Weidenländer, Vos, Handelshaus
Anschluss an diesen Post im Geschichten aus Tamriel-Thread.
Es war zwielichtig im Handelshaus von Vos. Auf jedem Tisch brannte ein Öllämpchen, aber in der Wand des großen Pilzes, aus dem das Haus gearbeitet war, fanden sich keine Fenster. Auch so mochte es draußen vielleicht schon längst Nacht sein. Tirian hatte sein Zeitgefühl inzwischen verloren. Er hatte sich selbst verloren und saß nun mit durchhängenden Schultern an einem der Tische im hinteren Teil der Mitte des Schankraumes. Die schlechte Stimmung, die ihn befallen hatte, schien auf die anderen Gäste abzustrahlen, denn niemand zog es auch nur länger als für einige Augenblicke in Betracht sich zu ihm zu setzen. Der Stuhl ihm gegenüber blieb frei und das passte ihm auch ganz gut so. Er hatte nun schon seinen fünften Humpen Mazte vor sich und setzte immer mal wieder zu großen Schlucken an, während er ein beklagtes Seufzen vernehmen ließ, um das sich die Umhersitzenden schon lange nicht mehr kümmerten. Der Dunmer bot einen eher mitgenommenen Anblick. Die kurzen, schwarzen Haare, die von einem sauberen Mittelscheitel zu beiden Seiten des Kopfes hin abfielen und vorne in langen, nach vorne springenden Strähnen ausfielen, waren stumpf und zerzaust. Ein ungepflegter Drei-Tage-Bart zierte das aschgraue, junge, aber jetzt müde wirkende Gesicht des Dunmers, in dem die eindringlichen blutroten Augen einen Kontrast zu den sie umgebenden Augenringen boten. Wieder ein Seufzen und ein weiterer Schluck aus dem Humpen. „Verflucht! Was soll ich tun?“: fragte er sich in Gedanken. Er war unglaublich müde und das lag nicht nur am steigenden Alkoholpegel. In den letzten Wochen war er kaum zur Ruhe gekommen und war ständig unterwegs gewesen. Tirian war auf der Suche nach seinem Vater Tarrior. Jener wollte allein gegen den mächtigen Telvanni-Ratsherren Behram Meradanz antreten, was der junge Dunmer für einen großen Fehler gehalten hatte. Als Tirian von der Plantage in der Westspalte aufgebrochen war, führten ihn seine Schritte zunächst nach Norden. Er wusste, dass Tarriors Weg nach Maar Gan führte und dazu musste er an einem Lager des Widerstandes vorbei, das den Pass ins Aschland gesperrt hatte. Dort war sein Vater allerdings bereits eines der bestimmenden Gesprächsthemen. Offenbar hatte er mit dem Anführer einer großen magischen Miliz gekämpft und diesen sogar niedergerungen. Aus diesem Grund wandte sich der Heiler auch an jene magische Miliz und kam mit einer Bretonin in Kontakt, die ihm tatsächlich weiterhelfen konnte, was sie auch gerne tat, als er ihr seine Geschichte vortrug - und von der er auch vom Angriff auf die Stadt erfuhr, zu der sein Vater gewollt hatte.
„Am Morgen des Tages, an dem die Daedra angriffen, erhielt ich noch per Falke eine Nachricht von unserer Truppe vor Ort. Euer Vater hat die Stadt vor dem Angriff gen Norden verlassen. Wie es scheint, wollte er eine Höhle in der Foyada aufsuchen. Allerdings könnt ihr nicht denselben Weg nehmen. Die Stadt hat sich in die Hölle verwandelt. Tarrior hat viel für mich getan, deshalb möchte ich euch helfen. Wegen der angespannten Lage auf Solstheim und einer womöglich bevorstehenden Invasion ist eine Garnison von uns in Khuul stationiert. Reist dorthin und ich werde veranlassen, dass ihr mit einem Boot zum Nordende der Foyada übergesetzt werdet“: sagte sie ihm zu und Tirian nutzte das Angebot und fand sich wenige Tage später tatsächlich im Aschland wieder, wo er sich umgehend auf die Suche nach der besagte Höhle machte, die er dann auch fand. Es gestaltete sich allerdings als Suche nach der Nadel im Heuhaufen und so klapperte er alle Höhlenzugänge ab, die auf seinem Weg lagen und fand schließlich vor einer Höhle mit Namen Sha-Adnius, dessen Eingang recht windgeschützt lag, zerwühlte Asche und jede Menge Fußabdrücke, die auf rege Aktivität vor nicht allzu langer Zeit hindeuteten. Tirian untersuchte die Höhle und fand tatsächlich Anzeichen für Kämpfe und er fand auch Leichen, allerdings waren dies bereits vor langer Zeit gestorbene und das als Zombies wiederauferweckte Körper, die deutlich Tarriors feurige Handschrift trugen. Auch die letzte Höhle des Höhlensystems bot Anzeichen eines Kampfes allerdings waren bis auf zersplitterte Skelette keine Toten zu finden. Auch eine Hütte, die er fand, bot keine weiteren Hinweise, denn sie war völlig ausgebrannt. Der Dunmer war sich sicher, dass sein Vater hier gewesen war, aber es gab keinerlei Hinweise auf seinen Schicksal oder gar seinen Verbleib. Er wollte die Untersuchung bereits aufgeben und weiter das umgebende Aschland absuchen, als er dann doch in einem der Wasserbecken, die in diesem hintersten Teil des Höhlensystems terrassenartig von den Höhlenwänden abliefen, ein Zahnrad nach dwemerischer Machart entdeckte. Es war zu groß für irgendwelche Maschinen der Dwemer, die er kannte und so konnte es nur ein Bauteil eines kleineren und filigraneren Animunculus gewesen sein. „Behram!“: ging es Tirian dabei sofort durch den Kopf, denn er wusste aus Tarriors Erzählungen, das der Telvanni solche seltsamen humanoiden Maschinen für seine Zwecke einsetzte. Dem Dunmer war damit sofort klar, wo er seinen Vater würde suchen müssen und entschloss sich zur Rückkehr an die Küste.
Eine Überfahrt mit dem Schiff, auf die er noch einige Tage warten musste, brachte ihn zunächst nach Hla Oad, von dem aus er sich wieder Richtung Norden nach Balmora wandte, um Unterstützung im Rat der Hlaalu zu suchen, um seinen Vater den Ratsherren zu befreien. Leider fehlten ihm die Beweise. Ebenso gestalteten sich auch die Besuche an anderen Stellen, an denen er um Hilfe nachsuchte. Sowohl in Ebenherz als auch in Vivec wurde er bei den mächtigen Ratsherren abgewiesen, wenn sie seine Geschichte überhaupt glaubten, dann war ihnen das Risiko zu groß womöglich einen Krieg mit dem gesamten Fürstenhaus Hlaalu heraufzubeschwören, wenn sie Meradanz angriffen. Tirian wollte schon aufgeben, als er zufällig im Hlaalu-Bezirk auf Dram Bero stieß. Er kannte das markante Gesicht aus vielen Erzählungen Tarriors. So wusste er auch, dass der alte Dunmer eine Art Mentor für seinen Vater war. „Das ist eine verrückte Geschichte, Tirian“: stellte Dram Bero fest. Dennoch war er bereit ihm zu helfen, allerdings konnte auch er nicht viel tun, denn auch ihn trug die Sorge darum, welche Auswirkungen ein Angriff auf den Telvanni haben würde. „Allerdings ist Behram Meradanz nicht ganz unumstritten im Haus Telvanni. Meister Aryon von Tel Vos, ein sehr gemäßigter Magierfürst, hasst ihn. Wenn euch jemand helfen kann, dann ist er es. Ansonsten gab es ja da noch diese Geschichte in Balmora mit der Eiermine…“: schlug Dram Bero damals vor und der Ratsherr organisierte Tirian dann auch zwei Tage später eine Überfahrt von Vivec nach Vos, die sich aufgrund des schlechten Wetters an der Küste hinzog. Gestern kam er schließlich in der Stadt an und ersuchte den Magierfürsten um eine Audienz. Jetzt war er von jener Audienz aus Tel Vos zurück. Und gerade der Gedanke daran, zwang Tirian dazu noch einen kräftigen Schluck aus dem Humpen zu nehmen.
„Es tut mir Leid um euren Vater und ihr könnt mir glauben, dass ich Behram Meradanz mehr als alles andere, am liebsten tot sehen möchte, aber leider kann ich im Moment keine Truppen entbehren. Seit dem Vorfall in Maar Gan haben sich die daedrischen Angriffe auf die Weidenländer verstärkt. Erst vor wenigen Tagen gab es eine große Schlacht hier vor Tel Vos, wo wir einen Belagerungsring der Daedra aufbrechen konnten, aber schon sickern aus dem Aschland neue Verbände heran und ich muss nicht nur Tel Vos und Vos schützen, sondern auch die Stämme der Aschländer stehen unter meinem Schutz. Außerdem muss ich die Verheerung der Weideländer verhindern. Der wild wuchernde Dochtweizen hier, dient inzwischen weiten Teilen Vvardenfells der Grundernährung und natürlich auch unserer Truppen hier vor Ort. So sehr ich es auch möchte, kann ich leider niemanden entbehren“: musste Meister Aryon seine Hilfe versagen. Als er diese Nachricht verdaut hatte, überraschte ihn der Telvanni allerdings noch mit einigen Informationen: „Ich kann euch allerdings mit ein paar Informationen weiterhelfen. Ich habe Spione in Mora Uvirith im Einsatz, um Meradanz zu überwachen. Mir kam deshalb zu Ohren, dass vor etwa einer Woche eine Gruppe unter der Führung von Meradanz’ Sprecher Aytor von Brasselin zwei Särge nach Tel Uvirith geliefert wurden. Ich mag euch jetzt eure Hoffnung nicht nehmen wollen, dass eurer Ratsherr noch am Leben ist. Wenn er noch am Leben sein sollte, dann werdet ihr ihn bestimmt in den Kerkern unter dem Turm finden. Ich weiß trotz meiner Spione Nichts über den Turm. Meradanz lässt nur seine Vertrauten hinein, allerdings ist es auch schon eine Herausforderung die Stadt im Moment überhaupt zu betreten. Jeder Besucher wird durchsucht und überprüft, aber wenn ihr es hinein schafft, könnt ihr euch an meinen Agenten Vingald wenden. Er betreibt ein kleines Geschäft für nordische Waffen am Rande des Marktplatzes von Mora Uvirith. Er könnte euch in den Turm bringen.“
Da Tirian durchaus wusste, dass Unterstützung von solch mächtigen Personen nie aus reiner Herzensgüte gegeben wurde, fragte er: „Und wo ist der Haken an der Sache?“ Der Telvanni lächelte knapp, bevor er antwortete: „Ich gebe euch einen Ring mit. Der wird bei einer Kontrolle am Tor nicht so auffallen, wie ein Schreiben von mir. Wenn Vingald diesen Ring sieht, wird er euch helfen. Wenn er euch in den Turm bringen kann, möchte ich, dass ihr etwas für mich erledigt. Meradanz untergräbt meine Autorität im Rat und sorgt für eine passive Politik, die dafür sorgt, dass ich alleine gegen die Horden der Daedra stehe. Er will mich schwächen. Ich habe den Verdacht, dass er plant die Macht im Haus Telvanni zu übernehmen und sich selbst zum Erzmagister zu machen und deshalb nun seine Konkurrenten ausschaltet. Sucht mir im Turm entweder etwas Belastendes, dass ich im Rat gegen ihn verwenden kann oder aber etwas, dass mir seine Pläne verrät. Wenn er tatsächlich einen Staatsstreich plant, lasst mir die Pläne schnell zukommen und ich werde gegen ihn militärisch vorgehen. Ich habe eine Einheit im Süden in der Nähe der Grenze zu seinem Gebiet stationiert. Die zwar mit den Daedra beschäftigt, aber wenn ihr mir eine Grundlage gibt, die ein militärisches Eingreifen legitimiert, dann genießt ihr meine volle Unterstützung.“ Tirian nickte und nahm nur noch den Ring entgegen, bevor er sich dann entfernte. Er seufzte. „Wo ist Tarrior da nur hinein geraten“: überlegte der Dunmer, der sich wünschte jetzt wieder auf einem Handelsschiff zu sein und die kranken Seeleute zu heilen, anstatt sich in politische Verwicklungen zu stürzen, die er nicht annähernd durchschaute. Aber gerade das Schicksal seines Vaters gab ihm den Willen sich dem entgegenzustellen.
Als er erschöpft wieder in Vos ankam und sich ins Handelshaus zurückzog, wurde ihm allerdings bewusst, wie wenig er bei der Rettung seines Vaters, den er eigentlich immer noch eher als Freund denn als Vater sah, weiter gekommen war. Er selbst wollte sich gegen Behram Merdanz und seine Horde von Animunculi und treuen Wächter stellen – allein. Er hatte Tarrior damals davon abhalten zu wollen, sich allein mit dem Telvanni anzulegen und jetzt befand sich der Heiler selbst in dieser Lage. Keiner war bereit zu helfen. Wie sollte er nur allein gegen all diese Krieger ankommen. Überhaupt war ein lautloses Herangehen wahrscheinlich der beste Weg in den Turm und doch war auch das nicht gerade das, was er tun konnte. „Ich bin Heiler verdammt noch mal“: ließ er seinen Unmut nur einmal gesprochen freien Lauf, doch im Schankraum ging diese klägliche Klage in der Geräuschkulisse einfach unter. Er wusste selbst, dass es wohl besser wäre, anstatt zu trinken, nach Söldnern Ausschau zu halten, aber was sollte ihm das schon nutzen. Die fähigsten Waffenarme fanden sich da draußen im Feld gegen die Daedra und mit einem plumpen Barbaren an seiner Seite käme er nicht einmal durch die Stadttore denn geschweige in den Turm hinein. Er seufzte, starrte ins Leere und hoffte ein Wunder, während sich in Gedanken eine immer stärkere Mordlust gegen den Mann aufbaute, der nicht nur Tarrior sondern nun auch ihn in diese Angelegenheit hinein gezogen hatte – Behram Meradanz.
Weidenländer, Vos, Handelshaus
Die Zeit verflog während Tirian noch nachdachte und die Welt um seinen Mazte herum für ihn immer undurchsichtiger wurde. Er spürte ein Rucken am Tisch. Doch nur das Heben einer Augenbraue verriet, dass der junge Dunmer überhaupt bemerkte, dass sich jemand an den Tisch gesetzt hatte. Eigentlich wollte er jetzt lieber allein sein, aber ihm stand nun auch nicht der Sinn danach mit dem Neuankömmling darüber zu diskutieren, wem denn nun dieser Platz zustand. Überhaupt war der Schankraum, auch wenn er ihm seit geraumer Zeit keine Aufmerksamkeit mehr geschenkt hatte, wahrscheinlich so überlaufen, dass es für den Angekommenen besser war, sich diesen freien Platz einfach zu nehmen. Einfach zu nehmen. Tirian hätte sich am liebsten so einiges einfach genommen. „Truppen, zerstörerische Zauber, einen Henker auf Abruf“: ging es ihm schwarz durch den Kopf. Selbigen wollte er Behram Meradanz von den Schultern schlagen und seinen armen Vater retten. Der Dunmer wusste selbst nicht, woher diese bösartigen und gewalttätigen Gedanken und Vorstellungen kamen, denn diese waren ihm ansonsten eigentlich fremd. Sein Naturell war grundsätzlich ein ruhigeres. Eigentlich konnte und wollte er niemanden töten. Aus diesem Grund war er ja auch Heiler geworden – um Leben zu retten. Behram Meradanz jedoch kehrte scheinbar in jedem das Schlechteste nach außen. Auf ihn zumindest traf es zu. Er hasste sich selbst ein Stück weit für diese abscheulichen Gedanken. Er biss sich auf die Zähne und hatte plötzlich einen bitteren Geschmack im Mund. „Tarrior, was soll ich nur tun“: fragte er sich und griff beherzt nach seinem Mazte-Humpen, der mittlerweile bis auf etwa ein Fünftel seines Inhalts geleert worden war und stürzte das Bier seine Kehle hinunter. Er stellte das Gefäß zurück auf den Tisch, schlug die Hände vors Gesicht und lehnte sich auf seinem Stuhl zurück. Noch immer rumorte es in seinem Kopf, doch Tirian wollte das nicht länger hinnehmen. Das ewige Gedankendrehen brachte ihn nicht weiter. Er entschloss sich dazu lieber morgen weiter über einen Plan nachzudenken. „Im Zweifelsfall gehe ich eben allein nach Mora Uvirith und befreie Tarrior“: entschied der Dunmer. Ebenso beschloss er die üblen Gedanken und Befürchtungen zunächst durch betäubenden Alkohol zu vertreiben. „Vielleicht kann ich dann die Nacht wieder ruhig schlafen“: hoffte er und nahm die Hände vom Gesicht, um sich noch einen Humpen zu bestellen. In genau diesem Moment stutzte.
Als er seine Augen öffnete erblickte er die roten Augen einer Dunmerin mit langem, schwarzen Haar. Ihm fiel fast die Kinnlade herunter. Sie hatte das Gesicht etwas abgewandt und blickte ihn nicht direkt an, wich scheinbar bewusst seinen Blicken aus. Tirian konnte es nicht fassen. Er hatte zwar Briefe an die Plantage geschickt, um Gilluk auf dem Laufenden zu halten, was Tarrior anging, aber das sie ihm gleich folgen würde, fand er wirklich unglaublich. Er war dennoch viel zu sprachlos, um etwas anderes zu machen, als empört zu fragen: „Mama, warum bist du mir gefolgt?!“ Erst als sich die Dunmerin verwirrt zu ihm umdrehte, erkannte er anhand des viel zu jungen Gesichtes seinen Fehler und war nun noch sprachloser als zuvor.
Weidenländer, Vos, Handelshaus
Tirian konnte sich gar nicht so schnell herausziehen, wie er sich diese Sache eingebrockt hatte. Als sein Blick auf die seltsam geformte Klinge fiel, die die Dunmer in ihrem Ärmel versteckt hatte, brach ihm ein wenig der kalte Schweiß aus. Leute die mit versteckten Waffen am Körper in Tavernen gingen, reagierten selten verständnisvoll auf Beleidigungen, auch auf unbeabsichtigte. Er schluckte. Er konnte zunächst nur dümmlich dreinschauen, während sich der Blick der Dunmer in seine Augen bohrte, doch trat plötzlich eine kaum merkliche Veränderung ein, die etwas von der stechenden Schärfe nahm und seinen Adrenalinspiegel merklich sinken ließ. Seine Zunge, die zuvor einem vertrockneten Blatt geglichen hatte, entspannte sich. Tirian gewann seine Sprache zurück. „Ver... Ver… Verzeiht bitte. Ich habe euch verwechselt. Aus dem Profil saht ihr meiner Mutter sehr ähnlich. Auch jetzt noch mögen mir beim dunklen Licht meine Augen einen Streich spielen. Vielleicht ist es auch das Bier. Entschuldigt bitte vielmals“: entschuldigte sich Tirian mehrfach und erkannte, dass die Frau ihm gegenüber ihren Blick zwischenzeitlich immer mal wieder zum herum laufenden Schankmädchen schweifen ließ. Er erhob seinen Humpen und winkte damit, was das geschäftige Mädchen an den Tisch lockte und er bat ebenso für sich selbst als auch zur Wiedergutmachung für die Frau am Tisch nach einem Krug Mazte für den Tisch. Als sich das Mädchen entfernte seufzte er einmal kurz. Die Dunmer musterte ihn noch immer mit gerunzelter Stirn. „Es tut mir wirklich leid“: wiederholte Tirian noch einmal.
„Ich hatte geglaubt meine Mutter würde mir folgen. Sie war dagegen, als ich hierher wollte und ich fürchtete schon sie wäre jetzt persönlich gekommen, um mich zurückzuhalten. Verrückt, nicht wahr?“: versuchte er immer noch sich zu rechtfertigen. Und bei diesen Gedanken geriert der Heiler schnell in einen Redefluss, der nur dadurch unterbrochen wurde, dass das Schankmädchen einen weiteren Humpen brachte und einen Krug mit dem dunmerischen Bier auf den Tisch stellte. „Dabei müsste ich gar nicht hier sein, wenn dieser verfluchte Sohn eines Skribs nicht wäre. Sein Tod wäre geradezu eine Erlösung“: faselte Tirian und bemerkte erst sehr spät, was er da eigentlich redete. „Ich rede Unsinn. Ich habe wohl zuviel getrunken. Ich sollte besser gehen“: besann er sich und wollte sich erheben. „Entschuldigt noch einmal die Verwechslung. Sagt der Bedienung, dass ich für den Alkohol aufkommen werde. Sie soll es auf meine Rechnung setzen“: machte er Anstalten sich auf sein Zimmer zu entfernen.
Weidenländer, Vos, Handelshaus
Als Tirian plötzlich die Hand der Dunmerin an seinem Arm spürte, die ihn zurückhalten wollte, setzte sein Herz einen weiteren Schlag aus. Wollte sie ihn hier vor allen Leute... Umso überraschter war er, dass sie ihn nicht angriff, sondern ihm scheinbar sogar ein Angebot machte. "...nicht die falsche Person": sagte sie. Er blickte sie verwirrt an. Das Stilett kam ihm wieder in den Sinn und dessen Versteck im Ärmel. So langsam begriff er, worauf die Frau hinaus wollte. Ekel stieg in ihm auf, als er ernsthaft darüber nachdachte, dass er sie anheuern könnte. Doch bei den Gedanken an Behram Meradanz und seinen Vater wurde der Ekel durch Hass ausgelöscht und sein Mund formte fast mechanisch flüsternd: "In einer Viertelstunde auf meinem Zimmer. Ich lasse die Tür unverschlossen." Tirian entfernte sich mit abgehackten Schritten vom Tisch und wandte sich der Treppe zu, die aus schweren Holzbalken bestand, die man in die Wand eingelassen hatte und die jetzt wie Rippen herausragten. Es gab kein Geländer, also zog Tirian es vor in seinem angetrunkenen Zustand nahe der Wand zu bleiben. Er schwankte zwar nur leicht, aber es war besser kein Risiko einzugehen. Auf der schmalen Galerie gab es drei Türen, die zu einzelnen, kleinen Zimmer führten. Tirian war froh über dieses Zimmer. Er musste dem Vorbesitzer eine Menge Geld bezahlen, damit er die Reservierung auf umschrieb, aber immerhin konnte er so in einem richtigen Bett schlafen und im Moment war ihm dafür jeder Betrag recht. Er schloss die Tür auf und ging hinein, ohne sie wieder abzuschließen. Wenn die Frau tatsächlich das war, wofür sie sich ausgab, dann würde sie bald ebenfalls kommen.
Er setzte sich auf den Rand seiner Schlafstatt und fuhr sich mit den Händen über die Augen. „Was tue ich da gerade?“: fragte sich der Heiler. Er ließ sich nach hinten fallen und seufzte. „Eine vermeintliche Meuchelmörderin?!“: stöhnte er. Langsam nagte sein Gewissen an ihm. Es war eine Sache, wenn man jemanden selbst umbrachte, aber jemanden dafür zu bezahlen einen anderen hinterrücks umzubringen, war eine gänzlich andere Qualität. Es war… schäbig. Auch empfand er es geradezu als widerlich für den Tod eines Anderes zu bezahlen, als könne man ein Leben für Geld kaufen und dann frei darüber verfügen. „Eigentlich habe ich es zu meiner Lebensaufgabe gemacht Leben zu retten und Verletzungen zu heilen…“: schüttelte er sich. Er war angewidert von sich selbst. „Ich kann das nicht tun“: sagte er sich selbst, aber er klang selbst für sich nicht überzeugend. Ein tiefes inneres Verlangen verlangte nach dem Blut des verfluchten Telvanni-Hexers. Er konnte es kaum unterdrücken und leugnen schon gar nicht.
Tirian war sich bewusst, dass er allein nicht die Kraft hätte, gegen Behram Meradanz und seine Schergen anzutreten, doch konnte und wollte er diesen nicht einfach ermorden lassen. Doch er wollte es. Aber er konnte es nicht tun. Seine Gedanken drehten sich im Kreis und sein Kopf fing an zu schmerzen. Sein Gewissen bereitete ihm schiere Qualen. Er rollte sich auf dem Bett herum, versuchte eine Entscheidung mit sich zu treffen und wurde erst durch das Drücken der Türklinke ins Hier und Jetzt zurück gerissen. Er schluckte. Er wusste nicht, was er sagen sollte, als die Dunmerin eintrat.
Vos, Handelshaus, Tirians Zimmer
[Dreveni]
Dreveni hatte nicht wirklich damit gerechnet, dass der Andere auf ihr Angebot eingehen würde, umso erstaunter war sie über seine Antwort. Mit hochgezogener Augenbraue sah sie ihm nach, bis er in seinem Zimmer verschwunden war. Gleich darauf erschien eine steile Falte zwischen ihren Augen, sollte das eine Falle sein? Nein, sie meinte genug Menschenkenntnis zu besitzen, um sich sicher zu sein, dass dieser Dunmer mit Sicherheit nichts mit irgendeiner Mördergilde zu tun hatte. Wenn doch war er der beste Schauspieler, der ihr jemals untergekommen war. Er erinnerte sie eher an einen Auftraggeber bei Bravil, der jedes mal vor Angst fast umgekippt war, wenn er mit ihr zu tun gehabt hatte. Den Rest hatte sie ihm gegeben, als sie nach Erledigung des Auftrages einfach in sein Zimmer eingebrochen war und ihm den Finger des Opfers unter die Nase gehalten hatte. Sie musste grinsen bei dem Gedanken daran, es schien schone ewig her zu sein, wie alles das geschehen war, bevor Feryn wieder in ihr Leben getreten war. Sie trank den Krug aus, richtete der Bedienung aus, dass sie die Getränke auf die Rechnung des Dunmers setzen sollte, und machte sich auf zu seinem Zimmer. Den Mantel hatte sie sich umgehängt, so dass man nicht sehen konnte, dass sie ihren Dolch gezogen hatte. Das daedrische Metall fühlte sich kühl an, und doch konnte man gleichzeitig seine Hitze spüren. Bogen und Köcher hingen über ihren Rücken, als sie mit der linken schließlich die Zimmertür öffnete. Sie hatte einen Moment gelauscht, aber es war nichts von drinnen zu hören.
Als sie die Tür weit genug aufgezogen hatte, sah sie, dass der Dunmer allein auf seinem Bett lag und sich jetzt ruckartig aufsetze. In seinen Zügen lag eine Mischung aus Ekel und etwas das Dreveni nach Unentschlossenheit aussah. Alles in allem wirkte er noch mehr neben sich stehend, als vorhin am Tisch.
Sie zog die Tür leise zu, nicht ohne den Blick von der Gestalt vor ihr auf dem Bett zu nehmen. Dabei fiel ihr siedend heiß ein, dass es nur drei Zimmer zu geben schien und sie selbst noch keins hatte. Scheiße. Darum würde sie sich später kümmern müssen. Zur Not müsste sie die Nacht im Schankraum verbringen.
Äußerlich merkte man ihr von dem kurzen Schreck allerdings nichts an, und sie konzentrierte sich wieder auf die aktuelle Situation. Jedenfalls schien es keine Falle zu sein, sonst war das spärlich eingerichtete Zimmer leer.
Mit der linken Hand in die Hüfte gestützt und die Rechte mit dem Dolch unter dem Umhang verborgen, blieb sie kurz vor dem Bett stehen. "Ihr solltet in der Wahl eurer Worte in der Öffentlichkeit etwas vorsichtiger sein, auch wenn hier in Morrowind andere Sitten zu herrschen scheinen.", sagte sie leise. "Wen wollt Ihr euch vom Hals schaffen?"
[Tirian]
Eine solche Frage hatte er gerade noch gebraucht, doch machte es ihm ihre Direktheit leichter. "Jemanden den Tod zu wünschen ist kein Verbrechen. Auch wenn es schon verwerflich ist die Auslöschung eines Lebens herbeizusehnen": sagte er und seufzte. "Wisst ihr, ich bin mir nicht mehr so ganz sicher, ob die Ermordung": er zog das letzte Wort lang, als würde sich seine Zunge weigern es aussprechen zu wollen: "der rechte Weg ist, um meine Probleme zu lösen." Er stand auf und ging etwas im Zimmer auf und ab. "Sein Tod würde nicht automatisch die Rettung bedeuten, die ich mir eigentlich erhoffe": sagte Tirian kryptisch, da er nicht wusste, wie viel er dieser Fremden anvertrauen konnte. "Ich möchte jemanden retten, der in Gefangenschaft geraten ist, aber den Verantwortlichen zu töten, wird, auch wenn es vielleicht meinem Rachewunsch entspricht, wohl nicht dafür sorgen": erklärte er dann doch etwas mehr, da ihm selbst bewusst wurde, dass die Dunmer mit kryptischen Botschaften Nichts anfangen konnte. "Verzeiht, aber ich war zu voreilig. Ich sollte eure Zeit nicht verschwenden, wenn ich keinen... Mord... möchte": gestand er sich ein.
[Dreveni]
So ganz schlau wurde Dreveni aus dem Gestammel des Dunmers nicht. Sie beobachtete ihn, als er scheinbar nervös durch das Zimmer ging. Langsam setzten sich allerdings die Bruchstücke, die er von sich gab, zu einem Bild zusammen. Noch wollte er also niemanden tot sehen, was Dreveni sogar entgegenkam, auf einen neuerlichen Zusammenstoß mit den Morag Tong oder dieser anderen Gruppe, deren Name ihr gerade entfallen war, hatte sie keine Lust.
Zwar war ihre Lust auf einen neuen "Jagdauftrag" auch nicht gerade groß, wenn sie am Ende wieder niemanden ums Eck bringen konnte, aber irgendwie musste sie ihren weiteren Aufenthalt hier finanzieren.
"Ihr verschwendet meine Zeit nicht. Wie Ihr vielleicht an meiner Aussprache gehört habt, ich bin nicht aus Morrowind. Und außerhalb meiner gewohnten Gefilde kann ich in der Wahl meiner Aufträge nicht so wählerisch sein, wie ich es normalerweise bin. Und nachdem sich mein Aufenthalt hier noch etwas ziehen wird..."
Alles in allem schien es nicht so schlecht zu werden, auch wenn der Mann vor ihr eher so wirkte, als würde er ihr früher oder später gewaltig im Weg stehen. Kampferfahrung war nun nicht gerade auf seine Stirn geschrieben, andererseits machte er keinen dermaßen jähzornigen Eindruck wie Arranges.
"Tatsächlich macht es keinen großen Unterschied, ob man sich reinschleicht, jemanden ermordet, wieder rausschleicht oder jemanden am Leben lässt und mit raus nimmt.", fügte sie noch mit einem feinen Lächeln hinzu.
[Tirian]
Tatsächlich fiel Tirian erst jetzt auf, wo sie ihn mit der Nase darauf stieß, dass sie Cyrodiilisch ohne den breiten vvardenfeldischen Akzent sprach, der den Leuten, die ihre Insel nie verließen, so zu Eigen war. "Was für eine Ironie": stellte Tirian fest und lachte leicht, was ihm etwas von seiner Anspannung nahm. "Ich stamme aus Süd-Morrowind, aber war bisher so häufig auf Reisen, dass ich inzwischen fast schon automatisch Cyrodiilisch spreche, da es ja die Umgangssprache im Kaiserreich ist. Wir sind also Beide relativ fremd hier auf Vvardenfell". erklärte der Dunmer. Er sah darin Nichts Schlechtes, eher im Gegenteil. Sie fielen so hier bei den ganzen Söldnern, die wegen der Daedra auf der Insel waren, nicht weiter auf. Auf jeden Fall gab ihm ihre letzte Aussage etwas Hoffnung: "Daran habe ich gar nicht gedacht. Ihr... Assassinen seid ja gut darin euch lautlos zu bewegen und einzuschleichen. Wenn es nicht unbedingt ein Mord sein muss, dann wären eure Dienste sicherlich außerordentlich hilfreich." Tirian setzte sich wieder auf das Bett. "Ihr meint also, dass ihr Geld braucht. Mein Va.. ähm..., ich meine, ich habe ein kleines Vermögen zur Verfügung, um euch zu bezahlen. Wenn ihr mir helft, dann wird es sich für euch lohnen. Das verspreche ich euch. Außerdem bin ich bereit für eure Spesen aufzukommen, solange der Auftrag dauert": bot er an, allerdings erinnerte ihn sein Gewissen an eine Tatsache, auf die er noch hinweisen sollte. Der Heiler schluckte, aber sah der schwarzhaarigen Dunmer, die seiner Mutter wirklich sehr ähnlich sah, ins Gesicht und fügte noch an: "Ich muss euch aber warnen, dass es sehr gefährlich werden wird, denn wir müssen uns in den Turm eines Hexenmeisters einschleichen."
[Dreveni]
Das leichte Lachen auf seinem Gesicht ließ den Dunmer vor ihr wieder etwas selbstsicherer wirken, und veranlasste Dreveni zu der gedanklichen Feststellung, dass es wohl doch nicht gar so aussichtslos mit ihm werden würde. Auch die Tatsache dass er oft auf Reisen war, gab Anlass zur Hoffnung, da sollte er ja wohl einmal in die Situation gekommen sein, sich verteidigen zu müssen. Auch die Aussicht auf eine gute Bezahlung - oder überhaupt eine Bezahlung, die Jagd nach Gumora war eine ziemliche Nullrunde gewesen - ließ Dreveni die Gefahr eines Hexenmeisters nicht mehr so groß erscheinen. Natürlich erschwerte dass die ganze Sache noch mal um einiges, allerdings war sie selbst jetzt auch nicht unbedingt unbegabt in Sachen Magie, auf der anderen Seite konnte auch ein Hexenmeister gegen einen Dolch oder Pfeil im Rücken nichts mehr ausrichten. Geschah ihm halt am Schluss halt doch ein kleiner Unfall, egal ob der Dunmer ihn nun tot sehen wollte oder nicht. Sie hütete sich allerdings das jetzt anzusprechen, da er eindeutig mehr Skrupel bei solchen Dingen zu haben schien als Dreveni.
"Dann werden wir eben vorsichtig sein müssen.", sagte sie, steckte den Dolch weg den sie bis jetzt in der Hand gehalten hatte und den der andere erst jetzt sehen konnte und hielt ihm die Hand hin um den Auftrag zu besiegeln.
Weidenländer, Vos, Handelshaus
Als er den Dolch bemerkte, ging ihm ein gewisser Schauer über den Rücken, als ihn jedoch wegsteckte beruhigte sich sein springendes Herz wieder. Er schaute auf die stattdessen dargebotene Hand. "Gut dann ist es abgemacht": sagte Tirian und nahm die kühle Hand und drückte sie, um den Auftrag zu besiegeln. "Es wird das Beste sein, wenn wir morgen in der Frühe aufbrechen, deshalb möchte ich mich jetzt gerne hinlegen. Alles Weitere besprechen wir dann am Morgen bei einem Frühstück": schlug der Dunmer vor und die Assassinin war da scheinbar auf seiner Seite. "Wir sehen uns dann": sprach sie und entschwand durch die Tür. Der Heiler wartete noch einen Moment, dann sprang er vom Bett auf und schloss ab. Sie traf ihre Sicherheitsvorkehrungen und er seine. Lange stand er noch an die Tür gelehnt und lauschte auf die Geräusche und Stimmen, die dumpf aus dem Schankraum nach oben drangen. Sein Kopf war in diesem Moment seltsam leer. Nur langsam löste er sich von dem spröden Holz und schwankte zu seinem Bett herüber, auf dem er dann niedersank. Mit einer Bewegung schlüpfte er aus seinen Lederschuhen und schleuderte sie von sich. Müde schlüpfte er aus der grünen Robe und behielt nur das blau gefärbte Leinenhemd und die braune Hose an. Dann zog er die kratzige Decke über sich und bettete den Kopf auf das gestärkte Kissen. Seine Gedanken kreisten noch. "Dann geht es wohl doch ans Eingemachte": überlegte der Heiler. Er würde sich jetzt doch mit Behram Meradanz anlegen, von dem er durch seinen Vater wusste, dass er wirklich skrupellos war. "Wenn sie uns in Mora Uvirith erwischen, sind wir so gut wie tot": ging es Tirian dabei auf. Die Worte der Dunmer gingen ihm durch den Kopf: "Dann werden wir eben vorsichtig sein müssen." "Zumindest ist sie optimistischer als ich": sagte er sich. "Außerdem haben wir ja immer noch Meister Aryon als Trumpf, wenn alles schief geht": seufzte er und schloss endlich die Augen, nachdem er die Laterne auf dem kleinen Holztisch neben dem Bett gelöscht hatte. Ein Gedanke überfiel ihn noch, bevor er vor Erschöpfung ins Reich der Träume glitt: "Wo bin ich da nur hinein geraten?"
Als er am nächsten Morgen erwachte, war er schweißgebadet und in seinem Kopf klebten die Reste eines Alptraums, wie hartnäckige Spinnenweben, aber er konnte sich nicht daran erinnern und der Versuch danach zu greifen, zerriss das Gespinst und hinterließ nur ein Gefühl von Vergessen. In letzter Zeit erwachte er häufiger in diesem Zustand. Und jedes Mal musste er dann an Tarrior denken, doch er wusste einfach nicht wieso. Tirian setzte sich auf und schüttelte den Kopf um die Senkbleie von seinen Gedanken abzuschütteln und wuchtete sich aus dem Bett. Ein Blick aus dem winzigen Fenster seiner Kate verriet ihm, dass die Sonne noch nicht aufgegangen war, aber die Helligkeit der zwielichtigen Nacht dort draußen ließ auf eine baldige Dämmerung mit ihren golden-roten Farbimpressionen am Himmel schließen. Er schlüpfte aus seiner feuchten und nun mehr speckigen Kleidung und genoss einen Moment die morgendliche Frische auf der nackten Haut, bis sich ihm die feinen Härchen aufstellten. Er kramte aus seinem Gepäck ein frisches Hemd und eine frische Hose und zog sich die an. Er musste seine Kleidung unbedingt wieder waschen. An sauberer Wäsche war ihm nicht mehr viel geblieben. Heute hatten sie keine Zeit mehr. Wenn sie an die Küste kämen, würde er dort dann die Schmutzwäsche bei der Gelegenheit gleich reinigen. Es war ohnehin besser, wenn sie nach Tel Uvirith den Weg an der Küste entlang wählten und nicht direkt durch die Molag Amur gingen. Die Kundschafter mit denen er gesprochen hatte, hatten das alle empfohlen, zumal sich inzwischen auch mehr Anhänger Dagons dort herumtrieben, die ihre Aktionen nach dem Fall Mar Gaans nun auch in die beiden großen Küstenregionen ausweiteten. Seine restlichen Sachen und die abgelegte Kleidung packte der Heiler noch zusammen, streifte sich die robuste, grüne Robe wieder über, schloss die Tür auf und trat dann hinaus. Mit geschultertem Bündel ging er die Treppe hinunter, wobei er wieder nahe an der Wand blieb.
Im Schankraum sah er sich flüchtig um, aber konnte die Dunmerin nicht auf Anhieb entdecken. Stattdessen suchte er sich einen Tisch, der gestern von den Gästen nicht völlig eingesaut worden war, setzte das Bündel ab und setzte sich hin. Der Wirt bemerkte ihn, als er aus der Küche kam und war ehrlich überrascht schon so früh jemanden wach zu sehen, aber das Frühstück war ohnehin schon in der Vorbereitung weshalb dies auch kein Problem darstellte. Vorsorglich bestellte Tirian Essen für zwei und bekam dann nach und nach, je nachdem wie es fertig wurde. Eine Gemüsebrühe mit Salzreis, hart gekochte Kwama-Eimer, Brot und dazu Skattel und dazu dann stark verdünnten Wein. Als der Wirt das Mahl platziert hatte, tauchte die Dunmer aus den Weiten des Schankraumes auf und setzte sich mit einem knappen "Guten Morgen" an den Tisch. Während die Auftragsmörderin noch damit beschäftigt war die Speisen vor ihm auf dem Tisch zu mustern, kam der Heiler gleich zur Sache: "Ein Freund von mir wird wahrscheinlich in den Kerkern unter einem als Tel Uvirith bekannten Magierturm gefangen gehalten. Ich weis nicht, ob ihr euch in der politischen Landschaft Vvardenfells auskennt, aber dieser Turm ist der Sitz eines mächtigen Hexenmeisters namens Behram Meradanz der zu allem Überfluss noch im Fürstenhaus Telvanni den Posten eines Ratsherren bekleidet. Tel Uvirith liegt in der Siedlung Mora Uvirith, die schwer bewacht ist. Jeder Besucher wird an den Stadttoren kontrolliert. Da wir meinen Freund befreien wollen, müssen wir also in die Stadt, in den Turm und dann auch noch in die Kerker gelangen und schließlich und endlich muss uns noch die Flucht gelingen. Wie gesagt ein durchaus nicht leichtes und sogar gefährliches Unterfangen."
Tirian schaute bedrückt in die Ferne, als er geendet hatte. Erst der aufmerksame Blick der Dunmer, der nichts über ihre Gefühle verriet, holten ihn ins hier und jetzt zurück. Er zog sich sein Schälchen mit der Brühe heran und nahm einige Löffel. "Es gibt einen Kontaktmann in der Stadt der uns angeblich helfen können soll - ein Nord namens Vigald, der einen Waffenladen betreibt. Außerdem habe ich eine Möglichkeit gesichert, wie wir möglichst unauffällig in die Stadt gelangen können, ohne allzu genau kontrolliert zu werden. Der schwierigste Teil wird also der Turm und da verlasse ich mich dann ganz auf eure Talente": ergänzte Tirian noch und widmete sich nun gänzlich seiner Suppe, bis ihm noch ein kleines Detail in den Kopf kam: "Da wir nun schon zusammenarbeiten... Mein Name ist übrigens Tirian Morvayn."
Vvardenfell-Distrikt, Weidenländer
Tirian nahm Lyvianis Angebot an und lud auch sein Gepäck auf den Rücken des Tieres. Inzwischen überlegte er, ob er nicht noch mehr Sachen hätte mitnehmen sollen. Er hätte sich nicht träumen lassen, dass er solange unterwegs sein würde und vor allem hatte er nicht damit rechnen können, dass er es auch noch mit Behram Meradanz aufnehmen müssen würde. Als sie schweigend Vos verließen, musste Tirian an Tel Uvirith, die Festung des Telvanni-Hexers, denken. Sie hatten einen langen Weg durch die Weidenländer vor sich und mussten etwa ins Zentrum der Molag Amur. Sie hätten sich einfach vom örtlichen Hafen aus nach Tel Uvirith einschiffen können, aber leider hatte der Hexer wohl auch dies bedacht und ließ Handelsschiffe aus dem Gebiet der Telvanni nicht mehr in seinem Hafen vor Anker gehen oder ließ sie gut durchsuchen. Die anderen Magierfürsten duldeten dieses Verhalten nur, weil sie sich bezüglich ihrer eigenen Städte auch nicht anders verhielten. Die Paranoia beherrschte Vvardenfell inzwischen. Jeder fürchtete die Agenten der Mythischen Morgenröte. Ein geradezu schizophrenes Verhalten machte sich inzwischen breit. Jede Stadt suchte kräftige Krieger und Söldner zur Verteidigung und wollte Hilfe, aber gleichzeitig wollte niemand Fremde oder Auswärtige in die eigenen Städte lassen, um sich nicht in die Gefahr zu bringen, einen Verräter aufzunehmen. Inzwischen war auch jeder sich selbst der Nächste in diesem Land. Der Tempel, der eigentlich für die Bevölkerung da sein sollte, erging sich in inneren Machtkämpfen und kämpfte um den Rest der Bedeutung, der ihm nach dem Verschwinden des Tribunals noch geblieben war, anstatt sich um die Kranken und Verletzten zu kümmern, wie es aus Tirians Sicht dringend notwendig wäre, gerade in diesen Zeiten.
Sie waren ein Stück vor Vos als er seine Gefährtin kurz anschaute. Ihr Blick war starr nach vorne gerichtet. Sie machte nicht den Eindruck, als wollte sie reden, also beließ auch er es dabei. Was hätte er sie auch schon großartig fragen können? „Du bist also eine Auftragsmörderin und erledigst Leute gegen Geld? Wie ist das denn so“: überlegte er und verdrehte die Augen. Seinen Blick ließ er nun etwas über die Landschaft schweifen. Er kannte die Weidenländer aus Tarriors Erzählungen. Eine leicht hügelige Ebene mit wenigen Bäumen, dafür mit einem fruchtbaren Boden, auf dem wilder Dochtweizen spross und der Nahrung für herumziehende Herden wilder Guars bot, von denen die hiesigen Stämme der Aschländer lebten. Sein Vater hatte von der ewigen, ruhigen Weite der Ebene unter dem blauen Himmel geschwärmt. Tatsächlich war die Schönheit noch zu erkennen, obwohl er jetzt durch ein eindeutig entstelltes Land zog. Der blaue Himmel war von den Schlieren schwarzen Rauches verunreinigt, den der Rote Berg in riesigen Mengen ausspie.
Von Westen aus der Gegend um Tel Vos wehte der beißende Geruch verbrannter Leichen herüber. Die erst vor wenigen Tagen abgewehrte Belagerung, hatte ihre Spuren in Form von hunderten toten Kämpfern und aberhunderten getöteter Daedra hinterlassen, deren Körper wohl nun den Flammen übergeben wurden. Doch nicht nur der Himmel und die Luft spiegelten das Blutvergießen und die Kämpfe der letzten Zeit wieder auch der Boden trug deutliche Zeichen. Zwischen den gold-braunen Dolden des Dochtweizens klafften häufig riesige Schneisen der Verwüstung. Niedergetrampeltes Gras, aufgewühlter oder verbrannter Boden zeigten die Stellen, wo die Söldnerheere oder Daedra auf ihren Märschen quer durch das Land hindurch geschritten waren. Verwüstung und wilde Schönheit der Weidenländer wechselten sich mannigfaltig ab. Hier sah man eine Guar-Familie, die unbeschwert aber aufmerksam graste und nur etwas mehr in der Entfernung sah man die bekannten Zacken und das feurige Lodern von Toren ins Reich des Vergessens. Man stieß auf ganze unberührte Felder des Dochtweizens und fand am Wegesrand Leichen oder Überreste von überfallenen Konvois oder Karawanen. Für das Auge bot sich ein wechselhafter Anblick.
Sie zogen noch eine ganze Weile nach Süden bis ihnen einige Dunmer auf gesattelten Guars entgegen kamen. Sie trugen verschiedentliche Rüstungen, die nicht ganz passend zusammengestellt waren. „Offenbar Söldner“: wie Tirian vermutete und insgeheim hoffte, dass es keine Banditen wären. Der Truppführer der Dunmer zügelte sein Reittier und brauhte es vor ihnen zum Stehen. Ein Seitenblick auf Lyviani und ihre Hand, die in Richtung ihrer Waffen glitt, verriet dem Heiler die Kampfbereitschaft und Vorsicht der Dunmer. Abschätzig sah der Mann auf sie herunter. „Seid gegrüßt. Wo gedenkt ihr, dass ihr hinwollt?“: fragte der Reiter. Lyviani schnaubte, offenbar war ihr diese Rechtfertigung zu viel. „Wir sind auf dem Weg nach Tel Uvirith. Wir wollen dort handeln“: erklärte der Dunmer. Der Reiter zog die Augenbrauen hoch. „Nach Tel Uvirith ist es weit. Nach der Belagerung sind viele Daedra entkommen und streifen jetzt wild durch die Weidenländer. Wir haben vorhin erst einen toten Händler gefunden. Wir fanden ihn halb zerfetzt. Wir haben die Aufgabe übertragen bekommen die übrigen Kreaturen zu eliminieren. Ich würde euch empfehlen, dass ihr nach Vos zurückkehrt und eure Geschäfte lieber in Tel Aruhn oder Sadrith Mora abwickelt“: berichtete der Guar-Reiter. Noch bevor Tirian etwas erwidern konnte, zischte Lyviani: „Wir kommen schon zurecht.“ Sie ging einfach weiter und die restlichen Reiter machten ihr Platz. Tirian folgte ihr. „Wir haben euch gewarnt“: rief der Mann ihnen noch nach, bevor er sich mit seiner Gruppe in eine andere Richtung auf den Weg machte.
An die Warnung des Reiters musste Tirian erst wieder denken, als sie wenig später an einer Felsformation vorbei kamen. Der eklige, tierhafte Geruch hätte ihnen schon auffallen müssen, als sie in die Nähe kamen, doch plötzlich war überall um sie, als die Skampe, die dort am Wegesrand gelauert hatten nun mit ihren spitzen Krallen und Zähnen aus ihrem Versteck stürzten und über sie kamen. In dem Chaos aus dürren, braunen Leiben versuchte Tirian die Orientierung zu behalten. „Lyvani, was tun wir jetzt?“: rief er.
Vvardenfell-Distrikt, Weidenländer
Lyviani und Tirian wanderten nach dem Zusammentreffen mit den Skampen noch eine Weile schweigend durch die Weidenländer. Noch immer konnte man hier und dort Verwüstungen erkennen, wo die Daedra entlang gezogen waren, aber mit zunehmender Entfernung von Tel Vos, nahmen sie ab und die Natur der Weidenländer trat in den Vordergrund. Es wehte auch eine leichte Brise und die Luft roch frisch und sie roch auch nach dem Meer und zeigte, dass sie sich trotz der weiten Ebenen in einer Region an der Küste befanden. Nur die allgegenwärtigen Oblivion-Tore stellten einen nicht zu übersehenden Makel dar. Die Energie des Reiches des Vergessens, die aus ihnen nach Nirn sickerte, vergiftete und verwandelte das Land um sie hin und färbte den Himmel in einem diabolischen Rot. Er konnte herrenlose Daedra erkennen, die mehr planlos als gezielt die Tore ins Reich des Vergessens umstreiften. Sie hielten sich soweit es ging von den zackigen Gebilden, die aussahen wie Raubtierzähne, fern.
Tarrior hatte ihm damals in Cyrodiil von seiner Begegnung mit einem dieser Tore berichtet und er selbst war nicht erpicht darauf, die Erfahrung zu teilen. Hinter dem feurigen Spiegel lagen wohl nur Tod und Ödnis. Dank ihrer Vorsicht und dem einsichtigen Gelände – sie mieden jetzt auffällige Felsformationen oder Hügel, die sie nicht überblicken konnten – entgingen sie weiteren Angriffen durch die Dämonen. Nur in der Entfernung sahen sie häufiger, wie Gruppen aus Soldaten der Legion, der Telvanni und Söldnern sich kleinere Scharmützel mit versprengten Daedragruppen lieferten, die sich nach der gescheiterten Belagerung wohl über das ganze Gebiet verteilt haben mussten. Lyviani selbst schaute häufiger nachdenklich drein, wenn sie kurz innehielten, um die Daedra oder die Tore zu betrachten, als würde sie etwas beschäftigen.
Auf den Nachmittag hin erklommen sie einen kleinen Hügel, auf dem zwischen einigen kleineren Felsen ein einsamer Baum wuchs und Schatten vor der herabprasselnden Sonne spendete. Sie waren erschöpft und beschlossenen eine Rast zu machen. Nach dem Kampf, dem langen Fußmarsch und der Tatsache, dass eine Essenspause zum Mittag ausgefallen war, war es wirklich Zeit für eine Rast. Inzwischen war Tirian dank seiner Wanderungen der letzten Zeit wieder an lange Märsche gewohnt, etwas, das er sich in den vergangenen Jahren in seinem Dienst als Schiffsheiler abgewöhnt hatte. Anders als noch nach den ersten Tagen in Cyrodiil mit Tarrior oder hier auf Vvardenfell brauchte er sich keine Sorgen wegen Blasen oder dergleichen zu machen. Seine Füße taten ihm dennoch etwas weh und er war für die Verschnaufpause dankbar. Eine lange erloschene Feuerstelle zeigte den Beiden, dass dieser Ort hier schon öfter für Rasten genutzt wurde. Während Lyviani etwas Proviant auspackte, zog sich Tirian seine Robe über den Kopf, sodass er nun in seiner leinenen Unterkleidung etwas mehr Bewegungsfreiheit genoss. Er kramte aus seinem Gepäck das kleine Lederpäckchen mit seinem Operationsbesteck und rollte es auf dem Boden aus. Neben scharfen Messern, einer kleinen Säge, Schwämmen und anderen metallischen Instrumenten fanden sich darin auch einige Nadeln, von denen er sich eine mit dem feinen Wundgarn nahm und anfing den Ärmel der Robe zu flicken und zwischenzeitlich nur unterbrach, um etwas Fleisch von Lyviani entgegen zu nehmen und das zu essen.
Zwar ging etwas Wind und ließ die Blätter des Baumes, in dessen Schatten sie sich aufhielten, rauschen, ebenso wie die Gräser um sie herum und doch kam es Tirian so totenstill vor. Er und Lyviani schwiegen sich schon die letzten Stunden mehr oder weniger an. Um die beklemmende Stille zu durchbrechen, stellte er eine Frage, um ein Gespräch zu beginnen: „Ihr sagtet heute früh, dass ihr nicht aus Morrowind kommt, was hat euch denn nach Vvardenfell verschlagen? Ihr scheint schon gegen Daedra gekämpft zu haben. Seid ihr deswegen hier?“
Vvardenfell-Distrikt, Weidenländer
„Oh“: gab er kleinlaut von sich. Tirians Augen weiteten sich und er musste schlucken, während Lyviani erzählte, wie sie ihren letzten Auftrag zu Ende gebracht hatte. „Was hast du auch erwartet. Sie ist schließlich eine Assassine“: schalt er sich einen Narren in Gedanken und war dennoch überrascht, wie offen und vor allem unbekümmert, sie darüber sprechen konnte. „Ihr erwähntet, dass ihr vorhattet länger auf Vvardenfell zu bleiben. Da nahm ich an, dass ihr euch vielleicht als Söldner gegen die Daedra verdingt“: erklärte er seine Frage und zog gerade ein loses Stück Stoff fest und konnte damit ihrem Blick ausweichen, um sich einen Moment zu sammeln. Schließlich fing er ihn wieder ein. „Wisst ihr, ich bin immer überrascht, wenn Leute, in meinem Fall waren das häufiger Söldner und Krieger, derart kühl über das Töten reden können. Ich habe auch getötet, häufig und wesentlich mehr als mir lieb wäre und noch immer lässt es mich nicht kalt. Vielleicht liegt es auch daran, dass es meine Berufung als Heiler ist, Leben zu erhalten, anstatt es zu vernichten, aber… Tirian seufzte und richtete seinen Blick in den Himmel. Ich frage mich immer, wenn wir so viel Mühe darauf verwenden, Leben zu erhalten, unser eigenes Leben zu schützen und unseren Körper und Geist zu schonen, unsere Lieben vor Schaden zu bewahren, wie können wir dann die Auslöschung eines anderen Lebens derart beiläufig hinnehmen, wie einen Kieselstein, den man beiseitetritt. Würde der Tod eines Geliebten jemanden wie euch auch so kalt lassen? Wieso aber wäre sein Leben wertvoller als Eines, dass ihr für eine Handvoll Gold nehmt?“: sinnierte er, während seine Hände ruhten, einen Moment und sah Lyviani dann wieder ins Gesicht. Er forschte in ihren roten Augen, aber konnte keine Reaktion erkennen. Er seufzte. „Verzeiht. Ihr verdient euren Lebensunterhalt damit“: sagte er und wandte sich wieder dem Stoff zu: „Ich sollte nicht über euch urteilen.“
Bei diesem Satz wurde ihm klar, wie wenig gerade er selbst das Recht dazu hatte. Er selbst hatte sie angeheuert, um seinen Vater zu befreien, aber zu dem Angebot war es erst gekommen, weil er sich selbst den Tod des verhassten Telvanni gewünscht hatte und sogar bereit gewesen wäre, dafür zu bezahlen. Wie weit war es mit seiner Moral schließlich schon her, wenn er ohne dazu gezwungen zu sein, ein Leben liebend gerne aus Rache nehmen wollte und in seinem Herzen wusste Tirian, dass er es auch jetzt noch wollte. Er konzentrierte sich auf den Ärmel seiner Robe und flickte weiter.
Vvardenfell-Distrikt, Weidenländer
"Wenn man Geliebte hat, ist man in meinem Gewerbe von Grund auf falsch. Man wird angreifbar, verwundbar. Und das ist das absolut Letzte das man sich leisten kann": er ließ sich diesen Satz durch den Kopf gehen. „Man bleibt auch zeitlebens allein, will mir scheinen, weil man niemandem trauen kann. Man ist dann zwar nicht mehr über seine Lieben angreifbar, aber wie verwundbar ist man, wenn man allein in dieser Welt steht, ohne jemanden, auf den man sich verlassen kann? Wer wäre für euch da, wenn ihr irgendwann nicht mehr eurer Arbeit nachgehen könnt? Vor einer solchen Einsamkeit würde mir grauen“: sagte er und prüfte die Naht. Sein Ärmel glich jetzt einem Flickenteppich, aber bei den scharfen Klauen der Skampe war nicht mehr zu machen, zumindest war die Robe wieder halbwegs in Ordnung.
Er wandte sich ihr wieder zu. „Euer Verlust tut mir leid. Wenn ihr aber nun wisst, wie es ist jemanden zu verlieren, der euch viel bedeutete, dann scheint ihr nicht immer so gedacht zu haben. Meint ihr nicht auch, dass diese Person es wert gewesen war? Nun stellt euch vor, dass die Leute, deren Leben ihr nahmt, Anderen womöglich genauso viel bedeutet haben, deren Leben für jemanden genauso wertvoll war, wie für euch ein anderes“: sagte Tirian mit leiser Stimme und legte die Robe zur Seite.
„Wie gesagt, ich will nicht über euch urteilen, denn ihr habt Recht. Ich glaube euch gerne, dass ihr häufiger Kunden habt, die wie ich sind. Allein das ich euch angesprochen habe, verbietet, dass ich über euch urteile, weil ich schließlich auch eure Dienste in Anspruch nehme. Rachegefühle kenne ich auch. Wir haben alle Gefühle, auch wenn ihr meint sie abstellen zu können und unsere Emotionen führen uns auch zu dunklen Wünschen, aber es ist besser mit diesem Widerspruch zu leben, als keine Gefühle zuzulassen, weil wir dann nicht mehr wären als Automaten, wie Dwemer-Maschinen“: meinte Tirian und erhob sich, um sich seine Robe überzuziehen.
„Vielleicht ist es allein eine Sache der Grundes. Weder Menschen noch Elfen können immer gut sein“: sagte er mehr zu sich selbst als zu Lyviani, als er in das Kleidungsstück hinein geschlüpft war und sich wieder hinsetzte. An sie gerichtet fragte er: „Der Argonier, von dem ihr spracht, gab es einen Grund ihn zu töten?“
Vvardenfell-Distrikt, Weidenländer
Tirian war allein der Gedanke zu wider. Dabei auch noch zuzusehen, wäre für ihn unerträglich gewesen. Er hatte noch eine Frage stellen wollen, doch er merkte, dass Lyviani offenbar nicht weiter darüber sprechen mochte. Er respektierte das. „Wenn ihr dies möchtet, würde ich das gerne annehmen“: sagte er. Er war erschöpft und wollte sich wirklich gerne ausruhen und war seiner Begleiterin dankbar dafür. Er schmiegte sich an den Baum und zog seine Arme ins Innere seiner Robe. Es war nicht sonderlich kalt hier in den Ebenen und noch stand die Sonne am Himmel. Er würde schon nicht erfrieren. „Ich danke euch für eure Hilfe. Ich hätte auch allen Grund für Rache, doch wichtiger ist mir, dass wir meinen Freund da rausholen. Schließlich ist es das, was zählt“: dankte er Lyviani, die dazu schwieg und schloss dann die Augen. Er schlief schnell ein. Sein Schlaf würde traumlos bleiben.