Der selbstgewählte weg in die Isolation und wieder raus
Hallo Leute! :)
Ich hab mir schon eine ganze Weile überlegt wie ich am besten zu diesem Thema hinführen kann, und mir ist beim besten Willen keine konkrete Lösung dafür eingefallen. Darum blabbere ich jetzt einfach mal los was ich und Invicible Lily in einem unserer Gespräche besprochen haben. Und ich habe euch eine Geschichte zu erzählen.
Es war einmal ein kleiner Junge, der wuchs wohlbehütet bei seinen Eltern auf und es fehlte ihm an nichts. Er war sehr gesellig und er wollte immer viele Menschen um sich haben. Täglich liefen ihm die Freudenstrahlen über die Augen, wenn seine Eltern Besuch von Bekannten hatten, oder er mit seinen Schulfreunden weggehen konnte, oder sie ihn besuchen kamen. So ging es ein paar Jahre lang. Seine Hobbys und seine Interessen verlagerten sich, irgendwo fühlte er sich angezogen von der Ferne und seine Gedanken schweiften ab nach Japan- Japan das für ihn das Land der unbegrenzten Möglichkeiten zu sein schien, nachdem er einige Spiele auf futuremässigen Konsolen, mit ausländischen Titeln, die ihm bisher nicht mal ein Begriff gewesen waren gespielt hatte.
Nachdem ihm sein Vater seine erste Konsole, den SNES gekauft hatte, verbrachte er viel Zeit damit faziniert zuzugucken wie die Figuren, oder die Helden in dem Spiel sich wie auf sein Zutun bewegten und er mit seinen Handlungen ihre Aktionen gestalten konnte. Am meisten gefiel dem Jungen jedoch die Tatsache das er in eine Welt versetzt wurde in der er Entscheidungen treffen konnte. Entscheidungen von denen das Leben eines Charakteres abhängen würde, und auch wenn seine Eltern seine Gedanken nie sonderlich ernst nahmen, hier kam er sich einfach mächtig vor. Wie jemand der etwas selbst erschafft.
Gleichzeitig erlahmte der Kontakt mit seinen Freunden etwas. Es kam oft vor das er nicht mehr aus dem Haus wollte, und ein paar Mal versetzte er sie sogar, wegen einem Rollenspiel, die Art von von Spiel- die den Jungen einmal gepackt hatte und nie mehr loszulassen gedachte. Die Möglichkeiten die sich ihm hier anboten waren größer als alles andere vorher. Er machte jedoch noch öfters etwas mit seinen Freunden aus, auch wenn sich seine Interessen etwas verlagert hatten.
Ein paar Jahre später, er war wohl schon zwischen 12 und 13. Jahre alt geriet er abermals in den Bann der Ferne Japans. Nachdem er einen Bericht im Fernsehen über japanische Trickfilanimationen gesehen hatte, fühlte er sich angezogen von dem ganzen. Es war unglaublich fazinierend mit anzusehen wie sehr der Trickfilm Markt in Japan florierte, und gleichzeitig bedauerte es der Junge das er wohl als einziger in seinem Bekanntenkreis Interesse an diesen Dingen gefunden hatte. Er fing an dieser Tätigkeit hinterherzujagen...Eines seiner größten Hobbys formte sich, aber er wusste es noch nicht.
Der Junge wuchs heran und lernte den Umgang mit dem PC und dem Internet kennen. Der Kontakt zu seinen Freunden war zum Großteil abgebrochen worden. Sie hielten ihn für einen komischen Typen, der auf japanische Pornos, Kapselmonster und andere Sachen dieses verrückten Landes stehen würde. In der Schule machten sie ihn nieder wo sie nur konnten- es fiel ihm auch aufgrund seines neuen Hobbys immer schwerer die Hobbys der anderen zu akzeptieren, denn sie gaben ihm keine Chance sein eigenes zu erklären.
Von diesem Zeitpunkt an, konnte er sich dieser ungewöhnlichen Anziehungskraft dieses Gerätes nicht mehr entziehen und er verbrachte viel Zeit damit sich in der großen Welt zurecht zu finden, die nur für ihn dazusein schien. Auf seine Art und Weise war er dort wie ein Vogel- hier konnte er frei seine Meinung äußern und er lernte viele nette Menschen kennen. Zur gleichen Zeit aber, ließen die Kontakte im realen Leben nach- Freundschaften brachen ab, und Bekannte kamen nicht mehr so oft zu Besuch. Der Junge ging auch selbst nicht mehr oft weg, und sein Glücksgefühl konnte er zum Großteil nur noch in dieser einen- seiner Welt entfachen.
Einige Jahre später. Der Junge hatte neue Freunde gefunden. Freunde im Internet. Menschen die ihn und seine Ansichten auch wirklich verstanden und ihn nicht wegen seiner Hobbys mit Vorurteilen unter sich begruben. Inzwischen ging er bis auf ein paar Ausnahmen überhaupt nicht mehr aus dem Haus. Er hatte vor kurzem den RPGmaker2000 entdeckt, und war völlig hin und weg, denn sein größter Wunsch mal ein eigenes RPG zu machen konnte hiermit bewerkstelligt werden. Er fand viele Leute die sich ebenfalls mit diesem Programm beschäftigte und rutschte in ihre Community hinein. Es war die erste Gemeinschaft in der sich der Junge seit seinem Kindesalter wohl gefühlt hatte. Er fand dort auch einige seiner besten Freunde.
Noch etwas später, inzwischen war der Junge 17 Jahre alt. Die alte Community war irgendwie zerfallen, etwas was den Jungen sehr geschmerzt hatte. So kam er zu Squarenet- einer Schwesterseite, in der sich viele Leute die seine Hobbys durchaus teilten, engagierten. Er kam Anfang nicht gut mit diesen Leuten klar- fühlte sich wie rausgerissen aus seiner alten Community, hatte wieder das Gefühl in der Schule zu sein und fertig gemacht zu werden. Diesesmal im Internet.
Und es war das schlimmste aller Gefühle für ihn. Denn eine andere Welt konnte sich der Junge nicht vorstellen. Es gab auch private Probleme für ihn- seine Eltern wollten das Internet abmelden und er hatte Stress mit seinen Klassenkameraden, weil sie mit ihm, still wie er in Real war- nicht zurecht kamen. So wurde er eine Art Einzelgänger wieder Willen. Und er bemerkte es nicht einmal, auch nicht wie er die Leute verletzte, wie sie über ihn dachten. Er dachte in dieser Zeit nur an sich.
Ein Jahr später. Es hatte sich viel getan, der Junge begann sich plötzlich wieder zu öffnen. Er hatte die Probleme mit seinen Eltern gelößt und das nahm ihm viel von seiner Unsicherheit im Netz. Er begann zu begreifen das ein Verhältnis mit den Leuten sehr gut sein kann und gleichzeitig auch sehr schlecht. Aber den Grad bestimmt man selber. Und wenn man gemocht werden möchte, muss man zuerst mal andere mögen. Er fing an sich zu öffnen- aus seinen Panzer herauszukriechen und sich für die Hobbys und Interesssen der anderen zu interessieren. Er begann mitzureden und einige Differenzen wurden auf diese Weise geklärt. Auch hatte man plötzlich ein ganz anderes Bild von ihm. Ein Bild das der Junge plötzlich sehr zu schätzen begann. Und er begann Sie- die Community sehr zu mögen. Der Rest liegt noch in den Sternen...
Diese Geschichte ist nicht irgendeine. Sie ist meine Geschichte. So bin ich aufgewachsen, so habe ich gelebt, so lebe inzwischen. Als aufgeschlossener geselliger Mensch, der aber trotzdem die meiste Zeit im Haus verbringt und ich denke das wird sich auch nicht mehr ändern. Auf seine Gewisse Weise distanziert das Internet ja- und es macht es manchmal schwer noch Zeit für seine richtigen Freunde zu finden. Oder finden zu wollen. Ich denke das geht vielen von uns so. Ich habe das Thema ziemlich lange mit Lilly diskutiert. Was meint ihr dazu? :)
Re: Der selbstgewählte weg in die Isolation und wieder raus
Sehr mutig von Dir!!!
Der Text hat mich sehr bewegt, und teilweise finde ich mich darin auch wieder, wenn auch eher aus anderen Perspektiven gesehen, denn ich verbrachte teilweise sehr viel Zeit zu Hause mit mir selber nicht ganz aus freien Stücken, sondern weil ich in der Schule eine Außenseiterrolle bekommen habe.
Lag weniger an meinen Interessen, sondern an der traurigen Tatsache in einer Zeit pubertierend gewesen zu sein, wo H&M noch nicht erfunden war und nur Markenklamotten zählten, die ich mir weder leisten konnte noch wollte (obwohl, letzteres stimmt nicht, ich wollte sie mir leisten, um endlich dazu zu gehören).
In dieser Rolle lebte ich teilweise so sehr, dass - selbst als ich Freunde endlich gefunden hatte - ich schon froh war, im Bus auf den Weg zur Schule niemanden zu treffen, mit dem ich mich unterhalten musste, da ich lieber mein Buch in Ruhe weiter lesen wollte... ich war in der Zeit gerade zu bessesen von Büchern, gerade Wolfgang Hohlbein hatte es mir angetan (hab nicht umsonst 50 Bücher von ihm gelesen!).
Ich wurde 'nebenbei' depressiv und suizidgefähret, selbst die Leute, die sich später interessiert an mir zeigten (durch meine Kirchengemeinde zum Beispiel) wies ich zurück und gab ihnen gar keine Möglichkeit, mich zu mögen - dafür habe ich mich selbst zu sehr gehasst (tue ich heute noch, aus anderen Gründen und ist quasi in professioneller Bearbeitung. Fragen dazu werde ich vorerst nicht beantworten, gomen!).
Erst ab der Oberstufe - als ich durch die Vermischung der Klassen auf neue und unvoreingenommene Leute traf (und als das Problem Markenklamotten sich von allein erledigte ^^), begann ich wieder mich zu öffnen. Wenn man dann auch noch das Glück hat, in der 11. Klasse jemanden zu treffen, der genauso gerne Sailor Moon sieht :D wie man selbst, brechen plötzlich neue Horizonte auf. Immerhin musste ich mein gerade aufkeimendes Interesse an japanischen Zeichentrickserien (das vorher schon latent vorhanden war) nicht verstecken und konnte anfangen, offen dazu zu stehen. Und trotz aller Vorurteile, auf die ich heute noch treffe, fand ich immer mehr Verständnis um mich herum (und wenn schon nicht das, dann wenigstens ein Mindestmaß an Toleranz - selbst bei meiner Mutter, die Pokémon-Fanatisch geworden ist ^^).
Das Problem mit dem Desinteresse an anderer Leute Interessen kenne ich ehrlich gesagt von mir nicht. Im Gegenteil, ich habe mich eine zeitlang über Bekannte von mir beschwert, die sich einfach mit meinem Kinderkram oder meinem Interesse an Videospielen nicht auseinandersetzen konnten, während ich aber locker mit Ihnen über ihre Erzieherausbildung oder ihre Arbeit auf dem Bau reden konnte... aber gleichzeitig predigten sie Toleranz, die sie in solchen Bereichen nicht ausüben konnten. In einem Teil meines Freundeskreises stehe ich an diesem Punkt nach wie vor allein da - umso glücklicher bin ich a) meinen Bruder zu haben, der trotz teilweise anderer Interessen blind zu mir hält (wie auch meine anderen Familienmitglieder, die anfangs mehr Schwierigkeiten mit meinen Interessen hatten) und b) diese Internetgemeinde zu haben. Mir kann niemand mehr auftischen, dass Internetfreunde keine Realfreundschaften darstellen! Außerdem kann man sich im RL ja treffen und ich freue mich heute noch auf jeden Stammtisch!!!
Oh man, ich kann mich noch gut daran erinnern, wie mein Vater im Dezember (nachdem ich immer geglaubt habe, er würde mich für eine Traumtänzerin handeln) ein Bild, dass ich von mir und meinen Geschwistern im Animestil gezeichnet habe, eingescannt und unserer gesamten Familie in Frankreich als Weihnachtskarte geschickt hat. Das ist eine Art, stolz zu zeigen, oder? Dass er stolz auf mich ist - und dass, nachdem er mich eine zeitlang nur fertig gemacht hat, weil ich mit meinem Studium nicht zustande kam!
Und selbst meine Mutter begann irgendwann mir lauter Zeichenbücher zu kaufen, um zu zeigen, dass sie meine Hobbies unterstützt - ihr könnt gar nicht glauben, wie glücklich man dabei wird ^^
Ich bin jedenfalls froh, inzwischen so offen mit meinen Interessen geworden zu sein, dass ich darin bei den richtigen Leuten auch Unterstützung finden kann - auch wenn sie nicht immer alles nachvollziehen können. (Na ja, eine 22jährige Videospielerin ist ja okay... aber dann ist sie gleichzeitig noch Powerpuff Girls Fan UND hört Subway To Sally o_O - nun, ich bin halt, was ich bin ^^).
Zitat:
Original geschrieben von Laguna Loire
Und wenn man gemocht werden möchte, muss man zuerst mal andere mögen.
Grundvorraussetzung dafür ist, dass man sich selbst mag ^^