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Archiv verlassen und diese Seite im Standarddesign anzeigen : Block 17



deserted-monkey
27.10.2006, 09:05
Prolog

Mit 8 rauchte ich meine erste Zigarette.
Mit 11 rauchte ich das erste Mal Haschisch, damals noch mit meinem besten Freund Silly.
Mit 13 wurde ich schwanger.
Mit 14 rauchte ich das erste Mal Folie.
Mit 16 war ich kaputt, verloren, nahezu tot.

Das Leben war noch nie einfach gewesen.
Vor allem nicht wenn man hier lebte, wo ich lebe.
Alle nannten ihn den Block 17, ein grauer verwahrloster Betonblock am Rande der Grossstadt. Normale Leute mieden ihn, warfen nicht einmal im Vorbeigehen einen Blick darauf, Drogensüchtige, Dealer, Verbrecher, alle Art von menschlichem Abschaum, liebten ihn. Lieben? Nein, das war das falsche Wort. Einen solchen Ort konnte man nicht lieben.
Der Block 17 stand an einer Strasse, deren Name nicht einmal ich kannte. Aber alle wussten, wo der Block 17 war. Die Bullen trauten sich nicht hinein, kein normaler Mensch würde auch nur einen Fuss in das Gebäude setzen.
Drinnen stank es nach Pisse, Scheisse und Tod und Krankheit. Die Menschen, die dort lebten, hatten sich schon lange an den Gestank gewöhnt, aber jemand, der noch nie drin gewesen war, würde rückwärts aus den Latschen kippen.
Der Gestank war betäubend, benebelte einen, auch ohne Drogen eingenommen zu haben, doch auch daran gewöhnten sich die Leute. Irgendwann gewöhnt man sich an alles, wenn man es nur lange genug aushaltet.
Viele Fenster des Block 17 waren eingeschlagen, kaputt, und der Wind pfiff durch das ganze Gebäude. Wer schlau war, nagelte die Löcher mit Brettern zu, wer noch schlauer war, stürzte sich aus dem Fenster und brachte sich um.
Das Dach hatte Löcher, wenn es stark regnete, waren die unteren Stöcke des Blocks überflutet. Ich musste nach oben, wenn das Wasser kam, zu den Dealern, zu den anderen Junkies, zu den Verbechern.
Gewalt war an der Tagesordnung im Block 17. Vergewaltigungen, Mord, Raub und Diebstahl, all das, doch niemand konnte dagegen etwas unternehmen. Auch an diese Zustände gewöhnten sich die Leute, mehr oder weniger.
Wenn jemand neu war im Block, erkannte man das sofort. Wer auf dem Flur wilde Blicke in alle Richtungen warf, wer ängstlich und angewidert über die Halbtoten hinwegstieg, wer die Nase rümpfte ab dem Gestank der herrschte, der war neu im Block 17.
Auch ich war einmal neu gewesen, jeder war das einmal.
Dies soll nun meine Geschichte und das Schicksal vier anderer Personen erzählen.
Die Geschichte beginnt mit Silvio, genannt Silly, dem Träumer.

Die Geschichte von Silly dem Träumer

Die Geschichte beginnt in der Herrentoilette des Dr. Herren-Schulhauses, welches unweit des Stadtzentrums steht. Silly, ein 12 jähriger Junge, den alle nur den Träumer nannten, sass zusammengekauert in einer Ecke und weinte.
Die „Grossen“, wie er sie immer nannte, hatten ihm vor wenigen Augenblicken seine Lunchbox geklaut und ausserdem hatten sie ihn „gespült“.
„Gespült werden“ war keine lustige Angelegenheit. Meistens gingen 2-3 Jugendliche auf einen Schwächeren los, zerrten ihn in die Toilette, hielten seinen Kopf in die Schüssel (wenn es hart kam, pissten sie vorher noch oder schissen einen richtig dicken Klumpen widerlicher Scheisse hinein) und spülten.
Das „Spülen“ war an der Dr. Herren-Schule gang und gäbe.
Wenn man Opfer des „Spülens“ wurde und danach zu den Lehrern rannte, hatte man nach der Schule ein Problem. Die „Spüler“ schlugen einen windelweich.
Die „Spüler“ an der Dr. Herren-Schule waren 4 Typen, die sich gerne auch die „Killer-Crew“ nannten, alle um die 16 Jahre alt und entweder fett oder kräftig gebaut. Gegen sie hatte man keine Chance, jedenfalls nicht, wenn man einen Körperbau wie Silly hatte.
Silly war klein und dünn, um nicht schon zu sagen mager, und hatte blondes kurz geschnittenes Haar, das so fettig war, das es in der Sonne glänzte.
Silly hatte es schwer in der Schule, er hatte es schon immer schwer gehabt.
Alle hänselten ihn, schikanierten ihn wo es nur ging. Er hatte keine Freunde und schaute meistens abwesend auf den Boden, weshalb er der Träumer genannt wurde.
Silly sass an diesem Tag, ein beschissener Tag wie immer, zusammengekauert in der Ecke und dass stinkende Wasser tropfte ihm vom Kopf.
Es war nicht das erste Mal, das er „gespült“ worden war, aber diesmal war es schlimm gewesen. Sonny, ein dicker hässlicher Fettklops, hatte ihn mit einem breiten Grinsen an den Haaren auf die Toilette gezerrt, wo die anderen „Spüler“ schon auf ihn warteten.
„Ich hab gerade geschissen, Kleiner.“, sagte King, ein kräftig gebauter, glatzköpfiger Junge. „Willst du meine Scheisse schmecken? Ich hatte Durchfall, Mann-o-Mann ist das eine Sauerei.“
Die Türe zur Toilette stand schon offen und ein widerlicher Gestank schlug Silly entgegen. Die anderen grinsten, ihre Augen funkelten, als hätten sie die grösste Freude daran, ihm so etwas widerwärtiges anzutun. Das hatten sie wahrscheinlich aber auch.
Silly versuchte nicht, sich zu wehren, er würde sich nur eine Faust einfangen, also liess er sich einfach mitzerren.
Sie führten ihn in die Toilettenkabine. Die ganze Schüssel war verschissen mit brauner, gelber und grünlicher Scheisse, die sogar am Rand klebte.
„Runter mit seinem Kopf!“, brüllte King. „Spült den •••••••!“
Sillys Kopf wurde von starken Händen nach unten gedrückt. Der Gestank schlug ihm entgegen wie eine Welle. Er versuchte nicht einzuatmen, aber er musste.
Mit einem Krächzen übergab er sich in die Toilette.
„Haha! Der kotzt hier alles voll!“, Sonnys Stimme, wie durch Watte, von weit her. „Drück den Abzug!“
Dann kam das Wasser, es sprudelte ihm in die Nase, in den Mund, es war überall. Nach einer Ewigkeit hörte es auf. Sein Kopf wurde an den Haaren aus der Schüssel gezogen, auf den Rand geschlagen und dann war er frei.
Schmerz explodierte in Sillys Kopf, er spürte wie dünnes Blut an seinem Kopf herabsickerte und sich mit dem Toilettenwasser vermischte.
Er hievte sich auf den Toilettenrand und versuchte aufzustehen. Seine Knie zitterten und er konnte kaum gehen. Nach vier Schritten brach er zusammen und dann schossen ihm die Tränen in die Augen. „Armseliger Schwanzlutscher!“, sagte Sonny noch und dann waren sie verschwunden.
Silly blieb zusammengekauert am Boden zurück, er blieb lange und weinte und der Hass ihn ihm wurde von Sekunde zu Sekunde grösser.

An diesem Tag verliess Silly die Schule früher als gewohnt.
Er würde nicht nach Hause gehen, er würde nie mehr in die Schule gehen, er würde sich umbringen.
Diesen Entschluss hatte er eigentlich schon länger gefasst, hatte ihn aber nie umsetzen können. Doch heute würde es klappen, heute würde er es tun ohne zu Zögern.
Er nahm den Bus Richtung Stadtrand, dort gab es eine hohe Brücke über den Fluss, dort würde er es tun. Silly sass im Bus, die Leute schauten ihn an, als wäre er gerade von einem anderen Planeten aus dem All gelandet und er stank zum Himmel.
Der Typ neben ihm, ein fettleibiger Geschäftsmann, hielt sich die Nase zu und wendete sich angewidert ab. „Geh mal wieder duschen, du Junkie!“, sagte eine ältere Frau schrill hinter ihm.
„Halten Sie die Fresse“, murmelte Silly und fing wieder an zu weinen.
„Waaaas?“, brüllte die Frau hinter ihm.
Silly, obwohl am Ende mit seinen Gefühlen, spürte ein neues Gefühl in sich aufwallen, ein Gefühl das stark war, Hass. Hass auf all die Leute, die ihn täglich zur Sau machten, Hass auf all die Leute die ihn fertigmachten, Hass auf all die Leute, die ihn komisch anstarrten wenn er im Bus sass.
Das Gefühl brach so plötzlich aus ihm hervor, das er fast Angst bekam.
„Sie sollen verdammt noch mal ihre Scheissfresse halten, Sie alte ••••••••!“, schrie Silly mich hochrotem Kopf und geballten Fäusten.
Die Frau machte ein Gesicht, als hätte ihr jemand mit der Faust ins Gesicht geschlagen. Ihr Mund formte ein O des Entsetzens und dann stand sie auf und stürmte nach vorne.
Sekunden später bremste der Bus abrupt ab und die Frau kam in Begleitung des Busfahrers nach hinten.
Der Busfahrer war ein muskulöser, grimmig dreinblickender Mann, der Ähnlichkeit mit einem englischen Hooligan hatte. Und genau so benahm er sich auch. Er packte Silly beim Kragen und an den Hosen, schleppte ihn zur Türe und warf ihn hochkant aus dem Bus.
Silly schlug hart auf dem Beton auf.
Vor sich sah er zwei zerschlissene Schuhe, aus deren Löcher einige dreckige Zehen herauslugten. Silly blickte nach oben und sah ein abgemagertes Gesicht umrahmt von roten strähnigen Haaren. Und so kam es, das Silly der Träumer, Nora die Rockerin kennen lernte.

~Hauptmann Krey~
27.10.2006, 10:51
Coole Sache!
Ich find die geschichte gut. Hört sich irgentwie nach Berlin an.
Ärm... Dieser SIlly, das ist doch sicher nur ein SPitzname oder so?
Und: Ich habe es nur überflogen, kann sein, das ich was verpasst habe...

deserted-monkey
27.10.2006, 13:22
Coole Sache!
Ich find die geschichte gut. Hört sich irgentwie nach Berlin an.
Ärm... Dieser SIlly, das ist doch sicher nur ein SPitzname oder so?
Und: Ich habe es nur überflogen, kann sein, das ich was verpasst habe...

Ja Silly ist sein Spitzname. Richtig heisst er Silvio, wird im Text erwähnt, aber da du ihn ja nur überflogen hast....
Wo die Geschichte spiel, weiss ich ehrlich gesagt (noch) nicht, aber Berlin währe eine gute Idee...

qed
27.10.2006, 13:41
Wo die Geschichte spiel, weiss ich ehrlich gesagt (noch) nicht, aber Berlin währe eine gute Idee...


Hmm Ich fände es gut, wenn gar kein wirklich realer Ort für die Geschichte genannt wird, sondern dass alles so bisschen wie ein "2 Klasse Bürger" System angehaucht wäre. So wie in Star Wars z.b. Wo die armen (auf Courosant z.b.) unter der Erde wohnen (wie z.b. in Kotor) und die Reichen wohnen in den Wohnblöcken, die ab dem 40. Stock beginnen. Also sowas in der Art, das es wie ein Armenviertel gibt etc. Weisst schon wie ichs meine ;)

Ansonsten kann ich der Geschichte leider nicht so viel abgewinnen. Sie gefällt mir (bis jetzt) nicht wirklich. Okay vielleicht ists auch nur die sehr kurze Länge. Die Idee ist gar nicht so schlecht, je nach dem, wie du das ganze nun umsetzten wirst, aber die bisherige Umsetztung... Nun ja gefällt mir noch nicht wirklich, aber ich lasse mich gerne überraschen und evtl. gefällt mir das 1. Kapitel ja schon viel besser...

deserted-monkey
27.10.2006, 13:50
Hmm Ich fände es gut, wenn gar kein wirklich realer Ort für die Geschichte genannt wird

Hatte ich eigentlich auch so eingeplant... Werde es wahrscheinlich auch so machen, da ich sowieso keine grosse Ahnung von den Berliner Strassennamen usw. habe.

Tanz-der-Molekuele
27.10.2006, 14:18
Nice Anfang...

Der Name Silvio-Silly kommt mir irgendwie bekannt vor ^^ :D

Gruss

deserted-monkey
27.10.2006, 14:22
Nice Anfang...

Der Name Silvio-Silly kommt mir irgendwie bekannt vor ^^ :D

Gruss

Hehe 8)
Mit der Namenswahl habe ich immer so ein wenig Probleme... :D

Gruss

qed
27.10.2006, 14:40
Hehe 8)
Mit der Namenswahl habe ich immer so ein wenig Probleme... :D

Gruss

Nicht nur mit der Namenwahl, sondern auch mit den Charaktereigenschaften, die dazu gehören. Silvio der Träumer... :rolleyes: Naja...

La Cipolla
29.10.2006, 16:44
Du wiederholst dich, und das stört die sonst passende Atmosphäre. Wir wissen doch schon, dass da nur betreffende Leute wohnen, aber du erzählst es noch mal. ^^'' Sind einige solche Sachen drin, wo ich beim Drüberlesen einfach das Gefühl habe, jemand hat krampfhaft versucht, die Stimmung rüberzubringen.
Sonst geht der Ansatz voll in Ordnung, kann man nun aber ehrlich noch nicht viel sagen und ich kenne keinen Silvio. :rolleyes:

Such einfach mal im Netz auf Google nach "Vornamen" oder nimm dir die Bibel, Namensgebung muss nicht einfallsreich sein, aber unauffälliges Koppieren ist angebracht. :p
http://www.beliebte-vornamen.de/italienische.htm
Auf der Seite sind auch andere Sprachen, ich hatt nur grad den Link für Italien.

toho
29.10.2006, 16:56
und ich kenne keinen Silvio. :rolleyes:


ich kenne drei xD

deserted-monkey
01.11.2006, 12:40
http://www.beliebte-vornamen.de/italienische.htm
Auf der Seite sind auch andere Sprachen, ich hatt nur grad den Link für Italien.

Die Seite rockt! :D

qed
01.11.2006, 16:18
(wenn es hart kam, pissten sie vorher noch oder schissen einen richtig dicken Klumpen widerlicher Scheisse hinein) und spülten.

Hmm absolut primitiv, aber irgendwie (unfreiwillig?) komisch. Obwohl eigentlich klar wäre, was Spülen ist.



Silly war klein und dünn, um nicht schon zu sagen mager, und hatte blondes kurz geschnittenes Haar, das so fettig war, das es in der Sonne glänzte.


*insider* Na wenn wir den nicht kennen. Okay bis auf die fettigen Haare, aber du hast immer noch Probleme damit, fiktive Charaktere zu schaffen. Aber meistens sind es ja nur die Namen die auffallen...


„Willst du meine Scheisse schmecken? Ich hatte Durchfall, Mann-o-Mann ist das eine Sauerei.“

Die ganze Schüssel war verschissen mit brauner, gelber und grünlicher Scheisse, die sogar am Rand klebte.


n/c


An diesem Tag verliess Silly die Schule früher als gewohnt.
Er würde nicht nach Hause gehen, er würde nie mehr in die Schule gehen, er würde sich umbringen.


Hätte ich versucht subtiler auszudrücken, vielleicht er würde nicht mehr sein, obwohl das altmodisch ist. Denn es wird während des Satzes eh klar, das er das tun würde.


schrie Silly mich hochrotem Kopf und geballten Fäusten.

u.a. ein kleiner Fehler


strähnigen Haaren. Und so kam es, das Silly der Träumer, Nora die Rockerin kennen lernte.

Nun ja ein netter Cliffhanger mehr oder weniger. Du wiederholst dich auch hier wieder oft... okay man kann es auch positiv schreiben, und sagen, du schmückst explizitere Szenen recht detailreich (und genussvoll?) aus. Dennoch war die Geschichte deutlich besser als der Prolog, und obwohl (rein von der Handlung ausgesehen) nicht viel passiert ist, war sie dennoch angenehm atmosphärisch.

deserted-monkey
09.11.2006, 16:07
Die Geschichte von Nora der Rockerin

Ein süsslicher Geruch schlug ihr aus der Wohnung entgegen.
Norbert, ein kleiner, wie ein Geier aussehender Junge mit Pickelgesicht, stand im Türrahmen und machte ein Gesicht als hätte er einen Engel gesehen.
„Nora!“, sagte er und lächelte ein schiefes Lächeln, das allerhand schwarze und verfaulte Zähne entblösste. „Sieht man dich auch wieder einmal? Komm doch herein.“
Sie sagte nichts, musterte ihn nur abschätzig und betrat die Wohnung hinter ihm. Wenn man die drei stinkenden, verdreckten und unordentlich eingerichteten Räume überhaupt Wohnung nennen konnte.
„Machs dir gemütlich.“, meinte Norbert und lächelte immer noch.
Nora hasste Norbert. Sie wusste, das er sie begehrte, wahrscheinlich hatte er seit mehreren Jahren keinen Sex gehabt, oder überhaupt noch nie. Immer wenn sie ihn sah, versuchte er sich an sie heranzumachen, machte Sprüche, die unter die Gürtellinie zielten und lächelte. Ja das Lächeln, von dem er überzeugt war, das es das schönste Lächeln auf Erden war, war das hässlichste Lächeln das Nora je bei einem Menschen gesehen hatte. Sein Körper war ein Wrack, zerstört von einem Gift, vor dem man schon die kleinen Kinder warnte. Heroin.
Und seinen Schwanz. Den hatte sie auch schon gesehen. Als er sich um fünf Uhr morgens einen in der U-Bahn gewichst hatte, dieses Schwein. Seit dem stellte sie sich immer vor, wie dieser kaputte, verkümmerte Schwanz in sie stechen würde und dabei kam ihr die Kotze hoch.
„Was zu trinken?“, fragte Norbert und lächelte natürlich wieder.
„Nein ich hätte lieber ein bisschen Stoff.“, meinte Nora und versuchte, ihn nicht anzusehen.
Sein Lächeln verzog sich ein wenig, aber nur ein wenig.
„Ich hole ihn gleich für dich. Wie viel hättest du den gerne? 20? 40?“, fragte Norbert und seine Hand kam Noras Schenkeln gefährlich nahe.
„Für 20 ist gut“, meinte Nora und tat einen Schritt von ihm weg. Norbert lächelte und verschwand in einem anderen Zimmer. Nora setzte sich auf sein Bett und bemerkte zahlreiche weissliche Flecken auf der Bettwäsche und stand angewidert wieder auf.
Norbert kam mit einem Grinsen zurück und schwenkte ein kleines Beutelchen, in dem ein braunes Pulver steckte. „Hier ist es“, verkündete er und drückte ihr das Tütchen in die Hand.
„Danke“, sagte Nora und versuchte zu lächeln. Es gelang ihr sogar. Als sie ihm den 20iger-Schein gab, berührte sie seine Finger und verzog das Gesicht. Er jedoch strahlte wie ein Weltmeister.
„Ich geh dann wieder“, sagte sie und wollte sich gerade umdrehen, als Norbert ihr Handgelenk packte. Seine Finger fühlten sich kalt und unangenehm an.
„Du kannst hier bleiben und dir ’nen Schuss setzen wenn du willst“, sagte er und strahlte hoffnungsvoll. „Ich hab genug saubere Spritzen da.“
„Du weißt doch, ich spritze die Scheisse nicht.“, meinte Nora und schaute ihn verächtlich an. „Und ausserdem muss ich gehen.“
Das war natürlich gelogen. Wohin sollte ein Junkie auch gehen? Junkies hatten es jedenfalls nie pressant, ausser sie brauchten neuen Stoff.
„Ach komm“, sagte Norbert und schaute zu Boden. Der Griff um Noras Handgelenk verstärkte sich. „Ich bin sonst immer so allein...“
„So sind wir Junkies nun mal“, flüsterte Nora. Nun kamen ihr fast die Tränen. Sie riss ihr Handgelenk los, murmelte ein „Auf Wiedersehen“ und drehte sich um.
Eine Hand berührte ihren Arsch, streichelte. „Lass den Scheiss, Norbert!“, schrie Nora ihn über die Schulter an und ging schnell auf die Tür zu.
Er folgte ihr, bis sie ihm die Tür vor der Nase zuschlug. Endlich war sie ihn los, diesen Pisser. Schleunigst verliess sie das Gebäude und machte sich auf den Heimweg. Ihr „Heim“ war eine kleine Hütte am Stadtrand, die sie sich mit einer anderen Heroinsüchtigen teilte. Nora war übrigens lesbisch.
Sie musste auf den Bus, andernfalls hätte sie locker 2 Stunden bis zu ihrer Hütte gebraucht.
Natürlich fuhr sie schwarz. Schon mehrmals hatte man sie aus dem Bus geschmissen, aber das störte sie nicht, konnte man doch einfach den nächsten nehmen oder laufen.
Bei der Haltestelle angekommen, setzte sie sich auf die Wartebank und rauchte eine verknitterte Marlboro Zigarette, die sie unterwegs am Boden gefunden hatte.
Als der Bus kam, stand sie auf und wollte gerade einsteigen, als ihr ein Junge vor die Füsse flog. Ja, er flog regelrecht, ein muskulöser Busfahrer hatte ihn hinausgeschmissen. Wahrscheinlich hatte er kein Ticket gehabt, wie sie.
Kurz darauf schlossen sich die Türen des Busses wieder und er fuhr weiter. Nora und der Junge am Boden blieben allein an der Haltestelle zurück.
Sie beugte sich nach unten. „Alles klar bei dir? Hast du dir weh getan?“, fragte sie.
Er schaute mit trübem Blick zu ihr auf. „Ja geht schon. Wer bist du?“, fragte der Junge und begann, sich zu erheben.
„Ich heisse Nora. Auch genannt Nora die Rockerin. Du?“
„Silly. Silly der Träumer.“
Silly hatte sich die Arme auf dem Beton blutig geschlagen und sah wie ein Haufen elend aus.
Eine Träne lief im einsam die Wange hinab. Nora hob die Hand und wischte sie ihm aus dem Gesicht. „Schon gut Silly“, sagte sie einfühlsam. „Schon gut.“
Sie empfand tiefes Mitleid für diesen Jungen, obwohl sie ihn vorher noch nie gesehen hatte. Und irgendwie fand sie ihn auch süss.
„Ich... ich muss gehen“, stammelte Silly und brach in Tränen aus.
„Wo willst du denn hin?“, fragte Nora die Rockerin und war plötzlich Nora die Seelsorgerin.
Silly schluchzte und schaute sie mit roten blutunterlaufenen Augen an. Sie legte einen Arm um seine Schulter und sagte: „Du kannst mir alles erzählen.“
Und so setzten sie sich auf die beschissene Wartebank der beschissenen Bushaltestelle in einer beschissenen Stadt und Silly der Träumer erzählte ihr jedes beschissene Detail seines beschissenen Lebens. Nora hörte aufmerksam zu, nickte ab und zu und fühlte den Schmerz, den dieser Junge fühlen musste, innerlich mit.
Als er mit seiner Geschichte zu Ende war, stand sie auf und verschwand in den Büschen, die hinter der Haltestelle in einem Park wucherten, um zu pissen.
Danach nahm sie ihn bei der Hand und Silly der Träumer war das erste Mal seit langer, langer Zeit wieder glücklich. Nora verstand ihn, sie duldete ihn, sie machte ihn nicht fertig, aber das war vielleicht auch nur weil sie selber fertig war.
Hand in Hand gingen sie durch die Stadt, ohne ein richtiges Ziel, ohne viel Worte zu verlieren. Plötzlich bemerkte Silly, wie Nora anfing zu zittern und ihre Haut war irgendwie kälter geworden. Er sprach sie darauf an und sie antwortete ihm, sie müsse nun ihre „Medizin“ nehmen. Auf einem öffentlichen aber schon seit geraumer Zeit stillgelegten Klo, nahm sie eine viereckige, zusammengefaltete Folie aus der Tasche und eine Art Röhrchen.
Silly wusste noch nicht, was sie vorhatte, doch als sie das braune Pulver auf die Folie kippte und das Feuerzeug darunter hielt, wusste er Bescheid.
Nora die Rockerin war eine Heroinsüchtige. Silly fragte, ob er etwas davon haben dürfte, er würde es auch bezahlen. „Das musst du doch nicht“, sagte sie liebevoll und gab ihm die Folie weiter.
Silly inhalierte den Rauch, der irgendwie hässlich schmeckte, aber doch auf eine Art gut. Dann sank er nach hinten, spürte noch, wie ihn zwei Arme packten, damit er nicht umkippte und dann war die Welt um ihn anders geworden.
Als er wieder einigermassen zu sich kam, war Nora verschwunden. Sein Herz verspürte einen Stich und er stand mit wackeligen Beinen auf. „Nora!“, rief er angsterfüllt und sein Ruf hallte von den Wänden wider.
„Ich bin hier“, flüsterte eine schwache Stimme und Silly erblickte sie zusammengesunken und bleich in einer der Toilettenkabinen. Die Folie lag vor ihr auf dem Boden und sie hatte sich selbst angekotzt. Die Kotze klebte grün und gelb und rot vorne auf ihrem Pullover.
Silly fiel auf die Knie, umarmte sie und der Geruch der Kotze stach ihm in die Nase.
„Ich geh nicht mehr weg von dir“, flüsterte er und streichelte ihr rotes Haar.
Sie sagte nichts, sondern lächelte ihn an und erwiderte seine Umarmung. Nora die Rockerin, 19 Jahre alt und ein Junkie, hatte Silly den Träumer, einen 12 jährigen hässlichen Jungen ohne Zukunft lieb gewonnen.
Plötzlich hörte Silly, wie die Tür zu den Toiletten aufgemacht wurde. Jemand kam herein und dann sprach dieser Jemand auch schon hinter ihm: „Fuck ey, was seit den ihr für Penner?“
Silly drehte sich langsam um. Hinter ihnen in der Tür stand ein gross gewachsener, kräftiger Mann, mit dunklen Haaren. Er war ein Neger. Der Joint ihn seiner Fresse glühte auf, als er einen kräftigen Zug nahm. Er war Jaromir der kiffende Nigger und er würde ihnen etwas zeigen. Oh ja, er würde diesen beiden armen Leuten ein neues zu Hause offenbaren. Doch das soll in der nächsten Geschichte erzählt werden.