Lebenkuchenhaus - Ein Gedichtethread
Heronimus- Maximus
"Zirkus Heronimus- Maximus/ gastiert in unserer schönen Stadt",
titelt der Stadtanzeiger matt/- schwarz
Der Abend ist da/ Vorhang auf,/
Kapelle, einen Tusch!
Husch husch ins Scheinwerferlicht!
Hut gezogen, tief gebeugt:
"Schönen guten Abend verehrtes Publikum, liebe Leut'/
mein Name ist Heronimus"
Heronimus
früher einmal Clown,/ lachender Luftikus
nun muss er chefdirektieren/ im eigenen Zirkus /
die Nase glänzt/ wie in alten Zeiten:/ rot-
doch heut' Abend/ wegen der großen Not.
Über die Sägespäne,/ im Schwarz
sitzt auf samt’n Sitz/
das verehrte Publikum/
und schwitzt/
den schneeweißen Spitz/
und Popcorn im Arm/
fett und satt,
bereit zu fressen/
und zu lachen,/
bittet nur den Witz recht platt zu machen.
Es ist schließlich Samstag.
"Verehrtes Publikum,/ habe leider gleich zu Anfang eine Hiobsbotschaft zu überbringen:
Unser Rhinozerus hat einen dicken Fuß,
ist beim Freilauf in einen Dorn getreten/
-darf ab jetzt bestimmt nimmer frei laufen-
um Entschuldigung wird an dieser Stelle gebeten."
Der Abend ist hin!
Verdrießlich ist die Stimmung,/
das verehrte Publikum klatscht brav./
Man hat gezahlt,/
und sieht nicht was man sehen mag.
Auch wenn man's gar nicht sehen wollt'.
Das Publikum hat vom Rhinozerus im Zirkus nicht gewusst,
aber einig ist's sich:
"Das Rhinozerus hat gefehlt und Schluss.
Es geht schließlich ums Prinzip."
Und dafür ist einem auch ein Rhinozerus lieb.
Auf der Titelseite am nächsten Tag, im Stadtanzeiger, liest Heronimus:
" Bei Heronimus- Maximus gab's kein Rhinozerus.“
Da muss Heronimus laut lachen und denkt:" Die Leut' haben schon Humor, die machen Sachen."
AW: Lebenkuchenhaus - Ein Gedichtethread
Eigentlich les ich recht viel hier im Atelier, nur schreib ich nie meine Meinung zu den jeweiligen Gedichten oder Geschichten auf. Aber jetzt möchte ich mich doch mal als begeisterter Fan deiner Werke outen. Inhaltlich, als auch - und ganz besonders - stilistisch finde ich deine Gedichte allesamt hervorragend, ich hoffe, es folgen so bald wie möglich weitere. :)
Dennoch hätte ich eine Frage im Bezug "Ernst Ehrlich". Wieso der Nachname? Vorname ist verständlich, ernster Sarghersteller, aber Ehrlich? Auch sein Geschäft heißt ja "Ehrliche Särge". Aber im Grunde ist es doch ein absoluter Widerspruch. Ehrlichkeit sehe ich als gute Tugend. Gute Tugenden verbinde ich mit jemandem, der gute Dinge tut, aber Löcher in einen Sarg zu bohren, damit die Leichen schneller verwesen (soll ja sicher für Qualen der Menschen selbst noch im Tode stehen) und die Würmer sich nicht extra durch das Gehölz fressen müssen, empfinde ich nicht als sonderlich gut. Daher wirft es für mich diese Frage auf.
Gruß,
Kadaj
AW: Lebenkuchenhaus - Ein Gedichtethread
Ehrlich hat doch nicht zwangsweise was Gutes an sich. Es kann auch einfach für den Beruf stehen, der ja irgendwo doch verdammt hinter der Menschheit steht, an einer Stelle, die sich nicht viele Leute gern anschauen. ;) Will nur sagen, mit dem Tod ist Schluss, schon ein Sarg ist Verdrängung, der Sargmacher macht sich daraus ein Geschäft und kennt vll die Wahrheit. Vll geht das auch einfach zu weit. :rolleyes:
Das Letzte ist sehr schön.
Wirklich einfach nur SEHR schön. :D
AW: Lebenkuchenhaus - Ein Gedichtethread
Zitat:
Zitat von
Hänsel
Stan, habe immer irgendwie rumexperimentiert, komm aber eigentlich von eher freieren Gedichten. Also genau aus der anderen Richtung.
Bei "Vom alten Mann" habe ich unwahrscheinlich viel Zeit verbraucht und mir Gedanken gemacht um die Moral, und ob ich es wirklich hier veröffentlichen soll. War mir sehr unsicher und bin selber nicht davon überzeugt.
Hätte fast was vergessen: Das mit den /s, hat nichts mit Umbrüchen oder Zäsuren zu tun, die sind praktisch als Pausen gedacht. Mit einem Freund habe ich versucht es zu vertonen, mit Klavier, im Sinne von Brecht und Weill:D .Habe also nur vergessen sie zu entfernen.
Die Weill/Brecht-Idee ist mir sehr sympathisch, du könntest ja auch mal einige MP3s von dir hier reinstellen, würde mich sehr interessieren.
Zitat:
Mein Problem ist dass ich viele Einfälle habe, aber sie nicht zu vollständingen Ideen ausarbeite. Mir fehlt meist der nötige Fleiß. Jetzt habe ich mich mal wieder hingesetzt. Das Ergebnis folgt. Hoffe es gefällt, wie die letzten auch.
Braucht der Autor Passion oder Fleiss?
Dein aktuelles Gedicht gefällt mir vor allem im ersten Teil sehr gut. Im zweiten Abschnitt wird es imo ein bisschen zu direkt, aber als Fehler des Gedichtes würde ich das nicht ankreiden.
Insgesamt finde ich an deinen Texten am besten, dass du einen sehr individuellen Stil hast (oder zumindest einen Dichter kopierst, den ich nicht kenne :D). Ich kenne das von mir selber, les' ich mal einen Band mit Hölderlin-Gedichten, schon sind meine eigenen Zeilen voller Umbrüche, haben einen anderen Ton und sind - wie von Geisterhand! - alkäische Oden. Les ich dann wieder was anderes, verändert sich meine Lyrik neu. Den eigenen Stil finden, ist imo die größte Aufgabe des Schreibenden. Die wahren Genies der Weltliteratur erkennt man immer sofort, an nur einem Satz. Ob das jetzt Kafka, Hölderlin oder vielleicht auch ein Milan Kundera ist. Man erkennt's gleich.
AW: Lebenkuchenhaus - Ein Gedichtethread
Also, als aller erstes will ich mich natürlich für die Rückmeldungen bedanken. Es macht wirklich viel Freude, wenn man postive Antworten bekommt für das was man gerne tut. Vor allem dann,wenn man selbst sich nur sehr schwer einschätzen kann. Ich bin selbst immer sehr unsicher bezüglich der Qualität meiner Arbeiten.
Um Stans Frage zu beantworten: Der Autor braucht sowohl Fleiß als auch Passion. Da ich aber von mir behaupten würde, schon ein leidenschaftlicher Schreiber zu sein, fehlt aus meiner Sicht im Moment nur der Fleiß.
Das war natürlich auch schon umgekehrt. Ich will das Wort Schreibblockade gar nicht laut aussprechen...;)
Das Brecht/Weill- Ding, will sagen die Vertonung meiner Werke ist noch nicht weit fortgeschritten. "Ernst Ehrlich" ist eigentlich das einzige, welches wirklich aufnehmbar wäre. Wobei das auch stark von meinem Pianisten und mir abhängt. Bei jeder Probe spielen wir es doch etwas anders und versuchen es weiter zu perfektionieren, es ist also in einer immerwährenden Entwicklung.
An das Zirkusding haben wir uns auch schon herangewagt, mit Posaune,Trompete und Triangel.:D
Ah,noch was Stan: Da ich selbst sehr wenige Gedichtbände lese, oder wirklich Lieblingsschriftsteller habe( es sind einfach zu viele :D ), meine ich relativ unbeeinflusst zu sein. Was natürlich auch eine Täuschung ist. Irgendwoher muss ja alles kommen.
Aber so offensichtliche Merkmale wie den Gebrauch, ich meine zu wissen griechischer Oden?, nach der Hölderlinlektüre, habe ich bisher noch nicht feststellen können.
Kadaj, ansich hat das Cipo schon so erklärt wie ich es meinte.
Es steht auf der einen Seite nicht besonders viel hinter dem Namen, auf der anderen Seite eine ganze Menge. Je nach dem wie man es lesen will.
Als erstes ist Ernst Ehrlich eine wunderbare Alliteration, die sich in den Kopf frisst- sind ja beides Charakterzüge oder Eigenschaften. Beide grenzen ihn von den anderen Menschen, die ihn nicht besonders leiden können, wo er nicht angesehen ist, ab. Seine außenstehende Postion ist eindeutig. Aus der heraus er handelt, ganz unbeobachtet von der Gesellschaft. Die Löcher sind praktisch seine subtile Macht...vielleicht sogar so etwas wie eine Rache.
Ich weiß nicht, ob das jetzt besonders verständlich war... naja
Danke nochmal
nochmal zu Stan:
im letzten Gedicht kommt der Bruch zustande nachdem sie ihn abgewiesen hat. Das hatte ich jedenfalls so beabsichtigt. Hier ist er verletzt und wird direkt und angreifend... das wollte ich vermitteln, oder meinst du etwas anderes?