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Trial
04.02.2006, 11:52
Fallout_23-5

Irgendwie spürten wir es schon, dass es so weit kommen musste. Doch wir wollten es einfach nicht wahrhaben. Hätten wir es überhaupt ertragen, uns die ganze Zeit bis zu jenem Tag hin auszumalen, was auf uns zukommen würde? Wir träumten lieber weiter von unserem geordneten Leben. Selbst in Zeiten wie diesen schienen die Ereignisse, die sich um uns herum androhten, nur ein entferntes Donnern vom Ozean um unsere Insel der Glückseeligkeit zu sein. Vielleicht brauchten wir ja so eine Katastrophe um von unserer Arroganz, Ignoranz und unserem unterträglich egoistischem Optimismus los zu kommen, die von denen die nun zurückschlugen über Jahrzehnte hinweg mit wachsender Missgunst und unbeschreiblichem Hass beobachtet wurden.

Natürlich waren nicht alle so blauäugig wie wir, die dachten, dass sich die Lage irgendwann beruhigen würde und wir wieder in unserer gewohnten rosaroten Wunderwelt weiterleben könnten. Eine Handvoll Leute war bereits damit im Gange den Hexenkessel rund um die Uhr mit Satelliten und eingeschleusten Gefolgsleuten im Auge zu behalten, bereit im Fall X in weniger als 30 Minuten mit voller Härte zurückschlagen zu können. Doch irgendwie mussten die Jungs und ihre Augen am Himmel ausgerechnet jene verfluchte kleine Luke übersehen haben, aus der sich der Anbruch des neuen Zeitalters in den Himmel der Nacht erheben sollte. Bereit interglobal und bis zu fünfzehntausend Kilometer entfernt zuzuschlagen. Während die Augen unserer hochbezahlten Überwacher auf irgendwelche verdächtigen Bauernhöfe weiter südlich gerichtet waren, leiteten die Triebwerke bereits die exakte Ausrichtung der Apokalypse ein.

Als irgendeine kleine Station zur Luftüberwachung dann das Ungetüm auf den Radarschirmen gesehen hat, war die tonnenschwere Rakete bereits im Sinkflug. Am Anfang dachten sie noch, dass es sich um eine Boeing handeln könnte, doch schon bald waren alle militärischen Behörden informiert, die man noch auf die Schnelle erreichen und zusammentrommeln konnte. Vielleicht haben wir die milliardenschwere Technik überschätzt oder jemand hat es aus strategischen Gründen gezielt aus dem Spiel gehalten, doch das von vielen so hochgelobte und als Wundermittel eingestufte System zur Abwehr von Langstreckenraketen wurde nicht eingesetzt. Der Zielort war längst genausowenig ein Geheimnis wie die Einschlagszeit. Für die folgenden 43 Minuten lag das Wissen um das was kommen würde in den Händen von etwa fünfzig bis sechzig Personen. Vielleicht auch einige weitere, die irgendwo im Ausland hohe Posten inne hatten, was spielt das schon für eine Rolle. Für eine Evakuierung war es wohl zu spät, deswegen konnten sie wohl auch nichts weiter tun als sich seelisch darauf vorzubereiten, nach Stunde 0 vor die Öffentlichkeit zu treten. Und zu beten.

Es war der 23. Mai 2006. Es hätte ein Morgen sein können, wie jeder andere auch. Eine vom biederen Leben zermarterte Mutter, gibt ihrem kleinen Sohn einen Kuss auf die Stirn, ehe er mit erwartungsvollem und glücklichen Blick zum ersten Mal in den Kindergarten geht. Aufgeregt ist er ja schon irgendwie, aber dennoch voller Vorfreude auf das, was kommt. Anderswo tritt ein älterer Herr aus dem Haus der seinen Nachbarn oft mit seinen Erzählungen aus dem Krieg auf die Nerven fällt und seinen Lebenszweck darin gefunden hat, die Petunien im Vorgarten um diese Uhrzeit liebevoll zu pflegen. In der Innenstadt sitzt ein weitaus jüngerer Mann mit dem Bus im Stau fest, seine Nervosität steht ihm ins Gesicht geschrieben. Die Luft im vollbesetzten Bus ist schlecht, es ist eng und an seinem rechten Ohr liegt ein Mobiltelefon aus dessen Hörer die wütende Stimme seines Abteilungsleiters schallt. Sein Sitznachbar steht vom Äusseren in einem völligen Widerspruch zu seinem gepflegten Anzug. Er trägt einfache Kleidung, reichlich durchgeschwitzt von der Hitze, sein Gesichtsausdruck wirkt bedenklich und angespannt. Wenn er den Termin auf dem Amt verpasst, könnte er seine Aufenthaltsgenehmigung verlieren. Nicht weit von dem Stau steht ein junger Mann vor einem Supermarkt, seine Augen nur für die Kassiererin geöffnet. Sollte er sie jetzt fragen oder doch noch warten? Sorgen, mit denen sich die Jugendlichen aus dem naheliegenden Schulgebäude nicht rumschlagen müssen, sie hängen gerade mitten über einem wichtigen Test. Sie wissen, dass diese Prüfung ihr späteres Leben prägen könnte. Sie können es kaum abwarten, endlich die Schule zu verlassen und ihr eigenes Leben zu beginnen. Einzig und allein die Grundschüler auf dem Hof scheinen das seltsame Objekt am Himmel bemerkt zu haben. "Sternschnuppen!" ruft ein kleines Mädchen und lenkt so die Augen der Lehrerin auf das langsam nahekommende Objekt. Ihre Augen sollten die ersten sein, die sich vor Schreck weiten, als sie erkennt, was auf sie zukommt.

Wenige Meter über dem Boden wird die kritische Masse erreicht, wie in Dutzenden an Durchläufen geprobt. Alles läuft genau so, wie es die Gesetze der Physik verlangen.

Die Leute die im Stadtzentrum sind, merken kaum etwas davon, wie ihr Lebenslicht erlischt, sie verglühen stillschweigend und spurlos binnen Bruchteilen von Sekunden. Am Rande des Zentrums erschrecken einige Passanten noch, ehe auch sie von dem Feuerball verschluckt werden ohne genau zu registrieren, was eigentlich passiert. Doch bereits die Bewohner der folgenden Gebiete haben noch die Zeit zu erkennen, das ihr Leben hier endet, ehe sie von der Druckwelle hinfortgeschleudert und an Wände geklatscht werden, die alsbald mit nachgeben und sich durch die Hitze noch im Flug verformen. Die wenigen, die sich jetzt noch am Boden halten können, werden binnen weniger Sekunden von der immer heisser werdenden Luft entzündet und zu Asche verbrannt. Einige Besucher eines Freibades stürzen sich sogar noch ins Wasser um ihre Verbrennungen zu stoppen, doch auch das Wasser ist erbarmungslos und beginnt zu kochen. Ihre Schreie verstummen so schnell, wie sie kamen.

Am Rande der Stadt hat man offenbar bemerkt, was los ist. Panisch schreiend rennen die Menschen in alle verschiedenen Richtungen, die Mehrheit sogar in die richtige Richtung. Einige fahren sogar mit dem Auto davon, Gedanken über die Flüchtenden, die sie in ihrer Panik überfahren, können sie sich nicht machen. Doch die tödliche Welle an Hitze und Druck ist schneller, knickt Menschen und Bäume wie Streichhölzer um, ehe auch sie entzündet werden. Dächer werden abgedeckt und jagen den flüchtenden als tödliche Geschosse hinterher, im Vergleich zur unbarmherzigen Verbrennung sogar noch ein schneller Tod.

Einige wenige schaffen es, irgendwie zu überleben. Vielen hängt die Haut in Fetzen vom Leib, schreiend erliegen sie ihren Verbrennungen oder schleppen sich nur so weit weg, wie sie können. Wie durch ein Wunder blieben einige unverletzt, liegen sich weinend in den Armen. Die Folgen der unsichtbaren Strahlen, die nun das Gebiet überdecken, werden sie bis an ihr grausiges Ende verfolgen. Der Tod wurde für sie nur hinausgezögert, zu einem unbarmherzigen Preis.

Die zuständigen Staatsmänner reagierten souverän und geschockt, obgleich die meisten von ihnen ja bereits wussten, das es so kommen würde. Die Bilder der Vernichtung sollten binnen weniger Minuten die Welt umkreist und gespalten haben. Klar, dass es auf unserer Seite Entrüstung und Entsetzen gab, im Verbreiten von selbigen hatten die Medien ja Erfahrung. Doch anderswo wurde gejubelt und gegrölt, als ob man jahrelang auf dieses Unheil gewartet hätte. Für sie war es eine Rechnung, die längst überfällig war. Eine Rechnung für unsere Arroganz und Blauäugigkeit.

Wie viele gestorben sind, weis ich nicht mehr. Einige hundertausend waren es sicher, doch Leid lässt sich nicht in Zahlen fassen. Diese Menge sollte jedoch nichts im Vergleich zu dem sein, was noch kommen würde. Was gab es denn für einen anderen Weg, als Rache und präventive Gegenmaßnahmen? Auf den nächsten Fallout warten und aufgeben?Manche betrachten ja noch jetzt diesen Zwischenfall als den Beginn der ganzen Misere, die folgen sollte, doch es war eigentlich abzusehen, eine Verkettung von Zwischenfällen und Fehlern die bis weit in die Vergangenheit zurückreicht. Die Welt und ihre Nerven waren so gespannt, wie nie zuvor. Was am 23. Mai passierte war nicht der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen brachte, sondern das zerberstende Fass selbst.

Wenn ich daran zurückdenke, weis ich nicht, ob wir überhaupt eine Möglichkeit hatten, das ganze abzuwenden. Es war einfach zuviel für diese Welt. Jetzt sitze ich hier, an einem der wenigen Flecken Erde, die noch nicht ganz auseinandergefallen sind und schreibe diese Zeilen. Wahrscheinlich um nicht verückt zu werden oder damit die jenigen, die nach uns folgen, erkennen, was passiert ist.

Sie sagen noch immer, dass alles bald vorbei sein wird. Sie sagen, dass alles wieder gut wird. Sie sitzen in sicheren Bunkern und warten ab, während ich es besser weis. Ich weis, dass die allgegenwärtige Strahlung auch mich bald haben wird. Und ich glaube nicht, dass es diesmal noch einen neuen Anlauf für uns geben wird. Vielleicht werden sich die Ameisen nach alledem erheben und eine neue Zivilisation gründen, irgendwann ähnliche Waffen entdecken und sich gegenseitig zerbomben. Dass scheint dann wohl der Lauf der Zivilisation zu sein, sich über alles zu erheben und dann die Strafe für ihre Ignoranz entgegenzunehmen. Nur daraus zu lernen, dass scheint ein Ding der Unmöglichkeit zu sein.

Moyaccercchi
11.02.2006, 15:55
Meiner Meinung nach ist das eine richtig gute Geschichte - wenn auch ein wenig zu realistisch. :( (Das ist kein Kritikpunkt an deiner Geschichte, sondern an unserer derzeitigen 'Gesamtsituation'...)

Es ist eigentlich alles ziemlich anschaulich beschrieben, vor allem die Rettungsversuche, die Hals über Kopf in den letzten paar Sekunden ablaufen, aber doch bloß keinen Erfolg haben.
Auch wenn ich nicht verstehe, warum dieser erste Angriff schon das berstende Fass sein soll, im übertragenden Sinne, da ja danach noch viele wietere folgen. Ist das dann die Sintflut, die sich aus dem Fass ergießt? (Ok, die Frage ist vielleicht nicht so wichtig, interessieren würde es mich aber schon...)

Eine Frage hätte ich aber noch: Wenn der Autor sich nahezu sicher ist, dass die Menschheit untergehen wird, warum schreibt er dann dies alles noch auf? Außer vielleicht für sein eigenes Wohlbefinden kann ich mir da keinen Grund vorstellen, denn er sieht ja selbst, dass die Spezies, denen der Text mal in die Hände fällt, ihn wohl nicht lesen können. (Ameisen zum Beispiel, deren Kommunikation unterscheidet sich ja doch sehr stark von unserer.)
Oder ist das vielleicht eine letzte glimmende Hoffnung, dass doch irgendjemand das Hölleninferno überleben wird, sein Text gefunden wird, und daraus dann gelernt werden kann?


Zitat von Trial
Die zuständigen Staatsmänner reagierten souverän und geschockt, obgleich die meisten von ihnen ja bereits wussten, dass es so kommen würde.
Dies ist der einzige Rechtschreibfehler, der mir jetzt gerade auffällt. Nicht schlecht. ;)

Alles in allem richtig klasse gemacht, weiter so, bitte! :)

La Cipolla
30.03.2006, 19:32
*push*
Ok, ich dachte erst, ich hätt ihn gelöscht ^_- Aber es sind nur die unpassenden Posts raus, die findet man jetzt im West-RPG.