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NeoInferno
30.10.2006, 13:33
Hier mal wieder eine etwas andere Geschichte von mir. Intention sollte diesmal klar verständlich sein, zur Geschichte und zum Stil sag ich später mal noch was ;)

Montag

Montag.
Weckerklingeln. Künstliche Ziffern blinken schadensfroh, zerstören Traumfetzen und Wärme. Aus innerem Groll wird Einsicht in Notwendigkeit. Die Gedanken schlafen weiter, der Körper vollführt Instinkthandlungen. Die Umkehr der Evolution in zehn Sekunden, die Rückkehr zum Höhlenleben.
Bad, Küche, Wohnzimmer, Morgennachrichten, Bombenanschläge, Steuererhöhungen. Gleichgültigkeit, die nach Kaffee schmeckt. Die Uhr rennt, der Kopf schmerzt, der Magen rebelliert vor Koffein und Aspirin.

Angezogen in zwei Minuten, noch acht bis der Zug einfährt, voraussichtlich vierzig weitere Minuten Fahren und Warten, Warten und Fahren. Die Füße laufen während der Kopf rechnet, sich müde durch die Zahlen des Morgens arbeitet. Kälte brennt im Gesicht.

Monotones Rattern erzählt Geschichten vom Schlafmangel, ein Espresso kämpft gegen die verschwimmende Schrift der Aktienkurse. Er verliert, der Körper gewinnt zehn Minuten Schlaf. Die Ankunft verzögert sich, der Verlust von fünf Minuten schmerzt.

Der Bahnhof erbricht Menschen, atonale Durchsagen kreischen Unverständliches, Füße rennen schuldbewusst, aber vergebens. Hektik verwandelt Blut in Adrenalin - man könnte so viel schneller sein, so viel schneller.

Das Arbeiten gleicht einem Uhrwerk, exakt, gewissenhaft, effizient. Mechanische Bewegungen ersparen überflüssiges Denken. Die Zeit fliegt der nächsten Pause entgegen, dem nächsten Kaffee. Belanglosigkeiten werden in Worten verpackt – man redet nicht, man wartet. Die Akten immer im Augenwinkel, sie lauern, mustern tadelnd die Uhr.

Überstunden fressen Zeit, selbstverständlich wie das Atmen. Erinnerungen an Müdigkeit werden in Espresso ertränkt. Die Zeit fliegt weiter, immer weiter.

Zu Hause wird heute das Morgen vorbereitet, morgen das Übermorgen. Selbstverständlich. Die Uhr zeigt Nacht, aber auch: Arbeiten, der Zeit voraus sein.

Bald ist ein neues Auto drin, ein Haus vielleicht. Sechs Tage, 52 Wochen, einige Jahre noch. Die letzten Gedanken bevor der Körper vor dem Schlaf kapituliert.

Die Nacht, nur ein Augenzwinkern.

Dienstag.
Weckerklingeln.

kate@net
31.10.2006, 13:40
Also die Intention ist wohl wirklich diesmal verständlich *g* was mir gut gefallen hat, ist das sie irgednwie vom Schreibstil noch unterstrichen wurde. Liest sich wirklich toll. Für eine längere geschichte wäre der Stil zwar nicht so mein Ding, aber bei der Geschichte hats einfach super gewirkt. Irgendwie kam mir der Stil aber bekannt vor. ich glaube zwar in einem anderen Zusammenhang, aber so was ähnliches habe ich sicher schon im Deutschunterricht gelesen. Darüber muss ich aber noch grübeln. Wenns mir einfällt kann ich dich ja per pm fragen, ob du schon was von dem gelesen hast. Oder ich täusche mich ... naja egal.
ich fands jedenfalls gelungen. Wenn mir noch was negatives auffällt editier ich das rein^^

NeoInferno
31.10.2006, 14:35
"was mir gut gefallen hat, ist das sie irgednwie vom Schreibstil noch unterstrichen wurde. Liest sich wirklich toll."
- Genau das wollte ich mit diesem "Experiment" erreichen, die Einheit von Intention und Stil, der zugegebener Maßen sehr extrem auf die Geschichte abgerichtet ist und deswegen wohl nix für andere Texte ist. Ich verwende hauptsächlich Hauptsätze, Aufzählungen, Substantive, wenig Adjektive oder Variationen. Also genau das, worum es in der Geschichte geht.

Schön, dass es zumindest für dich funktioniert hat :)

PS: Alle anderen sollen sich nicht wundern wieso ich so selten im Forum bin und kaum kommentiere, hab grad wieder kein Internet und kann entsprechend nicht so oft hier vorbeischauen :( Aber wozu gibts langweilige Uni-Vorlesungen und WLAN-Netze ;)

Scarecrow
31.10.2006, 15:29
Tach NeoInferno!

Also mir hat deine kleine Geschichte sehr gut gefallen. Jetzt nicht, weil hier grüßeres dahintersteckt, sondern wegen der Einfachheit.
Du hast auch einige tolle Metaphern dabei, wie:


Aus innerem Groll wird Einsicht in Notwendigkeit.

Belanglosigkeiten werden in Worten verpackt – man redet nicht, man wartet.

Zu Hause wird heute das Morgen vorbereitet, morgen das Übermorgen.

In deinem kleinen Werk stehen soviele Wahrheiten drin und irgendwie spürt man die Ausweglosigkeit aus der Routine, die aus allem spricht.

Zum Stil ist nicht viel zu sagen, sehr gefallen haben mir die Überleitungen von einem Wort am Satzende, das gleichzeitig den Anfang des neuen Satzes bildet. Wie ein flüssiger Szenenwechsel im Film, der gut funktioniert und irgendwie elegant, surreal ist.

Grüße

Hänsel
31.10.2006, 16:39
das Meiste wurde eigentlich schon gesagt. Wollte trotzdem mich selbst noch zu Wort melden und mitteilen, dass mir die Geschichte auch gut gefallen hat.
Ist ganz schön zu lesen, wobei es mittlerweile nicht mehr all zu innovativ ist uns unseren monotonen Alltag vorzuhalten.
Außerdem nervt mich das Espresso- und Kaffegesaufe. Das hält doch kein Mensch aus, der Kollaps droht spätestens nach der vierten Tasse.

Cyberwoolf
31.10.2006, 21:47
Nun ja, was soll ich sagen? Die Geschichte liest sich so, wie es wohl beabsichtigt ist. An sich schön, eine Gesellschaftsstudie ohne großes Anprangern, aber mit vielen Hintergedanken. In wenigen Sätzen wird durch den Tag gehetzt und dabei auch gleich durch's ganze restliche Leben.


Künstliche Ziffern

Äääähm, ja. Gibt es sonst noch irgendwelche Ziffern? Die Intention ist klar, aber die Künstlichkeit wäre an anderer Stelle sicher besser aufgehoben gewesen.


Aus innerem Groll wird Einsicht in Notwendigkeit.

Aha. Tja. Momentan bin ich fieberhaft am Überlegen, ob es sowas wie "Einsicht in Notwendigkeit" gibt, kann mir aber beim besten Willen nicht vorstellen, was es heißen soll. Ich nehme mal an, dass es als Wortspiel gedacht war, aus der Einsichtigkeit wird das Einsehen von etwas, wobei mir die Notwendigkeit in diesem Zusammenhang doch mehr als merkwürdig erscheint. Möglicherweise hast du die beiden Begriffe auch nur vermischt.

Insgesamt muss ich sagen, dass mir beim Lesen vieles sehr bekannt vorgekommen ist, vieles habe ich schon einmal gelesen. Nichtsdestotrotz waren doch viele einfallsreiche und sprachlich wunderschöne Wendungen zu finden, was die Geschichte wiederum lesenswert macht.

btw.: Wenn ich von sprachlicher Schönheit spreche oder schreibe, muss ich irgendwie immer an das von wequila geschaffene "marterfahle Licht" denken, für mich der Inbegriff des Einfallsreichtums. Genie und Wahnsinn liegen eben doch nahe beieinander. :)

NeoInferno
02.11.2006, 10:17
"Außerdem nervt mich das Espresso- und Kaffegesaufe"
- Im Arbeitsleben, und vor allem in dem von mir geschilderten ist das aber ohne gar nicht zu schaffen ;)

"Äääähm, ja. Gibt es sonst noch irgendwelche Ziffern?"
- Sollen Digitalziffern eines Weckers darstellen. Und gegen die sind z.B. die Ziffern einer alten analogen Uhr doch etwas weniger künstlich, oder?

"Momentan bin ich fieberhaft am Überlegen, ob es sowas wie "Einsicht in Notwendigkeit" gibt"
- Ähm ja gibt es und nein, es ist kein Wortspiel sondern genau das, was dort steht. Verstehe nicht ganz dein Problem. Der Prot sieht ein, dass das Aufstehen notwendig ist -> Einsicht in die Notwendigkeit des Aufstehens und zur Arbeit gehens. Ganz eindeutig.

Vielen Dank für das viele Lob, das bei der Geschichte imho ja nicht selbstverständlich ist. Innovativ mag es nicht sein, aber es ist genau das, was ich damit tun wollte, das reicht mir. :)

Neo

toho
03.11.2006, 00:57
Innovativ mag es nicht sein, aber es ist genau das, was ich damit tun wollte, das reicht mir. :)

Neo

das ist alles, was wichtig ist...