[ZOOOOOmmxBIES!] [Sidestory] - They call her "Spicy Hands"
They call her "Spicy Hands"
Es hatte harmlos angefangen. Zwei ihrer Kameraden hatten sich krankgemeldet und wurden im Sanitätsbereich der Enoggera Barracks im nordwestlichen Teil von Brisbane behandelt. Sie war dort stationiert, wie der Rest des 6. Battalions der Motorisierten Infantrie, auch "Bluedog" genannt.
Duty First - die Pflicht kommt zuerst.
Das war nicht einfach nur das Motto, das Leitmotiv des Battalions - es war das Leitmotiv von Corporal Yukari Rothrock, von ihren Kameraden auch "liebevoll" "Spicy Hands" genannt. Sie hatte diesen dämlichen Spitznamen weg, seitdem sie bei einer Schießübung mit zwei Browning-Hi Power-Pistolen - in jeder Hand eine, logischerweise - ein Ziel aus knapp 30 Metern beschoss und - jeden - einzelnen - Schuss mindestens in die mittleren vier Ringe der Zielscheibe gesetzt hatte. "Heilige Scheiße, Yuki. Nicht, dass du nur noch so schießen wirst. Da muss man ja Angst haben!", hatte Cameron, einer ihrer Kameraden noch scherzhaft gesagt und sie daraufhin "Spicy Hands" genannt, da er mal irgendwo aufgeschnappt hatte, dass der chinesische Originaltitel des John Woo-Films "Hardboiled" wörtlich übersetzt "Spicy-Handed God of Cops" lautete. Sie mochte weder die Verbindung zu irgendeinem Actionfilm - so gut er angeblich sein sollte - noch gerade eine Verbindung zu einem chinesischen Film. Egal ob er aus Hongkong war oder nicht. Yuki war gebürtige Australierin, aber dennoch stolz auf ihre japanische Herkunft mütterlicher- und britische Herkunft väterlicherseits - und sie mochte einfach nicht in einen Topf geworfen werden mit jeder anderen verdammten asiatischen Nation. Das hatte sie ihr Leben lang verfolgt, dieser scheiß Rassismus, wenn er auch meistens im Scherz gemeint war. Dachte sie zumindest ihr Leben lang.
"Hey Chinabraut!"
"Ey, Miss Hongkong!"
"Na, Glückskeks?"
"Oi, Charly."
"Wie geht's, sweet-and-sour?"
Sie hatte aufgehört zu zählen, wie oft sie diese Begrüßungsfloskeln schon hören musste. Wie oft ihre Abstammung schon assoziiert wurde mit ihrem raschen Aufstieg beim Militär, gemischt mit der Tatsache, dass sie eine Frau bei der regulären Truppe war. Nicht Sanitätsdienst, nicht irgendeine Tippse für irgendeinen Commanding Officer, sodnern reguläre Truppe. Das wollte sie. Das hatte sie immer gewollt. Sie war von ihrem Vater - selbst ehemaliger Militär - daraufhin erzogen worden. Pflichterfüllung. Daddy's little soldiergirl, um es zynisch auszudrücken. Er war so stolz, als sie lebendig erst aus Afghanistan und ein Jahr später genauso lebendig und fast unversehrt aus dem Irak zurückgekommen war. Nun, zumindest äußerlich hatte sie kaum was abbekommen. Einen Streifschuss an der linken Seite ihres Halses, der eine unschöne, circa 6 Zentimeter lange Narbe hinterlassen hatte, und ein kleines Schrappnell, das sich während einer Bombardierung ihres Lagers in ihre rechte Pobacke verirrt hatte (allerdings auch keine bleibenden Schäden hinterließ außer einer kleinen kreisrunden Narbe ebenda), mal ausgenommen. Den Part, wo sie fast von einem ihrer Kameraden vergewaltigt worden wäre (was dieser mit einem gebrochenen Arm, zwei gebrochenen Klöten und einem für immer gebrochenen Ego bezahlte), hatte sie ihren Eltern gegenüber natürlich verschwiegen. Die mussten nicht alles wissen über den Scheiß, den sie sich in den letzten 7 Jahren beim Militär antun musste.
Aber all das hatte sie irgendwie stärker gemacht. Die meisten hätte es wahrscheinlich in den Wahnsinn getrieben, mitanzusehen, wie ein Luftschlag aus himmelsschreiend blöden und fürchterlichen Gründen sein Ziel verfehlte und statt eines "Safe House", in dem man einen prestigeträchtigen Terroristenanführer vermutete, einen Kindergarten den Erdboden gleichmachte. Brenndende Kinder, schreiend, Yukis noch nicht ausgeprägten Mutter- und Beschützerinstinkt weckend, aus dem Hort rennend in welchem sie eben noch Bauklötze aufeinander gestapelt hatten, welche nun in Flammen standen oder über den Boden verteilt dalagen, als kranke Metapher dafür, wie kurzlebig Unschuld in dieser Welt war, und wie sich Yuki mit einer Löschdecke bewaffnet auf das kleine afghanische Mädchen stürzen musste, um die Flammen an ihrem kleinen Körper zu ersticken.
Schwinger rechts, links, über Kopf, Durchstoß von oben. Stirb, Sandsack! Sterbt, Bilder in meinem Kopf!
Wie das Mädchen leblos in ihren Armen lag, die ehemals hellbraune Haut an den meisten Stellen schwarz wie Holzkohle. Aufgewärmt auf gefühlte 5000 Grad. Sie war tot. Es war nicht Yukis Schuld, aber dennoch...
"Hiyaaaaaa!", gellte ihr Kampfschrei durch die Trainingshalle, als sie das hölzerne Kendo-Schwert (Shinai genannt) wiederholt in den Sandsack trieb. Jeder weitere Stoß in oder Hieb gegen den Sandsack wurder von einem "Hya!" begleitet, womit sie um diese Uhrzeit wahrscheinlich die Kameraden oben wecken würde. Die nach hinten zu einem Zopf gebundenen, dunkelbraunen Haare flatterten wild herum wie ein Propeller, jeder weitere Stoß schien intensiver als der vorige. Sie spürte, wie ihre braunen Augen mit Zorn blitzten, so als hätte sie allen Sandsäcken dieser Welt den Jihad erklärt. 1:05 war keine Uhrzeit für Yuki, um zu schlafen. Es war die Zeit, in der all die schrecklichen Dinge vor ihrem geistigen Auge erschienen. Dinge, die sie eigentlich schon längst hätte verdrängen sollen. Obwohl es nur dieses eine Ding war: Das Kind in Kunduz. Verdammte Scheiße, sie hatte einen Raketenwerfer. Sie hätte diesen Scheiß-Jet abschießen können, bevor er... Ach, was machte sie sich eigentlich vor.
"Hya! Ho! Ahhh!" Immer wieder musste der Sandsack das absorbieren, was sie selbst nach hunderten Therapiestunden nicht absorbieren konnte: Dass der Krieg vor nichts und niemanden Halt macht. Dass es Krieg egal ist, wie jung oder alt oder gesund oder gebrechlich du bist. Krieg bestimmt die Regeln. Krieg hasst dich und deinen Feidn gleichermaßen. Und Krieg hört erst für einige Zeit auf, wenn er gewonnen oder verloren ist. Krieg konnte sie mal. Krieg war ein Arschloch. Und sie war hier, um ihm wo auch immer es ging in den Arsch zu treten, koste es, was es...
"Du weißt, wie spät es ist, oder?", sprach es es vom Eingang der Trainingshalle.
Eine männliche, relativ muskolös gebaute Gestalt brach das spärliche Licht, dass vom Korridor draußen in die Halle fiel und den Raum ausreichend beleuchtete, um auf den Sandsack einzuprügeln. Zuerst mit den Silat-Kampftechniken, die sie über ein Spezialprogramm der Army gelernt hatte vor einigen Jahren und die sie immer weiter verfeinerte, danach die Kendo-Übungen, um die Rothrock-Tradition fortzuführen, niemals ohne Schwert in den Kampf zu ziehen (und damit logischerweise auch umgehen zu können). "Any soldier who goes into action without his sword is improperly armed., Yuki.", hatte ihr Vater immer gesagt. Ja, jeder Soldat ohne Schwert ist unzureichend bewaffnet. Danke, Pap.
"Nein, Cameron, sag' - es - mir!", antwortete Yuki und schlug bei jedem Wort wieder auf den Sandsack ein.
"Kurz nach 1, gottverdammt. Wir versuchen oben zu pennen und du gehst auf den Sandsack los, als hätte er deine Mutter beleidigt.", entgegnete Cameron und hatte nach Yukis Meinung sogar recht. Sie ließ ab, verbeugte sich symbolisch vorm Sandsack und ging mit dem Shinai zu ihrem Spind, der am anderen Ende der Halle stand.
"Machste mal Licht an, bitte?", fragte sie und Cameron tat wie geheißen. Auf Knopfdruck des hochgewachsenen, blonden Mannes, der in blauen Boxershorts und grauem Unterhemd in der Tür stand, wurde der Trainingsraum erhellt, mitsamt seiner in die Jahre gekommenen Trainingsgeräte (von der Flachbank inklusive dazugehörigen Gewichten über ein Regal voller Hanteln in verschiedensten Gewichtsklassen bis hin zum Ruder-Ergometer war alles vertreten, was das trainierfreudige Herz begehrte), innerhalb eines Raums mit kahlen, hellblau gestrichenen Wänden, die an der Nordseite (von der Tür aus wenn man reinkam rechts) durch ein halbes Dutzend Fenster abgelöst wurden. Yukis Trainingsschuhe machten quietschende Geräusche auf dem hellgrauen PVC-Boden, als sie sich zu den Schließfächern begab. Nummer 19 von 50 war ihres. Sie wusste nicht genau, warum, aber 19 war eine Zahl, die sie ihr Leben lang schon verfolgte.
Geboren wurde sie am 1.9.1981.
Die Quersumme von 1981 ist 19.
Sie hatte bis heute insgesamt 19 Menschen im Kampf getötet.
Mit 19 verlor sie ihren kleinen Bruder Koyomi an Bauchspeicheldrüsenkrebs.
Das geschah am 19.9.2000.
Das erste Mal, wo sie einen Kameraden in Afghanistan sterben sah, war am 19ten Tage ihres Einsatzes ebenda.
19. Vielleicht war sie zu sehr von dieser Zahl in Beschlag genommen - oder gar besessen. Alles Zufälle, nichts weiter. Sie öffnete die Aluminiumtür, stellte das Shinai behutsam neben den Baseballschläger, den Tennisschläger und die zwei Federballschläger, die sie im unteren Teil des Spinds aufbewahrte, und verschloss die Tür mit einem dicken Vorhängeschloss, das sie imemrhin 200A$ gekostet hatte. Bis jetzt wurde ihr noch nichts gestohlen. Sie traute ihren Kameraden, aber man wusste ja nie...
Verschwitzt trottete sie in Richtung der Tür, wo Cameron immer noch auf sie wartete.
"Ich werde gleich kurz duschen und direkt danach versuche ich nochmal zu pennen.", sagte sie im Gehen.
"Gegen Duschen habe ich nichts einzuwenden.", entgegnete Cameron, nicht ohne einer gewissen Zweideutigkeit, die Yuki nicht verborgen blieb. "Aber im Ernst: Trainier zur Abwechslung doch mal zu Zeiten wo niemand schläft. Mir gehen langsam die Argumente aus, warum die Jungs nicht angepisst sein sollen von der Art und Weise, wie du das angehst."
"Ich weiß, Cameron. Ich weiß.", antwortete Yuki, "Es ist nur... ich habe diese scheiß Träume und dann..."
"Ich verstehe.", unterbrach sie Cameron. Er war bei ihr gewesen, als sich dieses Bild für immer in ihr Gedächnis brannte. "Und du hast echt super Fortschritte gemacht seitdem du aus der Therapie wieder draußen bist. Aber...".
Sie blieben vor Yukis Zimmertür stehen. Als einzige Frau im 2. Zug der Kompanie D hatte sie ihr eigenes Einzelzimmer, da auch beim australischen Militär Frauen und Männer getrennt voneinander untergebracht werden mussten. Es war ihr recht, denn diese Zeit (die Zeit, wo sie gerade frisch von ihrem Freund getrennt war und unter anderem Cameron und sie sich öfter... getroffen hatten) hatte sie hinter sich gelassen. Ihr Traummann war bestimmt irgendwo da draußen, aber definitiv war er momentan nicht hier und stand auch nicht vor ihr. Cameron war ein netter, gutaussehender Kerl, aber er war zu sehr ein "Planer" in Yukis Augen. Er war ein Mann der Sorte "Wenn wir ein Jahr zusammen sind, ziehen wir zusammen, dann nach einem Jahr mache ich dir den Antrag, ein Jahr später heiraten wir, und dann können wir übers Kidner kriegen nachdenken!". Sie wollte das nicht, sie war zu sprunghaft und spontan für diese Art von Leben. Umso besser war er natürlich damals in der Kiste gewesen, aber das war mittlerweile zwei Jahre her. Jetzt war er mit einer zusammen. Seit einem Jahr. Und sie würden demnächst zusammenziehen.
"Aber du musst einfach mit diesen Touren mitten in der Nacht aufhören, sorry. Spät abends, so gegen 22 Uhr - kein Ding. Aber nicht nochmal mitten in der Nacht, okay?", führte er nach einigen Sekunden des Schweigens den Satz zuende. Yuki nickte nur stumm und verschwand daraufhin in ihre Stube. Während sie die Tür schloss, hauchte sie Cameron ein kurzes knappes "Nacht." hinterher, worauf er nur mit einem Winken antwortete bevor er langsam zurück zu seiner Stube schlurfte.
Yuki entledigte sich der klatschnassen Klamotten und musterte sich derweil kurz im Spiegel. Sie hatte sich vorhin aus Versehen das Shinai ins Gesicht geschlagen, als Cameron sie mit seinem plötzlichen Auftreten erschreckt hatte. Im kantigen, asiatisch angehauchten Gesicht war allerdings nichts zu sehen, was irgendwie auf einen blauen Fleck hindeuten könnte.
Was sie im Spiegel sah, konnte man im Allgemeinen als durchaus attraktiv betrachten. Ihr Körperbau brachte sowohl das Britische als auch das Japanische an ihr zum Ausdruck: Das Gesicht, die eng zulaufenden Augen, der schmale Mund mit seinen ebenso schmalen Lippen und die allgemein recht schmale Statur gaben ihr einen exotischen Touch, während die üppige C-Cup-Oberweite, der relativ straffe Hintern und die doch recht überdurchschnittliche Größe von knapp 1,71 Meter definitiv aus ihren britischen Genen hervorgekommen waren. Sie mochte sich selbst, mochte ihren Körper, war zufrieden damit, dass sie Muskeln hatte, aber trotzdem nicht drahtig aussah wie Madonna oder ein durchschnittlicher irischer Rugbyspieler. Sie konnte wahrscheinlich in eine Kneipe reinrennen, eine Prügelei mit fünf Kerlen anfangen und - wahrscheinlich nciht ohne einzustecken - als Siegerin hervorgehen. Oft wurde sie bei solchen Kneipenprügeleien von ihren Leuten vorgeschickt, wenn mal wieder militante Pazifisten sich darüber mockierten, dass Uniformierte in ihrer Stammkneipe waren, welche es mit Gewalt rauszuschmeißen galt. "Sie sieht aus wie ein Model, aber prügelt sich wie ein Mann!", hatte Carpenter, ein weiterer Kamerad von Yuki, mal gesagt. Ob es ihr gefiel? Nun, auf einer Stufe mit ihnen zu stehen war cool - als männlich hingestellt zu werden hingegen war eine andere Geschichte.
Nach einer recht kurzen Dusche begab sie sich in ihr Bett, deckte sich zu und hoffte darauf, dass die Bilder vor ihrem geistigen Auge sie zumindest für die nächsten fünf Stunden in Ruhe lassen würden, bevor sie wieder aufstehen müsste.
Es war der 1. Juli, und in ein paar Stunden würde in Brisbane die Welt untergehen.