M-P
09.08.2006, 03:34
SCHÜSSE IM DUNKELN
Autor: Horac Kamorac
Teil 1.
Mein Name ist- ach unwichtig. Scheiss auf den Namen. Sie wissen es ohnehin, nicht wahr? Wieso sollten sie auch nicht? Schließlich spricht sich sowas ja rum, oder? Ich meine, sie lesen doch Zeitung? Natürlich lesen sie Zeitung, aber ich sage ihnen, die Zeitungen bauschen das alles soweit auf, dass am Ende gar nichts mehr stimmt. Mit der Story aus der Presse bin ich wirklich unzufrieden. Nicht nur, dass verschiedene, für den Ausgang der Sache entscheidende Personen und Aspekte völlig herausgelassen wurden, nein, es blieb auch der Fakt, dass ein gewöhnlicher Zeitungsartikel einer gewöhnlichen Zeitung, mit einer Auflage von 500 Exemplaren pro Monat, gar nicht in der Lage dazu wäre das gesamte Ausmaß des Grauens dieser Geschehnisse korrekt darzustellen, komplett ausser Acht. Deswegen möchte ich ihnen, die sie interessiert sind, die Geschichte so erzählen, wie sie sich wirklich abgespielt hat. Sie sollen wirklich alles erfahren. Von Anfang bis Ende.
Also, ich fuhr ziemlich betrunken durch den Regen, welcher wie Granit auf meinen Wagen niederschlug, als ich bemerkte, dass ich eigentlich gar nicht mehr fuhr. Scheisse, war ich voll. Ich stieg also aus und begutachtete die Situation. Ich hab das verdammte Ding in den Graben gesetzt. Ich murmelte irgendwas von Rache und hob drohend die Faust gen Wagen. Er schien davon total unbeeindruckt und ich musste ihn als Sieger zurücklassen. Okay, den Rest der Strecke ging ich zu Fuß. Durch den Regen war der ganze Boden aufgeweicht. Und die Straße war nicht asphaltiert, also denken sie nicht, ich hätte mir nicht die Schuhe eingesaut. Scheisse, eigentlich wollte ich die noch wegschmeissen... na egal. Wie dem auch sei, als der Morast und der Schlick schon aus meinen Socken quoll sah ich das Schild. Noch 500 Meter, flüsterte ich in die Nacht hinein und ging weiter. Der Regen in meinem Gesicht spülte die Trunkenheit langsam aber sicher hinfort und immer mehr konnte ich meine Umgebung erkennen. Verdammt, ich war in einem beschissenen Labyrinth gelandet. Hier sah wirklich jeder Baum gleich aus. Okay, sagte ich mir, immer gerade aus. Mein einziger Orientierungspunkt war das Schild von vor zwei Minuten. Das Schild? Welches Schild? War da wirklich ein Schild gewesen? Das wusste ich schon nicht mehr, offenbar setzte der Alkohol nochmal einen drauf und setzte mich mit seiner ganzen Brutalität wieder matt. Ich weiß nicht, wieviel Zeit verging, bis sich die Straße gabelte. Also im Nachhinein hab ich nochmal den Plan studiert und weiß nun, dass dort eine Gabelung vorhanden ist. Aber zu jenem Zeitpunkt kroch ich nur noch. Irgendwohin. Trotzalledem hatte ich Glück, den richtigen Weg zu erwischen. Andernfalls wäre ich in einem Gebiet für die Saison gelandet, wo mich irgendein Penner abgeknallt hätte. Dafür bin ich heute dankbar, damals war ich dankbar, dass sich der Schlamm in eine richtige Straße verwandelte. Zeitgleich wurde der unheilvolle Wald durch eine angelegte Hecke ausgetauscht. Ich war am Ziel. Ich ging zum Tor. Erst wollte es nicht aufgehen, dann merkte ich die Tür ging nach aussen auf. Was es nicht alles gibt, dachte ich noch, als ich schon den halben Weg bis zum eigentlichen Anwesen zurückgelegt hatte. Erst jetzt erstreckte sich die riesige Residenz direkt über mir und bauschte sich zu seiner ganzen Größe auf. Es war komplett schwarz und verschmolz an den Kanten mit der unendlichen Nacht, was das Haus an sich noch riesiger und unheilvoller erschienen lies. Da ich noch gut angeheitert war, machte mir das nicht viel aus und ich beschleunigte meinen Schritt auch noch. Auf dem Parkplatz standen bereits die Wagen der Kollegen in blau. Ich zählte drei Stück, zwei Streifenwagen und ein Dienstfahrzeug. So eins aus dem Kino, das kennen sie bestimmt, Eastwood hatte auch so eins.
An der Tür machte ich erstmal Bekanntschaft mit so einem Milchbubbie, der mich offenbar nicht kannte. Der Junge war wahrscheinlich gerade eben von der Polizeischule runter und lies mich in seinem jugendlichen Eifer erstmal nicht durch. Das muss der Schock sein, dachte ich mir, denn was gibt es Schlimmeres als ganz am Anfang schon für einen derartigen Fall eingeteilt zu werden. Nun, ich hatte meinen Ausweis im Wagen liegen lassen und mit einem Mundgeruch von Alkohol und Tabak nannte ich ihm Namen und Rang. Er glaubte mir natürlich nicht. Das muss der Schock sein, dachte ich mir zum zweiten Mal, als ich schon ausholte und meine Hand zur Faust werden lies. Ich wollte ihm gerade sein Gesicht zu Brei schlagen, als sein Funkgerät knisterte. Er wechselte einige Worte mit dem unhandlichen Ding und schaute mich dabei nochmal genau an. Ich fing ein paar Wortfetzen auf, wie »Dieser Typ?« und »Na wenn sie das sagen...«, dabei entging mir auch nicht die Skepsis und der Sarkasmus in seinem Tonfall, was meine Hand, die jetzt in meiner Manteltasche ruhte, schon wieder zur Faust werden lies. Aber plötzlich trat er beiseite und lies mir eine durchlassende Geste entgegenkommen. Ich beliess es nochmal bei einem bösen Blick, und der Gewissheit seiner Degradierung, und trat ein.
Jetzt, da ich endlich dachte, den Tatort unter Augenschein nehmen zu können, kam die nächste Hürde in Form einer weiteren Gestalt. Gut, dass meine Faust noch immer geballt ist, überlegte ich, als ich sah wen ich da vor mir hatte. Den Butler. Alt, hager und groß. Halbglatze, Meterbart, buschige Augenbrauen. Smoking. Wie im scheiss Bilderbuch.
»Der Herr Kommissar, vermute ich mal?«
»Soooo is'ses tatsächlich, nich'wah?!« Verdammt. Ich war ja noch ziemlich besoffen. Ich verlieh meinem Auftreten mehr Würde, indem ich meine Selbstsicherheit stärkte. Durch eine Ohrfeige, die ich mir selber verpasste, als der Butler mir den Rücken zudrehte, um mir den Weg zu weisen. Bei dem Geräusch - BATZ - drehte er sich kurz um und blickte mich argwöhnisch an.
»War etwas?«
»Nein, ich wüsste nicht was.«
»Wie dem auch sei. Bitte hier entlang, man erwartet sie bereits.«
»Jauuuh.« Anscheinend war noch eine Ohrfeige von Nöten, doch die sparte ich mir erstmal auf, da meine Wange immernoch vor Schmerz glühte. Ich folgte also dem Butler. Ich hab ja schon von aussen gesehen, wie groß das Haus war, doch die wahre Größe entfaltete sich erst im Innern des Kolosses. Lange Gänge, hohe Wände, zahlreiche Stufen auf jeder Treppe.
Schließlich kamen wir vor einer massiven Holztür zum Stehen. Die Tür war doppelt. Offenbar eine Art Salon... keine Ahnung, sicher was Wichtiges.
»Das Jagdzimmer.« Er schwang die Tür auf. Der Alte schien noch ordentlich Kraft in den Knochen zu haben. »Treten sie bitte ein.« Ich tat wie mir geheißen und der Alte folgte mir. Hinter mir schloss er die Tür beinah lautlos.
Das Erste, was mir auffiel, das Zimmer war rund. Wir mussten in einer Art Turm sein. Darum auch die vielen scheiss Stufen.
Das Zimmer war vollgestopft mit Gerümpel jeder Art. Ein Billiardtisch, ein Waffenschrank, ein großer Kamin mit einer leeren Gewehrhalterung darüber, verschiedene Sessel, Tische, ein Kronleuchter tronte verkehrtherum an der Decke und überall hingen Tierköpfe und Geweihe. Ich fühlte mich geradezu von ihnen beobachtet. Aber das kam nicht von den Tierköpfen, sondern von den sich im Raum befindenen Personen.
»Ahhh, endlich.« Ein rundlicher Mann mit Schnauzbart und Trenchcoat blickte mich freundlich an und öffnete mir zum Gruße die Arme. Ganz offensichtlich kannte er mich. Und ganz offensichtlich war er einer der leitenden Ermittler. Aber kannte ich ihn? Sicher, wenn er mich kennt, muss ich ihn auch kennen. Aber bei diesem Gesicht regte sich Nichts in mir, ausser dem brodelndem Alkohol in meinem Magen.
»Ja, endlich.«, zischte ich relativ geistesabwesend und reichte ihm energisch - vielleicht eine Spur zu energisch - die Hand. Ein wenig verdutzt ergriff er und schüttelte sie. Ich lies mir mein Unwissen nicht anmerken und betrachtete sofort die Andern. Da waren erstmal zwei weitere Uniformierte mit eisernen Mienen, vor denen ich entsetzt zurückschreckte. Sie machten mir Angst. Darum drehte ich mich zu den vermeintlichen Zivilisten... Tatverdächtigen... Opfern... Menschen.... wie auch immer. Eine Frau mittleren Alters mit langen, dunklen Haaren. Sie trug einen langen, grünen, indischen Rock und rauchte eine Zigarette. Ihrem angespannten Gesicht entnehmend möchte ich behaupten, dass sie genervt war von der ganzen Situation. Neben ihr stand ein junger Bursche, der keinen Schlips binden konnte. Er schwitzte wie ein Kind im Ofen und zerrte durchgängig an seinem Kragen. Doch so heiß war es hier gar nicht. Und dann war da noch ein Mann, dessen Alter sich nicht abschätzen lies. Er mochte 30 sein, vielleicht 40, 50... oder 20? Scheisse, aalglatter Typ. Worum's auch gehen mag, er war es. Das sah ich ihm an. Er lächelte ziemlich ausdruckslos. Das machen sie immer. Aber auf dem Stuhl sind sie dann alle gleich und heulen.
»...« Ich brachte keinen Ton hervor, aber irgendwas musste ich sagen. Glücklicherweise bemerkte der dicke Ermittler meine Verwirrung und rettete die Szene. Anscheinend war das nichts Neues für ihn.
»Das sind die Frau des Opfers, Misses Orphelia Usher, sein Sohn, Robert Usher, und sein Geschäftspartner aus Übersee, der uns seinen Namen bis jetzt nicht nennen wollte.«
»Soso. Interess- Interem- Intereb- Inte... Soso.« Ich ging also schwankenden Schrittes auf den aalglatten Typen zu und knöpfte ihn mir ersteinmal vor. In Gedanken hab ich schon auf ihn eingeprügelt, als er das Wort ergriff.
»Da jetzt alle anwesend sind, werde ich es sagen. Man nennt mich Magnus.«
»Ähm.« Wie sollte ich damit umgehen? Meinte er Vor- oder Nachnamen? Ich drehte mich zu einem der Uniformierten Götzen. »Notieren.« Dann drehte ich mich zu dem dicken Ermittler. »Nicht wahr?« Er nickte. Ich nickte ebenfalls und setze mein zufriedenstes Siegeslächeln auf, als ob der Fall schon gelöst wäre... Fall? Worum ging es eigentlich? Das wusste ich ja noch gar nicht, also drehte ich mich wieder zu dem dicken Ermittler. »Also, was- puh- ha'm wir hier?« Er drehte sich zur Seite und seine Massen gaben endlich den Blick frei auf das grausige Szenario. Die Leiche war geradezu zerfetzt. Ich konnte klar die Arme sehen, welche angewinkelt links und rechts vor dem Kamin lagen. Und die Beine lagen ausgestreckt davor. Doch was war mit dem Rest? Der Körper, der Kopf. Wo zum Teufel war das alles? Und dann sah ich in den Kamin. Dort war ein Gesicht. Oder besser kein Gesicht. Nur noch der Rest eines Gesichtes. Rohe Fleischmassen an der Innenwand verteilt. Organe irgendwo zwischen Hirnrestes und einem klar erkennbaren Augapfel. Es war geradezu ekelerregend.
»Das Opfer ist James Usher, 78 Jahre alt, er war Herr des Hauses und wurde heute 23:48 Uhr zerschossen aufgefunden. Von seinem Sohn, Robert.« Der schwitzende Junge meldete sich zu Wort.
»Das ist alles so schrecklich-.« Der Satz kam abgehackt. Der Junge vergrub das Gesicht in den Händen und begann laut zu schluchtzen. Noch bevor ich ihn zur Besinnung prügeln konnte, ergriff der dicke Ermittler wieder das Wort.
»Zuletzt gesehen wurde das Opfer gegen 21:00 Uhr von seinem Butler, als er zu Bett ging. Der Todeszeitpunkt liegt daher etwa zwischen kurz nach 9 und halb 12.«
»Ahja. Was's mit'n Kollegen...?«
»Die Spurensicherung ist auf dem Weg. Wir sind auch erst vor einer Stunde eingetroffen. Und bei diesem Wetter können wir wohl noch ein Weilchen auf sie warten.«
»Naja, dafür bin bin bin bin ich ja da. Komissar, wenn ich sie mal eben unter Vier, Fünf, Vier Augen sprechen darf.« Ich deutete ihm, dass ich einige Fragen hatte. Er verstand und wir gingen in den Flur.
»Ja, was gibt es?«
»Ha'm sie schon'n Verdacht?«
»Nun, ja. Alle Anwesenden könnten es gewesen sein. Ein Alibi hat Niemand, selbst der Butler steht auf der Liste.«
»Liste?«
»Und wir haben auch noch nicht alle Verdächtigen beisammen. Der Koch, welcher Dienstschluss um 22:00 Uhr hatte, wird gerade von einer Streife hierher eskortiert.«
»Wunnabah.« Alles lief wie am Schnürchen. »Un' die Knarre?«
»Wie meinen?«
»Öh.... die Tatwaffe.«
»Achso, ja. Von der fehlt natürlich jede Spur.« Ich musste erkennen, dass doch nicht alles wie am Schnürchen verlief. Das Schnürchen drohte langsam zu zerreißen. »Und das Opfer wurde im Jagdzimmer umgebracht, obwohl er eigentlich in seinem Bett hätte schlafen sollen. Und zu allem Überfluss gibt es keinerlei Anzeichen für einen Kampf. Nichts wurde gestohlen, nichts verändert und das Jagdzimmer war von innen verschlossen. Der Schlüssel steckte von innen sogar noch, sein Sohn wollte ihn noch einmal in einer Angelegenheit von Dringlichkeit aufsuchen. Als er ihn nicht fand, durchsuchte er gemeinsam mit dem Buttler das ganze Hause und brach schließlich nach erfolglosem Anklopfen und Rufen in einer bösen Vorahnung die Tür zum Jagdzimmer auf, wo er schließlich den Toten fand und die Polizei rief. Das Licht war ebenfalls aus. Ausserdem ist ihnen bestimmt aufgefallen, dass das Zimmer Nur ein Fenster hat, welches mit Panzerglas ebenfalls abgeschottet war. Und dann geht es von dort gute 15 Meter in die Tiefe. Das Fenster hat keinen Kratzer, war fest und dreimal verschlossen und die Gardine war zugezogen. Weiterhin haben wir das Zimmer bereits durchsucht. Es gibt keinerlei Apperaturen oder irgendwelche anderen Auffälligkeiten. Alles normal, bis auf die zerfetzte Leiche.« Das Schnürchen hatte nur noch eine Sehne.
»Was'n mit dem Kamin?«
»Schon seit Jahren nicht mehr in Benutzung. Zubetoniert. Er erfüllt nur noch einen dekorativen Zweck.« Die Sehne riss.
Teil 2.
Dingdong.
Scheisse, was war das, dachte ich.
»Ah, der Koch ist da. Ramirez Gonzales.« Merkwürdiger Name, fiel mir noch auf, als die Tür aufschwang und ein Hühne von schreckensgleichem Bild in den Raum stolzierte. Sein Gesicht war nur ein Klumpen, ein Fels, steinhart. Sein Blick sprach von purem Hass. Die Ärmel hochgekrempelt. Muskeln wummerten über den gesamten Arm. Als ob der Arm eine Diskothek wäre und die Muskeln in Ekstase zu irgendwas tierisch abgehen. Der Typ sah echt aus wie ein Ramirez Gonzales, so ein typisch orientalischer Haudegen aus dem Restaurant, der dir in dein Essen spukt. Aber ich liess mir meine gute Laune nicht von ihm verderben und begrüßte ihn.
»Mister Gonzales! Wie fühlen sie sich?« Diese Frage hatte er nicht erwartet. Nicht jetzt.
»Ähm- müde- und- warum haben sie mich jetzt herbringen lassen, hä?« Er klang müde und angepisst. Genau der richtige Zeitpunkt für ein Verhör.
»Die Fragen hier stellellelle immernoch ich, damit das kla' ist.« Ich wandte mich zu meinem dicken Kollegen. »Rrrräumen sie das Jagdzimmer für die Spurensicherung, ich möchte erstmal Alle ein wenig verhören und mich dann auch nochmal am Tatort umsehen.«
»Guter Vorschlag.« Und so machten wir das dann auch. Perfektes Timing, denn als das Jagdzimmer leer war, traf auch schon die Spurensicherung ein. Zwei Männer mit grellen Klamotten und kleinen Köfferchen unter den Armen wuselten im Jagdzimmer herum, während wir uns die Verdächtigen im Esszimmer vornahmen.
Als erstes war da Orphelia Usher. Hätte ich mitgezählt, hätte ich gewusst, dass sie bereits ihre neunte Zigarette rauchte, seitdem ich eingetroffen war. Das war 'ne Menge.
»Also, Misses Usherusher. Ähm, wo waren sie zwischen- sie wissen schon- zur Tatzeit?«
»Ich saß in der Lobby und las ein Buch.«
»Welches Buch?«
»Die Tür des Todes, von Horac Kamorac.«
»Worum geht es in diesem Buch?«
»Es ist Horror. Die alte Leier, böse Tür, spukt Leichen am laufenden Bande, blablabla.« Ich hörte nicht genau zu und verstand auch nur die Hälfte von dem, was sie sagte.
»Hm, scheint zu stimmen. Abeeeer das können sie sich auch bereitgelegt haben.«
»Sie verdächtigen doch nicht etwa mich? Hören sie, ich war seine Frau! Ich hätte keinen Grund ihn umzubringen.«
»Natürlich hätten sie das. Wegen dem Geld.«
»Geld? Was für Geld? Dieser alte Schuppen hier ist alles, was mein Mann besessen hatte.«
»Ähm nun wer weiß. Überall sind Schätze vergraben, nicht wahr?« Ich musterte sie noch einmal genaustens - besonders ihren Brustbereich - und widmete mich dem Sohn, Robert Usher.
»Mister Usher.«
»Ja, und ihr Name?«
»Tut doch absolut nichts zur Sache.«
»Wie sie meinen.«
»Wo waren sie zur Tatzeit, Mister Usher?«
»Ich war in meinem Zimmer und spielte eine Partie Schach mit mir selbst. Wissen sie, so kann ich nicht verlieren.«
»Ahja, und weiter?«
»Nun, mir fiel etwas wichtiges ein, weswegen ich meinen Vater nochmal aufsuchen musste.«
»Und was war das genauhauhau?«
»Geht es ihnen nicht gut?«
»Ihich stelle hier die Fragen. Also?«
»Es ging um eine finanzielle Sache. Ich hatte mir von der Bank einen Credit geliehen, müssen sie wissen, um mein weiteres Rechtsstudium zu finanzieren. Und die wollten jetzt irgendwelche Sicherheiten sehen, da ich das Geld noch nicht zurückzahlen kann. Und da mein Vater ebenfalls Jurastudent gewesen war und später als Anwalt und sogar als Richter praktizierte, wollte ich mit ihm nochmal darüber sprechen.«
»Das hätten sie doch aber morgen tun können, oder nicht wie was in etwa?«
»Schon, ja. Aber ich konnte nicht schlafen und die Schachpartie langweilte mich bereits, so dass mir erst Seelenfrieden verschaffen wollte, bevor ich zu Bett ging.«
»Verstehe.« Ich versuchte ihn mit meinen Händen zu hypnotisieren, so dass er mit der Wahrheit rausrückte. Er verstand die Geste aber nicht und blickte nur verstört in mein Gesicht. Ich funkelte ihn verdächtig an und wandte mich an den mysteriösen Gschäftspartner aus Übersee.
»Mister Magnus!«
»Einfach nur Magnus.«
»Okay- nagut-! Magnus. Was läuft- Ich meine- wo waren sie, Magnus, zur besagten Zeit und warum waren sie überhaupt noch auf dem Anwesen, obwohl sich bereits alle zurückgezogen hatten?«
»Das Wetter ist schlecht, wie sie vielleicht wissen. Daher hat mir Mister Usher angeboten, die Nacht hier zu verbingen und erst Morgen abzureisen. Und zur Tatzeit war ich auf dem Gästezimmer und habe genächtigt.«
»Genächtigt?«
»Geschlafen.«
»Ahja. Gibt es dafür Zeugen?«
»Natürlich nicht, ich habe schließlich geschlafen. Ich pflege als Besucher alleine zu schlafen und nicht den Gastgeber mit meinem Schnarchen zu stören.«
»Er schnracht ganz schön!« Der junge Mister Usher unterbrach ihn.
»Mh, so ist das also. Also haben sie, Mister Usher, Mister Magnus- Magnus hier also beim Schnarchen gehört.«
»In der Tat, ja das habe ich.«
»Na dann haben sie ja doch Jemand, der ihnen ein Alibi verschafft, Magnus.«
»Wie erfreulich zu hören. Kann ich dann zu Bett gehen?«
»Nein, selbstverständlich nicht. Ich sagte Alibi, nicht wasserfestes Alibi. Vielleicht haben sie das Schnarchen nur per Tonband abspielen lassen.«
»Es steht ihnen frei, mein Zimmer zu durchsuchen.«
»Vorsorglich hätten sie in diesem Falle sämtliche Beweismaterialen natürlich vernichtet. Aber wir werden das dennoch überprüfen.«
»Natürlich.« Er schenkte mir ein gemeines Lächeln, ich erwiederte mit einem kleinen, kurzen Grinsen. Die Faust geballt zog ich den Arm aus meiner Tasche und- der dicke Kommissar sprach mich an.
»Das alles haben wir auch aus ihnen herausbekommen. Das war's. Und der Koch sagt, er wäre in der Küche gewesen und hätte den Abwasch erledigt, bevor er punkt 22:00 Uhr das Haus verlies.«
»Verdammt.«
»Ja.«
»Hier scheint nicht viel zu holen zu sein. Ich werde den Tatort untersuchen.«
»Tun sie das.«
Ich schlenderte also aus dem Zimmer Richtung Turm. Im Jagdzimmer angekommen standen die beiden von der Spurensicherung vor der Tür a die Wand gelehnt und unterhielten sich. Als sie mich sahen, verstummten sie.
»Sie können jetzt rein.«
»Irgendwas entdeckt?«
»Einen Haufen Fingerabdrücke verschiedenster Personen. Alle der hier Anwesenden, aber auch andere. Sind alle älter, von daher bringt uns das nichts.«
»Sonstiges?« Ich rollte die Augen, die Welt drehte sich. Ich musste dieses Gefühl von Brechreiz unterdrücken.
»Blaupausen vom Haus. Unüblich in einem Jagdzimmer. Und dann noch mehrere Gummibänder, ein angesenkter Faden und rote Farbe im Blut.«
»Das ist allerdings merkwürdig.« Das fand ich auch, als ich mit mir selbst sprach.
Ich betrat abermals das Jagdzimmer. Auf einem Tisch nahe dem Kamin und der Leiche waren die sichergestellten Gegenständige in Plastiktüten eingewickelt aufgestellt worden. Ich sah mir die Dinge genau an. Nichts zu erkennen. Ausser dem, was ich schon weiß. Ich machte dann meine Runden in dem Zimmer und grübelte nach. Irgendetwas musste hier doch sein. Doch hier war nichts. Ich durchsuchte die Schränke, nahm jeden Tierkopf von der Wand, drehte alles mehrmals um und- nichts. Rein gar nichts. Ich gab es also schließlich auf und wollte das Zimmer gerade verlassen, als mir ein kleiner, feiner Riss in der Tür auffiel. Daneben war das, was ich gesucht hatte. Ich lächelte überlegen. Jetzt war mir einiges klarer. Jetzt ergab alles einen Sinn. Die merkwürdige Bemerkung vorhin, das Auftreten, das Verhalten. Der Täter hatte sich verplappert.
Teil 3.
Ich schritt zurück ins Esszimmer, ich machte den Strahlemann.
»Ich weiß, wer der Täter ist!« Der dicke Ermittler fiel fast um.
»Sie wissen es? Raus mit der Sprache!« Ich wollte eigentlich ein hinterhältiges Psychospiel mit dem Mörder treiben, doch ich hatte vergessen, wie ich das machen wollte und ließ die Bombe einfach platzen.
»Sie waren es!« Mit einem Finger zeigte ich auf den Butler. »Der Butler!« Er riss die Augen schreckgeweitet auf.
»Was, äh, nein, ich-.« Doch diesen Satz sollte er nicht zuende führen können. Das Licht ging auf einmal aus, dreimal war ein luftschneidendes Geräusch zu hören, die Leute tappten orientierungslos umher und schrien. Das Licht ging wieder an und der Butler war verschwunden. Die Tür offen. Ich wollte noch hinterherrennen, aber der dicke Ermittler hielt meine Schulter fest und deutete auf die Wand. Ich sah mich um und mir bot sich ein Bild des Schreckens. Gepfählt hing der Butler an der Wand. Drei Bolzen, wahrscheinlich von einer Armbrust, waren durch seinen Körper getrieben worden und hielten ihn nun jesuslike an der Wand. Einer im Auge, einer im Hals und einer im Herzen. Er war auf der Stelle tot. Wie aus einen Geysir schoss das Blut aus den Wunden und bespränkelte alles. Sehr eklig. Die Menge im Raum starrte entsetzt auf die neue Leiche. Ich zählte kurz durch. Alle da. Alle Verdächtigen, alle Polizisten, alle Toten. Merkwürdig. Und keiner hielt eine Armbrust und auch sonst lag keine in unmittelbarer Nähe. Irgendetwas stinkte hier gewaltig. Und das waren nicht meine Socken. Doch ich bewahrte die Ruhe.
»Ha, sie alle hier dachten, der Butler war es, nicht wahr? Nun, wie wir jetzt wohl wissen, war er es nicht. Denn-.« Ich holte aus und deutete auf den Koch. »Sie waren es, Senore Gonzales, haha!«
»Wie?« Er hob die Augenbraue und grunzte tief. Als das Licht schon wieder ausging, ein Kind schrie. Was für ein Kind? Und das Licht ging wieder an. Ich hatte derartiges geahnt, denn jetzt war es der Koch, welcher ebenfalls gepfählt neben dem Butler hing. Wie in der Hitze zerlaufene Käse hing er schlaf an der Wand. Sein Gesicht ausdruckslos, seine Haut zu dick um Blut durchzulassen, und trotzdem tot.
»Etwas derartiges habe ich bereits erwartet. Sie auch, junger Mister Usher?«
»Nein!« Seine Antwort war energisch. Das überraschte mich. Sollte dieses halbe Kind jetzt doch noch zum Mann werden? Zu spät, erkannte ich, denn das Licht ging abermals aus und wir vernahmen ein tiefes Grollen. Als das Licht wieder anging, wollte ich gar nicht erst an die Wand starren, an der jetzt der junge Mister Usher neben den anderen hing. Auch er war von Bolzen zerstochen an die Wand genagelt worden. Was ging hier nur vor? Diese Frage ignorierte ich natürlich und deutete bereits auf Misses Orphelia und Mister Magnus aus Übersee.
»Haha! Das war mir klar, eure Liebschaft störte den Alten und den Rest des Hauses, darum mussten sie weg!«
»Wie bitte?« fragten beide synchron. Der dicke Ermittler hielt meinen Arm fest.
»Anstatt Schuldzuweisungen zu vergeben, sollten wir uns lieber um die Opfer kümmern. Vielleicht leben sie ja noch.«
»Oh- ja. Natürlich.« Doch das Licht ging schon wieder aus und an. Und jetzt waren Misses Orphelia Usher und der Mann aus Übersee morbide und quer an die anderen Toten genagelt worden. Wieder spritzte Blut in Wellenform. Jetzt war Niemand mehr da, den ich hätte verdächtigen können. Meine Beweislage, mein Fall, alles verlor in diesem Augenblick an Bedeutung. Gedankenverloren sah ich mich um. Niemand mehr da, den ich hätte verdächtigen können? Der dicke Ermittler war noch da, zusammen mit seinen Kollegen und der Spurensicherung. Kannte ich diese Leute überhaupt? Waren das wirklich Cops?
Ich hatte da so meine Zweifel, weswegen ich sie alle aus Sicherheitsgründen mit meiner Armbrust erschossen habe, wissen sie, Herr Haftrichter? Das ist aber auch wirklich eine geile Armbrust. Mahagoni, richtig gute Verarbeitung und die Schüsse sind beinah lautlos. Achja, die will ich aber wiederhaben, nachher.
Autor: Horac Kamorac
Teil 1.
Mein Name ist- ach unwichtig. Scheiss auf den Namen. Sie wissen es ohnehin, nicht wahr? Wieso sollten sie auch nicht? Schließlich spricht sich sowas ja rum, oder? Ich meine, sie lesen doch Zeitung? Natürlich lesen sie Zeitung, aber ich sage ihnen, die Zeitungen bauschen das alles soweit auf, dass am Ende gar nichts mehr stimmt. Mit der Story aus der Presse bin ich wirklich unzufrieden. Nicht nur, dass verschiedene, für den Ausgang der Sache entscheidende Personen und Aspekte völlig herausgelassen wurden, nein, es blieb auch der Fakt, dass ein gewöhnlicher Zeitungsartikel einer gewöhnlichen Zeitung, mit einer Auflage von 500 Exemplaren pro Monat, gar nicht in der Lage dazu wäre das gesamte Ausmaß des Grauens dieser Geschehnisse korrekt darzustellen, komplett ausser Acht. Deswegen möchte ich ihnen, die sie interessiert sind, die Geschichte so erzählen, wie sie sich wirklich abgespielt hat. Sie sollen wirklich alles erfahren. Von Anfang bis Ende.
Also, ich fuhr ziemlich betrunken durch den Regen, welcher wie Granit auf meinen Wagen niederschlug, als ich bemerkte, dass ich eigentlich gar nicht mehr fuhr. Scheisse, war ich voll. Ich stieg also aus und begutachtete die Situation. Ich hab das verdammte Ding in den Graben gesetzt. Ich murmelte irgendwas von Rache und hob drohend die Faust gen Wagen. Er schien davon total unbeeindruckt und ich musste ihn als Sieger zurücklassen. Okay, den Rest der Strecke ging ich zu Fuß. Durch den Regen war der ganze Boden aufgeweicht. Und die Straße war nicht asphaltiert, also denken sie nicht, ich hätte mir nicht die Schuhe eingesaut. Scheisse, eigentlich wollte ich die noch wegschmeissen... na egal. Wie dem auch sei, als der Morast und der Schlick schon aus meinen Socken quoll sah ich das Schild. Noch 500 Meter, flüsterte ich in die Nacht hinein und ging weiter. Der Regen in meinem Gesicht spülte die Trunkenheit langsam aber sicher hinfort und immer mehr konnte ich meine Umgebung erkennen. Verdammt, ich war in einem beschissenen Labyrinth gelandet. Hier sah wirklich jeder Baum gleich aus. Okay, sagte ich mir, immer gerade aus. Mein einziger Orientierungspunkt war das Schild von vor zwei Minuten. Das Schild? Welches Schild? War da wirklich ein Schild gewesen? Das wusste ich schon nicht mehr, offenbar setzte der Alkohol nochmal einen drauf und setzte mich mit seiner ganzen Brutalität wieder matt. Ich weiß nicht, wieviel Zeit verging, bis sich die Straße gabelte. Also im Nachhinein hab ich nochmal den Plan studiert und weiß nun, dass dort eine Gabelung vorhanden ist. Aber zu jenem Zeitpunkt kroch ich nur noch. Irgendwohin. Trotzalledem hatte ich Glück, den richtigen Weg zu erwischen. Andernfalls wäre ich in einem Gebiet für die Saison gelandet, wo mich irgendein Penner abgeknallt hätte. Dafür bin ich heute dankbar, damals war ich dankbar, dass sich der Schlamm in eine richtige Straße verwandelte. Zeitgleich wurde der unheilvolle Wald durch eine angelegte Hecke ausgetauscht. Ich war am Ziel. Ich ging zum Tor. Erst wollte es nicht aufgehen, dann merkte ich die Tür ging nach aussen auf. Was es nicht alles gibt, dachte ich noch, als ich schon den halben Weg bis zum eigentlichen Anwesen zurückgelegt hatte. Erst jetzt erstreckte sich die riesige Residenz direkt über mir und bauschte sich zu seiner ganzen Größe auf. Es war komplett schwarz und verschmolz an den Kanten mit der unendlichen Nacht, was das Haus an sich noch riesiger und unheilvoller erschienen lies. Da ich noch gut angeheitert war, machte mir das nicht viel aus und ich beschleunigte meinen Schritt auch noch. Auf dem Parkplatz standen bereits die Wagen der Kollegen in blau. Ich zählte drei Stück, zwei Streifenwagen und ein Dienstfahrzeug. So eins aus dem Kino, das kennen sie bestimmt, Eastwood hatte auch so eins.
An der Tür machte ich erstmal Bekanntschaft mit so einem Milchbubbie, der mich offenbar nicht kannte. Der Junge war wahrscheinlich gerade eben von der Polizeischule runter und lies mich in seinem jugendlichen Eifer erstmal nicht durch. Das muss der Schock sein, dachte ich mir, denn was gibt es Schlimmeres als ganz am Anfang schon für einen derartigen Fall eingeteilt zu werden. Nun, ich hatte meinen Ausweis im Wagen liegen lassen und mit einem Mundgeruch von Alkohol und Tabak nannte ich ihm Namen und Rang. Er glaubte mir natürlich nicht. Das muss der Schock sein, dachte ich mir zum zweiten Mal, als ich schon ausholte und meine Hand zur Faust werden lies. Ich wollte ihm gerade sein Gesicht zu Brei schlagen, als sein Funkgerät knisterte. Er wechselte einige Worte mit dem unhandlichen Ding und schaute mich dabei nochmal genau an. Ich fing ein paar Wortfetzen auf, wie »Dieser Typ?« und »Na wenn sie das sagen...«, dabei entging mir auch nicht die Skepsis und der Sarkasmus in seinem Tonfall, was meine Hand, die jetzt in meiner Manteltasche ruhte, schon wieder zur Faust werden lies. Aber plötzlich trat er beiseite und lies mir eine durchlassende Geste entgegenkommen. Ich beliess es nochmal bei einem bösen Blick, und der Gewissheit seiner Degradierung, und trat ein.
Jetzt, da ich endlich dachte, den Tatort unter Augenschein nehmen zu können, kam die nächste Hürde in Form einer weiteren Gestalt. Gut, dass meine Faust noch immer geballt ist, überlegte ich, als ich sah wen ich da vor mir hatte. Den Butler. Alt, hager und groß. Halbglatze, Meterbart, buschige Augenbrauen. Smoking. Wie im scheiss Bilderbuch.
»Der Herr Kommissar, vermute ich mal?«
»Soooo is'ses tatsächlich, nich'wah?!« Verdammt. Ich war ja noch ziemlich besoffen. Ich verlieh meinem Auftreten mehr Würde, indem ich meine Selbstsicherheit stärkte. Durch eine Ohrfeige, die ich mir selber verpasste, als der Butler mir den Rücken zudrehte, um mir den Weg zu weisen. Bei dem Geräusch - BATZ - drehte er sich kurz um und blickte mich argwöhnisch an.
»War etwas?«
»Nein, ich wüsste nicht was.«
»Wie dem auch sei. Bitte hier entlang, man erwartet sie bereits.«
»Jauuuh.« Anscheinend war noch eine Ohrfeige von Nöten, doch die sparte ich mir erstmal auf, da meine Wange immernoch vor Schmerz glühte. Ich folgte also dem Butler. Ich hab ja schon von aussen gesehen, wie groß das Haus war, doch die wahre Größe entfaltete sich erst im Innern des Kolosses. Lange Gänge, hohe Wände, zahlreiche Stufen auf jeder Treppe.
Schließlich kamen wir vor einer massiven Holztür zum Stehen. Die Tür war doppelt. Offenbar eine Art Salon... keine Ahnung, sicher was Wichtiges.
»Das Jagdzimmer.« Er schwang die Tür auf. Der Alte schien noch ordentlich Kraft in den Knochen zu haben. »Treten sie bitte ein.« Ich tat wie mir geheißen und der Alte folgte mir. Hinter mir schloss er die Tür beinah lautlos.
Das Erste, was mir auffiel, das Zimmer war rund. Wir mussten in einer Art Turm sein. Darum auch die vielen scheiss Stufen.
Das Zimmer war vollgestopft mit Gerümpel jeder Art. Ein Billiardtisch, ein Waffenschrank, ein großer Kamin mit einer leeren Gewehrhalterung darüber, verschiedene Sessel, Tische, ein Kronleuchter tronte verkehrtherum an der Decke und überall hingen Tierköpfe und Geweihe. Ich fühlte mich geradezu von ihnen beobachtet. Aber das kam nicht von den Tierköpfen, sondern von den sich im Raum befindenen Personen.
»Ahhh, endlich.« Ein rundlicher Mann mit Schnauzbart und Trenchcoat blickte mich freundlich an und öffnete mir zum Gruße die Arme. Ganz offensichtlich kannte er mich. Und ganz offensichtlich war er einer der leitenden Ermittler. Aber kannte ich ihn? Sicher, wenn er mich kennt, muss ich ihn auch kennen. Aber bei diesem Gesicht regte sich Nichts in mir, ausser dem brodelndem Alkohol in meinem Magen.
»Ja, endlich.«, zischte ich relativ geistesabwesend und reichte ihm energisch - vielleicht eine Spur zu energisch - die Hand. Ein wenig verdutzt ergriff er und schüttelte sie. Ich lies mir mein Unwissen nicht anmerken und betrachtete sofort die Andern. Da waren erstmal zwei weitere Uniformierte mit eisernen Mienen, vor denen ich entsetzt zurückschreckte. Sie machten mir Angst. Darum drehte ich mich zu den vermeintlichen Zivilisten... Tatverdächtigen... Opfern... Menschen.... wie auch immer. Eine Frau mittleren Alters mit langen, dunklen Haaren. Sie trug einen langen, grünen, indischen Rock und rauchte eine Zigarette. Ihrem angespannten Gesicht entnehmend möchte ich behaupten, dass sie genervt war von der ganzen Situation. Neben ihr stand ein junger Bursche, der keinen Schlips binden konnte. Er schwitzte wie ein Kind im Ofen und zerrte durchgängig an seinem Kragen. Doch so heiß war es hier gar nicht. Und dann war da noch ein Mann, dessen Alter sich nicht abschätzen lies. Er mochte 30 sein, vielleicht 40, 50... oder 20? Scheisse, aalglatter Typ. Worum's auch gehen mag, er war es. Das sah ich ihm an. Er lächelte ziemlich ausdruckslos. Das machen sie immer. Aber auf dem Stuhl sind sie dann alle gleich und heulen.
»...« Ich brachte keinen Ton hervor, aber irgendwas musste ich sagen. Glücklicherweise bemerkte der dicke Ermittler meine Verwirrung und rettete die Szene. Anscheinend war das nichts Neues für ihn.
»Das sind die Frau des Opfers, Misses Orphelia Usher, sein Sohn, Robert Usher, und sein Geschäftspartner aus Übersee, der uns seinen Namen bis jetzt nicht nennen wollte.«
»Soso. Interess- Interem- Intereb- Inte... Soso.« Ich ging also schwankenden Schrittes auf den aalglatten Typen zu und knöpfte ihn mir ersteinmal vor. In Gedanken hab ich schon auf ihn eingeprügelt, als er das Wort ergriff.
»Da jetzt alle anwesend sind, werde ich es sagen. Man nennt mich Magnus.«
»Ähm.« Wie sollte ich damit umgehen? Meinte er Vor- oder Nachnamen? Ich drehte mich zu einem der Uniformierten Götzen. »Notieren.« Dann drehte ich mich zu dem dicken Ermittler. »Nicht wahr?« Er nickte. Ich nickte ebenfalls und setze mein zufriedenstes Siegeslächeln auf, als ob der Fall schon gelöst wäre... Fall? Worum ging es eigentlich? Das wusste ich ja noch gar nicht, also drehte ich mich wieder zu dem dicken Ermittler. »Also, was- puh- ha'm wir hier?« Er drehte sich zur Seite und seine Massen gaben endlich den Blick frei auf das grausige Szenario. Die Leiche war geradezu zerfetzt. Ich konnte klar die Arme sehen, welche angewinkelt links und rechts vor dem Kamin lagen. Und die Beine lagen ausgestreckt davor. Doch was war mit dem Rest? Der Körper, der Kopf. Wo zum Teufel war das alles? Und dann sah ich in den Kamin. Dort war ein Gesicht. Oder besser kein Gesicht. Nur noch der Rest eines Gesichtes. Rohe Fleischmassen an der Innenwand verteilt. Organe irgendwo zwischen Hirnrestes und einem klar erkennbaren Augapfel. Es war geradezu ekelerregend.
»Das Opfer ist James Usher, 78 Jahre alt, er war Herr des Hauses und wurde heute 23:48 Uhr zerschossen aufgefunden. Von seinem Sohn, Robert.« Der schwitzende Junge meldete sich zu Wort.
»Das ist alles so schrecklich-.« Der Satz kam abgehackt. Der Junge vergrub das Gesicht in den Händen und begann laut zu schluchtzen. Noch bevor ich ihn zur Besinnung prügeln konnte, ergriff der dicke Ermittler wieder das Wort.
»Zuletzt gesehen wurde das Opfer gegen 21:00 Uhr von seinem Butler, als er zu Bett ging. Der Todeszeitpunkt liegt daher etwa zwischen kurz nach 9 und halb 12.«
»Ahja. Was's mit'n Kollegen...?«
»Die Spurensicherung ist auf dem Weg. Wir sind auch erst vor einer Stunde eingetroffen. Und bei diesem Wetter können wir wohl noch ein Weilchen auf sie warten.«
»Naja, dafür bin bin bin bin ich ja da. Komissar, wenn ich sie mal eben unter Vier, Fünf, Vier Augen sprechen darf.« Ich deutete ihm, dass ich einige Fragen hatte. Er verstand und wir gingen in den Flur.
»Ja, was gibt es?«
»Ha'm sie schon'n Verdacht?«
»Nun, ja. Alle Anwesenden könnten es gewesen sein. Ein Alibi hat Niemand, selbst der Butler steht auf der Liste.«
»Liste?«
»Und wir haben auch noch nicht alle Verdächtigen beisammen. Der Koch, welcher Dienstschluss um 22:00 Uhr hatte, wird gerade von einer Streife hierher eskortiert.«
»Wunnabah.« Alles lief wie am Schnürchen. »Un' die Knarre?«
»Wie meinen?«
»Öh.... die Tatwaffe.«
»Achso, ja. Von der fehlt natürlich jede Spur.« Ich musste erkennen, dass doch nicht alles wie am Schnürchen verlief. Das Schnürchen drohte langsam zu zerreißen. »Und das Opfer wurde im Jagdzimmer umgebracht, obwohl er eigentlich in seinem Bett hätte schlafen sollen. Und zu allem Überfluss gibt es keinerlei Anzeichen für einen Kampf. Nichts wurde gestohlen, nichts verändert und das Jagdzimmer war von innen verschlossen. Der Schlüssel steckte von innen sogar noch, sein Sohn wollte ihn noch einmal in einer Angelegenheit von Dringlichkeit aufsuchen. Als er ihn nicht fand, durchsuchte er gemeinsam mit dem Buttler das ganze Hause und brach schließlich nach erfolglosem Anklopfen und Rufen in einer bösen Vorahnung die Tür zum Jagdzimmer auf, wo er schließlich den Toten fand und die Polizei rief. Das Licht war ebenfalls aus. Ausserdem ist ihnen bestimmt aufgefallen, dass das Zimmer Nur ein Fenster hat, welches mit Panzerglas ebenfalls abgeschottet war. Und dann geht es von dort gute 15 Meter in die Tiefe. Das Fenster hat keinen Kratzer, war fest und dreimal verschlossen und die Gardine war zugezogen. Weiterhin haben wir das Zimmer bereits durchsucht. Es gibt keinerlei Apperaturen oder irgendwelche anderen Auffälligkeiten. Alles normal, bis auf die zerfetzte Leiche.« Das Schnürchen hatte nur noch eine Sehne.
»Was'n mit dem Kamin?«
»Schon seit Jahren nicht mehr in Benutzung. Zubetoniert. Er erfüllt nur noch einen dekorativen Zweck.« Die Sehne riss.
Teil 2.
Dingdong.
Scheisse, was war das, dachte ich.
»Ah, der Koch ist da. Ramirez Gonzales.« Merkwürdiger Name, fiel mir noch auf, als die Tür aufschwang und ein Hühne von schreckensgleichem Bild in den Raum stolzierte. Sein Gesicht war nur ein Klumpen, ein Fels, steinhart. Sein Blick sprach von purem Hass. Die Ärmel hochgekrempelt. Muskeln wummerten über den gesamten Arm. Als ob der Arm eine Diskothek wäre und die Muskeln in Ekstase zu irgendwas tierisch abgehen. Der Typ sah echt aus wie ein Ramirez Gonzales, so ein typisch orientalischer Haudegen aus dem Restaurant, der dir in dein Essen spukt. Aber ich liess mir meine gute Laune nicht von ihm verderben und begrüßte ihn.
»Mister Gonzales! Wie fühlen sie sich?« Diese Frage hatte er nicht erwartet. Nicht jetzt.
»Ähm- müde- und- warum haben sie mich jetzt herbringen lassen, hä?« Er klang müde und angepisst. Genau der richtige Zeitpunkt für ein Verhör.
»Die Fragen hier stellellelle immernoch ich, damit das kla' ist.« Ich wandte mich zu meinem dicken Kollegen. »Rrrräumen sie das Jagdzimmer für die Spurensicherung, ich möchte erstmal Alle ein wenig verhören und mich dann auch nochmal am Tatort umsehen.«
»Guter Vorschlag.« Und so machten wir das dann auch. Perfektes Timing, denn als das Jagdzimmer leer war, traf auch schon die Spurensicherung ein. Zwei Männer mit grellen Klamotten und kleinen Köfferchen unter den Armen wuselten im Jagdzimmer herum, während wir uns die Verdächtigen im Esszimmer vornahmen.
Als erstes war da Orphelia Usher. Hätte ich mitgezählt, hätte ich gewusst, dass sie bereits ihre neunte Zigarette rauchte, seitdem ich eingetroffen war. Das war 'ne Menge.
»Also, Misses Usherusher. Ähm, wo waren sie zwischen- sie wissen schon- zur Tatzeit?«
»Ich saß in der Lobby und las ein Buch.«
»Welches Buch?«
»Die Tür des Todes, von Horac Kamorac.«
»Worum geht es in diesem Buch?«
»Es ist Horror. Die alte Leier, böse Tür, spukt Leichen am laufenden Bande, blablabla.« Ich hörte nicht genau zu und verstand auch nur die Hälfte von dem, was sie sagte.
»Hm, scheint zu stimmen. Abeeeer das können sie sich auch bereitgelegt haben.«
»Sie verdächtigen doch nicht etwa mich? Hören sie, ich war seine Frau! Ich hätte keinen Grund ihn umzubringen.«
»Natürlich hätten sie das. Wegen dem Geld.«
»Geld? Was für Geld? Dieser alte Schuppen hier ist alles, was mein Mann besessen hatte.«
»Ähm nun wer weiß. Überall sind Schätze vergraben, nicht wahr?« Ich musterte sie noch einmal genaustens - besonders ihren Brustbereich - und widmete mich dem Sohn, Robert Usher.
»Mister Usher.«
»Ja, und ihr Name?«
»Tut doch absolut nichts zur Sache.«
»Wie sie meinen.«
»Wo waren sie zur Tatzeit, Mister Usher?«
»Ich war in meinem Zimmer und spielte eine Partie Schach mit mir selbst. Wissen sie, so kann ich nicht verlieren.«
»Ahja, und weiter?«
»Nun, mir fiel etwas wichtiges ein, weswegen ich meinen Vater nochmal aufsuchen musste.«
»Und was war das genauhauhau?«
»Geht es ihnen nicht gut?«
»Ihich stelle hier die Fragen. Also?«
»Es ging um eine finanzielle Sache. Ich hatte mir von der Bank einen Credit geliehen, müssen sie wissen, um mein weiteres Rechtsstudium zu finanzieren. Und die wollten jetzt irgendwelche Sicherheiten sehen, da ich das Geld noch nicht zurückzahlen kann. Und da mein Vater ebenfalls Jurastudent gewesen war und später als Anwalt und sogar als Richter praktizierte, wollte ich mit ihm nochmal darüber sprechen.«
»Das hätten sie doch aber morgen tun können, oder nicht wie was in etwa?«
»Schon, ja. Aber ich konnte nicht schlafen und die Schachpartie langweilte mich bereits, so dass mir erst Seelenfrieden verschaffen wollte, bevor ich zu Bett ging.«
»Verstehe.« Ich versuchte ihn mit meinen Händen zu hypnotisieren, so dass er mit der Wahrheit rausrückte. Er verstand die Geste aber nicht und blickte nur verstört in mein Gesicht. Ich funkelte ihn verdächtig an und wandte mich an den mysteriösen Gschäftspartner aus Übersee.
»Mister Magnus!«
»Einfach nur Magnus.«
»Okay- nagut-! Magnus. Was läuft- Ich meine- wo waren sie, Magnus, zur besagten Zeit und warum waren sie überhaupt noch auf dem Anwesen, obwohl sich bereits alle zurückgezogen hatten?«
»Das Wetter ist schlecht, wie sie vielleicht wissen. Daher hat mir Mister Usher angeboten, die Nacht hier zu verbingen und erst Morgen abzureisen. Und zur Tatzeit war ich auf dem Gästezimmer und habe genächtigt.«
»Genächtigt?«
»Geschlafen.«
»Ahja. Gibt es dafür Zeugen?«
»Natürlich nicht, ich habe schließlich geschlafen. Ich pflege als Besucher alleine zu schlafen und nicht den Gastgeber mit meinem Schnarchen zu stören.«
»Er schnracht ganz schön!« Der junge Mister Usher unterbrach ihn.
»Mh, so ist das also. Also haben sie, Mister Usher, Mister Magnus- Magnus hier also beim Schnarchen gehört.«
»In der Tat, ja das habe ich.«
»Na dann haben sie ja doch Jemand, der ihnen ein Alibi verschafft, Magnus.«
»Wie erfreulich zu hören. Kann ich dann zu Bett gehen?«
»Nein, selbstverständlich nicht. Ich sagte Alibi, nicht wasserfestes Alibi. Vielleicht haben sie das Schnarchen nur per Tonband abspielen lassen.«
»Es steht ihnen frei, mein Zimmer zu durchsuchen.«
»Vorsorglich hätten sie in diesem Falle sämtliche Beweismaterialen natürlich vernichtet. Aber wir werden das dennoch überprüfen.«
»Natürlich.« Er schenkte mir ein gemeines Lächeln, ich erwiederte mit einem kleinen, kurzen Grinsen. Die Faust geballt zog ich den Arm aus meiner Tasche und- der dicke Kommissar sprach mich an.
»Das alles haben wir auch aus ihnen herausbekommen. Das war's. Und der Koch sagt, er wäre in der Küche gewesen und hätte den Abwasch erledigt, bevor er punkt 22:00 Uhr das Haus verlies.«
»Verdammt.«
»Ja.«
»Hier scheint nicht viel zu holen zu sein. Ich werde den Tatort untersuchen.«
»Tun sie das.«
Ich schlenderte also aus dem Zimmer Richtung Turm. Im Jagdzimmer angekommen standen die beiden von der Spurensicherung vor der Tür a die Wand gelehnt und unterhielten sich. Als sie mich sahen, verstummten sie.
»Sie können jetzt rein.«
»Irgendwas entdeckt?«
»Einen Haufen Fingerabdrücke verschiedenster Personen. Alle der hier Anwesenden, aber auch andere. Sind alle älter, von daher bringt uns das nichts.«
»Sonstiges?« Ich rollte die Augen, die Welt drehte sich. Ich musste dieses Gefühl von Brechreiz unterdrücken.
»Blaupausen vom Haus. Unüblich in einem Jagdzimmer. Und dann noch mehrere Gummibänder, ein angesenkter Faden und rote Farbe im Blut.«
»Das ist allerdings merkwürdig.« Das fand ich auch, als ich mit mir selbst sprach.
Ich betrat abermals das Jagdzimmer. Auf einem Tisch nahe dem Kamin und der Leiche waren die sichergestellten Gegenständige in Plastiktüten eingewickelt aufgestellt worden. Ich sah mir die Dinge genau an. Nichts zu erkennen. Ausser dem, was ich schon weiß. Ich machte dann meine Runden in dem Zimmer und grübelte nach. Irgendetwas musste hier doch sein. Doch hier war nichts. Ich durchsuchte die Schränke, nahm jeden Tierkopf von der Wand, drehte alles mehrmals um und- nichts. Rein gar nichts. Ich gab es also schließlich auf und wollte das Zimmer gerade verlassen, als mir ein kleiner, feiner Riss in der Tür auffiel. Daneben war das, was ich gesucht hatte. Ich lächelte überlegen. Jetzt war mir einiges klarer. Jetzt ergab alles einen Sinn. Die merkwürdige Bemerkung vorhin, das Auftreten, das Verhalten. Der Täter hatte sich verplappert.
Teil 3.
Ich schritt zurück ins Esszimmer, ich machte den Strahlemann.
»Ich weiß, wer der Täter ist!« Der dicke Ermittler fiel fast um.
»Sie wissen es? Raus mit der Sprache!« Ich wollte eigentlich ein hinterhältiges Psychospiel mit dem Mörder treiben, doch ich hatte vergessen, wie ich das machen wollte und ließ die Bombe einfach platzen.
»Sie waren es!« Mit einem Finger zeigte ich auf den Butler. »Der Butler!« Er riss die Augen schreckgeweitet auf.
»Was, äh, nein, ich-.« Doch diesen Satz sollte er nicht zuende führen können. Das Licht ging auf einmal aus, dreimal war ein luftschneidendes Geräusch zu hören, die Leute tappten orientierungslos umher und schrien. Das Licht ging wieder an und der Butler war verschwunden. Die Tür offen. Ich wollte noch hinterherrennen, aber der dicke Ermittler hielt meine Schulter fest und deutete auf die Wand. Ich sah mich um und mir bot sich ein Bild des Schreckens. Gepfählt hing der Butler an der Wand. Drei Bolzen, wahrscheinlich von einer Armbrust, waren durch seinen Körper getrieben worden und hielten ihn nun jesuslike an der Wand. Einer im Auge, einer im Hals und einer im Herzen. Er war auf der Stelle tot. Wie aus einen Geysir schoss das Blut aus den Wunden und bespränkelte alles. Sehr eklig. Die Menge im Raum starrte entsetzt auf die neue Leiche. Ich zählte kurz durch. Alle da. Alle Verdächtigen, alle Polizisten, alle Toten. Merkwürdig. Und keiner hielt eine Armbrust und auch sonst lag keine in unmittelbarer Nähe. Irgendetwas stinkte hier gewaltig. Und das waren nicht meine Socken. Doch ich bewahrte die Ruhe.
»Ha, sie alle hier dachten, der Butler war es, nicht wahr? Nun, wie wir jetzt wohl wissen, war er es nicht. Denn-.« Ich holte aus und deutete auf den Koch. »Sie waren es, Senore Gonzales, haha!«
»Wie?« Er hob die Augenbraue und grunzte tief. Als das Licht schon wieder ausging, ein Kind schrie. Was für ein Kind? Und das Licht ging wieder an. Ich hatte derartiges geahnt, denn jetzt war es der Koch, welcher ebenfalls gepfählt neben dem Butler hing. Wie in der Hitze zerlaufene Käse hing er schlaf an der Wand. Sein Gesicht ausdruckslos, seine Haut zu dick um Blut durchzulassen, und trotzdem tot.
»Etwas derartiges habe ich bereits erwartet. Sie auch, junger Mister Usher?«
»Nein!« Seine Antwort war energisch. Das überraschte mich. Sollte dieses halbe Kind jetzt doch noch zum Mann werden? Zu spät, erkannte ich, denn das Licht ging abermals aus und wir vernahmen ein tiefes Grollen. Als das Licht wieder anging, wollte ich gar nicht erst an die Wand starren, an der jetzt der junge Mister Usher neben den anderen hing. Auch er war von Bolzen zerstochen an die Wand genagelt worden. Was ging hier nur vor? Diese Frage ignorierte ich natürlich und deutete bereits auf Misses Orphelia und Mister Magnus aus Übersee.
»Haha! Das war mir klar, eure Liebschaft störte den Alten und den Rest des Hauses, darum mussten sie weg!«
»Wie bitte?« fragten beide synchron. Der dicke Ermittler hielt meinen Arm fest.
»Anstatt Schuldzuweisungen zu vergeben, sollten wir uns lieber um die Opfer kümmern. Vielleicht leben sie ja noch.«
»Oh- ja. Natürlich.« Doch das Licht ging schon wieder aus und an. Und jetzt waren Misses Orphelia Usher und der Mann aus Übersee morbide und quer an die anderen Toten genagelt worden. Wieder spritzte Blut in Wellenform. Jetzt war Niemand mehr da, den ich hätte verdächtigen können. Meine Beweislage, mein Fall, alles verlor in diesem Augenblick an Bedeutung. Gedankenverloren sah ich mich um. Niemand mehr da, den ich hätte verdächtigen können? Der dicke Ermittler war noch da, zusammen mit seinen Kollegen und der Spurensicherung. Kannte ich diese Leute überhaupt? Waren das wirklich Cops?
Ich hatte da so meine Zweifel, weswegen ich sie alle aus Sicherheitsgründen mit meiner Armbrust erschossen habe, wissen sie, Herr Haftrichter? Das ist aber auch wirklich eine geile Armbrust. Mahagoni, richtig gute Verarbeitung und die Schüsse sind beinah lautlos. Achja, die will ich aber wiederhaben, nachher.