Grafschaft Skingrad => Valenwald
Erynn drückte ihrem Braunen die Fersen in die Flanken und jagte hinter Arranges her. Tief über die Hälse ihrer Pferde gebeugt, ritten sie in halsbrecherischem Tempo strack nach Süden, weiter in das Hinterland der Grafschaft Skingrad herein. Die Elfin holte das Letzte aus ihrem Reittier heraus, um den Anschluß nicht zu verlieren – Falchion war ein Gebrauchspferd, kein hochbeiniger Blüter wie der Fuchshengst. Nach einer Weile jedoch fand der Wallach seinen Rhythmus, streckte Hals und Rücken und griff mehr Raum. Außer dumpfem Hufschlag und dem Schnauben der Tiere war lange Zeit nichts zu hören.
Die Monde standen voll am Himmel, warfen ihr Licht auf die hügelige, grasbewachsene Landschaft. Dennoch blieb ihr Manöver tückisch. Mehr als einmal gelang es ihnen nur knapp, halb überwachsenen Steinen auszuweichen, die ihren Pferden leicht hätten die Beine brechen können. Mitternacht war vorüber, als sie an der Quelle des Strid vorüberflogen. Als sie die Stelle erreichten, an der Cyrodiil an die Grenzen von Elsweyr und Valenwald stieß, dämmerte bereits der Morgen. Die Landschaft veränderte sich zuehends, das Grasland wich mehr und mehr einem schattigen Laubwald. Arranges zügelte den Rotfuchs und orientierte sich kurz, korrigierte die Richtung nach Südwesten und stetzte den Weg im flotten Trab fort. Das Blätterdach von Valenwald schloß sich über ihnen, während sie sich jetzt rasch ihrem Ziel näherten. Auf ihrem ganzen Weg waren sie noch keiner Menschenseele begegnet. Sie erreichten einen schmalen, überwachsenen Weg, der sich in leichten Windungen ausfwärts schlängelte. Erynn entdeckte hier und da plattgetretene Pflanzen und abgeknickte Zweige.
Plötzlich parierte der Beschwörer sein Pferd zum Halt und hob warnend eine Hand. Erynn hielt ihr Tier ebenfalls an und lauschte. Es war still – zu still für einen mit Leben gefüllten Wald. Sie glaubte, von irgendwoher Rauch riechen zu können.
Langsam setzten sie sich wieder in Bewegung und folgten dem Pfad ein Stück weiter. Die Bäume lichteten sich, der Brandgeruch wurde stärker. Dann konnten sie bleiche Qualmsäulen sehen, die sich träge in den Himmel schraubten und im Wind zerfaserten.
Nach einigen weiteren Minuten erreichten sie den Ort des Geschehens und blickten fassungslos auf die Szenerie. Verbrannte Erde, die Bäume im näheren Umkreis von Feuer geschwärzt, die Holzpalisade um das Anwesen herum fehlte zum großen Teil. Nur wenige der Pfosten, so hoch wie zwei Mann, reckten sich noch wie stumme Mahnwachen in die Höhe. Der obere Teil des hölzernen Frieds in der Mitte der Befestigung war weggerissen worden, die Trümmer lagen versteut und noch immer qualmend im Innenhof verstreut, hatten sich wie Schrapnelle in den Boden und umliegende Gebäude gebohrt. Die Reste des turms ächzten bedenklich und schienen jeden Moment einstürzen zu wollen.
Die Elfin glaubte, in dem Chaos eine Bewegung ausmachen zu können. Nur einen Herzschlag später fegte ein Schockzauber heran, verfehlte die beiden Reiter nur knapp und schlug in ein schon ziemlich mitgenommenes Gebüsch ein, das sofort Feuer fing. Arranges fluchte kreativ, brüllte etwas von holzköpfigen Idioten und gab sich als Mentor zu erkennen.
Stille. Für eine Weile regte sich nichts, dann kamen mehrere, arg abgerissen wirkende Gestalten aus der Deckung hervor. Zehn, vielleicht fünfzehn, alle jung und völlig erschöpft. In ihren müden Augen lag Mißtrauen, aber auch so etwas wie vorsichtige Hoffnung. Sie lenkten ihre Pferde zu dem zerschmetterten Tor, als sich ein Rothwardon aus der Gruppe löste und auf sie zukam, ihnen die Handflächen in einer beschwichtigenden Geste entgegenstreckend. Er war noch kaum ein Mann, in dem schmalen, faltenlosen Gesicht zeigte sich gerade der erste, spärliche Bartflaum.
„Seid gegrüßt, Mentor Arranges“, sagte er „und vergebt uns die unfreundliche Begrüßung. Wir hatten nicht mehr damit gerechnet, daß noch Hilfe eintreffen würde. Wie ihr seht, haben die Verräter nicht viel übrig gelassen. Sie kamen vor zwei Nächten, ohne Vorwarnung, und griffen sofort an. Ich weiß nicht, wie viele es waren, aber es war mindestens ein Botschafter darunter. Uns blieb nicht einmal die Zeit, die Palisaden zu bemannen. Sie fegten durch die Anlage wie Mehrunes Dagons Zorn, brandschatzten und brachten alle um, die sich nicht schnell genug verstecken konnten...“ seine Stimme brach. „Zwölf von uns sind tot, zwei Schülerinnen haben sie weggeschleppt. Ich weiß nicht, was sie mit ihnen vorhaben. Dann... verschwanden sie so plötzlich, wie sie gekommen waren.“
Arranges’ Gesicht versteinerte, während der Junge sprach. „Was ist mit Meister Parlovar?“ verlangte er zu wissen. „Ich... ich weiß es nicht. Der Meister war nicht hier, als der Angriff stattfand, und wir haben noch nichts von ihm gehört. Wir harren hier aus und warten darauf, daß irgendwas geschieht. Wenn der Meister nicht bald wiederkommt, werden die Verräter noch einmal angreifen, befürchte ich. Aber dann werden wir sie nicht abwehren können...“ Der Rothwardon schluckte hart und kämpfte gegen die Tränen. „So wie es aussieht, konntet ihr das auch schon beim ersten Mal nicht“, gab der Kaiserliche kühl zurück. „was würde Meister Parlovar wohl dazu sagen wenn er erfährt, was für Jammerlappen er sich hier herangezüchtet hat?“ Er schwang sich aus dem Sattel. „Ich will mit den anderen Überlebenden sprechen.“
Erynn ließ sich ebenfalls vom Rücken ihres Pferdes gleiten und schlüpfte wieder in die Rolle der Schülerin. Sie verneigte sich knapp vor dem Beschwörer, griff nach den Zügeln des Fuchses und führte die beiden schweißnassen Reittiere trocken, während Arranges dem Jungen in die zerstörte Festung folgte.
Bei allen Göttern, dachte sie und ließ ihren Blick über die Verwüstung schweifen. Welche Kräfte müssen hier gewirkt worden sein, um fast alles dem Erdboden gleichzumachen? Sie bemerkte, daß ein paar der jüngeren Schüler sie beobachteten. Die zwei Khajiitmädchen und ein Nord mochten vielleicht fünfzehn Jahre alt sein, auch wenn sie sich bei den Katzenwesen nicht ganz sicher war. Erynn wandte den Blick ab und konzentrierte sich wieder auf die Pferde.