Arwen Evingstar kehrt heim
In einer stürmischen, regnerischen Nacht war sie davon gegangen. Hatte Vvardenfell verlassen, um ziellos und mit ienem Gefühl der Leere herumzuirren. Bis nach Akavir hatte ihr Weg sie geführt und dann nach Cyrodiil, dem Land ihrer Geburt. Zumindest der Geburt ihres jetzigen Lebens. Und wieder war es eine stürmische und verregnete Nacht, als sie erneut den Boden Vvardenfells betrat. Aus Nostalgiegründen war sie wieder per Schiff gekommen und in Seyda Neen gelandet.
Fast zaghaft machte sie die ersten Schritte, atmete die Luft der Bitterküste tief ein und dann straffte sich ihr Körper. Stolz und aufrecht wanderte sie durch den Ort und Richtung Schlickschreiter. Sie, die Nerevarine, war heimgekehrt. Doch es war ein seltsames Gefühl, zwei Heimatländer zu haben. Unwirklich, als wäre sie, die Dunkelelfe Arwen Eveningstar, zweigeteilt. Und wenn jemand ihren seelischen Zustand näher untersucht hätte, so hätte er sie tatsächlich als zweigeteilt befunden. lAuch Cyrodiil hatte sie gerettet. Nein, eigentlich nicht sie, sondern Bruder Martin. Jener, der erst Priester, dann Kaiser, dann Drache und zum Schluss Opfer für sein Land war. Sie hatte ihm nur geholfen. Und fragte sich seitdem, ob sie ihm zum Tode verholfen hatte. Doch letztlich war es seine freie Entscheidung gewesen. Zum Schluss hatte sie nichts mehr tun können. Außer zusehen, wie er die letzten Schritte unternahm, sich der letzten Verwandlung unterzog, ums ein Reich zu retten. Ein großer, ein edler Mann. Und ein schwerer Verlust für das Land und seine Bewohner. Doch die Bedrohung durch die Daedra und Oblivion war abgewendet und Arwen hatte keinen Grund mehr gesehen, dort zu bleiben. Irgendwie schien es ihre Bestimmung zu sein, zwischen Vvardenfell und Cyrodiil hin und her zu reisen. Zu beiden Ländern zu gehören und doch zu keinem. Heimatlos trotz allem. Eine einsame Wanderin in Tamriel. Viel, sehr viel hatte sie gewonnen, doch noch mehr verloren. Ein geliebter Freund, der sie verleugnet und verlassen hatte durch die Ränke einer bösen heimtückischen und machtbesessenen Frau. Andere Freunde, die gegangen waren. Weibliche wie männliche. Ja, sie wurde gefeiert in Cyrodiil wie auch in Vvardenfell. Und? Was brachte ihr diese Bewunderung letztlich? Sie war so hohl und leer wie der Wind und gab ihr nichts von dem zurück, was sie wirklich wünschte.
Kurz vor dem Schickschreiter änderte sie ihre Meinung und beschloss, zu Fuß nach Balmora zu gehen. Und von dort vielleicht zum Almayia-See, an dessen Ufern sie unter leuchtenden Sternen und dem doppelten Mond schon oft ihren Frieden wiedergefunden hatte. Während sie durch die Nacht schritt, erklang Wolfsgehul. Laut, klagend, lang gezogen durch die Nacht. Dem Geräusch nach waren auch junge dabei. "Kleine Wölfe", dachte sie traurig, ohne zu wissen, ohne wirklich zu realisieren, woher der plötzliche Schmerz und die Trauer kam. Das Gefühl eines unwiderbringlichen Verlusts. Entschlossen schritt sie schneller aus. Doch verspürte sie plötzlich das seltsame und dennoch starke Verlangen, die unbegreifliche Trauer umzuwandeln. Umzuwandeln in Vernichtung. Jedes Monster, jeder Bandit, ja selbst ein harmloser Reisender wäre ihr jetzt recht gewesen. Der letzte Gedanke erschreckte sie. Doch sie begriff mit einem Mal, wieso Leute in Cyrodiil der sagenumwobenen, geheimnisvollen Dunklen Bruderschaft beigetreten waren. Viele von ihnen hatten wohl ähnlich gefühlt wie sie. Aber dennoch: die Retterin Cyrodiils, die Nerevarine Vvardenfells eine kalte Mörderin? Wie sollte das zusammenpassen. ... Im Namen des Guten war sie ausgezogen und hatte zweimal gesiegt. Für sie selbst war nichts geblieben. Der Ruhm scherte sie nicht. Der Reichtum, den sie angehäuft hatte, brachte ihr auch keinen Frieden. Auf dem Gipfel von Ruhm und Macht war sie einsam. Sie existierte, aber sie lebte nicht.
Regen und Sturm hatten aufgehört zu wüten. Die Wolkendecke war aufgerissen und die klaren leuchtenden Sterne wiesen ihr den Weg. Die zwei Monde hingen tröstlich darüber und spendeten der nächtlichen Wanderin Licht. Und Arwen Eveningstar kam in Balmora an und schritt durch das vertraute Stadttor. Die Hlaalu-Wachen grüßten sie respektvoll und erfreut. Natürlich, sie war die Nerevarine. Einen Moment blieb sie auf dem großen Platz stehen und sah sich um. Alles und doch nichts hatte sich verändert. Sie beschloss in der Taverne "Acht Teller" zu übernachten und morgen würde sie per Magiergilde nach Sadrith Mora reisen und sich von dort in ihre Telvanni-Festung teleportieren. Das hätte sie zwar auch von Seyda Neen aus tun können, doch in Erinnerung an die alten Zeiten, jene Zeiten, als ihre Füße zum ersten Mal dieses Land betreten hatten, hatte sie diesen Weg gewählt. Und so verschwand die Dunmerin hinter den Tür der Taverne "Acht Teller", die leise hinter ihr zuklappte.