Ort: Wüste, am Treibsandfluss
Der Abend dämmerte, als Ravana den Fluss wieder erreichte. Wie zuvor trieb der Sand in der Rinne träge dahin, ohne ein Anzeichen davon, in nächster Zukunft zu erstarren.
Ravana breitete den Teppich auf der Kiste aus und setzte sich darauf. Der Teppich hob drei seiner Ecken, schwebte langsam in die Höhe und blieb schließlich in der Luft stehen. Ravana musste kurz überlegen, bis ihr die Befehle wieder einfielen, doch schließlich murmelte sie „Kara soromms alamir, turus...“ und der Teppich setzte sich in Bewegung in Richtung Fluss. Sie merkte, dass er sehr schwach war und sie nicht lange würde tragen können. Doch tatsächlich trug er sie bis auf die andere Seite und landete dann unsanft auf dem Wüstensand. Ravana war überglücklich, und versprach, dem Teppich überschwänglich, ihn pflegen zu lassen, wenn sie jemanden traf, der sich auf die Pflege fliegender Teppiche verstand.
Doch zunächst befestigte sie den Teppich mit einem Lederriemen an ihrem Gürtel und musste dann zusehen, die Umgebung des Flusses zu verlassen und einen Platz für die Übernachtung zu finden, da sie hier nicht übernachten konnte - sie würde vermutlich innerhalb weniger Minuten komplett im Sand versinken.
Nachdem sie einige Meilen gelaufen war, wurde sie allmählich immer müder, doch sie bekam keinen guten Schlafplatz zu Gesicht. So rollte sie sich an Ort und Stelle in ihren Umhang und bedeckte auch ihr Gesicht, in der Hoffnung, besser Schlaf finden zu können als zwei Nächte zuvor.
Erstaunlich erholt erwachte Ravana am nächsten Morgen, während der Schemen der Sonne schon den halben Weg zum Zenit hinter sich hatte.
Sofort machte sie sich wieder auf den Weg, sie hoffte, noch heute die Gebirgskette zu erreichen und die Wüste zu verlassen...
Ort: Grenze der Wüste zum Gerudotal
Es war später Nachmittag, als Ravana erschöpft feststellte, dass der Sturm wieder schwächer wurde. Langsam klarte es auf, und sie hoffte, dass sie immer noch die Berge vor sich hatte und nicht etwa im Sturm aus Versehen die Laufrichtung geändert hatte.
Und tatsächlich! Imposant ragten die felsigen Berghänge vor ihr auf. Es sah so aus, als ob sie die Wüste hinter sich gelassen – und endlich die Grenze zum Gerudotal erreicht hatte.
Den Gerudos sah sie mit gemischten Gefühlen entgegen. Einerseits war ihre Mutter eine Gerudo gewesen, doch andererseits hatten sie sie als Kind verstoßen..
Am Liebsten wäre es ihr, wenn sie ohne gesehen zu werden das Tal durchqueren könnte – doch Ravana wusste aus Erzählungen, dass die Gerudo wachsam sind und jeden Fremden abfangen würden.
In etwa einer Meile Entfernung zur Rechten sah es so aus, als ob dort ein Tor die Felsen zerteilte und sie dort die Berge durchqueren könnte. Was für ein Glück sie hatte, in der Nähe des Tores herauszukommen! Wäre sie auch nur leicht in eine andere Richtung gelaufen, hätte sie noch Tage nach einem Durchlass durch die Berge suchen können..
Ravana ging auf das Tor zu und konnte langsam Einzelheiten erkennen.
Es war tatsächlich ein Tor, ein sehr großes sogar, doch der Durchgang war durch ein heruntergelassenes Gitter aus Holzlatten versperrt. Links und rechts neben dem Tor standen ebenso hohe Holztürme, von wo aus man wahrscheinlich das Tor öffnen konnte – natürlich nur von der anderen Seite aus.
In nur noch etwa hundert Schritt Entfernung zum Tor erkannte sie eine Person auf dem linken Turm. Sie hatte feuerrote Haare – das musste eine Gerudo-Wächterin sein.
Als Ravana das Tor erreichte, sah die Frau herab und rief mit einer hellen Stimme:
„Wer seid Ihr? Ich habe euch nie in die Wüste gehen sehen!“
Ravana viel sogar auf die Entfernung von mehreren Fuß auf, dass das Gesicht der Frau sehr grell geschminkt war. Es wirkte fast abstoßend auf sie.
„Ich heiße Ravana, ich wurde in der Wüste geboren!“ rief sie.
Die Frau antwortete
„Seid Ihr eine Gerudo? Eurer Haar ist fast so rot wie das unsere!“
Ravana fiel ein, dass sie ja eigentlich Verwandte unter den Gerudo haben müsste, da ihre Mutter eine Gerudo war. Die Geschichte ihrer Abstammung hatte ihr Kamir, der fliegende Händler erzählt, als er eines abends von zuviel Palmwedelschnaps redselig wurde.
Sie rief: „Meine Mutter war eine Gerudo – sie hieß Nabira!“
Die Gerudo sah sehr erstaunt aus, als sie diesen Namen hörte. Sie drehte sich um, betätigte einen Hebel und kurz darauf hob sich das Holzgitter knarrend etwa vier Fuß nach oben. Ravana duckte sich darunter durch und wartete auf die Gerudo, die flink den Turm herunter geklettert kam, als das Tor sich wieder zu Boden gesenkt hatte.
Ravana stellte fest, dass die Frau schon recht alt sein müsste. Sie hatte einige Falten im Gesicht, doch ihre Figur war noch immer schlank und geschmeidig. Sie trug bunte Kleidung und schulterlanges Haar, das ihr ungebändigt um das Gesicht wehte.
Sie sah Ravana an und sagte schließlich: „Ja, du siehst deiner Mutter ähnlich. Komm, ich bringe dich in die Festung!“
Ravana folgte der Frau. Als sie um eine Ecke kamen, sah sie vor sich das gewaltige Bauwerk der Gerudofestung. Nicht so hoch wieder Wüstenkoloss, nein, das nicht. Aber dafür viel breiter, mit vielen Stockwerken in unterschiedlichen Höhen und vielen Öffnungen nach draußen. Ravana dachte, dass die Festung der Gerudo schon fast aussah wie ein Termitenbau, und lächelte.
Auf dem Hof vor der Festung sah sie viele weitere Gerudos, die sich alle sehr ähnlich sahen. Im Gegensatz zu ihrer Führerin trugen sie ihre langen roten Haare jedoch am Hinterkopf hochgebunden.
Vermutlich waren sie Wächterinnen, denn sie liefen immer zu einem Punkt, sahen sich um und gingen wieder einige Meter zurück.
„Natürlich“, dachte Ravana. „Die Gerudo müssen das letzte Volk in Hyrule sein, das noch einen kriegerischen Ruf hat, und sie sind Diebe. Sie müssen ihre Festung bewachen..“
Ihre Führerin ging auf den, wie Ravana vermutete, Haupteingang zu. Hinter der Türöffnung war es dunkel, und sie konnte nichts erkennen. Sobald sie eingetreten waren, jedoch erhellte das Licht von außen den Raum. Die Frau führte sie durch mehrere Gänge und sogar ein kleines Verließ, bis Ravana sich sicher war, dass sie alleine nie wieder aus dem riesigen Bau herausfinden würde. Schließlich erreichten die beiden eine große Küche mit einem massiven Holztisch, ein paar Hockern und einem knisternden Herdfeuer, über dem ein großer Kupfertopf mit Suppe hing. Die Frau bedeutete Ravana, sich hinzusetzen und fügte hinzu, dass sie die Anführerein der Gerudo holen wolle, und dass sie sich, wenn sie Hunger hätte, gerne an dem großen Topf mit Suppe bedienen könne.
Nachdem sie gegangen war, sah Ravana sich in dem Raum um und entschied dann, dass sie wirklich großen Hunger hatte. Sie nahm eine der auf dem Tisch stehenden Tassen und füllte sich die dampfende Suppe ein. Dann setzte sie sich an den Tisch und genoss es, wieder eine warme Mahlzeit zu bekommen.