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Archiv verlassen und diese Seite im Standarddesign anzeigen : Katharsis



Topp
09.08.2007, 12:55
Ja, dies ist eine kurze Geschichte, die sich mehr auf einer Idee gründet als auf einer Aussage, wie es vermutlich sein sollte. Vielleicht kann man ja trotzdem was damit anfangen:

Katharsis

Der alte Mann sah mit seinen fettigen, in Strähnen den Hals entlangfallenden Haaren schon etwas mitgenommen aus und der Jüngling war sich nicht sicher, ob der Mann überhaupt wusste, wovon er gerade sprach. Er klang ja sehr enthusiastisch und zielstrebig, als die Worte aus seinem Mund schäumten, aber - ehrlich gesagt - hielt der Jüngling den Greis für einen betrunkenen Scharlatan.
„Nun, weißt du, wie Dedaan damals gestorben ist, Junge?“, stieg es kratzend aus der alkoholverkrusteten Kehle.
„Nein.“
„Nun, das ist ja immerhin eine interessante Frage. Wie sollte jemand umkommen, den man so sehr fürchtete, dass sich jeder Mann selbst das Leben nahm, wofern er den Tyrannen erblickte?“
„Ich weiß nicht, denke ich.“
„Ich will es dir sagen! Dedaan war ein so grausamer Mann, dass niemand mit ihm sprach, ja, ihm nicht mal beiläufig begegnen wollte. Er brauchte seine Waffe gar nicht mehr zu verwenden, denn wer immer ihn sah, tötete sich immerhin auf der Stelle selbst, statt zu riskieren, Dedaan könnte sich ihm zuwenden.“
„Ich denke, das hast du bereits gesagt, Alter. Wodurch nun ist Dedaan denn gestorben?“
„Nun, die Masern haben ihn getötet.“
Dem Jüngling schlug eine Barriere aus Alkoholgestank entgegen, als der Alte den Mund nach den letzten Worten nicht mehr schloss. Erwartungsvolle Blicke schlugen sich ihren Weg durch den Geruch und suchten aufgeregt nach einer Reaktion in den Augen des Jünglings. Dieser brauchte allerdings eine Weile, um das Gesagte sacken zu lassen, ohne dabei allzu viel Alkohol mitzunehmen.
„Wie bitte? Dedaan Mortis ist an den Masern gestorben? Wie kann das passieren? Niemand stirbt heutzutage an den Masern!“
„Nun, ich habe ja gesagt, jeder tötete sich immerhin selbst, der diesen Hünen nur kommen sah. Und so war niemand mehr in seiner Nähe, der ihm Penizillin geben konnte, und Dedaan wusste nicht, wie die Flasche aussieht, in der es sich befindet. Und so hat ihn, obgleich jegliches Wasser und jegliches Brot, in dessen Nähe er kam, ihm gehörte, und obschon kein Wesen es wagte, sich ihm nur zu nähern, ja gar in seiner Gegenwart am Leben zu sein, das Fehlen aller anderen ihn getötet.“
„Eine tolle Sage, Alter. Ich denke, du hast nun seit einer halben Stunde auf mich eingequasselt, nur damit es damit endet, dass dieses so mächtige Monstrum an einer Kinderkrankheit gestorben ist?“
„Nun, das ist, was die Geschichte erzählen will, immerhin.“
„Ah, und was soll mir die Geschichte sagen, Alter? Nimm immer Rücksicht auf andere Menschen, denn alleine kannst du nicht überleben? Danke, das hast mir meine Mutter auch schon oft genug gesagt, denke ich, nur hat sie damals Parabeln mit kleinen Hunden verwendet!“
Der Alte lehnte sich grimmig vor und stierte den spröden Holztisch an.
„Du willst eine Aussage in der Geschichte, Junge?“ Er klang regelrecht enttäuscht.
„Nun, vielleicht: Bevor du beginnst, die Weltherrschaft an dich zu reißen, frage erst jemanden, welche Farbe die Penizillinflasche hat. Und wenn du sicher gehen willst, dann frage noch jemanden, wie man aus Schlamm Wasser destilliert.“
Der Junge schwieg.

„He, dies ist doch eine Apotheke, denke ich, oder?“, fragte der Jüngling, als er in den schmalen Holzrahmen trat.
„Hm?“
„...ob dies hier eine Apotheke ist.“
„Ja, sicher.“
„Nun, in welcher der Flaschen ist üblicherweise Penizillin?“
„Sie wollen Penizillin?“
„Nein, ich will nur wissen, wie die Flasche aussieht!“
„Nun, hierzulande ist sie meist aus rotem Glas.“
„Gut, und nun... oh, warte, verstehst du was vom Des...“
Der Junge unterbrach sich und schüttelte, während er ein Messer aus seiner Tasche zog, über sich selbst den Kopf. Das war albern.
„Gut, und nun besorgst du mir einen Revolver, klar?“

welt1
09.08.2007, 18:04
die geschichte gefällt mir so vom grundsatz ganz gut. die idee dahinter is nett und stilistisch kann ich auch keine grösseren makel finden
allerdings sitz ich grad hier nachdem ich sie gelesen hab und frage mich "und nu?" irgendwie sagt sie mir nicht wirklich was, mir fehlt die pointe. dass der junge sich von der geschichte des alten doch hat beeindrucken lassen? oder dass er quasi der neue tyrann wird weil er am ende doch findet, dass es unsinn ist nach der flasche zu fragen?

ich find halt, dass die geschichte recht bedeutungsschwanger anfängt mir ner sage und coolen beschreibungen wie "Der alte Mann sah mit seinen fettigen, in Strähnen den Hals entlangfallenden Haaren schon etwas mitgenommen aus" oder "Erwartungsvolle Blicke schlugen sich ihren Weg durch den Geruch" und einem so lust auf ne dicke auflösung mit krachbummpointe am ende macht und einen dann im regen stehen lässt. die titelgebende katharsis fehlt mir irgendwie

die idee is trotzdem nett

Hänsel
09.08.2007, 18:46
Also wirklich, mehr als ein "naja" fällt mir da nicht ein.
Die titelgebende Katharsis ist nicht zu finden, dafür stilistische Schnitzer und gebrechliche Neufindungen in der Sprache. Du hast Gespür für Atmosphäre, das habe ich nun mitbekommen, aber Sätze wie "...stieg es kratzend aus der alkoholverkrusteten Kehle." sind nicht gerade das gelbe vom Ei und lassen mich eher Schmunzeln als kalte Schauer über den Rücken jagen.
Die Sage ist lächerlich, nicht mal für so etwas fabulöses wie eine Sage reicht da Inhalt und Umsetzung.
Da kann man bedeutend mehr draus machen.

Broken Chords Can Sing A Little
09.08.2007, 19:04
Also ich fand's sehr gut. Die Mischung aus einer furchteinflößenden Geschichte, die mit etwas Witz gepaart ist (weswegen ich den von Hänsel angesprochenen Satz mit der Kehle auch als einen der besten erachte) kommt gut an, zu kurz ist das Ganze vielleicht. Auch würde ich noch an der Pointe arbeiten, ich stelle mir eher vor, dass der Junge schon lange so etwas wie der alte Dedaan ist, wovon der Alki bloß noch nichts weiß. Ein unglücklicher Zufall also, aber das wäre dann eher meine Version des Endes, also lass es am besten so. ;)

Ansonsten kann ich nicht wirklich irgendwelche stilistischen Fehler oder gar zu extreme Neufindungen entdecken. Von meiner Seite gibt's auch für den Stil 'nen Pluspunkt.

... und seit wann bittesehr müssen Titel oberflächig was mit dem Inhalt zu tun haben?

Kopp
09.08.2007, 20:17
ich find halt, dass die geschichte recht bedeutungsschwanger anfängt mir ner sage und coolen beschreibungen wie "Der alte Mann sah mit seinen fettigen, in Strähnen den Hals entlangfallenden Haaren schon etwas mitgenommen aus" oder "Erwartungsvolle Blicke schlugen sich ihren Weg durch den Geruch" und einem so lust auf ne dicke auflösung mit krachbummpointe am ende macht und einen dann im regen stehen lässt. die titelgebende katharsis fehlt mir irgendwie

die idee is trotzdem nett

Ich glaube, dass genau DAS die Sache ist, die ich daran so liebe.
Und bedeutet alleine das Wort Katharsis im Titel denn unbedingt, dass dort die Katharsis als übelst genial geplottet erscheint? Ich glaube schon alleine, dass der Titel so deutlich darauf hinweist, macht es leicht möglich, dass der SINN der Geschichte allein in der Erscheinung der Katharsis liegt.

Kopp

Topp
09.08.2007, 20:24
Danke für die Reaktion.

An Hänsel:
Ja, stimmt, an einigen Stellen war die Sprache vielleicht etwas gestelzt, da magst du Recht haben.
Blöderweise war jetzt die Nummer mit der alkoholverkrusteten Kehle aber eigentlich gezielt gesetzt. Die Formulierung sticht ziemlich hervor, und sie stellt eben nochmal heraus, dass die Worte des alten erst durch jenen Filter müssen - die Alkoholkruste in seinem Hals.
Dass man über die Formulierung stolpert ist eigentlich gar nicht SO ungewollt - schade nur, dass sie bloß negativ aufstößt.

Hehe, und ja, die Sache mit der Katharsis ist natürlich ein bisschen ironisch; denn die Läuterung, die der Jüngling letztlich erfährt, ist natürlich von einer anderen Natur als die, die der übliche Literat erzielen möchte - sofern man von einer Läuterung sprechen will.
Wahrscheinlich hast du Recht, die "Sage" war in der Tat ein bisschen lieblos, aber da sie, wenn sie auch einen recht großen Teil der Geschichte einnimmt, eher funktionellen Charakter besitzt, halte ich das nicht für so großartig. Letztlich ist sie ja bloß eine Kneipengeschichte, von der der Alte nicht mal genau weiß, was sie zu bedeuten hat, und der Leser erfährt auch nur oberflächlich, worum es überhaupt geht - zumal sie alles andere als spektakulär endet.

An Welt:
Ja, natürlich ist die Sache weder abgeschlossen noch inhaltsschwer. Aber muss denn unbedingt erzählt werden, was der Junge eigentlich vorhat?
Eigentlich ist es gerade die Pointe, auf die die Geschichte aufgebaut ist; die Geschichte endet eben - trotz der Fahrt, die sie gegen Ende endlich erhält - ernüchternd unspektakulär...

Ah, aber ich halte mein Maul... ich will ja eigentlich gar nicht über meinen eigenen Kram diskutieren. Ich sollte besser zuhören.
Verzeiht!

welt1
10.08.2007, 10:17
An Welt:
Ja, natürlich ist die Sache weder abgeschlossen noch inhaltsschwer. Aber muss denn unbedingt erzählt werden, was der Junge eigentlich vorhat?
Eigentlich ist es gerade die Pointe, auf die die Geschichte aufgebaut ist; die Geschichte endet eben - trotz der Fahrt, die sie gegen Ende endlich erhält - ernüchternd unspektakulär...

nein, das muss natürlich nich erzählt werdne! ich persönlich kam mir nur etwas verlassen vor aber wenn es so geplant war wie du sagst udn das unspektakuläre ende absicht is, dann ist dir die geschichte gelungen denn genau das war auch mein eindruck. nur hätte ichs besser gefunden wenn ein wenig mehr krachbumm am ende gewesen wäre, irgendwas was den leser dazu bringt sich auch in ein paar tagen noch an die geschichte zu erinnern und zu sagen "ich hab das was gelesen, wo ..."

Topp
10.08.2007, 13:49
nein, das muss natürlich nich erzählt werdne! ich persönlich kam mir nur etwas verlassen vor aber wenn es so geplant war wie du sagst udn das unspektakuläre ende absicht is, dann ist dir die geschichte gelungen denn genau das war auch mein eindruck. nur hätte ichs besser gefunden wenn ein wenig mehr krachbumm am ende gewesen wäre, irgendwas was den leser dazu bringt sich auch in ein paar tagen noch an die geschichte zu erinnern und zu sagen "ich hab das was gelesen, wo ..."

Haha, ja, magst Recht haben. Möglicherweise ist mein Geschmack ein wenig eigen geworden, weil ich - siehe auch meine Signatur - in den letzten beiden Jahren beinahe ausschließlich Terry Pratchett gelesen habe, und auch wenn seine neueren Werke ein bisschen epischer (ich weiß, bei Romanen SEHR witzig - aber du weißt sicher, was ich meine) ausfallen, sind diese ernüchternden Konfliktlösungen bei ihm ziemlich typisch. Naja, seitdem bin ich ziemlicher Fan, wenn allzu viel Fahrt einfacher gebremst wird, als man erwartet; das ist meiner Meinung nach auch eine Form von "Krachbummpointen" (wundervolles Wort):
Wenn eine Krachbummpointe "erwartet" wird, die dann auf übertrieben dämliche Art ausbleibt.
Aber ich bin natürlich nicht Terry Pratchett noch irgendein anderer verdienender Autor; dass mir das nicht so gut gelingt, wie ich es gerne hätte, kann sehr gut sein - daher bin ich dankbar für die Resonsanz, die ich erhalte. Früher oder später bekomme ich vielleicht ja sogar den Kniff raus.