Wahlen in der Schweiz: Polarisierung der Politik (+ Bundesratswahlen)
Hmmm, natürlich sind die Wahlen in der kleinen Alpenrepublik kaum so wichtig, wie die in Deutschland oder Amerika (Internationale Schwergewichte), doch immerhin handelt es sich bei der Schweiz um einen der traditionell demokratischsten Staaten der Welt. Die schweizer Demokratie unterscheidet sich durch 2 Dinge von der von Deutschland (oder auch Amerika): 1.Sie ist direkt, das letzte Wort bei Gesetzes- und Verfassungsänderungen liegt beim Souverän, ergo: Das Parlament ist nicht alleinige Legislative. 2.Die Exekutive funktioniert als Konkordanz, nicht als Oppositionssystem, das heisst, dass alle grossen Parteien nach ihrer Sitzstärke in der Exekutive vertreten sind (oder sein sollten) um durch konstruktive Kompromisse zu einer Lösung zu kommen. Der erste Punkt wird sich wohl nicht ändern (höchstens, wenn wir doch noch so blöd sind und dem EU-Klub beitreten) doch der zweite ist nach den Ereignissen gestern stark bedroht. Aber alles der Reihe nach:
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So sieht die prozentuale Zusammensetzung des Nationalrates (Grosse Kammer des 2-Kammersystems aus). Gestern haben vor allem 2 Parteien zugelegt: Die bürgerliche Rechtspartei SVP und die Grünen (ähnliche Ausrichtung wie in Deutschland). Die grossen Verlierer sind die sog. Mitteparteien CVP und FDP, die von Fall zu Fall über eine rechts- oder linkstendierende Ausrichtung entscheiden. Diese beiden Parteien sind durch ihre Konsensfähigkeit in der Lage, dass Land durch Kompromisse zu regieren. Wie ich aber Anfangs schon erwähnt habe, sollten die Parteien in der Exekutive nach ihrer Parlamentsstärke (vor allem in der grossen Kammer) Sitze erhalten. Nun ist es jedoch so, dass die SVP als stärkste Partei nur einen Sitz inne hat, und dieser Sitz wurde von den anderen Regierungsparteien mit einem Bundesrat bestückt, der nicht den ultrakonservativen Flügen der ürcher SVP stützt, sondern den gemässigten der berner SVP. Durch diese Wahl und die Ablehnung eines weiteren Sitzes angestachelt hat die SVP-Führung (zur Zeit in zürcherischer Hand) einen energischen Schritt nach vorne gemacht: Man stellt den Populisten Christoph Blocher als Kandidat für einen zweiten Sitz (der der schwächsten Parte, der CVP, abgenommen werden soll) im Bundesrat aus. Sollte dieser nicht gewählt werden, will die Partei auch den Sitz, den sie schon inne hat, räumen und sich komplett in die Oposition zurück ziehen. DIes würde das Ende des Konkordanzsystemes bedeuten, dass in meinen Augen viel innovativer ist, als ein Oppositionssystem.
Wie schon weiter oben erwähnt, haben vor allem die Mitte-Parteien stark Wähler verloren. Aber einen Rechtsrutsch, wie es im Ausland heisst, hat es nicht gegeben. DIe Sozialdemokraten und die Grünen haben ebenfalls zugelegt bzw. ihre Position gefestigt. Es ist also keine Rechtsmehrheit im Parlament vorhanden. Die Sitze sind nun einfach so verteilt, dass die Parteien links- und rechtsaussen die meisten Mandate halten. Dass bedeutet, dass die Regierung, sollte Chr.Blocher tatsächlich gewählt werden, sich so zusammen setzt, dass die SVP und die SP jeweils 2 Sitze im Bundesrat innehaben. Und eine solche Regierung ist schwer konsensfähig. Was für Möglichkeiten es gibt, dass die Schweiz weiterhin eine positive Politentwicklung macht, anstatt dass die Entwicklung stagniert, weiss ich selber nicht. Gestern war kurz die Rede von einem 3.Pol durch die beiden Mitteparteien, aber ob sich diese einigen können ist noch sehr ungewiss. Wie es weiter läuft, sehen wir am 10.12.03, wenn Exekutivwahlen durch das Parlament stattfinden.
Abschliessen möchte ich bemerken, dass das Ergebnis eine ungeheure Tragweite für die Schweiz hat und eine 40 jährige Regierungszusammensetzung sich nun zu 100% ver ändern wird. Soviel aus einer kleinen Alpenrepublik (und dem reichsten Land der Welt...)
Re: Wahlen in der Schweiz: Polarisierung der Politik
Ich habe eigentlich das Gefühl, dass die Tragweite dieses Ergebnis lediglich theoretisch so "ungeheuer" ist. Die Schweiz ist vom politischen System her sehr stabil, weshalb ich nicht erwarte, dass sich in der Praxis gross was verändert.
Zitat:
Original geschrieben von Rübe
[...] eine 40 jährige Regierungszusammensetzung sich nun zu 100% ver ändern wird.
Eine Frage: Wäre es nicht denkbar, dass Blocher zwar nicht in den Bundesrat gewählt wird, sich Samuel Schmid jedoch weigert, zurückzutreten?
Aber eigentlich bin ich (trotz mangelnden Sympathien für diese Partei) dafür, dass die SVP ihren zweiten Sitz bekommt, um eben diese Konkordanz nicht zu gefährden. Schade, dass die SVP für diesen zweiten Sitz mit einer kaum konsens-/kompromissfähigen Person angetreten ist (aber durchaus verständlich, da Herr Schmid die Interessen der Partei nicht besonders engagiert vertritt).
Zitat:
Der erste Punkt wird sich wohl nicht ändern (höchstens, wenn wir doch noch so blöd sind und dem EU-Klub beitreten).
Da verstehe ich dich weniger. Erstens ist es ungemein schwierig, eine Beinahe-Stagnation zu umgehen, wenn jeder Entscheid angefechtet und vor dem Volk ausgetragen werden kann. Meiner Meinung nach hemmt dies den Fortschritt, die Weiterentwicklung und die Flexibilität der Schweiz ungemein.
Zweitens sehe ich die Demokratie durch einen Nicht-EU-Beitritt viel eher gefährdet. Die Entscheide, die die EU dauernd trifft, betreffen die Schweiz immer mehr direkt, wobei die Schweiz dabei ganz einfach gezwungen wird, diese Entscheide zu übernehmen. Und dies widerspricht ganz einfach dem Schweizer Demokratieverständnis (und unserem Interesse), das verlangt, dass wir an Entscheiden, die uns betreffen, mitwirken.
Jetzt bin ich aber ziemlich vom Thema abgekommen.
Fazit: Die Regierung wird harziger, der Bundesrat wird sich in der Mitte finden müssen, praktisch wird sich kaum was verändern.