Cyrodiil, Kaiserstadt (Hafenviertel)
Normalerweise stand J'Shivrizza jeden Morgen am See Rumare und schaute über das Wasser. Heute zog sie es vor, in ihrer Hütte zu bleiben, die Fensterläden fest verschlossem. Am liebsten würde sie erst gar nicht vor die Tür gehen.
Die letzten Aufträge hatten Nebenwirkungen gehabt. Zum Glück ließ sich die Khajiit im voraus bezahlen, denn immerhin war Zauberei Zauberei und eine Kunst, auch wenn mal ein paar Pinselstriche verrutschten. Wie bei dem Menschenkätzchen, dem draußen die Stadtwache nachjagte. Seine Mutter wollte ihm mehr Mut verschaffen, und da kein Alchemist zur Stelle war, buchte sie Zauberei. J'Shivrizza fand, er hätte eher in ein Rudel anderer Kätzchen gehört, aber wer läßt schon Gold aus seinen Pfoten fallen? Also ein bißchen das Bild im Geist ändern, damit er sich besser fühlt. Hatte sich die Khajiit so gedacht. Nun rannte er am Hafen entlang und ruinierte Küchenmesser an Schlammkrabbenschalen. Und so vielen Hafenbewohnern ihr Mittagessen. Auch J'Shivrizza hatte schon so manchen Tag, an dem sie nicht genug verdiente, sich so ihre Mahlzeiten fangen müssen. Mit genug Zucker und gut durchgebraten war das Krabbenfleisch sogar genießbar.
Und das Haus im Elfengartenbezirk? Dafür konnte ihr niemand einen Vorwurf machen, hoffte sie. Die Magiergilde war schuld! Warum mußte sich auch dieses Pack ausgerechnet diesmal einmischen? J'Shivrizzas Auftrag war es gewesen, das Haus während der Reise ihres Bewohners vor geschickten Fingern abzusichern. Also erschuf sie eine Illusion von Flammen.
Nachdem das halbe Gebäude geflutet worden war, ohne das Feuer zu löschen, kamen Magier, und bannten den Trick. Also versiegelte sie die Tür, indem sie die Dimensionen ein bißchen manipulierte. Tatsächlich hatte es kein Flinkfinger in das Haus geschafft. Nur strömten nun ständig Dunkelelfen aus dem Haus. Der Rappenkurier, welcher heute morgen unter ihrer Tür durchgeschoben worden war, behandelte schon das "Spukhaus". Jetzt untersuchte wieder die Magiergilde diese Einbahnstraße. Die Khajiit zog es vor, die Decke über den Kopf zu ziehen.
Es klopfte an der Tür. Ihre Pfote schoß zur Brille auf dem Nachttisch. Sie diente dem Schutz vor der Sonne, verdeckte zudem das Glühen ihrer Pupillen. Leute sahen sie immer komisch an, wenn sie das bemerkten.
"J'Shiv ist auf der Jagd!" maunzte sie und drehte sich im Bett um.
"Nicht witzig!" tönte es draußen. Eine Menschenstimme, eine von vielen in der Stadt. Für die Ohren der Khajiit klangen sie fast alle gleich. Zudem fragte sie sich, warum der Mensch sprach. Hatte sie nicht gesagt, sie sei nicht da?
"Du hast drei Atemzüge!" tönte die Stimme. "Dann brechen wir die Tür ein. Du bist verhaftet wegen Verbrechen gegen die Ehre von Fräulein von Alinor!"
Die Sache, schoß es durch J'Shivrizzas Geist. Sie hatte doch extra erwähnt, das Kleid würde nicht ewig halten. Warum war die goldene Bohnenstange auch länger auf der Festball geblieben?
Draußen warf sich jemand gegen die Tür. Mit einem Nebengedanken warf die Khajiit das Fenster zur Rückseite auf, warf sich ihre Kapuze über und sprang heraus. J'Shivrizza war tatsächlich nicht zuhause. Und als die wandelnden Dosen die Zauberin entdeckten, warf sie sich schon in den See Rumare.
"J'Shiv muß untertauchen." murmelte sie dem Schlachtfisch vor, der an ihr vorbeischwamm. Luftbläschen stiegen nach oben.
Cyrodiil, Westufer des Rumaresees
Der Schlachterfisch schwamm noch einige Zeit hinter J'Shivrizza her. Irgendwann verschwand er in den Tiefen des Sees, während der Kopf der Khajiit die Wasseroberfläche durchbrach. Sonnenlicht, violett wie ein zerschmetterter Amethyst, gleißte in die Tropfen auf ihrer Brille, erzeugte einen Regenbogen und Schleier, den sie nicht zu durchblicken vermochte.
Und ohne Brille blendete das Licht noch viel mehr. Vom Horizont, der von der Dämmerung in Flammen stand, bis hin zum Wasser, das auch noch von unten die Strahlen weiterschickte. J'Shivrizza löste das Band ihres Zopfes und schüttelte die Haare, um wenigstens ein bißchen Lichtschutz zu erhalten. Und um sich zu trocknen.
Sie war vor Mauern aus dem See gestiegen, die an den Turm in der Mitte der Menschenstadt erinnerten. Aber sie waren verfallen, von Flechten bewachsen, von Ranken umwuchert und von Wind und Wetter spröde und voller Risse geworden.
"Eiladenruinen." grummelte J'Shivrizza. "Großartig."
Aus dem Wasser ragte eine Statue, ein Kämpfer mit Engelsflügeln, dessen Kopf längst fehlte. Die Inschrift auf seiner Säule war unlesbar geworden. Seerosen wuchsen vor dem Ufer.
Am Rand der Ruine schlich die Khajiit entlang, bis sie Stimmen hörte. Ein Zeltlager fand sich vor dem Eingang, Tische und Stühle waren unter gewachsten Felldecken vor der Nacht verborgen, allein ein Plakat flatterte noch gespannt an Seilen in einem Marmorbogen: "Fanacasecul - eine Entdeckungsreise!"
Darunter hing noch eine Flagge mit der Aufschrift "4 Septims pro Führung. Kinder zahlen den halben Preis."
Die Khajiit schüttelte den Kopf. Darauf hatte sie jetzt am allerwenigsten Lust. Und die Ruine hatte auch schon längst geschlossen. Die Nacht dämmerte herauf, Regen zog heran, und sie würde die nächsten Tage garantiert nicht zu ihrer Hütte kommen.
Abseits der Ruine fanden sich Reste eines Korridors, der nun wie ein Überhang Schutz vor Regen bot. J'Shivrizza ließ sich darunter nieder, seufzte und ließ einen Kreis aus gelben Flammen um sich aufleuchten. Die Illusion mochten nicht vor Kälte schützen, aber zumindest Tiere würde der kleine Zauber abhalten. Hoffte zumindest J'Shivrizza.
Cyrodiil, Kaiserstadt (Marktbezirk)
Melian wusste nicht mehr, wie lange sie tatsächlich gegangen war. Nein, eigentlich war sie nicht gegangen - sie war geschlichen, den ganzen Weg von Bruma aus. Sie wollte jeder Begegnung mit Lebewesen aus dem Weg gehen, welche auch immer das waren. Sie war gerannt und geschlichen, sie wollte endlich fort aus Bruma, fort von der Mutter und dem Bruder, fort aus dem alten Leben, das ohnehin nur üble Erinnerungen in ihr weckte.
Doch endlich sah sie die Kaiserstadt. Hier, dachte sie, würde sie neu anfangen können, hier gab es Neues für sie, hier kannte sie niemand und es gab unzählige Möglichkeiten, die sich ihr boten. Staunend ging sie durch das große Tor und sog alles in sich auf. So viele Mensche, wunderschöne Häuser - und alles ganz anders als in Bruma. Sie war noch nie hier gewesen, nur der Vater hatte öfter davon erzählt.
Sie brauchte hier weder zu schleichen noch zu rennen, denn die Leute ließen sie in Ruhe. Warum auch nicht? Sie war eine Fremde. Und sie genoss es.
Als sie nach einigen Irrwegen schließlich im Marktbezirk stand, traute sie kaum ihren Augen, was es alles für Läden gab. Die paar Einkaufsmöglichkeiten aus Bruma waren nichts im Vergleich zu den vielen Händlern hier. Doch während sie so nachdachte, fiel ihr auf einmal ein, dass sie kein Geld hatte. Kein einziges Stück Gold befand sich in ihrer Tasche. Sie hatte nur, was sie am Leibe trug. Aber das konnte sie doch nicht verkaufen? Sie hatte nichts, was sie hätte entbehren können. Fast hätte sie angefangen zu weinen. Sie hasste sich selbst, wenn sie heulte. Was für ein Zeichen von Schwäche! Nur ruhig bleiben, irgendwas würde ihr schon einfallen, so war es schon immer gewesen.
Sie ging noch eine Weile umher, als sie eine Art dunkleren Tunnel sah, einen Durchgang. Wenn sie hier in Position gehen würde und jemand vorbeikäme... Aber bedeutete das nicht wieder Gefängnis, wenn sie erwischt würde? Allerdings war das auch wieder egal, denn was sollte sie tun, ohne alles, völlig verloren und allein? Sie nahm allen Mut zusammen und kauerte sich hin. Nach kurzer zeit schon kam eine edel gekleidete Dame mittleren Alters auf sie zu. Eine Nord. Melian nahm allen Mut zusammen, streckte die Hand im richtigen Moment aus und - schaffte es! Sie hatte ohne bemerkt zu werden immerhin 15 Stücke Gold geklaut. Zwar wäre etwas mehr zu erwarten gewesen, bei diesem Outfit! Aber es war ein Anfang.
Cyrodiil, Westufer des Rumaresees
J'Shivrizza betrachtete Apfel und Brot. Die Art des Spitzohrs mißfiel ihr. Sie glich der jener Magier, welche ihr zu Beginn in Cyrodiil begegnet waren. Ihrer Lehre und Ausbildung verschrieben, konnten sie meist nur, was sie in irgendwelchen Büchern gelernt hatten. Völlig starr und unflexibel. Lieber verbrannte sich die Khajiit das Fell, als Magie über Buchstaben zu erkunden. Für sie war das, wie in ihrer Heimat über Seen erzählt zu bekommen, statt sie selbst zu durchschreiten.
Ein Gedanke wirbelte Apfel und Brot in die Luft, ließ sie zu ihr hin schweben. "Kann es die Wüste verstehen, indem es das Gemälde einer Schüssel voll Sand betrachtet?" fragte sie. "Oder warum sucht es die Wunder in Wörtern?"
In ihrem Gegenüber spürte sie auch ein Talent für Magie, aber eines, das vom Geist blockiert wurde. Wie eine gefüllte Höllenechse im Ofen, die ob der Hitze zu platzen drohte.
Sie schüttelte ihr Haupt, wodurch Tang- und Algenreste herausfielen. Die Khajiit stand auf, streckte sich und ließ Obst wie Apfel in ihre Pfoten fallen. Durch ihre getönten Brillengläser konnte sie nur ausmachen, daß ein Spitzohr vor ihr stand, und daß es kein Dunmer war.
"J'Shiv ist nicht gestrandet, J'Shiv ist aufgetaucht." fuhr sie fort. "Weiß das Spitzohr nichts über Khajiit? Wir erfrieren nicht so schnell wie die Fellfreien. Und nicht alle haben einen starken Elsweyr-Dialekt. Obschon ich gern damit spiele."
Die Khajiit warf den Umhang hoch hinauf. Er drehte und veränderte sich, wurde zu einem Wasserfall aus Licht, stürzte auf J'Shiv hinunter und legte sich um ihre Schultern, wieder zu einem festen Umhang geworden.
"Illusion oder Trick, welchen Unterschied macht es?" schnurrte sie.
Cyrodiil, Westufer des Rumaresees
"Keine Tricks!" brummte die Khajiit. "Magie ist ein Wunder! Etwas, welches das Leben aller verbessern kann, und nicht eingeschlossen hinter Bibliotheksmauern gehört." ihr Blick fiel auf die Kaiserstadt, das Licht von unzähligen Kerzen und Fackeln leuchtete den Weißgoldturm hinauf, ließ ihn vor den Wolken erstrahlen. "Andererseits fragt sich J'Shiv, ob die Menschen dafür bereit sind."
Sie ließ den Kopf hängen. "Sie hören nicht zu!" maunzte J'Shivrizza. "Sie passen nicht auf! Wollen Feuer löschen, das nicht brennt. Halten sich nicht an Vorgaben. Fassen sie auch Schwerter an der Schneide an, weil der Griff zu langweilig aussieht?"
Nach dem Gang durch den Rumaresee mußte ihre Brille dringend gereinigt werden. Ablagerungen hatten die Gläser weitaus trüber gemacht, als sie eigentlich sein sollten. Und ihre Zauberei sollte sie eigentlich in ein sicheres Heim bringen, nicht aus der Stadt hinausbefördern.
"Tiber Septim Hotel?" fragte sie. "Die reichsten Leute der Stadt, das schlechteste Trinkgeld. Immerhin wird dort niemand J'Shiv wiedererkennen." einen Moment schwieg die Khajiit, zog den Umhang enger um sich. "Hoffentlich. Doch warum tut das Spitzohr dies? Was sind die Absichten?"
Wieder schwieg die Khajiit eine Weile. "Auf J'Shiv ist kein Kopfgeld ausgesetzt!" rief sie. "Zumindest kein großes. Äh?"
Cyrodiil, Westufer des Rumaresees, Kaiserstadt, Tiber-Septim-Hotel
Ja ja, da verteidigte die Katze.. ähm J'Shivrizza, verbesserte Elendil sich in Gedanken, denn immerhin konnte er sich nicht dauernd "Katze" nennen, auch noch ihre wilde Magie. Und nein, weder Menschen noch Elfen würden definitiv bereit sein dafür, das hätte er ihr lautstark versichern können. Wer war schon bereit für mögliche Katastrophen? Allerdings fehlte ihm momentan die Kraft für so einen Disput mit einer sturen Khajiit.
Wie? Ein Kopfgeld? Also doch. Irgendwas musste bei einem ihrer "Tricks" offenbar lausig schief gegangen sein. Was wohl auch der Grund war, dass sie hier gestrandet war. Der Altmer seufzte hörbar. Dann wandte er sich J'Shivrizza zu: "Kopfgeld oder keins. Das interessiert mich nicht. Ich bin Magier, Alchemist und Forscher, kein ordinärer Kopfgeldjäger. Es steckt keine Absicht dahinter, als Euch zu helfen. Warum auch immer oder welcher Wahnsinn mich geritten hat dabei. Wahrscheinlich gab Sheogorath persönlich mir diese Absicht ein", fügte er seufzend hinzu. Damit setzte er sich einfach in Bewegung und marschierte auf die Kaiserstadt zu. Er war müde, hatte Hunger und zweifelte an sich selbst. Warum nur tat er sich das nur an? Wissenschaftliches interesse an einer wilden Magierin vielleicht? Egal. Heute abend wollte er nicht mehr denken. Kurze Zeit später merkte er, wie J'Shivrizza aufschloss und beide legten schweigend den Weg zum Tiber-Septim-Hotel zurück. Offenbar spürte die Khajiit, dass dem Altmer nicht mehr nach Reden zumute war, denn erstaunlicherweise maunzte sie auch nciht rum.
Im Hotel bestellte Elendil mit seiner arrogantesten Stimme ein zweites Zimmer, wbei er beiläufig anmerkte, dass seine Dienerin nun eingetroffen sei. "Wie immer zu spät, aber heute bekommt man ja keine wirklich guten Diener mehr", fügte er noch blasiert hinzu und sofort stimmte die Bedienstete des Hotels ihm eifrig zu und ließ eine Tirade über den Verfall der Sitten und Zeiten und die immer schlechter werdende Dienerschaft los. Was den Vorteil hatte, dass sie die Khajit dabei keines Blickes würdigte. Elendil erhielt den Schlüssel für das zweite Zimmer, orderte noch zwei Abendessen, drückte J'Shivrizza ihren Zimmerschlüssel in die Hand und wünschte knapp eine gute Nacht. Dann stieg er die Treppe hoch, betrat sein Zimmer und ging ans Fenster. Lange starrte der Altmer den - mittlerweile nächtlichen - Himmel an und fragte sich, was die Zukunft ihm nun bringen würde. Vermutlich einen Weltuntergang nach dem anderen, den die Katze freundlichest erklären und entschuldigen würde.
Cyrodiil, Kaiserstadt (Tiber Septim Hotel)
Mit ihren neu "erworbenen" 15 Gold in der Tasche überlegte Melian, wie es weiter gehen sollte. Sie brauchte mehr Geld, das war klar. Aber weitere Diebstähle waren sehr riskant. Ein falsche Handgriff und man würde sie erwischen. Es musste irgendwie anders gehen, unauffälliger. Sie dachte lange nach, bis ein seltenes Lächeln über ihr Gesicht huschte. Wieso war ihr dieser geniale Einfall nicht schon eher gekommen? Dummes Kind, dachte sie, du musst schneller denken...
Es waren viele Stunden vergangen, in denen sie durch die Kaiserstadt gestreift war. Erst war sie in jeden Laden im Marktbezirk gegangen, nur, um ein bißchen zu bummeln. Ihre 15 Goldstücke hatte sie nicht ausgegeben. Etwas gescheites hätte sie sich davon nicht kaufen können und sie war auch nicht gerade ein Ass im Verhandeln. Inzwischen war es dunkel geworden und sie war in jedem Bezirk der Kaiserstadt gewesen. Sogar den Palast hatte sie sich angesehen und die prunkvollen Häuser im Elfengartenbezirk bestaunt. Wie konnte jemand nur so viel Geld haben, um sich ein solches Anwesen zu leisten? Doch jetzt hatte sie keine Zeit mehr. Es war spät geworden. Alle Geschäfte hatten längst geschlossen. Bei ihrem Einkaufsbummel am Nachmittag hatte niemand bemerkt, dass sie bei den "Drei Brüder Handelswaren" einen Dietrich aus einer Kiste hatte mitgehen lassen. Es war viel einfacher gewesen, als jemanden direkt zu bestehlen. Ein kurzes Kundengespräch hatte ihr die nötige Ablenkung verschafft. Mit einem Griff hatte sie den Dietrich geschnappt und war danach noch ein paar Minuten im Laden geblieben, um nicht weiter aufzufallen. Ihr Siegeszug konnte beginnen.
Schlösser knacken war ihr ein Leichtes. Leise wie eine Katze war sie in Schutze der Dunkelheit auf ihr Ziel zugeschlichen. Weit und breit war keine Seele zu sehen. Sie hatte sich wohl überlegt, was sie tat. Würde sie ersteinmal so weit gekommen sein, wie ihr Plan es vorsah, würden sich die Geldsorgen bald in Luft auflösen.
Nur noch einmal tief durchatmen. Es war ihre einzige Chance. Sie durfte sie nicht verbauen. Geschickt und flink begann sie mit dem Dietrich das Schloss zu bearbeiten. Es dauerte länger als gewöhnlich, weil sie extrem vorsichtig vorging. Doch dann war es geschafft. Das Schloss war geknackt.
Beinahe lautlos schlich sie durch die "Goldene Karaffe". Es hatte auf der Hand gelegen. Wäre sie nur im Besitz der richtigen Werkzeuge, würde sie zu schnellem Geld kommen. Tränke brauen konnte jeder. Man brauchte nur einen Streifzug durch den Wald zu unternehmen und hatte schnell die nötigen Zutaten zusammen. Melian ließ einen Destillierkolben, einen Calcinator und eine Retorte in ihren Besitz übergehen. Auch je zwei Tränke zum Wiederherstellen der Lebensenergie und zur Heilung von Krankheiten standen offen herum und schrien fast danach geklaut zu werden. Sogar ein paar Zutaten fand sie in den Regalen und in einer Kiste.
Der Einbruch war so leicht gewesen, dass sie ein glucksendes Lachen von sich gab, als sie den Laden verlassen hatte. Es war schon fast ermüdend gewesen. Weil sie so guter Stimmung war beschloss sie, ihre 15 Goldstücke irgendwie auf den Kopf zu hauen. Nachts gegen 12 war das gar nicht so leicht. Aber sie war hellwach und voller Tatendrang, also zog sie durch die Stadt und sah sich um. Hier und da hatte ein Hotel oder ein Gasthaus geöffnet, aber es war nichts ansprechendes für sie dabei. Enttäuscht trottete sie den Talosplatzbezirk entlang. Doch dann erweckte etwas ihre Aufmerksamtkeit, was sie bei Tage gar nicht richtig wahrgenommen hatte. Edel und prunkvoll leuchtete direkt vor ihr der Eingang zum "Tiber Septim". Es sah teuer aus. Das ist genau das richtige, dachte sie und trat ein.
Cyrodiil, Tiber-Septim-Hotel
Müde saß Malukhat an einem Tisch in der Eingangshalle des Tiber Septim Hotels. Nein, müde ist nicht das richtige Wort, dachte er und strich sich versonnen über den Schnurrbart. Viel mehr war ihm tot langweilig. Er konnte ja nicht mal schlafen! Und normalerweise schlief er wirklich gut. Nur wenn absolut gar nichts zu tun war, das machte ihn fertig. Und dieser N’wah von einem Erzmagier, Hannibal Traven, hatte ihn immer noch nicht zu einer Audienz vorgelassen.
„Das ist nur gut und richtig so“, hatte Joplaya beim Abendessen gesagt. „Wenn du ihm erzählst, Totenbeschwörung sei ein Hobby wie jedes andere auch, dann schmeißt er dich raus. Was willst du dann machen? Mannimarco huldigen?“
Da seine Tochter überzeugte Pazifistin war, hatte er es nicht für erwähnenswert gehalten, dass er darüber bereits nachgedacht hatte. Es gab mehr Pros als Kontras, doch war es letztlich an einer Sache gescheitert: Mit einem Haufen Leichen in einer Höhle verrotten? Bah. Danke, nein. Im Gegensatz zu vielen anderen Nekromantikern hatte er nämlich absolut keine Probleme damit, mit Wesen in Kontakt zu kommen, die nicht tot sind. Und Mannimarco huldigen? Huldigen? Er? Wie hatte Joplaya nur auf so einen Schwachsinn kommen können? Wenn hier jemand jemandem huldigte, dann war das wohl Mannimarco. Dass ihre Namen beide mit einem M begannen, musste ja nicht zwangsweise bedeuten, dass sie in derselben Liga spielten. Malukhat befand sich ganz klar am genau anderen Ende der Nahrungskette. Nur hatten die Leute immer Schwierigkeiten, das zu begreifen. Mannimarco war da wohl kaum eine Ausnahme. Und sich mit den ganzen Totenbeschwörern anzulegen, die unter seiner Fuchtel standen, nur um zu beweisen, dass er spielend mit dem Wurmkopf fertig wurde, das war dem Dunmer wiederum zu anstrengend.
Malukhat schüttelte energisch mit dem Kopf. Ist doch jetzt egal, ich mache das eh nicht, beschlossene Sache. Denn mal davon abgesehen, dass Schädel sich nicht gut als Kopfkissen eignen: Was würde Arwen dazu sagen? Der Erzmagier verzog das Gesicht. Das wäre ihr wohl egal, solange es mit vielen Vorteilen verbunden wäre. War es aber nicht. Ihm die Augen auskratzen oder ihn noch mal die Treppe hier im Hotel runterschmeißen würde sie wohl eher nicht, aber welche Frau will schon gerne hören, dass das Lieblingsspielzeug ihrer Kinder ein abgetrennter Arm sein wird?
Malukhat seufzte, stützte das Kinn schwer auf die Hände und ließ den Blick quer durch den Raum schweifen. Er wollte gerne glauben, dass die Sorge um Arwen ihn vom Schlafen abhielt, aber dem war nicht so. Tatsächlich machte er sich überhaupt keine Sorgen um sie. Nicht mal ansatzweise. Er wollte sie wieder sehen, also musste sie einfach lebend wieder aus der Ruine kommen. Etwas anderes war für Malukhat undenkbar. Einen zusätzlichen Bonus in Form eines überlebenden Aurel würde die Sache perfekt machen. Dann hätte er wenigstens eine anständige Prügelei!
„Kann ich noch etwas für Euch tun?“ Malukhat hatte gar nicht bemerkt, wie die Dame vom Schalter sich neben ihn gestellt hatte. Ihre Stimme klang so müde, so mürrisch, ja – so abgrundtief angekotzt von ihm, dass er nicht anders konnte, als sie anzulächeln.
„Hängt noch ein ’erhabener Erzmagier’ hinten dran, und vielleicht antworte ich Euch“, entgegnete er schlicht und blickte ihr in die Augen, die sich in gespielter Verzweiflung verdrehten.
„Kann ich noch etwas für Euch tun, werter Erzmagier?“ Malukhat wusste genau, er hatte keine Vorstellung davon, welche Bezeichnung sie statt des „Erzmagiers“ am Liebsten an den Satz angehängt hätte.
„Ihr könntet mich in den Speisesaal tragen.“
Die Imperiale sah ihn an, als hätte er ihr soeben ins Gesicht gespuckt. Und, von der Seite betrachtet, hatte er das auch. Ihre Hände ballten sich zu Fäusten, dann drehte sie sich um und marschierte in einem schnellen Trab davon. Malukhat blickte ihr nach. In Anbetracht der Tatsache, dass er von dem Ausflug heute mit seiner Tochter in die Wildnis noch immer die komplette daedrische Rüstung trug, wäre es sicherlich ein lustiger Anblick gewesen. Aber nicht von der Sicht des Getragenen aus.
Malukhat ließ sich zurücksinken, so dass er mit dem Rücken auf der Bank lag, und verschränkte die Hände hinter dem Kopf. Irgendwas musste doch einfach mal los sein. Ich bin in der Kaiserstadt, verdammt noch mal!