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Scarecrow
30.10.2006, 19:13
... oder doch nicht?
Cip meinte, ich solls mal posten. Zwei Kurze Kurze.


Ich wurde gefragt, ob ich leben will

Der Tag vor dem Sonntag. Der Tag, an dem es immer passiert. Ohne Ausnahme.
Billy, Sam, Jonas und ich sitzen wie immer zur gemütlichen Pokerrunde beisammen. Sam hat bereits das dritte Full House und die Luft im Sackhaus wird von den Dämpfen bereits stickig.
Die Gesichter sind angespannt.
Ein Blick in die Runde. Stille.
Einsatz erhöht. Billy passt, der Rest geht mit.
Dann erbebt der Raum und wir wissen, was nun passieren wird. Irgendwo heulen Sirenen, stöhnen und ächzen Verstrebungen und Verbindungen.
„Mist“, murrt Jonas. „Jedes Mal derselbe Dreck. Schwimmen und Gehetzt werden. Wurdet ihr schon mal gefragt, ob ihr eigentlich wollt? Hat euch schon einmal, ein einziges Mal nur, jemand gefragt, ob ihr teilnehmen wollt.“
Alle verneinen, stürzen aus dem Pokerraum und begeben sich in Angriffsposition.
Ich will gerade springen, da packt mich etwas von hinten und ein weißes Licht, das alles überstrahlt, hüllt mich ein. Die Zeit bleibt stehen, meine Kameraden erstarren in ihren Bewegungen.
Eine donnernde Stimme erhebt sich aus dem Off und ich habe das Gefühl, mit einem Mal zu Nichts zu zerfallen.
„Du hast die Chance“, sagt sie. „Du wirst heute der Schnellste sein. Du wirst alle überholen und den Stich machen. Du, mein junger Freund, hast heute die Möglichkeit, zu etwas zu werden.
Und ich frage dich: Willst du leben?“
Der Nachhall der Worte lassen die Kammern erzittern, die zu Statuen verdammten Kameraden schwanken.
Die Entscheidung liegt bei mir und ich muss mich beeilen. Ich spüre ein neues Gefühl, dass ich nicht mit Pokern vergleichen kann. Hoffnung?
Ich sage: „Ja, ich will leben.“
Das Licht wird heller, jemand lacht. „Gut, mein Freund, gut. Geh voran, trau dich. Du wirst leben.“
Und damit verschwindet das Licht, die Stimme, die Starre.
Ich springe in die Bahn, überhole meine Pokerfreunde und rase vorwärts. Als ich an Jonas vorbeikomme, schreie ich ihm in heller Begeisterung zu.
„Sie haben mich gefragt! Jonas, ich wurde gefragt!“
Ich werde nur komisch angesehen, beschleunige zu unglaublicher Geschwindigkeit, ziehe dann an alles und jedem vorbei.
In der Ferne sehe ich mein Ziel. Ich werde es schaffen.
Ich werde leben.


Kein Märchenprinz

Wenn die Prinzessin aus ihrem ewigen Schlaf erwacht und dann nicht die feuchten Lippen ihres geliebten, herbeigesehnten, Prinzen nicht auf den ihren ruhen, so ist mit Sicherheit etwas faul.
Abgesehen von der Tatsache, dass es ohnehin Schwachsinn ist, sich in einen hohen Turm sperren zu lassen und sich irgendwann aus Langeweile schlafen zu legen, nur, damit man von einem, angeblich herrlichen und einzigartigen Mann, wach geküsst wird, zerplatzt dann jeder Traum wie eine Seifenblase, wenn man als Prinzessin nicht von dem Kuss sondern dem Gestank des Heroen geweckt wird.
Die Prinzessin öffnet also ihre himmelblauen Augen und sieht sich in ihrem Gefängnis um, rein schon von der Tatsache enttäuscht, dass sie nicht geküsst wurde, noch dazu ziemlich irritiert von dem verwesenden Geruch, der in ihrer Liebesburg Einzug hält, erblickt dann vor ihrem Himmelbett den leicht abscheulichen „Prinzen“.
Spätestens jetzt verlieren sich die (Gott sei Dank) noch unausgesprochenen Worte des Dankes und das überschwängliche Geschwafel von Heirat und Liebe - irgendwo auf dem Weg zwischen Hirn und Zwerchfell.
Die Zunge, eben noch bereit, sich in den Mund des Geliebten zu schieben, schnalzt kurz, als sie auf den Mundboden aufklatscht. Das Geräusch hallt durch das spartanische Zimmer und wirft den Sessel um, der vor kurzem noch vor dem Spiegel gestanden ist.
Dann ist da kurz diese Ruhe, die nicht nur vor dem Sturm käme, sondern ihn auch noch vertreiben würde. Und nun?
Tja, jetzt kommt der Sprechansatz des Prinzen, den man als Unbeteiligter fast für den heldenhaften Versuch halten könnte, eine Konversationsbasis zu schaffen.
Aber eben nur fast.
„Hallo.“
Die Stimme des Prinzen kommt irgendwo zwischen ‚wollen aber nicht können’ und dem Geächze einer australischen Seegurke bei hohem Wellengang daher; unerklärlicherweise fallen plötzlich sechsundneunzig Fliegen von der Decke und sind tot, während sich im Zimmer eine Art neue Klimazone bildet.
An Flucht ist nicht zu denken; derartiges war auch in der Planung des Ganzen nie in Erwägung gezogen worden. Na Prinzessin, was tust du nun?
Hast lange gewartet, geschlafen, dich frisiert, vielleicht ab und zu einmal Hand an dich selbst gelegt, und jetzt?
Die Antwort: „(Oh Gott), äh … hallo“, klingt komisch, weil sie sich die Nase zuhält und gleichzeitig mit der anderen versucht, das vergitterte Fenster zu öffnen. Aber der hässliche Prinz freut sich über den ersten Schritt und tritt näher. Im schräg einfallenden Licht sieht diese Szene aus, wie ein Verschnitt aus Nosferatu, nur um vieles grausamer und gruseliger.
Als Unbeteiligter weiß man ja, was geschehen wird. Der Kuss wird kommen, wie noch vieles andere kommen wird. Nur die Prinzessin wird nicht sehr erfreut darüber sein.
Was kann man da nur machen. Ich weiß, was jetzt alle bei dem Anblick der weinenden, sich am Fenster vergreifenden holden Jungfrau denken werden. Dem Bastard würde ich’s zeigen und das Mädel einstreifen.
Wie recht, also durch die Mauer rein, vielleicht mit Flügel, einer geladenen 357er und der unglaublichsten Stimme seit erfinden der unterschwelligen Sexbotschaften.
„Halte durch, o holde Magd, ich werde dich von diesem Ungeheuer befreien.“
Ihr Gesicht wird sich ob deiner Schönheit erhellen, sie wird Hoffnung schöpfen und du, du wirst dem Gestank dank Atemschutzmaske trotzen, den Unhold zu Boden stoßen, ihm die 357er an seinen verschwitzten, verlausten Kopf halten und abdrücken.
Das Geräusch wird durch den Raum hallen und der Stuhl, der vormals vor dem Spiegel gestanden ist und nunmehr am Boden liegt, wird zerbrechen.
Und dann?
Dann wirst du auf sie zugehen, aber verblassen, weil ihr, du und sie und auch dieses stinkende Etwas, ja ihr alle, nicht mehr als ein verfluchter Traum seid.
Mädchen, scheiß doch auf den Märchenprinzen.

Hänsel
31.10.2006, 16:34
also mit der ersten Geschichte komme ich nicht zurecht, sie missfällt mir. Kann aber nicht festmachen woran das liegt.

Die zweite finde ich besser, hat irgendwie was vom Schreibstil mit den ganzen Fragen usw., allein einige Witze sind zu aufgesetzt, zB. dieses Seegurkending oder so, aber der Schlusssatz entschädigt vieles.