M-P
17.12.2006, 21:06
TODESQUALEN
Eine Kurzgeschichte von Horac Kamorac,
verfasst 1984 bei dem Versuch einen Roman zu schreiben
Der Tod kam durch’s Fenster, als Bob - ich nenne ihn Bob weil er es so wollte, obwohl er eigentlich ganz anders hieß - gerade dabei war seine Pflanzen zu gießen. Erschrocken lies Bob die Kanne Wasser fallen, mit dem er seine Pflanzen zu ertränken versuchte. Die Kanne schepperte zu Boden und hinterließ eine Lache von Nass auf dem sonst so polierten Linoleum, Wassermassen streckten sich zu allen Seiten und besudelten Bob’s Schuhe. Benommen taumelte er nach hinten, ein Ausdruck von verständnisloser Begriffsstutzigkeit zeichnete sich auf seinem Gesicht ab; und der Tod grinste dabei nur hämisch.
„Überrascht mich zu sehen, Bob?“, fragte der Tod diabolisch.
„Nein- Nein, das ist es nicht.“, antwortete ihm Bob wie ein Süchtiger im Wahn. Und das war es auch wirklich nicht, was Bob so schockiert hatte. „Deine- deine Klamotten.“ Nun war es raus, der Satz hing lose im Raum und schwankte zwischen den Emotionen. Aber es war schon was dran. Denn nicht das Erscheinen des Tods - was die meisten Menschen doch schon ein wenig eingeschüchtert und verängstigt hätte - hatte Bob so aus der Bahn geworfen, nein, es war vielmehr das Aussehen des Tods, welches das Wasser auf seinem Linoleum gefrieren lies.
Ich meine, wie stellt ihr euch so’n Tod vor? Skelett, Sense, schwarzes Cape, lakonische Musik, Sprüche unheilvollen Inhalts. Ja, so ungefähr.
Aber das hier war anders. Der Tod sah nicht etwa aus wie aus Frighteners, er sah mehr so aus wie ein dicker Urlauber mit Meterbart im Zenit seiner Jahre. Zu dem Meterbart trug er Sandalen und ein Acapulcoshirt. Und außerdem kam er langsam näher.
Schwer, schleppend und gefährlich glitt der Tod auf dem gefrorenen Wasser über das Linoleum in Bob’s Richtung. Dieser hielt schützend die Hände vor dem Gesicht, aus Angst beim Anblick des Dämons in seiner Garderobe zu erblinden.
Doch nichts geschah, kein Krachschepperbummbumm, kein grässliches Psychogefiepe von der Band, keine verstörende Fahrt hinab in das Reich des Todes. Einfach nichts.
Was war los? Warum passierte nichts? Fragen kreisten wie unheilvolle Raben des Unglücks in Bob’s Oberstübchen umher und nagten gierig in seinen Gedanken. Sie fraßen sich regelrecht durch das Hirnfleisch direkt in sein Nervenzentrum und dort schabten und pickten sie wie ein Uhrwerk. Und keine Antwort auf diese Fragen würde sich zeigen, wenn er nicht seine verdammten Hände runternehmen würde.
Doch konnte er es wagen? Was wenn der Tod ihn genau in einem Moment der Unachtsamkeit erwischen wollte? Was wenn der Tod genau vor seinem Handrücken lauerte, darauf wartend zubeißen zu können, sobald er seinen Schutz aufgab.
Nein, sagte er sich. Diesen scheiss Gefallen würde er ihm nicht tun, er würde warten, er würde erstarren in der Bewegung, wie ein Stein würde er bewegungsunfähig hier im Zimmer stehen, bis die schallenden Klänge des Untergangs ihn erreichten.
Wobei… wenn er jetzt darüber nachdachte, kam ihm das ziemlich dämlich vor. Wie er da so stand, wie ein altes Weib krankhaft verdreht posierte er wie für ein Bild der unendlichen Abscheulichkeit.
Verdammt, dachte er. Er kam wohl nicht umhin doch irgendetwas zu tun. Denn warum auf das Ende warten? Warum andere über einen bestimmen lassen? Wieso kampflos aufgeben? Das kam ihm noch viel dämlicher vor als das Andere. Darum wählte er die offensive Option.
Er kniff die Augen zusammen, riss die Hände herunter und stürzte sich nach vorne, bereit alles zu zerfetzen, was ihm im Wege sein würde.
Doch… er zerfetzte nur ein Kissen. Das merkte er daran, dass er zwei Kissenhälften in den Händen und einen Haufen Federn im Gesicht hatte.
„Bist du fertig?“ fragte der Tod amüsiert. Lässig lehnte er an der Wand und rauchte eine Zigarette.
„Wer bist du?“ Bob keuchte, die umherschwebenden Federn waren in seinen Hals geflogen und erschwerten ihm das Atmen.
„Kannst du dir das nicht denken?“
„Nein, nicht wirklich.“ Aber das stimmte nicht, Bob hatte nämlich nicht nur eine Ahnung, sondern er wusste mit wem er es zu tun hatte. Doch er wollte es nicht wahrhaben.
„Nun, dann will ich dich mal aufklären:
Ich bin Gevatter Tod und ich sammle aufgebrauchte Seelen aus kaputten Hüllen.“
„Und was willst du dann von mir? Ich erfreue mich bester Gesundheit.“ Bob grinste triumphierend, er hoffte mit Logik und gespielter Überlegenheit dem Tod entkommen zu können.
„Mag sein.“ Der Tod schnippte seine Zigarette weg und ging 2 Schritte scharf nach vorn, und diese Schritte waren so scharf, damit hätte man jemanden mit Leichtigkeit enthaupten können, er holte seinen Gehstock hervor und schlug zu.
Mit einem einzigen festen Hieb hatte er Bob die Kniescheiben zertrümmert. Bob schrie nur auf und ging sofort zu Boden, sich jämmerlich windend und winselnd kullerte er von A nach B und von B wieder zurück nach A. Gevatter Tod hingegen lachte nur feist und klopfte sich auf den Oberschenkel. „Tja, mein Lieber. Wie war das noch gleich mit bester Gesundheit?“
„Verdammtes Schwein.“
„Hey Mann, du musst das mal aus einem anderen Blickwinkel betrachten. Wenn ich dir jetzt noch den Schädel einschlage, ist es viel weniger Papierkram, auch für dich.“
„Fuck, ich will aber leben, verdammt!“
„Dann hättest du deinen Antrag auf Leben, welchen wir dir vor Monaten schon zugeschickt haben, rechtzeitig ausfüllen und in der dafür zuständigen Behörde abliefern müssen.“
„Aber das hab ich doch gemacht!
„Ja… tatsächlich. Und ich habe ihn hier bei mir, deinen Antrag, lass mich mal kurz sehen, ahja und wie’s aussieht ist Formblatt 2 bezüglich deines Aufenthalts im Diesseits unzureichend ausgefüllt.“
„Aber ich kann doch nicht wissen, wie alt ich noch werde!“
„Ich schon. Nicht älter als jetzt!“ Der Tod hob seinen mörderischen Gehstock zum vernichtenden Schlag.
„Moment! Moment! Was soll denn aus meiner Wohnung und meiner Familie werden?“
„Wird angeeignet und proaktiv an den zuständigen Vollzugsbeamten, das wäre dann ich, weitergeleitet.“
„Korruptes Arschlo-!“
Doch für Beschimpfungen war es zu spät, der Gehstock sauste auf Bobs Stirn nieder und zerschmetterte, was zu zerschmettern war.
Das Gute daran: Bob hatte es endlich hinter sich. Endlich! Nie wieder würde es ihm grausen vor der Post. Nie wieder würde er stundenlang irgendwelche Belege oder Unterlagen für die Berechtigung seiner Existenz suchen müssen, und er würde auch nie wieder die vierwöchentlichen Bearbeitungszeiten abwarten müssen.
Das Schlechte daran: Jetzt sah sich Bob gefangen in der unendlich langen Warteschleife vor dem Pass- und Meldewesen des Jenseits, der Unterwelt und dem Paradies. Er hatte die Nummer 4.385.570.119 gezogen und es hatten nur 2 von 10 Büros geöffnet…
Er seufzte.
Eine Kurzgeschichte von Horac Kamorac,
verfasst 1984 bei dem Versuch einen Roman zu schreiben
Der Tod kam durch’s Fenster, als Bob - ich nenne ihn Bob weil er es so wollte, obwohl er eigentlich ganz anders hieß - gerade dabei war seine Pflanzen zu gießen. Erschrocken lies Bob die Kanne Wasser fallen, mit dem er seine Pflanzen zu ertränken versuchte. Die Kanne schepperte zu Boden und hinterließ eine Lache von Nass auf dem sonst so polierten Linoleum, Wassermassen streckten sich zu allen Seiten und besudelten Bob’s Schuhe. Benommen taumelte er nach hinten, ein Ausdruck von verständnisloser Begriffsstutzigkeit zeichnete sich auf seinem Gesicht ab; und der Tod grinste dabei nur hämisch.
„Überrascht mich zu sehen, Bob?“, fragte der Tod diabolisch.
„Nein- Nein, das ist es nicht.“, antwortete ihm Bob wie ein Süchtiger im Wahn. Und das war es auch wirklich nicht, was Bob so schockiert hatte. „Deine- deine Klamotten.“ Nun war es raus, der Satz hing lose im Raum und schwankte zwischen den Emotionen. Aber es war schon was dran. Denn nicht das Erscheinen des Tods - was die meisten Menschen doch schon ein wenig eingeschüchtert und verängstigt hätte - hatte Bob so aus der Bahn geworfen, nein, es war vielmehr das Aussehen des Tods, welches das Wasser auf seinem Linoleum gefrieren lies.
Ich meine, wie stellt ihr euch so’n Tod vor? Skelett, Sense, schwarzes Cape, lakonische Musik, Sprüche unheilvollen Inhalts. Ja, so ungefähr.
Aber das hier war anders. Der Tod sah nicht etwa aus wie aus Frighteners, er sah mehr so aus wie ein dicker Urlauber mit Meterbart im Zenit seiner Jahre. Zu dem Meterbart trug er Sandalen und ein Acapulcoshirt. Und außerdem kam er langsam näher.
Schwer, schleppend und gefährlich glitt der Tod auf dem gefrorenen Wasser über das Linoleum in Bob’s Richtung. Dieser hielt schützend die Hände vor dem Gesicht, aus Angst beim Anblick des Dämons in seiner Garderobe zu erblinden.
Doch nichts geschah, kein Krachschepperbummbumm, kein grässliches Psychogefiepe von der Band, keine verstörende Fahrt hinab in das Reich des Todes. Einfach nichts.
Was war los? Warum passierte nichts? Fragen kreisten wie unheilvolle Raben des Unglücks in Bob’s Oberstübchen umher und nagten gierig in seinen Gedanken. Sie fraßen sich regelrecht durch das Hirnfleisch direkt in sein Nervenzentrum und dort schabten und pickten sie wie ein Uhrwerk. Und keine Antwort auf diese Fragen würde sich zeigen, wenn er nicht seine verdammten Hände runternehmen würde.
Doch konnte er es wagen? Was wenn der Tod ihn genau in einem Moment der Unachtsamkeit erwischen wollte? Was wenn der Tod genau vor seinem Handrücken lauerte, darauf wartend zubeißen zu können, sobald er seinen Schutz aufgab.
Nein, sagte er sich. Diesen scheiss Gefallen würde er ihm nicht tun, er würde warten, er würde erstarren in der Bewegung, wie ein Stein würde er bewegungsunfähig hier im Zimmer stehen, bis die schallenden Klänge des Untergangs ihn erreichten.
Wobei… wenn er jetzt darüber nachdachte, kam ihm das ziemlich dämlich vor. Wie er da so stand, wie ein altes Weib krankhaft verdreht posierte er wie für ein Bild der unendlichen Abscheulichkeit.
Verdammt, dachte er. Er kam wohl nicht umhin doch irgendetwas zu tun. Denn warum auf das Ende warten? Warum andere über einen bestimmen lassen? Wieso kampflos aufgeben? Das kam ihm noch viel dämlicher vor als das Andere. Darum wählte er die offensive Option.
Er kniff die Augen zusammen, riss die Hände herunter und stürzte sich nach vorne, bereit alles zu zerfetzen, was ihm im Wege sein würde.
Doch… er zerfetzte nur ein Kissen. Das merkte er daran, dass er zwei Kissenhälften in den Händen und einen Haufen Federn im Gesicht hatte.
„Bist du fertig?“ fragte der Tod amüsiert. Lässig lehnte er an der Wand und rauchte eine Zigarette.
„Wer bist du?“ Bob keuchte, die umherschwebenden Federn waren in seinen Hals geflogen und erschwerten ihm das Atmen.
„Kannst du dir das nicht denken?“
„Nein, nicht wirklich.“ Aber das stimmte nicht, Bob hatte nämlich nicht nur eine Ahnung, sondern er wusste mit wem er es zu tun hatte. Doch er wollte es nicht wahrhaben.
„Nun, dann will ich dich mal aufklären:
Ich bin Gevatter Tod und ich sammle aufgebrauchte Seelen aus kaputten Hüllen.“
„Und was willst du dann von mir? Ich erfreue mich bester Gesundheit.“ Bob grinste triumphierend, er hoffte mit Logik und gespielter Überlegenheit dem Tod entkommen zu können.
„Mag sein.“ Der Tod schnippte seine Zigarette weg und ging 2 Schritte scharf nach vorn, und diese Schritte waren so scharf, damit hätte man jemanden mit Leichtigkeit enthaupten können, er holte seinen Gehstock hervor und schlug zu.
Mit einem einzigen festen Hieb hatte er Bob die Kniescheiben zertrümmert. Bob schrie nur auf und ging sofort zu Boden, sich jämmerlich windend und winselnd kullerte er von A nach B und von B wieder zurück nach A. Gevatter Tod hingegen lachte nur feist und klopfte sich auf den Oberschenkel. „Tja, mein Lieber. Wie war das noch gleich mit bester Gesundheit?“
„Verdammtes Schwein.“
„Hey Mann, du musst das mal aus einem anderen Blickwinkel betrachten. Wenn ich dir jetzt noch den Schädel einschlage, ist es viel weniger Papierkram, auch für dich.“
„Fuck, ich will aber leben, verdammt!“
„Dann hättest du deinen Antrag auf Leben, welchen wir dir vor Monaten schon zugeschickt haben, rechtzeitig ausfüllen und in der dafür zuständigen Behörde abliefern müssen.“
„Aber das hab ich doch gemacht!
„Ja… tatsächlich. Und ich habe ihn hier bei mir, deinen Antrag, lass mich mal kurz sehen, ahja und wie’s aussieht ist Formblatt 2 bezüglich deines Aufenthalts im Diesseits unzureichend ausgefüllt.“
„Aber ich kann doch nicht wissen, wie alt ich noch werde!“
„Ich schon. Nicht älter als jetzt!“ Der Tod hob seinen mörderischen Gehstock zum vernichtenden Schlag.
„Moment! Moment! Was soll denn aus meiner Wohnung und meiner Familie werden?“
„Wird angeeignet und proaktiv an den zuständigen Vollzugsbeamten, das wäre dann ich, weitergeleitet.“
„Korruptes Arschlo-!“
Doch für Beschimpfungen war es zu spät, der Gehstock sauste auf Bobs Stirn nieder und zerschmetterte, was zu zerschmettern war.
Das Gute daran: Bob hatte es endlich hinter sich. Endlich! Nie wieder würde es ihm grausen vor der Post. Nie wieder würde er stundenlang irgendwelche Belege oder Unterlagen für die Berechtigung seiner Existenz suchen müssen, und er würde auch nie wieder die vierwöchentlichen Bearbeitungszeiten abwarten müssen.
Das Schlechte daran: Jetzt sah sich Bob gefangen in der unendlich langen Warteschleife vor dem Pass- und Meldewesen des Jenseits, der Unterwelt und dem Paradies. Er hatte die Nummer 4.385.570.119 gezogen und es hatten nur 2 von 10 Büros geöffnet…
Er seufzte.