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Archiv verlassen und diese Seite im Standarddesign anzeigen : Drei Russische Schicksale



Knut Wenger
16.03.2006, 22:49
Mit wenig Begeisterung tat Dostojewski die Augen auf. Im Spiegel an der Hotelzimmerdecke bot sich folgender Anblick: Jemand hatte ihm ein Hakenkreuz auf die Stirn gemalt. Schöne Scheiße, dachte der Russe. Er drehte sich zu der Frau um, die neben ihm im Bette lag. Sie war Negerin, dessen entsann sich Fjodor Michailowitsch nun, da er in ihr dunkelhäutiges Gesicht sah – er hatte sie gestern Nacht beim Roulette gewonnen. Glück war im Spiel gewesen, denn wie Rauschebart gerade der Morgenzeitung, unter welcher er genächtigt hatte, entnahm, war von Präsident Lincoln zum Frühstück die Sklavenbefreiung ausgerufen wurden. Grad noch mal Schwein gehabt.
Dostojewski schickte das Mädchen Bier holen und warf sich seinen Kaftan über. Zum Munterwerden tanzte er einen Kasatschock – das regte die Gehirnzellen an – und schrieb Krieg und Frieden zu Ende. Plötzlich kam eine fast ausgehungerte Erscheinung durchs Fenster geklettert: Nikolai Gogol, er hatte sich im Zimmer geirrt. Man konnte seine Rippen sehen, als er flugs zum noch nicht fertig getrockneten Manuskript lief und es in einem Anfall religiösen Wahns verbrannte. Die Ironie des Schicksals wollte es nicht anders, dass Väterchen Gogol daraufhin ganz genauso ums Feuer sprang wie einst Rumpelstilzchen im gleichnamigen Märchen, als dessen Verfasser Dostojewski seinerzeit über Nacht zu Weltruhm gelangt war.
„Du Sau“, schimpfte er jetzt den Knöchernen, „geh deine eigenen Manuskripte verbrennen!“ Fjodor Michailowitsch zerbrach eine Flasche Wodka Gorbatschow am Nachtschrank und zog Nikolai Wassiljewitsch gehörig den Scheitel nach. Gerade wollte er sich auf dessen Kadaver erleichtern, da hielt ihn auch schon der Anstand davon ab, denn das Mädchen war mit dem Bier zurück. Gemeinsam gossen die zwei Lasterhaften es sich hinter die Binde, und sie ließ sich bereitwillig von Dostojewski auf der Gefriertruhe budern.
So verstrich der Tag, und des Nachts, als alles schlief, stieg aus dem Eisschrank niemand Geringeres als Leo Tolstoi, der die Asche vom Manuskript zusammenkehrte und anhand ihrer Krieg und Frieden rekonstruierte. Noch heute ist er dafür berühmt, wohingegen Dostojewski und sein Rumpelstilzchen längst in berechtigte Vergessenheit geraten sind.

Marc
17.03.2006, 14:33
So war das also. o.o

Ist "sich budern lassen" eigentlich ein ostdeutscher Ausdruck?

Knut Wenger
17.03.2006, 17:03
budern is österreichisch.

Stan
17.03.2006, 18:10
Ich kann nicht sagen warum, aber irgendwie ist es unterhaltsam und lustig. Vielleicht aber auch nur weil ich gerade Dostojewski lese und ich mir jetzt besonders toll vorkomme, dass ich den Protagonisten kenne. Dasselbe Phänomen wie bei der Frage, ob englische Foren tatsächlich lustiger sind oder ob man sich einfach freut die Witze zu verstehen.
Der Stil kommt mir btw so bekommt vor. :rolleyes: