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Archiv verlassen und diese Seite im Standarddesign anzeigen : Vampire Bloodlines - Story-Thread



Katan
13.09.2005, 09:25
Jermaine Clayton

Die Jagd. Ah, wie ich sie zu lieben gelernt habe. Einmal jede Nacht das dunkle Zimmer verlassen, hinaus in die große Stadt und sich vom Glanz der Lichter, vom Taumel der Menschen mitreißen lassen. Ahnungslos begegnen sie einem, die schönsten Frauen geben sich auf der Straße willenlos hin. Aber wieso Geld bezahlen und die jungen Damen in eine stille Gasse locken, wenn man ebenso rosiges Fleisch auch kostenlos genießen kann?
Zu diesem Zweck begab ich mich gerne in schummrige Bars mit von Schweiß und Alkohol stinkender Luft. Auch ein Vampir muss atmen, weiß Gott aus welchem Grund unsere toten Körper immer noch diesen Drang verspüren. Vielleicht eine Erinnerung an das alte Leben... wer kann das schon genau sagen. Es wird wohl noch niemand in den Genuss gekommen sein, einen Vampir zu anatomieren, welcher den absoluten Tod gefunden hatte. Immerhin lösen wir uns bei unserer Vernichtung in Rauch und Asche auf. Spart die Beseitigungskosten.
Während ich so die Hauptstraße entlang streifte, gekleidet in ein rotes Seidenhemd und eine schwarze Lederhose, wurde mir gewahr, wie absolut lebhaft ich doch aussehen konnte, wobei es auch Momente gab, in denen die Sterblichen mich meiner nicht mehr vornehmen sondern krankhaften Blässe wegen von der Seite her betrachteten. Der Schutz der Dunkelheit vermochte diese Wesenszüge meines verfluchten Körpers zu verstecken, doch das Licht einer Straßenlaterne sagte immer die Wahrheit. Und so hielt ich mich von alledem fern und begab mich in die Schatten der Hausmauern.
"Na, Süßer. Suchst du vielleicht ein Date?" Eine hübsche Frau in knapper Kleidung stellte sich direkt vor mich und versperrte mir den Weg. Solche Frauen sprachen mich immer wieder an. Wobei... solche Frauen sprachen wohl jeden immer wieder an. Man fand sie an so gut wie jeder Straßenecke. In gewisser Weise fühlte ich mich sogar mit ihnen verbunden, nur dass ich meinen Körper nicht andauernd an Fremde verkaufe, sondern meine Seele einmalig der Finsternis vor die Füße geworfen hatte. Es war Schwachsinn, darüber nachzudenken. Warmes Blut pulste durch ihre Adern, ich hatte noch nichts getrunken. Und so wusste ich, dass ich schnell zu verschwinden hatte.
"Nein, danke", antwortete ich also knapp und schob mich so behutsam wie es eben ging an ihr vorbei. Ich nahm eine Abkürzung hinter dem Krankenhaus Santa Monicas in Richtung Asylum. Dort fand sich immer blutjunges, frisches Futter. Und solches brauchte ich, denn ich stank nach altem Tod. Ein Wunder, dass ich mich überhaupt so lange gehalten hatte, wenn man bedachte, wie oft ich bereits den zerstörenden Strahlen der Sonne hatte erliegen wollen. So groß war die Versuchung, so einfach der schnelle Tod... einfach, aber zu gleich schwierig, wie sich mir herausstellte, denn immer, wenn die Sonne langsam den Horizont hinauf gekrochen war, hatte ich mich in irgendein Rattenloch verkrochen und gezittert wie ein kleines Mädchen. Egal... das war Vergangenheit. Ich hatte mich mit meiner einsamen, verdammten Existenz abgefunden und führte ein verschwenderisches Unleben. Für manche Clans mochten die Sterblichen nur Fleisch sein, für mich hingegen waren sie schon immer ein wertvoller Teil meines Daseins. Sie bereicherten mein Leben, auch wenn ich ab und an gezwungen war, sie zu töten. Das gehörte nun einmal dazu. Und doch tat ich es nicht gerne und zumeist ließ ich meine Opfer am Leben. Das letzte bisschen Menschlichkeit wollte ich mir erhalten, um nicht zu einem dieser hirnlosen Sabbat-Trottel zu mutieren, die dem Tier in ihnen nachgaben.
Ich erreichte das Asylum und hoffte, dass weder Therese noch Jeanette anwesend waren. Angeblich sollten sie Schwestern sein, doch zusammen hatte ich sie noch nie gesehen. Aber wer konnte schon wissen, was im Kopf eines Malkavianers vorgeht. Ihr Wahnsinn wie ihre Intelligenz blieb ihnen vorenthalten und nur selten genoss ich Momente, in denen ich wirklich verstand, was sie mir mitzuteilen versuchten. Das hinrissige Geschwafel von Leben und Tod und all dieser Quatsch, den sie von sich ließen, interessierte mich nicht im geringsten. Ich hatte keinen Blick dafür. Ebenso wie ich keinen Blick für die beiden Schwestern hatte. Nur die Menschen in meiner Umgebung bedeuteten mir etwas, und das war ja schon schlimm genug für einen Vampir wie mich, der sich in einem Machtgebiet zwischen Ahn und Neugeborenem befand.
Ich betrat das Asylum durch den Vordereingang, schritt zwischen den Menschen entlang und irgendwie amüsierte es mich, dass die Maskerade der Vampire jede Nacht aufs Neue funktionierte. Und wie erwartet schlug mir ein warmer Luftschwall aus Schweiß und Alkohol entgegen, laute Musik und ein darunter verblassendes Stimmengewirr. Sofort stob mir eine Frau entgegen, ihren Namen hatte ich nie wissen wollen, und umarmte mich aufs herzlichste. Sofort ließ sie von mir ab und betrachtete eingehend mein Gesicht. Die Kälte meines Körpers war ihr mit Sicherheit aufgefallen.
"Geht es dir nicht gut?", wollte die schöne Blonde wissen, das Gesicht zugekleistert mit Schminke. Ach, traurige Zeiten waren das, in denen die Frauen ihre Schönheit mit all dem Tand verdeckten...
"Wieso sollte es mir nicht gut gehen?", rief ich überschwenglich, legte meine Arme um ihre Hüften und hob sie etwas in die Luft. "Es geht mir prächtig. Ich habe mich nie besser gefühlt!" Meine Worte schienen sie zu beruhigen, aber ein gewisser Anteil an Sorge blieb in ihrem Blick erhalten. "Komm schon", meinte ich, "du brauchst dich wirklich nicht um mich sorgen. Es geht mir bestens, ehrlich." Das war natürlich gelogen. Mir ging es nicht gut. Mir ging es nie gut, wenn ich einen Durst verspürte, der jedes Lebewesen in meiner Umgebung vor meinem inneren Auge in einen Hauptgang verwandelte. Ich spürte ihr Herz gegen meinen toten Brustkorb schlagen und versuchte, sie nicht sonderlich hektisch wieder von mir zu weisen. Ein Glück, dass die Bisse an ihrem Hals recht schnell verheilten. Sie merkte gar nicht, wie ich ihr Nacht für Nacht das Blut entsog und sie dann an dem Ort zurückließ, an den ich sie verschleppte. Für sie schien es irgendwie ein Kuss zu sein, mit dem ich sie beglückte. Das, was ich tat, war auch küssen, nur nicht besonders behutsam.
"Hast du mich vermisst?", wollte sie wissen, als ich mich in Bewegung setzte. Sie legte ihren Arm um meinen Rücken und folgte mir.
"Sonst würde ich wohl kaum jeden Abend hierher kommen, oder?", versicherte ich. Es musste sein. Der Durst brannte in meiner Kehle, das Tier bäumte sich aus und drohte, meine Seele zu verschlingen. Besser sie als jemand anderen, der sich mir nicht freiwillig hingab. Und das waren ja auch die Regeln hier: Halte geheim, dass du ein Vampir bist, aber wenn jemand freiwillig mit dir kommt, kannst du an einem unbeobachteten Ort von ihm trinken; nur lass ihn ja am Leben. Als alter Vampir brauchte ich nicht mehr auf diese Regeln achten, sie waren mir in Fleisch und Blut übergegangen. Ich spürte einfach, wann der Moment gekommen war, an dem ich zu trinken aufhören musste, um das Menschenleben nicht zu gefährden. Der fette Barkeeper begann ein "Was willst du?", als ich abdrehte und das Mächen in die entlegendste, dunkelste Ecke des Asylum führte. Sie kicherte, fühlte sie sich ihren weiblichen Artgenossen mit einem derart gutaussehenden Liebhaber ach so überlegen. Warum ich sie immer wieder irgendwo hinbrachte, wo niemand uns beobachten konnte, war ihr schleierhaft, aber so lange sie mich nachts rumzeigen konnte, war es ihr wohl egal. Die Logik weiblicher Wesen hatte ich selbst zu Lebzeiten nicht durchschauen können...
Kaum waren wir in dem stillen Eck angelangt, strich ich ihr sanft durch das Haar. Ich lies dem Hunger in meinem Blick freien Lauf, sie würde den Ausdruck eh vollkommen falsch deuten. Ich strich ihr über den Hals, spürte die Wärme ihrer Haut unter meinen eiskalten Fingern, spürte das Blut durch ihre Adern rinnen. Ich konnte mich nicht mehr zurückhalten. Ich presste sie gegen die Wand, strich ein nerviges Gewirr aus blondem Haar zur Seite und beim Anblick ihres Halses überkam mich nichts als Lust. Kaum vergrub ich meine spitzen Eckzähne in ihrem Hals, lehnte sie sich noch ein Stück weiter zurück. Warmes Blut sickerte benetzte meine Lippen, das Tier in mir führte einen vernichtenden Schlag aus, welcher meine Kehle zu sprengen drohte. Wie ein Schwamm sog ich die lebenserhaltende Flüssigkeit in mich auf und fühlte mich gleichzeitig ekstatisch sowie angewidert von mir selbst.
Im letzten Moment ließ ich von ihr ab. Meine Nackenhaare sträubten sich. Ich wurde beobachtet. Den schlaffen, aber noch lebenden Leib mit beiden Armen umfangend, zog ich mit dem Fuß einen Stuhl heran und ließ das Mädchen darauf nieder. Sie hatte genug für diese Nacht.
Und ich war immer noch durstig. Es kam nicht darauf an, wie viel ich trank. Wie auch ein Mensch an manchen Tagen mehr Hunger hatte als an anderen, so dürstete es mich in manchen Nächten auch nach mehr Blut als normal. Vielleicht hätte mich dieser Blutschuss befriedigt, hätte ich nicht gewusst, dass jemand in unmittelbarer Nähe stand und mich beobachtete. Ich blickte mich nicht nach dem Störenfried um, er war nur ein Mensch. Zwar mischten sich hier die Gerüche von Vampiren mit dem der Sterblichen, doch wusste ich es einfach. Dafür war ich bereits alt genug.
Langsam machte ich auf dem Absatz kehrt und blickte mich um. Auf der von buntem Neonlicht gefluteten Tanzfläche drückten sich menschliche Leiber aneinander; sie hatten kein Auge für die Dinge, die um sie herum geschah. Der Barkeeper hielt den Blick gesenkt. Wie immer, wenn ich hierher kam. Geradeso, als wüsste er, was für ein abscheuliches Wesen ich war. Aber natürlich wusste er das nicht. Reine Einbildung meinerseits.
Und da sah ich ihn... ihn. Unsere Blicke trafen sich und die Sekunden, bevor er sich abwandte und hastig den dicken Barmann bezahlte, erschienen mir wie Stunden. Wunderschön... einfach wunderschön. Die meisten hätten ein Wort wie „gutaussehend“ wohl vorgezogen, denn Männer nannte man ja generell nicht schön, oder? Ich aber sah in ihm einen Sterblichen von natürlicher Eleganz. Trotz seiner gehetzten Bewegungen schien jeder seiner Schritte genau koordiniert. Sein langes, zu einem Zopf gebundenes schwarzes Haar wehte hinter ihm her. Und seinen dunklen Augen würde ich niemals vergessen. Zwar ein Sethskind, doch ohne jeglichen Makel. Ein reines Kunstwerk. Trotz des Geruches, den er ausstrahlte, hatte ich für einen Moment das Gefühl, er war ein Vampir. Wieder eine Einbildung. Oder auch Wunschdenken. Ich wusste es nicht. Aber eines wusste ich: Dieser Mann würde die Woche nicht überleben. Und wenn ich ihn nicht haben durfte, dann sollte er sterben.

Als er das Asylum verließ, folgte ich ihm. Das Mädchen ließ ich einfach zurück, ich brauchte es heute nicht mehr. Und morgen wahrscheinlich auch nicht. Wieder verspürte ich diesen Ekel, der immer in mir hochkam, wenn ich daran dachte, einem Menschen das Blut zu stehlen und eine leere, kalte Hülle zurück zu lassen. Es ließ sich nicht unterdrücken. Dieser Mann war alles, was ich wollte. Ich wollte ihn besitzen, ihn die ganze Zeit über anstarren, als sei ich wahnsinnig geworden. Nur aus dem Augenwinkel nahm ich war, wie Jeanette – eine der Schwestern, die sich immer stritten – mir kopfschüttelnd, aber mit einem Grinsen auf den Lippen hinterher sah. Ganz nach Marke „Der gute Jermaine hat ein neues Spielzeug gefunden“. Irgendwo stimmte das auch, ich wollte es mir nur selbst nicht eingestehen.

Der Junge mied dunkle Gassen. Sein Glück. Meinen Durst hatte ich zwar vergessen, aber der würde schon wieder kommen. Immer, wenn er sich umblickte, duckte ich mich in irgendeinen Schatten und war so für seine Augen nicht mehr sichtbar. Das einzige, was ich wollte, war ihm zu folgen und herauszufinden, wo er sich tagsüber aufhielt. Es war nie meine Art, mein Glück überzustrapazieren. Ich zuckte nicht mit den Schultern und hoffte darauf, dass der junge Mann morgen Nacht meinen Weg im Asylum kreuzen würde. Gesehen hatte er definitiv zu viel. In der Sicherheit, die mich umfing, war ich zugegebenermaßen auch etwas unvorsichtig geworden. An so gut wie jeder Straßenecke konnte man einen Sterblichen finden, der dumm genug war, auf die Tricks eines alten, verführerischen Vampirs herein zu fallen. Alle anderen sahen dann nur einen Mann, der ein junges Fräulein vernaschte. Und wen dieses dann ohnmächtig zusammen sank, dann war es der Alkohol, der ihr nicht bekam. Es war zu leicht geworden. Diesen Denkzettel hatte ich verdient.
Im Gegensatz dazu war es Glück, dass er gesehen hatte, was er nun einmal gesehen hatte. Vielleicht wäre ich sonst niemals auf ihn aufmerksam geworden...
Ich folgte ihm bis zu seinem Appartement. Falls man die Bruchbude, die er bewohnte, überhaupt als solches bezeichnen konnte. Eine schäbige Einzimmerwohnung über dem Laden des Pfandleihers. Ich merkte mir die Adresse und verschwand in den Schatten. Zeit, noch ein bisschen zu trinken, Zeit, bald nach Hause zu fahren und sich schlafen zu legen.

Ich beobachtete ihn. Nur zum Trinken verließ ich das Fenster. Er schlief. Tief und fest. Und im Schlaf erschien er mir noch schöner, noch zerbrechlicher. Reine, unschuldige Kunst. Ich war nahezu besessen von ihm, formte Bilder in meinem Kopf, sah seine Gestalt in einer Umgebung wandeln, die seiner Schönheit angemessen war. Ich wollte ihn mit Geschenken überhäufen.
Idiotisch nicht? Aber es war so und ich konnte nichts dagegen tun. Wahrscheinlich waren es meine verkrüppelten, menschlichen Gefühle, die Erinnerung an meine eigene, ehemalige Sterblichkeit und das Wissen darum, was ich alles verloren hatte, als mir der tödliche Kuss zuteil geworden war. Ich dachte einfach viel zu viel nach. Dabei war es doch so einfach. Ich wollte ihn besitzen und ich konnte ihn auch haben. Das heißt...
Bereits nach zwei Tagen hielt ich es nicht mehr aus und ging zu LaCroix in den Ventrue-Turm. Er war die Person, die man allgemein als Prinz bezeichnete. Er wahrte die Vampir-Gesetze, die Sechs Traditionen, und war das Oberhaupt der Camarilla. Ein Ventrue, der nach Macht strebte, nach mehr und mehr, und ich war eigentlich kaum einem Vampir begegnet, der auch nur ein gutes Wort über ihn verlor. LaCroix war aber auch ein Mistkerl... ohne seine Genehmigung jedoch durfte kein Kainskind geschaffen werden. Und da ich genau das mit dem Schönling vorhatte, welcher der Mittelpunkt meiner Gedanken war, kam ich nicht umhin, ein Ersuchen an den geleckten Prinzen zu stellen. Klar, er würde sein Einverständnis nicht geben. Aber es gab Mittel und Wege, ihn dazu zu bringen, einzuwilligen.
Ich möchte hier nicht erwähnen, wie viele Leichen ich aus seinem Keller grub, um ihm begreiflich zu machen, wie ernst es mir war. Natürlich war ich bereit alles zu vergessen, was ich wusste, wenn ich nur den Jungen bekam. Jedenfalls... LaCroix zeigte sich kooperativ. Es war äußerst dumm, was ich tat. Als ob der Ventrue es einfach darauf beruhen lassen würde... Nein, so einer war der nicht. Er wusste, was für ihn am besten war. Für den Moment jedenfalls. Nein, ich hatte keine Angst vor ihm. Auch keinen Respekt. Aber ich wusste, dass ich noch Probleme hier in L.A. bekommen würde...

„Wer sind Sie?“ Der junge Schönling schreckte hoch, als ich ihm eine Anwesenheit zu spüren gab. Eine Stunde lang hatte ich ihm beim Schlafen zu gesehen. Das hatte gereicht, um alles noch einmal zu überdenken und mich darüber im Klaren werden zu lassen, dass ich verrückt war. Das alles hier... es konnte mein baldiges Ableben bedeuten – und was tat ich? Ich schlich in die Wohnung des Jungen, setzte mich auf den mehr oder weniger intakten Bürostuhl und lehnte mich gemächlich zurück, legte schon einmal die Worte zurecht, die ich sprechen würde.
„Die Frage ist nicht“, begann ich, „wer ich bin. Die Frage ist: Wer bist du?“ Ja, ja... ihr Menschen steht doch auf dieses geheimnisvolle Gelabere...
„Hören Sie auf mit dem Scheiß – was machen Sie in meiner Wohnung? Wie sind Sie hier rein gekommen?“ Er spie mir die Worte förmlich ins Gesicht. Oh man, das würde eine lange Nacht werden...
„Ich kam durch die Haustür.“ Was hatte er schon groß erwartet? Er wohnte in einer Bruchbude. Ich war zwar kein Meister im Schlösser knacken, aber bei diesem hatte selbst ich mir keinen Ast abgebrochen.
„Durch die...“ Er war sichtlich perplex. Wohl weniger aufgrund meiner Aussage, ich hätte die Wohnung auf mehr oder weniger ordnungsgemäßem Wege betreten, sondern eher, da ich diesen Zustand als vollkommen normal ansah. Meine Stimme war ruhig. Bevor ich hierher gekommen war, hatte ich meinen Durst für diese Nacht gestillt. Sogar meine Hände fühlten sich warm an. Das taube und wieder nicht taube... ach, dieses merkwürdige Gefühl in den Fingern blieb. Und umso merkwürdiger wurde es, wenn Blut in sie hinein floss, welches eigentlich nicht fließen durfte.
„Ich ruf jetzt die Polizei, Kumpel“, meinte der Junge und ließ mich nicht aus den Augen. Ich konnte nur lächeln.
Gerade, als er den Telefonhörer abnehmen und die Nummer wählen wollte, griff ich blitzschnell mit meiner Hand nach seiner, drückte ihn zurück auf das Bett und grub meine Zähne tief in das weiche Fleisch seines Halses. Er wehrte sich, versuchte zu schreien, doch nur ein kaum vernehmliches Ächzen verließ seine Lippen. Er hatte keine Chance. Ich trank von ihm, saugte ihn bis auf den letzten Tropfen aus... Es war das süßeste Blut, das mir jemals über die Lippen gekommen war. Aber wahrscheinlich bildete ich mir auch das nur ein. Meine Einbildungen waren generell situationsbedingt.
Als ich mich erhob, vermochte der Mann kein Wort von sich zu geben. Die Augen halb geschlossen lag er da, zu kraftlos, als dass er überhaupt noch Furcht verspüren konnte. Während das warme Blut meine Lippen benetzte und mein Kinn, und dann hinab tropfte, setzte ich mich neben ihm auf das Bett.
„Ist wohl nicht dein Tag, Junge“, sagte ich gefasst. „Und nun hätte ich gerne gewusst, wie du heißt. Und du kannst mir eines glauben: Mir deinen Namen zu verraten liegt durchaus in deinem Interesse.“
Er sprach. Leise, gurgelnd. Ich konnte kaum etwas verstehen. Ach, egal. Ich hatte erreicht, was ich wollte. Bis jetzt jedenfalls. Nur einen letzten Schritt musste ich nun noch gehen...

Bevor der Morgen graute, wart ein neuer Vampir geboren. Über die Schultern eines Mannes gelegt, welcher ihn zu einem Taxi trug. Kleines Küken...

Crow
13.09.2005, 12:43
Ethan Knight

Der 13. September 2003, der Tag an welchem mein Lebenslicht versiegte. Gestorben, um wieder Aufzuerstehen und die Schattenseite der Welt kennen zu lernen, welche seit Urzeiten durch die von der Camarilla durchgesetzte Maskerade vor den Augen der Sterblichen verborgen war. Doch von alledem wusste ich nichts, als ich am besagten Tage – oder vielmehr nach Einbruch der Nacht – aus den wohl merkwürdigsten Albträumen meines Lebens erwachte. Es waren unterschiedlichste Szenarien, welche sich im Inneren meines Geistes abspielten, aber eins war allen gemein: Ströme aus Blut ergossen sich und ich genoss diesen Anblick, als sei diese rote Flüssigkeit das Wichtigste auf der ganzen Welt. Heute ist mir der Grund dafür natürlich klar, damals jedoch erwachte ich nur verwirrt in einem großen Bett und verdrängte die Träume sofort, weil ich nicht wusste, wo ich mich überhaupt befand. Und als ob dies nicht schon schlimm genug gewesen wäre, ich hatte scheinbar ebenso jegliche Erinnerungen an den Vorabend verloren. Mühevoll ertastete ich eine Nachtti••••••••, welche das Zimmer in Sekundenbruchteilen in ein gruseliges Dämmerlicht tauchte. Hektisch sah ich mich um, aber ich war allein. Kein Fenster befand sich in diesem Schlafzimmer, sonst jedoch wirkte es gewöhnlich eingerichtet, soweit man es zumindest in dem spärlichen Licht erkennen konnte, das durch die kleine Lampe gespendet wurde. Ein paar Kleidungsstücke, welche definitiv nicht mir gehörten, lagen auf dem Boden verstreut, ansonsten sah alles ordentlich aus. Zwei Türen führten aus dem Raum hinaus und an einer der Wände befand sich ein großer Schrank mit einer Schiebetür. Ein kalt wirkender Ledersessel befand sich in der Nähe des Bettes, über welchem einige Bilder hingen, die größtenteils in rot gehalten waren und irgendwie grotesk wirkten, was aber vielleicht auch nur an der schlechten Beleuchtung lag. Es war sowieso nicht von Belang, denn mich interessierte eigentlich nur, warum ich mich an diesem Ort befand und wie ich dorthin gekommen war.
Ich setzte mich gerade auf und versuchte noch einmal mit aller Kraft, mich an den Abend davor zu erinnern. Wollte ich nicht ins Asylum gehen und schauen, was dort so abging? Ich war zu dem Zeitpunkt erst ein paar Tage in Santa Monica und nicht sehr gut betucht, so dass ich mir das wahrscheinlich billigste Zimmer von ganz L.A. gemietet hatte, welches sich aber immerhin in der Nähe zu diesem Etablissement befand. Ich hatte gehofft, dort die eine oder andere junge Dame kennen zu lernen, um einen schönen Abend zu haben, immerhin stand ich mit Mitte Zwanzig doch in der Blüte meines Lebens und zudem – ohne jetzt arrogant klingen zu wollen – sah ich auch recht gut aus. Aber was war danach passiert? Träume von Blut und die Realität schienen sich zu vermischen oder meine Erinnerungen schienen mich zu trügen, denn ich sah vor meinem geistigen Auge einen Mann in einem roten Hemd, welcher eine junge Frau auf den Hals küsste. Doch an ihrem Hals erkannte ich trotz der schlechten Beleuchtung ein paar Tropfen Blut und der Mann schien es wie ein gieriger Blutegel in sich hineinzusaugen. Welch grässliche Vorstellung, kann dies wirklich die Wahrheit gewesen sein? Die Leere in meinem Kopf schien immer mehr zu weichen, denn plötzlich konnte ich mich an einiges erinnern. Der Mann hatte mich gesehen, wie ich ihn beobachtete. Ja, immer noch am Hals der Frau saugend sah er zu mir auf und ich hatte das Gefühl, als hätten seine Augen merkwürdig gefunkelt. Womöglich war es nur ein Lichtreflex der Scheinwerferanlage, aber es hatte ausgereicht, um mir das Blut in den Adern gefrieren zu lassen. Ich hatte Angst und wollte nur noch verschwinden, fast hätte ich sogar die Bezahlung meines Getränks beim Wirt vergessen, als ich mich in die kühle Nacht in Richtung meines „prachtvollen“ Appartements aufmachte. Ich fühlte mich verfolgt, ja, ich konnte sogar in dem Moment der Erinnerung auf dem Bett wieder die Angstgefühle aufkeimen fühlen, welche mich zu dem Zeitpunkt befallen hatten. Mein Gedächtnis war ein leeres Buch, welches sich nun Zeile für Zeile wieder mit Worten füllte, auch wenn diese Erinnerungen immer grotesker und widerwärtiger wurden. Der Mann war bei mir eingebrochen und hatte mich ... vergewaltigt? Nein, zumindest nicht direkt, aber er hatte sich auf mich gestürzt, mir wie dieser Frau in den Hals gebissen und sich an meinem Blut gelabt, während ich fühlte, wie das Leben aus meinem Körper wich, unfähig mich gegen ihn zu wehren.
Sofort und reflexartig fasste ich mir mit der rechten Hand an den Hals und suchte nach dieser Bisswunde, jedoch war die Haut glatt und unversehrt. Natürlich war sie das, diese Geschichte konnte einfach nicht wahr gewesen sein, so was konnte es nicht geben. Was dachte ich mir nur dabei, mir einzubilden, dass Graf Dracula persönlich bei mir einbricht und mich beißt? Ich musste es nur geträumt haben oder vielleicht stand ich sogar unter Drogen, das Asylum wirkte sowieso wie ein eher zwielichtiger Ort. Aber wie zur Hölle kam ich dann in dieses Zimmer, von dem ich nicht wusste, wo es sich befand? Mutlos ließ ich mich in die Kissen zurücksinken, doch eine Stimme ließ mich sofort wieder hochschrecken.
„Na, sind wir ein wenig verwirrt, Küken?“
Ich drehte mich hektisch in Richtung des Ledersessels und eine Person saß darin. Um genau zu sein diese Person, welche mich gestern in meiner Wohnung aufgesucht hatte. Die Lampe auf dem kleinen hölzernen Nachtschränkchen bestrahlte sein Gesicht, offenbarte feine Züge und fahle, blasse Haut ohne jeglichen Makel. Gekleidet war er ganz in schwarz und saß lasziv auf dem Sessel, während er mich ansah. Die Erinnerungen an die letzte Nacht kamen zurück und ließen mich erstarren, doch ich hätte sowieso nicht fliehen können, zumal ich nicht einmal wusste, wo ich war.
„W... Was wollen Sie von mir und woher kommen Sie so plötzlich? Ich... Ich habe Sie nicht kommen sehen.“, sagte ich zögerlich und auch ein wenig angsterfüllt. Ich war gewiss kein Schwächling – für menschliche Verhältnisse wohlgemerkt -, aber seine Gegenwart schien mich zu lähmen ich wusste noch von letzter Nacht, wie stark er war. Er jedoch antwortete mit ruhiger Stimme und saß weiterhin entspannt da, ohne sich groß zu bewegen.
„Du konntest mich nicht sehen und doch war ich die ganze Zeit hier.“
Sein Mund formte ein breites Lächeln und offenbarte zwei spitze Zähne, welche vorher verdeckt gewesen waren. Wahrscheinlich zeigte er sie mir absichtlich und wartete innerlich gespannt auf meine Reaktion darauf.
„Ich bin Jermaine“, sprach er weiter, meine nun offen gezeigte Angst vollkommen ignorierend, „Jermaine Clayton.“
Der Name jedoch war mir vollkommen egal, denn die Zähne zogen meine volle Aufmerksamkeit auf sich. Das konnte nicht sein. Es gab keine Vampire! Wo war ich da nur hereingeraten? Wahrscheinlich handelte es sich bei diesem Clayton um einen irren Serienkiller mit einer Vampirmasche, um die Opfer vorher noch schön zu quälen. Ich spürte dennoch, wie die Angst ein wenig wich und sich mein Verstand einschaltete, warum auch immer. Glücklicherweise hatte ich es in meinem bisherigen Leben schon immer geschafft, Angstzustände in Gefahrensituationen zu überwinden und einen einigermaßen kühlen Kopf zu bewahren, wo andere nur panisch reagierten und unfähig waren, irgendwelche Maßnahmen zu ergreifen.
„Machen Sie sich keine Hoffnungen, ich bin arm und keiner wird ein Lösegeld oder so was zahlen. Wenn sie mich töten wollen, dann tun Sie das sofort oder lassen mich gehen!“
Es waren mutige Worte und gleich darauf versuchte ich wieder aufkommende Angst so gut wie möglich zu unterdrücken. Seine Antwort darauf hielt ich zunächst für weitere Psychospielchen eines durchgeknallten Irren, denn er sagte schlicht und einfach: „Du bist schon tot, mein Junge.“
Das war zuviel, alle Alarmglocken meines Körpers meldeten sich zu Worte, ich musste einfach verschwinden. Ich wollte losrennen, am besten sofort, nur leider war mein Körper zu schwerfällig und so stand ich nur langsam auf. Jermaine aber blieb ganz ruhig sitzen und regte sich nicht, vielmehr schien er mich interessiert zu beobachten, ähnlich einem Wissenschaftler mit seinem Versuchskaninchen. Hatte er eine Waffe in der Hand? Würde er mich erschießen, wenn ich nun einfach das Zimmer verließe? Ich weiß heute noch nicht, woher ich den Mut nahm, aber ich ließ es einfach darauf ankommen, zumindest hatte ich das vor. Kaum hatte ich das Bett verlassen und stand auf beiden Füßen, da begann der gesamte Raum sich vor meinen Augen zu drehen. Stand ich immer noch unter Drogen? Dumpf hörte ich meinen eigenen Körper auf den harten Parkettboden aufschlagen, ohne Schmerzen zu spüren und zunächst unfähig, mich groß zu bewegen.
Ohne dass ich es gemerkt hatte, stand Jermaine plötzlich vor mir, wobei ich aus meiner liegenden Position nur seine dunklen Lederstiefel und seine Hosenbeine sehen konnte.
„Du bist schwach, du musst etwas trinken, sonst wirst du nirgendwo hingehen“, sagte er mir und reichte mir die Hand, um mir aufzuhelfen. Zu diesem Zeitpunkt wurde mir klar, dass ich ihm vollkommen ausgeliefert war. Ich wusste nicht, was mit meinem Körper nicht stimmte, nur dass er sich anders anfühlte. Einzig und allein Jermaine, mein dunkler Erschaffer, schien die Antwort zu kennen, also musste ich ihm vertrauen, eine andere Wahl blieb mir nicht. So verließen wir beide gemeinsam die Skyline Appartements und betraten die nächtlichen Straßen von Downtown.
Mein altes Leben lag nun hinter mir und die erste Nacht als ein Wesen der Dunkelheit wartete auf mich...

Katan
13.09.2005, 13:48
Jermaine Clayton

Ich war überrascht. Bei manchen kam das Verstehen schneller, bei manchen nicht. Weiß Gott, der Bursche war nicht der erste, den ich zu einem Vampir gemacht hatte... um genau zu sein war er bereits mein drittes Kind. Die anderen zwei... nun, das würde ich dem Jungen nicht erzählen. Es war besser so. Hätte er gewusst, dass die beiden sich selbst das Leben genommen hatte, er wäre wahrscheinlich in Panik ausgebrochen. Vielleicht aber auch nicht. Er schien unberechenbar zu sein. Er verstand nicht im geringsten, was hier los war, glaubte nicht, was ihm wiederfahren, dass er nun ein Kind der Finsternis war. Aber dennoch trottete er neben mir her durch die nächtlichen Straßen Downtowns und ließ alles mit sich geschehen. Jeremias, das erste meiner Kinder, hatte eine ganze Nacht damit verplempert, sich dagegen zu sträuben, was aus ihm geworden war. Andreas hingegen hatte wenige Sekunden gebraucht und den Vampirismus zu akzeptieren. Aber sie beide hatten mich schnell ermüdet. Sie waren keine guten Kinder gewesen. Sie hatten sich nie für die Gabe bedankt, welche ich ihnen geschenkt hatte. In Ordnung, mein Erschaffer war von mir auch nicht unbedingt mit Danksagungen überschüttet worden. Entsprach scheinbar der Norm...
„Wie ist dein Name?“, wollte ich von dem Jungen wissen. Er antwortete nicht. Vielmehr schien er mit eigenen Gedanken beschäftigt, die seinem durstigen Körper sämtliche Fähigkeit zur Aufmerksamkeit abverlangten. Wie war es mir ergangen, als ich ein Vampir geworden war? Ich konnte mich kaum mehr daran erinnern. Meine Zeit als Küken war jedenfalls nicht von Freude geprägt gewesen oder sonderlichem Erfolg. Nicht mal, als mein Meister mich losgesagt hatte und ich in den Rang eines Neugeborenen aufgestiegen war, hatte ich die Hintergründe dieser ganzen Sache vollkommen erfassen können. Und nun war ich ein Ancilla. Außerdem... ah. Ein Sethskind. Genau das, was mein junger Schützling nun brauchte. Penner rannten überall hier herum, doch ihr Blut befriedigte nicht wirklich. Genauso gut hätte man sich von Ratten ernähren können... die Frau, die ich dort sah, verkaufte ihren Körper. Heute Nacht aber würde ihr Blut das Gut sein, dass ich erstehen wollte. Ich fasste den Jungen bei der Schulter und führte ihn zu ihr hinüber. Noch immer war er irgendwie abwesend.
„Oh, wen haben wir denn da. Möchtet ihr zwei vielleicht... aber das kostet dann mehr, wenn du verstehst“, richtete die Braunhaarige ihr Wort an mich. Ja, ja... Geldgeil bis zum Gehtnichtmehr. Aber immerhin gesund und frisch.
„Wie viel möchtest du denn haben?“, fragte ich und lächelte sie an. Wenn man uns – den Jungen und mich – sah, konnte man meinen, wir waren Brüder oder Freunde. Ich war im Alter von 28 Jahren gebissen worden und hatte nun seit 156 Jahren diese Gestalt erhalten. Das war einer der wenigen Vorteile am Vampirdasein. Man wurde und wurde nicht älter.
„Für euch beide? Sagen wir... 600 Dollar?“
„600 Dollar!“, keuchte ich. Dreistes Weib. Wie konnte sie nur erwarten, dass ich ihr so viel Geld bezahlen würde, nur damit mein junger Schützling zu Übungszwecken ein wenig an ihrem Hals knabbern konnte? Ein leises Grummeln von mir gebend zog ich meine Brieftasche aus der Hosentasche und zählte das Geld nach. 615, 25 Dollar hatte ich dabei. Gerade genug, sie bezahlen zu können. Als ich noch ein Mensch gewesen war, hatte ich mich nie mit so viel Geld auf die Straße getraut. Aber das hatte sich ja bereits erledigt... Mit bösem Blick überreichte ich ihr das Geld. Wenn sie ihre Kunden mit solch hohen Preisen immer kam, brauchte es sie nicht wundern, wenn einer von denen sie irgendwann umbrachte und das Geld wieder an sich nahm.
Die Dame hielt sich nah bei mir. Der Junge machte ihr mit seiner Apathie Angst. Augenrollend schlug ich ihm auf den Hinterkopf. Nicht zu doll, denn ich wollte ja auch nicht, dass ihm dabei die Augen aus dem Kopf fielen. Er aber scherte sich nicht darum, rieb sich mit einer Hand den Schädel und schlich weiter vor sich hin. Ich hatte bereits davon gehört, es aber nicht glauben wollen... manche Kainskinder sollten angeblich allein durch ihre Geburt einen seelischen, irreparablen Schaden erhalten haben.
Hätte ich nicht gewusst, dass es einen Gott nicht gab, ich hätte zu ihm gebetet, dass meinem dritten Kind ein solches Schicksal erspart blieb.
Die Gasse war dunkel und abgeschottet, von der Straße nicht einsehbar. Ein Obdachloser musste vertrieben werden, aber dann hatten wir unsere Ruhe. Und mehr als bereit wartete die Frau darauf, dass wir uns nahmen, wofür wir bezahlt hatten. Ich führte den Jungen also an sie heran und streichelte ihr anschließend durch das Haar, legte ihren Hals von Haaren frei und neigte ihren Kopf schief zur Seite. Alles weitere musste ich nicht erklären. Kaum hatte ich nämliche diese paar Bewegungen gemacht, stürzte das Küken sich bereits auf sie, vergrub seine Fänge in ihrem Hals und begann zu saugen. Ich ließ ihn gewähren, stand daneben und wartete ab. Die Prostituierte hatte nicht geschrieen. Alles war schnell und sauber vonstatten gegangen. Ich spitzte die Ohren und achtete auf ihren Herzschlag. Irgendjemand musste ja darauf aufpassen, dass der junge Vampir sie nicht tötete.
„Das reicht“, meinte ich, packte ihn und stieß ihn unsanft zurück, sodass seine spitzen Eckzähne ihren Hals verließen. Er warf den Kopf in den Nacken, atmete abgehackt und ruckte mit gegen die Mauern des Asylum. Das erste Mal Blut zu trinken... das war besser, als alles, was man in seinem Leben jemals erlebt hatte.
„Hat’s geschmeckt?“ Es war eine Frage, die keiner Antwort bedurfte. Und er antwortete auch nicht, sondern sah mich lange an.
„Wieso...“, setzte er dann an.
„... habe ich dich aufgehalten?“, beendete ich den Satz und setzte eine Lehrmeistermiene auf. „Nun. Die Sache ist folgende: Du darfst deine Opfer nicht töten. Nicht hier, denn das ist die Domäne eines Vampirs der Camarilla. Nennen wir es mal ein Maskerade-Gebiet.“ Und ich betete ihm die Sechs Traditionen runter: Die Maskerade, welche besagte, dass ein Vampir den Sterblichen sein wahres Wesen niemals zu enthüllen habe, da er – handelte er wider dieser Tradition – seine Blutrechte verlor. Die zweite Tradition, die Domäne, welche das Gebiet eines Vampirs seinen eigenen Belang nannte, und dass man einem Vampir in seiner Domäne Respekt zu zollen und sich niemals gegen sein Wort aufzulehnen hatte. Die dritte Tradition, die Nachkommenschaft, welche zum Gesetz machte, dass ein Vampir nur mit der Erlaubnis seines Ahnen einen anderen zeugen durfte, da ansonsten der Erschaffer und der Nachkomme erschlagen würden. Die vierte Tradition, die Rechenschaft, welche ein Küken zum Kind des Erschaffers machte, und dass es den Befehlen seines Erschaffers zu gehorchen hatte, da dieser die Sünden des Kükens trug, bis es auf sich selbst gestellt war. Die fünfte Tradition, die Gastfreundschaft, welche einen Vampir zu nichts erklärte, bis er sich dem vorgestellt hatte, der über die Domäne herrschte. Die sechste und letzte Tradition, die Vernichtung, die festlegte, dass ein Vampir einen anderen nicht zu vernichten hatte und dass nur ein Ahn eine Blutjagd ausrufen konnte.
Ja, das waren die sechs Tradition, die mir selbst einst von meinem Herrn vorgetragen worden waren. Ich hatte nicht sofort alles verstanden, hatte nachfragen müssen.
„Moment“, meinte mein Küken, „soll das heißen, ich muss dir gehorchen?“
„Natürlich“, erwiderte ich leichthin, „was dachtest denn du? Du bist mein Kind, ich dein Vater. Sag mal – hattest du keine Eltern oder was? Du weißt doch, wie so was abläuft. Ist doch scheißegal, ob deine Mutter dir sagt, dass du abwaschen sollst, oder ich von dir verlange, dass du den Dienstboten oder sonst was spielst.“ Oh-oh, war das da etwa Trotz in seinen Augen? Trotz war gar nicht gut. Es konnte negativ auf die Vater-Kind-Beziehung zwischen uns beiden wirken. „Wenn du Mist baust, dann muss ich den Kopf dafür hinhalten. Auch nicht gerade angenehm für mich, oder? Für beide Seiten gibt es Vorteile und Nachteile. Aber lass mich erst einmal zum Ende kommen. Dies ist die Domäne des Camarilla-Prinzen, dem du dich noch vorstellen solltest. Er ist ein Arschloch, aber das brauchst du ihn nicht wissen lassen. Jedenfalls solltest du hier keinen Menschen töten. Du kannst es gern tun, aber willst du dabei wirklich deine Menschlichkeit aufs Spiel setzen?“ Die Menschlichkeit, so erklärte ich, war ein wichtiger Bestandteil des Unlebens eines Toreador. Ein Vampir zu sein bedeutete weder Fluch noch Segen, doch gab es gewisse... Umstände, die unser Leben und das der anderen Kainskinder etwas erschwerten. Ich hätte jetzt mit Phantastereien anfangen können, von wegen ein Dämon hauste in seinem Körper und konnte jederzeit die Macht über ihn erlangen, was in Raserei ausartete. Ein Vampir zu werden veränderte einen, aber noch schrecklicher war die Vorstellung, nicht einmal mehr den eigenen, untoten Körper beherrschen zu können. Ein parasitäres Etwas nistete sich in unseren Körper ein; wir waren Wesen der Finsternis. Irgendeinen Haken musste es also daran geben, ein Vampir werden zu wollen. Dieses Etwas nannten wir schlichtweg „Das Tier“. Es war die einfachste und wohl treffendste Bezeichnung für das Wesen, dass die Abgründe unserer Seele beherrschte.
„Übrigens...“, machte ich weiter, „du musst für deine sterblichen Freunde und deine Familie tot sein. So lebt es sich leichter. Da gibt es kein ’Lebwohl, ich bin ein Vampir und kann mich nicht mehr mit euch blicken lassen’ oder so. Du musst einfach weg sein. Du kannst auch deinen eigenen Tod inszenieren, alles kein Ding, lässt sich einrichten – aber Hauptsache, deine Leute denken, du seiest tot. Nicht so tot, wie du es jetzt bist, sondern wirklich tot-tot. Alles klar?“
Er nickte.
„Schön, dann sag mir mal deinen Namen.“
Der Junge zögerte. Dann: „Ethan Knight.“
„Na endlich. Ich dachte schon, du würdest mir niemals sagen, wie du heißt. Ich hätte dich auch Küken nennen können, ist mir eigentlich völlig egal. Aber ich weiß ja selbst, dass man immer noch an bestimmten sterblichen, weltlichen Dingen hängt.“

Crow
13.09.2005, 15:53
Ethan Knight

Blut... Der rote Quell des Lebens, auf den wir Vampire angewiesen sind, um unsere eigene schöne Form zu bewahren und nicht zu einem hässlichen Monster zu mutieren, welches unsere wahre Natur nicht weiter zu verbergen vermag. Zudem führt Blutmangel dazu, dass das Tier, dieser parasitäre Dämon in uns, leichter die Kontrolle über den Körper erhält und man in sogenannte Raserei gerät. Ich werde niemals vergessen, wie ich meine Zähne das erste Mal in den Hals einer Sterblichen stieß und mich von ihrem Blut ernährte. Mein Meister erklärte mir in dieser ersten Nacht alles Mögliche über das für uns so lebenswichtige Elixier, unter anderem auch, dass das erste Mal Bluttrinken auf Ewigkeiten unerreicht bleiben wird. Und ich bin mir inzwischen sicher, er hatte damit Recht. Immer noch erfüllt mich das Trinken von Blut mit einem Glücksgefühl, wie es für Sterbliche nicht zu erahnen ist, aber niemals war der Genuss so groß wie bei dieser überteuerten •••• in der ersten Nacht nach meiner Verwandlung. Den Großteil verbrachten wir mit Reden und Erklärungen seinerseits, wobei ich ihn für seine Geduld bewunderte. Jermaine nahm sich alle Zeit für mich und ich nahm auch alles Wissen begierig in mich auf, aber trotzdem schwieg ich viel, war gelegentlich abwesend und hing eigenen Gedanken nach, während ich in anderen Momenten einfach nur alle neuen Eindrücke mit meinen Sinnen erfassen wollte – Vampire sehen die Welt mit anderen Augen als Sterbliche - und mich euphorisch fühlte. Ich fragte mich, ob alle neuen Kainskinder sich so fühlten oder ob es immer unterschiedlich ausfiel. Die behutsamen Reaktionen meines Meisters ließen eventuell darauf schließen, dass ich nicht sein erstes Kind war, jedoch wollte ich zunächst noch nicht danach fragen. Er war nett, aber ich kannte ihn nicht wirklich und ein wenig Skepsis hatte sich im bisherigen Leben immer als recht nützlich erwiesen. Zudem hatte er sich nicht einmal darum geschert, ob ich überhaupt Teil dieser Welt der Dunkelheit werden wollte, sondern mich ohne mir eine Wahl zu lassen gegen meinen Willen genommen. Sah er mich vielleicht nur als eine Art Spielzeug oder gar Experiment an? War er ein Egoist, der sich immer das nahm, was er wollte? Ich war mir sicher, dass ich trotz seiner momentanen Nettigkeit vorsichtig sein musste. Aber verscherzen durfte ich es mir auch nicht mit ihm, sonst wäre ich des Todes. Wie sollte ich überleben, wo ich doch nur einen Bruchteil der Grundregeln kannte? Die Verhältnisse waren klar, er war mein Erschaffer und ich sein Schüler. Und trotz aller Skepsis wollte ich ein guter Schüler sein, denn mein Wissensdurst über die Geschichte der Kainiten war sehr groß.
Mit Freunden und Familie hatte ich keine Probleme, viele Personen waren das sowieso nicht und keiner von ihnen wohnte in L.A. Ich war hierher gezogen, weil ich einfach nur weg wollte. Im Grunde genommen hatte ich sogar schon darüber nachgedacht, meinem Leben selbst ein Ende zu setzen, denn mein gepflegtes und schönes Äußeres täuschte über die Tatsache hinweg, dass mein Seelenleben zerrüttet war. Dennoch zog ich einen Neuanfang in Santa Monica dem schnellen Ableben vor, doch das hatte sich ja nun erledigt, dank Jermaine Clayton. Ja, er tat es ohne meinen Willen und mein Einverständnis, aber ich sah es nicht als Fluch an, sondern als einen Neubeginn für mich. Und dafür war ich Clayton dankbar, was ich ihm darin zeigte, dass ich meinen eigenen Trotz, den er sicherlich schon in meinen Augen hatte funkeln sehen, so gut es ging im Zaume hielt. Und er hatte Recht, er würde den Kopf bei den Oberen der Camarilla für meine Fehler hinhalten müssen, also war alles nur gerecht. Vielleicht könnten wir sogar richtige Gefährten werden, sobald ich alles gelernt hätte, denn selbst wenn man gerade erst unsterblich geworden ist, so wird einem schnell klar, dass es eine grausame Vorstellung ist, diese Unsterblichkeit allein verbringen zu müssen. Als Vampir kann man sich zwar unerkannt unter die Sethskinder mischen, wenn man nicht grad ein Nosferatu ist, aber niemals wieder ein richtiger Teil ihrer Gesellschaft sein. Immer noch dachte ich über die sechs Traditionen nach und verinnerlichte ihren Sinn, der mir durchaus einleuchtete, zumindest soweit ich ihn erfasste, als mir das ungeduldige Gesicht meines Erschaffers auffiel.
„Entschuldigung, was hattest du gesagt?“, fragte ich zögerlich.
„Musst du andauernd abwesend sein?“, meinte er zu mir, jedoch ohne genervten Gesichtsausdruck und mit ruhiger Stimme. „Na ja, nicht so schlimm, das war zu erwarten. Lass uns den Rest der Nacht nicht mit noch mehr Gerede verplempern, sonst raucht dir noch das Gehirn weg. Lass uns ins Asylum gehen und uns unter die Sterblichen mischen. Das lenkt dich ein wenig ab.“
Er packte mich an der Schulter und schob mich langsam vorwärts in Richtung des Eingangs zum Asylum. Dem Ort, wo ich ihm zum ersten Mal begegnete. Warme Luft schlug uns entgegen und es roch nach Schweiß und Alkohol, als wir eintraten. Die Scheinwerferanlage warf bunte Lichter umher und überall tanzten und amüsierten sich Sterbliche ohne zu ahnen, dass sich zwei Kreaturen der Finsternis unter sie gemischt hatten. Ich muss zugeben, dass es mir ein sehr überlegenes Gefühl gab, dennoch rief ich mir gleich wieder die von Jermaine erklärten Grundsätze der Maskerade in den Sinn. Ich durfte mein übernatürliches Wesen nicht preisgeben, sondern musste mich wie ein Sterblicher verhalten.
„Geh Tanzen, wirke nicht so verspannt und amüsier dich etwas“, sagte Jermaine zu mir und ich tat wie mir geheißen. Die Musik mit dem pulsierenden Bass strömte durch meinen Körper, als wäre sie ein Teil von mir, noch niemals hatte ich so gefühlt bisher. Die Bewegungen schienen von ganz allein zu kommen, ich brauchte mich überhaupt nicht darauf konzentrieren. Und anscheinend tanzte ich gut und wirkte zudem höchst attraktiv auf die weiblichen Besucher des Asylums, denn innerhalb kürzester Zeit tanzten drei von ihnen um mich herum, eine hübscher als die andere, und mich überkam ein Lustgefühl, als ich auf ihre Hälse blickte. Dort, wo sich die Schlagadern abzeichneten, durch die das Lebenselixier unserer Art strömte und welches nur auf mich zu warten schien.
Mein Meister – eigentlich stehe ich nicht auf so unterwürfige Begriffe, aber das war er nun mal – begab sich zum Tresen und beobachtete mich, während der hässliche dicke Barmann hinter ihm den Tresen wischte. Dieses Unleben schien wirklich seinen Reiz zu haben und damals dachte ich noch nicht daran, dass es vielleicht auch irgendwann schmerzhaft sein könnte, die Sonne niemals wieder mit eigenen Augen aufgehen zu sehen. Ich dachte nur an die Nächte voller Musik... und Blut. Diese ganzen Eindrücke verwirrten meine Sinne so sehr, dass ich einen weiteren Vampir nicht bemerkte, welcher mich ebenfalls beobachtete. Eine bleiche Schönheit mit blutroten Lippen, düster geschminkten Augen und blonden Haaren, gekleidet in eine weiße Bluse und einen kurzen karierten Rock. Ich bemerkte sie erst, als ich wieder bei meinem Erschaffer am Tresen stand und sie schnurstracks auf uns zukam.
„Was sehe ich da? Ein neues Spielzeug für mich? Zu nett von dir, Jermaine“, hauchte sie spielerisch und war für unsere übernatürlichen Ohren trotz der lauten Musik gut hörbar.

Katan
14.09.2005, 12:41
Jermaine Clayton

Malkavianer... bah, wie ich sie hasse. Ich begann sie zu hassen, als ich das erste mal einem über den Weg gelaufen war. Schon mal einen Vampir gesehen, der mit einem Baumstamm redet? Nein? Nun... ich kann nur sagen, dass dieser Anblick äußerst lächerlich ist. Hassen ist wohl die falsche Bezeichnung dafür, doch bin ich wirklich nicht gern in ihrer Umgebung. Und ganz besonders: Ich spreche nicht gerne mit ihnen, da sie fast die ganze Zeit über nur irgendeinen Müll von sich geben. Dementsprechend glücklich war ich darüber, dass Jeanette sich zu uns gesellt hatte. Blondes Haar, zu Zöpfen gebunden, die seitlich von ihrem Kopf herab hingen und ein geschminktes Gesicht. Sie selbst hielt sich für unwiderstehlich, aber in meinen Augen war sie nichts als hässlich. Die Mitleidstour, okay, die hatte sie wirklich perfekt drauf, aber sonst...
Jeanette legte eine Hand auf die Schulter Ethans und betrachtete ihn eingehend. Dieser Blick gefiel mir überhaupt nicht.
„Nimm deine Pfoten von ihm, Jeanette“, meinte ich in ruhigem Tonfall, so wie ich meistens sprach, „ich habe ihn bestimmt nicht her gebracht, damit du ihn mit deinem Psycho-Gequatsche verdrehen kannst.“
Die Malkavianerin ließ von Ethan ab und stemmte die Arme in die Hüften, beugte ihren Rücken leicht durch und machte einen Schmollmund. „Ist der kleine Jermaine etwa beleidigt?“
„Halt die Klappe.“ Mehr viel mir nicht ein. Ich konnte diese Frau nicht leiden. Therese besaß wenigstens noch ein wenig von dem, was die Sethskinder einen gesunden Menschenverstand nannten. Und obwohl sie eine Kratzbürste war, war mir ihre Anwesenheit lieber als die Jeanettes. Jeanette war nicht dumm, das möchte ich nicht einmal behaupten, aber in meinen Augen waren sie und Therese schon etwas zu „normal“ für Malkavianer. Und alle Mitglieder dieses Clans könnten perfekt unter der Bezeichnung „Spinner“ reklamieren. Die Schwestern machten da bestimmt keine Ausnahme, in irgendeiner Weise mussten sie einfach verrückt sein. Es sollte mich einen Dreck scheren. Hauptsache, Jeanette ließ Ethan in Ruhe. Aber wie nicht anders zu erwarten tat sie das nicht.
„Ist da also ein frisches, kleines Küken aus dem Ei geschlüpft und hat sich in die Menge der Untoten gemischt? Süßer, ich könnte dir ein paar Geheimnisse verraten, wenn du sie gern wissen willst...“ Sie grinste. „Na? Habe ich dich neugierig gemacht, mein kleiner Frischling?“
Ethan wollte tatsächlich etwas antworten, aber ich sah schon, worauf das Ganze hinauslaufen würde: Jeanette war im Begriff, herauszuposaunen, wie es den Vorgängern des Jungen ergangen war. Meine Güte – was machten eigentlich immer alle einen Wirbel darum, wenn ein Küken mal nicht so ganz mit seinem Unleben klar kam? Ich nenne das Pech. Ich hatte mir eben die falschen Kinder Seth’ ausgesucht, um sie auf die andere Seite zu ziehen. Jeder macht mal Fehler, oder? Und mit Ethan hatte ich bestimmt keinen weiteren gemacht. Er lernte begierig, wollte immer mehr wissen, stellte Fragen um Fragen um Fragen. Einfach wunderbar. Es störte mich zwar schon ein wenig, dass er oftmals in Gedanken versank und meinen Worten keine Aufmerksamkeit mehr schenkte, aber das fiel nicht weiter ins Gewicht. Wieso musste jetzt Jeanette daher kommen und sich anmaßen, mir alles kaputt zu machen? Ich legte Ethan eine Hand über den Mund.
„Nein, Ethan. Lass’ es“, sagte ich herrisch. Dann, etwas leiser, sodass kein Sterblicher mithören konnte: „Sie gehört dem Clan der Malkavianer an, die man einfach mit dem Wort Spinner umschreiben kann. Sie sind verrückt – ausnahmslos. Die Metamorphose in einen Vampir hat ihren Verstand angegriffen. Man spricht am besten nicht mit ihnen.“
Jeanette wollte meine Worte mit Hohn überziehen, doch bevor sie etwas sagen konnte, hatte ich meine Hand von Ethan fortgezogen und sie ihr über den Mund gelegt. Sie war nicht verwirrt, und wenn doch, dann ließ sie es sich nicht anmerken und grinste nur. Tja, das war ich nun einmal, wie sie mich kannte.
„Ach was!“, kam es plötzlich von Ethan, „sie scheint mir überhaupt nicht verrückt zu sein. Du musst dich bestimmt irren.“
„Tse...“ Es war unfassbar. Aber was hatte ich schon erwartet? Ethan war ein blutjunger Vampir, ein Küken. Er war noch nie in Berührung mit dem Wahnsinn der Malkavianer gekommen. Ich war sein Lehrer, aber es gehörte nicht zu meinen Aufgaben, ihn vor Fehlern im zwischenvampirischen Bereich zu bewahren. Sollte er ihr doch in die Arme rennen. Es hatte keinen Sinn, noch weiter zu sprechen. Ethan konnte ein rechter Dickkopf sein.
Ich erhob mich und verließ wortlos das Asylum. Hauptsache, er kam nach Hause, mehr wollte ich gar nicht. Denn morgen musste ich ihn dem Prinzen vorstellen. Es war spät genug dafür. Die frische Nachtluft tat mir gut. Selbst der laute Verkehr auf den Straßen störte mich nicht mehr. Und der Durst zerrte an meiner Brust. Es war nun auch für mich Zeit, diesem Verlangen nachzukommen.

Aber was konnte ich anschließend tun? Die Nacht war noch jung und ich machte mir Sorgen um Ethan. Ans Schlafen gehen war also nicht zu denken.
Ich entschied, dem Tremere Max einen Besuch abzustatten.

Crow
14.09.2005, 16:17
Ethan Knight

In dieser Nacht lernte ich, meinem Erschaffer besser Vertrauen zu schenken, wenn es um vampirische Dinge ging, von denen ich als Neugeborener noch gar nichts wissen konnte. In der Welt der Dunkelheit ist so gut wie nichts, wie es auf den ersten Blick hin scheint. So erging es auch mir mit Jeanette und ihrem angeborenen Wahnsinn. Heutzutage weiß ich, dass dieser Wahnsinn bei ihr tatsächlich lange nicht so zutage trat wie bei anderen Vertretern ihres Clans, aber bei den Malkavianern ist es nun mal so, dass dieser Wahnsinn die unterschiedlichsten Formen annehmen kann. Keiner ist genau so wie der andere, aber alle sind irgendwo wahnsinnig. Sie unterhalten sich mit Verkehrsschildern, sprechen in symbolischen Rätseln, sind extrem geistig verwirrt oder was auch immer. Aber in den Kreisen der Kainskinder heißt es auch Gerüchten zufolge, dass gerade die am verwirrtesten wirkenden Vertreter dieses Clans hochgradig intelligent sind, wenn man in der Lage ist, den Sinn ihrer wirren Worte zu erfassen. Bis heute allerdings habe ich noch niemals eine solche Erfahrung machen können und damals in besagter Nacht wusste ich von alledem fast gar nichts. Jermaine sagte mir, sie sei verrückt und ich zweifelte daran, so war es gewesen. Mein Lehrmeister hatte meine Sturheit schnell bemerkt und ging wortlos fort, nachdem ich törichterweise an seinen Worten zweifelte. Einerseits nehme ich ihm dies übel, da ich mir sofort ohne ihn verloren vorkam und Jeanette wie eine Katze blickte, die sich eine Maus zum Spielen eingefangen hatte. Andererseits aber war es vielleicht die Lektion, die ich zu dem Zeitpunkt brauchte. Meiner Vermutung nach hatte Jermaine dies aber nicht unbedingt nur aus pädagogischen Gründen getan, sondern vielmehr einfach deshalb, weil er keine Lust mehr hatte, sich weiterhin mit meinem Dickschädel zu befassen.
Wie dem auch sei, gleich nachdem er das Asylum verlassen hatte, bat mich die Malkavianerin, sie nach oben zu geleiten, um „die heißeste Nacht meines Lebens“ zu verbringen. Sie war attraktiv in meinen Augen, wenn auch etwas sehr bleich, aber ohne Zweifel anziehend. Dennoch fühlte ich mich unwohl und wäre am liebsten sofort gegangen, jedoch war an Flucht nicht zu denken. In dem Moment wusste ich, dass Jermaine Recht hatte und wünschte mir, er wäre geblieben. So folgte ich ihr mit dem Aufzug in den Privatbereich des Asylums.
Jeanette ist eine Frau, die es versteht, die Männer - Sterbliche wie Vampire gleichermaßen - um den Finger zu wickeln und sie das tun zu lassen, was sie will. Sie wirkt absichtlich naiv, um dann so zu manipulieren und sie spielt ihre Rolle verdammt gut. Im Laufe unserer Unterhaltung und den folgenden Stunden in der Nacht, auf die ich an dieser Stelle nicht weiter eingehen möchte, bemerkte ich dies und auch ihren unterschwelligen Wahnsinn. Oder war es doch nur eine sehr kranke Phantasie? Ich war auf jeden Fall froh, als ich das Asylum wieder verlassen hatte und ärgerte mich, dass ich mich zunächst so von ihr hatte einwickeln lassen. Clayton hatte mich gewarnt, aber ich lief geradeaus in ihre Fänge. Ich war gespannt, was Jermaine zu der ganzen Geschichte sagen würde, wenn ich sie ihm erzählte. Wahrscheinlich würde er amüsiert zuhören und vielleicht danach den Besserwisser raushängen lassen, wobei ich mir bei letzterem nicht ganz so sicher war. Amüsieren würde es ihn aber auf jeden Fall, soweit ich ihn bis jetzt kannte. Die anfangs angepriesenen Geheimnisse von Jeanette waren nicht mehr als interessante Informationen gewesen. Ich hatte von ihr erfahren, dass ich bereits das dritte Kind von Jermaine war und dass sich beide Vorgänger scheinbar das Leben genommen hatten (schon eine merkwürdige Aussage, wenn man bedenkt, dass sie schon vorher tot waren). Schön und gut, aber mit mir hatte das nichts zu tun, denn ich sah bisher keine möglichen und nachvollziehbaren Gründe für eine solche Entscheidung. Mein Erschaffer hatte mich zwar in dieser Nacht irgendwo ins kalte Wasser fallen lassen, aber insgesamt gesehen nahm er sich alle Zeit für mich, um mir das nötige Wissen für das Dasein als Kreatur der Finsternis mitzugeben. Wenn er anders gewesen wäre, mich einfach erschaffen und verlassen hätte ohne Wissen darüber, was ich eigentlich war, dann wäre ich sicherlich über kurz oder lang des Lebens bzw. Unlebens müde geworden. Aber dies war nun einmal nicht der Fall und deshalb wusste ich nicht, warum die Information darüber ein so großes Geheimnis sein sollte. Ich würde Jermaine in nächster Zeit darauf ansprechen, dann erführe ich sicher auch genaueres über meine beiden „Vorgänger“ und die Beweggründe ihrer Entscheidung.
Eine kühle Brise wehte, der Himmel war bewölkt und erste Regentropfen fielen herab, so dass ich meinen langen schwarzen Ledermantel enger um mich zog, obwohl ich eigentlich keinerlei Kälte verspürte. Es war einfach ein Reflex aus dem früheren Leben gewesen, genau wie das tiefe Einatmen der frischen Luft, die so viel besser roch als die im Asylum. Auch, wenn Vampire nicht auf Sauerstoff angewiesen sind, so verfügen sie dennoch über einen Geruchssinn, sogar ausgeprägter als noch zu Lebzeiten. Mich überkam ein seltsames Verlangen, eine Art Hunger. Doch nicht nach Fast Food war mir zumute, ich erkannte dieses Gefühl sofort wieder, hatte ich es doch auch beim Erwachen in den Skyline Appartements verspürt. Mein Körper verlangte wieder nach Blut, nur dass mein Lehrmeister diesmal nicht anwesend war. Aber das war auch nicht von Belang, er hatte mir ausführlich gezeigt, wie es ging, also würde ich mir einfach ein Opfer suchen und in einer dunklen Gasse davon trinken. So schwer konnte das doch nicht sein, dachte sich meine Wenigkeit. Ich schaute mir also unter den Passanten auf der Straße ein Opfer aus, denn im Gegensatz zu Jermaine war meine Brieftasche leer und eine auf gewisse Dienstleistungen im körperlichen Bereich spezialisierte Dame konnte ich mir nicht leisten.
Stattdessen fand ich eine junge Frau, die sich in den Straßen Santa Monicas verlaufen hatte und versprach, ihr den Weg zu ihrem Hotel zu zeigen. Sie willigte ein und sofort verspürte ich den Drang, ihr zu erzählen, wie bescheuert sie war, einem wildfremden Mann in eine dunkle Gasse zu folgen. Sie konnte froh sein, dass ich nur ein wenig von ihr Trinken wollte, denn außer ein paar Kopfschmerzen und etwas Benommenheit aufgrund des Blutverlustes würde sie am nächsten Tag nichts mehr spüren. Ich setzte meinen Charme ein und lockte sie so in eine Gasse zwischen zwei hohen Häusern, wo sich keine weitere Menschenseele befand unter dem Vorwand, dass es sich um eine Abkürzung handele. Hatte ich schon erwähnt, dass ich es mit einem sehr naiven Exemplar zu tun hatte? Ich war sogar etwas erleichtert, als sie endlich anfing, skeptisch zu werden, aber da war es schon zu spät. Ich packte sie und rammte ihr meine Zähne in den Hals, bevor sie anfangen konnte zu schreien. Zum Glück war ich ein Naturtalent darin, denn sonst wäre ihr womöglich noch jemand zur Hilfe gekommen und ich hätte mein Bestes tun müssen, die Maskerade aufrecht zu erhalten. Ich trank, labte mich an ihrem schönen warmen Blut und spürte, wie ihr Körper langsam schwächer zu werden schien. Jedoch konnte ich einfach nicht aufhören, so schön war es. „Nur noch einen kleinen Schluck“, dachte ich mir immer und immer wieder. Nur um Haaresbreite kam die Frau mit dem Leben davon und mein Verdienst war dies nicht. Ein übernatürlich kräftiger Arm zog mich weg von ihr und riss mich herum, bevor er mich gegen die nächste Wand drückte.
„Nun mal sachte, du willst sie doch nicht umbringen oder gehörst du zu diesen Sabbat-Arschlöchern?“, sagte der andere Vampir, welcher mittellange braune Haare und einen langen Kinnbart hatte. Aber bevor ich überhaupt antworten konnte, hatte er mich schon gemustert, ließ mich los und sprach weiter, während sich seine harten Gesichtszüge entspannten.
„Ah, ich merk’ schon. Du bist ein Frischling... Haha. Pass gut auf beim Trinken, Kiddo. Du sollst die Opfer nicht töten, aber das sollte dein Erschaffer dir auch gesagt haben.“
Die Frau stand indessen reglos auf der Stelle und wirkte benommen, sie war für einige Zeit betäubt und bekam nichts von dieser ganzen Unterhaltung mit. Es ist bei Sterblichen glücklicherweise immer so, dass sie sich nicht an den Trinkvorgang erinnern, sonst wäre die Sache mit der Maskerade wirklich verdammt schwierig und unsere Art müsste ihre Opfer zwangsläufig töten, um Geheimhaltung zu wahren.
„Hat er auch“, antwortete ich und richtete mich auf. „Ich muss dir wohl für deine Hilfe danken, ich... wollte sie nicht töten.“
„Aber der Genuss war einfach so überwältigend, dass du nicht aufhören konntest, ich weiß, Küken. Nichts zu danken, ich bin Jack. Pass auf dich auf, Kleiner.“
„Ich bin Eth...“, setzte ich an, aber dieser Jack hatte sich bereits umgedreht und war einige Schritte gegangen, so dass ich den Satz nicht vollendete, scheinbar interessierte ihn das nicht.
Gerade wollte ich ebenfalls gehen, da fiel mein Blick auf diese benommene Frau, die bald wieder zu sich kommen würde und total hilflos wäre. Ihr Hotel war nicht einmal weit entfernt, so schob ich sie behutsam vorwärts und bemerkte, dass sie zwar immer noch nicht ansprechbar war, sich jedoch von mir führen ließ. Schwer zu sagen, ob ein normaler Sterblicher sie auch so ohne weiteres von der Stelle bewegen hätte können, aber mit Hilfe meiner übernatürlichen Kräfte war es kein Problem, dies zu tun und zudem noch so aussehen zu lassen, als würden wir gemeinsam einen Spaziergang machen. Na ja, zumindest für Leute, die nicht ganz genau hinsahen, wie es unter den Sethskindern oft der Fall ist. Vor ihrem Hotel angekommen – ich achtete darauf, von möglichst wenigen Menschen gesehen zu werden -, ließ ich sie dort etwas abseits stehen. So sollte sie gleich ihr Hotel sehen, wenn sie zu sich kam und ich konnte mein Gewissen damit beruhigen, dass sich nach mir nicht irgendein Vergewaltiger oder sonstiger Verbrecher auf ihren betäubten Körper gestürzt hatte.
Ich beschloss, dass ich für diese Nacht genug auf den Straßen von Los Angeles erlebt hatte und rief mir ein Taxi, um mich nach Downtown bringen zu lassen. Ich ging davon aus, dass ich nun bei Jermaine wohnte, immerhin war mein menschliches Selbst gestorben und somit konnte ich mein altes Appartement über dem Tauschhändlergeschäft in Santa Monica unmöglich weiter bewohnen. Hoffentlich war Clayton dort, ich fühlte mich verloren und wollte meinem Lehrer von meinem Missgeschick erzählen. Und außerdem interessierte mich, um wen es sich bei diesem Jack handelte.

Katan
15.09.2005, 11:35
Jermaine Clayton

Meine Unterhaltung mit Strauß verlief so ziemlich wie immer. Man sprach über dies und das, aber tiefgreifender wurde es in der Regel nicht. Er war ein Tremere und hütete seine Geheimnisse. Für mich – meines Zeichens Toreador – gab es da kein Herankommen. Die einzige wirklich interessante Information war, dass eine Tremere aus seinen Reihen den Menschen auf einem Campus ganz schön zugesetzt hatte – und er auf diese Frau hohe Stücke gesetzt hatte und nun den Kopf für ihre Untat hinhalten musste, welche man mit einem Wort zusammenfassen konnte: Maskeradebruch. Und zwar einer der delikaten Sorte. Und wahrscheinlich erzählte er mir das auch nur, weil ich es ohnehin irgendwann erfahren hätte oder er so wütend darüber war. Ich sparte mir Sätze wie „Na, Strauß – hast du deine Leute nicht unter Kontrolle?“, denn ich konnte den man sehr gut nachvollziehen. Erstens konnte man nun wirklich nicht zu jederzeit auf jedermann ein behütendes Auge haben, zweitens wollte ich nicht als vampirische Zicke rüberkommen. Ein solcher Ausspruch wäre einfach zu freundschaftlich gewesen. Ein Zustand, der auf uns nicht passte. Wir waren einfach nur Bekannte, die ab und an miteinander redeten. Während er sich also mit Informationen zurückhielt, versuchte er mich über mein neugeborenes Küken auszuquetschen und redete mir obendrei noch ins Gewissen. Ob das denn so gut sei, wo bereits zwei von mir erschaffene Kainskinder den Freitod gewählt hatten, ob ich mir sicher sei, dass Ethan das Leben als Vampir ertragen konnte... dies, noch weiteres und der Gedanke an eine wohl bald aufgehende Sonne verleiteten mich schließlich dazu, mich zu verabschieden und nach Hause zu gehen. Wenigstens wohnte Strauß nicht allzu weit von mir entfernt, also konnte ich zu Fuß gehen und sparte mir das Geld für ein Taxi.
Warum immer Taxifahren? Nun, ich besitze keinen Führerschein. Ich bin nie in den Genuss gekommen, selbst hinter einem Steuerrad zu sitzen. Damals, als das erste Auto mit Gas das Fahren gelernt hatte, habe ich mir gewiss keines leisten können. Und auch später waren Automobile eher noch den Reichen zugekommen. Es war schon eine Attraktion und ein Zeitpunkt des Schmachtens, einen solchen „Kasten“ sich einfach fortbewegen zu sehen, doch mit der Zeit verlor ich das Interesse daran. Ob mein wunderschöner Ethan wohl Autofahren konnte? Ich konnte ihn ja mal fragen und ihn mit einem kleinen Geschenk überraschen... das Geld, einen Wagen zu kaufen, besaß ich zwischenzeitlich. Und es war eine Möglichkeit, ihm eine kleine Freude zu bereiten.
Plötzlich sah ich eine Gestalt durch die Dunkelheit wandern. Ich sah sie, sie selbst mich aber nicht. Und ich wusste, dass es Ethan war. Und als mich die Erkenntnis überströmte, dass er gar so lange mit Jeanette zusammen gewesen war, wurde ich etwas wütend. Diese Wut war – wie ich selbst wusste – vollkommen unberechtigt. Er musste eigene Erfahrungen machen, um überleben zu können, er musste die Clans und Sekten kennen lernen, damit er später nicht sagen würde, ich hätte ihn in seiner Meinungsfreiheit beschnitten. Leise schlich ich auf den jungen Mann zu, der den Weg zu meinem Appartement schlenderte. Als ich direkt hinter ihm stand und er mich immer noch nicht bemerkte, kam mir eine Idee.
Ich brüllte laut und packte ihn von hinten bei den Schultern. Und er brüllte mit, schrie vor Angst laut auf. Augenblicklich ließ ich von ihm ab und lachte. Und als mir der Gedanke kam, dass der Vampir aussah, als war ihm das Herz stehen geblieben, lachte ich nur noch lauter über meinen eigenen, unausgesprochenen Witz.
„Du hast mich erschreckt!“, rief Ethan ein wenig gereizt.
„Das war ja auch Sinn der Sache, falls dir das entgangen sein sollte“, grinste ich ihn an. Sofort aber nahm mein Gesicht wieder normale Züge an und ich wechselte abrupt das Thema: „Kannst du Autofahren?“
Ethan sah mich irritiert an. „Ähm, ja... aber – was tut das denn jetzt zur Sache?“
„Ich wollte es nur gerne wissen. Und nun lass’ uns nach oben gehen. Wir haben noch eine gute Stunde, dann geht die Sonne auf.“
Ich war nicht immer so gut drauf. Meist war ich weder lustig noch in irgendeiner Weise originell oder kreativ. Die Toreador selbst hielten sich für einen Clan, der eine ganze Menge mit Kunst zu schaffen hatte, aber ich machte mir da nichts vor. Viele Toreador wussten nicht einmal, wie man einen Pinsel oder Geigenstock oder sonst etwas hielt. Sie nannten sich trotzdem Künstler. Anderen nannten sie „Poseure“. Um der Wahrheit die Ehre zu geben, ich hatte nie viel mit Kunst am Hut. Ich hörte sie mir gerne an, aber selbst erschaffen konnte und wollte ich sie gar nicht.
Das war nun nebensächlich. Der heutige Abend hatte mich ausgelaugt und mein toter Körper verlangte nichts dringender, als dass ich mich sofort ins Bett legte. Genau: Ins Bett. Die meisten mochten ja immer noch auf ihre Särge bestehen, das will ich ihnen gar nicht absprechen, aber so ein Bett ist weitaus gemütlicher. Das Appartement in den Skylines gehörte mir, ich konnte damit machen, was ich wollte. Und ich machte damit auch, was ich wollte. In den beiden Schlafzimmern jedenfalls waren die Fenster entfernt worden. Einen Raum einfach abzudunkeln, kam mir unvorsichtig vor. Man konnte sterben und würde es nicht einmal bemerken.

„Wer ist Jack?“
„Hm?“ Ich war gerade einmal dazu gekommen, meine Schuhe ausziehen, als Ethan mit dieser Frage heraus platze. Na, das war doch super. Wenn er nämlich den Jack meinte, den ich nun im Kopf hatte, hatte er mit diesem Kerl ein Paradebeispiel eines Anarchen kennen gelernt. „Braune, längere Haare? Langer Bart? Slang?“
„Ja – du kennst ihn?“
„Natürlich. Wer tut das nicht. Seine Art und Weise mit anderen umzugehen ist legendär.“ Anstatt noch weiter von ihm zu reden, ging ich in den Wohnraum, setzte mich auf einen der drei weißen Ledersessel und nahm die Fernbedienung zur Hand, um das Fernsehgerät einzuschalten. Nachrichten gucken. War immer wieder interessant. Ethan folgte mir und blieb in der Tür stehen, als wusste er nun nicht, wie weiter.
„Wer ist er?“
Oha. Da hatten ja mal wieder ein paar Sabbat-Schläger ein kleines Unheil angerichtet. Tse, tse... hirnlos. Absolut bescheuert. Und die Sethskinder merkten nicht einmal, was sie waren. Und, nun, die meisten Anhänger der Sabbat waren leider Gottes Sterbliche. Und das machte die ganze Sache nur umso lächerlicher.
„Jack ist ein Anarch.“
„Anarch?“
Leiche am Pier gefunden. Grausam niedergemetzelt und an einen Laternenmast gehängt worden. Wie interessant...
„Die Camarilla ist ein Zusammenschluss von Vampiren, den man Sekte nennt. Die Anarchen sind ebenfalls ein Zusammenschluss von Vampiren, den man Sekte nennt.“ Ich schaltete den Fernseher aus. Die Zeit würde ich mir für meinen schönen Liebling nehmen können. „Die Camarilla und die Anarchen sind sozusagen Gegenspieler. Die Anarchen sagen, die Traditionen und all das sei die größte Scheiße. Die wollen ein bisschen mehr Freiheit. Ich kann nicht genau sagen, wer diese Leute ’anführt’ aber einen Vampir, der sich als Anführer bezeichnet, wird es wohl nicht geben. Dann hätten sie ja so was wie einen Prinzen. Und die sind bedacht darauf, dass sie alles genau anders machen, als die Camarilla. – Nein, ich will wirklich nicht schlecht von ihnen sprechen. Aber mit dem richtigen Prinzen finde ich das Camarilla-System durchaus passend.“
„Du magst den Prinzen nicht?“
„Junge, bilde dir deine eigene Meinung. Aber ich sage dir: Auch du wirst keine gute von ihm haben. Sag mal irgendwem, dass LaCroix auch nur einen Vampir unter sich hat, dem etwas an dem Prinzen liegt, und du wirst sofort als Spinner hingestellt. Klar, der Sheriff, der scheint große Stücke auf den zu halten. Aber der spricht auch nicht sondern steht immer nur dumm rum, erledigt die Drecksarbeit und guckt böse. Du wirst die beiden Herrschaften morgen kennen lernen. Du kennst die Traditionen ja nun. Der Prinz sieht L.A. als seine Domäne an. Und weil du hier in L.A. rumsaugst, hast du dich ihm natürlich vorzustellen.“
Das alles an Informationen musste er wohl erstmal verarbeiten – was ihn jedoch nicht davon abhielt, gleich die nächste Frage zu stellen.
„Warum haben sich meine Vorgänger das Leben genommen?“
„Ahr, scheiße. Ich wusste, dass das kommen würde.“ Es war ein offenes Geheimnis, dass meine beiden ersten Schützlinge sich das Leben genommen hatten. Und letztlich war es mir auch total egal, dass Ethan davon wusste. Nur wollte ich wirklich nicht darüber reden. Mit diesen zwei Kapiteln hatte ich abgeschlossen.
„Die Toten sind tot, Ethan. Merk dir das und sprich nicht über sie.“
„Aber...“
„Es ist genug. Ich will nichts mehr davon hören. Küken, das geht dich einfach nichts an, okay? Ich hab damit abgeschlossen.“
Die anderen beiden waren auch nur Küken gewesen, nicht mal derart Vampire, die man als neugeboren bezeichnete. Sie hatten sich weder Rang noch Namen gemacht, die anderen hätten sie vergessen können. Aber sie vergaßen sie nicht, denn – war das nicht eine schöne Art, einen alten Vampir aufzuziehen? Insbesondere Jeanette erwähnte es immer wieder gerne, um mich zu ärgern. Vielleicht sei ja mein Blut zu schwach, als dass ich gute Kinder schaffen konnte? Vielleicht sei ich ja einer der Dünnblütigen, und man hatte es nur nicht bemerkt? Zum Kotzen. Einfach nur zum Kotzen.

Crow
19.09.2005, 15:41
Ethan Knight

Mein Erschaffer wiegelte sofort ab, als ich ihn auf seine beiden ersten erschaffenen Vampire ansprach und wirkte zudem sehr gereizt deswegen. Ich beschloss daher, seinem Wunsch zu folgen und dieses Thema fallen zu lassen, obwohl es mich zugegebenermaßen ein wenig interessierte. Ob er sich vielleicht die Schuld daran gab, die falschen Menschen für ein ewiges Leben in der Dunkelheit ausgewählt zu haben? Oder war er sogar Schuld an ihrer folgenschweren Entscheidung gewesen? Nein, so wenig ich Jermaine bisher auch kannte, so etwas konnte ich ihm beim besten Willen spontan nicht zutrauen, obwohl ich eigentlich von Natur aus grundsätzlich immer ein wenig skeptisch allem gegenüber war. Es musste an ihnen selbst gelegen haben und vielleicht würde ich es ja auch eines Tages etwas genauer erfahren. Es war auf der einen Seite nicht wirklich wichtig für mich, aber auf der anderen Seite war ich eben trotzdem neugierig. Sollte ich Jeanette vielleicht noch einmal deswegen befragen? Nein, diese heutige Nacht reichte mir aus, so schnell musste ich sie wirklich nicht wiedersehen.
Schweigend verfolgten Jermaine und ich die Nachrichten, es war wirklich eine Menge in L.A. passiert, auch vieles, was eigentlich die Kainskinder betraf, wie mein Meister mir erklärte. Die Sethskinder haben gar keine Ahnung, wie sie von den Unsterblichen manipuliert und gesteuert werden, Bauern im Schachspiel der Unsterblichen. Warum glaubt heutzutage keiner an Vampire, Werwölfe und ähnliches? Ganz einfach, weil die Vampire sich nicht offen zeigen, sich hinter ihrer Maskerade verstecken und zudem den Unglauben der Sterblichen mit aller Kraft unterstützen. Jermaine erzählte mir noch ein wenig mehr von LaCroix, welchem ich mich in der nächsten Nacht vorstellen müsste. Der Prinz der Camarilla hatte in Downtown einen riesigen Turm, von welchem aus er über die Stadt wachte, getarnt als gewöhnliches Unternehmen und mit Wachpersonal, welches ebenfalls keine Ahnung davon hat, dass ihr Chef der oberste Vampir der Camarilla von ganz Los Angeles ist. Auch die Anarchen schienen trotz ihrer Freiheit die Diskretion zu bevorzugen, weil es einfach im Sinne der Sache war, möglichst unerkannt unter den Sterblichen zu wandeln. Sie hatten ihr „Hauptquartier“ in einer Bar namens „Last Round“ in Downtown, sogar ganz in der Nähe des großen Ventrue-Komplexes von Lacroix. Auch ein Gildenhaus der Tremere konnte man in Downtown finden, warum auch immer dieser Bereich von L.A. so beliebt war. Aber zurück zu der Maskerade und ihrem Sinn. Wenn die Existenz der Kainskinder tatsächlich bekannt werden würde, dann würden die Menschen wahrscheinlich eine Hetzjagd veranstalten und uns ausrotten. Natürlich sind wir ihnen einzeln überlegen, aber gegen eine Übermacht von ihnen würden wir nicht bestehen können. Nur der Sabbat war anders veranlagt als die anderen beiden Gruppierungen und gab sich keine Mühe, sich zu verstecken. Ihrer Ideologie nach waren die Vampire den Menschen überlegen und hätten keinen Grund, sich in den Schatten der Nächte zu verbergen. Vielmehr sollten sie herrschen. Der Sabbat benutzte auch viele Sethskinder für seine Zwecke, meistens hirnlose Schläger, welche stolz waren, für Vampire arbeiten zu können. Die Camarilla hatte große Mühe damit, Sabbatanschläge innerhalb ihrer Domänen zu vertuschen, indem sie dies der Öffentlichkeit als „normale“ Terroranschläge drogensüchtiger Junkies verkaufte, aber glücklicherweise klappte dies schon seit Jahrhunderten hervorragend, ohne dass die Sterblichen etwas davon ahnten. Zumindest dachte ich so, aber Jermaine erklärte mir weiter, dass es tatsächlich einige Sterbliche gäbe, welche sich der Hetzjagd auf Vampire verschreiben hätten, aber diese kirchliche Organisation, genannt Leopoldsgesellschaft, wurde wie die Existenz der Vampire der Öffentlichkeit vorgehalten und wurde wahrscheinlich nirgends schriftlich erwähnt, nicht einmal in den tiefsten Katakomben des Vatikan. Wieder einmal hörte ich den ganze Erklärungen Claytons aufmerksam zu und sog das neue Wissen geradewegs in mich auf, es war wirklich hochinteressant für mich. Jermaine war auch – wie schon vorher – in Erzähllaune und er schien sich auch darüber zu freuen, dass ich das neue Wissen so begierig und interessiert aufnahm, zumindest war dies mein Eindruck. Diesmal war ich auch nicht so häufig gedanklich abwesend wie noch bei seinen ersten Erklärungen, da ich nun immer mehr begriff und meine Existenz als Kainskind akzeptiert hatte. Natürlich wären andere in dieser Situation vielleicht noch länger ungläubig gewesen und würden alles als Lügen abtun, womöglich sogar für einen Traum halten, aber ich war Realist genug. Alles, was Jermaine mir in dieser Nacht gezeigt hatte und die spitzen Zähne in meinem Mund war überzeugend genug, weshalb also zweifeln? Nichtsdestotrotz war und blieb es noch einige Zeit lang ein merkwürdiges Gefühl, das konnte man natürlich nicht verleugnen.
Jermaine blieb noch einige Zeit vor dem Fernseher sitzen, während ich mich in das total finstere Schlafzimmer begab, wo ich am Tage sicher vor dem für uns Vampire tödlichen Sonnenlicht war, und mich schlafen legte. Einschlafen konnte ich nicht sofort, da ich noch einmal alles Erlebte rekapitulierte und verarbeitete, aber nicht sehr viel später überwältigte mich dann doch die Erschöpfung und ich schlief ein. Meine Träume waren ein weiteres Mal von Blut dominiert, aber wen wunderte dies schon?

Als ich in der nächsten Nacht erwachte, saß mein Erschaffer wieder wie die Nacht zuvor in dem Ledersessel in meinem Zimmer, während er mich mit seinen dunklen Augen fixierte, so dass es mir fast wie ein déjà-vu vorkam.
„Na mein Küken, hast du gut geschlafen?“
„Ja, danke.“
Ich richtete mich auf und reckte mich, menschliche Gewohnheit.
„Dann zieh dich an. Ich möchte dir draußen etwas zeigen“, sagte Jermaine und begab sich zur Zimmertür.
„Moment“, sagte ich, während ich meine Kleidungsstücke vom Boden aufsammelte (wenn man zu Lebzeiten kein ordentlicher Mensch ist, dann ändert auch der Kuss eines Unsterblichen nichts daran). „Wieso bist du denn schon wach?“
Jermaine blieb in der offenen Tür stehen und drehte seinen Kopf leicht zu mir herum, so dass ich sein Profil sehen konnte.
„Wenn du älter wirst, brauchst du nicht mehr so viel Schlaf und erwachst automatisch früher. Das wirst du auch bald merken, so in ein, zwei Jahrhunderten.“
Ein leichtes Lächeln umspielte seine Lippen und er verließ das Zimmer. Ich zog mich schnell an und folgte ihm dann nach draußen, wo meine Überraschung auf mich wartete. Gespannt, um was es sich dabei wohl handeln würde...