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Archiv verlassen und diese Seite im Standarddesign anzeigen : Ein großer Krabbler



Scarecrow
19.03.2006, 10:05
Gestern Nachmittag kroch ein großer Käfer aus unserem kleinen Teich im Garten.
Ich saß im Pavillon am Rande des Teiches und lernte, als sich der Teich zu bewegen begann. Wellen kräuselten sich and der Oberfläche und Blasen schäumten auf. Sehr verwunderlich, wie ich fand, denn das Wasser ist keinen Meter tief. Was mich dann noch mehr überraschte, war, dass eben jener besagte Käfer - etwa in der Größe eines Hundes und noch dazu in schillerndem Grün – heraus kroch.
Seine Fühler pendelten wild umher, die Wassertropfen auf seinem Panzer glitzerten. Er umrundete den Teich und setzte sich mir gegenüber auf die Bank. Ich kann mein Gesicht nicht beschreiben, weil ich mich ja nicht sehen konnte, aber es musste in der Art ausgesehen haben, wie der Ausdruck eines Menschen, der einen großen Käfer sich gegenüber sitzen sieht. Ja, ziemlich überrascht eben.
„Guten Tag“, begrüßte das Insekt mich freundlich. Seine Stimme klang wie eine zart gespielte Melodie auf einer Violine.
Zuerst antwortete ich ihm nicht, was, im nachhinein betrachtet, natürlich äußerst unfreundlich war, aber man muss mich verstehen. Ein Käfer, der mit mir spricht. Seltsam.
Dem Insekt entging mein Zögern natürlich nicht. Zwei seiner Beine klopften auf den Tisch.
„Wie unhöflich“, tadelte er mich, während er auf dem Gartentisch herumtrommelte.
Ich fing mich. „Entschuldigung ... äh ... hallo.“
„Na bitte, geht doch.“ Seine facettenreichen Augen fixierten mich. „Mein Name ist Hank.“ Er hielt mir ein Beinchen entgegen. Ich ergriff es und schüttelte ihn durch.
„Raphael.“
„Sehr erfreut.“
Der Käfer, Hank, wartete einen Moment, dann machte er eine vage Beinbewegung, die den Garten einschloss. „Schön hast du’s hier.“
„Hm, danke.“
„Nein, wirklich. Hübsch. Schön anzusehen. Aber natürlich bin ich nicht hier, um mich über deinen Garten zu unterhalten. Ich hätte da nämlich eine Frage ...“
Ein Käfer, der spricht, in meinem Garten. Mit einer Frage an mich.
„Und die wäre?“
„Ist dir zufällig ein Pinguin begegnet? Ungefähr so groß“, er zeigte mir die Größe mit seinen Beinen, „weiße Haut, schwarzer Fleck am Bauch. Ihr Name ist Huskey.“
Ich dachte sogar perverserweise nach, ob ich denn einen Pinguin gesehen hatte, schüttelte dann aber den Kopf. „Nein, tut mir Leid.“
„Hach“, seufzte er, „sie ist mein ein und alles, aber ich habe sie beleidigt. Wir hatten uns gestritten und da ... da ist sie weggelaufen.“ Hank ließ die Fühler hängen, ein klarer Beweis seiner Niedergeschlagenheit. Was für ein Drama. Ein Käfer, der seine Pinguindame verloren hat.
„Kann ich dir vielleicht irgendetwas zu trinken anbieten?“ Was besseres fiel mir nicht ein.
„Etwas starkes bitte.“
„Russischer Wodka?“
„In Ordnung.“
„Okay, ich hol ihn gleich.“
Ich stand auf und ging ins Haus. Hinter mir hörte ich Hank schluchzen und fragte mich, wie es dem Käfer möglich war, derartige Geräusche zu erzeugen.
Im Inneren des Hauses war es angenehm kühl. Ich schlug den Weg zum Wohnzimmer ein, da dort der Alkohol gelagert wird. Ich nahm ein Glas und füllte es mit Wodka, schloss das Regal wieder und wollte wieder das Haus verlassen, um zu Hank zurückzukehren, als ich ein Geräusch vernahm. Es klang wie ein Platschen. Verwundert ging ich der Quelle auf den Grund. Es kam aus dem Bad. Ich öffnete die Tür und blickte verwundert auf den weiß-schwarzen Pinguin, der in meiner Badewanne hockte und ein Küchenmesser in seiner linken Flosse hielt.
„Was tust du da?“, fragte ich den Pinguin.
„Ich will nicht mehr leben. Ich werde mir die Pulsadern aufschneiden.“ Seine Stimme war irgendwie ... weiblich. Tatsächlich erblickte ich rosa Schminke über den Augen des Tieres.
Ich war mir zwar nicht sicher, ob auch Pinguine eine Pulsader an ihrer Flosse hatten, aber ich ging auf Nummer sicher.
„Ganz ruhig“, sagte ich. „Warum willst du nicht mehr leben?“
Die Pinguindame hob drohend das Messer, als ich einen Schritt zu ihr hinmachte.
„Versuch nicht, mich aufzuhalten. Mein Entschluss steht fest!“
Ich versuchte mich an solche Szenen im Film zu erinnern, und wie die Leute mit diesen umgegangen waren. Da fiel mir ein guter Satz ein.
„Aber es gibt doch so viele Dinge, für die es sich zu leben lohnt.“
„Sag mir einen.“
Auf die Schnelle fiel mir keiner ein. Ich versuchte das Thema zu wechseln.
„Sag mal, heißt du zufällig Huskey?“
Die Pinguindame ließ das Messer sinken und sah mich mit großen Augen an.
„Ja, woher weißt du denn das?“
„Oh, Hank hat’s mir verraten.“
„Hank?“
„Ja, du weißt schon, der hundegroße, grüne Käfer. Sitzt bei mir im Garten unten.“
Das Wort pervers tauchte in meinen Gedanken auf. Sehr dick in Rot unterstrichen.
„Hank ist hier?“
„Mhm, ja, sitzt bei mir im Ga ... hab ich das nicht schon erwähnt?“
„Das ist mir egal“, sagte sie dann, mit neuem Trotz in der Stimme. „Er hätte sich früher überlegen sollen, wie er mit mir spricht. Er behandelt mich immer wie ein ... wie ein ...“
„Wie ein was?“
„Wie ein Haustier!“
Das war natürlich eine sehr präkere Situation. Heikel, heikel. Kam sicher öfters vor. Wenn man davon absah, dass es eben eine lebensmüde Pinguindame war, die in meiner Badewanne saß und drohte, sich mit meinem Küchenmesser ihre Pulsadern aufzuschlitzen.
Das konnte ich nicht zulassen. Wer würde dann wieder die Schweinerei wegmachen müssen? Genau. Also appellierte ich an irgendwas in ihr:
„Hank hat’s nicht so gemeint. Das hat er mir gesagt, ja, sieh mich nicht so an. Hat mir alles erzählt. Ist doch auch ein guter Kerl, der eben einen Fehler gemacht hat und er verdient doch eine zweite Chance, findest du nicht?“
Sie überlegte kurz. "Nein."
Ich war mit meinem Latein echt am Ende. Ich war in solchen Sachen noch nie besonders gut. Jemanden Ratschläge erteilen, wie er sich bei heiklen Liebessituationen verhalten sollte.
Schon gar nicht einem Käfer. Und einem Pinguin.
Lächerlich.
Also stand ich einfach auf und wollte den Raum verlassen.
„Gehst du jetzt einfach?“, fragte mich Huskey. „Du kannst mich doch hier nicht so sitzen lassen!“
Ich war kurz davor einfach laut schreiend ein paar Runden im Kreis zu laufen, riss mich aber in letzter Sekunde zusammen und zählte in Gedanken bis zehn.
Ich kam bis fünf, da fragte jemand hinter mir: „Hast du auch Eiswürfel?“
„Ähm.“
Hank trottete zu mir herüber. Seine Fühler schleiften am Boden nebenher.
„Ich will dir ja nicht zuviel Arbeit machen und so, aber…“, und er sah Huskey in der Wanne.
„Huskey!“
Es ging alles so schnell, Hank stürzte an mir vorbei ins Badezimmer und die Pinguindame versuchte gleichzeitig, selbiges durch das Fenster zu verlassen.
Ein Kauderwelsch an Worten, ein Klirren, ein Schrei und dann Stille.
Niemand war mehr hier. Das Fenster im Badezimmer war nicht mehr und ich kam mir bescheuert vor. Ich stand mit einem Glas Wodka blöd da.
Und wer trinkt denn jetzt den Wodka, wollte ich schon fragen, als Hank mir das Glas aus der Hand nahm.
„Einfach abgehauen“, sagte er traurig und trank das Gesöff in einem Zug.
„Mhm.“
„Ich bin so deprimiert, wie noch nie in meinem ganzen Leben.“
„Mhm.“
„Hast du noch ein Glas für mich?“
„Natürlich.“
Ich ging zurück zur Minibar, schenkte dem Käfer neu ein. Er leerte es wieder auf einmal.
Dann zuckte er mit den Schultern und begann zu weinen. Ich glaube niemand kann behaupten, schon einmal einen schillernd grünen, hundsgroßen Käfer weinen gehört zu haben, nun, niemand, außer ich.
Nachdem der erste Weinkrampf vorbei war, klopfte ich ihm auf den Panzer.
„Nimm’s nicht zu hart, Junge. Gibt doch tausende.“
Er schüttelte langsam den Kopf. „Keine ist wie sie.“
„Das hab ich mir auch immer gesagt, aber das stimmt nicht. Du wirst schon sehen, das geht alles vorbei.“
„Meinst du?“
„Sicher.“
Hank schluchzte noch ein paar mal. Ich gab ihm ein Taschentuch.
„Lass und doch in den Garten gehen“, schlug ich vor und nickte aufmunternd. „Schaun wir uns den Sonnenuntergang an. Wir könnten den Griller anwerfen, ein paar Bier stanzen und ich erzähl dir ein paar tolle Geschichten. Über Autos, Weiber, die nichts taugen und vom Nudelauflauf meiner Tante. Und weißt du was? Wenn wir dann morgen ausgenüchtert haben, aufgewacht sind und du immer noch hier bist, dann erzählst du mir, wo zum Teufel du überhaupt herkommst.“