La Cipolla
11.03.2007, 09:01
Folgender Text ist jetzt von meiner Seite aus komplett überarbeitet und bisher wäre ich über Kritik am Stil sehr glücklich, vor allem, was Satzbau und Wortwahl angeht, inhaltlich kann man noch nicht viel dazu sagen. Postet einfach alles, was euch auffällt, ich will eine Seite aus übungstechnischen Gründen mal wirklich aller Fehler und Seltsamkeiten berauben.
Danke im Voraus. ;)
Die Flasche rutschte aus seiner Hand. Fluchend trat der Junge dagegen, hob das gläserne Gefäß dann aber schnell wieder auf, um es in seinen Armen zu wiegen, als sei es ein Neugeborenes, das soeben ein wenig hochprozentiges Blut verloren hatte.
„Sorry, mein Freund!“, rief er laut, und ein Auto wich laut hupend seinem torkelnden Körper aus. Er bemerkte, dass er auf der Straße stand und verwünschte den Asphalt dafür, ebenso wie den Regen. Fluchen war sehr beruhigend, aber in dem Moment, in dem der junge Mann realisierte, dass sein Bier alle war, reichte diese Strategie nicht länger aus. Er begann damit, wild um sich zu schlagen. Die imaginären Feinde wichen seinen Angriffen behände aus, was ihn nur noch wilder machte. Bald wurde der Verkehr dichter und wies der Gestalt so unweigerlich den Weg zum Bürgersteig, wo er erst einmal tief durchatmete. Ein kurzer Moment der Traurigkeit wollte den Besoffenen übermannen, aber er ließ es nicht zu und schaute sich stattdessen nach einer neuen Quelle um. Gleich der typischen Fata Morgana, mitten in der Wüste, sah sein verschwommener Blick eine Nebenstraße, welche zwischen den Häuserschluchten verschwand, und an ihrem Ende prangte das erfrischende Wasserbecken im Form einer Bar. Erleichtert betrat er das Haus seiner schlaflosen Nächte und schüttelte den nassen Haarschopf. Es war spät, sehr spät, stellte er fest, denn er war der einzige. Die junge Frau hinter dem Tresen, er war im Moment nicht imstande, sie detaillierter als mit „Frau hinter dem Tresen“ zu beschreiben, blickte ihn ein wenig genervt und müde an. Was für ein warmer Empfang. Ihre Missmutigkeit ignorierend, schleppte er sich auf einen Barhocker und ließ den Oberkörper auf dem Kneipentisch niedersinken.
„Einen Whiskey!“, bestellte sein erhobener linker Zeigefinger, und ihre Augen verleiernd nahm die Frau eine entsprechende Flasche aus dem Regal hinter sich.
„Ich hoffe, du hast Geld dabei.“, meinte sie nur ausdruckslos, „Wenn du uns schon nach Ladenschluss einen Besuch abstattest.“
Murrend knallte er ihr ein paar Euro auf den Tresen und murmelte noch einige unverständliche Worte, bevor er das Gesicht minutenlang in seinem Glas versenkte. Die Barfrau schüttelte den Kopf. Für einen Säufer trug er recht anständige Klamotten, und wäre der junge Mann nicht durchnässt wie ein aufgeweichter Hund gewesen, hätte sie ihm glatt eine gewisse Würde zugesprochen. So war er allerdings nur ein Säufer.
„Hey! Jungchen!“, erklang plötzlich eine Stimme aus einer dunklen Ecke, wie man sie in jeder Lokalität dieser Bauart finden konnte, und der Betrunkene versuchte krampfhaft zu erkennen, wer ihn angesprochen hatte.
„Komm her! Lass den alten Mann eine Geschichte erzählen!“
Dieser subtile Hinweis verriet ihm, dass er es mit einem alten Mann zu tun hatte, und mit der Bestellung eines weiteren Whiskey schlurfte er in Richtung der Stimme.
„Was is?“, war die unausweichliche Frage, und der Angesprochene ließ sich auf einen Stuhl fallen. Es war wohl der Stammtisch, überall hatten irgendwelche Besucher ihre Namen eingeritzt, und es stank nach Alkohol. Als sich ein Gesicht aus der Dunkelheit löste, verstand der Junge, dass es nicht der Tisch war, der diesen exquisiten Geruch verströmte.
„Alter, du stinkst!“ war das Einzige, was er hervorbrachte, aber das bewegte seinen neuen Gesprächspartner nur zu einem kehligen Lachen. Die Sicht war noch immer verschwommen, und im Großen und Ganzen bestand der Fremde nur aus Haaren, jedenfalls auf den ersten Blick, und mehr Blicke konnte er gerade nicht erübrigen. Die Kellnerin bedachte ihre Gäste mit einem abwertenden Nicken, als sie die Bestellung auf den Tisch stellte und sich dann wieder daran machte, Gläser zu putzen.
„Ich erzähl dir was!“, raunte der Alte, und pochte dabei mit den Fingern auf die Holzplatte, „Aber nur, wenn du mir nen Bier ausgibst!“
Der junge Mann fand das alles irgendwo belustigend und grinste dämlich, dem Wunsch nachkommend. Der Andere war so glücklich, dass die folgende Wortgruppe eher einem Schrei gleich kam.
„Das Mittelalter, mein Junge, das Mittelalter! Irgendwo in einer Burg, nein, keine Burg, ein Burghof!“
Er verstand nicht wirklich, was der Alte in seinem Redeschwall verbrochen hatte, aber lustig war es irgendwie trotzdem, und so lachte der Betrunkene abermals glucksend, was seinen Gesprächspartner nur noch mehr anspornte.
„Es gab ein großes Fest beim alten Otto! Mann, das war ein Fest!“
„Feste sind gut!“, lachte der Junge, „Feste sind gut.“
Die Antworten flogen mit jedem Wort euphorischer.
„Ja! Ein großes Fest, ein gutes Fest! Stell es dir vor, Junge, stell es dir vor!“
Er stellte es sich vor. Neben ihm baute sich eine Ritterburg auf, er selbst saß in bunten Kleidern auf einer Holzbank und goss einen gewaltigen Humpen Bier hinunter.
„Ein Bier!“, rief er in seiner Vorstellung wie in der Realität, und die Barfrau seiner Fantasie nahm die Bestellung irgendwie motivierter an als ihre reelle Zwillingsschwester. Für eine Alkoholvision hatte er die Erzählung des Alten ziemlich genau vor Augen, fiel ihm auf, sein Gesprächspartner hockte ebenfalls an der Tafel, direkt gegenüber.
„Nimm ein Schwein!“, schrie er plötzlich, und der junge Mann fiel wieder in einen Lachanfall.
„Ein Schwein?“, fragte er belustigt, „Ich esse kein Schwein, ich bin Vege… Vege…“
Das Wort schien ihm Probleme zu bereiten, und er benutzte seine Hände, um vollkommen erfolglos zu demonstrieren, was er meinte. Der Alte lachte nur.
„Aber nein! Du liebst Schwein!“
In der Fantasie nahm der Junge eine Keule und riss ein großes Stück heraus. Er liebte Schwein.
„Schmeckt gut.“, schmatzte er, „Schwein ist mein Lieblingsessen. Halt!... Ich esse gar … kein Schwein…! Ich bin Ve…“
„Wer BIST du?!?“
Der alte Mann war plötzlich auf den Tisch gesprungen und hatte die Bierflaschen vor sich umgestoßen, zog ihn nun an seinem Kragen und schrie ihm sabbernderweise ins Gesicht. Der Betrunkene war erstarrt, panische Angst erfüllte ihn an Anbetracht des Wilden gegenüber, und die Fantasiewelt brach zusammen. Kreischend und mit den Armen wackelnd verließ er die Bar, und er hielt erst wieder, als er die Tür seiner Wohnung hinter sich zugerammt und verschlossen hatte.
Die Sonnenstrahlen fielen über ferne Bergmauern, und das Lachen der Leute bestimmte die Atmosphäre. Bier und Met flossen in Massen, die langen Bänke zitterten unter ihren herabdonnernden Krügen und die Sonne zauberte Schweißtropfen auf so manches zufriedenes Gesicht. „Hebt, Brüder!“, rief jemand, als die Schankmaid eine weitere Runde auf die Tafel schob. Ein Schwein briet über lodernden Flammen, und die Schnauze war zu einer dämonischen Fratze verzerrt, selbst als die Bauern und Edelleute begannen, geifernd Fleischstücke aus den schwelenden Rippen zu reißen.
Wird fortgesetzt.
La Cipolla
29.04.2007, 17:38
Es ist alles halb so mystisch wie es geschrieben ist. ;)
Leo erwachte. Was für ein selten dämlicher Traum. Auf dem Weg zum Badezimmer kehrte ungewollt die Erinnerung an die letzte Nacht zurück, und er schwor sich, nie wieder einen Tropfen Alkohol anzurühren, wie er es jedes Mal tat, wenn sein Gehirn im Schädel Explosionsanstalten machte. Dieses Mal hatte irgendjemand die metaphorische Sprengstoffmenge verdoppelt. Der Junge stützte sich am Waschbecken ab. Spiegelglas zeigte die dunklen Augenringe in dem kantigen Gesicht ungeschminkt wie sie waren, und seine Haare, denen man kaum eine offiziell anerkannte Farbe zuordnen konnte, umrandeten die zugestoppelten Züge gleich einem geschmacklosen Bilderrahmen für Picasso auf Drogen. Ein Schwall Wasser brachte Leo zurück ins Leben und erlaubte ihm, den Frühstückstisch anzusteuern. Um diese Tageszeit war dort nur noch seine grinsende Schwester Ruth anzutreffen. Die Ältere machte nur selten ein Geheimnis aus ihrem Sarkasmus.
„Hübsches Outfit, Brüderlein.“, begrüßte sie ihn, als er seinen Hintern in Unterhosen auf dem Stuhl niederließ und das Wasser an einem alten, weißen T-Shirt abwischte.
„Dir auch einen guten Morgen.“, war die murrende Antwort, und Leo schmierte sich eine Nutella-Stulle. Vor dem ersten Biss kehrten einige Erinnerungen zurück, und der Junge hielt inne. Er war betrunken gewesen, obgleich er sich nicht der Gründe entsinnen wollte, aber irgendetwas hatte sich in seinen Gedanken festgesetzt, was außergewöhnlich war, denn im Normalfall war er froh, wenn er sich nach einer solchen Nacht seinen Namen wieder ins Gedächtnis rufen konnte.
Ein Fest, ein großes Fest.
„Aufwachen.“, tadelte ihn Ruth, und Leo schüttelte den Kopf. Es war egal, ebenso wie der Traum, und so biss er in die Schnitte, die an diesem Tag irgendwo scheußlich schmeckte.
Das Fest schien kein Ende zu nehmen, aber das schien auch niemanden weiter zu stören, fröhlich wie immer lachten und spaßten sie. Er jedoch erhob sich irgendwann, den Körper streckend und eine kleine Laute hervor nehmend.
„Liebe Leute!“, rief er mit ausgestreckten Armen, und die Menge verstummte langsam. Neugierige und belustigte Blicke erhaschten das alte Instrument des Barden, aber der Mann blieb unbeeindruckt. Obwohl er noch jung war, ließ er seine zarten Finger mit großer Sicherheit über die Saiten streichen, und angenehme Töne erklangen. Schon bald stimmten die ersten Mädchen in einen fröhlichen Tanz ein, und die Männer folgten ihnen kichernd. Der Barde lachte und ließ die Töne anschwellen. Zusammen mit seinem Spiel wurden auch die Menschen schneller, und schon bald drehten sie wie Marionetten glühende Pirouetten in den Erdboden. Der Sand des Schlossplatzes wurde lustig in alle Winde geweht.
„Leo! Leo, wach auf, verdammt!“
Widerstrebend öffnete er seine schweren Augenlider und zerrte die Federtasche aus dem Gesicht. Diese hatte bestimmt schon die ersten Schritte unternommen, um aggressiv mit seiner Haut zu verwachsen, aber die Lehrerin hatte jene diabolischen Pläne glücklicherweise mit einem Schrei vereitelt.
„Herr Gerber.“, meinte sie, die kleine Brille zurecht rückend, und er realisierte, dass die junge Frau schon recht lange erfolglos versucht haben musste, ihn aus dem Reich der Träume zu befördern, „Ich wollte sie nicht unbedingt während der Stunde wecken, denn ihre Augen sprechen Bände. Aber die nächste Klasse würde hier gerne Unterricht machen, also müsste ich sie bitten, zu gehen.“
Leo schaute sich um. Im Türrahmen waren die belustigten Gesichter der Zwölftklässer zu sehen, seine eigenen Leidensgenossen waren längst verschwunden. Gähnend erhob er sich.
„Danke, ich weiß das zu schätzen.“, meinte der Junge ehrlich zu seiner Lehrkraft. Er schleppte den müden Körper halbherzig durch die Menge der jüngeren Schüler und verließ das Gebäude. Draußen schien die Sonne und eine seichte Brise weckte einige Lebensgeister, von denen er kaum mehr erwartet hatte, sie jemals wieder zu spüren.
Dann kehrte die Melodie zurück.
Wie angewurzelt blieb er auf dem Schulhof stehen und summte sogleich leise mit. Einige Schülerinnen sahen ihn grinsend an, aber Leo war es in diesem Moment egal. Seine Blicke hingen in den Wolken, und die Gedanken des Oberstuflers waren in seinem Traum gefangen. Abermals, es war wieder der gleiche Traum gewesen. Und diese Melodie… Sie saß fest. Es war nichts, das er jemals zuvor gehört hatte, kein alter Ohrwurm, der sich in seinem Unterbewusstsein in eine Python verwandelt hatte, es war reine… reine Musik.
Leo warf sein Bündel mit Schulsachen aufs Bett und begann sogleich, die Schubladen zu durchwühlen. Es war nicht direkt Angst, was er in diesem Moment fühlte, aber irgendwie fürchtete er sich doch vor dem Moment, wenn die Melodie wieder aus seinem Kopf verschwinden würde. Ruth kam mit einer gerunzelten Stirn in sein Zimmer geschlendert und blickte in einer Mischung aus Belustigung und Misstrauen zu ihrem Bruder herab.
„Wenn du in Putzwahn verfallen bist, empfehle ich dir, mit den Fenstern zu beginnen.“
Der Junge hatte sie erst gar nicht bemerkt und wollte etwas erwidern, fand dann aber, was er gesucht hatte. Ohne einen Moment zu zweifeln, setzte er die Mundharmonika an die Lippen. Ruth unterdrückte einen Lachanfall und setzte sich stattdessen neben ihn auf das Bett. Es war lange her, dass er versucht hatte, etwas auf dem Instrument zu spielen, und selbst damals war das einzige, was man klar erkennen konnte, seine mangelnde musikalische Begabung gewesen. Umso mehr verwunderte sie, was sie nun hörte. Natürlich war Leo noch immer völlig unmusikalisch, und dementsprechend klangen die Töne ein wenig nach einem asthmakranken Singvogel. Was jedoch die Melodie anging…
„Was ist das?“, fragte sie gebannt, denn das Lied war ebenso simpel wie schön, und selbst mit dem unfähigen Organ des Jungen hatte es eine bezaubernde Wirkung.
„Keine Ahnung.“, meinte er schließlich, als die Melodie zu Ende ging, „Du kannst mich verrückt nennen, aber ich habe davon geträumt.“
„Ich kenne es zwar nicht, Brüderlein, aber wahrscheinlich hast du nur irgendetwas aus deinem Langzeitgedächtnis aufgegriffen. Würde mich nicht wundern, wenn wir dein Lied demnächst in irgendeiner Autowerbung hören.“
Leo grinste, aber er war sich sicher, dass diese Melodie noch niemals irgendwo gespielt worden war, geschweige denn in einem Fernsehclip. Ruth verließ sein Zimmer wieder, und als sie begann, die seltsamen Töne nachzusummen, hatte er plötzlich das Bedürfnis, die Tür zu schließen. Als er schließlich wieder alleine war, startete er seinen Rechner, denn es ließ ihn nicht los. Tief in seinem Inneren wusste der Junge jedoch, dass er nichts finden würde. Und obwohl sich seine Erinnerungen an die letzte Nacht in bequemen Grenzen hielten, ahnte er bereits, wohin er an diesem Abend zurückkehren würde.
Jedenfalls hoffte Leo, dass ihm sein Gedächtnis auch ohne Delirium noch den Weg weisen konnte.
Die Tür der Bar war nicht halb so schwer, wie er sie in Erinnerung hatte, und nun, wo sich auch einige Menschen in dem Etablissement befanden, kam es Leo auch nicht mehr ganz so schmierig vor. Die Musik war ein wenig lauter, um mit der Geräuschkulisse der Gäste konkurrieren zu können, und er schlenderte zum Tresen.
„Abend.“, meinte er ausdruckslos, aber die Chance, dass die Kellnerin ihn vergessen hatte, war verschwindend gering. Ihr Grinsen bestätigte nur seine Befürchtung.
„Ihnen auch. Noch recht früh heute, würde ich meinen?“
Sie war jünger, als seine vagen Erinnerungen behauptet hatten und dünnes, braunes Haar schmückte ihr zierliches Gesicht in Form eines Zopfes.
„Oh. Sie sind es.“, scherzte der Junge deprimiert, „Ich hatte sie irgendwie verschwommener vor Augen behalten.“
„Dabei tragen sie gar keine Brille.“
„Nein, leider nicht, muss man in diesem Fall sagen.“
Das Lächeln war ihm sympathisch und vertrieb den letzten Flecken Schamesröte aus seinem Gesicht.
„Eine Cola reicht für heute.“, grinste er nur. Sie kam dem Wunsch nach und wandte sich dann wieder den anderen Gästen zu. Leo nutzte seine neu gewonnene Nüchternheit, um sich der Umgebung bewusst zu werden.
„Der gebissene Affe“ war über der Tür groß zu sehen gewesen, und er fragte sich, wie um alles in der Welt er diesen gewaltigen Neonschriftzug hatte übersehen können. Wahrscheinlich war der Untertitel „Bar“ einfach interessanter gewesen. Die Kneipe war stilvoll eingerichtet, mit dunklem Holz und gedämpftem Licht verströmte sie eine gewisse archaische Atmosphäre. Er entsann sich des Abends und sein Blick wanderte zum Stammtisch. Einige Leute saßen dort und spielten Skat, in ihren Gesichtern konnte man die Bluffs ebenso gut ablesen wie die Buchstaben in einem Schulbuch für Erstklässler. Von dem seltsamen Mann war nichts zu sehen.
„Ist er öfter hier?“
„Hm?“, erkundigte sich die Kellnerin zwischen einem Tablett und einem sitzenden Pärchen hindurch.
„Der alte Mann! Der Besoffene, mit dem ich gestern… geredet habe.“
Sie stellte noch schnell einige Gläser ab und kämpfte sich dann mit eisernem Willen durch die Menschen.
„Ja, fast immer, seit ich die Bar habe. Aber nie so früh. Ich glaube, er mag es nicht, wenn viele Leute da sind.“
„Die Bar gehört ihnen?“, erkundigte sich Leo verwirrt, „Ich hätte gewettet, sie verdienen sich hier nur ein wenig Geld für das Studium.“
„Studium?“, lachte sie, „Nein, ich hab nicht mal einen Schulabschluss. Die Bar nimmt jede Minute ein, und ich will dieses stinkende Vermächtnis meiner Eltern nicht unbedingt eingehen lassen.“
Ihr Zwinkern gab der Situation genügend Ironie, um Leos Gewissensbisse abermals zu vertreiben.
„Tut mir Leid.“, meinte er trotzdem, „Ich heiße Leo.“
„Kein Problem. Ich bin Isa, und nun unterwegs zu einigen zahlenden Kunden.“
Der Junge lächelte und nippte an seiner Cola. Mit einem äußerst großzügigen Trinkgeld auf dem Tresen und dem Plan, in einigen Stunden wiederzukommen, verließ er den gebissenen Affen.
Der Stadtpark war angenehm zu dieser Jahreszeit, und erschreckend viele Leute wussten jenen Umstand zu schätzen. Leo brauchte einige Minuten, bevor er einen Platz fand, an dem sein Atem das einzige war, das er hören konnte. Es schmerzte ihn fast ein wenig, die Stille mit den Tönen seiner Mundharmonika durchbrechen zu müssen, aber seit dem letzten Abend hatte das Instrument für ihn wieder an Attraktivität gewonnen. Der Junge erinnerte sich mit einem verschmitzten Grinsen, wie lange er seine Mutter damals anflehen musste, bis die Einschüchterungstaktik endlich Früchte getragen hatte. Natürlich war das Interesse an der Musik nach einigen missglückten Versuchen wieder geschwunden, die Harmonika aber hatte seine Launen irgendwie überlebt. Diesmal kam ihm die Melodie leichter über die Lippen.
Erst viel später, als der Mond schon wie ein Hühnerauge in der Suppe am Himmel stand, machte er sich auf den Rückweg.
Die Gemäuer waren verdunkelt, seidene Vorhänge aus schwerem Rot hielten die Sonne fern. Die Schritte, welche durch den Saal klangen, erinnerten die Gestalt auf dem gewaltigen Thron ein wenig an das donnernde Trappen eines Kriegsrosses. Das Fest draußen ging völlig an ihm vorbei, just in diesem Moment dachte er nicht daran, sich an den leiblichen Freuden des Daseins zu laben.
„Mein König! Der Herold ist zurückgekehrt, und er bringt keine guten Nachrichten. Es wird einen großen Krieg geben, wenn wir den Barbaren nicht unser Land zum Plündern überlassen wollen, eure Majestät.“
Der Monarch antwortete nicht. Eine Geste ließ den Diener wie von Zauberhand verschwinden, und er stützte sein massives Kinn auf dem Arm ab.
Keine guten Nachrichten, hatte der Tölpel gesagt. Es waren die besten Nachrichten seit langer Zeit.
Es würde Krieg geben. Und er würde als glorreicher Sieger daraus hervorgehen. Der König ließ die Vorhänge öffnen, und mit ihnen fiel auch die Schwermut von ihm. Nun war es an der Zeit, seine Untertanen bei ihrem Fest zu begleiten, es war Zeit, seinem Volk die Aufwartung zu machen. Lächelnd verließ die gewaltige Gestalt den Thronsaal.
Abermals saß kaum jemand in der Kneipe. Leo erkannte den alten Mann und ließ sich an seinem Tisch nieder, die bereits leeren Flaschen ignorierend. Mit einem überraschten Lächeln signalisierte der Fremde, dass er ihn bemerkt hatte, und seine Worte klangen so, wie man sie von einer solchen Person erwarten würde.
„Du bist zurückgekommen.“, stellte er fest, mit einer Mischung aus Verwunderung und Respekt, „Whiskey?“
Der Junge schob das Glas schnell bei Seite.
„Nein, danke.“
„Selbst schuld.“
Einen Moment lang herrschte Stille, denn Leo wusste beim besten Willen nicht, was er sagen sollte. Nachdem der Alte seinem eigenen Glas die nötige Aufmerksamkeit hatte zukommen lassen, grinste er den Schweigenden belustigt an. Sein Mund zeigte einige Zähne, auch wenn es nicht mehr besonders viele waren, und die Alkoholfahne bestätigte, dass er nicht nur in Leos Erinnerung ziemlich runtergekommen aussah. Fettige, lange haare und schwache Lider hingen über blauen Pupillen. Irgendwie wirkten seine Augen jedoch auffällig wach und fröhlich, bemerkte er. Musste wohl am Alkohol liegen.
„Warum bist du hier, Jungchen?“, fragte er plötzlich und strich sich den wirren Bart, „Ich bin nicht besoffen genug, um zu verdrängen, dass du selbst nüchtern bist. Für gewöhnlich sehe ich solche Leute nie wieder. Oder sie ignorieren mich, im besten Fall.“
Isa, die Kellnerin, nahm die Bestellung auf.
„Haben sich zwei gefunden?“, fragte sie lächelnd und Leo wurde bewusst, wie sinnlos die gesamte Situation war. Es war dringend Zeit, ein wenig Hintergrund in dieses Gespräch zu bringen.
„Ein Lied.“, sprach der Jüngere, als die Barfrau wieder verschwunden war, „Ich habe mich gestern plötzlich an ein Lied erinnert, das ich noch nie gehört hatte. Es mag seltsam klingen, aber anders kann ich es nicht beschreiben.“
„Du redest wirres Zeug.“, antwortete der Mann sogleich mit festem Blick, „Man kann sich nicht an etwas erinnern, das man nicht kennt. Außerdem wärst du deshalb nicht hierher gekommen…“
Einen Moment lang schien es, als hätte der Ältere ausgeredet, Leo wollte gerade etwas erwidern, als sein Gegenüber dann doch wieder den Finger hob und sich mit der anderen Hand sein Glas auffüllte.
„Kannst du mir das Lied vorspielen, Kleiner? Vielleicht kenne ich es ja.“
Der Junge warf einen Seitenblick zu Isa, verdrängte dann aber jegliche Gedanken an Peinlichkeit. Wäre das Mädchen so oberflächlich gewesen, hätte sie ihn nach dem letzten Abend wohl ignoriert. Oder heraus geworfen, wahrscheinlich sogar beides, in welcher Reihenfolge auch immer.
„Ich spiele nicht gut.“, warnte er noch, bevor er die Mundharmonika an die Lippen setzte. Jegliche Kneipenmusik war um diese Zeit sehr ruhig, aber die Kellnerin drehte die Lautstärke noch ein paar Stufen herab. Durch das Fehlen anderer Gäste durchdrangen die Töne den gebissenen Affen wie eine angenehme Welle. Der alte Mann verzog kein Gesicht, während Leo spielte, aber Isa setzt sich mit zu den beiden und stützte ihren Kopf gedankenverloren auf den Händen ab. Der junge Mann beendete sein Lied irgendwann, aber er konnte unmöglich sagen, wie lange er gespielt hatte. Gewiss einige Minuten.
„Schrecklich.“, meinte sein Gegenüber mit einer hochgezogenen Augenbraue. Die Besitzerin der Kneipe warf ihm einen unverständlichen Blick zu.
„Das ist eine wunderschöne Melodie. Vielleicht ein bisschen stockend gespielt..“
„Stockend?!“, fiel er ihr ins Wort, und der Alkohol verstärkte seine Stimme, „Das war musikalischer Kinderkram, und außerdem ist dieses Lied nicht für eine verdammte Mundharmonika gemacht.“
Er brabbelte noch einige Worte in seinen Bart, bevor Leo sich erkundigen konnte, ob sein Zuhörer die Melodie nun kannte.
„Nein…“, raunte dieser, „Aber man hört heraus, dass es für ein feineres Instrument ist. Eine Panflöte, oder vielleicht eine Harfe. Ja, eine Harfe!“
„Leo hat aber offensichtlich keine Harfe.“, zwinkerte Isa und verschwand dann wieder hinter ihrem Tresen.
„Schön war es trotzdem.“, ergänzte sie noch, und der Angesprochene musste unwillkürlich lächeln.
„Danke, Madame. Es freut mich, wenn euch mein Spiel ergötzt hat.“
Sie lachte, doch der Alte schüttelte noch immer den Kopf.
„Nein, nein. Das hier ist nicht der Ort für diese Melodie.“
Ein Lächeln huschte über sein faltiges Gesicht und er lehnte sich verschwörerisch über den Tisch.
„Erinnerst du dich … an das Fest?“
Leo nickte und legte die Mundharmonika auf den Tisch.
„Ja. Sie müssen mir wohl sehr ausführlich davon erzählt haben, das ist das Einzige von gestern Abend, an das ich mich wirklich erinnere, und zwar ganz ohne zu raten, was nun passiert sein könnte.“
Sein kehliges Lachen war auch eine Art von Antwort, und der alte Mann ging gleich wieder in seinen geheimnistuerischen Tonfall über.
„Dort würde es hinpassen, mein Sohn.“
„Leo. Ich heiße Leo.“, erwiderte der Junge.
„Oha. Leo? Leo… Jetzt, wo du es sagst, ich erinnere mich an eine Geschichte, die mir jemand vor langer Zeit erzählt hat. Dort ging es auch um einen Leo. Einen Leonardo.“
„Und?“, fragte der Jüngere nur verwirrt, “Was hat das mit dem Lied zu tun?“
„Nunja, dieser Leonardo wäre der richtige für das Lied gewesen. Leo hat kläglich versagt, aber Leonardo, ja, der hätte das wohl richtig rüberbringen können.“
Sein Gesprächspartner grinste nun und lehnte sich ebenfalls auf den Tisch.
„So ist das? Und wieso sollte dieser Leonardo das gekonnt haben?“
„Ganz einfach, Jungchen. Er war ein Barde. Ein Minnesänger aus Italien! Er hat zwar am sächsischen Hof gespielt, aber er hatte es einfach im Blut! Natürlich hat er keine Harmonika benutzt. Die gab’s vor tausend Jahren ja noch gar nicht!“
Ein weiteres Glas Whiskey belebte den Alten und er kicherte über seine Erkenntnis. Leo befürchtete, dass diese Konversation nicht mehr allzu lange Sinn machen würde, jedenfalls nicht in nüchternem Zustand.
„Lassen sie mich raten. Eine Harfe?“, fiel ihm der Junge ins Wort und provozierte so ein zahnloses Grinsen.
„Du bist ein kluger Kopf, Leo.“
„Und wenn er doch so gut war, was trieb ihn bitte hierher zu uns? Vor allem nach Sachsen…“
Der Alte blickte plötzlich auf und sah seinem Gegenüber tief in die Augen. Einige Sekunden lang saßen sie so da, bis er wieder mit Lächeln begann.
„Es ist natürlich nur eine Geschichte, mein Freund. Aber er war ein Taugenichts, und die Sachsen damals noch intelligente Leute mit einem guten Verständnis von Kunst. Man hat ihn verstoßen, und er wusste nicht, was er machen sollte. Also ist er einfach auf sein Pferd gestiegen und durch Europa geritten. Erst in Sachsen schließlich fand Leonardo von Sienna die Anerkennung, die er suchte.“
Leo hatte sich inzwischen ein Bild des besagten Barden gemacht, und er war sich nicht so recht sicher, was er davon halten sollte, dass dieser in Gedanken sein eigenes Gesicht trug. Da er sich aber momentan allgemein nicht vorstellen konnte, wohin die ganze Diskussion führen würde, ignorierte er die Überlegung.
„Ja. Er ist also in Sachsen, am Königshof. Und dort klimpert er für ein Bisschen Brot und einen Schlafplatz auf seiner Harfe. Ein sehr beneidenswerter Mensch.“
Der Alte ignorierte die Ironie meisterhaft.
„Durchaus war er das. So. und nun stell es dir vor, Jungchen. Dann kriegst du auch mit, wie sich so eine Melodie anhören kann, wenn sie nicht in den unmusikalischen Fingern eines Stümpers liegt.“
Leo atmete tief durch. Das Whiskeyglas auf dem Tisch wirkte jetzt irgendwie verführerischer.
Leonardo von Sienna atmete tief durch. Seine feinen Finger legten sich auf die Saiten und zogen sacht an ihnen, als würde er das Instrument in aller Höflichkeit bitten, einige Töne zu produzieren. Nein, er bat die Harfe nicht. Er hatte sie förmlich verführt. Wie in einem Tanz ging eine Fingerbewegung in die nächste über, einen Augenblick später schon erkannten die Zuhörer seine Melodie. Es war ruhig geworden auf dem Festplatz, und selbst die Gäste, die sich, betrunken wie sie waren, kaum mehr auf ihren Hockern halten konnten, verhielten sich mucksmäuschenstill. Leonardo lies den Takt ansteigen. Mit dem Lied wurde auch der Burgplatz wieder geschäftiger, und so manche Maid wandte sich der Tanzfläche zu. Schon bald wirbelten die Kleider der Höflinge umher, beschrieben Bahnen in der Luft wie Lerchen im Herbstwind.
„Ich habs vor Augen. Und nun?“, fragte Leo ein wenig zweifelnd.
„Aha!“, rief ihm sein Gegenüber ins Gesicht, „Dann hast du’s also kapiert? Spürst du, wie sich das anhören muss? Das wirst du nie hinbekommen! Nie! Ha!“
Der Angesprochene kratzte sich unbeeindruckt am Kinn.
„Wollen sie mich in Depressionen stürzen oder wollen sie mir eine verdammte Geschichte erzählen?“
„Hu?“, antwortete er überrascht, „Willst du denn eine Geschichte hören?“
Der Tisch war so einladend, dass Leo nah dran war, sein Gesicht mit Effet darauf zu schlagen. Es hatte einen Ansatz von Provokation, wie der Alte seine Gedanken las.
„Ja, verdammt. Erzählen sie schon. Ich mag gute Geschichten.“
„Schön, Leonardo, sehr schön.“
„Mein Name ist immer noch Leo. Einfach Leo.“
„Wie auch immer.“, winkte er ab.
Die Stimmung wurde erst wieder ein wenig gedämpft, als eine große Gestalt auf die Stufen der Burgtreppe trat. Ein langer Umhang von kostbarer Seide zog sich hinter ihr über den Stein, und spätestens die erhaben glänzende Krone auf dem Haupt des bulligen Mannes machte klar, in wesen Angesicht die Leute ihre Blicke richten durften.
„Otto, ihre Majestät, der König von Sachsen!“, rief ein Herold aus, und lautes Jubeln brach los. Der Barde war überrascht, denn in seiner Heimat war man den Monarchen immer mit absolutem Respekt und zurückhaltender Knechtschaft begegnet. Scheinbar sah es der Herrscher hier lieber, wenn man einen Krug auf seinen Namen erhob. Lächelnd stellte Leonardo von Sienna fest, dass es ihm an diesem Ort gefiel, und die Gestalten, die nun hinter dem Gastgeber erschienen, veränderten jene Meinung gewiss nicht zum Schlechten. Die erste der beiden jungen Frauen war von blendender Schönheit, Strähnen von langem, goldenem Haar fielen ihr über die Schultern und die gepuderte Haut glänzte im Licht der Sonne. Unter den Gästen teilten sich die Menschen augenblicklich in zwei Fraktionen, nämlich jene, welche nicht anders konnten, als die wunderhübsche Königstochter anzuhimmeln - und auf der anderen Seite deren Weiber. Die zweite Maid fiel Leonardo erst jetzt richtig ins Auge, verweilte sie doch im Schatten der anderen, die ganz offensichtlich ihre Schwester war. Auch sie war von erhabener Schönheit, wenn auch nicht auf so atemberaubende Art und Weise. Die anderen Verehrer auf dem Hofe wurden sich ihrer Position schnell wieder bewusst, und sie ahnten auch, dass ihre Frauen just in diesem Moment böse Blicke auf sie richteten. So kehrte das bunte Treiben in die gewohnten Bahnen zurück. Der Monarch lies sich mit schweren Schritten unter einem Halbzelt aus blauem Stoff nieder, seine Töchter saßen links und rechts von ihm auf kleineren Stühlen, zudem wuselte eine Unzahl an Dienern um den prächtigen Aufenthaltsort des Königs, um für dessen Wohlergehen Sorge zu tragen. Die Blicke des Minnesängers wurden bald von Bittstellern und Speichelleckern verdeckt, und zudem auch von einer Unmenge an Soldaten, die dafür sorgten, dass keiner der schäbig bekleideten Bauern seinem Herrscher zu nahe kam. Leonardo seufzte, rief nach einem Humpen und lies sich zwischen einigen anderen Gästen nieder. Er würde sich später zu den wartenden Gestalten gesellen, so stieg auch die Chance, sein Anliegen dem König direkt zu unterbreiten, und nicht nur einem seiner zahlreichen Sekretäre.
„Jedenfalls neigte sich der Abend dem Ende zu.“, forderte der alte Man Leo mit einem Grinsen auf. Der Junge zweifelte kurz und vollendete dann den Satz des Erzählers.
„Und Leonardo von Sienna, der ja offensichtlich nicht besonders viel von Zurückhaltung und Demut hielt, kämpfte sich seinen Weg förmlich durch die Unmengen an Landbevölkerung.“
„Klingt gut, Jungchen. Bald jedenfalls stand er vor dem König und erhob seine Stimme, bevor auch nur eine der Wachen reagieren konnte. Und was rief er?“
Der Angesprochene grinste. Er wusste nur zu gut, wie die Geschichte wohl weitergehen würde. Allerdings kam ihm kurz der Gedanke, was der Alte wohl tun würde, wenn er anders reagierte, wahrscheinlich würde sich der Verlauf der Ereignisse genau in diesem Moment verändern, also konnte er ebenso gut das erzählen, was ihm in den Sinn gekommen war.
„Er verneigte sich natürlich erst einmal in einem Anfall von Etikette und beschwerte sich dann lautstark darüber, wie schlecht doch der Barde des Königs gespielt hatte. Er würde mit solch einfallslosen Melodien niemals vor einem Herrscher von so erhabenem Geschlecht treten!“
„Gut!“, rief der Alte, „Genau das hat er auch getan! Aber irgendwie… kannst du es nicht in ihn hinein versetzen? Mir ist die Szene nicht glaubwürdig genug.“
Leo zog eine Augenbraue in die Höhe und warf Isa einen Seitenblick zu. Die Kellnerin hatte das Gespräch verfolgt und lächelte nur, ohne jeden Spott in den Augen.
„In Ordnung.“, meinte er schließlich und atmete noch einmal tief durch. Tiefes Durchatmen war ein Zeichen davon, dass man gerade etwas tat, bei dem man sich nicht sicher war, ob man es überhaupt wollte, kam es dem Jungen in den Sinn. Er verdrängte den Gedanken.
„Eure Majestät! Man nennt mich Leonardo von Sienna und ich bin zutiefst schockiert, welch stümperhafte Minnesänger ihr in eurem Lande vor den Thron lasst!“
Ein Aufschrei ging durch die Menge und alle Bauern traten sofort einige Schritte zurück, Leonardo fand sich augenblicklich allein vor dem Monarchen wieder. Die Hellebarden der Wachen, lange Holzstäbe mit Axtköpfen an der Spitze, waren zu Boden gesunken und auch die Soldaten starrten den Mann nur ungläubig an.
„Natürlich“, fuhr dieser schnell fort, „Ist eine solche Denunzierung weit unter eurer Würde, wenn ich mir diese Einschätzung erlauben darf, Durchlaucht, denn ein Land, welches so mächtiges Herrscherblut hervorbringt und Töchter gedeihen lässt, deren Schönheit sich mit sogar dem ewigen Sternenhimmel messen - und diesen sogleich verblassen lässt! - hat auch eine entsprechende musische Begleitung verdient, möchte man jedenfalls meinen!“
Gedämpfte Worte der Zustimmung erhoben sich in der Menschenmasse, und die geröteten Wangen der Königstöchter bestätigten die allgemeine Erleichterung. Das Gesicht des Monarchen jedoch blieb starr, und seine tiefen, blauen Augen starrten auf den Barden herab.
Als Leo seine Ansprache beendet hatte, vernahm er ein Klatschen von der Theke, begleitet von einem leisen Lachen. Der Alte jedoch schien ihn gar nicht mehr zu beachten. Er wühlte in seinen Taschen herum, als hätte sich ein Nest aus Flöhen auf besonders empfindlichen Körperteilen breit gemacht.
„Hey, haben sie mir überhaupt zugehört?“
Der bärtige Kopf schoss nach oben, und sein Besitzer hatte scheinbar gefunden, was er gesucht hatte. Er donnerte einen kleinen Lederbeutel auf den Tisch und machte sich an dem Verschlussband zu schaffen.
„Jaja, natürlich, Junge, keine Angst! Gut gesprochen, besser, als ich es einem Leo jemals zugetraut hätte! Aber du hast den König vor eine schwierige Entscheidung gestellt.“
Er öffnete den Beutel und lies einige, kleine Gegenstände über den Tisch poltern.
„Schließlich kann er nicht einfach sagen, dass Leonardo zu ihm kommen soll, das wäre ein Bruch der Etikette und so was führt zu mangelnder Autorität! Aber beeindruckt hast du ihn schon irgendwo.“
Seine Stimme war nun wieder die des Whiskeys, und Leo musste sich anstrengen, um das schnelle Geschnatter zu verstehen. Würfel. Er erkannte, dass der Alte Würfel auf den Tisch gelegt hatte, einige aus braunem Holz, andere weiß, wie Elfenbein.
„Also müssen wir sehen, was er tut.“
Mit einem zahnlosen Grinsen hielt der Alte Leo eines der Spielzeuge vor die Nase.
„Würfle hoch, dann warst du wirklich gut! Würfle niedrig, und Leonardo verbringt die nächste Nacht vielleicht im Kerker!“
Leo grinste und ergriff den Würfel. Mit einem Ruck ließ er ihn über den zerkratzten Tisch rollen.
Cliffhanger for the win. :D
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