Cyrodiil, Tiber-Septim-Hotel
Als Malukhat Draven von seinem nächtlichen Dilemma erzählte, wurde ihm schlagartig bewusst, dass er von Sadisten und Verrätern umgeben war. Erst Traven, der Malukhat warten ließ; anfangs hatte er vielleicht wirklich keine Zeit gehabt, aber inzwischen musste sogar ihm klar geworden sein, dass Malukhat ihn bei ihrer Begegnung am Liebsten mit einem gezielten Tritt ins Jenseits befördern würde. Dann diese Bosmer, Melian, in deren Augen kleine Septimzeichen flimmerten. Wer konnte schon mit Sicherheit sagen, dass sie nicht jetzt durch das Hotel schlich und schlafende Leute beklaute? Weiter ging es mit der dunmerischen Manifestation der Herzensgüte und Naivität, seinem Töchterchen Joplaya, welches der Bosmer auch noch dabei half, das gesamte Hotel auszuräumen. Entweder war ihre Menschenkenntnis inzwischen verkrüppelt oder sie hatte nie eine besessen. Den absoluten Tiefpunkt der bereits verschwendeten Nacht bildete schließlich Draven, dessen süffisantes Grinsen seines gleichen suchte, nämlich Malukhats Faust in seinem Gesicht.
Diese negativen Eindrücken hielten ihn erst von einem wahrscheinlich wenig erholsamen Restschlaf ab und verfolgten ihn nach erfolgreichem Schäfchenzählen bis in seine Träume. Von Frauen zu träumen hielt er generell für eine gute Sache, nur diesmal war es anders. Er sah sich selbst vor drei Thronen knien, auf denen Arwen, Joplaya und Melian saßen, gekleidet in feinste Seide und bestückt mit dem teuersten Schmuck. Bei Oblivion: Wieso kniete er? Er hatte die Kleidung bezahlt. Er hatte den Schmuck bezahlt. Er hatte die Throne bezahlt. Er hatte das gesamte, verdammte Schloss bezahlt!
Als Malukhat schließlich aufwachte, weil Joplaya sich auf seine Brust gesetzt und somit das Atmen unterbunden hatte, vergaß er seinen Traum, fühlte sich allerdings, als war er soeben der ewigen Verdammnis anheim gefallen.
„Einen wunderschönen guten Morgen, Vater!“, rief Joplaya gewohnt überglücklich. „Hast du gut geschlafen?“ Sie rutschte von seiner Brust, beugte sich über ihn und gab ihm einen Kuss auf die Wange.
Verständnislos sah er sie an. „Das Leben ist zum Kotzen.“
Joplaya grinste. „Ist es nicht. Du denkst einfach zu negativ.“
„Oder das“, gab Malukhat nach. Ellenlange Diskussionen mit seiner Tochter über positives Denken hatten bisher nur dazu geführt, dass er sich noch mieser fühlte als vorher.
„Freu dich doch! Du hast etwas Gutes getan, indem du Melian für eine Nacht deine Unterkunft überlassen hast. Und wenn du mal ganz ehrlich bist“, sie kniff ihm in die Wange, „dann ist dieses Zimmer doch auch nicht so viel schlechter.“
Malukhat grunzte verächtlich. Er hatte gestern nicht das teuerste Zimmer bezahlt. Mit Ausnahme von Melian war das allen sofort klar gewesen, als Joplaya nach eben jenem verlangt hatte. Jetzt lag die Bosmer in seinem Bett, während er in dieser Bruchbude versauerte. Okay, so schlecht war es nun auch wieder nicht, aber das würde er sich nicht eingestehen. Zum Glück hatte das Rundohr genug Umsicht walten lassen, sofort jemanden zu schicken, der seine Kleidung und alle anderen Dinge umräumte, bevor Melian das Zimmer betrat. Wenn sie nämlich jetzt schon über alle Berge war, dann wäre es sein gesamtes Hab und Gut mit ihr gewesen.
Malukhat seufzte. „Joplaya, würdest du ein wenig an der Reihenfolge deines morgendlichen Weckrituals arbeiten, wäre ich wahrscheinlich beim Aufwachen nicht ganz so schlecht gelaunt.“
„Wie meinst du das?“, fragte Joplaya verwirrt.
„Nun ja, ich möchte meinen, positives Denken kann schon schwer fallen, wenn man sich fühlt als zerquetsche ein Sturmatronach einem die Brust. Du verstehst?“
Sein schlankes Töchterchen lachte glockenhell auf und schlug ihm spielerisch auf die Schulter. Ob das nun bedeutete, dass sie Gnade mit ihm walten ließ oder seinen Spruch für einen Scherz hielt, würde er erst am nächsten Morgen erfahren.
„Zieh dich an und komm frühstücken“, sagte sie schließlich und stand auf. „Derweil gehe ich Melian wecken.“
Malukhat wollte noch etwas sagen, aber im Bezug auf die Bosmer kamen ihm momentan so viele böse Sprüche, dass er den einzigen freundlichen – oder wenigstens neutralen – Satz nicht schnell genug herausfiltern konnte. Die Tür ging zu und der Erzmagier war wieder allein. Und hundemüde. Und deprimiert.
Kopfschmerzen…
Mit aller gebotenen Vorsicht rollte er sich aus dem Bett, kroch mehr oder weniger zum Schrank und begutachtete sein Kleiderarsenal. Die Tatsache, dass er mehrere Minuten überlegen musste, was er anzog, irritierte ihn im Nachhinein, denn es hing nur ein einziges Kleidungsstück darin, und das war seine blauschwarze, reich verzierte Erzmagierrobe. Er warf sie über den Arm und wusch sich mit dem kalten Wasser im Badezimmer.
„Ich komme noch um vor Hunger!“, rief er, dass einige der anderen Leute im Raum zu ihm herüber blickten. Diejenigen, die bereits länger im Tiber Septim Hotel einkehrten, waren Malukhats Gezeter gewohnt. Er selbst fragte sich indes, aus welchem Grund er sich derart von seiner Tochter herum kommandieren ließ. Wenn er etwas trug, das ihr nicht gefiel, zog er sich um. Wenn sie nicht mit seiner Ausdrucksweise zufrieden war, dann änderte er – wenn auch nicht für lange – seine Wortwahl. Hätte ganz Nirn ihm gehört, er hätte es ihr zu Füßen gelegt. Die Sterne vom Himmel geholt hätte er für sie, und die Monde noch obendrein. Noch nie in seinem Leben hatte eine Person einen derartigen Einfluss auf ihn gehabt, und er fragte sich, woher sie die Macht nahm, die sie über ihn hatte.
Die Antwort auf diese Frage lag nur wenige weitere Sekunden des Nachdenkens entfernt, doch Malukhat erreichte sie nicht. Denn hätte er es getan, hätte er sich eingestehen müssen, dass er seine Tochter liebte, dass fast sein gesamtes Denken darauf abzielte, sie nicht unglücklich werden zu lassen, und nicht zuletzt, dass sie für ihn ein perfektes, vollkommenes Wesen darstellte, für das es zu leben wie auch zu sterben sich lohnte.
Und weil er soweit nicht kam, war er einfach nur beleidigt, mit dem Essen auf Melian warten zu müssen. Wahrscheinlich fragt sie sich gerade, ob das Bett auch noch irgendwie in ihre Tasche passt, dachte er, verschränkte die Arme vor der Brust und blickte finster drein. Das Fleisch lächelte ihn an, der Geruch von Butter und frisch gebackenem Brot lockte ihn, das Geklapper des Geschirrs erzählte ihm die Geschichte, wie es war, keinen Hunger zu haben.
„Mir reicht es, Joplaya. Gemeinsame Mahlzeiten sind ja schön und gut. Ich bin einer der ganz großen Verfechter gemeinsamer Mahlzeiten. Vielleicht war sogar ich es, der gemeinsame Mahlzeiten erst erfunden hat und es ist zulange her, als dass ich mich daran erinnern könnte; aber eines ist klar, mein Kind: Gemeinsame Mahlzeit schließt dich und mich ein. Niemand anderen. Und ganz besonders nicht die diebische Bosmer.“
„Guten Morgen“, erklang es in seinem Rücken. Als er sich umdrehte, ließ Melians Gesichtsausdruck nicht darauf schließen, ob sie seine Worte noch gehört hatte. Und selbst wenn: Sollte sie doch. Ihm konnte es schließlich egal sein.
„Guten Morgen, Melian“, lächelte Joplaya, „setz’ dich doch.“
Sie wies auf den Stuhl zwischen sich und Malukhat, entschied sich aber doch anders und bot Melian lieber den Stuhl an, der keinerlei Kontakt zu Malukhat erlaubte. Das heißt, wenn er nicht auf den Tisch sprang. Melian setzte sich. Sie wirkte etwas nervös. Kein Wunder, sie kannte ja weder Malukhat noch Joplaya so richtig und was sie gestern von dem Erzmagier mitbekommen hatte, dürfte wohl kaum der Entspannung dienlich sein.
„Warum denn so nervös?“, fragte er sie und griff nach einem Brot. „Gestern zeigtet Ihr mehr Selbstvertrauen, immerhin saht Ihr euch in der Lage, Euch kurzzeitig meines persönlichen Eigentums zu bemächtigen.“
Er sah weder Melian an noch Joplaya. Erstere nicht, weil er ihr zeigen wollte, wo sie seiner Meinung nach hingehört (Nicht an diesen Tisch), und zweitere nicht, weil er ganz genau wusste, dass Joplaya ihm mit ihren Blicken Löcher in den Kopf bohrte.
„Vater…“, begann sie, doch Malukhat unterbrach sie.
„Ja, ja. Andere zu beleidigen ist positivem Denken nicht zuträglich. Ich hab’s schon kapiert.“
Joplaya starrte ihn fassungslos an. Ihr Vater hatte noch nie Streit mit ihr angefangen. Darüber war sie schon immer verwundert gewesen, da sie komplett unterschiedliche Ansichten vertraten. Sie waren wie Boethiah und Mara; im Frieden vereint. Aber wenn er Krieg wollte, dann sollte er ihn auch haben.
„Muss das jetzt sein?“, fragte sie wütend. „Darf ich dich daran erinnern, dass du hier derjenige bist, der immer wieder darauf herum reitet, wie abgrundtief schlecht die Welt doch ist – und zwar nur, weil noch niemand auf die Idee gekommen ist, dir einen Schrein zu widmen?“
„Ein Schrein!“, rief Malukhat und warf die Hände in die Luft. „Das wäre ja was! Und du bist die erste, die sich dort opfern lässt?“
Joplaya öffnete den Mund zu einer heftigen Erwiderung und schloss ihn wieder, nur um ihn anschließend wieder zu öffnen und nach Luft zu schnappen. Sie krallte ihre Hände um die Lehnen ihres Stuhls, während sie nach passenden Worten suchte, die sich einfach nicht einstellen wollten. Sofort bereute Malukhat seine Wort. Derart unbeherrscht war er in Gegenwart seiner Tochter noch nie gewesen. Die letzten Tage waren furchtbar gewesen, durchsetzt von Gleichmut und Stillstand. Er war müde und noch schlechter gelaunt also sonst. Aber sogar er sah ein, dass dies keine Entschuldigung war. So etwas hätte ihm einfach nicht passieren dürfen.
„Joplaya, ich…“, versuchte er und beugte sich zu ihr über den Tisch, um ihre Hände zu ergreifen. Sie zog sie weg.
„Nein, ist schon gut“, erwiderte sie und er konnte förmlich sehen, wie sich Tränen in ihren Augenwinkeln bildeten. Was für ein zart besaitetes Persönchen er da nur in die Welt gesetzt hatte! Andererseits musste er zugeben, dass es ein Schlag unter die Gürtellinie gewesen war. Er hatte sein Ziel nicht verfehlt und direkt ins Schwarze getroffen. „Ich habe verstanden.“
Mit diesen Worten erhob sie sich steif und verließ das Hotel. Malukhat schlug die Hände vor das Gesicht und stützte die Ellenbogen auf der Tischplatte ab. Es drängte ihn, ihr zu folgen, aber sein Stolz hielt ihn davon ab.
Er konnte nicht wissen, dass er es später am Tag bitter bereuen würde.
Cyrodiil, Kaiserstadt: Tiber Septim Hotel
J'Shivrizza sah dem Goldspitzohr nach und shüttelte den Kopf. Im Bett war es so bequem gewesen! Zumindest angenehmer als im Gefängnis der Legion, stellte sich die Khajiit vor. Natürlich, ihr eigenes Bett ging über alles, doch da dürfte es noch von Blechmännern wimmeln. Nochmals wollte J'Shivrizza nicht durch den Rumaresee watscheln.
Sie maunzte die Raumdecke an, nahm ihre Augengläser zur Hand und zog ihre Kapuze tief ins Gesicht. Der Stoff roch nach Algen. Immerhin brauchte die Khajiit nicht lange zu packen - die paar Äpfel und Tomaten des Raumes waren schnell in Robentaschen verschwunden. Unter dem Bett hatte ein Gast den siebten Band von "Ein Tanz im Feuer" liegen lassen, was J'Shivrizza als Abschiedsgeschenk verbuchte.
Draußen wartete bereits das Goldspitzohr, und sie konnte sich des Eindrucks nicht erwehren, daß er ungeduldig war.
"Bruma?" fragte die Khajiit. "Da tun mir immer meine Augen weh. Und der Schnee verfängt sich in meinem Fell."
Der Blick des Hochelfen sprach Bände.
"Äh, natürlich ist die frische Bergluft gut für die Gesundheit, ja!" setzte sie hinzu. "Außerdem wollte ich schon immer mal Vorführungen mit Schneemännern planen, die werden bestimmt ein Tavernenmagnet."
Der Blick der Khajiit fiel auf die Wachen der Kaiserlichen Legion, die gerade Wachablösung hatten. Zudem irrten noch immer mehr Dunkelelfen als gewöhnlich durch die Stadt. "Außerdem möchte J'Shiv gerne wandern." fuhr sie fort.
Cyrodiil, Ayleidenruine Vindasel
Aurel, der sich so schnell wie möglich dem Lich näherte, beobachtete fassungslos Artons Überlebenskampf. Er wollte helfen... er musste helfen. Und doch konnte er nicht schnell genug zu dem Ungetüm vordringen, um eingreifen zu können.
Er starrte auf den Lich, welcher regelrecht Vergnügen bei dem zu verspüren schien, was er dem Waldläufer antat. Ein solches Vergnügen, dass er den Rest der Abenteurergruppe zu vergessen schien.
Aurel verspürte einen nie gekannten Zorn. Er hatte gegen Orks gekämpft, gegen Nordkrieger und auch gegen Dunkelelfen, aber immer waren es Gegner aus Fleisch und Blut gewesen, lebende, fühlende Wesen wie er, die Ehre, Furcht, Mitgefühl kannten, egal, welche Grausamkeiten der Krieg sie auch manchmal tun ließ.
Dieses Ding aber, das Arton auf so grausame Weise malträtierte, war das körperlich gewordene Böse. Boshaftigkeit, Grausamkeit, Blutdurst, der sich in einem Körper manifestiert hatte. Was auch immer der Lich zu Lebzeiten gewesen war, ein mächtiger Zauberer oder ein großer König, nichts war in dieser Kreatur mehr davon übrig geblieben.
Rasend vor Zorn sah Aurel dem Lich bei seinem furchtbaren Tun zu, während er sich mit immer schnelleren Schritten dem Untoten näherte. Sein Schwertarm erhob sich zu einem Hieb, wie er ihn noch nie geführt hatte. All seinen Zorn legte er hinein, und ein gewaltiges Krachen, das Geräusch berstender Knochen, ertönte, als Aurels Schwert den Lich traf. Verzaubertes Silber schnitt wie durch Butter durch die Knochen des Schlüsselbeins des Untoten und wurde erst vom Brustpanzer aufgehalten, nachdem es beträchtlichen Schaden angerichtet hatte.
Der Lich fuhr herum, und ein Fauchen erfüllte die Kammer.
„Wurm, du wagst es...“
Aurel ließ den Lich weder ausreden, noch eine Handlung ausführen. Er riss dem Monstrum sein Schwert aus dem Leib und hieb erneut auf es ein. Diesmal, zur Überraschung des Untoten, welcher seinen Stab erhoben hatte, um den Schlag abzuwehren, aber tiefer. Wieder ertönte das Geräusch berstender Knochen, und der Lich knickte plötzlich ein. Aurel hatte ihm eines seiner ungepanzerten Beine vom Leib getrennt, und während der Lich zu Boden fiel, löste sich seine Krone von seinem vermoderten Haupt.
Das Fauchen des Lichs wurde nun zu einem hohen Kreischen, und Aurel nahm darin mit Befriedigung etwas wahr, was vorher nicht in der Stimme des Untoten gewesen war... Angst.
Er schaute zu der schussbereiten Waldelfe und zu der Dunmerzauberin und rief ihnen hastig drei Worte zu, während er die Krone mit dem Fuß von dem Lich wegstieß.
„Kiara, Arwen... jetzt!“
...