Grafschaft Skingrad; Hinterland
Drei weitere Tage stolperten sie durch das Hinterland der Grafschaft Skingrad, während das Wetter zunehmend schlechter wurde. Bald schon sanken sie knöcheltief in die aufgeweichte Erde ein, und niemand hatte auch nur mehr einen trockenen Fleck am Körper. Der jüngste ihrer Schützlinge, ein zierlicher Bretone, begann nach einer Weile heftig zu husten. Am Abend fieberte er. Dieser Umstand zwang Tujenne und Kal-Leesha, die letzte im Bunde, die ganze Zeit selber zu laufen. Es machte sie noch langsamer, selbst Arranges’ ungehaltenes Gefauche vermochte nicht, sie dauerhaft zu einem höheren Tempo zu treiben. Sie mochten vielleicht noch einen halben Tag von der Goldstraße entfernt sein, als der Junge wie ein nasser Sack aus dem Sattel fiel. Erynn kniete neben ihm nieder und tastete nach dem Puls, versuchte Anzeichend für Atmung und Herzschlag zu finden. Schließlich schüttelte sie den Kopf. „Nichts mehr“, verkündete sie dann und bemühte sich dabei, ihrer Stimme einen emotionslosen Klang zu geben. Der Kaiserliche schwang sich aus dem Sattel, webte einen starken Feuerzauber und verbrannte den Körper zu Asche. „Weiter“, blaffte er.
Für die Argonierin war das zu viel. Sie brach in hysterisches Weinen aus, schien nicht dazu in der Lage, einen weiteren Schritt zu tun. Verdammt! Das können wir uns jetzt beim besten Willen nicht leisten... wir müssen alle aus diesem Regen raus, und das so schnell wie möglich. Sie warf Arranges einen fragenden Blick zu – alles wozu er sich herabließ, war eine unwillige Geste. Erynn war mit zwei schnellen Schritten bei der Schülerin, holte aus und versetzte ihr eine schallende Ohrfeige. Sie verachtete sich selbst dafür. „Was für ein Totenbeschwörer bist du eigentlich?“ zischte sie. „Du hast den Mentor gehört. Los, weiter!“ Kal-Leesha gelang es, ihr durch die tränenverschleierten Augen einen haßerfüllten Blick zuzuwerfen. Der Ausdruck ‚Sklaventreiber’ war eindeutig darin zu lesen. Die Dunmer deutete wortlos über ihre Schulter auf Falchion, und sie setzten den Weg fort. Am Nachmittag erreichten sie die Goldstraße. Zwei- wie Vierbeiner atmeten auf, als sie das schwierige Gelände endlich verlassen konnten. Jetzt haben wir es bald geschafft – und keinen Augenblick zu früh. Wir können den Schülern nicht noch mehr zumuten...
Goldstraße (östlich von Skingrad)
Kalte Nässe schlug dem Nekromanten ins Gesicht wie eine ordentlich geschwungene Faust. Das Gefühl wollte so gar nicht zu der warmen Stube passen, in der er bei Kerzenschein über einige Bücher gebeugt saß und völlig ungestört seinen Studien nachging. Die seltsame Wahrnehmung zerriss dieses Bild jedoch und noch bevor Arranges sich überlegen konnte, warum das so war, löste sich das Zimmer bereits auf...
... Prustend kam der Magier aus dem Schlaf zu sich. Kaltes Wasser rann ihm in den Nacken und war überall im Kragen, in Mund und Nase... Ein Reflex ließ ihn hochfahren und mit der Hand übers Gesicht wischen, während er hustend um sich blinzelte. Erynn stand vor ihm, einen der Wasserschläuche in der Hand und schaute ungeduldig auf ihn herab. Es war später Vormittag, zur Abwechlung schien die Sonne vom Himmel und als er sich nach ein paar Augenblicken wieder gefangen hatte, sah er hasserfüllt zu der Dunmer auf. 'Aber sonst gehts dir gut oder... was fällt dir eigentlich...' Der nächste Schwall Wasser traf Gesicht und Oberkörper, sodass er erst wieder nicht sprechen konnte, sondern nur mehr husten musste. 'Verdammt nochmal, ich bin doch schon WACH!!!'
'Ja... und jetzt bist du auch wieder ein wenig gewaschen...' Antwortete sie sichtlich unbeeindruckt. Arranges sprang wütend auf und riss ihr den Wasserschlauch aus den Händen. 'Was hat dich heute Nacht eigentlich gestochen... hör auf mit diesem Schwachsinn... das gereicht nichteinmal zu einem Schmunzeln...!' Tatsächlich fiel ihm direkt auf, dass er sich nur noch an den Ritt von Skingrad weg auf der Goldstraße in Richtung Kaiserstadt erinnern konnte. Allerdings hatte er auch keine Kopfschmerzen. Er schloss direkt ersteinmal aus, dass er betrunken war... Vielleicht war ich nur zu erschöpft...
Westebene => Großer Forst => Ringstraße
Statt einer Antwort ließ sich Erynn fallen wo sie gerade stand. Nachdem ihr Zorn verraucht war, war sie tatsächlich nur noch unglaublich müde, schlief fest und traumlos bis zum frühen Nachmittag.
Dann sattelten sie auf und setzten die Reise in Richtung Kaiserstadt fort. Es wurde Abend, bis sie die ersten Ausläufer des großen Forstes erreichten, und unter seinem schattigen Blätterdach wandelte sich das Zwielicht rasch zur echten Dunkelheit. Keiner von beiden dachte ernsthaft darüber nach, in der Nacht noch einmal anzuhalten, auch wenn es so finster wurde, daß man die Hand kaum vor Augen sehen konnte. Die Zeit drängte – wenn man bedachte, daß der verheerende Angriff auf Parlovars Anwesen in Valenwald nur ein Beispiel unter vielen gewesen war, wurde es längst höchste Zeit, auch den letzten Siegelstein zu beschaffen. Also ritten sie schweigend weiter, jeder seinen eigenen Gedanken nachhängend.
Erynn fragte sich, wann die Abtrünnigen wohl ihre relative Heimlichleit endgültig aufgeben würden. Zuerst hatte man geglaubt, die Verräter würden keinen aktiven Konflikt mit der Gathering suchen wollen. Das hatte sich als falsch erwiesen. Wie lange mochte es dauern, bis sie dreist genug waren, auch in dichter besiedelten Gebieten zuzuschlagen und dort irgendwelche Personen verschwinden lassen? Selbst die Schläge gegen die abgelegenen, gut versteckten kleineren Häuser konnten nicht ewig unbemerkt bleiben. Erynn erinnerte sich an die Rauchsäulen, die sich bis weit über die Baumkronen des dicht bewaldeten Gebiets in den Himmel schraubten, an die zuckenden Reflektionen unzähliger Zauber am Nachthimmel. Irgend jemand mußte das einfach gesehen haben, hatte es vielleicht für Wetterleuchten und die Folgen eines Blitzeinschlages gehalten. Diesesmal. Aber was, wenn irgendwo Leute mißtrauisch wurden und zu der Stelle gingen, sei es in Valenwald oder sonstwo. Was, wenn sie in die geschwärzten Ruinen vordrangen und fanden, was auf ewig verborgen bleiben sollte? Was sollte geschehen, wenn jemand durch einen dummen Zufall die obskure Gathring ins Licht des Tages zerrte? Die Elfin fürchtete dabei nicht so sehr um den Nekromantenbund – er war und blieb etwas, das sie nicht gutheißen konnte, wenngleich sie sich daran gewöhnt hatte, seine Existenz zu akzeptieren. Doch was würde passieren, wenn den Leuten Tamriels aufgedeckt wurde wer sie waren, was sie taten, wenn sie sich in die Enge getrieben fühlten? Sie wagte kaum, darüber nachzudenken. Die Pläne der Abtrünnigen zudem kannte nur Boethia allein. Wer konnte sagen, welche Ziele sie letztendlich verfolgen mochten. Wir sitzen auf einem Pulverfaß, und die Lunte brennt längst...
Das erste, zögerliche Sonnenlicht traf die Ruine Ceyatatar, als sie daran vorbeiritten, brachte den uralten, kunstvoll behauenen Stein zum Strahlen wie ein magisches Leuchtfeuer, das den Weg in andere, halb vergessene Zeitalter wies. Erynn wandte den Blick ab. Das bittersüße Symbol von Ewigkeit und Vergänglichkeit gleichermaßen machte ihr ihre eigene Sterblichkeit überdeutlich bewußt.
Nach einer Weile, während der Wald um sie herum erwachte und unzählige Vögel und Insekten ihre Lieder anstimmten, erreichten sie die Ringstraße. In wenigen Stunden würden sie in der Kaiserstadt angekommen und noch vor der Abenddämmerung vielleicht einen Schritt weiter sein. Ein letzter Stein, danach würden die Großmeister hoffentlich in der Lage sein, dem Wüten der Verräter Einhalt zu gebieten...