Anmelden

Archiv verlassen und diese Seite im Standarddesign anzeigen : Distanz oder Nähe zum Leben?



Tabris
07.06.2003, 00:04
Zur Zeit durchlebe ich wieder einmal einen inneren Konflikt: Soll ich eher wie die Hauptfiguar in Hesses "Siddharta" eine Distanz zum Leben wahren, die mir unglaubliche Ruhe und keine Sorgen verschafft, oder mich eher ins Leben stürzen, viele Dinge an mein Herz lassen, dafür aber auch oft enttäuscht werden?

Wie haltet ihr es?

Alexiel
07.06.2003, 00:08
Ich denke, es ist wichtig viel erlebt zu haben um dann besser urteilen zu können - also stürz dich ins Leben und riskier Verletzungen.
Das Leben als Einsiedler und Weiser kannst du später noch führen, jetzt ist es erst einmal Zeit zu leben!

ZeroSizta
07.06.2003, 01:05
Ich kann dich verstehen, mir geht es im moment ähnlich. Ich bin dabei, eine Wahl zu treffen, die deiner sehr ähnlich ist und noch weiß ich nicht ganz, wie ich all das angehen soll. Fakt jedoch ist, dass ich in meinem bisherigen Leben nicht viel erlebt habe und auch nie viel an mich ran ließ. Ich fange an, meine bisherigen Weg anzuzweifeln (nein, bereuen tu ich es nicht, aber das hat andere Gründe)
Wir sind jung, und das sollten wir genießen. Auch wenn das Leben schmerzhafte Erfahrungen mit sich bringt, so formen sie doch den Charakter. Ein Stein, der nie berührt wird kann keine Form annehmen, dies geschieht nur durch andere Einflüsse. Aber diese Einflüsse sind ja auch nicht durchweg negativ ;) Distanz bewahrt dich zwar vor schlechten Erfahrungen aber auch vor den meisten schönen Erlebnissen. So sehe ich das mittlerweile.

Schneckerl
07.06.2003, 01:12
Lebe und mach Deine Erfahrungen, ausruhen und sich distanzieren kann man besser mit Erinnerungen über Erlebtes als ohne. :D

Tabris
07.06.2003, 01:26
Vielen dank für eure Ratschläge, ihr habt ja auch recht. Aber zur Zeit kommt es mir so vor, als hätte ich meine Entscheidung schon getroffen. Die Probleme, die Sorgen die alle anderen haben, kommen mir so unglaublich primitiv vor, genau wie die meisten Gefühle. Ich strebe irgendwelchen Idealen entgegen, die sich unmöglich erfüllen lassen. Allerdings kann ich nicht akzeptieren, dass ich mit dieser jetzt existierenden Welt, mit all ihren niederen Bestandteilen vorlieb nehmen muss.

Vielleicht wird sich das ja alles einmal ändern, wenn ich wieder einen Menschen gefunden habe, bei dem ich das Gefühl habe, das wir existieren, um einander zu treffen. Hach, das Leben ist schon merkwürdig.

Mache ich gerade eine Wandlung durch? Ich denke schon. Will ich das werden, was am Ende dieser Wandlung steht? Ich weiß es nicht.

RPG-Süchtling
07.06.2003, 02:46
Original geschrieben von Tabris
Die Probleme, die Sorgen die alle anderen haben, kommen mir so unglaublich primitiv vor, genau wie die meisten Gefühle. Ich strebe irgendwelchen Idealen entgegen, die sich unmöglich erfüllen lassen. Allerdings kann ich nicht akzeptieren, dass ich mit dieser jetzt existierenden Welt, mit all ihren niederen Bestandteilen vorlieb nehmen muss.
Die Sätze könnten von mir sein. Ich habe oft das Gefühl gehabt, ich wäre in die richtige Welt zur falschen Zeit geboren worden. Ich konnte niemals verstehen, wie die Leute sich über kleine Dinge so dermaßen aufregen können, oder warum ihnen in meinen Augen so wenig so viel bedeutet. Und ich habe mir irgendwann in den Kopf gesetzt, ein perfekter Mensch zu werden, ethisch, moralisch, eben auch kompromisslos idealistisch zu sein.
Dass diese Ansprüche natürlich zu hoch sind, ist die eine Sache. Die andere ist, dass man sich automatisch innerlich wie äußerlich von der "realen" Welt entfernt, von den Menschen mit den Problemen, zu denen man keinen Zugang hat. Irgendwann war dann der Gap zwischen ihrer und meiner Erlebniswelt so groß, dass ich wohl kaum noch mit ihnen kommunizieren konnte. Und ich Angst vor ihnen hatte, wo ich ging und stand.
Tatsache ist nunmal: Das hier ist unsere Welt; die Welt, in der wir leben. Und sie wird sich höchstwahrscheinlich zu unseren Lebzeiten nicht zu der Welt verändern, in der wir uns vermutlich wohlfühlen würden. Aber (es sei denn, du glaubst etwas anderes) wir haben nunmal nur dieses Leben. Also habe ich irgendwann ein paar Gänge zurückgeschaltet und bin rausgegangen. Den Druck, unter den ich mich selbst unentwegt gesetzt habe, versucht zu reduzieren und dafür meine Fühler ausgestreckt (*wink* @Schneckerl). Die Menschen und ihre Gedanken kennengelernt. Meinen Gefühlen eine Chance gegeben, die eben oft mit meinen Ansprüchen an mich kollidiert sind und dabei gemerkt, dass ich alles andere als perfekt bin.
Ich weiß nicht, wie es dir geht. Ich zumindest war meist unglücklich. Ich musste das ändern, sonst hätte ich wenig Sinn in meinem Leben gesehen. Versuchs einfach mal; lass dich drauf ein; hör auf, soviel drüber nachzudenken.

Ich hoffe, dir bringen meine Erfahrungen was.

Alexiel
07.06.2003, 02:57
Original geschrieben von RPG-Süchtling
Ich habe oft das Gefühl gehabt, ich wäre in die richtige Welt zur falschen Zeit geboren worden...
Und ich habe mir irgendwann in den Kopf gesetzt, ein perfekter Mensch zu werden, ethisch, moralisch, eben auch kompromisslos idealistisch zu sein...
Und ich Angst vor ihnen hatte, wo ich ging und stand.

Und diese Beschreibungen könnten wiederrum von mir sein.
Ich habe immer nach einem innerlichen Perfektionismus gestrebt, bis ich irgendwann eingesehen hab, so kann es nicht weitergehen. Zu Hause im Zimmer eingeschlossen, Weltfremd, die Menschen verstand ich nicht, eine Jugendliche war ich nie, die Nase in Büchern um mich zu bilden, um die besten Leistungen zu bringen...
Ich hatte selten Freunde, und wenn ich jemanden als Freund bezeichnet hab, dann bin ich diesem jemand eher nachgelaufen und habe ihn immitiert um ihm zu gefallen.
Vor einigen Jahren hab ich dann erkannt, dass ich niemals ich war, ich hatte keine eigene Persönlichkeit oder Meinung und für mich, die immer perfekt handeln wollte, war das eine ziemlich schlimme und ernüchternde Erkenntnis.

Lange Rede, kurzer Sinn:
Ich hab an den Klippen halt gemacht und haben einen anderen Weg eingeschlagen - es darf auch mal der leichte sein.
Ich lebe mittlerweile, und es tut mir gut, mit allen Konsequenzen die dazugehören. :)

Lysandros
07.06.2003, 03:15
Original geschrieben von Tabris
Vielen dank für eure Ratschläge, ihr habt ja auch recht. Aber zur Zeit kommt es mir so vor, als hätte ich meine Entscheidung schon getroffen. Die Probleme, die Sorgen die alle anderen haben, kommen mir so unglaublich primitiv vor, genau wie die meisten Gefühle. Ich strebe irgendwelchen Idealen entgegen, die sich unmöglich erfüllen lassen. Allerdings kann ich nicht akzeptieren, dass ich mit dieser jetzt existierenden Welt, mit all ihren niederen Bestandteilen vorlieb nehmen muss.

Vielleicht wird sich das ja alles einmal ändern, wenn ich wieder einen Menschen gefunden habe, bei dem ich das Gefühl habe, das wir existieren, um einander zu treffen. Hach, das Leben ist schon merkwürdig.

Mache ich gerade eine Wandlung durch? Ich denke schon. Will ich das werden, was am Ende dieser Wandlung steht? Ich weiß es nicht.

Solche Phasen zeichnen für mich Richtungsänderungen an; man steht wieder einmal in seinem Leben an einem Wendepunkt und nun heißt es eine neue Richtung einschlagen, die vielleicht gar keine so große ist, aber dennoch als eine entscheidende angesehen wird.
Aber ich glaube genau bei diesen Situtationen können dir deine Gefühle eine Hilfe sein; Ideale mögen zwar schön und gut sein, aber sie sind nicht das wirkliche Leben - das ist bei vielen so, die den Himmel auf Erden predigen und sich selbst ihre Laster leben. Naja was nun das wirkliche Leben ist, kann ich auch dir nicht sagen, das muss ein jeder Mensch selbst herausfinden, aber eins gilt und ich glaube, der Grundsatz "wer nicht wagt, der nicht gewinnt" gilt. Das kann aber auch heißen zu seinen Idealen zu stehen, aber was nützen sie dir, wenn du sie in deinen Gedanken lebst und sie nicht direkt lebst? Du wirst wahrscheinlich auch einmal bemerken, dass sie vielleicht doch nicht so gut sind und sie revidieren und ändern.
Das einzige was man als Mensch machen muss, ist zu leben und sich dazwischen ärgern, lachen und auch weinen, am Ende werden wir schon sehen, was wir nun gelebt haben. Wenn man dann sagen kann, man hat gelebt und sich nicht in Gedankengerüsten verloren, dann glaube ich kann man mit sich zufrieden sein.
Schlussendlich glaube ich, ist das Leben nur ein Spiel und wir sind mittendrin, können aber bei dem Spiel ein bisschen mitspielen, aber wir kennen die Spielregeln nicht und wenn wir sie sie kennen würden, hätte unser Spiel keinen Sinn mehr. Am besten man spielt mit und versucht nicht immer sich Spielregeln zu schaffen oder das Spiel zu entschlüsseln, sonst kommt vielleicht gar nicht mehr zum Spielen. Und wir Menschen sind kleine Kinder, wir spielen sehr gerne, spätestens gegen Ende des Spiels werden wir merken, dass wir sehr viel mehr Spaß gehabt hätten, hätten wir mehr gespielt.
Also meine Aufforderung an dich wäre, spiel auch ein bisschen mit, welche Rolle du nun im Endeffekt spielst, ist es egal, hauptsache du spielst überhaupt und ich glaube auch, dass es ziemlich egal ist, wie lange man gespielt hat, solange man sagen kann, ich habe gespielt. Aber man braucht auch immer wieder ein kurze Pause im Spiel, sonst verausgabt man sich und man sollte sich immer wieder Gedanken über sein Spiel machen, sich des Spiels gewiss werden und seine Rolle nicht zu ernst spielen und dabei seine vielleicht schon lächerliche Rolle einmal aufgeben. Menschen, die Idealen nachstreben, aber dabei sich selbst aus den Augen verlieren, sind solche, die ihre Augen für das Spiel verloren haben und nur noch in ihre Rolle, die sie spielen versessen sind. Und auch sich nur vom Spiel leiten lassen, hilft auch nichts, denn wo bleibt dann der Spaß beim Aktiv-Mitspielen; Schicksalsglauben mag zwar ganz schön sein, aber zu viel des Guten ist nie gut. Und auch einseitiges Spielen zermürbt, so glaube ich jedenfalls, jemand der immer dieselbe Rolle oder Rollen spielt, wird in der Eintönigkeit untergehen; selbst ein kleines Kind weiß das, warum spielen aber dann Erwachsene immer dieselbe Rolle und versuchen sich jedoch das nicht bewusst zu machen und verdrängen das durch Alkoholerzesse?
Also jetzt bin ich dann schon etwas weit abgewichen, aber ich hoffe, mein Vergleich kann dir behilflich sein.

Tabris
07.06.2003, 03:16
RPG-Süchtling: Vielen dank für deine Schilderungen! Du scheinst ja genau den Weg eingeschlagen zu haben, den ich fast schon bereit bin, zu gehen. Wie man sieht, ist er vermutlich zum Scheitern verurteilt. Doch muss das so sein? Vielleicht sollte ich es einmal ausprobieren, man lebt ja nur einmal. ;)

Ich mache mir auch Sorgen darüber, dass dann die Lücke zwischen mir und meinen Mitmenschen zu groß werden könnte, immerhin will ich ja auch noch in dieser Gesellschaft existieren...und wenn ich meinen Blick jetzt von den "niederen", menschlichen Problemen abwende, verliere ich viel von dem, was ich mit den anderen gemeinsam habe.

Aber kann es nicht sein, dass es doch möglich ist? Dass andere meinem Beispiel vielleicht folgen werden? Ist es nicht wert, dies einmal auszuprobieren?

Alexiel: Hm, den "innerlichen Perfektionismus" definiere ich für mich eher ethisch. Ich kann so ruhig am Leben der anderen teilhaben, werde mich aber nicht auf ihre "primitive" Ebene herunterbegeben.

Das hört sich jetzt natürlich unglaublich arrogant und selbstherrlich an, und das ist es auch. Und das macht mir große Sorgen.

Lysandros: Ein sehr schönes Bild mit dem Spiel. Nicht selten habe ich auch ein ähnliches Gefühl. Das Leben bietet mir z.B. so viele Möglichkeiten, die es nur auszuschöpfen gilt. Dieses ständige Denken macht mich schon ganz müde.

Todestribunal
07.06.2003, 04:02
Guter Freund, gedenke Hegel! Auch wenn die dialektischen Gesetze nicht den Status deines Kartesius werden einnehmen können, solltest du dir stets den Weg zur Negation der Negation offen halten, die unweigerlich eintreten wird und wir wollen eine dann aussichtslose Lage doch präventiv vermeiden. Kapsele dich nicht zu arg ab, du gewinnst nichts dadurch! Ich für meinen Teil werde morgen auf eine Party gehen und leuchtend weiße Schuhe tragen. Sei ein Mann, und folge mir nach!

Alexiel
07.06.2003, 16:25
Original geschrieben von Tabris
Ich kann so ruhig am Leben der anderen teilhaben, werde mich aber nicht auf ihre "primitive" Ebene herunterbegeben.

Ich hab mich ja auch nie auf die gleiche Ebene begeben, wie die anderen. Meinen Prinzipien bleib ich treu, da kann keine Krise was daran ändern, aber ich bin heute einfach viel mehr unter Menschen, ich habe Freunde gefunden, die ich respektiere und die mich respektieren.
Ich denke, einfach das ist im Leben wichtig, vor allem in diesem Alter: Freunde und zwar richtige!

RPG-Süchtling
07.06.2003, 18:01
Original geschrieben von Tabris
Aber kann es nicht sein, dass es doch möglich ist? Dass andere meinem Beispiel vielleicht folgen werden? Ist es nicht wert, dies einmal auszuprobieren?
Die Frage ist einfach die, ob andere dir auf diese geistige Ebene folgen wollen oder überhaupt in der Lage dazu sind. Und Tatsache ist: wenn deine Kontakte zu der anderen Welt immer weniger werden, wirst du keine gemeinsame Basis mehr mit ihnen haben. Sie werden dich nicht verstehen und du sie auch nicht mehr. Deine "Botschaft" wird niemanden erreichen.

Besser ist, du nimmst an ihrem Leben teil und versuchst, sie sanft und liebevoll (also nicht mit erhobenem Zeigefinger oder ähnlichem) in die deiner Meinung nach richtigen Richtung zu pushen. Und dabei auch berücksichtigen, dass ihre Weisheiten eventuell dichter an der Wirklichkeit dran sind als die, die du dir in deinem stillen Kämmerlein zusammengereimt hast. Gut möglich, dass du auch noch was von ihnen lernen kannst.


Das hört sich jetzt natürlich unglaublich arrogant und selbstherrlich an, und das ist es auch. Und das macht mir große Sorgen.
Ich habe so eine Einstellung bekommen, weil meine Eltern mich perfekt von den Sorgen der "Außenwelt" abgeschirmt haben. Wenns mir schlechter gegangen wäre, hätte ich wahrscheinlich gar keine Zeit gehabt, mir über solche Dinge Gedanken zu machen.
Ich konnte mir dann so Sätze anhören wie: "Dir gehts zu gut." Dabei war ich unglücklich, so wie ich war... und habe mir nicht selten eine Gehirnwäsche gewünscht, um dazuzugehören.

Aber wie Alexiel gesagt hat: Du musst nicht die gleichen Sicht- und Lebensweisen wie die anderen Menschen annehmen, um mitzuspielen. Mal ganz davon abgesehen, dass ich das für unmöglich halte (dafür haben wir schon viel zuviel über alles mögliche nachgegrübelt).

@Alexiel
Oberdickes dito zu deinem vorletzten Post. Genauso wars bei mir (und ist es zum Teil immer noch). Ich hab noch so einiges wegzuschaufeln.