deserted-monkey
22.12.2006, 20:50
El Pedrecho war ein kleines verschlafenes Städtchen am Rande der Ewigkeit, an einem dieser Orte, wo man tausende Stunden gehen kann und trotzdem nirgendwo hinkommt.
An einem dieser Orte, wo die Menschen einem aus müden Augen ansehen, den Blick abwenden, wenn man ihn erwiedert und dann schweigend ihres Weges ziehen.
An einem dieser Orte, wo Zeit keine Bedeutung hat, wo jeder vor sich hinlebt, bis sein bitteres Ende naht.
Laurent war nicht ein solcher Mensch, er war eigentlich nur per Zufall hier. Jetzt fragt man sich bestimmt, was Laurent an diesem gottverlassenen Ort zu suchen hatte, wo er doch so städtlich aussah, überhaupt nicht wie ein Landei, nein, im Gegenteil.
Verloren in Gedanken einer besseren Welt, einer besseren Zukunft und auf der Suche nach dem Glücklichsein, durchquerte er Dörfer, Städte, Länder, ja sogar ganze Kontinente. Er hatte es vor langer Zeit schon aufgegeben, für eine Versicherungsfirma den Lakai zu spielen, die endlos langen Gespräche mit schwierigen Kunden, die auch schwere Brieftaschen hatten und dadurch noch viel schwieriger wurden, gingen ihm gewaltig auf den Sack, wenn ich mich mal so ausdrücken darf.
An diesem Tag war sein Kopf befreit von all den Sorgen, Ängsten und Gefühlen, die sonst immer in ihm herumspukten. Er fühlte sich frei, nicht glücklich, aber zumindest frei. Das war schonmal ein Anfang. Sein hübsches Gesicht lächelte die wenigen Vorbeigehenden an und obwohl niemand sein Lächeln erwiederte, fühlte er sich angenehm frisch und gut gelaunt. Bahnhöfe waren nie schön, so wie auch dieser es nicht war, doch wenn man einen Zug erwischen wollte, musste man sich wohl oder übel an einem solchen Ort die Zeit vertreiben. Laurent vertrieb sich die Wartezeit mit seinem freundlichen Lächeln und gutgemeinten Sprüchen, aber die Menschen hier waren anders, grober, härter.
Schliesslich fischte er sich eine zerrissene, Jahre alte Zeitung aus einem Mülleimer und begann, darin herumzublättern. Es fiel ihm eine Schlagzeile auf der dritten Seite ins Auge, die mit grossen Lettern verkündete:
Wieder Überfall auf den El Paradiso Zug
Dutzende Reisende bestohlen und empört
Er las die Kolumne, obwohl sie ihn eigentlich nicht gross interessierte, obschon er auf den Zug nach eben diesem beschriebenen El Paradiso wartete.
Geld hatte er sowieso keines mehr, deshalb hatte er auch keine Angst, überfallen zu werden. Überfälle hatte er schon zur Genüge erlebt, in all den Jahren in denen er alleine von Stadt zu Stadt und von Land zu Land gezogen war. Einer mehr oder weniger, was machte das schon gross aus?
Laurent wartete.
* * * * * * * * * * * * *
Stampfend, pfeiffend und schnaubend, eine grosse schwarze Dampfwolke hinter sich herziehend, fuhr der Zug im Bahnhof von El Pedrecho ein.
Niemand stieg aus, niemand stieg ein, ausser Laurent, der sich munter auf die Stufen der Einstiege schwang und mit einem letzten Lächeln im Innern des kohlegetriebenen Stahlkolosses verschwand. Im Zug sassen nur spärlich Leute, sie sahen alle gleich aus, müde, mürrisch und mit einem finsteren Blick in die Leere gerichtet, als könnten sie dort etwas sehen, das noch kein Mensch je vor ihnen gesehen hatte. Laurent achtete kaum auf diese Leute, doch einer fiel ihm auf, er war gleich als die anderen, aber doch irgendwie anders. Neben ihn setzte er sich und nickte freundlich. Der Mann erwiederte sein Nicken kaum, oder nur so schwach, das Laurent es nicht erkennen konnte.
<<Guten Tag, Sir. Mein Name ist Laurent. Ich suche auf Reisen immer jemanden, mit dem ich eine gute Unterhaltung führen kann. Sie haben doch nichts dagegen?>>
<<Nein>> erwiderte der Mann, seine Pfeiffe nickte auf und ab, als er die Worte sprach. <<Ich habe nichts gegen ein Gespräch.>>
<<Fein. Ich bin Laurent.>> Er streckte dem Mann die Hand entgegen, doch dieser schüttelte sie nicht, stattdessen zündete er sich seine Pfeiffe neu an.
<<Entschuldigen Sie mein Benehmen, aber ich schüttle keine fremden Hände.>>
Der Qualm des Rauchgerätes stieg Laurent beissend in die Nase, aber er unterdrückte einen entsprechenden Kommentar. Dieser Mann war vielleicht der einzige Mensch hier, der mit ihm reden wollte.
<<Kein Problem. Es ist gut, vorsichtig zu sein.>>
<<Sie scheinen mir aber nicht allzu vorsichtig. Wissen Sie, meinem besten Freund wurde sie abgehackt, als er einem Fremden die Hand geben wollte.>>
Laurent sah den Mann einigermassen betroffen an, doch so sehr schockierte es ihn nicht, er hatte schon weit Schlimmeres gesehen. Trotzdem sagte er:
<<Das tut mir Leid. Es passiert viel Schlimmes auf der Welt und abgehackte Hände gehören sicherlich dazu.>>
Langsam fährt der Zug an, er schnaubt und stösst und quietscht und rattert. Das Gespräch zwischen Laurent und dem Mann verstummt kurz.
<<Wie lange dauert die Fahrt bis nach El Paradiso?>> fragte Laurent und der Mann sah ihn plötzlich ganz kalt an.
<<Lange>> sagte er. <<Lange, mein armer Junge, sehr lange.>>
Und das war das Letzte, was er zu Laurent jemals sagte.
* * * * * * * * * * * * *
Die Landschaft zog am Fenster vorbei, wie in einem Film, dessen Tonaufnahme so schlecht ist, das man nur ein Rattern und Dröhnen vernehmen kann.
Der Mann neben Laurent war schon lange verschwunden; so leise wie der Tag zur Nacht überwechselt hatte er sich davongeschlichen. Laurent hatte nicht einmal gemerkt, wie sich der Mann erhoben hatte und an ihm vorbei aus dem Abteil geeilt war.
Wieso hatte er sich so schnell von ihm entfernt, als er sein Reiseziel genannt hatte? Laurent wusste es natürlich nicht, wie sollte er auch erahnen, was ihn dort erwarten würde.
* * * * * * * * * * * * *
Dann kam der Überfall. Zwei Männer mit Sombreros, die so gross waren, das jeder Mexikaner im Zug vor Neid erblasste, stürmten durch den schmalen Korridor, zwischen den noch schmaleren Sitzen hindurch. Der Vordere war ein hagerer Typ mit einem dreckigen unrasierten Halsabschneidergesicht, in dessen Hand ein Cowboyhut war, in den man all seine Dollars werfen musste. Der Hintere sah irgendwie aus wie John Wayne, nur das er viel fetter war und sein Gesicht eine grosse Narbe zierte. Er hielt eine abgesägte Remington in der Hand, drückte den Lauf jedem Passagier grinsend unters Kinn, nickte und lächelte, bedankte sich sogar, wenn jemand sein sauer verdientes Geld im Hut des Anderen verschwinden liess. Die beiden klapperten den ganzen Zug ab, machten dreckige sexistische Witze und langten den Frauen an die Brüste.
Zu jedem kamen sie, jedem knöpften sie sein Geld ab, wirklich jedem, ausser zu Laurent kamen sie nicht. Als sie auf ihn zuschritten, hielt Laurent die letzten zwei Dollar, die er noch besass, in die Höhe und wollte sie dem Typ schon in den Hut werfen, als sie einfach an ihm vorbeigingen. Sahen ihn nicht einmal an, kein freches Grinsen, der Lauf zielte in die Luft statt unter sein Kinn, so als wäre er gar nicht da.
Und irgendwie war er tatsächlich nicht da, niemand beachtete ihn, niemand hatte zu ihm gesprochen ausser dem Mann, der ihn so hektisch aber doch völlig unauffällig verlassen hatte. Was, wenn der Mann gar nicht real gewesen ist? Was, wenn er selber gar nicht real war? Laurent kämpfte die Gedanken aus seinem Gehirn und sank zurück in das warme Polster des Sitzes.
* * * * * * * * * * * * *
Von einem lauten Quietschen wurde Laurent geweckt. Der Zug hatte angehalten, vor den Fenster waberte Schwärze, es war mitten in der Nacht und sie waren mitten im Nirgendwo. Sie?
Er stand auf, ging nach vorne und ihm fiel auf, das niemand mehr in seinem Wagen sass, niemand. Wo waren die Leute hin, die eben noch schweigend und rauchend in ihren Sesseln gehockt hatten, einige zeitungslesend und andere einfach vor sich hingammelnd?
Laurent hatte ein leicht unbehagliches Gefühl ihm Bauch, als er den nächsten Wagen betrat. Niemand. Der ganze Zug war leer und ausgestorben.
Keine Anzeichen von Menschen waren zu sehen, keine liegengebliebenen Fahrkarten, keine ausgelöschten Zigaretten, keine Zeitungen, keine eingedrückten Sitzpolster, kein Nichts. Niemand hatte je im Zug gesessen. Laurent wusste sich zu beruhigen, indem er langsam Ein- und Ausatmete, ein und aus.
Mit doch schon leicht schwachen und zitternden Knien, ging er nach vorne in die Zugmaschine, die schwarze Dampflokomotive, den Koloss aus Stahl und Eisen. Einen Chauffeur gab es nicht, stattdessen stand dort der Teufel selbst und er hatte ein zartes Instrument in seiner Hand, eine Geige, eine Geige die doch keine war und auch nie eine gewesen ist.
Dann fing er sachte auf ihr zu spielen an und als seine Stimme den leeren Zug durchflutete, brach Laurent in Tränen aus, denn das Lied erzählte sein Leben.
<<I'm a lonesome Man travellin' day 'n' night
i'm as lonesome as anyone ever can be
but tonight i'm free i'm free on the runaway train
the train to my heart and destiny.>>
Als die Melodie verstummte, kam der Zug in El Paradiso an.
* * * * * * * * * * * * *
Laurent stieg aus und Entsetzen übermannte ihn, als er den abscheulichen Ort sah, der vor ihm lag. Auf einem grossen, gelb vergilbten Schild stand die Aufschrift:
<<Willkommen in El Paradiso. Willkommen im Himmel.>>
So hatte sich Laurent den Himmel nicht vorgestellt, so stellt sich niemand den Himmel vor, so durfte der Himmel nicht sein, so konnte er nicht sein. So schrecklich.
Er wollte zurück nach El Pedrecho, zu den Leuten, die so abschätzig waren, wie man nur sein konnte; fort von diesem grauenvollen Ort, von dem er erwartete hätte, dass er das Paradies auf Erden wäre. Laurent stand am Bahnhof von El Paradiso und vertrieb sich die Wartezeit mit Wimmern und Schluchzen und indem er sich immer wieder die Hände vor die Augen schlug, um das Grauen nicht zu sehen.
Laurent wartete.
Und wartete.
Bis in alle Ewigkeit.
An einem dieser Orte, wo die Menschen einem aus müden Augen ansehen, den Blick abwenden, wenn man ihn erwiedert und dann schweigend ihres Weges ziehen.
An einem dieser Orte, wo Zeit keine Bedeutung hat, wo jeder vor sich hinlebt, bis sein bitteres Ende naht.
Laurent war nicht ein solcher Mensch, er war eigentlich nur per Zufall hier. Jetzt fragt man sich bestimmt, was Laurent an diesem gottverlassenen Ort zu suchen hatte, wo er doch so städtlich aussah, überhaupt nicht wie ein Landei, nein, im Gegenteil.
Verloren in Gedanken einer besseren Welt, einer besseren Zukunft und auf der Suche nach dem Glücklichsein, durchquerte er Dörfer, Städte, Länder, ja sogar ganze Kontinente. Er hatte es vor langer Zeit schon aufgegeben, für eine Versicherungsfirma den Lakai zu spielen, die endlos langen Gespräche mit schwierigen Kunden, die auch schwere Brieftaschen hatten und dadurch noch viel schwieriger wurden, gingen ihm gewaltig auf den Sack, wenn ich mich mal so ausdrücken darf.
An diesem Tag war sein Kopf befreit von all den Sorgen, Ängsten und Gefühlen, die sonst immer in ihm herumspukten. Er fühlte sich frei, nicht glücklich, aber zumindest frei. Das war schonmal ein Anfang. Sein hübsches Gesicht lächelte die wenigen Vorbeigehenden an und obwohl niemand sein Lächeln erwiederte, fühlte er sich angenehm frisch und gut gelaunt. Bahnhöfe waren nie schön, so wie auch dieser es nicht war, doch wenn man einen Zug erwischen wollte, musste man sich wohl oder übel an einem solchen Ort die Zeit vertreiben. Laurent vertrieb sich die Wartezeit mit seinem freundlichen Lächeln und gutgemeinten Sprüchen, aber die Menschen hier waren anders, grober, härter.
Schliesslich fischte er sich eine zerrissene, Jahre alte Zeitung aus einem Mülleimer und begann, darin herumzublättern. Es fiel ihm eine Schlagzeile auf der dritten Seite ins Auge, die mit grossen Lettern verkündete:
Wieder Überfall auf den El Paradiso Zug
Dutzende Reisende bestohlen und empört
Er las die Kolumne, obwohl sie ihn eigentlich nicht gross interessierte, obschon er auf den Zug nach eben diesem beschriebenen El Paradiso wartete.
Geld hatte er sowieso keines mehr, deshalb hatte er auch keine Angst, überfallen zu werden. Überfälle hatte er schon zur Genüge erlebt, in all den Jahren in denen er alleine von Stadt zu Stadt und von Land zu Land gezogen war. Einer mehr oder weniger, was machte das schon gross aus?
Laurent wartete.
* * * * * * * * * * * * *
Stampfend, pfeiffend und schnaubend, eine grosse schwarze Dampfwolke hinter sich herziehend, fuhr der Zug im Bahnhof von El Pedrecho ein.
Niemand stieg aus, niemand stieg ein, ausser Laurent, der sich munter auf die Stufen der Einstiege schwang und mit einem letzten Lächeln im Innern des kohlegetriebenen Stahlkolosses verschwand. Im Zug sassen nur spärlich Leute, sie sahen alle gleich aus, müde, mürrisch und mit einem finsteren Blick in die Leere gerichtet, als könnten sie dort etwas sehen, das noch kein Mensch je vor ihnen gesehen hatte. Laurent achtete kaum auf diese Leute, doch einer fiel ihm auf, er war gleich als die anderen, aber doch irgendwie anders. Neben ihn setzte er sich und nickte freundlich. Der Mann erwiederte sein Nicken kaum, oder nur so schwach, das Laurent es nicht erkennen konnte.
<<Guten Tag, Sir. Mein Name ist Laurent. Ich suche auf Reisen immer jemanden, mit dem ich eine gute Unterhaltung führen kann. Sie haben doch nichts dagegen?>>
<<Nein>> erwiderte der Mann, seine Pfeiffe nickte auf und ab, als er die Worte sprach. <<Ich habe nichts gegen ein Gespräch.>>
<<Fein. Ich bin Laurent.>> Er streckte dem Mann die Hand entgegen, doch dieser schüttelte sie nicht, stattdessen zündete er sich seine Pfeiffe neu an.
<<Entschuldigen Sie mein Benehmen, aber ich schüttle keine fremden Hände.>>
Der Qualm des Rauchgerätes stieg Laurent beissend in die Nase, aber er unterdrückte einen entsprechenden Kommentar. Dieser Mann war vielleicht der einzige Mensch hier, der mit ihm reden wollte.
<<Kein Problem. Es ist gut, vorsichtig zu sein.>>
<<Sie scheinen mir aber nicht allzu vorsichtig. Wissen Sie, meinem besten Freund wurde sie abgehackt, als er einem Fremden die Hand geben wollte.>>
Laurent sah den Mann einigermassen betroffen an, doch so sehr schockierte es ihn nicht, er hatte schon weit Schlimmeres gesehen. Trotzdem sagte er:
<<Das tut mir Leid. Es passiert viel Schlimmes auf der Welt und abgehackte Hände gehören sicherlich dazu.>>
Langsam fährt der Zug an, er schnaubt und stösst und quietscht und rattert. Das Gespräch zwischen Laurent und dem Mann verstummt kurz.
<<Wie lange dauert die Fahrt bis nach El Paradiso?>> fragte Laurent und der Mann sah ihn plötzlich ganz kalt an.
<<Lange>> sagte er. <<Lange, mein armer Junge, sehr lange.>>
Und das war das Letzte, was er zu Laurent jemals sagte.
* * * * * * * * * * * * *
Die Landschaft zog am Fenster vorbei, wie in einem Film, dessen Tonaufnahme so schlecht ist, das man nur ein Rattern und Dröhnen vernehmen kann.
Der Mann neben Laurent war schon lange verschwunden; so leise wie der Tag zur Nacht überwechselt hatte er sich davongeschlichen. Laurent hatte nicht einmal gemerkt, wie sich der Mann erhoben hatte und an ihm vorbei aus dem Abteil geeilt war.
Wieso hatte er sich so schnell von ihm entfernt, als er sein Reiseziel genannt hatte? Laurent wusste es natürlich nicht, wie sollte er auch erahnen, was ihn dort erwarten würde.
* * * * * * * * * * * * *
Dann kam der Überfall. Zwei Männer mit Sombreros, die so gross waren, das jeder Mexikaner im Zug vor Neid erblasste, stürmten durch den schmalen Korridor, zwischen den noch schmaleren Sitzen hindurch. Der Vordere war ein hagerer Typ mit einem dreckigen unrasierten Halsabschneidergesicht, in dessen Hand ein Cowboyhut war, in den man all seine Dollars werfen musste. Der Hintere sah irgendwie aus wie John Wayne, nur das er viel fetter war und sein Gesicht eine grosse Narbe zierte. Er hielt eine abgesägte Remington in der Hand, drückte den Lauf jedem Passagier grinsend unters Kinn, nickte und lächelte, bedankte sich sogar, wenn jemand sein sauer verdientes Geld im Hut des Anderen verschwinden liess. Die beiden klapperten den ganzen Zug ab, machten dreckige sexistische Witze und langten den Frauen an die Brüste.
Zu jedem kamen sie, jedem knöpften sie sein Geld ab, wirklich jedem, ausser zu Laurent kamen sie nicht. Als sie auf ihn zuschritten, hielt Laurent die letzten zwei Dollar, die er noch besass, in die Höhe und wollte sie dem Typ schon in den Hut werfen, als sie einfach an ihm vorbeigingen. Sahen ihn nicht einmal an, kein freches Grinsen, der Lauf zielte in die Luft statt unter sein Kinn, so als wäre er gar nicht da.
Und irgendwie war er tatsächlich nicht da, niemand beachtete ihn, niemand hatte zu ihm gesprochen ausser dem Mann, der ihn so hektisch aber doch völlig unauffällig verlassen hatte. Was, wenn der Mann gar nicht real gewesen ist? Was, wenn er selber gar nicht real war? Laurent kämpfte die Gedanken aus seinem Gehirn und sank zurück in das warme Polster des Sitzes.
* * * * * * * * * * * * *
Von einem lauten Quietschen wurde Laurent geweckt. Der Zug hatte angehalten, vor den Fenster waberte Schwärze, es war mitten in der Nacht und sie waren mitten im Nirgendwo. Sie?
Er stand auf, ging nach vorne und ihm fiel auf, das niemand mehr in seinem Wagen sass, niemand. Wo waren die Leute hin, die eben noch schweigend und rauchend in ihren Sesseln gehockt hatten, einige zeitungslesend und andere einfach vor sich hingammelnd?
Laurent hatte ein leicht unbehagliches Gefühl ihm Bauch, als er den nächsten Wagen betrat. Niemand. Der ganze Zug war leer und ausgestorben.
Keine Anzeichen von Menschen waren zu sehen, keine liegengebliebenen Fahrkarten, keine ausgelöschten Zigaretten, keine Zeitungen, keine eingedrückten Sitzpolster, kein Nichts. Niemand hatte je im Zug gesessen. Laurent wusste sich zu beruhigen, indem er langsam Ein- und Ausatmete, ein und aus.
Mit doch schon leicht schwachen und zitternden Knien, ging er nach vorne in die Zugmaschine, die schwarze Dampflokomotive, den Koloss aus Stahl und Eisen. Einen Chauffeur gab es nicht, stattdessen stand dort der Teufel selbst und er hatte ein zartes Instrument in seiner Hand, eine Geige, eine Geige die doch keine war und auch nie eine gewesen ist.
Dann fing er sachte auf ihr zu spielen an und als seine Stimme den leeren Zug durchflutete, brach Laurent in Tränen aus, denn das Lied erzählte sein Leben.
<<I'm a lonesome Man travellin' day 'n' night
i'm as lonesome as anyone ever can be
but tonight i'm free i'm free on the runaway train
the train to my heart and destiny.>>
Als die Melodie verstummte, kam der Zug in El Paradiso an.
* * * * * * * * * * * * *
Laurent stieg aus und Entsetzen übermannte ihn, als er den abscheulichen Ort sah, der vor ihm lag. Auf einem grossen, gelb vergilbten Schild stand die Aufschrift:
<<Willkommen in El Paradiso. Willkommen im Himmel.>>
So hatte sich Laurent den Himmel nicht vorgestellt, so stellt sich niemand den Himmel vor, so durfte der Himmel nicht sein, so konnte er nicht sein. So schrecklich.
Er wollte zurück nach El Pedrecho, zu den Leuten, die so abschätzig waren, wie man nur sein konnte; fort von diesem grauenvollen Ort, von dem er erwartete hätte, dass er das Paradies auf Erden wäre. Laurent stand am Bahnhof von El Paradiso und vertrieb sich die Wartezeit mit Wimmern und Schluchzen und indem er sich immer wieder die Hände vor die Augen schlug, um das Grauen nicht zu sehen.
Laurent wartete.
Und wartete.
Bis in alle Ewigkeit.