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Archiv verlassen und diese Seite im Standarddesign anzeigen : 26.04.1986



Vio
26.04.2006, 16:02
51°23'22" N 30°5'57" E (http://maps.google.com/maps?q=&ll=51.389444,30.099167&spn=0.01,0.01&t=k) - die geographischen Koordinaten des Reaktorgeländes, dass heute vor 20 Jahren (unerwünschte) Beliebtheit erlangt hat - die Rede ist von dem GAU in dem Atomkraftwerk Tschernobyl, der immernoch in den Köpfen der deutschen Bevölkerung "herumgeistert" und alle Jahre wieder in der Diskussion um einen Atomausstieg angesprochen wird.

Den genauen
Verlauf (wikipedia) (http://de.wikipedia.org/wiki/Katastrophe_von_Tschernobyl) kann man sich im Internet genau durchlesen, manche Seiten präsentieren die Geschehnisse genauer, manche ungenauer - aber allen ist eine Sache gemein, der Unfall.

Es soll hier nicht um den Ausstieg aus Atomprogrammen gehen oder ob die Politiker alle "unfähig" sind - hier geht es eher darum, wie (oder ob) ihr den Unfall miterlebt habt, was ihr noch davon wisst - und wenn es gut geht, nehmen ein, zwei User sogar etwas aus diesem Thread mit ... aber wollen wir mal nicht zu optimistisch sein ;).


Anyway, eigentlich ist es erst der 29.April, an dem in Deutschland erstmals von dem
"ernstzunehmenden" Unfall berichtet wird ... und obwohl wir eigentlich unbeschadet "davongekommen" sind, ist der Unfall immernoch in den Köpfen der Bevölkerung - auch bei euch?

Ich kann mich persönlich noch ziemlich gut an einige Dinge erinnern, die sich damals zugetragen haben .... als Kind erinnert man sich ja an einige "besondere" Dinge ziemlich intensiv, in meinem Fall ist es dieser Unfall, den ich als Kind nicht wirklich verstanden habe, der mir aber damals Angst gemacht hat ... und auch heute noch einen kalten Schauer über den Rücken jagt.

So erinnere ich mich an einen Zeitschriftenartikel (wird vermutlich der Stern oder so etwas gewesen sein), in dem ein farbige Skizze des Querschnittes des Reaktors gezeigt wurde und einige Fotos im Artikel angefügt waren. Dass ich damals noch nicht lesen konnte, mag ein Grund sein, wieso ich mich nicht an den Text erinnere (;)), aber die Bilder sind mir in Erinnerung geblieben - und derzeit werden ja genug Sendungen ausgestrahlt, die diese Erinnerungen wieder wachrufen.
Ich kann mich an einige TV-Bilder erinnern, aber es sind mehr "Momentaufnahmen", die ich mir in der Erinnerung behalten habe ... wie z.B. der glühende Reaktorkern.

Meine Mum hat mir und meinen Geschwistern zudem verboten, draußen zu spielen - es wurde ja anfangs empfohlen, Spielplätze nicht zu besuchen, da man befürchtete eine erhöhte Strahlendosis abzubekommen (etc. etc.) - eine weitere Sache, die ich nicht vergessen werde, weil man so etwas als Kind einfach nicht verstehen kann.

Jetzt würde mich interessieren - an was könnt ihr euch noch erinnern? Vielleicht sind ja einige ältere Jahrgänge dabei, die ein paar Impressionen mitteilen wollen - wenn ja, here you go!

Viddy Classic
26.04.2006, 16:11
Erinnern tue ich mich mit meinen damals 1 1/2 Jahren natürlich nicht daran. In keinster Weise. Aber zumindest auf "[...]ist der Unfall immernoch in den Köpfen der Bevölkerung - auch bei euch?" eingehen, denn dem ist tatsächlich so.

Ich war ja nicht vor allzulanger Zeit im Rahmen meines Freiwilligen Ökologischen Jahres auf einem Seminar hinsichtlich des Themas Erneuerbare Energien (http://img71.imageshack.us/img71/5742/programm5ed.jpg) und im Kontrast dazu haben wir uns auch viel mit Atomenergie befasst und die beiden Referenten die das Seminar mitgeleitet haben, waren, sofern mich meine Erinnerung nicht trügt, selbst drüben im Krisengebiet und haben uns von ihren Erfahrungen geschildert. Das war wohl der tiefste Kontakt, den ich mit der Katastrophe habe, an Sachen aus meiner Kindheit kann ich mich nämlich absolut nicht erinnern.

BTW: 20.04.? Eher doch 26.04.

Vio
26.04.2006, 16:19
BTW: 20.04.? Eher doch 26.04.
Wuah ... das ist ein harter vertipper von mir :eek:
... bitte ausbessern, danke ^^*

Ravana
26.04.2006, 18:35
ich erinner mich da auch noch dran. war zwar erst 4, aber n bisschen was is schon haengen geblieben. bilder hab ich keine davon gesehn, nur "gehoert", bzw die auswirkungen mitgekriegt.

am deutlichsten seh ich meine mutter vor mir, die heulend im flur im kreis laeuft (ich und mein bruder immer hinter ihr her, total verstoert) und verzweifelt telefonisch versucht, meinen vater auf der arbeit zu erreichen. wir wohnen in baden wuerttemberg, und bekanntlich ist die "radioaktive wolke" am staerksten ueber sueddeutschland ruebergezogen. meine mutter hat da echt nen panikanfall gekriegt und wohl gedacht, dass wir alle sterben oder so.
jedenfalls wars ne weile aus damit, im garten zu spielen und so und auch wochen danach hiess es noch "und steckt euch bloss nix von draussen in den mund".
was genau dort passiert war, hab ich nich kapiert, wohl aber, dass jetz alles draussen "giftig" ist. haben noch jahre spaeter so ne art fangen gespielt, bei dem man sich mit gras bewerfen musste, und wer vom gras erwischt wurde, musste sich ne weile tot stellen.

paar jahre spaeter dann hat mein vater uns die geschichte genauer erklaert. haengen geblieben davon ist aber eigentlich am meisten mein vorgestelltes bild von nem gluehenden "irgendwas", wo ein riesenhaufen beton drueber gegossen wurde, das war fuer mich immer eine dieser "mythischen angstgeschichten" - ein berg aus beton mit was gluehendem, boesen drunter.

tschernobyl war DIE katastrophe meiner kindheit, die uns direkt betroffen hat und die noch heute nicht vergessen ist.

die letzten jahre hab ich insofern was damit zu tun gehabt, dass bei uns in der gegend ein paar gemeinden jedes jahr fuer 2-3 wochen kinder aus der strahlenbelasteten gegend um tschernobyl aufnimmt (zur "erholung") und denen die gegend und so zeigt.
auch bei meinem verein (bin segelfliegerin) kommen die "tschernobylkinder" dann mal vorbei und jeder der will, darf mal bei uns im flugzeug mitfliegen.

toho
26.04.2006, 18:54
mein bruder ist kurz darauf geboren...er ist geistig behindert, meine eltern geben diesem vorfall immernoch die schuld daran (ich kanns mir gut vorstellenn nach allem was ich später darüber so gelesen habe).
ich selber weiß eigentlich hauptsächlich noch, das wir nicht rausgehen duften und das meine eltern tierische angst hatten.


jedenfalls wars ne weile aus damit, im garten zu spielen und so und auch wochen danach hiess es noch "und steckt euch bloss nix von draussen in den mund".
was genau dort passiert war, hab ich nich kapiert, wohl aber, dass jetz alles draussen "giftig" ist. haben noch jahre spaeter so ne art fangen gespielt, bei dem man sich mit gras bewerfen musste, und wer vom gras erwischt wurde, musste sich ne weile tot stellen.
so wars bei mir im grunde auch.

Achadrion
26.04.2006, 19:14
Für mich war es die erste weltweite Katastrophe die ich mitbekommen habe. Als ich es hörte dachte ich wirklich "jetzt ist alles aus!". Ich habe mich vorher nie mit dem Thema Kernenergie auseinander gesetzt (danach auch nicht ernsthaft) und habe eine Heidenangst vor dieser Energieform die noch in den Kinderschuhen steckt. Das Schlimmste war eigentlich die Angst, wie weit Nahrungsmittel und Wasser verseucht sind.

Aber meine Verdrängung klappt perfekt. Ich habe bis Heute nicht mehr an diesen Vorfall gedacht.

July
26.04.2006, 19:25
Ich muss sagen, dass ich damals mit guten 2 Jahren auch nichts davon mitbekommen habe. Habe auch nie wirklich gewusst, wie extrem das ganze gewesen ist.

Letzten Samstag saß ich in der FH und hatte den Spiegel dabei, da war ein Bericht über das Unglück, das war schon sehr interessant und erschreckend zu lesen. Ich hätte nicht gedacht, dass die Radioaktivität 400 mal so schlimm war wie bei Hiroshima.
Gut, über Hiroshima weiß ich auch so gut wie nichts, aber ich dachte, das wär schon schlimm gewesen, wie unglaublich muss das dann erst gewesen sein?
Dass sich das sogar bis nach Nordamerika ausgedehnt hat ist unglaublich.

Paramite
26.04.2006, 19:46
Für mich war es die erste weltweite Katastrophe die ich mitbekommen habe.
Ging mir auch so. Ich war zwar damal erst knapp 9 Jahre alt, aber in diesem Alter bekommt man da eine Menge mit.
Wir durften nicht in Wiesen spielen gehen - das ist eigentlich die stärkste Erinnerung daran.
Aber die schlimmst Erinnerung - klingt vielleicht komisch und lächerlich - aber das war ein Bild in einer Zeitung für mich.
Die Zeitungen waren damals natürlich voll davon und das war ein Farbfoto von einem Ferkel, das völlig entstellt zur Welt gekommen ist.
Dieses Bild hat sich derart in meine Erinnerung gebrannt - ich weiß nicht warum gerade dieses Tier. Es gab genug Bilder von verkrüppelten Menschen, insbesondere Bilder von Kindern, aber das Bild von dem Schweinchen hat mich fertig gemacht.
Da bekam ich zum 1. Mal richtig Angst - davor hab ich das alles nicht so schlimm gefunden - war halt ein Kind :).

Ich hoffe, daß soetwas nie wieder passiert. Hier in Österreich gibs keine Atomkraftwerke (nur eines, aber das ging nie in Berieb aufgrund von Massenprotesten der Bevölkerung).
Aber an unserer Grenze sind leider genug Schrottreaktoren....

Dante
27.04.2006, 00:44
hmmm, ich kann mich noch recht gut dran erinnern und irgendwie war es so wie "erwartet", was jetzt heißt, daß ich schon Jahre zuvor auf Antiatomkraft-Demos mitgemacht habe und man sich da innerlich schon drauf vorbereitet hatte, daß sowas ja mal kommen mußte.
Als es dann passierte wars ein sehr eigenartiges Gefühl, ich weiß noch, wie ich es als unwahrscheinlich zynisch empfunden habe, daß trotz allem der Frühling ausbrach, alles wurde grün, als wenn nichts gewesen wäre. Ich kam mir regelrecht verarscht vor, weil man die Strahlung ja nicht sehen konnte, obwohl sie da war, die heile Welt ein Trugbild, das war ziemlich krass...irgendwie hatte ich wohl erwartet, daß die Bäume kahl bleiben oder mindestens verkrüppelte Blätter daran wachsen würden, aber nichts war....
naja, nach ein paar Wochen war ja mehr oder weniger Entwarnung und ich hatte mich mit ein paar Freunden im Park verabredet, da hatte ich das erste Mal in meinem Leben eine der übelsten Heuschnupfenattacken, die man sich vorstellen kann (und ich hatte mich über die "Heuschnupfenweicheier" bis dato immer lustig gemacht...jaja, die Strafe Gottes ^^"). Jedenfalls bin ich schon davon überzeugt, daß die Allergie damit zusammen gehangen haben muß o_O

Galuf
27.04.2006, 12:45
Ich lebte in der UdSSR also haben wir davon, nicht sonderlich viel mitbekommen :rolleyes: . Nur kann ich mich noch gut erinnern wie meine Urgrossmuter sagte, dass man die Fenster fest verschliessen soll weil im Kernkraftwerk von Chernobyl ein Unfall passiert ist. Hab dem aber nichts angerechnet. Erst viele Jahhre später habe ich begriffen was da passiert ist.
Dass aber die Menschen trotz allem, am 1 Mai auf die Parade nach draussen getrieben wurden obwohl es der Regierung schon längst bekannt war, finde ich ein bichen bekloppt :rolleyes: O_o. na ja wie so manches was in der UdSSR gewesen ist.
Es erinenrt mich ein bichen an das was Scarlet in FF-VII gesagt hat. Wenn man das an Sowjetunion anwendet, würde es so klingen "Aus schrotigen Köpfen bekommt man nur einen schrottigen Reaktor, aus einem schrottigen Reaktor, nur schrottige Energie".

Vio
27.04.2006, 21:11
Ich hoffe, daß soetwas nie wieder passiert. Hier in Österreich gibs keine Atomkraftwerke (nur eines, aber das ging nie in Berieb aufgrund von Massenprotesten der Bevölkerung).
Aber an unserer Grenze sind leider genug Schrottreaktoren....
Wenn du Temelin meinst, dass hab ich sogar hier in Deutschland mitbekommen, was das für ein Hickhack um diesen Schrottbunker ist .... (gut, was ORF und OE3 so drüber gesendet haben ^^*)


Ging mir auch so. Ich war zwar damal erst knapp 9 Jahre alt, aber in diesem Alter bekommt man da eine Menge mit.
Wir durften nicht in Wiesen spielen gehen - das ist eigentlich die stärkste Erinnerung daran.

Aber die schlimmst Erinnerung - klingt vielleicht komisch und lächerlich - aber das war ein Bild in einer Zeitung für mich.
Ich erinnere mich noch sehr gut an eine GEO-Ausgabe, aus der sich ein Foto in mein Gehirn gebrannt hat - und wenn ich daran denke wird mir immernoch schlecht ...

Das war so ein Kind, dass von Ärzten/Helferinnen/whatever gehalten wurde ... und es hatte nur ein Auge und einen seltsam deformierten Mund. Afair keine Nase, die Hände und Füße "seltsame" Beulen ... eines der abartigsten Fotos, das ich in meinem Leben gesehen habe

Anyway, mit dem April 1986 war die Sache für mich noch nicht gegessen ... sicher kennen einige das Buch "Die Wolke" von Gudrun Pausewang (afair), das Buch ist mir in die Hände gefallen, als ich noch relativ jung war ... (gut, "jung" ist relativ ^^* ... muss so 1990-1992 gewesen sein)
Der Beweggrund warum ich das Buch las, war klar - eben dieser Unfall in Tschernobyl. Und ich hab das damals auch im Buch nicht wirklich verstanden - es ist auch heute noch unvorstellbar, wieviel Menschenleben durch so einen menschlichen Fehler mal eben "vernichtet" und langfristig geschädigt werden können.
Ich hab als Kind den Fehler gemacht und mit meinen Eltern (warum auch immer) nicht darüber gesprochen und eines Tages, als die Abgasstreifen von Flugzeugen am Himmel zu sehen waren, für einen Moment panikartig Angst bekommen, weil die im Abendlicht ziemlich bedrohlich ausgesehen haben ... heute sehe ich mit einem Schmunzeln darauf zurück, aber damals war das wirklich ein Zeitabschnitt, der irgendwo auch mitgeprägt hat ...

Tschernobyl war DIE katastrophe meiner kindheit, die uns direkt betroffen hat und die noch heute nicht vergessen ist.
Absolutes dito - besser hätte ich es nicht sagen können.


btw:
Es ist fast schon bitterböse-ironisch, dass ein paar Leute (18 Jahre alt), die ich kenne, von dem Ereignis nicht wirklich wissen und es auch als garnicht so "schrecklich" einstufen. Dabei könnten sie die Leidtragenden davon sein (Krebs, Spätfolgen von denen wir noch nichts ahnen? etc.)