte. Dann nämlich würde sein übles Gefühl Bestätigung finden, er würde endlich diese bedrückende Ruhe vor dem Sturm hinter sich gelassen haben. Ein anderer Teil von ihm nannte ihn einen Idioten dafür, dass er sich einen Kampf erhoffte.
Jetzt hieß es abwarten.
„Verflixt, ich bekomme noch Blasen an den Füßen,“ murrte Cocius einige Zeit später vor sich hin.
Wie es sich herausstellte, war weiter vorne im Konvoi die Achse eines Wagens zerbrochen, was Stephanus bei dem üblen Zustand der Straße nicht im Geringsten überraschte. Es hatte eine Stunde gedauert, bis ein Ersatz für die Achse herangeschafft und verbaut worden war. Anschließend setzte sich die Kompanie wieder schleppend in Bewegung.
Mittlerweile stand die Sonne schon um einiges höher am Himmel, und es wurde wieder heißer.
„Du hast immer Blasen an den Füßen, Spurius,“ rief Folms Berend, ein Dunmer, dem Kaiserlichen höhnisch entgegen.
„Wir sind erst seit gestern unterwegs,“ bemerkte Stahlzapfen zustimmend aus der Menge, „und Ihr heult schon wieder herum. Jedes Mal die gleiche Scheiße mit Euch!“
„Wisst Ihr, Spurius,“ setzte Stephanus mit sarkastischem Tonfall an, „Wenn Euch das gehen so wenig gefällt, warum fragt Ihr nicht einfach den Schatzmeister, ob Ihr bei ihm auf dem Wagen mitfahren dürft?“
„Wenn du ganz nett fragst, lässt er dich vielleicht sogar. Ich hab gehört, das ihm weiche Jungs aus Cyrodiil besonders gefallen,“ fügte Berend hinzu.
Cocius verzog den Mund und machte mit seiner rechten Hand eine Wegwurfgeste. „Ich passe. Eher schlägt mich dieser Typ bewusstlos und verkauft meine Leiche dann an irgendeinen Krecken, damit dieser an mir seine Nekromantenphantasien ausleben kann, bevor er auch nur daran denkt, seinen fetten Arsch ein wenig zur Seite zu schieben, um Platz zu machen.“
„Krecken? Pah! Was wisst Ihr schon über Krecken?“ fragte Bodeado herausfordernd. „Ihr könntet keinen Dreug von einem Krecken unterscheiden.“
„Was in Oblivion sind denn Krecken?“, erkundigte sich Sylaen, doch niemand ging direkt auf ihre Frage ein.
Erneut die verwerfende Handbewegung von Cocius. „Ich weiß genug über Krecken. Sie sind große, widerwärtig aussehende Schnecken mit Beinen, die ihre Kinder zu Seife verarbeiten, und die gerne mit Untoten dingen spielen. Die sind aber noch weit davon entfernt, so hässlich wie Fleisch zu sein!“
Das erntete einige Lacher. Aber nicht von Fleisch. Fleisch lachte nie. Er lächelte nie. Nicht, wenn er nicht gerade jemandem die Knochen brach.
Während Hrard in Ruhephasen normalerweise nur wenig Emotion an den Tag legte, verspürte Fleisch durchaus Gefühle. Diese waren jedoch auf ein sehr enges Feld begrenzt: Es gab Momente, in denen Fleisch die Welt hasste. Dann gab es Momente, in denen er die Welt ganz besonders hasste. Dieser grimmige Mensch, so war sich Stephanus sicher, würde jeden einzelnen von ihnen mit Freuden töten, würde es keine Konsequenzen nach sich ziehen.
Der Kaiserliche konnte Fleisch nur als „Mensch“ einordnen, oder vielleicht als einen Elf mit abgestumpften Ohren. Er war nur etwas kleiner als ein Nord (und könnte sogar ein zu kurz geratenes Kind Skyrims sein) und hatte Haut, die fast schon weiß war. Jedenfalls dort, wo keine Narben seinen Körper verunstalteten, oder sie durch verheilte Spuren von Verbrennungen verfärbt wurde.
Der Mensch hatte außer einem Paar buschiger Augenbrauen keine Haare, nicht einmal Bartstoppeln, und Stephanus wunderte sich oft, wie dieses zerklüftete Wrack eines Mannes noch aufrecht stand, lebte, und nicht schon längst den unzähligen Verletzungen unterlegen war, deren von diversen Gewalteinwirkungen erzählenden Spuren sein Antlitz immer noch verunstalteten. Das rechte Ohr fehlte ihm, und zudem kannte niemand seinen Namen. Jemand hatte mal spöttelnd erwähnt, dass er wie ein rohes, unförmiges Stück Fleisch aussah, und seitdem blieb der Spitzname an dem Menschen haften.
Jungeiche erzählte hinter Fleischs Rücken von seiner Vermutung, der Mensch sei eigentlich der letzte Dwemer auf Nirn, der zu den Zeiten der argonischen Invasion nur knapp einer geheimen dunmerischen Folterkammer in Morrowind entwichen war und nun durch die Welt zog, um aus Rache an die Existenz an sich, so viel Schmerz und Verzweiflung wie möglich zu verbreiten.
Gro-Ogdum behauptete im Scherz, selbst Molag Bal würde vor Fleisch die Flucht ergreifen, würde er seinen Umriss am Horizont auftauchen sehen. Natürlich schenkte Stephanus Brareks Blödsinn keinen Glauben.
„Aber Gro-Ogdum könnte vielleicht sogar recht haben,“ dachte er bei sich, wobei er es aber nicht ernst meinte.
„Lenk nicht von deinen Babyfüßen ab,“ beschwerte sich Bärenpelz mit seiner zu seiner Statur passenden tiefen Stimme.
„Jetzt lasst mich doch endlich in Ruhe,“ verteidigte sich Cocius. „Wir sind davor doch schon mal durch irgendwelche, von den Acht verlassenen Berge gestolpert, und haben vor dem weitermarschieren nur kurz Pause gemacht. Ich habe halt sensible Füße.“
Das kommentierte Bärenpelz mit einem lauten „Ha!“, und dann beließen sie es auch dabei.
Hinter ihnen kämpfte sich das Rad eines Wagens lautstark über einen lockeren Pflasterstein, und viele von ihnen drehten im gehen instinktiv ihre Köpfe in der Erwartung, dass sie es mit einer weiteren Panne zu tun bekamen. Der Wagen rollte jedoch völlig intakt weiter, die Achse brach nicht. Erleichtert drehten sie sich wieder nach vorne.
„Hab ich euch schon von dem einen Mal erzählt,“ begann Bodeado dann von irgendwo aus der Gruppe Marschierender.
Ein einvernehmliches Stöhnen ging durch die Reihen, und jemand fragte nicht unliebenswert: „Wer hat vergessen, dem Piraten heute morgen das Maul zu stopfen?“, was von vereinzeltem Gelächter begleitet wurde.
Der Rothwardone fuhr unentwegt fort. „Das eine Mal, da haben meine Jungs und ich, damals auf der „Maid von Rihad, da haben wir ein Schiff gekapert,“ erzählte er.
Weniger als die Hälfte von ihnen hörte ihm zu, aber er schwätzte wie gewohnt fröhlich weiter.
„Also, als wir an Bord gegangen sind und alles nach dem Kämpfen ruhiger geworden war, bin ich in die Kapitänskajüte gestolpert. Da hab ich den Kapitän gesehen, wie er vornübergebeugt über seinem Tisch saß.“
Erneut unterbrach ihn einer der anderen: „Nicht schon wieder die mit dem Papagei!“
Der Rothwardone räusperte sich nach dieser Unterbrechung kurz. „Ich komme also näher, da bemerke ich, dass der Typ eigentlich Neun-Loch mit einem Papagei spielte.“
„Du hast uns diesen Müll letztens schon erzählt. Und da warst du auf der „Maid von Hammerfell“, oder wie auch immer,“ warf Folms Berend ein.
Bodeado überging seine Bemerkung einfach.
„Also, ich war schon beeindruckt,“ sagte der vermeintliche Pirat a.D., wobei er erzählerisch mit den Händen gestikulierte. „„Das ist ein echt kluger Papagei, den du da hast, dass der Neun-Loch spielen kann,“ hab ich zu ihm gesagt. Der Kapitän ist dann hochgeschreckt, denn er hatte mich bis dahin noch nicht bemerkt, so vertieft war er gewesen“ plapperte er, während Stahlzapfen „Unsinn“ rief.
„“Ach, der ist eigentlich nicht so klug,“ sagte der Typ dann zu mir. „Ich hab ihn schon in zwei von drei Partien geschlagen.“ Das hat mich stutzig gemacht,“
„Wirklich?“ Sarkasmus schwang in Meum-Tes zischender Stimme mit.
„“Also,“ hab ich ihn gefragt, „was macht der Vogel denn, wenn du beim Spiel mal einen Fehler begehst?“ „Purzelbäume,“ hat er dann geantwortet. „Purzelbäume? Das ist ja unfassbar!““
„Wie diese ganze verdammte Geschichte!“
„“Wie viele Überschläge macht er denn?“, hab ich ihn danach gefragt.“
Der Rothwardone legte eine künstliche Pause ein, und kam dann schnell zur eigentlichen Pointe seiner Anekdote:
„„Das kommt drauf an, wie fest ich ihn Ohrfeige!““
Bodeado und Rognag gro-Golug lachten laut auf, während einige der anderen leise kicherten, die meisten aber genervt stöhnten, den Kopf schüttelten oder mit den Augen rollten.
Brarek seufzte. „Jetzt kann man nicht einmal mehr etwas lauter über die feigen Pfeilschießer herziehen, aber dass dieser lästige Herr Hammerfell einen andauernd mit seinen Lügengeschichten quält, da hast du kein Problem mit, Hrard?“ Von dem Truppenleiter gab es keine Antwort. Daraufhin schnaufte Jungeiche, und verstummte nun seinerseits erneut.
Stephanus lächelte. Zum Guten oder zum Schlechteren, die Geschichten des Rothwardonen boten hin und wieder mal Abwechslung und lenkten einen von der ständig drohenden Gefahr ab. Sie hatten ihren eigenen Charme.
Doch dann schüttelte der Kaiserliche den Kopf und sein Lächeln verflog wieder. Sich jetzt ablenken zu lassen könnte gefährlich werden. Sie hatten die unsicheren Berge noch nicht hinter sich gelassen, und die Abgeschworenen könnten jeden Moment auftauchen. Und nebenbei, das Gepäck und ihre Rüstungen und Waffen würden durch ein Paar Geschichten auch nicht leichter werden.
Wie von Hrard prophezeit erreichten sie trotz der Verzögerung durch die Wagenpanne gegen Ende des Tages hin das kleine Minenarbeiterdörfchen Karthwasten.
Der Strom, der sie auf ihren Weg durch die Berge begleitet hatte, war noch vorher an einer Kreuzung in den Fluss Karth gemündet, das große Fließgewässer, das dem in der Nacht durch Fackellicht erleuchteten Dorf und der großen Felsenstadt Markarth im Südwesten ihre Namen gab.
Die Klippen hier waren stellenweise immer noch steil, gleichwohl sie weniger unerbittlich in die Höhe ragten, und in vielen Arealen verlief das Gelände doch noch um einiges sanfter. Dies hatte den hier lebenden Menschen es erst ermöglicht, ihre Häuser aufzubauen, ohne ständig in der Gefahr zu schweben, im Schlaf von einem Erdrutsch oder einem Felsensturz erfasst zu werden.
Viele der Einwohner des Dorfes schliefen bereits in ihren Hütten, als ihre Vorhut die kleine Gemeinde erreichte. Einige Wenige standen jedoch noch wach vor ihren Türen, oder saßen auf verwitterten Bänken neben ihren Hütten. Ihre wettergegerbten Gesichter verrieten, wie niedergeschlagen sie sich fühlen mussten, und wie sehr sie von Gram geplagt wurden.
Stephanus konnte das ganz gut nachvollziehen: Wie der Kaiserliche von Brarek Jungeiche erfuhr, wurden diese Minenarbeiter nicht nur tagtäglich von den Silberblut-Schlägern unter Druck gesetzt. Nein, jetzt mussten sie seit der Ankunft der Söldner auch noch in der Angst leben, dass einer der ausländischen Heuerlinge aus Spaß in ihre Häuser einbrechen könnte, und sie sich dann seiner Willkür ausgesetzt wiederfinden würden. Oder noch schlimmer, die Söldner könnten sich plötzlich dazu entscheiden, das Dorf zu Plündern und das gesamte Gelände auf der Suche nach verborgenen Schätzen umzugraben. Die einfachen Leute vom Land befanden sich in einer hoffnungslosen Situation, aus der sie, aus ihrer Sicht, wohl nur noch durch die Gnade der Götter in einem Stück wieder herauskommen würden.
Die Dorfbewohner waren anscheinend nicht die einzigen Anwesenden, die nicht zur Kompanie gehörten. Hier und da erspähte Stephanus einen der misstrauisch und nervös dreinblickenden Männer in Lederharnischen, die von sich selbst behaupteten, für den Schutz der Einwohner hier zu sein. Es musste sich wohl um die Silberblut-Schläger handeln, und ganz offensichtlich hatten sie ganz andere Absichten, als für den Schutz des Dorfes zu sorgen, aber unter diesen Umständen beschützten sie die Einwohner Karthwastens durchaus.
Hrard hatte an sie alle den ausdrücklichen Befehl weitergeleitet, den Minenarbeitern und ihren Angehörigen kein Haar zu krümmen, und vor allem den Schlägern nichts anzutun. Was sich hier abspielte, war wohl in die Innenpolitik Markarths verstrickt, und ganz klar wollte es sich die Leitung der Kompanie nicht mit der einflussreichsten Familie des Reach verscherzen. Zumindest noch nicht. Der Kaiserliche empfand es als unnötig, weitere Gedanken daran zu verschwenden und nahm den Befehl wortlos hin.
Die Privatsoldaten schlugen ihr Nachtlager unweit des Dorfzentrums auf, auf einer größeren Fläche mit geringen Unebenheiten. Einige der Söldner in Gelb und die, die schon vorher hier im Dorf gewesen waren, verspotteten sich anfangs noch gegenseitig, doch das verging mit der Zeit, und sie warfen sich nur noch hin und wieder finstere Blicke zu und hielten sich sonst in ihren eigenen Bereichen auf. Sie hatten ein ausdrückliches Verbot, sich mit den angeheuerten Schlägern zu prügeln, und die Silberblut-Söldner befanden sich in der erdrückenden Unterzahl - Stephanus zählte höchstens zehn von ihnen. Dass die von sich aus gewalttätig wurden, war sehr unwahrscheinlich. Es würde also nicht zu einem Konflikt kommen.
Irgendwie taten Stephanus die Dorfbewohner schon leid, aber er konnte an ihrem Schicksal auch nicht viel Ändern.
Wie so oft saßen einige von ihnen um eine Feuerstelle versammelt. Ohne ausreichend verwertbarem Holz wurden die Wagen als eine behelfsmäßige Palisade um die Zelte der Wichtigsten unter ihnen abgestellt, und ohne eine schützende Mauer und im Gebiet potenzieller Feinde wurden doppelte Wachposten bezogen, so dass ihnen nicht viel Zeit zum Ausruhen blieb.
Meum-Te stocherte mit einem krummen Stock im Feuer herum und schob einige mickrige Holzkohlen zur Seite. Um sie herum zirpten Grillen in einem durcheinander geratenen Rhythmus, und die beiden Monde erleuchteten ihnen die Nacht, auch wenn die Himmelsgestirne es nicht vermochten, viel Licht ins dunkle zu bringen. Die Hügel, Felsen und Klippen warfen lange Schatten, und nur an einigen Stellen erreichte das Mondlicht auch den Boden. Dennoch, es tauchte die Strohdächer der Dorfhütten, die Spitzen der wenigen Zelte (der Großteil von ihnen schlief im Freien), und die Köpfe und Schultern aufrecht stehender Leute in ein schimmerndes, silbriges Blau.
Stephanus bildete sich kurz ein, im Feuer einen brennenden Mann in heiß dampfender Stahlrüstung wiederzuerkennen. Er rieb sich schnell die Augen und verbannte die unangenehme Erinnerung wieder in die Tiefen seines Hinterkopfes. Es gab zu viele Dinge, die er gesehen hatte und an die er sich lieber nicht erinnern wollte, und im Laufe der Jahre wurde die Mauer, die den Horror der Erinnerung zurückhielt, immer baufälliger. Ab und zu schlüpfte ein Bild durch eine Lücke in der mentalen Barriere, wenn er einen bestimmten Geruch vernahm, oder wenn er etwas sah, dass seine Erinnerung weckte. Aber es überraschte ihn selbst, wie vergleichsweise gut er alles wegstecken konnte. Dass er dank der Alchemie nicht träumte half garantiert dabei.
Neben Stephanus reckte sich Brarek Jungeiche. Unwillkürlich drehte der Kaiserliche seine Augen in die Richtung der Bewegung des Nords. Der fast zwei Meter hohe Mann war selbst im Sitzen eine imposante Erscheinung. Blond, bärtig, blauäugig und mit wilden Gesichtszügen war er das perfekte Beispiel eines Nords. Als Bonus kam da noch seine geringe Intelligenz dazu.
Mit seinen prankenartigen Händen blätterte er in einem abgegriffenen Buch mit einfachem Einband aus verschlissenem Leder, wobei er die Augen leicht zusammenkniff, und dem Anschein nach jedes geschriebene Wort stumm mit den Lippen nachformte.
„Wusste gar nicht, dass Ihr lesen könnt“, spaßte Stephanus.
„Ach, halt doch dein Maul“, knurrte der Nord. Er sah nicht von den beschriebenen Seiten auf, sondern hielt weiterhin seine tonlose Vorlesung, wobei er doch das ein oder andere Wort leise vor sich hin flüsterte.
Eigentlich wollte sich der Kaiserliche nicht mit Brarek unterhalten (und das beruhte wohl auf Gegenseitigkeit), aber es gab im Moment einfach nichts besseres zu tun. Es würde noch eine halbe Stunde dauern, bis ihre Wache begann, und er musste sich irgendwie wach halten.
Stephanus saß für einige Augenblicke gedankenverloren nur so da und ließ seine Glieder ruhen, und dann erhob er erneut die Stimme.
„Worum geht’s in dem Buch?“, fragte er.
Jungeiche stöhnte entrüstet und blickte nun von seinem billigen Schmöker auf. „Wenn du dich so sehr dafür interessierst, kannst du's von mir aus selbst lesen.“
Der Nord legte ein kleines Ästchen als Lesezeichen zwischen die Seiten, bevor er sein Buch zuklappte und es energisch Stephanus zuwarf.
Dieser fing es auf und begann nun seinerseits darin zu blättern.
Stephanus überflog die Seiten des relativ kurzen Taschenbuchromans. Das Papier war bereits abgenutzt und gelbstichig, und sie knisterten bei jedem umblättern. Schnell hatte der Kaiserliche Brareks Lesezeichen passiert. Wie so oft zahlte sich die Bildung aus seiner nur allzu kurzen Jugend mehr als aus, denn im Gegensatz zum Nord hatte er keine Probleme mit dem Lesen.
Als er das Buch schließlich kurz vor der Mitte wieder zuschlug, fragte sich Stephanus, warum er es eigentlich so unbedingt lesen wollte. Was hatte er erwartet? Was er hier in der Hand hielt, war keineswegs ein Meisterwerk literarischer Kunst. Enttäuscht reichte er das zerfallende Stück Lektüre an Jungeiche zurück.
Der Nord hob erwartungsvoll die Augenbrauen. Sein Ärger von vorhin schien verflogen, und offenkundig wollte er wirklich wissen, was Stephanus von dem Buch hielt.
Der Kaiserliche zuckte die Achseln und gab einen unzufriedenen „Ech“-Laut von sich.
„Was ist?“, erkundigte sich Brarek ein wenig geknickt, denn ihm schien es nicht entgangen zu sein, dass Stephanus wohl nichts gutes über das Heftchen zu sagen hatte.
„Damit ich das richtig verstehe“, setzte der Mann aus der Kaiserstadt an. „Die Hauptfigur, ein Argonier in der dritten Ära, ist aus einem Sklavenlager in Morrowind ausgebrochen, und hat es als untrainierter Minenarbeiter geschafft, den obersten Aufseher zu töten, und es zudem wie einen Selbstmord aussehen zu lassen? Und dann auch noch aus Morrowind zu entkommen?“
Er schnaufte kurz und fügte dann sarkastisch hinzu: „Da bekomme ich ja schon Angst vor den Dorfbewohnern hier. Die sind sogar noch wohlgenährter als Sklaven, glaubst du, die könnten die ganze Kompanie im Schlaf ermeucheln und es dann wie einen Unfall aussehen lassen?“
„Ach, mit euch Kaiserlichen is' es doch immer das Selbe. Ihr wisst immer alles besser, und nichts ist euch gut genug. Bei den Neun, ihr seit fast so schlimm, wie die verwünschten Hochelfen!“
Zwar hasste Stephanus die gesamte altmerische Rasse wie die Pest, von Brarek auf fast die gleiche Stufe mit ihnen gestellt zu werden ging an ihm aber wirkungslos vorbei. Sich über so etwas aufzuregen wäre in den Augen des Kaiserlichen ziemlich kindisch gewesen, zumal ihm Brareks Meinung recht egal war. Stattdessen fuhr er mit seiner Buchbesprechung fort.
„Des Weiteren tritt er der Kämpfergilde in Cyrodiil bei und wird von irgendeinem dunmerischen Kerl verraten, den er natürlich irgendwie in den Knast befördert. Dann wird der Name des Typen erst am Ende des Kapitels verraten. Wer zur Hölle ist Valen Dreth?“
Jungeiche öffnete schnell den Mund für eine Erwiderung, doch blieb er einen Moment nachdenklich und stumm, bevor er schließlich antwortete.
„Keine Ahnung. Aber das ist doch egal, oder? Vielleicht wird er später noch irgendwo erwähnt.“
„Dies hier wurde offensichtlich von jemandem geschrieben, der Dunkelelfen hasst, oder Argonier liebt, oder beides. Vielleicht war er selbst sogar Argonier. Du solltest diesen Schund los werden. Der ist höchstens noch als Brennstoff fürs Feuer zu gebrauchen.“
„Dich hat keiner Gefragt, kaiserliche Drecksau,“ erwiderte der Nord erbost.
Entnervt schnellte Meum-Te aus seiner Sitzhaltung auf und fuhr sie an. „Können ihr Menschen nicht leise sein? Hätte ich Ohren, würden sie jetzt bestimmt abfallen.“
„Was auch immer“, sagte Brarek beleidigt und klappte seine abgenutzte Lektüre wieder auf.
Der Kaiserliche seufzte. Soldin Stahlzapfen konnte ein echter Starrkopf sein, mit einer Anfälligkeit für Provokation, aber mit ihm konnte man wenigstens anständig reden. Jungeiche dagegen war wie ein Kind. Ein großes, gefährliches Kind, das sofort alle Schotten dicht machte, wenn es nicht das hörte, was es wollte.
Aber was machte das schon? Sich über die Sturheit der Nords zu ärgern war eine verlorene Sache, ein Spiel, bei dem man nicht gewinnen konnte.
Stephanus schüttelte kurz den Kopf und starrte dann wieder ins Feuer.
Bald hörte Stephanus Schritte hinter sich, und kurz darauf klopfte ihm jemand auf die Schulter.
„Steh auf, Levinius. Deine Schicht.“
Mit einem Grunzen hievte er sich hoch und wandte der Feuerstelle den Rücken zu, und blickte jetzt in das abgehärtete Gesicht von Harun, einem Rothwardonen. Stephanus kannte ihn nicht besonders gut, aber er Respektierte ihn ein wenig, da Harun ihm wie ein vernünftiger Mensch erschien.
„Wie sieht's heute Nacht aus?“ erkundigte sich der Kaiserliche bei seinem müden Mitstreiter.
Dieser zuckte die Achseln.
„Nichts. Einmal ist eine Bergziege aufgetaucht, aber das war's auch schon.“
„Nun gut. Schlaft Euch aus.“
Der Kaiserliche ging los, während Harun, nun von Stephanus abgelöst, sich lautstark gähnend in Richtung Baracke aufmachte.
Ein paar Stunden später befand sich der Kaiserliche in seiner Bettrolle. Es fühlte sich richtig gut an, nach einer langen Reise und stundenlangem Herumstehen mal die gepanzerten Stiefel ausziehen zu können, und sich auch fürs erste von den abgetragenen Socken zu befreien. Dazu fiel ihm ein altes Sprichwort ein: „Feuchte Socken töten ganze Armeen.“
Cocius konnte davon wohl ein Liedchen singen. Wie sich heraus stellte, hatte er wirklich enorme Blasen an den Füßen bekommen, und Sylaen war so gnädig gewesen, ihm diese Auswüchse mit einem Dolch auf zu stechen und Cocius von dem schmerzhaften Druck, der auf seinen wunden Füßen lastete, zu befreien.
Stephanus Wachschicht war entgegen seinen Erwartungen ereignislos zu ende gegangen. Für einige Stunden stand er zunächst noch aufmerksam, und später dann gelangweilt an seinem Posten. Das Feuer in seinem Rücken hatte ihn warm gehalten – ein Feuer vor ihm hätte ihm in die Augen geschienen, und es ihm erschwert, sich an die Dunkelheit der Nacht zu gewöhnen. Die Berge warfen lange Schatten, und das Mondlicht reichte kaum aus, wenn es denn mal nicht von Wolken geschluckt wurde. Und egal wie gut er auch hinsah, es gab nichts, das sich dort im Schatten bewegte. Die erbosten Reikmannen waren offenbar nicht so gefährlich, wie von den Einwohnern Markarth behauptet. Es wäre nicht das erste Mal, dass mit solchen Dingen maßlos übertrieben worden war, und sicherlich auch nicht das letzte Mal. Ein Bettler mit schäbigem Wolfsmantel wurde schnell zum Werwolf, und ein paar wütende Bergleute zur größten Bedrohung für die Straßen des Reach.
„Oder sie meiden gezielt große Gruppen Bewaffneter.“
Aber im Moment war es ihm einerlei. Nach dem Marsch und der Nachtwache sehnte er sich nach Ruhe und Schlaf. Morgen würden sie den Karth überqueren (den sie bei ihrem Stopp dazu nutzten, um ihre Frischwasservorräte aufzutanken und sich an seinen Ufern mit dem eisig kalten Wasser notdürftig zu waschen), und dann währen sie, nachdem sie den großen verfallenen Festungsturm auf der anderen Uferseite passiert hatten, schon aus dem angeblichen Einflussgebiet der Abgeschworenen heraus.
Stephanus drehte sich auf die Seite und fischte mit seinen Händen eine der Phiolen flüssigen Traumraubs aus der vordersten Tasche seines Rucksacks. Wie es heute um seinen geistigen Zustand stehen würde, hätte der Alchemist nicht diese Formel entdeckt, konnte Stephanus nur vermuten. Er erinnerte sich noch an seine ersten Nächte als Heuerling.
Er hatte damals aus Angst vor dem, was er in seinen Träumen sehen konnte, drei Tage nicht geschlafen, bis er dann vor Erschöpfung einfach ohnmächtig wurde und einige Stunden später wieder aufgeschreckt war. Die folgende Nacht hatte er sich vor Verzweiflung bis zur Besinnungslosigkeit volllaufen lassen, und erst am darauf folgenden, von einem enormen Kater begleiteten Tag schlug ihm jemand vor, dem Alchemisten mal einen Besuch abzustatten.
Bestürzt stellte Stephanus fest, dass ohne den Alchemisten sein Leben ganz anders verlaufen wäre. Womöglich wäre er jetzt bestimmt tot, denn einen traumatisierten, insomnischen Säufer konnte man in einer Privatarmee wohl kaum gebrauchen. Er wäre aus der Kompanie geschmissen worden, und anschließend irgendwo als Bettler in irgendeiner Stadt am Wegesrand verendet.
Er seufzte, und mit einem lauten „Plop!“ entkorkte er den Glasbehälter und setzte ihn anschließend an seine Lippen.
„Aufs Wohl.“
Nach einem tiefen Schluck von der bitteren Substanz verkorkte er das Fläschchen wieder. Wie so oft verzog er das Gesicht bei der Attacke auf seine Geschmacksknospen, während er das Elixier wieder in den Rucksack verfrachtete.
Wie üblich würden ihm diese Nacht jegliche Träume erspart bleiben, und dafür dankte er den Neun.
Fürstentum Reach, Karthwasten -> Fürstentum Reach, Broken Tower Redoubt
„Seit ihr alle hier? Gut. Wurde auch langsam mal Zeit.“ Hrard wandte sich von der ihm unterstellten Truppe aus Kämpfern ab und deutete auf die Karte, die auf einem klapprigen Holztisch ausgebreitet lag, und um die sie alle versammelt standen. Hrard hielt die Karte mit einer Hand gut fest, da der Wind immer wieder an den Ecken des großen Lederfetzens zerrte, wie ein rotznäsiges kleiner Bengel, der versucht, einem anderen Kind ein Spielzeug wegzunehmen.
Stephanus' Mundwinkel zogen sich leicht nach unten. Schon an seiner Tonart konnte man abhören, dass Hrard nicht gerade bester Laune war.
Hier ist die Festung, das hier ist die Brücke.“ Damit meinte der Nord die uralte Burg Broken Tower Redoubt und die Brücke, die über den Karth führte. Beide waren auf der Karte mithilfe von Holzkohle durch zwei einfach gezeichnete Türmchen und zwei übereinander liegende Bögen gekennzeichnet.
„Soweit wir wissen, wurde Broken Tower direkt an einer Bergflanke erbaut. Zwei Türme, zwei oder drei Plateau-ähnliche Etagen. Und egal, wie wir es anstellen, ohne Bergsteigausrüstung werden wir sie wohl frontal stürmen müssen.“
„Sag, Hrard“, wunderte sich Cocius, „warum riskieren wir nochmal unsere Hälse, um dieses Ding einzunehmen?“
Der Nord blickte zu ihm auf. „Hat Soldin dir das nicht gesagt, als er dich hergeholt hat?“
Sowohl Cocius als auch Soldin Stahlzapfen schüttelten verneinend die Köpfe.
Hrard warf Soldin einen tadelnden Blick zu und sprach dann etwas lauter weiter.
"Okay. Diese Festung hier,“ er unterstrich seine Worte, indem er auf der Karte herumtippte, „Diese Festung liegt genau auf unserer Straße nach Hjaalmarsch. Der Vorhut zufolge ist sie nicht sehr stark bemannt. Menarven will aber, dass ein Trupp von Veteranen da rein geht und die Bude ausräumt. Er hat keine Lust darauf, dass die Abgeschworenen uns nachher flankieren oder uns in den Rücken fallen. Außerdem hat uns einer der Dorfbewohner erzählt, dass diese Wilden dort auf den Türmen des öfteren Rauchsignale versenden, wenn eine größere Gruppe die Straße oder die Festung passiert. Die Bergaffen wissen ohne Zweifel bereits von unserer Anwesenheit hier im Reach und in Karthwasten, ihre Kommunikation zu stören wäre aber ein Vorteil für uns alle.“
„Die Dorfbewohner?“ erkundigte Stephanus sich skeptisch, „Warum sollten die uns helfen? Wir sind für die doch nur irgendwelche Fremden Eindringlinge, die ihnen das Leben schwer machen.“
„Die Nords hier im Reach hassen die Riekmannen,“ erklärte Bodeado vorsichtig, und alle Gesichter wandten sich ihm zu. „Ich meine, sie stören den Handel und töten Reisende. Für die Dorfbewohner ist es doch nur gut, wenn wir auf ihren Straßen ein wenig aufräumen.“
Stephanus wiegte den Kopf hin und her. „Eigentlich hast du ja recht.“
Hrards Blickt wanderte zwischen Stephanus und Bodeado hin und her. „Seit ihr beiden dann mal fertig?“ Er fuhr dann mit der Lagebesprechung fort, ohne eine Antwort abzuwarten.
„Sie werden erwarten, dass wir über die Brücke kommen, und dort gibt es bestimmt ein paar Späher, die dann loslaufen, um ihre Freunde in der Burg zu warnen, damit die sich schon mal auf uns einstellen können. Die Vorhut sagt, sie habe zwei-drei Silhouetten auf der anderen Seite der Brücke gesehen, die sich sofort aus dem Staub gemacht haben, als unsere Leute sich daran gemacht haben, den Fluss zu überqueren. Etwas den Fluss hoch im Süden gibt es eine Furt, die wir nehmen werden, um auf das andere Ufer zu gelangen. Wir können dann über eine Reihe von Pässen die Burg so weit umgehen, dass wir die Straße hoch hinter der Festung rauskommen. Wir teilen uns zuvor auf der anderen Seite des Flusses auf, danach wartet die kleinere Gruppe um die zwanzig Minuten, schnappt sich die Brückenwächter, marschiert hoch zu den Broken Towers und zieht die ganze Aufmerksamkeit auf sich. Der Rest von uns attackiert dann aus der anderen Richtung, und wir greifen uns danach die Festung. Noch Fragen?“
Harun meldete sich zu Worte: „Wie groß ist die Festung eigentlich im inneren? Geht sie in den Berg rein?“
Hrard zuckte die Achseln. „Keine Ahnung. Der Jarl in Markarth und seine Vorgänger haben die Burg schon lange vernachlässigt, und wir haben keine genauen Berichte. Scheiße, Menarven selbst hat als wir noch dort waren Markarth nach verlässlichen Karten und Grundrissen abgesucht, aber nichts gefunden.“
„Was ist mit Gefangenen?“ raunte Fleisch.
„Keine Gefangenen. Ihr könnt von mir aus mit ihnen machen, was ihr wollt, solange ihr sie am ende umlegt. Wir haben schon genügend Mäuler zu stopfen, und für diese verlausten Säcke würde sowieso niemand Lösegeld zahlen.“
Das zauberte ein unangenehm perverses Grinsen auf Fleischs Gesicht, das Stephanus hoffen ließ, niemals diesen Menschen im Kampf als Widersacher zu haben. Nicht, dass er nicht glaubte, in einem Kampf die Oberhand erringen zu können. Vielmehr war da das Risiko, den Kürzeren zu ziehen und dann diesem Monstrum ausgeliefert zu sein. Fleisch gönnte seinen Gegnern in der Regel keinen schnellen Tod, wenigstens wenn er es vermeiden konnte.
„Warum greifen wir nicht bei Nacht an?“ fragte Stephanus.
„Menarven will nicht so lange warten. Je schneller wir bei der Legion in Hjaalmarsch sind, desto eher bekommt er seine Bezahlung, und wir unseren Lohn.“
Der Kaiserliche nickte und fuhr sich nachdenklich mit der Hand durch den Bart. Ein paar Männer zu riskieren um somit Zeit zu sparen und schneller an sein Geld zu kommen, das sah dem Feldherren der Kompanie ähnlich.
„Natürlich geht es dem verdammten Dunkelelfen wieder nur um die Septime. Wie konnte ich das nur vergessen?“
„Gibt's noch was? Nein?“ Hrard blickte sich einmal in der Gruppe um und rollte dann die Karte mit seinen behandschuhten Händen zusammen. „Gut. Dann macht euch bereit. In zwanzig Minuten an der Straße, und bringt ein zweites Paar Socken mit. Heute werden ein paar Bergfrauen zu Witwen gemacht.“
Da waren sie nun, auf der westlichen Seite des Karth. Misstrauisch beäugte Stephanus den Fluss. Die Luft war erfüllt vom Getose der nahe gelegenen Wasserfälle, dass von dem Rauschen des Flusses begleitet wurde, und sie war auch schwanger mit Feuchtigkeit. Ebenso erfüllt war sie von einem Nebel aus winzigen Wassertröpfchen, der wie ein freigeistiges Gespenst zwischen den Bergen umher schwebte und sich nicht weit von den Kaskaden ins Nichts auflöste, aber nicht ohne sich leicht prickelnd auf jedem Stück freier Haut abzusetzen und bei ihr durch seine Frische die Erinnerung an Nieselregen zu wecken. Skyrim hatte eine wilde Schönheit an sich, die Stephanus schon immer bewundert hatte.
Hier und da konnte man Libellen durch die Luft sausen sehen, und über dem Flusstal glitten in großer Höhe vereinzelte Adler dahin und spähten in der Nähe des Flusses und der zerklüfteten Landschaft nach Beute. Der Fluss roch nach wildem, sauberem Wasser, ganz anders als der Strom, der durch die Stadt Markarth und Umland floss und die Gesamtheit an Exkrementen und anderem Unrat aus der ummauerten Ortschaft wegschaffte.
Nein, an der Stelle, an der die gerüstete Truppe jetzt stand, hatte sich der kleine Fluss aus Markarth bereits mit zwei weiteren Zuflüssen zum großen Karth vereinigt. Das glasklare Bergwasser überwog die Verunreinigung, den Makel der Zivilisation, und würde die kräftige Strömung die Oberfläche des Fließgewässers nicht so stark verzerren, so würde man an vielen Stellen sogar das steinige Flussbett sehen können, dem war sich Stephanus sicher.
„Da sollen wir rüber?“ fragte der bärtige Kaiserliche gerade laut genug, um die herabstürzenden Wassermassen in ihrer Umgebung zu übertönen. Sein Helm verdeckte dabei nicht nur den Rand seines Sichtfeldes, sondern selbst seine eigenen Worte klangen durch das Metall und das darunter liegende Leder gedämpft und hohl. Die Skepsis in seiner Stimme verriet jedoch ganz deutlich, für wie fragwürdig er die Zuverlässigkeit ihres Weges zur anderen Flussseite hielt.
Die „Furt“ bestand gerade mal aus einigen kleinen Inseln im Fluss, die miteinander und den beiden Böschungen durch fast an die Oberfläche ragende Felsformationen verbunden waren. Das war genau genommen schon genug, um diese Stelle als Furt zu bezeichnen – schließlich konnte man hier zu Fuß auf das andere Ufer hinübersetzen. Aber selbst mit bloßem Auge konnte man sehen, wie stark die Strömung das nasse Element über die steinige Untiefe schob.
Stephanus hatte schon oft genug gesehen, wie Mitstreiter bei Flussüberquerungen nach einem Fehltritt von Wasserströmen mitgerissen wurden, um dann durch das Gewicht ihrer Ausrüstung in ein unangenehm feuchtes und kaltes Grab gezogen zu werden. Wie es für ihn aussah, reichte es in diesem Falle bereits aus, mit den Füßen ein wenig den Halt zu verlieren, um sein Ende zu finden.
Allein der Gedanke daran, auf diese weise zu sterben, sorgte dafür, dass dem Kaiserlichen mehr als nur mulmig zumute wurde. Von den Wassermassen erdrückt zu werden, orientierungslos und ohne Hoffnung. Verzweifelt gegen die Fluten anzukämpfen, bis man den Drang zu Atmen nicht mehr unterdrücken konnte und sich die Lungen mit stechend kaltem Wasser füllten.
Soldin grunzte belustigt. „Hrard, ich glaube etwas stimmt mit dem Herrn Levinius nicht. Wir sind noch nicht mal im Wasser, und er hat schon kalte Füße!“
Dem Kaiserlichen stand es nicht danach, jetzt einen Streit anzufangen, also antwortete er nur mit einem kurzen und müden „Halt die Klappe.“
„Stellt euch auf,“ befahl Hrard dann, der dem Geplänkel zwischen Stephanus und Soldin offenkundig keine Beachtung schenkte. „Bodeado, Sylaen. Bereitet eure Bögen vor und deckt uns von dieser Seite. Ich gehe vor, der Rest folgt mir. Levinius, Meum-Te, ihr seid genau hinter mir. Sobald wir drüben sind, bereitet eure Bögen vor und haltet Wache. Jungeiche, Bärenpelz, Harun, Berend,“ rief Hrard dann. „Lauft vor zur Brücke und tötet die Späher. Der Weg an Festung der Festung vorbei verläuft durch ein kleines Tal in der Seite des Berges. Wir werden am Rand davon auf euer Signal warten, während Spurius, Levinius und Sylaen schon mal einen kleinen Blick auf die scheiß Burg werfen. Los jetzt.“
Die Kämpfer setzten sich in Bewegung, nachdem Hrard einem der Männer der sich jetzt vom restlichen Tross abspaltenden Gruppe ein Horn in die Hände gedrückt hatte, ein eindringliches „dreißig Minuten“ auf den Lippen, und Stephanus konnte beim Anblick des reißenden Flusses nicht anders, als in seinen Gedanken ein kleines Stoßgebet an die Neun zu richten.
Wenngleich seine Füße kalt und nass waren, so war Stephanus bei der Überquerung des Karth nichts weiter zugestoßen, und auch nicht seinen Mitstreitern. Unter der Deckung von einigen Kameraden wechselten die Söldner nun eilig ihre Socken, und wrangen die durchnässten Strümpfe aus.
„In diesem Zustand sind sie nichts weiter, als Krankheiten anziehende, kräftezehrende Lumpen,“ dachte sich Stephanus, während er mit bleich werdenden, zittrigen, etwas tauben und kalten Händen kraft auf seine zusammen gedrehten Socken ausübte und darauf wartete, bis kein Wasser mehr aus ihnen hervortrat. „Feuchte Füße töten Armeen,“ hieß es in einem Sprichwort, und Stephanus' Meinung nach war es ein sehr gutes, das sich ganz schnell bewahrheiten konnte, wenn man es nicht beachtete.
Schritt für Schritt hatten sich die Heuerlinge durch die Strömung des Karth gekämpft. Zunächst hatte der frische Fluss Stephanus' Füße nur umspült, aber je näher sie der Mitte zwischen zwei der kleinen Felsbrocken und Möchtegern-Inseln kamen, desto tiefer wurde auch das Wasser. Stellenweise waren seine Beine weit genug unter die Oberfläche getaucht gewesen, um seine Stiefel in verdammte Eimer wider Willen zu verwandeln. Als erstes hatte die Kälte auf der Haut gebrannt, währenddessen sich seine Strümpfe wie Schwämme gierig mit dem eisigen Nass vollgesogen hatten. Anschließend hatte die schmerzhafte Taubheit eingesetzt, und seine Füße hatten damit begonnen, sich wie dumpfe, kalte Säcke voller Sand anzufühlen, und gerade jetzt machte es der Wind im Flusstal nicht viel erträglicher. Der Karth würde sie vielleicht passieren lassen, aber er machte ihnen ganz klar, wer hier eigentlich die Naturgewalt war, und dass sie ihm auch in Zukunft gefälligst Respekt erweisen sollten.
Kurz nachdem sie den Fluss wieder verlassen hatten und das Gebiet um sie herum durch nachfolgende Kumpanen gesichert war, hatte der Kaiserliche seine Stiefel ausgezogen und das Wasser wieder in den Karth gekippt, derweil seine bleichen Quadratlatschen stark zitternd ihren Tastsinn zurückgewannen und seine Haut von einem nervigen Kribbeln geplagt wurde, dass sich wie tausende von winzigen Nadelstichen anfühlte.
Nun hatte er seine Socken so gut es ging ausgequetscht, und schnell stopfte er die noch recht Feuchten Fußwärmer in einen der Lederbeutel, die an seinem Gurt befestigt waren. Normalerweise bewahrte er in ihnen kleine Streifen Dörrfleisch, Heilsalben und anderen nützlichen Krimskrams (wie zum Beispiel Ersatzsocken) auf, doch diesen einen Beutel hatte er vor dem Ausrücken geleert, und auch sonst erlaubte ihm die relative Nähe zum Lager, bei der Wahl seiner Ausrüstung andere Prioritäten zu setzen.
Beim Stundenlangen marschieren konnte der kleinste Kilo Zeugs, denn man nicht mitschleppen musste, ein wahrer Hochgenuss sein. Jetzt musste er sich darüber keine Gedanken machen, er konnte einfach seinen Bogen und einen Überschuss an Pfeilen mitbringen. Bodeado hatte sogar ein langes Seil mitgenommen. „Man weiß ja nie, wann man ein Seil gebrauchen kann. Man will schließlich nicht vergammeln, in irgendeinem Loch gefangen, oder?“, war die Erklärung gewesen.
Hier saßen sie nun im Schatten, denn die Sonne wurde von den Höhen, an dessen Fuß sie sich befanden, verdeckt. Es schien so, dass man sich immer am Fuße irgendeines Berges wiederfand, wenn man im Reach unterwegs war.
Danach kam der Befehl zum weiterziehen, denn sie hatten einen straffen Zeitplan einzuhalten.
„Du weißt doch, dass Kaiserliche für ihre geschickten Zungen bekannt sind,“ flüsterte Cocius vielsagend, und Sylaen entgegnete dem mit einem verspielten Kichern.
„Halts Maul, Spurius,“ presste Stephanus zwischen den Zähnen hervor, ohne sich zu ihm oder zu Sylaen umzudrehen, während sich seine Stirn in Falten legte. Er musste die Festung im Auge behalten. Von diesen zwei Idioten durfte er sich nicht ablenken lassen.
Vor und kurz nach der waghalsigen Flussüberquerung war er zu sehr mit sich selbst beschäftigt gewesen, um sich darüber zu ärgern, dass Hrard ihn zusammen mit diesen beiden Witzfiguren zum voraus spähen losgeschickt hatte.
Sylaen war auf gefährliche Weise geisteskrank, und Cocius Spurius ein kurzsichtiger und ungeduldiger Idiot. Diese zwei Klötze, die jetzt an Stephanus' Bein hingen, hatten nach der letzten Schlacht, die sie in Hochfels geschlagen haben, zwei gefallene Mitglieder von Hrards Einheit ersetzt. Der Kaiserliche hatte die beiden kaum gekannt – eine Rothwardonin mit schiefen Zähnen und eine pockennarbige Nord.
Sie waren nicht die schönsten Vertreter ihrer Völker, dennoch hatten sich seine beiden verblichenen Gefährten wenigstens professionell verhalten. Sowohl Sylaen als auch Cocius hatten noch den Makel der jugendlichen Unerfahrenheit und Ungeduld an sich, wobei bei Sylaen der mörderische Schwachsinn noch hinzu kam. Aus diesem Grund hatte Hrard wohl Stephanus mitgeschickt. Er sollte darauf aufpassen, dass die beiden Jungspunde nicht alles verdarben. Warum er nicht einfach drei Leute mit Erfahrung im Kundschaften vorgeschickt hatte blieb dem Kaiserlichen ein Rätsel. Hrard hatte ihm zuvor ebenfalls ein kleines Horn mit eiserner Kette gegeben und ihm gesagt, er solle Bescheid geben, sollte irgendetwas nicht in Ordnung sein. Hrard liebte diese kleinen Hörner, wohl wegen der einfachen Kommunikation über längere Entfernung, die sie ermöglichten.
Jetzt gerade verbargen sie sich hinter einem größeren Felsbrocken auf einer kleinen Anhöhe. Die Festung lag in einem schmalen Tal und schmiegte sich, wie Hrard es zuvor erwähnt hatte, an die Seite des Berges.
Von ihrer Position aus konnten die drei einen guten Blick auf den Eingangsbereich des steinernen Bollwerks werfen, ohne, dass die Gefahr selbst erspäht zu werden sehr groß war.
Stephanus sah gerade einmal drei Personen, die angespannt in der Nähe einer dunklen und abgenutzt aussehenden Holztür herumlungerten. Sie alle waren in zerfranste und abgetragene Tierfelle gekleidet und trugen primitive Waffen, gefertigt aus Stein, Holz und Knochen.
„Und dann wundern diese Leute sich, wie die Nords es je geschafft haben, sie zu vertreiben.“ dache der Kaiserliche sich mit einem Kopfschütteln.
Die Tür, die die Abgeschworenen bewachten diente wohl als einer der Eingänge zum Interior des Gemäuers. Zusätzlich erblickte er auf einem der beiden rundem Türme der Festung einen Kopf, der ab und an zwischen den Zinnen hervorlugte und in Richtung Fluss spähte. Dann war da noch ein Bogenschütze, der auf einem der Plateaus patrouillierte.
Diese Plateaus boten viel Platz, wie es schien, denn die Abgeschworenen hatten hier und da ein Zelt auf ihnen aufgeschlagen.
Die drei Söldner würde diese - so glaubte Stephanus erkennen zu können – unsicher und nervös dreinblickende Gestalt wohl nur aus dem Augenwinkel sehen, wenn überhaupt.
„Seht ihr den Rotschopf da?“ fragte Cocius Spurius, wobei er sich flach gegen den Felsen drückte und über den Rand hinweg lugte.
Stephanus konnte die rothaarige Frau durchaus sehen. Sie gehörte zu dem Trio vor dem Eingang und trug einen provisorischen Helm gemacht aus einem Tierschädel, der ihren Kopf nur schwerlich schützte. Ihre fettigen Haare waren Schulterlang, und selbst aus ihrem Versteck aus konnten die Heuerlinge deutlich ausmachen, dass sie ein recht attraktives, wenn auch verdrecktes Gesicht besaß.
Cocius wartete die Antwort seiner beiden Mitstreiter nicht ab. „Die gehört mir. Also Finger weg.“
Stephanus' Stirn legte sich noch tiefer in Falten. Er hatte aufgeschnappt, dass Cocius auf der Flucht vor seiner Hinrichtung ins Rekrutierungszelt der kleinen Söldnerarmee geraten war, und wofür er hingerichtet werden sollte, war nun auch kein Geheimnis mehr.
„Ich dachte, ich wäre die Einzige für dich,“ sagte Sylaen mit gespieltem Entsetzen.
„Bei Stendarr, haltet endlich die Schnauze, ihr beiden!“
Der Abstand zwischen ihrem Versteck und ihren Feinden war zwar nicht sehr klein, dennoch wusste der Kaiserliche aus Erfahrung, wie unberechenbar sich Schall vor allem in steinigen Gebirgen wie diesem hier verhalten konnte. Das letzte, dass sie noch brauchten, war eine alarmierte, verrammelte Festung voller wütender Bergleute, die von den Türmen herab mit Pfeilen schossen und mit Steinen nach ihnen warfen.
„Okay... Zurückfallen. Die anderen sind bestimmt schon von der Brücke zurück.“
„Was, damit einer von diesen klobigen Schweinekinder oder Talosfatzken mir diese vom Feuer geküsste Schönheit unter der Nase wegschnappen kann, oder sie sogar umbringt? Wir sind zu dritt, die sind zu dritt. Wir sind besser ausgerüstet!“
Cocius sprang auf, und als Stephanus versuchte, nach ihm zu greifen und ihn verfehlte, zog der jüngere der beiden Kaiserlichen sein Schwert, während er aufrecht einfach geradeaus auf die Festung zulief.
Stephanus fluchte und griff nach seinem Bogen. „Sylaen, lauf und geb Hrard bescheid!“
„Und ich soll den ganzen Spaß verpassen? Hah, niemals!“ Auch sie griff nach ihrem Bogen und legte im Laufen einen Pfeil auf.
„Molag Bal, verfluchter,“ rief der Kaiserliche, als er nach dem Horn griff und kräftig hinein pustete.
Sofort echote der tiefe Klang des Instruments durch die Berge, während duch Stephanus' Kopf nur ein Gedanke widerhallte:
„Ich werde ihn umbringen. Ich werde diesen rotznäsigen kleinen Bastard umbringen.“
Er sprang auf, zückte seinen Bogen und hastete hinter seinen beiden Mitstreitern her. Eigentlich hätte er einfach auf den Rest von ihrem Trupp warten können und die beiden verrecken lassen – sein Schaden wäre es nicht gewesen – aber er würde wohl versuchen müssen, Schadensbegrenzung zu betreiben. Vielleicht würden sie es zu dritt noch hinbekommen, zu verhindern, dass jemand die Eingangstore verriegelte.