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welt
13.08.2007, 20:18
Auf Knopfdruck

Es ist nicht einfach, was ich tue. Es stellt Ansprüche an mich, an meine Umwelt, an meinen Geist, welcher sich mit dem Gedanken abfinden muss, der wie ein Dämon in meinem Kopf heult. Immer, wenn ich kurz davor bin, den letzten Schritt zu tun, plagen mich Zweifel. Ich habe mich damit abgefunden, weiß inzwischen, dass das normal ist. Eine Berufskrankheit vielleicht; zumindest in meiner Branche hört man oft davon. Niemandem fällt es leicht, denn es ist unmoralisch, was ich tue. Einige können die Gedanken nur leichter in den Hintergrund stellen als andere. Ich gehöre nicht zu denen.

Ich saß hinter einer Mauer, es war dunkel, hatte mein Arbeitsgerät fest in der Hand. Ich umklammerte es mit meinen schweißnassen Fingern, streichelte wieder und wieder über seine Oberfläche, als wollte es ich es besänftigen. Ich wusste, dass es mir gehorchen würde, das hatte es immer getan, doch das Ritual konnte ich niemals aufgeben.
Ich hörte Stimmen hinter der Mauer, wusste, dass es in wenigen Augenblicken soweit sein würde. Die Zeit war gekommen, ich musste handeln. Das ist es, wofür ich bezahlt wurde. Ich kannte die Person, auf die man mich angesetzt hatte, wie jeder in diesem Land. Sie war die Wochen zuvor auf allen Titelseiten gewesen, konnte keinen Schritt vor die Tür tun, ohne verfolgt zu werden. In jener Nacht jedoch, in der ich wach, verschwitzt hinter einer Mauer hockte, darauf wartete, dass das Schicksal mir einen günstigen Moment zur Verfügung stellen würde, da war mein Ziel allein. Ich wusste das, mein Auftraggeber wusste das, sonst niemand. Das war der Grund, warum er mich zu dem Ort schickte, an dem ich wartete. Weil außer mir, meinem Ziel, seiner Begleitung niemand dort sein würde.
Eine Autotür knallte, die Stimmen wurden deutlicher. Das Geräusch einer Handbremse, die angezogen wurde. Dann Stimmen, zwei. Ich wagte einen vorsichtigen Blick über die Mauer, das Ziel war noch über 20 Meter von meiner Position entfernt, ich konnte es gefahrlos aus dem Dunkel beobachten. Zwei Personen. Mein Ziel sowie eine Begleitperson. Ein Mann, zwanzig Jahre alt, geschätzt, dunkle Haare. Er und das Ziel hielten Händchen, verhielten sich wie frisch verliebt. Das war gut, sehr gut sogar. Mein Auftraggeber hatte gesagt, dass das Ziel eventuell in Begleitung eines Mannes, dessen Beschreibung sehr genau auf den passte, der bei ihm war, erschiene. Er hoffte es sogar. Mein Honorar war in solchen Situationen variabel, aber meinem Auftraggeber war das recht. Er hatte kein Problem damit.
Die Stimmen kamen näher. Ich justierte noch einmal mein Arbeitsgerät, sah testweise einmal hindurch. Die Sicht war klar. Ich hob es nur ein kleines Stück über die Mauer um einen Blick auf mein Ziel zu erhaschen. Ich war unsichtbar. Ich musste nur noch auf einen guten Augenblick warten. Es konnte Stunden dauern, diese Erfahrung hatte ich schon oft gemacht. Es gab nur eine Chance. Wenn das erste Mal kein Treffer ist, dann bin ich entdeckt, es ist vorbei. Nur eine Chance. Aber ich brauche auch nur eine, darum hatte mein Auftraggeber auch mir den Job gegeben. Mein Ziel und die Begleitperson küssten sich, während der Mann mein Ziel auf die Motorhaube des Autos hob. Perfekt. Er griff dem Ziel unter den Rock, zog ihm das Höschen aus, warf es auf den Boden. Ich fragte mich, wieso Personen, die auf Titelblättern von Zeitungen abgebildet werden, solche Dinge in der Öffentlichkeit tun. Aber immerhin erleichtert so etwas meine Arbeit enorm, also beschwere ich mich nicht darüber. Ich tat es auch in jener Nacht nicht. Ich wartete geduldig, einen guten Moment zu erhaschen. Dann, als der Mann meinem Ziel schließlich den Träger des Tops über die Schulter streifte, eine Brust entblößte, einen BH trug mein Ziel nicht, sah ich den perfekten Augenblick vor mir, drückte ab.

Ein heller Blitz. Der Mann und das Ziel drehten sich um, wussten sofort, was passiert war. Es musste alles sehr schnell gehen. Zeit, mein Arbeitsgerät wieder ordentlich zu verpacken, blieb keine. Die Ziele können, nachdem man sie in solchen Situationen erwischt hatte, sehr ungehalten werden, das wusste ich. Ich warf mein es in einen zuvor bereitgestellten Rucksack, schnallte ihn mir um, sprintete zu meinem Motorrad und verschwand in die Nacht noch bevor mein Ziel das Höschen wieder angezogen hatte.
Meine Anspannung, Nervosität, wich einer Euphorie. Ich liebe meinen Beruf, auch wenn ich vor jedem Einsatz nervös bin. Ich liebe den Nervenkitzel, die Momente, in denen das Adrenalin durch meine Adern schießt während ich in der Absicht mit meinem Motorrad durch den dichten Nachtverkehr rase, mein neustes Ergebnis an den Meistbietenden zu verhökern.

Ich bin Fotograf. Und zwar ein verdammt guter.

flow
13.08.2007, 20:40
Sehr schön geschrieben.
Ich liebe die Geschichten, die diese Wendungen in den Gedanken
des Lesern innerhalb eines Absatzes hervorrufen.

welt
13.08.2007, 22:44
danke fürs lesen.

ich war mir beim schreiben nicht sicher, wie weit ich die hinweise auf die wende einstreuen sollte. einerseits will ich den leser am anfang auf die falsche fährte locken aber andererseits soll beim zweiten lesen wenn man schon weiss wie es endet auch noch allen aufeinander passen. wenn die wende bei dir gewirkt hat freuts mich.

Mio-Raem
13.08.2007, 22:50
Mir gefällt's. Die Wende selbst hat mich sehr überrascht, der Text als solcher ist schön klug, aber bodenständig geschrieben. Wüsste ich nicht, dass dies eine Kurzgeschichte ist, würde ich glatt sagen, du sollst weiterschreiben.

faucon
14.08.2007, 13:56
Sehr interessant :A
Bin volle Kanne drauf reingefallen ;)