derBenny
12.11.2006, 15:51
Ja, ich schreibe tatsächlich mal einen Beitrag im Atelier, wer hätte das Gedacht. Btw, das ist das 999. Thema im Atelier. Gibt's irgendeinen Preis, wenn man das 1000. aufmacht?
Totenwache
Es war etwa drei Uhr am Nachmittag und die Sonne stand jahreszeitlich bedingt schon so tief, dass ihr Licht einen warmen, orangefarbenen Ton annahm. Es würde aber noch einige Stunden dauern, bis sie hinter dem Horizont versinken würde, denn in diesen Breitengeraden zieht sich die Abenddämmerung relativ lange hin. Ein stürmischer Wind rauschte durch die Kronen der Bäume und fegte die gelben Blätter durch die Luft. Vor dem strahlend blauen Himmel versuchten sich einige dünne, faserige Wolken zu kumulieren, doch der Wind zerrte sie immer wieder auseinander.
Ich saß zurückgelehnt auf meinem Schreibtischstuhl und las in einem Buch. Mein Rücken war dem Fenster zugewandt, so dass das von den Bäumen auf der gegenüberliegenden Straßenseite zurückgeworfene Tageslicht über meine Schulter auf die Seiten des Buches fiel. Auf diese Weise blieb es mir erspart, eine Lampe anzuschalten. Ich schaltete nicht gerne tagsüber das Licht ein. Warum, das weiß ich nicht genau. Vielleicht um Energie zu sparen, oder einfach, weil es mir so beigebracht worden ist. Auf jeden Fall hatte ich mir vorgenommen, das Licht erst einzuschalten, wenn die anbrechende Abenddämmerung ein Weiterlesen ohne zusätzliche Beleuchtung unmöglich machte. Ich hatte gehört, dass es schlecht für die Augen sei, bei Dunkelheit zu lesen, daher war ich darauf bedacht, den richtigen Moment abzupassen, um das Licht einzuschalten.
Von dem Wind und dem aussichtslosen Überlebenskampf der Blätter bekam ich nicht viel mit. Vertieft in mein Buch blendete ich das Rauschen der Baumkronen aus und merkte zunächst nichts davon, dass es immer lauter wurde. Doch als eine starke Windböhe gegen die Wand des Hauses schlug und die Balken zum Ächzen brachte, horchte ich auf. In diesem Moment bemerkte ich auch, dass es sehr viel dunkler geworden war. Wahrscheinlich hatte sich bloß eine Wolke vor die Sonne geschoben, dachte ich und wartete einen Moment ab. Die Wolke würde weiterziehen und das Licht würde wiederkommen. Dafür die Lampe anzuschalten wäre lächerlich.
Doch das Licht kam nicht wieder. Es wurde immer dunkler und die schwarzen Schatten aus der hintersten Ecke meines Raumes breitete sich immer weiter aus. Die Buchstaben in meinem Buch konnte ich kaum noch entziffern, also legte ich es beiseite und beschloss, der Sache auf den Grund zu gehen. Ich stand auf und ging ans Fenster. Von dem blauen Himmel war nichts mehr übrig, er war pechschwarz. Draußen war es vollkommen dunkel, mit Ausnahme einiger schwacher Lichtschimmer in der Ferne, die aber ebensogut meiner Fantasie entsprungen sein könnten. Ich kniff die Augen zusammen und versuchte, die Konturen der Bäume auf der gegenüberliegenden Straßenseite zu entdecken, doch es gelang mir nicht. Ich wusste aber, dass sie da sein mussten, denn das Rauschen des Windes in ihren Kronen dröhnte in meinen Ohren. Inzwischen wurde es nicht mehr lauter, nahm aber auch nicht ab, sondern behielt eine gleichbleibende Lautstärke bei.
Es konnte doch nicht schon dunkel sein, dachte ich. So schnell geht die Sonne nicht unter. Verstört stolperte ich zu meiner Zimmertür. Als ich sie öffnete, schlug mir eine kalte, modrige Luft entgegen. Der Flur war schwach beleuchtet, obwohl ich keine Lichtquelle ausmachen konnte. Doch schon begann auch dieses Licht zu schwinden. Nicht etwa gleichmäßig, als würde jemand an einem Dimmer drehen, sondern ausgehend von der Treppe, die nach unten ins Erdgeschoss führte. Ein schwarzer Schatten wälzte sich die Wände entlang und verschlang den schwachen Schimmer. Der Schatten bewegte sich langsam durch den Flur auf mich zu und hatte fast die Spitze meines Fuß erreicht, da schlug ich die Tür zu und lehnte mich mit meinem ganzen Gewicht dagegen. Ich muss einige Minuten so verharrt haben, bis ich mich wieder beruhigt hatte. Ich wollte durch das Schlüsselloch kucken, um zu sehen, was auf dem Flur vor sich ging, doch zu groß war die Angst, dass mir die Dunkelheit entgegenstarren würde.
In meinem Zimmer war es ebenfalls vollkommen dunkel, aber immerhin lief die Heizung und rang erbittert mit der Kälte, die von draußen einzudringen versuchte. Immer wieder stemmte sich der Wind gegen das Haus, das ächzend und knirschend dagegenhielt. Jetzt, dachte ich, wäre der richtige Augenblick, um meine Lampe einzuschalten. Das warme Licht würde die Dunkelheit und die Angst vertreiben. Ich tastete auf dem Schreibtisch nach dem Schalter für die kleine Lampe. Endlich hatte ich ihn gefunden und legte ihn um. Es klickte, ein Kontakt wurde verbunden und innerhalb des Bruchteils einer Sekunde begann der elektrische Strom zu fließen. Doch was die Lampe erzeugte, war nicht das gewohnte, warme Licht, das mir schon durch so viele Nächte geholfen hatte. Es war ein fahles, weißes Licht, ähnlich dem des Mondes, aber doch von einer vollkommen anderen Natur. Es schien regelrecht aus der Lampe herauszufließen und breitete sich langsam und zäh auf dem Tisch aus. Ich konnte den Anblick dieses unnatürlichen, abartigen Lichts nicht ertragen und schaltete die Lampe angewidert aus. Der Lichtfleck auf dem Tisch breitete sich noch eine Weile lang aus und verschwand dann langsam wieder in der Dunkelheit. Ich wich so weit wie möglich von der Lampe mit ihrem giftigen Licht zurück und kauerte mich an die Heizung, die eine angenehme Wärme abstrahlte und so zumindest die Kälte von mir fernhielt.
Nach zwei Tagen starb meine Heizung. Als ich in der Dunkelheit aufwachte, war sie kalt. Während ich geschlafen hatte, hat sie ihre letzte Wärme an mich abgegeben und unbemerkt ihr Leben ausgehaucht. Lange Zeit noch blieb ich an ihrer Seite und hielt die Totenwache, bis ich schließlich ebenfalls einschlief und nicht wieder aufwachte.
Totenwache
Es war etwa drei Uhr am Nachmittag und die Sonne stand jahreszeitlich bedingt schon so tief, dass ihr Licht einen warmen, orangefarbenen Ton annahm. Es würde aber noch einige Stunden dauern, bis sie hinter dem Horizont versinken würde, denn in diesen Breitengeraden zieht sich die Abenddämmerung relativ lange hin. Ein stürmischer Wind rauschte durch die Kronen der Bäume und fegte die gelben Blätter durch die Luft. Vor dem strahlend blauen Himmel versuchten sich einige dünne, faserige Wolken zu kumulieren, doch der Wind zerrte sie immer wieder auseinander.
Ich saß zurückgelehnt auf meinem Schreibtischstuhl und las in einem Buch. Mein Rücken war dem Fenster zugewandt, so dass das von den Bäumen auf der gegenüberliegenden Straßenseite zurückgeworfene Tageslicht über meine Schulter auf die Seiten des Buches fiel. Auf diese Weise blieb es mir erspart, eine Lampe anzuschalten. Ich schaltete nicht gerne tagsüber das Licht ein. Warum, das weiß ich nicht genau. Vielleicht um Energie zu sparen, oder einfach, weil es mir so beigebracht worden ist. Auf jeden Fall hatte ich mir vorgenommen, das Licht erst einzuschalten, wenn die anbrechende Abenddämmerung ein Weiterlesen ohne zusätzliche Beleuchtung unmöglich machte. Ich hatte gehört, dass es schlecht für die Augen sei, bei Dunkelheit zu lesen, daher war ich darauf bedacht, den richtigen Moment abzupassen, um das Licht einzuschalten.
Von dem Wind und dem aussichtslosen Überlebenskampf der Blätter bekam ich nicht viel mit. Vertieft in mein Buch blendete ich das Rauschen der Baumkronen aus und merkte zunächst nichts davon, dass es immer lauter wurde. Doch als eine starke Windböhe gegen die Wand des Hauses schlug und die Balken zum Ächzen brachte, horchte ich auf. In diesem Moment bemerkte ich auch, dass es sehr viel dunkler geworden war. Wahrscheinlich hatte sich bloß eine Wolke vor die Sonne geschoben, dachte ich und wartete einen Moment ab. Die Wolke würde weiterziehen und das Licht würde wiederkommen. Dafür die Lampe anzuschalten wäre lächerlich.
Doch das Licht kam nicht wieder. Es wurde immer dunkler und die schwarzen Schatten aus der hintersten Ecke meines Raumes breitete sich immer weiter aus. Die Buchstaben in meinem Buch konnte ich kaum noch entziffern, also legte ich es beiseite und beschloss, der Sache auf den Grund zu gehen. Ich stand auf und ging ans Fenster. Von dem blauen Himmel war nichts mehr übrig, er war pechschwarz. Draußen war es vollkommen dunkel, mit Ausnahme einiger schwacher Lichtschimmer in der Ferne, die aber ebensogut meiner Fantasie entsprungen sein könnten. Ich kniff die Augen zusammen und versuchte, die Konturen der Bäume auf der gegenüberliegenden Straßenseite zu entdecken, doch es gelang mir nicht. Ich wusste aber, dass sie da sein mussten, denn das Rauschen des Windes in ihren Kronen dröhnte in meinen Ohren. Inzwischen wurde es nicht mehr lauter, nahm aber auch nicht ab, sondern behielt eine gleichbleibende Lautstärke bei.
Es konnte doch nicht schon dunkel sein, dachte ich. So schnell geht die Sonne nicht unter. Verstört stolperte ich zu meiner Zimmertür. Als ich sie öffnete, schlug mir eine kalte, modrige Luft entgegen. Der Flur war schwach beleuchtet, obwohl ich keine Lichtquelle ausmachen konnte. Doch schon begann auch dieses Licht zu schwinden. Nicht etwa gleichmäßig, als würde jemand an einem Dimmer drehen, sondern ausgehend von der Treppe, die nach unten ins Erdgeschoss führte. Ein schwarzer Schatten wälzte sich die Wände entlang und verschlang den schwachen Schimmer. Der Schatten bewegte sich langsam durch den Flur auf mich zu und hatte fast die Spitze meines Fuß erreicht, da schlug ich die Tür zu und lehnte mich mit meinem ganzen Gewicht dagegen. Ich muss einige Minuten so verharrt haben, bis ich mich wieder beruhigt hatte. Ich wollte durch das Schlüsselloch kucken, um zu sehen, was auf dem Flur vor sich ging, doch zu groß war die Angst, dass mir die Dunkelheit entgegenstarren würde.
In meinem Zimmer war es ebenfalls vollkommen dunkel, aber immerhin lief die Heizung und rang erbittert mit der Kälte, die von draußen einzudringen versuchte. Immer wieder stemmte sich der Wind gegen das Haus, das ächzend und knirschend dagegenhielt. Jetzt, dachte ich, wäre der richtige Augenblick, um meine Lampe einzuschalten. Das warme Licht würde die Dunkelheit und die Angst vertreiben. Ich tastete auf dem Schreibtisch nach dem Schalter für die kleine Lampe. Endlich hatte ich ihn gefunden und legte ihn um. Es klickte, ein Kontakt wurde verbunden und innerhalb des Bruchteils einer Sekunde begann der elektrische Strom zu fließen. Doch was die Lampe erzeugte, war nicht das gewohnte, warme Licht, das mir schon durch so viele Nächte geholfen hatte. Es war ein fahles, weißes Licht, ähnlich dem des Mondes, aber doch von einer vollkommen anderen Natur. Es schien regelrecht aus der Lampe herauszufließen und breitete sich langsam und zäh auf dem Tisch aus. Ich konnte den Anblick dieses unnatürlichen, abartigen Lichts nicht ertragen und schaltete die Lampe angewidert aus. Der Lichtfleck auf dem Tisch breitete sich noch eine Weile lang aus und verschwand dann langsam wieder in der Dunkelheit. Ich wich so weit wie möglich von der Lampe mit ihrem giftigen Licht zurück und kauerte mich an die Heizung, die eine angenehme Wärme abstrahlte und so zumindest die Kälte von mir fernhielt.
Nach zwei Tagen starb meine Heizung. Als ich in der Dunkelheit aufwachte, war sie kalt. Während ich geschlafen hatte, hat sie ihre letzte Wärme an mich abgegeben und unbemerkt ihr Leben ausgehaucht. Lange Zeit noch blieb ich an ihrer Seite und hielt die Totenwache, bis ich schließlich ebenfalls einschlief und nicht wieder aufwachte.